Gerd Krumeich
Jeanne d’Arc
Seherin – Kriegerin – Heilige
Eine Biographie
C.H.Beck
Ein junges Mädchen von bäuerlicher Herkunft hat Visionen und steht plötzlich an der Spitze eines Heeres, besiegt Engländer und Burgunder und geleitet den Dauphin zur Königssalbung in Reims. Doch wenig später wird sie gefangengenommen und nach einem Schauprozess mit nur 19 Jahren verbrannt. Gerd Krumeich vollendet seine jahrzehntelangen Forschungen zur Jungfrau von Orleans mit diesem Buch und legt eine meisterhafte Biographie vor, die für lange Zeit Bestand haben wird.
Gerd Krumeich ist Professor em. für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er hat bereits seine Habilitationsschrift über die Geschichte des Jeanne d’Arc-Kultes verfasst. Bei C.H.Beck sind von ihm der Band Jeanne d’Arc (22012) in der Reihe «Wissen» sowie der Band Die 101 wichtigsten Fragen: Der Erste Weltkrieg (32015) erschienen.
Vorwort
Einleitung
BALLADE CONTRE LES ANGLAIS
Ballade gegen die Engländer (1429)
I
II
III
IV
Eine Kindheit in kriegerischen Zeiten
Von Vaucouleurs nach Chinon und Poitiers
Die Befreiung von Orleans
Jeanne wird Kriegsherrin
Der Feldzug an der Loire
Die Königskrönung in Reims
Der Abstieg: von Reims nach Paris
Paris – Compiègne: Niederlage und Gefangennahme
Jeanne in Gefangenschaft
Der Inquisitionsprozess von Rouen
Exkurs Männerkleidung
Das Revisionsverfahren 1450–1456
Nachleben
Dank
Anmerkungen
Vorwort
Einleitung
Eine Kindheit in kriegerischen Zeiten
Von Vaucouleurs nach Chinon und Poitiers
Die Befreiung von Orleans
Jeanne wird Kriegsherrin
Der Feldzug an der Loire
Die Königskrönung in Reims
Der Abstieg: von Reims nach Paris
Paris – Compiègne: Niederlage und Gefangennahme
Jeanne in Gefangenschaft
Der Inquisitionsprozess von Rouen
Das Revisionsverfahren 1450–1456
Nachleben
Chronologie
Chronologie
Quellenverzeichnis
Bibliographie
Bildnachweise
Personenregister
«Wir wollen nichts, außer die wirklich von den Quellen bestätigten Tatsachen darzustellen. Weil wir heute mehr wissen als unsere allzu gläubigen Vorfahren, haben wir mit manchem, was sie für ein Wunder hielten, keine Probleme mehr. Zu starkes Räsonieren erstickt den Enthusiasmus. Begeben wir uns also für einige Zeit ins 15. Jahrhundert. Denn es geht nicht darum, was wir heute von den Erscheinungen halten, welche Jeanne d’Arc hatte, sondern um die Auffassung, die unsere Vorfahren davon hatten. Denn es war allein deren Bewusstsein, welches die so erstaunliche Revolution vollbracht hat, von der wir nun berichten wollen.»
Claude Villaret, Histoire de France, 1783[1]
Seit nahezu 600 Jahren beschäftigen sich die Menschen mit dem Leben von Jeanne d’Arc, mit dem Für und Wider dieser einzigartigen Gestalt. Was sie angesichts ihrer Herkunft geleistet hat, gibt Rätsel auf. Ihre Erfolge, ihre Niederlage, der Ketzerprozess, die Hinrichtung hören nicht auf, die Gemüter zu bewegen. Und das wohl Erstaunlichste ist die vielfältige Überlieferung dessen, was sie gesagt, getan und gelitten hat. Die Akten ihres Verdammungsprozesses stehen uns zur Verfügung wie auch die Protokolle des Revisionsprozesses, der im Wesentlichen aus 113 Aussagen von Menschen besteht, die sie gekannt und mit ihr gekämpft, die ihre Siege und ihren Prozess miterlebt haben. Hinzu kommen noch die vielen zeitgenössischen Berichte, die Chroniken von Perceval de Cagny, Monstrelet, Morosini, des Greffier, und wohl noch zwei Dutzend weitere Versuche, das Phänomen der Pucelle zu beschreiben und zu deuten.
All dies hat allerdings nicht zu einem klaren Bild der Person und der Ereignisse in ihrem Umfeld geführt, sondern im Gegenteil immer wieder zu denselben alten Fragen. War das Mädchen aus Domrémy wirklich eine Jungfrau, war sie überhaupt eine Frau, war sie ein einfaches Bauernmädchen oder doch irgendwie adeliger oder sogar königlicher Abstammung? Und wie soll man die Stimmen erklären, die sie hörte, die Erscheinungen, die sie sah, ihre Art und Weise, sich in einen direkten Bezug zu und mit Gott zu setzen. War sie hochmütig oder sogar größenwahnsinnig?
Mehr als 500 Jahre alt ist auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit Jeanne d’Arc. Der entscheidende Unterschied zwischen geschichtswissenschaftlicher Annäherung und der allgemeinen Neugier, Begeisterung und Abwehr ist, dass es dem Historiker in allererster Linie darauf ankommen muss, die untersuchte Persönlichkeit aus dem Horizont ihrer Zeit heraus zu verstehen. Nicht alles, was im 15. Jahrhundert für ganz normal oder für wahr und falsch gehalten worden ist, ist uns heute noch geläufig. Jedoch sind uns die Menschen des späten Mittelalters in vielem auch näher, als wir oft anzunehmen bereit sind.
Im Allgemeinen war man damals fest davon überzeugt, dass Gott im strengen Sinn allgegenwärtig ist und dass er, der alles kann, jederzeit fähig ist, etwa eine Eiche mit einem Schilfhalm zu kappen, wenn er denn so will. Von daher waren Seherinnen und Seher zwar in Grenzen erstaunlich, doch durchaus zum Alltag und Denkhorizont gehörig.
«Die besondere Aufgabe des Historikers ist, das zu erklären, was als ein Wunder erscheint, es mit seiner Vorgeschichte zu umgeben, mit den Umständen, die es herbeigeführt haben. Wenn ich diese wunderbare Persönlichkeit bewundere und liebe, so habe ich doch zeigen wollen, in welch hohem Maße sie ein ganz natürlicher Mensch war. Das Erhabene ist keineswegs außerhalb des Natürlichen. (…) Sie [Jeanne] handelte richtig, gerade weil sie keine Kunstfertigkeit hatte, kein Wunder schaffen konnte und keine Zauberkraft besaß. Ihr ganzer Charme beruht auf ihrer normalen Menschlichkeit. Er hat keine Flügel, dieser arme Engel, er ist schwach, er ist wie wir, er ist jedermann.»[2]
Was der Historiker Jules Michelet, dessen «Jeanne d’Arc» aus den 1830er Jahren zu den großen Epen der Geschichte Frankreichs zählt, hier schreibt, dem stimme ich für meinen Teil vollständig zu; mein Buch bemüht sich, dem gerecht zu werden.
Aber natürlich kann man heute nicht mehr Geschichte wie im 19. Jahrhundert schreiben. Wir können nur noch staunen über die Unbekümmertheit, mit der damals, als Jeanne auch für ein größeres Publikum wiederentdeckt wurde, ihre Taten und Erfolge, aber auch ihr Leiden und schrecklicher Tod interpretiert wurden. Jeanne war für die «national» denkenden Franzosen im 19. Jahrhundert, und das waren fast alle, schlicht eine Gestalt, die schon vier Jahrhunderte zuvor für ebendiese nationalen Ziele gekämpft und gelitten hatte.
Das Pathos der Nation und der bürgerlichen Freiheit, die Befreiung vom Zwang des Glaubens, all das hat sich in den letzten 200 Jahren entscheidend verändert. Doch wenn man versucht, die Quellen ernst zu nehmen, bleibt die Zeitgebundenheit der Geschichtswissenschaft kontrollierbar. Vor allem sollte man nicht glauben, immer und auf jeden Fall klüger oder wissender zu sein als Jeannes Zeitgenossen. Es gibt abschreckende Beispiele für diese Klugheit ex post, etwa wenn ein renommierter Historiker die damaligen Kleriker dafür kritisiert, dass sie nicht erkannt hätten, wie unglaublich hochmütig der Anspruch der Jungfrau war, eine «Tochter Gottes» zu sein und mit Gott in einem direkten persönlichen Verkehr zu stehen.[3] Aber da gibt es nicht das Geringste zu kritisieren, denn genau diese Nähe zu Gott betraf alle. Allerdings war die Kirche darauf bedacht, die einzige theologisch legitimierte Vermittlerin zwischen Gott und dem Christenvolk zu sein und zu bleiben. Genau dies wurde indessen immer stärker in Frage gestellt und führte zu Verfolgungen aller Art von Ketzern. Insofern steht Jeanne d’Arc gerade Jan Hus, den sie scharf bekämpfte, nahe.
Wo stehen wir heute? Es gibt keine übermächtige Ideologie der Nation mehr und auch der Internationalismus ist sehr relativ geworden. In gewisser Weise haben wir deshalb eine größere Freiheit nicht nur in der Kritik, sondern auch im Verstehen früherer Zeiten. Was Jeanne d’Arc angeht, sollten wir uns deshalb vor allem bemühen, ihre Umwelt lebendig werden zu lassen, in die sie bei allen Besonderheiten doch so «natürlich» hineinpasste, wie Michelet es ausgedrückt hat. Das schließt keineswegs eine Reflexion darüber aus, was die Taten und das Schicksal von Jeanne d’Arc uns heute bedeuten können. Etwa der Mut zu individueller Entscheidung unter dem Druck verbindlicher Weltanschauungen und die Tragik eines großen Scheiterns. Das ist in der Literatur, im Theater und in der Oper seit langem thematisiert worden und fasziniert uns heute noch. Ein gutes Beispiel war 2017 die sehr erfolgreiche Frankfurter Inszenierung der Oper «Johanna auf dem Scheiterhaufen» von Claudel/Honegger. Johanna Wokalek spielte die Hauptrolle, und in einem Interview hat sie erklärt, was sie an der Figur der Johanna beeindruckt:
«Ich empfinde sie als sehr stark, in dem Sinne, dass sie durchsetzte, was sie wollte und wohin sie wollte. Das ist revolutionär, mit all den positiven wie mit den negativen Seiten. Hier im Oratorium Honeggers ist sie jemand, der in der Situation einer grausamen Unmenschlichkeit feststeckt. Sie wird für etwas zu Unrecht verurteilt, was sie nicht begreift und nicht begreifen kann. Das ist etwas, was wir alle verstehen können, weil es das tagtäglich überall gibt. Einfach, weil jemand unbequem ist, etwas vertritt, was nicht erwünscht ist, wird er gefoltert bis zum Tode. Und hat nicht die Chance, sich über das Wort allein zu befreien. Die Sprachohnmächtigkeit ist das Grauenhafte an der Situation von Jeanne d’Arc.»
Philippe Contamine, der Doyen der französischen Mittelalter- und Jeanne d’Arc-Forschung, hat in seinen Überlegungen zum Platz einer Biographie der Pucelle in der heutigen Geschichtswissenschaft betont, dass wir im Grunde alle Quellen, die es zu ihr gibt, kennen (können); die im 19. Jahrhundert so produktive Entdeckung neuer Dokumente ihres Lebens ist nahezu abgeschlossen, auch wenn man die Hoffnung nie aufgeben sollte, dass etwa irgendwo und irgendwann die verloren gegangene Niederschrift der Befragung der Jungfrau durch die Kleriker von Poitiers auftaucht. Aber anders als unsere Vorgänger vor hundert und zweihundert Jahren sind wir Historiker, so Contamine, nicht mehr gezwungen, Partei zu ergreifen, uns zu identifizieren, aus dem Fall der Pucelle einen Glaubenskrieg zu machen. Wir müssen nicht mehr diskutieren, ob sie denn nun wirklich Stimmen gehört oder sich diese nur eingebildet hat. Selbstverständlich werden solche Fragen auch heute noch gestellt, aber sie sollten Historiker und diejenigen Leser, die sich für wissenschaftliche Geschichte interessieren, überhaupt nicht mehr tangieren. Ob es Gott gibt oder wir ihn nur imaginieren, ist kein wissenschaftliches Problem.
Es kommt darauf an, Jeanne d’Arc zu «entmythisieren», sie so weit wie irgend möglich von den beliebigen Vermutungen und Hypothesen, die sie nach wie vor umgeben, zu befreien. Sicherlich war Jeanne schon für ihre Zeitgenossen eine so außergewöhnliche Persönlichkeit, dass bereits 1429, dem Jahr ihrer großen Erfolge, Legenden über sie verbreitet wurden. Aber diese 18-Jährige war gleichwohl ein Kind des 15. Jahrhunderts. Diese Zeitgebundenheit der aus den Normen fallenden Gestalt herauszuarbeiten, muss die Aufgabe der Geschichtswissenschaft sein.
Auf diesem Weg sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Besonderer Respekt gebührt Philippe Contamine, Xavier Hélary und Olivier Bouzy für ihr 2012 veröffentlichtes Buch Jeanne d’Arc. Histoire et Dictionnaire, das auf 900 Seiten die Ergebnisse der neueren Forschung jedem Interessierten zugänglich macht, dazu der monumentalen Biografie von Colette Beaune und den Aufsätzen von Françoise Michaud mit ihrer unglaublichen Kenntnis aller Quellendetails.
Das vorliegende Buch will diesen Weg mit- und weitergehen, beispielsweise mit der Frage, wie stark Jeannes Art, Krieg zu führen und das Volk für ihren Krieg zu begeistern, mit der gerade beginnenden Transformation des Ritter- und Söldnerkrieges zum Volkskrieg zu tun hat. Oder wenn hier der Ich-Religiosität, der direkten Beziehung des Individuums zu Gott, nachgespürt wird, welche die offizielle Kirche damals stark beunruhigte und die Hauptursache war, dass Jeanne der Ketzerei angeklagt wurde.
Entscheidend wichtig war mir, dass wir uns heute nicht etwa der «biografischen Illusion» hingeben und meinen, wir könnten einen Menschen des 15. Jahrhunderts direkt, in einer Art Zwiegespräch, erfassen. Vielleicht ist es ein Vorteil für dieses Buch, dass ich mich viele Jahre mit der Geschichte des Jeanne d’Arc-Kultes beschäftigt habe, bevor mich das Leben der Pucelle selbst interessierte. Aufgrund dieser Präliminarien war mir bald klar, wie unterschiedlich ihr Leben, ihr Glauben, ihr Erfolg, ihr Scheitern in den letzten 600 Jahren interpretiert worden sind. Es gibt keinen direkten Weg zu Jeanne d’Arc, keinen Zugang, der nicht durch 600 Jahre Geschichte und Mythisierung bedingt ist. Damit früh konfrontiert zu sein, hat es mir erleichtert, wohl mehr als manche Biografen eine gewisse Distanz zu meinen ersten starken Eindrücken zu wahren. Diese Selbstrelativierung ist aber nicht gleichzusetzen mit dem Verlust an Erstaunen und Bewunderung.
Es ist hier nicht der Ort, mich mit konkurrierenden deutschen Biografien auseinanderzusetzen. Das wird in den einzelnen Kapiteln zu lesen sein. Genannt seien nur die konzisen Arbeiten von Heribert Müller, Morten Kansteiner, Dietmar Rieger, Stephanie Wodianka, Stephanie Himmel, Malte Prietzel und – spezieller – die Prozesskritik von Streck/Rieck. Ein Sonderfall ist das Werk von Wolfgang Müller, ein regelrechter Steinbruch von 1800 Seiten. Nur auf eine dieser Arbeiten sei hier näher eingegangen, nämlich die letzte umfassende Biografie von Heinz Thomas, einem Spezialisten der mittelalterlichen Geschichte. Dessen «Jungfrau und Tochter Gottes» (2000) enthält eine Kaskade von zweifelhaften Behauptungen aller Art. Was in diesem Buch alles «vermutet» wird, wie daraus dann Fakten werden, ist nicht akzeptabel. Die Geschichtswissenschaft kommt nicht ohne begründete Vermutungen aus, aber sie darf sich nicht alle möglichen Spekulationen erlauben. Etwa, dass Jeanne auf jeden Fall Halluzinationen (oder noch viel Schlimmeres) gehabt habe, dass sie trotz aller gegenteiligen Beschreibungen derer, die sie gekannt haben, magersüchtig gewesen sei, und was der Hypostasen mehr sind.
Ich habe mich bemüht, so wenig wie möglich Vermutungen anzustellen, und wenn, nur dort, wo die Quellen nicht genug sprechen, aber der einfache Verstand uns weiterhelfen mag. Ein Beispiel: Als Jeanne gefangen genommen war, wurde sie im Turm der Burg von Beaurevoir eingesperrt. Sie versuchte, sich zu befreien, und sprang in die Tiefe. Aber ist sie vom Donjon herabgesprungen? Der war wohl 21 m hoch. Viele, auch die besten Autoren, nehmen an, dass sie eben von so weit oben gesprungen ist und sich wundersamerweise nur ziemlich weh getan hat. Wenn man aber weiß, dass Fallschirmspringer im Training aus maximal 6 m Höhe frei springen, sind diese 21 m Sprunghöhe auszuschließen. Es ist also zu vermuten, dass sie aus maximal 6 m Höhe frei gesprungen ist. Es gibt sogar eine Chronik, die sagt, dass sie sich abzuseilen versuchte, dass aber das Seil oder Tuch riss, weshalb sie dann ein paar Meter im freien Fall stürzte.[4]
Ein Letztes: Diese Biografie ist von einem Wissenschaftler geschrieben, aber mein Publikum sind nicht in erster Linie Kolleginnen und Kollegen. Mein Buch wendet sich an alle, die sich für eine quellenfundierte Darstellung interessieren, ohne aber an der Fachdiskussion teilzunehmen. Deshalb befinden sich die Anmerkungen im Anhang und dienen ganz überwiegend den Nachweisen. Aus diesem Grund habe ich auch versucht, die Komplexität dieser so unglaublichen Geschichte zu reduzieren und ich hoffe, dass dies ohne grobe Vereinfachungen gelungen ist. Auch wurde darauf verzichtet, die Leser den französischen und lateinischen Texten auszusetzen, weshalb vieles von mir übersetzt wurde.
Wo muss die Schilderung einsetzen, um Taten und Schicksal von Jeanne d’Arc hinreichend zu erklären? Wie sah das politische und kulturelle Umfeld der Jungfrau aus; welches waren die Rahmenbedingungen ihres Handelns? Es mag für dieses Buch genügen, sich auf die drei wesentlichen Problemkreise zu konzentrieren: Zunächst geht es um das französische Königtum in seiner Auseinandersetzung mit England bzw. dem englischen Anspruch, auch über Frankreich zu herrschen, waren doch beide Länder durch den Vertrag von Troyes, 1420, zu einer Doppelmonarchie vereint worden. In diesem Zusammenhang spielt auch die Politik des Herzogtums Burgund eine große Rolle. Zweitens geht es um das erste Aufblühen eines Nationalgefühls inmitten und wegen des so lange andauernden Krieges. Drittens soll noch ein Blick auf das Heerwesen geworfen werden, den Übergang des Ritterkrieges zum Söldner- und Volkskrieg. Denn auch dies kann dazu beitragen, die Erfolge und das Scheitern der Pucelle aus ihrer Zeit heraus zu verstehen.
Seit Mitte des 13. Jahrhunderts hatte sich das französische Königtum zu einer Erbmonarchie unter der Dynastie der Valois entwickelt, welche durch die Auseinandersetzung mit England ab Mitte des 14. Jahrhunderts – den Hundertjährigen Krieg – stark geschwächt, nicht aber delegitimiert wurde. Unter der Herrschaft des immens populären Königs Karl VI. (1380–1422) war das Verhältnis der Monarchie zu den großen Territorialherren, den Fürstentümern Burgund, Bretagne usw., von klarer symbolischer Ordnung und politischer Unterordnung bestimmt. Das Königtum ruhte nicht allein auf den Pfeilern seiner territorialen Macht und dem geistlichen Anspruch des gottgewählten und gesalbten Königs, es hatte sich unter Karl VI. auch eine starke Zentralgewalt von treuen Staatsbeamten herausgebildet.[1] Mit Ende des 14. Jahrhunderts wurde dazu die Eigenständigkeit eines französischen Staatskirchentums gallikanischer Ausrichtung verankert, welches sich mit dem Großen Schisma und der Errichtung eines Gegenpapsttums mit Sitz in Avignon seit 1378 gebildet hatte.
Doch die Macht des Königtums blieb nicht unangetastet. Das Herzogtum Burgund etwa wurde im 14. Jahrhundert zu einer überaus mächtigen Gebietsherrschaft mit eigener Tradition und Legitimität.[2]
Die sich daraus ergebende Konkurrenz war umso grundsätzlicher, als durch die verzwickte Heirats- und Zueignungs-Politik (Apanagen) die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den burgundischen und orleanesischen Zweigen der Valois sowie anderen Fürsten sehr eng waren. Als besonders brisant erwies sich, dass auch die Herrscher des expansiven Herzogtums Burgund «königlichen Blutes» waren. So wurde König Karl VI. zwar von seinem burgundischen Vetter Philipp dem Kühnen (Le Hardi) als König von Frankreich anerkannt, aber stark bedrängt, wenn es um konkrete Interessen und Machtverhältnisse ging.
Die zentrifugalen Tendenzen verstärkten sich, als der König 1392 psychisch erkrankte und fortan bis zu seinem Tod im Jahre 1422 zwischen klarem Verstand und geistiger Umnachtung schwankte. Seinem Charisma tat dies keinen Abbruch, denn der kranke Herrscher blieb beim Volk beliebt und sein Leiden galt als imitatio Christi.[3] Aber sein langes Siechtum führte zu mehr Bewegungsfreiheit der großen Fürsten, insbesondere des Burgunders Philipp des Kühnen und dem jüngeren Bruder des Königs, Ludwig I. von Orleans, der informell den kranken König vertrat. Ludwig gelang es in jener Zeit, seine Hausmacht durch weitere Apanagen erheblich zu erweitern. Sein unehelicher Sohn Jean, ohne abschätzigen Unterton als «Bastard von Orleans» tituliert, wurde mit der Verwaltung der königlichen Besitzungen im Loiretal betraut und zum Stadtkommandanten von Orleans ernannt. Wegen außerordentlicher militärischer Erfolge war er 1425 an die Spitze des königlichen Heeres gelangt und wurde so zu einem Weggefährten von Jeanne d’Arc. Im Jahre 1439 erhielt er durch Heirat die Grafschaften von Dunois und Longueville, in der Literatur wird er deshalb meistens einfach «Dunois» genannt.[4]
Aber zurück zum Anfang des 15. Jahrhunderts. Als Philipp der Kühne im Jahre 1404 starb, hatte dessen Sohn Johann Ohnefurcht einen schweren Stand gegen seinen Cousin Ludwig I. von Orleans. Die ständigen Reibereien um Ehre und Besitz gipfelten in der Ermordung Ludwigs durch Vertraute des Burgunders am 23. November 1407. Am 14. Juli 1411 erließ Karl von Orleans, der Sohn des Ermordeten, im Namen aller Fürsten des Herzogtums eine regelrechte Kriegserklärung an Burgund. Das war der Auslöser zu einem offenen Bürgerkrieg, der noch ein Vierteljahrhundert später, zur Zeit der Pucelle, schwelte.[5]
Für die Machtverhältnisse war weiter von Bedeutung, dass sich Graf Bernard VII. von Armagnac auf die Seite des Hauses Valois-Orleans schlug und seine gefürchteten Söldnertruppen, die als Armagnacs auch in den folgenden Jahrzehnten für ihre Kampfkraft und Grausamkeit berüchtigt waren, dem Kampf gegen die Burgunder zur Verfügung stellte.[6] Dieser Parteinahme wurde so große Bedeutung beigemessen, dass ab etwa 1410 das Herzogtum Orleans und später auch König Karl VII. und seine Anhänger von den Gegnern häufig schlicht als Armagnacs tituliert wurden, eine Bezeichnung, in der sich Ablehnung, Furcht und Respekt mischten.[7]
In den auf den Mord von 1407 folgenden Jahren verstärkte das Königshaus seine Territorialmacht durch gezielte Heirats- und Erwerbspolitik, so dass es trotz der zeitweiligen geistigen Umnachtung Karls VI. ein zentralisierendes Machtensemble blieb. Um das Haus Orleans herum bildete sich die Ligue de Gien, eine lose Gemeinschaft bedeutender Territorialherrschaften, der u.a. die Grafschaften Anjou, Armagnac und Bretagne angehörten. In diesem Verbund wurde die bereits während des gesamten 14. Jahrhunderts von Orleans betriebene Politik des starken Zentralstaates weiterentwickelt, wohingegen das Herzogtum Burgund sich zunehmend als Partei der Freiheit, der Traditionen und der guten Sitten empfahl.[8] Im Wesentlichen ging es in diesem Fürsten- und Bürgerkrieg der Jahre nach 1407, der vor allem in Paris wiederholt zu Revolten, Machtwechseln und blutigen Racheaktionen führte, um die Frage, ob die zentralisierende Monarchie oder die Territorialfürsten in Frankreich die Oberhand behalten würden.
Dieser säkulare Konflikt zwischen den miteinander verwandten, aber tief verfeindeten Fürsten von Burgund und Orleans nahm eine neue Dimension an, als sich 1413 der englische König Heinrich V. in diesen Bruderkrieg einmischte und Ansprüche auf die französische Krone erhob. Mit der massiven Androhung einer Invasion versuchte er, beide Parteien zu erpressen und gegeneinander auszuspielen. Und natürlich behaupteten die Armagnacs, dass Burgund dem Engländer helfe. Schließlich landete ein englisches Heer von ca. 12.000 Mann an der Seine-Mündung, und am 25. Oktober 1415 kam es zu einer der berühmtesten Schlachten der europäischen Geschichte, der von Azincourt. Die überlegene Taktik und bessere Bewaffnung der Engländer führte zu einer vernichtenden Niederlage des königlichen Heeres. Mehr als 6000 Soldaten kamen um und ungefähr 1000 Ritter gerieten in englische Gefangenschaft. Der Befehlshaber des Königlichen Heeres, Karl I. von Orleans, der Vater des «Bastards» Jean, wurde ebenfalls gefangen genommen und konnte erst 25 Jahre später, 1440, wieder ausgelöst werden.
In den folgenden Jahren bauten die Engländer ihren militärischen Erfolg aus: Nachdem sie die Normandie zwischen Caen und Rouen besetzt hatten, drangen sie allmählich Richtung Paris vor.[9] Diese Landnahme wurde ihnen auch dadurch erleichtert, dass der Krieg zwischen Armagnacs und Bourguignons weiter anhielt und beide Parteien versuchten, mit den Engländern «ins Geschäft» zu kommen, um den jeweiligen Gegner zu schwächen.[10] «Nationale» Solidarität spielte in diesen internationalen dynastischen Auseinandersetzungen und Kalküls noch keine Rolle – wenngleich es zu jener Zeit durchaus schon ein nationales Empfinden gab.[11]
Eine weitere Steigerung erfuhr der Streit zwischen Orleans und Burgund in den Jahren 1419/20, als sich die Burgunder zunächst der Stadt Paris bemächtigten und die dortige rigoros zentralistische und wenig volksnahe Herrschaft der Armagnacs beendeten. Der Thronfolger (Dauphin) Karl, Sohn des noch lebenden, aber inzwischen fast vollständig umnachteten Königs Karl VI., wurde unter entehrenden Umständen zur Flucht aus Paris gezwungen.[12] Aber sein Anspruch auf die Regentschaft blieb genauso erhalten wie seine originäre Machtbasis an der Loire. Die Städte Bourges und Poitiers wurden in den folgenden Jahren zu neuen Mittelpunkten des Königtums ausgebaut. In Bourges traten Verwaltung, politische und militärische Größen der Armagnac-Obedienz zusammen, und Poitiers wurde mit seinem obersten königlichen Gerichtshof, dem Parlement, und den geistlichen Würdenträgern zur kulturellen Zentrale.[13] Zehn Jahre später sollte Jeanne d’Arc in Poitiers von führenden Theologen befragt und überprüft werden, bevor der König ihr erlaubte, mit seinem Heer zur Befreiung von Orleans aufzubrechen.
Die Schmach der Vertreibung aus Paris saß indessen beim Dauphin Karl und seinen Verbündeten so tief, dass es wenig später zu einer auf viele Jahre entscheidenden Wende kam. Am 10. September 1419 wurde Johann Ohnefurcht, der Herzog von Burgund, bei einem als Versöhnungstreffen deklarierten Zusammentreffen von Begleitern Karls auf der Brücke von Montereau kaltblütig ermordet. Es versteht sich, dass dieser Mord die Gemüter aufwühlte und die Fürsten zu klarer Parteinahme zwang. Für Burgund kam dies einem Dammbruch gleich und führte zu dem Entschluss, sich mit England gegen die Armagnacs zu verbünden. Am 21. Mai 1420 schlossen der englische und der französische König auf Betreiben Burgunds in Troyes einen der wichtigsten Verträge in der Geschichte Frankreichs, den «Traité de Troyes»: Der Dauphin Karl wurde wegen seiner «fürchterlichen und außerordentlichen Verbrechen» enterbt und aus dem Kreis der vertragsfähigen Mitglieder des Königshauses ausgeschlossen und Heinrich V., der König von England, als Regent eingesetzt. Die ohnehin von England besetzte Normandie wurde diesem als Kron-Apanage zugebilligt. Zusätzlich gab ihm König Karl VI., der wegen seines Gesundheitszustandes eigentlich amtsunfähig war, seine Tochter Catherine zur Frau und setzte ihn als Erben und Nachfolger ein. Welche Rolle Königin Isabeau, eine Wittelsbacherin, bei diesem dynastischen Kalkül spielte, ist in der Geschichtsschreibung viel berätselt worden und darf hier offenbleiben.
Mit dem Vertrag von Troyes wurde die sogenannte «Doppelmonarchie» rechtlich begründet: England und Frankreich wurden zwar von einer einzigen legitimen Königsdynastie – Lancaster – geführt, blieben aber politisch, administrativ und wirtschaftlich getrennt. Allerdings schloss dieser Vertrag – wie sich herausstellen sollte – ein weiteres militärisches Ausgreifen Englands auf französischem Boden nicht aus.
Die ungefähr zehn Jahre, die zwischen diesem Vertrag und dem Beginn des öffentlichen Wirkens von Jeanne d’Arc liegen, waren eine Zeit der Nicht–Entscheidung. Frankreich war nun in drei nicht genau umrissene und deshalb stets umstrittene Herrschafts- und Einflussbereiche geteilt: Gegen das Königtum mit seinen Besitzungen überwiegend in Süd- und Mittelfrankreich stand die von England beherrschte Normandie sowie das englisch-burgundische Kondominium zwischen Somme und Loire, welches vor allem wegen des Besitzes der Hauptstadt Paris – schon damals eine Metropole mit mehr als 200.000 Einwohnern – Bedeutung hatte. In Paris herrschte Burgund und steuerte von dort aus die Verwaltung des französischen Teils der neuen «Doppelmonarchie» mit dem Anspruch, die Macht von dem nicht mehr als legitim angesehenen Haus Orleans zu übernehmen.
◻ Frankreich zur Zeit Jeanne d’Arcs
Das Reich Karls VI. fand sich seit dem Vertrag von Troyes und der Absetzung des Thronfolgers Karl VII. auf das damals ironisch so bezeichnete «Königreich Bourges» reduziert, welches aber durchaus zu einem Machtzentrum ausgebaut werden konnte.
Nachdem im Jahre 1422 sowohl König Karl VI. als auch der englische König Heinrich V. verstorben waren, übernahm dessen Schwager Bedford die Regentschaft für das «englische Frankreich», da der Thronfolger noch ein Kleinkind war. Bedford verfolgte langfristige strategische Ziele, wobei ihm der Bruderzwist zwischen Bourguignons und Armagnacs sehr gelegen kam.[14] Im Jahre 1428 begann er schließlich, konkrete Schritte zu unternehmen, um den englischen Einfluss entscheidend zu erweitern und die Macht des Royaume de Bourges zu eliminieren. Als Erstes musste die Loire überschritten werden, ein Vorhaben, das ab Herbst 1428 in Angriff genommen wurde. Dafür wurden neue Kontingente für das englische Heer in der Normandie angeworben bzw. von England übergesetzt. Gleichzeitig erfolgten vermehrt militärische Aktionen in den Grenzgebieten des Reiches. Sogar im fernen Lothringen, wo Jeanne d’Arc und ihre Familie lebten, bekamen die Menschen die Auswirkungen des Krieges und der wechselnden militärischen Usurpationen hautnah zu spüren. Am 12. Februar 1429 kam es zu einer schweren Niederlage des königlichen Heeres gegen die Engländer, als es nicht gelang, einen Lebensmitteltransport in das belagerte Orleans zu bringen. Das war der sog. «Heringstag», hatte der Konvoi wegen der Fastenzeit doch überwiegend Heringe geladen. Sollte Orleans an der Loire in englische Hand fallen, dann wäre der Weg frei zur Eroberung des gesamten Royaume de Bourges. Als so vernichtend wurde der «Heringstag» am Hofe von Bourges angesehen, dass sich Karl VII. auf eine baldige Flucht ins «Ausland», das Dauphiné, vorbereitete. In dieser schwierigen Situation entschied sich der Hauptmann der lothringischen Bezirkshauptstadt Vaucouleurs, Robert de Baudricourt, die seit einiger Zeit vor seinem Schloss wartende Jeannette aus Domrémy, welche sich als von Gott gesandte Retterin Frankreichs ausgab, mit ein paar Rittern als Begleitung zum König nach Chinon zu senden. Schlimmer konnte es ja nicht kommen und gab es nicht alte Prophezeiungen, dass Frankreich einmal von einer Jungfrau aus Lothringen gerettet werden würde?[15]
Diese Hoffnungen wurden durch die seit der Mitte des 14. Jahrhunderts aufkommenden Vorstellungen von nationaler Identität genährt, und die englische Besetzung hatte diese Vorstellungen weiter verstärkt. Man mag über Formen und Reichweite dieses Nationalgefühls diskutieren, aber unstreitig gab es auch im Volk einen enormen Widerhall der neuen Ideen von Frankreich als einer Art mystischen Körpers. In ihrer wegweisenden Arbeit über die «Geburt der französischen Nation» hat Colette Beaune diesen Prozess in seinen vielfältigen Erscheinungen herausgearbeitet.[16] Neben örtlichen Feiern, Turnieren und Schauspielen waren für diese neue Denkweise die Transformation des Königsmythos – die Geschichte des Heiligen Ludwig – und die Entwicklung der Legenden um den Heiligen Michael deutliche Indikatoren. Der Mont Saint Michel, den die Engländer nie hatten erobern können, wurde zu einem viel besuchten Wallfahrtsort der Valois. Und schon als junger Mann ließ sich der Thronfolger Karl VII. einen Heiligen Michael, der den Drachen besiegt, auf sein Banner sticken. Saint Michel wurde zum Protagonisten eines Königtums, welches aus der dynastischen Defensive heraus mit einem neuen sakral-nationalen Anspruch zu agieren begann. In den wichtigsten Chroniken jener Zeit wird die Michaels-Legende tradiert, und es ist davon auszugehen, dass sie auch durch predigende Bettelmönche bis ins ferne Lothringen drang. Um 1425 war Jeanne d’Arc ein aufgewecktes Bauernmädchen von ca. 13 Jahren, die Erscheinungen hatte und Stimmen hörte, die sich auf den Heiligen Michael und dessen Botschaft von der notwendigen Befreiung Frankreichs aus der englischen Herrschaft bezogen.
Diese neue Anhänglichkeit an ein «Frankreich» als mythisches Ensemble ist seit der Mitte des 14. Jahrhunderts zu erkennen und verstärkte sich dann mit der Zuspitzung des englisch-französischen Krieges seit ca. 1410 hin zu einem oft «Proto-Nationalismus» genannten Phänomen. Dieses «Bewusstsein von Nation im 15. Jahrhundert» erfüllte nicht nur die intellektuelle Elite, sondern wurde «vom Volk getragen.»[17] Das galt keineswegs allein für Frankreich, sondern entfaltete sich auch etwas später in Deutschland, besonders in den 1440er Jahren angesichts der Bemühungen des französischen Königtums, im Elsass und in Lothringen Fuß zu fassen.[18]
Die neue Einstellung spiegelt sich in der 1429 entstandenen Ballade contre les Anglais, die hier als sehr prägnantes und kaum bekanntes Beispiel zitiert sei:
Ariere, Englois couez, ariere!
Fort mit Euch, Ihr feigen Engländer, fort mit Euch!
Vostre sort si ne resgne plus.
Hier könnt Ihr nicht mehr herrschen
Pensés deu treyner vous baniere
Vergesst nicht, Eure Fahne mitzunehmen,
Que bons Fransois ont rué jus
Die wahre Franzosen zerrissen haben
Par le voloyr dou roy Jhesus,
Durch den Willen unseres Christkönigs
Et Jeanne, la douce pucelle,
Und durch Jeanne, die liebliche Jungfrau
De quoy vous estes, confondus,
Das hat Euch vollständig verwirrt,
Dont c’est pour vous dure novelle.
Und das ist für Euch eine bittere Neuigkeit.
De tropt orgouilleuse manière
Zu hochmütig
Longuemen vous estes tenus;
habt Ihr Euch lange verhalten,
En France est vous[tre] semet[i]ere ›
Und jetzt ist Euer Grab in Frankreich,
Dont vous estes pour foulx tenus.
Wo Ihr als Narren geltet
Faucement y estes venus,
Zu Unrecht seid Ihr hergekommen.
Mès, par bonne juste querelle,
Aber nach gutem und gerechtem Streit
Tourner vous en faut tous camus,
Müsst Ihr mit ganz platter Nase umkehren,
Dont c’est pour vous dure novelle.
Und das ist für Euch eine bittere Neuigkeit.
Or esmaginés quelle chiere
Und stellt Euch vor, wie es denen ergeht,
Font ceulx qui vous ont soustenus
Die Euch unterstützt haben
Depuis vostre emprisse premiere.
Seit Euren ersten Eroberungen.
Je croy qu’i sont mort ou perdus,
Ich glaub, die sind tot oder verloren,
Car je ne voys nulle ne nus
Denn ich seh keine und keinen mehr,
Qui de present de vous se mesle,
Der sich jetzt noch an Euch hängt
Si non chetis et maletrus,
Außer vielleicht Idioten oder Flegeln,
Dont c’est pour vous dure nouvelle.
Und das ist für Euch eine bittere Neuigkeit.