Friedemann Schrenk
DIE FRÜHZEIT
DES MENSCHEN
Der Weg zum Homo sapiens
C.H.Beck
Afrika war die Wiege der Vor- und Frühmenschen und der Ursprungskontinent von Homo sapiens. Daher steht Afrika im Zentrum der Wissenschaft von den fossilen Menschen, der Paläoanthropologie. Die Rekonstruktion der komplexen Entwicklungsgeschichte der Menschheit erfordert eine schier unendliche Geduld, um die Reste unserer Vorfahren aufzuspüren und zu bergen, modernste Technik, um sie zu untersuchen, und interdisziplinäre Vernetzungen, um das Puzzle von 7 Millionen Jahren, mehr als 350.000 Generationen, biokultureller Evolution zusammenzusetzen, aus dem sich ein Gesamtbild unserer eigenen Urgeschichte ergibt. Wo und wie Paläoanthropologen arbeiten, welche Erkenntnisse sie bislang gewonnen haben und welche Konsequenzen sich aus den Resultaten ihrer Forschung für die modernen Menschen ergeben, wird in dem vorliegenden Band verständlich und spannend geschildert.
Friedemann Schrenk ist Professor für Paläobiologie der Wirbeltiere an der Goethe-Universität, Leiter der Sektion Paläoanthropologie des Forschungsinstituts Senckenberg in Frankfurt a.M. und Forschungsstellenleiter des Projekts ROCEEH (Role of Culture in Early Expansions of Humans) der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Als einer von wenigen deutschen Wissenschaftlern verfolgt er auf Feldforschungen in Afrika die Spuren der Vor- und Frühmenschen. Als Mitbegründer der URAHA Foundation Germany und des Cultural & Museum Centre in Karonga/Malawi unterstützt er zudem gezielt Ausbildung und Arbeit afrikanischer Wissenschaftler auf dem Gebiet der Paläoanthropologie, um Pflege und Vermittlung des einzigartigen natürlichen und kulturellen Erbes der Entwicklungsgeschichte der Menschen auf dem afrikanischen Kontinent zu fördern.
1. Chancen und Herausforderungen paläoanthropologischer Erkenntnis
Expeditionen in die Vergangenheit
Ohne Geologie keine Datierung
Wenn Organismen versteinern
Paläoumwelt und Human Paleobiomics: Das große Ganze
Harte Beweise: Paläoanthropologische Sammlungen
Datensicherung: Hightech und Digitalisierung
Paläokriminalistik: Genetik und Geochemie
Morphologie, Life History & Phylogenie
2. Ursprünge: Die Wurzeln der Homininen
Von Feuchtnasen-, Altwelt- und Menschenaffen
Aus Affen werden Menschenaffen
Früheste Expansionen: Menschenaffen in Europa
Ardi & Co.: Ursprünge des aufrechten Gangs
3. Urwelten: Vormenschen in Afrika
Die moderne Paläoanthropologie begann in Südafrika
Ostafrika wird zum Fossilienparadies
Fundlücken werden gestopft
Ur-Vormenschen: Lucy und die Menschen vom See
Australopithecus anamensis
Australopithecus afarensis (Abb. 6, Tafel 8)
Australopithecus deyiremeda
«Montrez-moi vos dents et je vous dirai qui vous êtes»
Panafrikanische Varianten der Vormenschen
Im Westen: Australopithecus bahrelgazali
Nordöstliches Afrika: Australopithecus garhi
Östliches Afrika: Kenyanthropus platyops (Tafel 8)
Südliches Afrika: Australopithecus africanus
Sackgasse im Süden I: Australopithecus sediba
Nussknackermenschen: Große Zähne, starke Muskeln
Paranthropus aethiopicus
Paranthropus boisei
Paranthropus robustus
Herausforderung Klimawandel: Die biologische Lösung
4. Urheimat Afrika: Die ersten Urmenschen
Auf der Jagd nach den Urmenschen
Verzweigte Wurzeln der Gattung Mensch
Herausforderung Klimawandel: Die kulturelle Lösung
Herausforderung Klimawandel: Die Migrationslösung
Typisch menschlich: Biokulturelle Evolution
5. Umbrüche: Die erste Besiedlung der Alten Welt
Java-Menschen vom versunkenen Kontinent Lemurien
Apotheken, Höhlen und verschwundene Fossilien
Die ersten Europäer lebten im Kaukasus
Frühmenschenvielfalt in Afrika
Wie Frühmenschen die Welt eroberten
Anatomie und Wachstum
Gehirn und Sprache
Ernährung, Kochen und Feuer
Hände und Werkzeuge
Jagd und Feuer
Out of Africa I: Expansion in neue Welten
Höhlen und Inseln: Rückzugsgebiete der Frühmenschen
Sackgasse im Süden II: Homo naledi (Südafrika)
Hobbits in Indonesien: Homo floresiensis
6. Umwege: Vorfahren und Verwandtschaft moderner Menschen
Von Sambia bis Marokko: Frühmenschen setzen sich durch
Europa und Asien: Wiegen der Menschheit, die keine waren
Divers und erfolgreich: Neandertaler und Denisova-Menschen
Gehirngröße ist relativ
Leben in der Eiszeit
Paläodiät in Hülle und Fülle
Neandertaler dachten wie wir
Begegnungen mit der Moderne
Das Ende der Neandertaler
7. Umdenken: Ein neues Geschichtsbild für Homo sapiens
Afrika: Ursprung der Modernität
Out of Africa II: Biologische Variabilität
Biokulturelle Diversität
Dekonstruktion des Rassismus
Erbe der Menschheit: Geschichte verhandeln
Danksagung
Hinweise auf weiterführende Literatur
Übersichtswerke
Ursprung der Homininen
Ursprung und Evolution der Gattung Homo
Biokulturelle Evolution: Neandertaler und Homo sapiens
Register
Taf. 1: Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald-Sammlung früher Homininen aus Sangiran, Java,
Indonesien im Senckenberg Forschungsinstitut, Frankfurt am Main (ca. 1,5 bis 0,8 Millionen
Jahre alt), Dauerleihgabe der Werner-Reimers-Stiftung, Bad Homburg (vgl. S. 77)
(Foto: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung)
auf den folgenden Seiten:
Taf. 2–7: Rekonstruktionen früher Homininen und ihrer Lebensräume, (Zeichnungen: Rodolfo Nogueira)
Taf. 2: Homo rudolfensis-Familie vor ca. 2,5 Millionen Jahren im ostafrikanischen Grabensystem, Savannen-Vegetation, omnivore Ernährung mit Dinotherien, im Hintergrund Vorfahren von Gnu, Warzenschwein und Pferd (Fundstellendaten: Uraha, Malawi) (vgl. S. 66)
Taf. 3: Homo georgicus vor ca. 1,8 Millionen Jahren im Südkaukasus, Wälder und Galeriewälder, omnivore Ernährung, mit Hyänen, Säbelzahnkatzen, Kurzhalsgiraffen und Südelefanten, im Hintergrund Vulkanausbruch (Fundstellendaten: Dmanisi, Georgien) (vgl. S. 95)
Taf. 4: Homo erectus vor ca. 1,5 Millionen Jahren in Südostasien bei der Jagd auf Wasserbüffel in Sumpfgebieten, (Fundstellendaten: Sangiran, Java, Indonesien) (vgl. S. 77)
Taf. 5: Warm- und Kaltzeiten im Pleistozän Europas
links: Homo heidelbergensis vor ca. 600.000 Jahren in Mitteleuropa, Waldvegetation, Jagd auf Waldelefanten (Daten
aus der Cromer-Warmzeit) (vgl. S. 96)
rechts: Homo neanderthalensis vor ca. 50.000 Jahren in Mitteleuropa, Steppenvegetation, Jagd auf Wollhaarmammut
(Daten aus der Weichsel-Kaltzeit) (vgl. S. 105)
Taf. 6: Letzte Neandertaler vor ca. 25.000 Jahren an der Küste Südwesteuropas, Ernährung von Pflanzen und Meerestieren (Fundstellendaten: Gibraltar) (vgl. S. 100)
Taf. 7: Homo sapiens vor ca. 100.000 Jahren in der Levante, jagt mit Pfeil und Bogen Hirsche, im Hintergrund Auerochsen, im Vordergrund Höhlenmalerei (Fundstellendaten: Qafzeh-Höhle, Israel) (vgl. S. 112)
Taf. 8: Familienbild: Die ersten 7 Millionen Jahre, Rekonstruktionen früher Homininen.
unten links: Sahelanthropus tchadensis, mittlere Reihe von links: Australopithecus africanus, Homo erectus, Homo habilis, Australopithecus anamensis, Homo rudolfensis, obere Reihe von links: Australopithecus afarensis, Paranthropus robustus, Kenyanthropus platyops, Homo neanderthalensis (Rekonstruktionen: WildeLife Art Wolfgang Schnaubelt und Nina Kieser für Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Foto: Thomas Ernsting, Wolfgang Fuhrmann, Fotomontage)
Abb. 1: Chronologie früher Homininen auf biogeographischer Grundlage (Zeichnungen: A. Marie Rahn, Christine Hemm)
Abb. 2: Prof. Phillip Tobias (1925–2012), Witwatersrand University, Johannesburg, Südafrika, Department of Anatomy, mit Australopithecus africanus (Taung-Baby, ca. 1,5 Millionen Jahre alt) (vgl. S. 40) (Foto: Stephanie Anthoni)
«Was wir als Anfänge glauben nachweisen zu können,
sind ohnehin schon ganz späte Stadien.»
Jacob Burckhardt
(Weltgeschichtliche Betrachtungen, Einleitung)
Die moderne Paläoanthropologie, die Wissenschaft von den fossilen Menschen, basiert auf der Evolutionstheorie und bewegt sich innerhalb der Grenzen der geologischen, biologischen und archäologischen Wissenschaften. Ihr Arbeitsgebiet reicht von den anatomischen und funktionellen Merkmalen bis zu genetischer Variabilität und der dem Menschen eigenen Kulturfähigkeit.
Die Paläoanthropologie arbeitet mit naturwissenschaftlichen Methoden, ist aber dem Wesen nach historisch ausgerichtet. Die wenigen harten Beweise für die Stammesgeschichte des Menschen sind fossile Überreste, meist Knochen und Zähne, die als härteste Bestandteile des Organismus oft gut fossilisieren, falls die geologischen Voraussetzungen hierfür überhaupt gegeben sind. Mit ihrer Interpretation beschäftigt sich die Wissenschaft der Paläontologie.
Es fehlen alle organischen Bestandteile, also beispielsweise Nervenzellen, Muskeln, Blutgefäße, Organe. Es gibt keine Hinweise auf physiologische Vorgänge. Soziale Verhaltensweisen und Traditionen sind ebenso wenig fossilisationsfähig wie Emotionen, etwa Schmerz und Freude, ästhetisches Empfinden oder das Lachen eines Kindes. Auch die Sprache fossilisiert nicht, höchstens anatomische Merkmale der Sprechfähigkeit.
Schon allein unter diesen Gesichtspunkten ist der paläontologische Erkenntnishorizont begrenzt und die Evolution der Menschen von der Paläoanthropologie nur unvollständig nachzuzeichnen. Fossilien tragen außer ihrer stummen Anwesenheit wenig zu ihrer Interpretation bei. Rekonstruktionen paläoanthropologischer Vorgänge sind immer im weitesten Sinne Hypothesen, die von wissenschaftlichen, aber auch von kulturellen oder politischen Weltbildern beeinflusst sind: Daher geht es nicht um richtig oder falsch, sondern um logisch oder unlogisch, um wahrscheinlich oder unwahrscheinlich. Von einer historischen Wissenschaft, die ohne Urkunden oder überlieferte Objekte mit Inschriften aus historischen Epochen auskommen muss, mehr zu fordern, wäre vermessen.
Die Fossilfunde der letzten Jahre belegen eine große geographische Vielfalt an Vormenschentypen in der Frühzeit des Menschen. Allerdings wurden mit der Vergrößerung der Familie afrikanischer Homininen, unserer frühesten Vorfahren aus der Wiege der Menschheit, die Verwandtschaftsverhältnisse unübersichtlich. So wird auch die Suche nach unserem eigenen Ursprung immer verzweigter. Es ist die Fahndung nach den Vorfahren von Menschenaffen und Menschen, nach der Entstehung des aufrechten Ganges, nach der ersten Expansion aus Afrika, nach dem Beginn der Kultur und nach dem Ursprung der modernen Menschen.
Durch die erhebliche Erweiterung der Datenbasis vor allem auf den Gebieten der Paläoökologie wird ein Zusammenhang zwischen Umweltveränderungen und den entscheidenden Phasen der Menschwerdung in Afrika deutlich. Daher gibt dieses Buch einen Einblick in die Fragestellungen der modernen Paläoanthropologie und zeigt, wie Hypothesen zur biokulturellen Evolution der Menschen entwickelt und getestet werden können.
Trotz aller Funde fossiler Menschenreste fehlen im Puzzle der Stammesgeschichte der Homininen mehr als 99,99 Prozent der Teile, die unsere Herkunftsgeschichte vollständig belegen könnten. Statistisch gesehen, steht zur Rekonstruktion von 100 Generationen nicht mehr als ein fossiles Knochen- oder Zahnfragment zur Verfügung. Die fossilen Funde sind zeitlich und räumlich nicht gleichmäßig verteilt, es gibt gravierende Fundlücken. Diese können nur langsam durch paläoanthropologische Feldforschung geschlossen werden.
Die aufwendigen und daher teuren Expeditionen bedürfen gründlicher fachlicher und administrativer Vorbereitungen (zum Beispiel: Einholung der Arbeitserlaubnis im Gastland), die zum Teil mehrere Monate beanspruchen. Die ein- bis mehrmonatigen Geländeaufenthalte sind meist auf die regenfreien Zeiten begrenzt. Da die Einrichtung eines Forschungscamps vor allem in unzugänglichen Gebieten oft schwierig und der Dauerbetrieb zu teuer ist, finden die Arbeiten der beteiligten Wissenschaftler, seien es Sedimentologen (untersuchen Beschaffenheit und Bildung der fossilführenden Schichtlagen), Tektoniker (untersuchen die großräumige strukturelle Geologie eines Gebietes), Paläontologen oder Datierungsspezialisten, im Team statt. Dies hat den Vorteil, dass neu dokumentierte Fundstellen sofort im notwendigen Detail analysiert werden können. Die Dokumentation einer Fossilienfundstelle hat vor allem sicherzustellen, dass Funde exakt örtlich, zeitlich und im geologischen Verband lokalisiert werden. Funde ohne entsprechende Angaben sind wissenschaftlich nahezu wertlos.
Im Zielgebiet einer geplanten Exploration müssen die potentiell fossilhaltigen Sedimentgesteine heute oberflächlich freiliegen. Daher werden die potentiellen Fundgebiete häufig nach typischen Erosionserscheinungen in Satellitenbildern vordefiniert und dann mit Hilfe von Navigationsgeräten in Geländefahrzeugen oder zu Fuß angesteuert. Je nach Vegetationsbedingungen wird die Oberfläche in Teams von bis zu 30 Helfern systematisch Zentimeter für Zentimeter nach Fossilresten abgesucht, die durch die Verwitterung des umgebenden Gesteins freiliegen. Paläontologische Grabungen finden statt, wenn die oberflächliche Funddichte sehr hoch ist oder wenn weitere Bruchstücke eines besonders wichtigen Fossils zu erwarten sind. Werden Artefakte (von Menschen geschaffene Gegenstände, zum Beispiel bearbeitete Steine) angetroffen, finden archäologische Grabungen statt. Je nach Erhaltungszustand müssen größere Fossilien bereits an der Fundstelle, zum Beispiel durch das Aufbringen einer Gipsmanschette, vorläufig konserviert werden. Bei Grabungen wird das fossilführende Sediment mit Wasser aufgeweicht und, in dieser Weise gelöst, durch mehrere Siebgrößen geschlämmt, um Reste von Kleinsäugern und anderen mit bloßem Auge kaum sichtbaren Fossilien sicherzustellen.
Alle geborgenen Stücke werden mit Fundnummern versehen. Die Katalogbezeichnungen geben meist die sammlungsverwaltende Institution und die Fundregion wieder. So bezeichnet zum Beispiel in der Katalognummer KNM-ER 1470 für einen Homo rudolfensis-Schädel (Abb. 7) vom Ostufer des Turkana-Sees KNM die Institution Kenya National Museum, ER die Fundregion East Rudolf (heute East Turkana) und 1470 die laufende Inventarnummer.
Die Entstehung von Fossilienlagerstätten ist an die lokalen geologischen Bedingungen geknüpft. Nur wenn ein Ablagerungsgebiet zur Verfügung steht, in dem dort zerfallende oder antransportierte Skelettreste von Sediment überlagert und so vor der weiteren Verwitterung geschützt werden, kann der Fossilisationsprozess in Gang kommen. Potentiell gute Sedimentationsgebiete sind große, langsam absinkende Becken, wie sie beispielsweise im ostafrikanischen Grabenbruch (Afrikanisches Rift, Abb. 5) durch das Auseinanderdriften der kontinentalen Erdkruste entstehen.
Eine Freilegung fossilführender Schichten kann auch durch den gezielten Abbau umgebenden Gesteins erfolgen. Ziel solcher teuren Operationen sind allerdings nicht die nur wissenschaftlich wertvollen Fossilien, sondern die Gewinnung kommerziell nutzbarer Bodenschätze oder Gesteine. So erfolgten die Homininenfunde in Südafrika nur deshalb, weil der in den fossilen Höhlen Südafrikas (Gauteng- und Limpopo-Provinzen) enthaltene Travertin, ein fast reiner Kalkstein, als Baumaterial Verwendung fand. Die primären Höhlen wurden vor wenigen Millionen Jahren zuerst mit unter der Grundwasseroberfläche ausfallendem Travertin und später mit Sedimenten und Knochenresten von außen aufgefüllt. Als der Travertin zu Beginn des letzten Jahrhunderts bergmännisch abgebaut wurde, blieb eine heute begehbare Aushöhlung entlang der Grenzen der mit Kalzit verfestigten übrigen Höhlenfüllungen zurück.
Die fossilen Reste werden spätestens durch ihre Bergung aus dem ursprünglichen geologischen Zusammenhang entfernt. Allerdings kann dies auch schon vorher durch Umlagerung oder Erosion einer Fundschicht geschehen. Für die zeitliche Einstufung der geborgenen Fossilien muss daher ihre ursprüngliche Lage in der geologischen Schichtfolge (Stratigraphie) rekonstruiert werden. Diese wird anhand geologischer Profile ermittelt, und beschreibt den sedimentologischen Aufbau der geologischen Schichten. Hieraus lässt sich die Beschaffenheit (Fazies) des ursprünglichen Ablagerungsraumes durch einen bestimmten Zeitraum hindurch erschließen. Da im Normalfall verschiedene Faziestypen in derselben Schicht nebeneinanderliegen, beispielsweise Flussgerölle in ehemaligen Flussbetten neben Siltsteinen in ehemaligen Überschwemmungsgebieten, wird neben dieser Abfolge der Gesteinsschichten (Lithostratigraphie) das Konzept der Biostratigraphie angewendet: Durch vergleichbaren Organismeninhalt können lithologisch unterschiedliche Schichten des Fundgebietes zueinander in Beziehung gesetzt werden.
Die Benennung der geologischen Muttergesteine der Fossilfundstellen erfolgt nach internationalen Richtlinien meist als geologische Formation mit Untereinheiten, die oft Unit, Bed oder Member genannt werden. Sind in den Fundschichten die fossilführenden Einheiten durch Aschen- oder Tufflagen ehemaliger Vulkane voneinander getrennt, werden diese als Schichtgrenzen verwendet. Gleichzeitig können die Tuffe nach der von ihnen abgegebenen noch messbaren Strahlung datiert werden (radiometrische Altersbestimmung) und geben so ein absolutes Mindestalter bzw. Höchstalter für die von der oberen bzw. unteren Tuffschicht umschlossenen fossilführenden Lage an.
Absolute Altersbestimmungen beruhen darauf, dass radioaktive Isotope, die in kleinen Mengen in allen Stoffen neben den normalen Isotopen vorhanden sind, mit konstanten Raten zerfallen, unabhängig von Feuchtigkeit, Temperatur, Säuregehalt oder anderen äußeren Faktoren. Das am häufigsten verwendete Isotop ist Kohlenstoff 14 (14C), das durch die Sonneneinstrahlung in der oberen Atmosphäre ständig neu gebildet wird. Während so im lebenden Organismus, etwa in Knochen, das Mengenverhältnis des 14C-Isotops und der normalen 12C-Isotope konstant bleibt, beginnt beim Tod eines Tieres der Zerfall der 14C-Isotope in Stickstoff 14 (14N). Nach einer bestimmten Halbwertszeit (bei Kohlenstoff 5370 Jahre) ist nur noch die Hälfte der ursprünglichen 14C-Menge vorhanden. Durch exakte Messung des Mengenverhältnisses in einem fossilen Knochen kann so das Alter des Fragments bestimmt werden, in der Praxis bis auf ± 20 Jahre genau. Wegen der geringen Halbwertszeit können Funde, die älter sind als ca. 50.000 Jahre, mit 14C nicht datiert werden. In der Paläoanthropologie kommt daher dem Isotop Kalium 40 mit einer Halbwertszeit von ca. 1,3 Milliarden Jahren eine besondere Bedeutung zu. Da es nicht in Knochen, sondern in vulkanischen Produkten vorkommt, können damit aber nicht die Funde selbst, sondern die in der Fundstelle darunter- und darüberliegenden Gesteinslagen vulkanischen Ursprungs datiert werden.
Weitere wichtige geochronologische Datierungsmethoden in paläoanthropologisch relevanten Zeiträumen sind beispielsweise die OSL-Datierung (Optische Stimulierte Lumineszenz an Quartzpartikeln) und die Uran-Thorium-Datierung (z.B. an Kalken und Stalagmiten). Eine global anwendbare Datierungsmethode ist die Messung der magnetischen Polarität der in vielen Sedimenten enthaltenen Eisenpartikel. Ihre Richtungseinregelung entspricht der Ausrichtung des Erdmagnetfeldes zur Zeit der Sedimentablagerung. Da dieses im Laufe der Erdgeschichte häufig wechselte, konnte eine Magnetostratigraphie erarbeitet werden, die weltweit dieselben charakteristischen Zyklen aufweist. Eine örtliche Magnetostratigraphie passt mit hoher Wahrscheinlichkeit nur in einen spezifischen Abschnitt der weltweiten Skala und trägt so zur Eingrenzung des Alters der untersuchten Schichten bei.
Steht datierungsfähiges Material nicht zur Verfügung, werden relative Datierungsmethoden angewandt. Die Faunendatierung kommt dann in Betracht, wenn Fossilien gefunden werden, die einer sich rasch verändernden Tiergruppe angehören. In Afrika sind dies vor allem Schweine (Suiden). Deren dritte Backenzähne (Molaren) werden als Leitfossilien benutzt. Während diese Zähne vor ca. 5 Millionen Jahren noch generell breit und niederkronig waren, entwickelten sich in den verschiedenen Linien schmale hochkronige Zähne, deren jeweiliger Entwicklungsgrad sich relativ gut durch einfache Messmethoden darstellen lässt. Ist eine darauf begründete Biostratigraphie in einer Fundregion mit absoluten Altersdaten aus der radiometrischen Datierung umgebender Sedimente verknüpft, liefert sie auch für weiter entfernt liegende Fundregionen, in denen datierbare Sedimente fehlen, ungefähre Altersangaben, wenn die dort gefundenen Fossilien in die Biostratigraphie einfügbar sind.
Die ältesten Gesteine der Erde sind weit über 3 Milliarden Jahre alt und vor allem in Afrika häufig. Seit ca. 541 Millionen Jahren, dem Beginn des Erdaltertums (Paläozoikum), sind die ersten Fossilien, erhaltungsfähige Hartteile von Lebewesen, bekannt. Landorganismen entstehen vor ca. 470 Millionen Jahren, erste Amphibien vor ca. 380 Millionen Jahren und erste Reptilien vor ca. 330 Millionen Jahren. Im Erdmittelalter (Mesozoikum) mit den Abschnitten Trias (252–201 Millionen Jahre), Jura (201–145 Millionen Jahre) und Kreide (145–66 Millionen Jahre) werden die Dinosaurier die beherrschenden Landlebewesen. Die Erdneuzeit (Känozoikum) beginnt vor ca. 66 Millionen Jahren mit dem ältesten Abschnitt des Paläogen, gefolgt vom Neogen und vom Quartär: