Eine Einführung
Verlag C.H.Beck
Nur als sprachfähige Wesen sind wir personale Subjekte. Diese Einführung rückt die Sprachphilosophie daher ins Zentrum einer aufgeklärten Philosophie des Geistes, und zwar als sinnkritisches Selbstbewusstsein von Wissen und Wissenschaft. Sie erläutert die wichtigsten Beiträge aus der Geschichte dieser philosophischen Disziplin und macht den Leser mit den Themen und Techniken heutiger Sprachphilosophie bekannt, von der Frage nach der Rolle der formalen Logik über das Verhältnis von Sprache und Handlung bis hin zur modernen Grammatiktheorie.
Pirmin Stekeler-Weithofer ist Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Leipzig.
Einleitung
I. Sprache und Bewusstsein
1. Das Innere der Seele
2. Sprache als Thema einer philosophischen Anthropologie
3. Was ist eine wahre Sprache?
4. Denken, Vorstellen und Sprechen
5. Wahrnehmung und Urteile
II. Die sprachlogische Wende in Freges Philosophie der Mathematik
1. Das Synthetische und Apriorische mathematischer Sätze
2. Mystifizierung und Entmythisierung mathematischen Denkens
3. Wahrheitswertlogische Definitionslehre für sortale Bereiche
4. Die Konstitution der Kleinkinderzahlen
5. Axiome als Rechenregeln und tiefenstrukturelle logische Formen
6. Illokutionärer Modus und Sprechhandlung
III. Wahrheit, empirische Möglichkeit und Notwendigkeit
1. Performator, Satzoperator und Prädikat
2. Modalitäten
3. Historische Aussagen
4. Situationsabhängige Notwendigkeit und Sätze als Situationsprädikate
5. Generische Sätze als materialbegriffliche Schlussregeln
6. Normen, Sätze, Regeln
IV. Bedingungen der Möglichkeit gehaltvoller empirischer Aussagen
1. Markierungen der Situationsabhängigkeit
2. Logik der Verben
3. Demonstrative Benennungen
4. Eigennamen und Kennzeichnungen
5. Präsuppositionen
6. Sachverhalte, Tatsachen und ihr Ausdruck im Satz
7. Titelwörter als Nennungen und Scheinnamen
V. Generische Inhalte
1. Kanonisierte Normalfallerwartungen
2. Fallible Allgemeinheit und gewissenhafte Kontrolle
3. Theorien und Sätze als differentiell bedingte Inferenzregeln
4. Kanonisierungen materialbegrifflicher Inferenzen
VI. Sprachliche Kommunikation und Kooperation
1. Formal- und Normalsprachenansatz
2. Die Plastizität der allgemeinen Ausdrucksbedeutung
3. Eigene und fremde Beurteilungen von Normerfüllungen
4. Sprache und Weltbild
VII. Grammatiktheorie
1. Syntaktische Formkompetenz
2. Erklärungen der Sprachkompetenz
3. Phänomenologie und theoretische Konstruktionen
4. Die Endlichkeit der unendlichen Formen
Literatur
1. Einführungen
2. Beiträge
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Kaum einer versteht, was ein Begriff ist. |
1. Sprachphilosophie ist scheinbar aus der Mode gekommen. Dabei hatte sie lange als der wesentliche Beitrag des 20. Jahrhunderts zur Entwicklung des systematischen philosophischen Denkens gegolten. Das bleibt sie in der Tat. In ihren Ursprüngen reicht sie allerdings viel weiter als ins ausgehende 19. Jahrhundert zurück, was hier in Umrissen deutlich werden soll. Auch für die Zukunft bleiben sprachphilosophische Erörterungen als Ortsbestimmungen begrenzten Sinns notwendig. Ohne ein kritisches Verständnis verschiedenster sprachlicher Ausdrucksformen gibt es keinen bewussten Umgang mit begrifflichen Denkformen, gerade auch in wissenschaftlichen Theorien, aber auch in jeder Rede über Geist, Gott, Welt und Natur.
Einer allgemeinen Meistererzählung zufolge wird eine ‹theologische› Metaphysik qua Transzendenzglaube spätestens seit dem 17. Jahrhundert, besonders seit Descartes, abgelöst von einer Bewusstseinsphilosophie mit ihrem Streben nach Gewissheit und Sicherheit und, seit Hobbes, von einer empiristischen Erkenntnistheorie. Im 20. Jahrhundert wird diese wiederum von einer sprachanalytischen Philosophie als Methode sinnkritischer Reflexion und damit als neuer Erster Philosophie beerbt, so dass in ihr die Entwicklung zu enden scheint, die mit der aristotelischen prima philosophia, der Metaphysik, beginnt. Besonders bedeutsam ist diese Reflexion der Sprachphilosophie für jede Philosophie des Geistes und jede Ontologie. Im ersten Fall geht es um die spezielle Frage, worin die sapientia des homo sapiens eigentlich besteht. Im zweiten Fall geht es um eine höchst allgemeine logische Analyse der basalen Begriffe von Sein und Seiendem, wie man früher sagte, also von Welt, Existenz und Wirklichkeit und damit von dem, was einen Wissensanspruch wahr macht. Dabei verführt gerade der Skeptizismus als Folge eines scheinbar kritischen Denkens, nach welchem niemand ein wirklich sicheres Wissen über die Wirklichkeit beanspruchen kann, zu einem Glauben an eine metaphysische und transzendente Wirklichkeit ‹hinter› unseren unmittelbaren Erfahrungen der physischen Welt. Diesen Glauben teilen ironischerweise ‹theologische› und ‹szientistische› Weltbilder. Sprachphilosophie verlangt stattdessen eine robuste, realistische Analyse dessen, was wir in den Wissenschaften wirklich tun, wie wir also wirklich reden, etwa wenn wir die wertenden Wörter «wahr» und «Wissen» gebrauchen.
Die ‹Gegenstände› der Philosophie – Sein, Wahrheit, Bewusstsein – erweisen sich am Ende als Teilmomente eines einzigen Gesamtproblems, das in der kantischen Hauptfrage «Was ist der Mensch?» zusammengefasst ist. Im Zentrum steht die geistige Kompetenz, das genuin menschliche Verstehen und Wissen, samt deren Entwicklung in und durch Wissenschaft. Die Rede von unserem menschlichen Geist, auch von unserem Bewusstsein oder Willen, nimmt z.B. nicht einfach Bezug auf mentale Gegenstände. Vielmehr müssen wir hier die Sprachtechnik des rechten Gebrauchs abstraktiver Nominalisierungen von Adjektiven oder Verben wie «geistig» in «Geist», «bewusst» in «Bewusstsein» oder «Bewusstheit», «wollen» in «Willen» und «beabsichtigen» in «Absicht» verstehen. Den Nennungen in den Nomina entsprechen keine mystischen Gegenstände. Ihr Vorkommen in einer ganz besonderen Sprachform dient bloß einer allgemeinen Reflexion auf Vollzugsformen des menschlichen Lebens. Entsprechend sind Reden von unserem Verstand, der Vernunft, der Phantasie, der Urteilskraft oder dann sogar von visuellen, haptischen, auditiven und anderen Wahrnehmungen zu verstehen. In ihnen sind keine eigenständigen Module etwa einer automatischen Verarbeitung von Informationen in unserem Geist oder Gehirn genannt. Bestenfalls ist auf allgemeine Momente eines allgemeinen personalen Könnens verwiesen. Ein solches Können hat zwar physiologische und psychologische Vorbedingungen. Manche ‹Funktionen› der Sinne und der ‹Verarbeitung ihres Inputs›, wie man metaphorisch und vage sagt, können z.B. aufgrund vieler Zufälle, besonders aber leiblicher Mängel zusammenbrechen. Derartige notwendige Bedingungen sind trotz aller Metaphern oft leiblich lokalisierbar, etwa in den Sinnesorganen oder im Gehirn. Das Können selbst ist aber nicht ohne Bezugnahme auf ein gemeinsames Tun und auf erfolgreiche Kooperationen in Kommunikation und Handlungen mit anderen Personen in seinen Erfüllungsbedingungen definiert. Das aber heißt, dass alles Geistige den Bereich des Physiologischen und Psychologischen überschreitet oder, wie man auch sagt, transzendiert. Es ist ein sozialkulturelles Phänomen und damit ein genuines Thema humangeschichtlicher Geisteswissenschaften.
Nur als sprachbegabtes Wesen besitzt der Mensch Geist. Nur so hat er Verstand, Wissen und Handlungskompetenz. Echte Philosophie des Geistes reflektiert daher immer schon auf die Rolle der Sprache für die besondere Form eines ‹selbstbewussten› Lebens. Wer ein solches Leben führen kann, weiß um seine Lage in der Welt. Dieses Wissen steht in einem fundamentalen Kontrast zu einer bloß animalischen Kognition. Bei ‹sozialen› Tieren ist das Verhalten der einzelnen Lebewesen rein koordinativ. Es bleibt sozusagen autistisch, von deren präsentischem Dasein aus bestimmt. Daher nivelliert die Überbetonung der Ähnlichkeiten von Tier und Mensch, von Signalverhalten und Sprachgebrauch, von Kognition und Wissen wesentliche Unterschiede. Es ist allerdings nicht einfach, das Verhalten auch noch sozialer Tiere der Form nach begrifflich klar von einem personalen, kommunikativen und kooperativen Handeln zu unterscheiden, wie es nur Menschen möglich ist. Dazu ist die Rolle des Sprechhandelns für die Konstitution von Intersubjektivität richtig zu bestimmen.
2. Sprache ist keineswegs spät, etwa erst in Johann Gottlieb Herders Spekulationen zum Ursprung der Sprache oder in Gottlob Freges Erfindung einer formallogischen ‹Begriffsschrift›, zu einem besonderen Thema philosophischer Reflexion geworden. Es war auch nicht erst Ferdinand de Saussure, der Begründer des linguistischen Strukturalismus, der sie zu einem eigenen Gegenstand systematischer und nicht bloß historischer Wissenschaft gemacht hat. Sprache steht vielmehr schon am Beginn der Philosophie bei Heraklit und Platon, unter den Titeln «logos» bzw. «dialektike techne», im Zentrum philosophischen Nachdenkens und spätestens seit den alexandrinischen Grammatikern im Mittelpunkt systematischer Sprachwissenschaft.
Weil Sprachphilosophie die Beherrschung von allerlei logischen Techniken verlangt, ist sie leider weniger populär, als es für eine selbstbewusste Kultur des Wissens und der Bildung unbedingt notwendig wäre. Denn um einzusehen, dass exakte Schemata wie die der Mathematik im Sprechen über wirkliche Sachen der Welt selbst nie rein schematisch, sondern immer mit erfahrener Urteilskraft anzuwenden sind, muss man die Schemata und Sprachtechniken selbst und ihre begrenzte Rolle in Kommunikation und stillem Denken begreifen, was erst der spätere Ludwig Wittgenstein klar gesehen hat. Zunächst aber übernahm der junge Wittgenstein wie später auch der theoretische Linguist Noam Chomsky eine Einsicht, welche Gottlob Frege am Beispiel der Ausdrucksformen der Arithmetik entwickelt hat. Es ist die Einsicht in die sprachtechnische Bedeutung von syntaktischen ‹Oberflächen-› und semantischen ‹Tiefenstrukturen› für das sprachliche Sinnverstehen. Allerdings war schon in der Antike auf die Bedeutung der Konfiguration der Ausdrücke und der syntaktischen Formen der Sätze (der «logoi») hingewiesen worden. Diese seien auf der Basis von Elementen, phonematischen Lauten und Buchstaben bzw. morphematischen Grundworten, in ihrer Zusammenlegung zu ‹analysieren›. Das griechische Wort «legein» bedeutet ja «legen» und «lesen».
Wie schon Platon fassten dann auch Thomas Hobbes oder Johann Georg Hamann das Denken im Wesentlichen und ganz explizit als ein stilles Sprechen mit sich selbst auf, samt einem durchaus metaphorischen ‹inneren Hören›, wie Kant hinzufügte. Die Sprachphilosophie schließt an diesen philosophischen Gemeinplatz an. Kant interessierte sich allerdings in erster Linie für allgemeine begriffliche Formen einer Sprache überhaupt (also der langage im terminologischen Sinn de Saussures) und nicht, wie Wilhelm von Humboldt, für die besonderen Formen einer Einzelsprache (langue), etwa des Deutschen. Kants Analyse von Denk- und Urteilsformen im Ausgang von der Gliederung des Satzes in Nominalphrase und Verbalphrase erweist sich damit als allgemeine logische Semantik übersetzbarer Ausdrucksformen. Es wird mit einigem Recht unterstellt, dass es in allem menschlichen Sprechen, wenn schon nicht in den Sprachen als Ausdruckssystemen, funktionale Äquivalente für Nennungen und Benennungen, prädikative Unterscheidungen, Verneinungen und Quantoren wie «alle», «manche» und «viele» gibt. Kants Deduktion von Kategorien zeigt dabei die Anwendung derartiger logischer Formen auf Gegenstandsbereiche im dinglichen Weltbezug unseres Erfahrungswissens auf. Dabei wird weniger ‹bewiesen› als demonstrativ aufgezeigt, so wie in der Rechtswissenschaft «Deduktionen» einst dem Aufweis der Anwendbarkeit von Normen und Regeln dienten.
Die vermeintliche Verkürzung des Denkens und ‹Vorstellens› auf das leise Sprechen bzw. auf die Planung von Sprechakten, von der häufig kritisch die Rede ist, ist deswegen wenigstens als prototypischer Fall gerechtfertigt, weil jedes Verstehen von Zeichen und Bildern dem Lesen völlig analog ist, zumal es sogar in der Musik eine Rhetorik gibt. Der ‹Fortschritt› im sogenannten semiotic oder iconic turn, der Wende zu den Zeichen und zu den Bildern, sieht daher gegenüber dem linguistic turn des 20. Jahrhunderts, also der Wende zur Sprache, größer aus, als er in Wirklichkeit ist. Alle derartigen Wendungen sind durchaus wichtige, aber immer auch überschätzte Betonungen in philosophischen Reflexionen.
Von besonderer methodischer Wichtigkeit ist die Einsicht, die von Wittgensteins Spätphilosophie bis zur neueren Sprachphilosophie Robert B. Brandoms führt, dass jede Grammatikschreibung die grammatischen Formen nicht etwa schafft, sondern nur explizit macht. Die explizit gemachten Regeln wirken dann allerdings auf die Vollzugsformen und die Kompetenz des Sprechens und Schreibens zurück. In ähnlicher Weise machen alle logischen Sprachanalysen semantische Vollzugsformen eines schon vorgängigen performativen Redens, Schreibens, Lesens und Verstehens bloß explizit und entwickeln die Fähigkeit der erfolgreichen gemeinsamen Beherrschung von Sprache.
3. In der folgenden Einführung in die Sprachphilosophie sollen Themen und Bedeutsamkeit sprachanalytischer Überlegungen an den Sachen selbst aufgezeigt werden. Die Philosophen, die Wesentliches beigetragen haben, werden jeweils nur kurz benannt, nicht im Detail vorgestellt, zitiert oder paraphrasiert. Der sachbezogene und systematische Zugang und die Verknappung der Darstellung bringen es mit sich, dass man selbst mitdenken, miturteilen und mitfragen kann und muss. Dabei erhält man dann nicht bloß einen Bericht über die wesentlichen Fragen und Zwischenergebnisse der Geschichte der Sprachphilosophie etwa des 20. Jahrhunderts. Die eigenständig einzuübenden sprachtechnischen und formentheoretischen, auch logischen Fähigkeiten vermitteln die Einsicht, dass jede Wissenschaft und jede Philosophie, wie jeder normale Schreiber und Leser, Sprecher und Hörer, in vielerlei Betracht einer sprachphilosophischen Bildung bedarf. Logik und Sprachanalyse werden dabei als Medien wissenschaftlichen Selbstbewusstseins sichtbar.
Konkret folgt auf die Betrachtung des Verhältnisses von Sprache und Bewusstsein (Kapitel 1) eine Einführung in die Technik der formallogischen Darstellung von Sprachformen, wie sie zunächst in Freges sprachlogischer Wende der Philosophie der Mathematik (Kapitel 2) entwickelt wurde. Danach geht es um ihre Bedeutung für die Begriffsanalyse im Allgemeinen und die Begriffe der empirischen Möglichkeit und Notwendigkeit im Besonderen (Kapitel 3), also um die Folgen aus den Einsichten in die formale Logik der Sätze der Mathematik für die Sprachphilosophie. Die weitere Entwicklung der sprachanalytischen Philosophie führt dann von Kants Frage nach den Bedingungen der Möglichkeiten synthetisch apriorischer, also nicht bloß definitorischer und nicht einfach historischer Aussagen ex post zur Frage nach der Verfassung oder Konstitution empirischer Gegenstände und Aussagen (Kapitel 4). Die empirischen Inhalte sind nämlich durch inferentiell dichte Begriffe bestimmt. In ihnen sind sogenannte Dispositionen auf generisch-allgemeine oder materialbegriffliche Weise erstens mit Worten und zweitens mit kriterialen Unterscheidungen verbunden (Kapitel 5).
Am Ende erscheint Sprache als Systemoid von Formen möglicher Trägerhandlungen für Kommunikation und Sinnverstehen. Diese sind eingebettet in allgemeine Praxisformen, welche für jedes Einzelhandeln normativ mitbestimmen, was als allgemein richtungsrichtiges Handeln im Rahmen gemeinsam beurteilter ‹Wahrheiten› zählt und was als Fehler oder Mangel unter diesen Gesichtspunkten zu werten ist (Kapitel 6). Jede ‹Wahrheit› als normative Richtigkeit hat dabei einen impliziten Bezug auf eine kooperative Praxis, z.B. schon das richtige Sprechen und Schließen. Diese Einsicht steht in einem gewissen Kontrast zur Vorstellung von einem System syntaktischer und deduktivsemantischer Regeln, die einfach im Kopf wie in einem Computer implementiert sein sollen (Kapitel 7).
4. Insgesamt zeigt sich ein enges Verhältnis zwischen Sprachphilosophie und Wissenschaftsphilosophie. Denn Wissenschaft ist nicht Sammlung empirischer Informationen, sondern gemeinsame Arbeit an allgemeinen begrifflichen Differenzierungen, welchen Ausdrucksformen zugeordnet werden, die ihrerseits dispositionelle Normalfallinferenzen artikulieren. Wissenschaft ist Kanonisierung von sprachlichen Artikulationen für begriffliche Unterscheidungen, Relationen und Inferenzen. Wissenschaftliche Theorien sind Sprachkonstruktionen, in denen wir taxonomische, differenzierende Begriffe und inferentielle Dispositionsbegriffe einander auf möglichst harmonische, also allgemein brauchbare Weise zuordnen. Man denke als Beispiel an den lebensweltlichen und dabei phänomenalen Stoffbegriff des Wassers. Der chemische Begriff H2O ist inferentiell präzisiert im Sinne eines Stoffes, der sich dispositionell in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegen lässt und durch Verbrennung oder Oxidation aus Wasserstoff entsteht. Im Satz, dass Wasser H2O ist, werden die Begriffe identifiziert. Es ist dabei die Sprachentwicklung und die Entwicklung von Notationen in eigens entworfenen Wissenschaftssprachen gar nicht von der Wissensentwicklung zu trennen.
Wenn wir über die empirische Welt sprechen, dann unterstellen wir schon einen gegebenen Kanon der rechten Unterscheidung und des rechten Schließens. Das allgemeine Wissen bestimmt dabei die Kriterien des Richtigen auf der Seite des Urteilens und Handelns. Hinzu kommt aber ein immer auch möglicherweise zufälliger Misserfolg oder ein bloß kontingenter Erfolg. Wegen der Spannung zwischen einem allgemeinen Wissen als einer Art generischem Vorherwissen, wie sich etwas an sich oder der Gattung oder Art gemäß normalerweise verhält, und immer auch zufälligen empirischen Einzelereignissen gibt es sozusagen keine absolute Wahrheit für weltbezogene Aussagen. Es gibt immer nur bestmögliche Urteile und Schlüsse, deren Prüfung Gewissenhaftigkeit verlangt. Zu prüfen ist, in welchem Maß an Feinheit, Grobheit oder Körnigkeit kriteriale Schemata auf das passen, was zu unterscheiden, zu sagen oder zu schließen ist.
Allgemeines Wissen ist Schematisierung. Schematisierungen korrespondieren Idealtypen. Wir verwandeln in ihnen Paradigmen und Prototypen in Stereotypen. Daher ist alles Formenverstehen gleichzeitig schematisch und ideal. Es ist an sich ein bloß prinzipielles Verstehen. Zu einem konkreten Begreifen wird es erst im freien, aber angemessenen Urteilen und im freien, aber erfahrungsgesättigten Schließen. Dabei gibt es immer auch Entscheidungen zwischen verschiedenen Schemata in den Darstellungen einer Sache. Ebendaher wäre eine rein schematische, verbaltheoretische Darstellung unserer Kooperationstechnik des Sprechens immer zu grob. Für eine sachgerechte Einführung in die Sprachphilosophie ergibt sich das Problem, dass eine Zusammenstellung von angeblichen Ergebnissen der Entwicklungsgeschichte philosophischer Sprachanalyse nicht ausreichend weiterhilft. Stattdessen bedarf es der Erinnerung an ein vorgängiges Können auch in uns schon bekannten Formen der Reflexion auf Sprache und Denken.
Dass es unser Verstand, unsere Vernunft, unser Denken oder unser Bewusstsein sei, das uns Menschen vom Tier unterscheidet, ist eine uralte Lehre. Aber wovon sprechen wir, wenn wir von der menschlichen Seele, dem atman des Menschen oder dem Ich sprechen? Was meinen wir, wenn wir von unserem Verstand, unserer Vernunft, unseren rationalen Fähigkeiten reden? Die Frage nach diesen Begriffen führt jeden, der nachdenkt, fast unmittelbar zu einem der wichtigsten Sonderthemen der Sprachphilosophie. Denn die logische Klärung dieser Begrifflichkeiten ist zentral für eine wirklich wissenschaftliche, und das heißt, sich ihrer Methoden der Darstellung von Wissen bewusste Anthropologie, Psychologie und Kognitionsforschung. Nur in einer begrifflich aufgeklärten Philosophie des Geistes kann aus bloßen Sammlungen empirischer Einzelkenntnisse über ‹intelligentes› Verhalten ein Wissen über unsere geistigen Fähigkeiten werden. Schon weil empirische Sachverhalte und sogar statistische Häufigkeiten sich rein zufällig ergeben können und daher jeder Einzelbericht über Historisches bloß erst als Anekdote zu werten ist, ist es eine irreführende Ausdrucksweise, wenn man sagt, die Sätze der Naturwissenschaft seien empirisch. Empirisch im engeren Sinn sind bloße Erzählungen a posteriori oder Aufzählungen von Daten. Empirisch sind auch einzelne Erwartungen, wie gut sie auch immer begründet sind. In der Wissenschaft formulieren wir aber allgemeine Aussagen, keine Berichte darüber, was einzelne Wissenschaftler empirisch wahrgenommen haben, und keine Prognosen, was bloß im Einzelfall geschehen wird. Die Theoreme sind als Ausdrücke für allgemeine Normalfallschlüsse unter entsprechenden Bedingungen zu lesen. Das heißt, wissenschaftliche Sätze artikulieren allgemein im Urteilen verwendbare Schlussformen. Theorien sind satzartige Beschreibungen von Modellen und anderen allgemeinen Orientierungshilfen. Sie sind nie rein schematisch zu gebrauchen, so wenig wie irgendeine Landkarte.
Eine zentrale Frage sprachphilosophischer Sinnanalyse, die in gewissem Sinn mit einer Logik im allgemeinsten Sinn des Wortes zusammenfällt, ist daher: Wie gelangen wir auf vernünftige Weise zu allgemeinen Wahrheiten? Die Frage ist wichtig, da diese Wahrheiten materialbegriffliche Voraussetzungen sinnvoller empirischer Aussagen sind. Sie leiten unser Schließen und Rechnen mit Möglichkeiten, auch in prognostischen Erwartungen. Denn wir verstehen empirische Aussagen nur, wenn wir schon wissen, wovon die Rede ist und was aus dem Gesagten normalerweise materialbegrifflich folgt. Sprachphilosophie wird hier zur Methode der sinnkritischen Analyse wissensbezogener Redeformen. Eine solche ist besonders wichtig für eine Aufhebung traditioneller Mystifizierungen unserer Rede über geistige Fähigkeiten, über geistige Inhalte und damit über uns selbst. Sie ermöglicht eine Kritik an der Überschätzung rein behavioraler, auch rein statistischer, erst recht bloß physiologischer Betrachtungsweisen von uns selbst. Die bloße Reaktion auf Wahrgenommenes ohne Urteil ist noch kein Wissen, keine Erkenntnis. Daraus ergibt sich eine Kritik an der naiven Unterstellung eines unmittelbaren Zugangs zur Welt. Dabei ist allgemeines Wissen von der Frage zu unterscheiden, was ein Einzelner über die Welt, dann aber auch über seine und unsere mentalen und schließlich unsere geistigen Eigenschaften, Fähigkeiten und Zustände weiß. Ein Einzelner kann nur wissen, was man wissen kann: Die Wahrheit seines Wissensanspruchs liegt nicht in seiner Macht, noch nicht einmal dessen allgemeine Anerkennbarkeit.
Mit der Frage nach der Wahrheit eng verbunden ist die ontologische Frage, was Natur, Welt und Wirklichkeit sind, also was wir mit diesen Titelwörtern begrifflich überschreiben. Wenn wir zum Wissen, Denken und Bewusstsein übergehen, fallen wir leicht auf die Metapher von einem Inneren herein, wie sie in unseren reflexionslogischen Reden praktisch überall auftritt. Indem man sie wörtlich nimmt, sucht man den Geist oder das Erkennen im Inneren des Leibes, heute vorzugsweise im Kopf, und identifiziert ihn sogar mit den Gehirnprozessen. Dabei lautet die wohl richtigere Antwort schon bei Heraklit, dass der Geist sich nicht in uns, sondern zwischen uns befindet – und dass das Besondere am menschlichen Bewusstsein und an seinen geistigen Fähigkeiten ganz eng mit der Sprachkompetenz zusammenhängt. Was dem Menschen als Geist oder daimōn erscheint, ist sein ēthos, sein charakteristisches soziales Benehmen und, beim Einzelnen, sein besonderer sozialpsychologischer Charakter, vermittelt durch Gewohnheiten. Wesentliches Moment des höheren Geistes, des Verstandes und der Vernunft, ist der logos, die Kompetenz des Erwerbs und der Beherrschung von Sprache.
Es ist selbstverständlich, dass das Gehirn gesund, also normal funktionsfähig sein muss, damit man geistige Fähigkeiten erwerben und erhalten kann. Doch die Untersuchungen der Normalfunktionen des neurophysiologischen Apparats liefern nur notwendige, noch keine hinreichenden Bedingungen des Denkvermögens und höheren Bewusstseins. Nur wenn wir mental und psychisch gesund sind, sind wir geistig gesund. Aber man kann auch ohne jeden neurophysiologischen oder mentalen Defekt geistig ‹verrückt› sein. Leibliche und psychologische Normalitäten sind keine hinreichenden Bedingungen für geistige Kompetenz – was man schon an Kaspar-Hauser-Fällen sehen kann. Kaspar Hauser konnte nicht sprechen und ebendeswegen vieles nicht verstehen. Es gibt vielerlei Arten kultureller, bildungsbezogener und ethischer Defekte, sogar im Kollektiv.
Zudem begann Platons Sokrates, die Schwierigkeiten unserer sprachlichen Artikulation geistiger Kompetenz zu erkennen. Er nennt dabei die Logik eines vernünftigen Dialogs «dialektikē technē». In dieser dialogischen Kunst entwickelt er unsere Fähigkeit, auf inhaltsrelevante Formen des richtigen Redens und Argumentierens zu achten. Dabei geraten immer mehr die Formen der Sprache in den Blick, wie sie auch schon der Herakliteer Kratylos thematisierte, wenn auch noch recht unvollkommen. Platon erkennt gegen die Rhetorik so genannter Sophisten, dass eingeschliffene Schemata des Urteilens und Folgerns in die Irre führen oder missbraucht werden können, wobei z.B. schon Parmenides auf das Prekäre der schematischen Unterstellung hingewiesen hatte, jeder Satz sei wahr oder falsch, ein Drittes gebe es nicht (‹tertium non daturparadoxa