Dieses Lehrbuch stellt die wichtigsten Derivate vor, die derzeit an den Märkten gehandelt werden: Optionen, Futures, Forwards und Swaps. Kreditderivate werden aufgrund ihrer großen und aktuellen Bedeutung in einem eigenen Abschnitt behandelt. Der Untertitel „Verstehen, anwenden und bewerten“ beschreibt dabei den Ansatz dieses Buches:
Verstehen: Zunächst geht es darum, die behandelten Derivate in ihrer Grundstruktur zu verstehen. Warum werden sie eingesetzt? Was wird bei den jeweiligen Derivaten eigentlich genau gekauft oder verkauft? Welche Chancen und Risiken entstehen dabei für die Käufer und Verkäufer? Wie ist der Ablauf eines solchen Handelsgeschäfts und wo bzw. wie können die Derivate gehandelt werden?
Anwenden: Nur wer Derivate auf konkrete Fragestellungen anwenden kann, hat sie wirklich verstanden. Das Buch legt deshalb großen Wert auf die Anwendung und den Einsatz der jeweiligen Derivate für konkrete Frage- und Problemstellungen.
Bewerten: Wie wird der Preis von Derivaten ermittelt? Wie viel sollte eine bestimmte Option, ein Forward oder ein Zinsswap kosten? Dabei werden einerseits die Einflussfaktoren auf den Wert der jeweiligen Derivate erläutert und andererseits der konkrete Berechnungsvorgang hinter der Preisermittlung transparent gemacht.
Die dritte Auflage des Buchs wurde um das Thema Realoptionen erweitert.
Aus dem Inhalt:
Teil A: Grundlagen
Teil B: Optionen
Teil C: Forwards und Futures
Teil D: Swaps
Teil E: Kreditderivate
Teil F: Brauchen wir Derivate?
Dr. Martin Bösch ist Professor für Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Jena mit dem Schwerpunkt Finanzwirtschaft. Zuvor war er viele Jahre in leitender Funktion im Investmentbanking im Bereich Derivate und im Transaction Banking der HypoVereinsbank tätig.
Dieses Lehrbuch stellt die wichtigsten Derivate vor, die derzeit an den Märkten gehandelt werden: Optionen, Futures, Forwards und Swaps. Kreditderivate werden aufgrund ihrer großen Bedeutung in einem eigenen Abschnitt behandelt. Der Untertitel „Verstehen, anwenden und bewerten“ beschreibt dabei, was Sie bei der Lektüre erwartet.
Verstehen
Zunächst geht es darum, die im Buch aufgeführten Derivate in ihrer Grundstruktur zu verstehen. Warum werden sie eingesetzt? Was wird bei den jeweiligen Derivaten eigentlich genau gekauft oder verkauft? Welche Chancen und Risiken entstehen dabei für die Käufer und Verkäufer? Wie ist der Ablauf eines solchen Handelsgeschäfts und wo und wie können die Derivate gehandelt werden?
Anwenden
Nur wer Derivate auf konkrete Fragestellungen anwenden kann, hat sie wirklich verstanden. Das Buch legt deshalb großen Wert auf die Anwendung und den Einsatz der jeweiligen Derivate für konkrete Frage- und Problemstellungen. Es wird dabei versucht, die Anwendungen so konkret und realitätsnah wie möglich zu gestalten.
Bewerten
Wie wird der Preis von Derivaten ermittelt? Wie viel sollte eine bestimmte Option, ein Forward oder ein Zinsswap kosten? Dabei werden einerseits die Einflussfaktoren auf den Wert der jeweiligen Derivate erläutert und andererseits der konkrete Berechnungsvorgang hinter der Preisermittlung transparent gemacht.
Charakteristika des Lehrbuchs, die seinen Einsatz lohnenswert machen
In der dritten Auflage wurde das Buch aktualisiert und erweitert. Die Erweiterungen betreffen insbesondere die quantitative Bewertung von Optionen, vor allem aber die Aufnahme von Realoptionen in die Thematik. Immer dann, wenn sich der Basiswert einer Option auf reale Aktiva bezieht, spricht man von einer Realoption. Der Zusatz „real“ weist darauf hin, dass sich die Wahlmöglichkeiten auf physische Gegenstände, also auf Realwerte beziehen und nicht auf Finanzwerte wie Aktien, Anleihen oder Devisen. Realoptionen spielen in der Beurteilung von Investitionsprojekten eine herausragende Rolle.
Eine weitere Ergänzung betrifft die aktuelle Regulierung der Derivatemärkte. Als Konsequenz der Finanzmarktkrise und der dadurch ausgelösten Bankenkrise hatten die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten 2009 auf ihrem Gipfeltreffen in Pittsburgh Maßnahmen vereinbart, um die strukturellen Schwächen im Handel von Derivaten zu beseitigen. Die Darstellung dieser Maßnahmen sowie der Stand der Umsetzung erfolgt im Abschnitt F.
Die ausgewählten Ergänzungen orientieren sich an den eingegangenen Wünschen der Leser, bei denen ich mich an dieser Stelle recht herzlich für ihre Anmerkungen und Anregungen bedanken möchte. Mein Dank gilt auch Herrn Dennis Brunotte für seine professionelle und kreative Begleitung. Da ich leider davon ausgehen muss, dass trotz aller Sorgfalt mancher Fehler unentdeckt geblieben ist, möchte ich mich im Voraus bei all den Lesern bedanken, die mir ihren Fund an die Adresse martin.boesch@fh-jena.de schicken. Jede E-Mail ist willkommen und wird beantwortet.
Der Abschnitt A stellt sicher, dass der Leser über die notwendigen Grundkenntnisse und Grundbegriffe verfügt. Dabei wurden nur die Informationen zusammengestellt, die für alle nachfolgenden Abschnitte gleichermaßen von Bedeutung sind. Grundkenntnisse, die nur spezifische Abschnitte betreffen, wurden in den Anhang ausgelagert. Dadurch wird vermieden, dass ein Leser sich durch Details arbeiten muss, die für den Abschnitt seines Interesses keine oder nur wenig Relevanz haben.
Die nachfolgenden Teile des Buchs orientieren sich an den unterschiedlichen Ausprägungen von Derivaten: der Abschnitt B beinhaltet Optionen, C Forwards und Futures und D Swaps. Abschnitt E Kreditderivate fällt aus der Reihe, weil er sich nach dem Basiswert Kredit ausrichtet und nicht nach einem einzelnen Derivat. Dies geschah ausschließlich aus Gründen der Übersichtlichkeit. Das Kapitel ist zu umfangreich und hat zu viele Besonderheiten, um es sinnvoll in die anderen Abschnitte zu VIIintegrieren. Grundsätzlich kann dabei jeder Abschnitt des Buches unabhängig von anderen Teilen gelesen und bearbeitet werden.
Der kurze Abschnitt F, Brauchen wir Derivate? fasst unter dieser Frage nochmals die im Buch erarbeiteten wesentlichen Vorteile und Risiken derivativer Instrumente zusammen und diskutiert die aktuellen regulatorischen Bestimmungen.
München im Juli 2014 |
Martin Bösch |
AW |
Ausfallwahrscheinlichkeit |
B |
Basispreis (= Ausübungspreis) |
caB |
Preis eines amerikanischen Calls mit Basispreis B |
cB |
Preis eines europäischen Calls mit Basispreis B |
– CB |
Verkauf eines Calls mit Basispreis B (Short Call) |
+ CB |
Kauf eines Calls mit Basispreis B Long Call) |
cs |
Credit Default Spread (Credit Default Prämie in %) |
CTD |
Cheapest to Deliver |
D |
Barwert einer Dividendenzahlung |
E |
Barwert des Ertrags des Basiswerts |
e |
Ertragsrendite des Basiswerts |
EV(%) |
Erwarteter Verlust in %; Kreditrisikoprämie in % |
FT |
Future/Forwardpreis zum Zeitpunkt T |
iT |
Kreditzins mit Laufzeit T |
K |
Kassapreis (Kassakurs) des Basiswerts |
K* |
Aktueller Kassapreis (Kassakurs) des Basiswerts |
KCTD |
Kassakurs der CTD-Bundesanleihe |
m |
Verzinsungshäufigkeit |
N |
(fiktiver) Nominalwert eines Swap; Nominalwert einer Anleihe |
OP |
Optionsprämie |
pB |
Preis eines europäischen Puts mit Basispreis B |
paB |
Preis eines amerikanischen Puts mit Basispreis B |
+ PB |
Kauf eines Puts mit Basispreis B (Long Put) |
– PB |
Verkauf eines Puts mit Basispreis B (Short Put) |
rT |
Äquivalenter Jahreszinssatz für ausfallsichere Kredite (risikoloser Zinssatz) mit Laufzeit T |
sT |
Swapsatz für die Laufzeit T |
T |
Zeitdauer in Anteilen oder als Vielfaches eines Jahres |
UF |
Umrechnungsfaktor (Konvertierungsfaktor) |
ÜW |
Überlebenswahrscheinlichkeit |
Vol(x) |
Volatilität (Standardabweichung) einer Variablen x |
V(Swap;t) |
Wert eines Zinsswaps zum Zeitpunkt t |
W(Swap;t) |
Wert eines Währungsswaps zum Zeitpunkt t |
Zt |
Zahlung bzw. Kuponzahlung zum Zeitpunkt t |
Δ |
Bezeichnet die Änderung einer Variablen |
Das lernen Sie in diesem Abschnitt: |
|
|
Wenn Sie als Privatperson in einem Jahr 1.000 Euro mehr Einnahmen als Ausgaben haben, können Sie die nicht benötigten Finanzmittel ansparen und einer Wirtschaftseinheit zur Verfügung stellen, die Finanzmittel benötigt. Es gibt dabei vielfältige Anlagemöglichkeiten und viele Finanzinstitute, die Ihnen hierfür ihre Hilfe anbieten. Sie können Ihre nicht benötigten Finanzmittel z.B. in Form von Termineinlagen einer Bank zur Verfügung stellen. Die Bank wird damit ihrerseits Kredite an andere Wirtschaftseinheiten finanzieren. Sie können Unternehmensanleihen oder Anleihen der Bundesrepublik Deutschland kaufen, wodurch Sie zum Gläubiger der emittierenden Unternehmung bzw. zum Gläubiger der Bundesrepublik Deutschland werden. Sie können eine riskantere Anlageform wählen und Aktien einer Unternehmung erwerben. Damit werden Sie zum Miteigentümer und nehmen am unternehmerischen Erfolg und Risiko teil. Sie können Ihre nicht benötigten Finanzmittel auch in Form einer Lebensversicherung anlegen oder einen Investmentfonds kaufen. Die Versicherung und die Investmentgesellschaft werden ihrerseits die Finanzmittel für die Käufe von Anleihen, Aktien oder Immobilien verwenden.
Über welche Finanzanlageprodukte und Finanzinstitutionen auch immer Ihre Finanzmittel wandern, am Ende der Kette finanzieren Sie mit Ihrer Ersparnisbildung eine Wirtschaftseinheit, deren Ausgaben die Einnahmen der laufenden Periode übersteigen. Die wichtigste Funktion des Finanzmarkts ist es somit, eine Brücke zwischen dem Finanzmittelangebot und der Finanzmittelnachfrage unterschiedlicher Wirtschaftseinheiten zu schlagen. Unter Finanzmarkt verstehen wir dabei nach Abbildung A.1 alle Finanzinstitutionen, alle Finanzmarktprodukte und alle Teilmärkte, die dazu einen Beitrag leisten.
Der Kapitalmarkt umfasst alle Finanzprodukte für langfristiges Kapital. Die wichtigsten Produkte hierfür sind Aktien und Anleihen.
Der Geldmarkt unterscheidet sich vom Kapitalmarkt hinsichtlich der Fristigkeit der überlassenen Finanzmittel. Sie reicht bis zu einem Jahr. Typische Anlageprodukte auf dem Geldmarkt sind Termineinlagen oder Tagesgeld bei Banken.
Bei den Kreditmärkten handelt es sich schwerpunktmäßig um die Kreditvergabe von Banken an Privathaushalte und Unternehmungen. Während der Kapitalmarkt nur Kredite umfasst, die in Urkundenform verbrieft und dadurch an Börsen handelbar 3gemacht worden sind (Anleihen), werden auf den Kreditmärkten vorwiegend unverbriefte Einzelverträge zwischen den beteiligten Akteuren abgeschlossen. Beispiele sind Bankdarlehen oder Immobilienkredite.
Abbildung A.1: Finanzmarkt
Die Grenzen zwischen den drei betrachteten Märkten sind fließend und einige Finanzprodukte können nicht immer nur einem einzigen Segment zugerechnet werden.
Finanzmärkte existieren in vielen Währungen. Wenn Sie den amerikanischen Finanzmarkt in US-Dollar oder den japanischen Finanzmarkt in Yen nutzen wollen, müssen Sie Währungen auf dem Devisenmarkt tauschen. Wir können den Devisenmarkt daher als Teilmarkt des Finanzmarkts interpretieren.
Der Finanzmarkt ist aus volkswirtschaftlicher Sicht von enormer Bedeutung. Unternehmungen könnten einen Großteil ihrer gewünschten Investitionen nicht vornehmen, wenn sie nicht über den Finanzmarkt die dafür benötigten Finanzmittel aufnehmen könnten. Entsprechend negativ wären die Folgen für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Die Finanzmarktkrise 2007 hat uns einen Blick in den Abgrund werfen lassen, der sich ohne funktionierenden Finanzmarkt auftut.
Der Finanzmarkt ist auch aus Sicht jedes Einzelnen von großer Wichtigkeit, da er ein zeitliches Auseinanderlaufen von Konsum und Einkommen erlaubt. Im Ansparprozess kann dabei jeder Einzelne entscheiden, welches Anlagerisiko er eingehen will. Das Spektrum reicht von risikoarmen Bankeinlagen oder dem Kauf von kaum ausfallgefährdeten Bundesanleihen bis hin zum Kauf von Aktien oder dem riskanten Anleihekauf von insolvenzgefährdeten Unternehmungen und Staaten, wie die Staatsschuldenkrise in Europa zeigt. Je höher das Anlagerisiko ist, desto höher wird der Verzinsungsanspruch eines Anlegers sein.
Der Transfer von Finanzmitteln zwischen Wirtschafteinheiten stellt den Kern des Finanzmarkts dar. Im Gegensatz dazu ist der Kern des Marktes für Derivate der Transfer von Risiken zwischen Wirtschaftseinheiten. Machen wir uns an vier kleinen Beispielen klar, was damit gemeint ist:
Forwardgeschäfte auf Zinssätze: Eine Unternehmung benötigt in einem halben Jahr einen Kredit. Sie befürchtet in den nächsten Monaten allerdings einen Zinsanstieg. Mit Hilfe von sogenannten Forwards1 kann sich die Unternehmung aber bereits heute den Zinssatz sichern, den sie in einem halben Jahr für ihren dann notwendigen Kredit zahlen muss. Damit wird ihr Zinssteigerungsrisiko auf den Vertragspartner übertragen.
Forwardgeschäfte auf Lebensmittel: Forwardgeschäfte können nicht nur für Finanzprodukte, sondern für viele andere Gegenstände abgeschlossen werden. Stellen Sie sich einen Bauern vor, der gerne einen Teil der geplanten Getreideernte des nächsten Jahres zu einem bereits heute vereinbarten Preis verkaufen möchte, um sich gegen mögliche Preisrückgänge bei Getreide abzusichern. Das Instrument hierfür ist wiederum ein Forwardgeschäft. Falls das Geschäft über eine Börse abgewickelt wird, ändert sich der Name: man spricht dann von einem Futuregeschäft.
4Swap: Swap heißt übersetzt „Tausch“. Tatsächlich einigen sich zwei Handelspartner darauf, einen Gegenstand zu tauschen und am Ende der vereinbarten Frist wieder zurückzutauschen. Stellen Sie sich dazu vor, dass Sie auf eine Faschingsfeier gehen wollen und ein Piratenkostüm haben, das Ihnen aber nicht mehr gefällt. Ihr Freund hat ein Clownkostüm und will ebenfalls auf die Feier. Sie könnten nun einen Kostümtausch („Kostümswap“) abschließen, indem Sie für den Abend das Clownkostüm Ihres Freunds nutzen und Ihr Freund im Gegenzug Ihr Piratenkostüm. Am nächsten Morgen werden die Kostüme wieder zurückgetauscht. Übertragen wir den Tausch auf eine finanzwirtschaftliche Problemstellung: Eine deutsche Versicherung möchte britische Aktien in Höhe von 10 Mio. britischen Pfund kaufen, weil sie einen Kursanstieg in den nächsten 12 Monaten erwartet. Gleichzeitig befürchtet sie aber einen Kursrückgang des britischen Pfunds, was den Anlageerfolg entsprechend reduzieren würde. Mit Hilfe eines Währungsswaps kann sie das mit dem Aktienkauf verknüpfte Währungsrisiko ausschalten. Hierzu tauscht sie mit einem Handelspartner den relevanten Eurobetrag zunächst in 10 Mio. britische Pfund. Gleichzeitig vereinbaren die Handelspartner, dass die Versicherung in einem Jahr die 10 Mio. Pfund wieder in den ursprünglichen Eurobetrag zurücktauschen kann. Mit dieser Tauschvereinbarung ist das Währungsrisiko für die Versicherung verschwunden, da sie nach einem Jahr wieder ihren ursprünglich zur Verfügung gestellten Eurobetrag zurückerhält.
Optionen: Sie würden gerne Aktien kaufen, um die damit verbundenen Kurschancen zu nutzen, fürchten sich aber vor möglichen Kursverlusten. Mit Hilfe von sogenannten Optionen können Sie die Kursverlustrisiken gegen Zahlung einer einmaligen Prämie für eine begrenzte Zeit abgeben. Sie transferieren damit die Kursverlustrisiken auf jemanden, der bereit ist, diese Risiken gegen Erhalt ihrer Prämie zu übernehmen.
In allen vier Beispielen stehen nicht Finanzierungsfragen im Mittelpunkt, sondern der Transfer von Risiken zwischen Handelspartnern. In allen Fällen erfolgt der Transfer der Risiken mit Hilfe hierzu geeigneter Derivate, die wir in den nachfolgenden Kapiteln ausführlich darstellen werden.
Das Wort „Derivat“ lässt sich auf den lateinischen Begriff „derivare“ zurückführen. Übersetzt heißt es so viel wie „ableiten“ oder „zurückführen auf“. Der Begriff bringt zum Ausdruck, dass sich der Preis eines Derivats immer auf den Preis des Gegenstands zurückführen lässt, auf den sich das Derivat bezieht. Wir nennen dabei den Gegenstand, auf den sich das Derivat bezieht, „Basiswert“. In unseren vier kleinen Beispielen hatten wir als Basiswerte einen Zinssatz, Getreide, das britische Pfund und Aktien.
Derivate haben einen Preis und können häufig an Börsen gehandelt werden. Man spricht dann von börsennotierten Derivaten. Werden Derivate hingegen zwischen Handelspartnern in Einzelvereinbarungen gehandelt, spricht man von einem „Over-The-Counter“-Geschäft, abgekürzt mit OTC.
Lassen Sie sich von den vielen verwirrenden Bezeichnungen für Derivate nicht beeindrucken. So unterschiedlich die Bezeichnungen und Anwendungen im Einzelfall sein mögen: Im Kern handelt es sich bei Derivaten jeweils um heute getroffene Vereinbarungen, zu welchen Konditionen ein bestimmter Gegenstand, unser Basiswert, zu einem späteren Termin erworben, verkauft oder getauscht werden kann. Derivate werden deshalb häufig auch als Termingeschäfte bezeichnet. Ein Student hat mich 5mal gefragt, ob man von einem Derivat auch dann sprechen kann, wenn heute ein Sack Kohlen für das nächste Jahr bestellt wird. Die Antwort lautet: ja, sofern der Preis für den Sack Kohle bereits heute vereinbart wird.
Wenn Sie auf dem Flohmarkt eine Vase kaufen, dann erhalten Sie Ihre Vase, wenn Sie dem Händler den vereinbarten Preis bezahlen. Der Vertragsabschluss, die Lieferung, Abnahme und Bezahlung erfolgen sofort. Märkte mit diesem Charakteristikum werden als Kassamarkt oder auch als Spotmarkt bezeichnet, das Geschäft selbst als Kassageschäft bzw. als Spotgeschäft. Wir dürfen dabei den Begriff „sofort“ nicht ganz wörtlich nehmen. Falls Sie anstelle einer Vase einen großen Schrank kaufen, dann ist es gut vorstellbar, dass der Schrank erst am nächsten Morgen geliefert wird. Dennoch würden wir von einem Kassageschäft sprechen.
Wenn Sie eine Aktie kaufen, dann kaufen Sie ebenfalls auf einem Kassamarkt, obwohl zwischen Vertragsabschluss (Kaufzeitpunkt an der Börse) und der Lieferung, Abnahme und Bezahlung in Deutschland zwei Tage liegen. Der Valutatag ist zwar zwei Arbeitstage nach dem Kauftag, doch handelt es sich bei den zwei Tagen um den schnellstmöglichen Zeitpunkt, innerhalb dessen die Lieferung, Abnahme und Bezahlung von Aktien abwicklungstechnisch erfolgen kann. Alle Finanzmarktprodukte haben klar definierte Zeiträume, in denen nach Vertragsabschluss die Übergabe und die Bezahlung erfolgen müssen. In den meisten Fällen liegen die Fristen bei zwei Tagen, nach denen die Geschäfte erfüllt sein müssen.
Das Gegenstück zu einem Kassageschäft ist ein Termingeschäft, bei dem der Vertragsabschluss auf der einen Seite und die Übergabe und Bezahlung des vereinbarten Gegenstands (= Basiswert) auf der anderen Seite zeitlich auseinanderfallen.
Termingeschäfte werden auf Terminmärkten vollzogen. Dabei gibt es für jedes Produkt, das auf einem Kassamarkt gehandelt werden kann, üblicherweise auch einen entsprechenden Terminmarkt. Dies können Metalle, Rohstoffe, Lebensmittel, Währungen oder Finanzmarktprodukte sein. Die genauen Konditionen des Geschäftsabschlusses werden dabei in dem spezifischen Derivat festgelegt und beschrieben.
Die Abbildung fasst die bisherigen Erkenntnisse zusammen: Mit Derivaten können Risiken von bestimmten Basiswerten zwischen Wirtschaftseinheiten transferiert werden. Je nach Basiswert handelt es sich um Derivate auf Aktien, Derivate auf Anleihen, Derivate auf Währungen, Derivate auf Rohstoffe usw. Das konkrete Instrument regelt dabei die genauen Konditionen, zu denen die Basiswerte zu einem zukünftigen Termin gekauft, verkauft oder getauscht werden. Daher gibt es eine 6Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten wie Optionen auf Aktien, Optionen auf Anleihen, Optionen auf Währungen usw. Gleiches für Swaps auf Aktien, auf Anleihen, Forwardgeschäfte auf Aktien, auf Anleihen usw.
Abbildung A.2: Markt für Derivate
Stellen Derivate einen Teil des Finanzmarkts dar? Einige Derivate fallen sicherlich aus der Reihe, etwa Derivate auf Lebensmittel oder Metalle. Ob wir Finanzderivate, d.h. Derivate mit einem Finanzprodukt als Basiswert, nun als Teil des gesamten Finanzmarkts begreifen oder als eigenständigen Markt neben den Finanzmarkt stellen, ist müßig. Viel wichtiger ist zu verstehen, dass mit Finanzmarktprodukten Finanzierungs- und Anlageentscheidungen umgesetzt werden, während mit Derivaten Risiken zwischen Marktteilnehmer transferiert werden, die in den Finanzanlagen stecken.
Die Teilnehmer am Markt für Derivate stimmen weitgehend mit denen überein, die wir vom Finanzmarkt her kennen: Unternehmungen, Privatpersonen, Banken, Versicherungen, Investmentgesellschaften. Sie nutzen dabei aus unterschiedlichen Motiven die verfügbaren Derivate. Für den Einsatz von Derivaten können wir drei Grundmotive unterscheiden, die wir im Folgenden näher betrachten.
Derivate können helfen, bestehende Risiken zu reduzieren oder ganz auszuschalten. Bauern können am Terminmarkt die Getreideernte des nächsten Jahres zu einem bereits heute vereinbarten Preis verkaufen und damit das Risiko sinkender Getreidepreise vermeiden. Eine Unternehmung wie die Lufthansa könnte einen Teil des benötigten Flugbenzins des nächsten Jahres bereits heute zu festen Konditionen einkaufen und so das Risiko steigender Kerosinpreise umgehen. Privatpersonen können ihre im nächsten Jahr geplante Immobilienfinanzierung zu Zinskonditionen abschließen, die bereits heute vereinbart werden und so befürchtete Zinssteigerungsrisiken meiden. Versicherungen, Privatpersonen oder Investmentgesellschaften können Aktien kaufen und gegen Zahlung einer Prämie das Risiko möglicher Kursrückgänge abtreten. Wir könnten die Liste beliebig fortsetzen. In all diesen Beispielen nutzen Akteure die derivativen Instrumente, um sich gegen mögliche Risiken abzusichern. Akteure, die sich mit Derivaten gegen bestehende Risiken absichern wollen, werden als Hedger bezeichnet, die Tätigkeit selbst wird „hedgen“ genannt.
Der Begriff „hedgen“ ist teilweise negativ besetzt und ich vermute, dass dies viel mit der sprachlichen Nähe zu Hedgefonds zu tun hat. Hedgefonds sind noch immer weitgehend unregulierte Fonds, die weder in ihren Anlagerichtlinien noch ihren eingesetzten Instrumenten stark eingeschränkt sind. Sie machen eigentlich das Gegenteil von dem, was ihr Name suggeriert: sie hedgen nicht, sondern sie nutzen Derivate vorwiegend spekulativ. Wenn wir im weiteren Verlauf des Buchs von hedgen sprechen, dann nutzen wir den Begriff aber immer in seiner eigentlichen Bedeutung, d.h. im Sinne einer Reduktion bestehender Risiken.
Wenn ein Teil der Marktteilnehmer Risiken weitergibt, dann muss es zwangsläufig eine Gruppe von Marktteilnehmer geben, die diese Risiken bewusst trägt. „There is no such thing like a free lunch“ war eine zentrale Überzeugung des amerikanischen Ökonomen und Nobelpreisträgers Milton Friedman.2 Nichts ist umsonst. Die Übernahme dieses Risikos kann nicht kostenlos sein, sondern hat einen wie auch immer definierten und berechneten Preis. Die Gruppe der Marktteilnehmer, die die Risiken der Absicherer bewusst und mit voller Absicht übernimmt, nennen wir Spekulanten. Sie nutzen Derivate, um auf für sie günstige Änderungen der Preise dieser Risiken zu spekulieren. So wie ein Aktienkäufer Aktien erwirbt, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu einem höheren Preis zu veräußern, so kaufen auch Marktteilnehmer Derivate, um sie anschließend zu einem höheren Preis zu verkaufen. Die Zeit zwischen Kauf und Verkauf kann dabei nur einige Minuten andauern, aber auch lange Zeiträume von einigen Jahren umfassen.
8Spekulanten setzen Kapital ein und setzen es einem Verlustrisiko aus. Ändern sich die Preise gegen ihre Erwartungen, verlieren Sie einen Teil ihres eingesetzten Kapitals. Je besser ein Spekulant die zukünftige Entwicklung der für ihn relevanten Preise vorhersieht, desto erfolgreicher ist er.
Der Begriff „Spekulation“ ist im allgemeinen Sprachgebrauch vorwiegend negativ besetzt. Wir denken dabei an Spielkasinos, in denen sich Spieler um Haus und Hof bringen. Wir denken dabei auch an Spieler, die ein krankhaftes Suchtverhalten an den Tag legen und ohne den Kitzel des Spiels nicht mehr auskommen. Spielkasinos unterscheiden sich aber in einem zentralen Punkt von Derivaten: Die Risiken, die in einem Spielcasino eingegangen werden, existieren außerhalb des Spielcasinos nicht. Sie sind künstlich erzeugt und niemand ist diesen Risiken per se ausgesetzt. Anders bei Derivaten: Die Risiken, die mit Hilfe von Derivaten gehandelt werden können, existieren mit und ohne Derivate. Sie sind mit den jeweiligen Basiswerten fest verknüpft. Derivate helfen einen Teil dieser Risiken handelbar und übertragbar zu machen. Jedem Absicherer steht dabei häufig ein Spekulant gegenüber. Die Abgabe von Risiken ist nur möglich, wenn ein anderer Akteur diese Risiken aufnimmt. Dabei kann die Nutzung der Derivate allerdings für beide Seiten vorteilhaft sein. Wir werden im Laufe des Buchs viele Beispiele dafür finden. Wenn ein Spieler hingegen das Kasino verlässt, dann gibt es an diesem Spieltag nur einen Gewinner.
Derivate werden oft in die Schmuddelecke der Spielcasinos gestellt: Tatsächlich ermöglichen Derivate mit einem geringen Kapitaleinsatz hohe Gewinne, wie wir in späteren Kapiteln sehen werden. Der Hebel ist sehr hoch. Damit weisen Derivate zwangsläufig auch hohe Verlustpotenziale auf. Hier ist es in der Vergangenheit immer wieder zu Exzessen gekommen. Große Banken gerieten in Schwierigkeiten oder wurden gar insolvent, weil einzelne Händler oder Handelsabteilungen unvorstellbare Verluste mit Derivaten verursacht hatten.3 Versicherungen mussten hohe Verluste ausweisen, manche wurden gar zahlungsunfähig, weil sie zu hohe Risiken über Derivate eingegangen sind. Andere haben die eingegangenen Risiken nicht einmal verstanden oder erkannt.4
Derivative Instrumente stellen eine Gefahr dar, wenn sie falsch oder unwissend eingesetzt werden. Dabei ist die Vorstellung naiv, dass ein Verbot von Derivaten das Problem löst. Keiner kommt auf die Idee Autos zu verbieten, weil jährlich viele tausend Personen unschuldig in Verkehrsunfällen sterben. Hier hilft kein Verbot, sondern Ausbildung und klare Regeln. Das gleiche gilt für Derivate. Das Buch stellt dazu hoffentlich einen Beitrag dar.
Die primäre Funktion eines Händlers besteht darin, dass er Ankaufs- und Verkaufspreise5 stellt. Stellen wir uns vor, dass ein Händler einen Ankaufspreis von 10 € und einen Verkaufspreis von 10,5 € für eine bestimmtes Wertpapier stellt. Demnach kann man beim Händler das Wertpapier zum Preis von 10,5 € kaufen und zu 10 € verkaufen. Da ein Händler handelbare Preise zur Verfügung stellt, wird er im Englischen Market Maker genannt. Wenn ein Händler ankauft oder verkauft sagt man, dass er „eine Position“ eingeht. Kauft er an, hat er eine Kaufposition, verkauft er, hat er eine Verkaufsposition. Eine Kaufposition wird manchmal auch als „Long-Position“ und eine Verkaufsposition als „Short-Position“ bezeichnet. Im Idealfall findet der Händler gleichzeitig einen Käufer und einen Verkäufer. Er würde in diesem Fall einen Handelsgewinn von 0,5 € erzielen. Der wichtigste Erfolgsfaktor eines Händlers ist ein möglichst großes Netz an potenziellen Käufern und Verkäufern der von ihm gehandelten Produkte. Nur so kann er sicherstellen, dass er eine eingegangene Position schnell gewinnbringend schließt.6
Ein Händler spekuliert nicht wie ein Spekulant auf Änderungen der Preise, sondern er verdient sein Geld vorwiegend an der Spanne zwischen Ankaufs- und Verkaufspreis. Natürlich passiert es immer wieder, dass ein Händler unfreiwillig Positionen eingeht, da er nach einem Ankauf nicht unmittelbar einen Käufer findet. Ändert sich bis zum Schließen der Position der Marktpreis seines Produkts, macht er einen Gewinn oder einen Verlust wie ein Spekulant. Dies ist aber nicht die primäre Absicht des Händlers. Er versucht vielmehr durch die Differenz zwischen Ankauf- und Verkaufskurs einen Gewinn zu erzielen.
Am Markt für Derivate sind Händler in den allermeisten Fällen Angestellte von Investmentbanken, die für die Kunden der Bank Handelskurse für Derivate stellen. Einige wenige sind selbstständig und handeln auf eigene Rechnung. Häufig sehen die internen Bankregeln vor, dass am Ende eines Handelstags die Händler „glatt“ sein müssen und keine offenen Kauf- oder Verkaufsverpflichtungen mehr haben.
Eine weitere Gruppe von Marktteilnehmern sind Arbitrageure, die Arbitragegeschäfte tätigen. Arbitragegeschäfte sind etwas ganz besonderes: Sie erfordern weder eigenes Kapital, noch sind sie mit einem Verlustrisiko verbunden. Ein Arbitragegeschäft erbringt vielmehr ohne eigenen Kapitaleinsatz und ohne Risiko einen Gewinn. Das klingt wie Zauberei, entsprechend selten und schnell vergänglich sind derartige Geschäftsmöglichkeiten.
10Beispiel: Da Aktien in Deutschland gleichzeitig an verschiedenen Börsen gehandelt werden, führen regionale Preisunterschiede zu Arbitragemöglichkeiten. Stellen Sie sich vor, dass Allianzaktien am Handelsplatz Frankfurt an einem bestimmten Handelstag um 12.05 Uhr zu 90,5 € gekauft und am Handelsplatz Stuttgart zum gleichen Zeitpunkt zu 90,9 € verkauft werden können. Ein Arbitrageur würde in diesem Fall möglichst viel Aktien in Frankfurt zu 90,5 € kaufen und in Stuttgart zu 90,9 € verkaufen. Der Gewinn pro Aktie von 0,4 € ist risikolos, da der Aktienkauf durch einen gleichzeitigen Verkauf „geschlossen“ wurde. Da der Kaufpreis von 90,5 € zum gleichen Zeitpunkt anfällt wie der Zufluss von 90,9 € aus dem Verkauf, erfordert dieses Geschäft keinen Kapitaleinsatz.7 Sie können sich vorstellen, dass die hier beschriebene risikolose Gewinnmöglichkeit schnell verschwindet, da Käufe der Allianzaktie in Frankfurt und Verkäufe in Stuttgart für eine sehr schnelle Angleichung der Preise sorgen.
Arbitragemöglichkeiten sind nicht immer so offensichtlich wie in diesem Beispiel, jedoch ist ihre Grundlage stets ein Auseinanderfallen des Preises eines Produkts an verschiedenen Märkten. Arbitrageure und ihre Arbitragegeschäfte haben dabei eine sehr wichtige Funktion. Sie verhindern, dass Preise für ein und dasselbe Produkt an verschiedenen Märkten unterschiedlich hoch sind. Damit verhindern sie auch, dass Preise für Risiken, d.h. der Preis von Derivaten, unterschiedlich sind. Arbitrageure sind aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nützlich, weil sie zur Effizienz des Finanzmarkts beitragen.
Wir werden im Laufe des Buchs lernen, dass wir Derivate in Einzelteile zerlegen können. Dabei dürfen sich die Preise der Einzelteile nicht vom Gesamtpreis unterscheiden, da anderenfalls Arbitragegeschäfte möglich wären. Um die Preise für Derivate ermitteln zu können, müssen wir daher unterstellen, dass keine Arbitragemöglichkeiten existieren. Wenn der Kurs der Allianzaktie in Frankfurt 90,5 € beträgt, können wir nur dann auf den Preis in Stuttgart schließen, wenn wir Arbitragemöglichkeiten ausschließen.
Arbitrageure finden wir im Wesentlichen nur innerhalb von Investmentbanken, da nur sie über die notwendigen Voraussetzungen verfügen: eine exzellente technische Ausstattung, einen sehr schnellen Zugang zu den relevanten Märkten und geringe Transaktionskosten.
Ein Wort noch zu den Begriffen „Preis“ und „Kurs“. In diesem Buch werden wir beide Begriffe weitgehend als Synonym verwenden, wenngleich „Preis“ den Oberbegriff darstellt. Das Wort „Kurs“ wird immer dann verwendet, wenn der betreffende Gegenstand an einer Börse gehandelt werden kann. Ein Kurs ist damit ein Preis, der an einer Börse festgestellt wird.
OTC-Markt
Eine Möglichkeit zum Handel von Derivaten sind bilaterale Handelsvereinbarungen. Der Handelsabschluss und die zukünftige Erfüllung des Geschäfts werden 11dabei ausschließlich von den beiden Handelspartnern vereinbart und vollzogen. Diese Handelsform wird als Over-the-Counter-Geschäft (OTC-Geschäft) bezeichnet. Handelsteilnehmer von OTC-Geschäften sind häufig Banken, die für institutionelle Kunden wie Versicherungen, Investmentgesellschaften oder große Firmenkunden Ankaufs- und Verkaufskurse für Derivate stellen. Die Geschäfte werden meistens per Telefon oder über Computernetzwerke abgeschlossen. Um etwaige Missverständnisse über den Inhalt des abgeschlossenen Geschäfts schnell erkennen zu können, werden die abgeschlossenen Geschäfte schriftlich bestätigt. Darüber hinaus werden Telefongespräche aufgezeichnet, um im Nachhinein widersprüchliche Auffassungen über den Abschluss klären zu können. Da der Gegenwert eines OTC-Geschäfts meistens sehr hoch ist, sind Privatpersonen und kleine Firmenkunden bei OTC-Geschäften kaum vertreten.
OTC-Geschäfte haben einen großen Vorteil: Da dem Handel eine bilaterale Vereinbarung zu Grunde liegt, können die Details des Geschäfts hinsichtlich Umfang, Erfüllungszeitpunkt, Lieferbedingungen usw. individuell gestaltet werden und ermöglichen so ein Höchstmaß an vertraglicher Flexibilität. Allerdings bedingt der exakte Zuschnitt der Vereinbarung auf die beiden Handelspartner, dass ein OTC-Geschäft kaum auf einen dritten Partner übertragen werden kann und somit schwer handelbar ist. Der schwerwiegendste Nachteil aber ist das Risiko, dass eine der Parteien ihre vertragliche Verpflichtung nicht erfüllen will oder nicht erfüllen kann. Dieses Risiko wird als Kontrahentenausfallrisiko oder auch als Gegenparteirisiko bezeichnet. Im OTC-Handel räumen sich die Handelspartner deshalb gegenseitig interne Kreditlinien ein, die den Umfang der möglichen Geschäfte begrenzen. Die innerbetriebliche Überwachung der Einhaltung der Kreditlinien ist eine der zentralen Aufgaben im Risikomanagement der betroffenen Handelsteilnehmer.
Derivate werden häufig auch an eigens dafür geschaffenen Börsen gehandelt. Man nennt sie „Terminbörsen“. Zwei der größten Terminbörsen sind die EUREX in Deutschland und die CBOE (Chicago Board Options Exchange) in den USA. Die EUREX entstand 1998 aus dem Zusammenschluss der DTB (Deutsche Terminbörse) und der SOFFEX (Swiss Options- and Futures Exchange).8
Börsengehandelte Derivate sind immer standardisiert hinsichtlich des Erfüllungszeitpunkts, der handelbaren Größeneinheiten sowie der Zahlungs- und Liefermodalitäten. Handelsteilnehmer können davon nicht abweichen, sondern müssen die Derivate in der von der Börse vorgegebenen „Verpackung“ akzeptieren. Aber nicht nur die Standardisierung ist ein Unterschied zu OTC-Geschäften, sondern auch der Ablauf des Geschäfts selbst. Abbildung A.3 verdeutlicht, dass die Marktteilnehmer C und D ihre Aufträge über Banken weiterleiten müssen, die eine entsprechende Handelszulassung für die Terminbörse benötigen. Die Erfüllungsansprüche von C und D sind gegen die Banken in ihrer Funktion als Kommissionär gerichtet, während die Banken ihre Ansprüche gegen die Börse richten. Wenn wir sagen, dass C und D an der Börse kaufen oder verkaufen, dann ist dies genau genommen falsch. Da die Banken aber lediglich die Erfüllungsansprüche von C und D an die Börse durchreichen, werden wir die Banken sprachlich dennoch im Folgenden meistens ausblenden.
12
Abbildung A.3: OTC-Handel versus Börsenhandel
Die Erfüllungsansprüche von C und D sind (über die beauftragten Banken) gegen die Börse gerichtet. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Börse als „Zentralem Kontrahenten“.9 Zur Erfüllung der Geschäfte haben die Börsen häufig Clearinghäuser eingerichtet, die auch die Rolle des zentralen Kontrahenten einnehmen. Im Falle der EUREX wurde dafür eine Tochter mit dem Namen EUREX-Clearing AG gegründet. Da sich die Ansprüche von C und D über die Banken an das Clearinghaus richten, verschwinden die gegenseitigen Erfüllungsrisiken der Handelsteilnehmer. Dies ist der wichtigste Vorzug von börsengehandelten Derivaten gegenüber dem Handel auf OTC-Basis.
Das Risiko, dass das Clearinghaus selbst zahlungsunfähig wird, wird durch zahlreiche Sicherungsmaßnahmen reduziert. Die wichtigste besteht darin, dass das Clearinghaus von den am Handel teilnehmenden Banken ausreichend Sicherheiten verlangt, die in bar oder in Form von hinterlegten Wertpapieren geleistet werden können. Die Banken wiederum fordern Sicherheiten von ihren Kunden C und D, die mindestens so hoch sein müssen wie die der Bank beim Clearinghaus.
Eine häufig genutzte Bezeichnung für die bereitgestellten Sicherheiten ist der Ausdruck „Margins“. Die Höhe der erforderlichen Margins wird auf Basis der Wertentwicklung der Derivate tagtäglich neu festgelegt. Sie ist so bemessen, dass selbst bei einem ungünstigen Kursverlauf des nächsten Tages die dadurch eintretenden Kursverluste abgedeckt sind. Sollten die Sicherheiten nicht mehr ausreichen, wird von der Börse ein „Nachschuss“10 eingefordert, der sofort bezahlt werden muss. Im Detail unterscheiden sich zwar die Regelungen, der hier beschriebene Kern lässt sich jedoch auf alle Terminbörsen übertragen.
Der Geschäftsabschluss an den Terminbörsen selbst findet zwischenzeitlich fast immer auf einer elektronischen Handelsplattform statt, d.h. Kauf- und Verkaufsaufträge werden auf einen Zentralrechner geleitet und ausgeführt. „Open Outcry“ Systeme, auch Parketthandel genannt, bei denen sich die Händler persönlich auf dem Börsenparkett treffen und auf Zuruf oder mit komplizierten Handzeichen ihren Abschluss tätigen, sind kaum mehr vertreten.
Wir haben bisher argumentiert, dass mit Hilfe von Derivaten Risiken handelbar gemacht werden können. Doch mit welchen Risikoarten werden wir uns im Folgenden beschäftigen?
Abbildung A.4: Risikoarten im Risikomanagement
Die Abbildung gibt einen Überblick über die wesentlichen Risiken, denen Marktteilnehmer ausgesetzt sein können. Alle fett geschriebenen Risiken stehen im Folgenden im Mittelpunkt unserer Betrachtung, allen voran die finanzwirtschaftlichen Risiken. Das wohl wichtigste Teilrisiko ist das Marktpreisrisiko, das manchmal auch Marktpreisänderungsrisiko oder Marktrisiko genannt wird. Wie der Name schon sagt, bezeichnet es das Risiko finanzieller Verluste, die durch Änderungen der Marktpreise der im Bestand gehaltenen Finanzanlagen eintreten. Je nach dem, um welchen konkreten Finanzwert es sich handelt, sprechen wir von einem Zinsänderungsrisiko (bei Anleihen, Krediten, alle Formen von Geldanlagen), von einem Aktienkursrisiko, einem Wechselkursrisiko, vom Rohstoffpreisrisiko usw. Teilweise treten bei einem Finanzwert mehrere Marktpreisrisiken gleichzeitig auf. Denken Sie z.B. an Aktienanlagen oder Anleihen in Fremdwährung. Hier kann sich der Wert der Fremdwährung ändern, aber auch der Marktwert der Anlage in lokaler Währung. Die meisten der im Buch vorgestellten Derivate beziehen sich auf Marktpreisrisiken.
Das Ausfallrisiko ist ebenfalls ein Bestandteil der finanzwirtschaftlichen Risiken. Wir verstehen darunter im Folgenden den teilweisen oder vollständigen Ausfall von Zins- und Tilgungszahlungen im Kreditgeschäft. Alternativ verwenden wir den Begriff Kreditrisiko.
Ausfallrisiken sind eng mit Marktpreisrisiken verbunden und teilweise nur schwer voneinander abzugrenzen. Stellen Sie sich hierzu eine Unternehmensanleihe vor. Falls sich abzeichnet, dass es für die Unternehmung zunehmend schwieriger wird ihre Zins- und Tilgungszahlungen zu leisten, wird sich die Bonität der Unternehmung verschlechtern und der Marktpreis der Anleihe wird sinken, selbst wenn die Unternehmung zum Betrachtungszeitpunkt noch ihre vertraglich festgesetzten Zins- und Tilgungszahlungen leistet. Den Unterschied zwischen Ausfallrisiko und Marktpreisrisiko machen wir an der Stärke des Verlusts fest. Bei einem tatsächlichen Ausfall leistet der Kreditnehmer keine Zins- und Tilgungszahlungen mehr, was zu 14einem massiven Rückgang des Marktpreises bis hin zum Totalverlust der Anlage führt. Derivate, die sich gezielt mit dem Ausfallrisiko beschäftigen, werden wir im Kapitel über Kreditderivate betrachten.
Von Ausfallrisiken und Marktpreisrisiken können alle Marktteilnehmer betroffen sein, von institutionellen Anlegern wie Banken, Versicherungen und Investmentfonds, über Unternehmungen bis hin zu Privathaushalten. Die nachfolgend aufgeführten Risiken treffen hingegen für Privathaushalte kaum zu. Da darüber hinaus diese Risiken mit Derivaten nicht handelbar gemacht werden können, werden sie im Buch nicht weiter ausgeführt. Dennoch wollen wir sie an dieser Stelle kurz vorstellen und in einen näheren Zusammenhang zu Derivaten stellen:
Liquiditätsrisiken stellen die dritte Kategorie finanzwirtschaftlicher Risiken dar. Darunter wird ganz allgemein der Schaden verstanden, der eintritt, wenn eine Unternehmung ihren vertraglichen finanziellen Verpflichtungen nicht fristgerecht nachkommt. Im Zusammenhang mit Finanzmarktprodukten und Derivaten bekommen die Liquiditätsrisiken jedoch eine weitere Dimension. Wir können unter Liquiditätsrisiko nämlich auch das Risiko verstehen, inwieweit die im Bestand gehaltenen Finanzanlagen und Derivate zu „marktgerechten Preisen“ gehandelt werden können. Die Finanzmarktkrise hat auf dramatische Weise verdeutlicht, welche Risiken entstehen, wenn Banken und Versicherungen Anlageprodukte im Bestand haben, für die es keinen Käufer mehr gibt. Auch wenn die meisten der hier vorgestellten Derivate zu den liquidesten Instrumenten zählen (wir werden später auch einige Zahlen dazu liefern), stellen Liquiditätsrisiken insbesondere für nicht börsengehandelte Derivate ein nicht zu vernachlässigendes Risiko dar.
Rechtsrisiken klingen harmloser als sie sind. Sie müssen sich aber einen Handelsabschluss vorstellen, bei dem die Parteien im Erfüllungsfall eine unterschiedliche Vorstellung darüber haben, welche vertraglichen Rechten und Pflichten mit dem Abschluss tatsächlich begründet wurde. Die Rechtsrisiken können im Handel mit Derivaten sehr hoch sein, da es sich um schwierige und komplexe Vereinbarungen mit hohen Geldbeträgen handelt. Da aber zwischenzeitlich viele Derivate über regulierte Börsen oder in Form von standardisierten bilateralen Verträgen abgeschlossen werden, werden wir uns auch mit Rechtsrisiken im Folgenden nicht weiter auseinandersetzen. Gleiches gilt für die Betriebsrisiken, etwa wenn die Software eines Händlers falsch programmiert wurde oder wenn sich Bankangestellte mit krimineller Energie über interne Richtlinien hinwegsetzen.
Leistungswirtschaftliche Risiken sind die dritte große Risikokategorie. Denken Sie z.B. an die Produktionsrisiken oder die Absatzrisiken einer Unternehmung. Damit werden wir uns allenfalls indirekt beschäftigen: Es gibt eine Reihe von Unternehmungen, deren leistungswirtschaftliche Risiken eng mit den Markpreisrisiken von Waren verbunden sind. Denken Sie etwa an die Produkte von Agrarunternehmungen, Ölfirmen oder Rohstoffunternehmungen. Daneben gibt es Firmen, für die diese Waren in ihrer Produktion von größter Wichtigkeit sind, etwa Treibstoffe für die Fluggesellschaften, Öl für Raffinerien, Getreide für Nudelhersteller usw. Derivate auf diese Produkte werden wir im Zusammenhang mit Warentermingeschäften kennenlernen. Doch dabei steht für uns das Marktpreisrisiko im Vordergrund.
Können wir Risiko messen? Gibt es hierfür Maßeinheiten analog zu Meter oder Kilogramm? Wir werden in nachfolgenden Kapiteln zeigen, dass wir die Höhe des Ausfallrisikos sehr gut mit Hilfe der sogenannten Ausfallwahrscheinlichkeit messen können, d.h. mit der Wahrscheinlichkeit, dass ein Schuldner seinen eingegangenen Zins- und Tilgungsleistungen nicht fristgerecht nachkommt. Das Risikomaß Ausfallwahrscheinlichkeit wird uns dabei insbesondere im Abschnitt E über Kreditderivate intensiver beschäftigen. Doch mit welcher Maßeinheit können Marktpreisrisiken erfasst und gemessen werden?