Die 101 wichtigsten Fragen
Verlag C.H.Beck
Wie alt ist China? – Ist China noch ein sozialistisches Land? – Welchen Zugang haben Chinesen zum Internet? – Wie funktioniert die chinesische Computertastatur? – Was sind die größten Erfindungen Chinas? – Welche Rolle spielt der Sport? – Denken die Chinesen anders? – Muss man darauf achten, dass Chinesen ihr Gesicht nicht verlieren? – Diese und andere Fragen beantwortet Hans van Ess knapp, kenntnisreich und für jeden verständlich. Das Buch enthält ganz einfache Fragen, die teilweise gar nicht so leicht zu beantworten sind, aber auch schwierige Fragen mit überraschend einfachen Antworten. Insgesamt bieten die Fragen und Antworten eine ebenso umfassende wie kurzweilige Einführung in das Reich der Mitte.
Hans van Ess ist Professor für Sinologie an der Universität München. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der chinesischen Geistesgeschichte, insbesondere der konfuzianischen Tradition. Bei C.H.Beck erschienen von ihm u.a. «Der Konfuzianismus» (2. Aufl. 2009) sowie «Der Daoismus» (2011).
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Geschichte 1. Wie alt ist China? 2. Woher kommt der europäische Name Chinas? 3. Wie bezeichnen die Chinesen ihr Land und sich selbst? 4. Waren die Chinesen von vor zweitausend Jahren dasselbe Volk wie heute? 5. Warum wurde die große Mauer erbaut? 6. Wieso wurden in China Terrakottaarmeen vergraben? 7. Wo verläuft die Seidenstraße? 8. Wann beginnt die Moderne? 9. War Marco Polo in China? 10. War China vor Ankunft der Europäer ein abgeschlossenes Land? 11. Wer legte die Grundlagen für unser Wissen über China? 12. Warum sind die Opiumkriege auch heute noch so wichtig? 13. Gegen welche Boxer zogen deutsche Soldaten zu Felde? 14. Wo fand die erste Revolution des 20. Jahrhunderts statt? 15. Woher kommt die Redensart «alte Zöpfe abschneiden»? 16. Warum demonstrierten junge Intellektuelle am 4. Mai 1919? 17. Was verabscheuen viele Chinesen an Mao Zedong? 18. Woher rührt die Begeisterung für Mao Zedong? 19. Warum gab es immer wieder antijapanische Aktionen? | |
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Politik 20. Wie sieht das politische System aus? 21. Wird es bald Demokratie geben? 22. Was wollten die Studenten 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens? 23. Was denkt man in China heute über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens? 24. Was hält die Kommunistische Partei von den Menschenrechten? 25. Warum geht China gegen Dissidenten wie Ai Weiwei vor? 26. Welchen Status genießt Hongkong in der Volksrepublik China? 27. Gehört Taiwan zu China? 28. Gehört China zu Taiwan? 29. Gehört Tibet zu China? 30. Wie ist das Verhältnis zu den Großmächten der Welt? 31. Wie ist das Verhältnis zu Afrika? 32. Rüstet das Land auf, um expandieren zu können? 33. Welchen Zugang haben Chinesen zum Internet? 34. Ist China noch ein sozialistisches Land? | |
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Wirtschaft 35. Warum ist China wirtschaftlich so erfolgreich? 36. Gibt es Arbeitslosigkeit oder Wer sind die Verlierer des Reformprozesses? 37. Welche Gebiete sind reich und welche arm? 38. Warum ist «made in China» so billig? 39. Werden ausländische Unternehmen durch die Verlagerung von Arbeitsplätzen nach China reich? 40. Welche Rolle spielen Staatswirtschaft und Banken? 41. Bedroht die Immobilienblase die chinesische Wirtschaft? 42. Wofür sparen die Chinesen? 43. Welchen Stellenwert hat die Umwelt? 44. Welche bedeutenden Städte Chinas kennt man in Europa nicht? 45. Warum baut man riesige Staudämme und Kanäle? 46. Bedroht China die Weltwirtschaft? 47. Gibt es ein Privatrecht? 48. Sind die Chinesen geborene Fälscher? 49. Schafft die universitäre Forschung den Anschluss? | |
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Sprache und Schrift 50. Welche Sprachen und Völker gibt es? 51. Welche Dialekte hat das Chinesische? 52. Welcher Sprachfamilie gehört das Chinesische an? 53. Ist die Schrift eine Bilderschrift? 54. Kann man mit chinesischen Zeichen auch andere Sprachen schreiben? 55. Warum heißt ein berühmter Philosoph je nach Übersetzer Lao-tzu, Lao-dse oder Laozi? 56. Wie funktioniert die chinesische Computertastatur? 57. Ist Chinesisch schwierig zu erlernen? | |
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Religion und Philosophie 58. Welchen Einfluss hatte Konfuzius auf die Kultur? 59. Sind die Chinesen Konfuzianer? 60. Wann entstand der Daoismus? 61. Wann kam der Buddhismus nach China? 62. Seit wann gibt es in China Christen? 63. Wird das Christentum heute unterdrückt? 64. Wie steht es mit der Religionsfreiheit? 65. Was für eine Religion ist Falun gong? 66. Warum wird Falun gong in der Volksrepublik China bekämpft? 67. Was sind Yin und Yang und die Fünf Elemente? 68. Denken die Chinesen anders? | |
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Kultur 69. Woher kommt das System der Tierkreiszeichen? 70. Wie funktioniert der Kalender? 71. Welche Feste feiern die Chinesen? 72. Welche europäischen Literaturgattungen kannte das traditionelle China? 73. Aus welchen Werken bestand der traditionelle Wissenskanon? 74. Welche literarischen Werke sollte man kennen? 75. Wie funktioniert der Buchmarkt? 76. Warum legten die alten Chinesen ihren Toten Bücher ins Grab? 77. Sind die Chinesen musikalisch? 78. Warum ist die Malerei so anders? 79. Warum ist Jade so beliebt? 80. Was sind die vier Schätze des Gelehrtenstudios? 81. Was sind die größten Erfindungen Chinas? 82. Woher kennen wir so viele Daten der chinesischen Geschichte? | |
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Gesellschaft 83. Sind die Menschen pragmatisch, esoterisch oder abergläubisch? 84. Wie verhält es sich mit der List? 85. Sind die Chinesen höflich? 86. Muss man darauf achten, dass Chinesen ihr Gesicht nicht verlieren? 87. Wie war die traditionelle Stellung der Frau? 88. Was hat es mit den gebundenen Füßen auf sich? 89. Wie ist die gesellschaftliche Stellung der Frau heute? 90. Achtet China das Alter? 91. Warum kann in China ein zweijähriges Mädchen überfahren werden, ohne dass jemand hilft? 92. Warum werden in China steinerne Löwen aufgestellt? 93. Wofür stehen Drache und Tiger? 94. Wie stehen die Chinesen zu Tieren? | |
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Ernährung und Kleidung, Medizin und Sport 95. Seit wann gibt es Seide? 96. Seit wann isst man mit Stäbchen? 97. Warum gibt es nur wenige Milchprodukte? 98. Welche Genussmittel gibt es? 99. Welche Rolle spielt die traditionelle Medizin? 100. Was ist Feng-Shui? 101. Welche Rolle spielt der Sport? | |
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| Zeittafel |
| Literaturhinweise |
| Abbildungsnachweis |
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| Hinweise zu Transkription und Aussprache finden sich in der Antwort auf Frage |
China gewinnt für uns immer mehr an Bedeutung, die allgemeine Kenntnis des Landes nimmt jedoch nicht in gleichem Maße zu. Sinologen bleiben oft unter sich, obwohl gerade sie dazu berufen wären, eine größere Leserschaft besser mit China vertraut zu machen – und zwar über die wenigen, immer gleichen Fragen und die fest gefügten Meinungen dazu hinaus, die gewöhnlich von den Medien vermittelt werden. China ist eben nicht auf die Themen Wirtschaft, Menschenrechte, Taiwan und Tibet beschränkt. Dieses Buch eines Sinologen will dazu beitragen, allen, die beruflich oder privat mit China in Berührung kommen, ein umfassenderes Bild des Landes zu vermitteln. Denn nur durch das Wissen voneinander kann ein Dialog zwischen Europäern und Chinesen in Gang kommen, der diesen Namen wirklich verdient.
Die Auswahl der Fragen geht aus langjähriger Erfahrung hervor, die ich in vielen Vorträgen und bei engagierten Diskussionen mit Zuhörern sammeln konnte. Besonders in den ersten drei Kapiteln zur Geschichte, Politik und Wirtschaft, aber auch bei den Antworten zur Religion sei der Leser dazu eingeladen, sich auf eine chinesische Sichtweise einzulassen, die nicht immer richtig sein muss, die es aber verdient, ernst genommen zu werden. Es tut dem Europäer gut, hin und wieder auch die andere Seite anzuhören und zu bedenken.
Ein Buch wie das vorliegende kann nicht ohne die Hilfe vieler Kollegen entstehen. Jedoch ist es zu sehr die Summe unterschiedlichster Erfahrungen und Hilfestellungen, als dass es möglich wäre, allen Personen einzeln zu danken. Ich hoffe, dass alle, die mir im Gespräch eine Idee oder eine Information vermittelt haben, die sich auf den folgenden Seiten findet, es mir nicht übel nehmen, dass keine Anmerkungen darauf hinweisen. Den zahlreichen Helfern sei hier stattdessen kollektiv gedankt.
Die gewählte Umschrift ist die von der Volksrepublik China propagierte Hanyu Pinyin, die zwar zahlreiche Schwächen hat, aber mittlerweile so weit verbreitet ist, daß es ratsam schien, Personen- und Ortsnamen mit ihrer Hilfe zu transkribieren. Alles andere dürfte größere Verwirrung stiften. Die Prinzipien der Hanyu-Pinyin- Umschrift werden in der Antwort auf Frage 56 erläutert. Dort findet sich auch eine Aussprachetabelle, die helfen kann, die gröbsten Aussprachefehler zu vermeiden.
Bei allen Konstanten, die eine alte Kultur wie China zu bieten hat, erscheint manches von dem, was vor vier Jahren geschrieben wurde, nun dennoch obsolet. Ohne dass allzu vieles verändert werden sollte, war es doch angebracht, in behutsamer Weise Korrekturen am ursprünglichen Manuskript anzubringen. Einige Fragen, die nicht mehr ganz so aktuell erschienen, wurden daher gegen andere ausgetauscht.
München, im Oktober 2011 | Hans van Ess |
Geschichte
1. Wie alt ist China? Wer nach China kommt, wird schnell mit der Aussage von der fünftausendjährigen Geschichte Chinas konfrontiert. Diese Zahl mag dem Historiker ein wenig willkürlich erscheinen. Wie soll man den Beginn der «Geschichte» überhaupt bestimmen? Belege für eine frühe Besiedelung Chinas durch den Homo Erectus lieferten zu Anfang des 20. Jahrhunderts in der Nähe von Peking Knochenfunde, die auf ein Alter von 300.000 bis 700.000 Jahre geschätzt werden. Auf der Grundlage dieser und anderer Funde lehnt eine Reihe chinesischer Wissenschaftler die sogenannte «Out of Africa»-These ab, derzufolge der Mensch sich von Afrika aus auf der ganzen Welt ausbreitete. Ihrer Meinung nach hat sich der Mensch an verschiedenen Stellen der Welt, unter anderem in China, unabhängig entwickelt.
Zu den ersten bedeutenden Kulturen, die Archäologen in China ausmachen konnten, gehören die Yangshao- (5000 – 3000 v. Chr.) und die Longshan-Kultur (3000 – 2000 v. Chr.). Eine ganze Siedlung, die auf die Zeit um 4000 v. Chr. datiert, wurde in Banpo, einem Dorf bei Xi’an in der westchinesischen Provinz Shaanxi, gefunden. Weil sich in einigen Frauengräbern mehr Tongefäße als in Männergräbern befanden, wird dem Besucher unter Verweis auf Friedrich Engels nahegelegt, in Banpo habe das «Matriarchat» geherrscht. Jedoch sind die Belege zu dünn, als dass dieser Theorie gefolgt werden könnte.
Die Vorstellung von der fünftausendjährigen Geschichte geht auf die Angaben der traditionellen chinesischen Historiographie zurück. Als sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in China eine kritische Bewegung daran machte, überkommene Vorstellungen zu hinterfragen, fiel bald auf, dass die chinesische Geschichte paradoxerweise umso weiter zurückreichte, je weiter sie voranschritt: In den frühesten Texten ist immer wieder von den drei Kaisern Yao, Shun und Yu die Rede, die alle im dritten Jahrtausend v. Chr. gelebt haben sollen. Im 3. Jahrhundert v. Chr. wird die Geschichte um weitere Herrscher ergänzt, vor allen Dingen den Gelben Kaiser, der einige Generationen vor Yao China regiert haben soll, und Shennong, den «Göttlichen Landmann», der auch als «Flammenkaiser» bekannt ist. Als Weltenschöpfer ist in manchen Texten des 2. Jahrhunderts Pangu angegeben, in anderen das Paar Fuxi und Nüwa, das in der Ikonographie gerne in Form zweier verschlungener Drachen dargestellt wird. Um das Jahr 0 westlicher Zeitrechnung finden sich erste Versuche, diese Kaiser in eine zeitliche Abfolge zu bringen und auszurechnen, wann sie gelebt haben. Erst im 11. Jahrhundert ist dieser Prozess der Errechnung einer mythischen Chronologie ganz ab geschlossen. Fuxi soll danach im Jahr 2852 v. Chr. die Herrschaft angetreten haben, der Flammenkaiser 2737 und der Gelbe Kaiser 2697 v. Chr.
Seit einiger Zeit hört man in China immer häufiger die Bezeichnung «Enkel des Gelben Kaisers und des Flammenkaisers» für das chinesische Volk, und es gibt mehrere Stätten, an denen Statuen dieser Gründerahnen aufgestellt wurden. Dies geschieht in Anlehnung an den chinesischen Bauernkalender, der seine Jahreszählung mit dem Gelben Kaiser beginnt. Doch ist sich die Wissenschaft in China und andernorts weitgehend einig, dass dieser ebenso wie Yao und Shun ins Reich der Mythologie zu verweisen ist. Keine Einigkeit besteht allerdings hinsichtlich der Person des Yu, dem traditionell die Bändigung der überbordenden Fluten und die Einteilung Chinas in neun Regionen zugeschrieben wurde. Er ist nämlich der Begründer der Xia-Dynastie, die bis zum Machtantritt der Könige der Shang-Dynastie im 18. Jahrhundert v. Chr. für mehr als 400 Jahre über China geherrscht haben soll. Von der überwiegenden Mehrzahl der westlichen Sinologen wird auch diese als mythisch angesehen, weil es keinerlei archäologische Zeugnisse gibt, die die Historizität der Xia-Dynastie belegen könnten. Chinesische Wissenschaftler indes glauben, die Chronologie der Xia-Dynastie einigermaßen sicher bestimmen zu können. Sicheren Boden betritt die Wissenschaft erst mit der Dynastie Shang, aus deren Zeit schon eine recht genaue Herrscherfolge überliefert war. Diese ist Ende des 19. Jahrhunderts durch den Fund von zu Orakelzwecken verwendeten Knochen, in die Namen der Shang-Herrscher eingeritzt waren, eindrucksvoll bestätigt worden. Die Rede von 5000 Jahren ist also eindeutig ahistorisch. Sie hat aber für das sonst sehr historisch denkende China den Vorteil, die eigene Geschichte an den Beginn der alten Hochkulturen des Vorderen Orients heranzuführen, der etwa auf 3000 v. Chr. anzusetzen ist.
2. Woher kommt der europäische Name Chinas? Eine Antwort auf diese Frage fällt viel schwerer, als manches Einführungswerk glauben machen möchte. Allgemein wird angenommen, dass sich die Bezeichnung China vom Namen der Dynastie Qin (sprich: Tchin, mittelchinesisch «Ts’ien»), herleitet, die im Jahr 221 v. Chr. das chinesische Reich einte. Indessen sprechen die meisten römischen Quellen, unter denen Plinius der Ältere und Strabo hervorzuheben sind, von einem Land der Serer, also der Seidenhersteller, wenn von den östlichsten Gegenden der Welt die Rede ist. Hinter diesem Wort steckt allerdings keine echte Kenntnis Chinas, so dass auch ein anderes Volk gemeint sein könnte. Nach landläufiger Auffassung schon im 1. Jahrhundert n. Chr. verfasst worden ist der Heidelberger Periplus Maris Erythraei, der ein im äußersten Norden gelegenes Land This und dessen mit Seide handelnde Stadt Thinae erwähnt, die manche gerne mit China und Qin gleichsetzen wollen. Andererseits siedelt Ptolemaios die Stadt Thinae im äußersten Süden von «Sinai» an, das aber von manchen Fachleuten nicht unbedingt als China identifiziert wird, sondern eher Südostasien bezeichnen könnte. In chinesischen Quellen ab dem 4. Jahrhundert findet ein See mit Namen «Qin-Meer» Erwähnung, der heute in der Wüste Taklamakan lokalisiert wird. Dies könnte dafür sprechen, dass «Sina» auf ein China vorgelagertes zentralasiatisches Land zurückgehen könnte.
Aussagekräftige Belege gibt es erst aus dem 6. Jahrhundert, in dem der byzantinische Historiker Prokopios den Schmuggel von Seidenraupen aus Serinda beschreibt und der Indienfahrer Kosmas vom Seidenland «Tzinista» berichtet. Indes hat es zu dieser Zeit zusätzlich eine Jin-Dynastie und drei weitere, von nomadischen Fremdvölkern gebildete «Qin-Dynastien» gegeben (in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts), auf die der Name «China» ebenfalls zurückgehen könnte. Schon im 1. Jahrhundert heißt es aber in chinesischen Quellen, dass Nachbarvölker die Chinesen als «Männer von Qin» bezeichneten, obwohl mittlerweile die Dynastie Han (207 v. Chr. – 220 n. Chr.) an der Macht war.
Der russische Name für China lautet «Khitai», und die Abwandlungen «Catay» oder «Cathay» finden sich überdies in der westeuropäischen Literatur. Wie «China» geht auch diese Bezeichnung auf eine Dynastie zurück, nämlich auf die Liao-Dynastie, die zu Beginn des 10. Jahrhunderts in Nord- und Nordwestchina von dem möglicherweise mongolischen Volk der Khitan gegründet wurde. Lange hielt sich übrigens in Europa der Glaube, dass es sich bei Sina und Khitai um zwei verschiedene Länder handele.
Ein weiteres Detail erstaunt den Betrachter: In der zu Beginn des 5. Jahrhunderts verfassten Geschichte der Späteren Han-Dynastie (25–220 n. Chr.) ist die Rede von einem Land namens «Großes Qin», das sich «westlich des Meeres» und westlich von Indien befinde. Die Identifizierung des «Großen Qin» mit «Rom» ist mittlerweile allgemein anerkannt. Zur Begründung, warum man in China diesen Namen verwende, sagt der Text lediglich, die Bevölkerung sei groß, ausgeglichen und gerecht, genau wie in China selbst. Daher habe man das Land «Großes Qin» genannt. So könnte es sein, dass der Name «China» eine Spiegelung einer Bezeichnung ist, die chinesische Händler den Römern gaben.
3. Wie bezeichnen die Chinesen ihr Land und sich selbst? China heißt im modernen Chinesischen Zhongguo. Dieser Begriff bezeichnete ursprünglich die Ökumene aus mehreren Staaten, mit denen die Gründer der Zhou-Dynastie, nachdem sie um 1050 v. Chr. die Shang-Dynastie abgelöst hatten, Familienmitglieder und enge Gefolgsleute belehnten. Der Name bedeutet korrekt übersetzt «Die Mittellande», nicht etwa, wie dies oft zu lesen ist, «Reich der Mitte». Daneben gab es damals in Gemengelage mit den Mittellanden einzelne Staaten, die nicht als der Gemeinschaft zugehörig verstanden wurden, wohl weil ihre Einwohner fremdsprachig waren und nicht an der chinesischen Kultur teilhatten oder weil ihre Führung nicht zum herrschenden Clan gehörte. Im Unterschied zu den als «barbarisch» empfundenen Völkern an der Peripherie bezeichneten sich die Bundesgenossen auch häufig als «alle Xia», womit wahrscheinlich die Zugehörigkeit zum noch viel älteren Adelssystem der Xia-Dynastie ausgedrückt wurde, oder aber als «Hua-Xia». Die Herkunft des Begriffes «Hua», der auch im offiziellen Namen der Volksrepublik China (Zhonghua renmin gongheguo = Volksrepublik Mittleres Hua) auftaucht, gibt den Forschern Rätsel auf. Wahrscheinlich aber handelt es sich um eine Gegend im nördlichen Zentralchina, in der sich der «Hua-Berg» befindet. Überseechinesen werden heute gemeinhin als «Hua-Menschen» bezeichnet, was daran liegt, dass man sie nicht mehr zu den «Bewohnern der Mittellande» zählen kann.
Der Name «Zhongguo» wurde auch nach der Reichseinigung weiterverwendet, wobei die alte Bedeutung von unterschiedlichen, sich als kulturelle Einheit empfindenden Staaten immer mitschwang. Sollte von einem politisch geeinten Reich die Rede sein, dann bezeichnete man China grundsätzlich nach der herrschenden Dynastie. So findet sich in den vielen Volkszählungen, die im Lauf der chinesischen Geschichte erstellt wurden, niemals der Begriff «Menschen aus den Mittellanden», jedoch oft der Name der Dynastie, der die Menschen untertan waren. Einer ragt aus der Menge besonders hervor: Ironischerweise ist dies nicht der Name der kurzlebigen Dynastie Qin, die das Reich einte, sondern derjenige der auf sie folgenden Han-Dynastie. Noch in den demographischen Erhebungen des 11. bis 13. Jahrhunderts, einer Zeit, in der nomadische Völker über Teile des Reiches herrschten, wird zur Unterscheidung bestimmter Gruppen für die ethnisch chinesische Bevölkerung der Name «Han» verwendet, wobei unter den Mongolen, bevor sie China im Jahr 1276 ganz unterwarfen, zwischen den bereits eroberten «Han» in Nordchina und den «Song» in Südchina differenziert wurde (der Name Song geht auf die Dynastie im Süden zurück). Wenn sich ein Chinese heute als «Han-Mensch» bezeichnet, dann tut er dies, um sich als Angehöriger der mit etwa 91–94 Prozent Anteil an der Gesamtbevölkerung größten ethnischen Gruppe zu erkennen zu geben. Die weitaus gängigere Bezeichnung «Mensch aus den Mittellanden» (Zhongguo ren) hingegen weist ihn als Bewohner der territorialen und – zumindest hypothetisch – kulturellen Einheit China aus, die sowohl Chinesen als auch andere ethnische Gruppen umfasst. Auch für das Chinesische gibt es zwei Bezeichnungen, nämlich «zhongwen» («Drinnenschrift»), das die gesamte Bandbreite des literarisch-kulturellen Schatzes der chinesischen Sprache meint, und «Hanyu» (Han-Sprache), das eher die eigentliche grammatikalisch-lexikalische Sprache betont.
Das Bewusstsein kultureller Zusammengehörigkeit ist in China so weit verbreitet, dass die Dichotomie «Innen» bzw. «Mittel» für alles Chinesische sowie «Außen» für den Rest der Welt sogar verwendet werden kann, wenn sich Chinesen miteinander im Englischen Garten in München über Unterschiede zwischen China und Deutschland unterhalten.
4. Waren die Chinesen von vor zweitausend Jahren dasselbe Volk wie heute? China war vor zweitausend Jahren wesentlich kleiner als heute. Bis zur Reichseinigung durch die Qin lag das Zentrum in der ostchinesischen Ebene nördlich und südlich des Gelben Flusses. Schon solche Gebiete wie das des heutigen Peking oder die heutigen Provinzen Shaanxi mit der Hauptstadt Xi’an oder Hubei mit der Hauptstadt Wuhan (am Yangzi gelegen) galten als halbbarbarisch. Zwar wurden durch die Expansion der Qin-Dynastie ab 221 v. Chr. und des Han-Reiches Teile Zentralasiens und Vietnams unterworfen, doch ging die chinesische Bevölkerung in diesen Gebieten damals in den zahlenmäßig überlegenen anderen ethnischen Gruppen auf. Erst im 4. Jahrhundert n. Chr. setzte eine nennenswerte Kolonialisierung von Gebieten südlich des Yangzi ein, während Nordchina Einflüssen türkischer und mongolischer Völker ausgesetzt war. Bis zum Ende des 1. Jahrtausends blieb das Zentrum der chinesischen Kultur in Nordchina. Erst dessen Besetzung durch nomadische Fremdvölker vom 11. bis zum 13. Jahrhundert und eine darauf folgende große Auswanderungswelle führten zu einer Verlagerung des Bevölkerungsschwerpunkts nach Süden. Die allmähliche chinesische Expansion wird gerne als ein Prozess der Assimilierung anderer Völker an die chinesische Kultur bezeichnet. Wahrscheinlich dürfte aber umgekehrt das Gleiche geschehen sein. Die Auswertung genetischen Materials zeigt, dass die Chinesen südlich des Yangzi wesentlich enger mit austronesischen Völkern verwandt sind als mit Nordchinesen, die wiederum mongolischen, koreanischen und zentralasiatischen Ethnien nahestehen. Diese Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich die heutige chinesische Bevölkerung von der einstigen ethnisch stark unterscheiden dürfte. Allerdings hat diese Aussage wenig Bedeutung, da sich Chinesen von jeher eher kulturell als ethnisch definiert haben.
5. Warum wurde die große Mauer erbaut? Nach Auskunft der frühesten chinesischen Geschichtswerke begannen im 4. Jahrhundert v. Chr. einzelne Staaten der damals noch in verschiedene Einzelreiche aufgespaltenen chinesischen Ökumene nach Norden zu expandieren, um neues Ackerland zu gewinnen. Damit verdrängten sie nomadische Völker aus ihren angestammten Weidegebieten. Um die neu gewonnenen Territorien vor Einfällen der zurückgedrängten Nomaden zu sichern, wurden erste Teilstücke einer Mauer errichtet. Erst der Erste Erhabene Kaiser der Qin-Dynastie (221–210 v. Chr.) aber, unter dem der Krieg gegen die Nomaden zu einem festen Expansionsplan wurde, ließ in großem Maßstab Menschen mobilisieren, um die Grenzen zu befestigen.
Dabei hatte die Mauer eine ähnliche Funktion wie im Römischen Reich der Limes: Sie war kein unüberwindliches Hindernis, sondern hielt potentielle Angreifer nur kurzfristig auf. Die in bestimmten Abständen stationierten Grenztruppen konnten jedoch mit Signalfeuern auf bevorstehende Angriffe aufmerksam machen und schnell Hilfe holen. Ihren Zweck erfüllte die Mauer also nur, solange im Inneren des Reiches ausreichend Mittel zur Verfügung standen, um eine Verteidigung zu organisieren. Sobald dies nicht mehr gewährleistet war, wurde die Mauer nutzlos. Sie war im Laufe der chinesischen Geschichte mehrfach verfallen, und die Bauabschnitte, die heute zu besichtigen sind, wurden erst in den letzten drei Jahrzehnten aufwendig restauriert. Dabei knüpfte man auch nicht an den Originalzustand aus der Qin-Zeit an, sondern an während der Dynastie Ming (1368– 1644) errichtete Bauten. Die letzte Dynastie Chinas war selbst nomadischen Ursprungs und hatte verständlicherweise kein großes Interesse an der Mauer.
Übrigens ist die alte chinesische Geschichtsschreibung mit dem Erbauer des heute als Wahrzeichen Chinas geltenden Monumentes nicht freundlich umgegangen: Er habe die Kräfte des Volkes über die Maßen für seine ehrgeizigen Ziele strapaziert, seine gigantischen Bauten seien Zeichen seiner Hybris und letztlich einer der maßgeblichen Gründe für die Kurzlebigkeit seiner Dynastie gewesen. Zwar habe er für einen kurzen Zeitraum die Feinde aus dem Norden abwehren können, doch im Inneren des Landes seien dafür Aufstände gegen ihn losgebrochen. Letztlich also sei der Bau der Mauer ein wichtiger Grund für den frühen Fall der Qin-Dynastie gewesen.
6. Wieso wurden in China Terrakottaarmeen vergraben? 1974 fanden Bauern in einem Sperrgebiet bei Schachtarbeiten in der Nähe des Grabhügels, unter dem der Erste Kaiser der Qin-Dynastie begraben sein soll, zufällig 6000 aus Ton hergestellte übermannsgroße Krieger. Generell besteht die Vermutung, dass diese Terrakottaarmee im Rahmen der Arbeiten am Mausoleum des Ersten Kaisers, die schon kurz nach dessen Herrschaftsantritt begannen, hergestellt wurde. Eine entsprechende wissenschaftliche Datierung steht aber bisher noch aus. Namen, die vermutlich von Handwerkern in die Figuren geritzt wurden, sind so allgemein gehalten, dass nicht endgültig klar ist, ob sie aus der Zeit des Ersten Kaisers stammen.
Der Historiker Sima Qian (145 – ca. 87 v. Chr.), in dessen Werk eine Beschreibung der Grabanlage des Ersten Kaisers enthalten ist, berichtet zwar, dass 700.000 Sträflinge zu Aushubarbeiten geschickt worden seien und dass man den Sarg durch ein Bronzefundament gesichert habe, auch dass man seltene Gerätschaften und wertvolle Gegenstände aus Palästen und Ämtern dorthin geschafft und eine Armbrustanlage mit einem Selbstauslösemechanismus zur Absicherung gegen die auch im Altertum ihr Unwesen treibenden Grabräuber erbaut habe. Zudem heißt es bei Sima Qian, dass mit Quecksilber die Flüsse und Meere der Welt nachgeahmt worden seien. Von Tonkriegern aber ist nicht die Rede. Vergleichbare Tonarmeen, die in anderen Gräbern des 3. und 2. vorchristlichen Jahrhunderts gefunden wurden, sind sowohl in Bezug auf die Anzahl der Figuren als auch auf ihre Ausführung wesentlich kleiner. Überdies wurden sie mit einer gänzlich anderen Technik hergestellt. So steht die Wissenschaft noch immer vor einer Reihe von offenen Fragen. Gemeinsam ist allen Tonarmeen, dass sie, ähnlich wie griechische und römische Marmorplastiken, ursprünglich bunt bemalt waren.
Eines der ältesten chinesischen Lieder beklagt drei Würdenträger des Staates Qin, die ihrem verstorbenen Herrscher im Jahr 620 v. Chr. ins Grab folgen mussten. An anderer Stelle heißt es gar, 170 Männer seien lebendig mit dem Herzog begraben worden, damit es ihm in der Unterwelt, bei den «Gelben Quellen», an nichts fehle. Der Brauch, Vertraute oder Frauen eines Herrschers zu töten und mit ihm zu bestatten, wird auch in anderen Quellen erwähnt und von der chinesischen Archäologie bestätigt. Bekannt ist er aus vielen Kulturen, unter anderem gibt es Belege von den Skythen und frühen nomadischen Völkern Nordasiens. In China scheint man aber schon früh begonnen zu haben, für solche Bestattungen anstatt der Menschen Figuren zu verwenden. Konfuzius soll sich einer Quelle aus dem 3. vorchristlichen Jahrhundert zufolge gegen die Bestattung von Figuren, die offenbar manchmal mit einer Art Mechanik ausgestattet waren, gewandt haben, weil diese immer noch zu menschenähnlich gewesen seien. Im kanonischen Ritenbuch heißt es dagegen, die Herstellung von Grabbeigaben sei als eine kulturelle Errungenschaft zu betrachten, weil durch sie verhindert werde, dass Gebrauchsgegenstände der Lebenden in die Gräber wanderten.
All dies deutet darauf hin, dass die Vorstellung, der Mensch führe sein Leben nach dem Tode einfach nur an anderer Stelle fort, im alten China sehr umstritten war – an mehreren Stellen wird in der Literatur die Möglichkeit eines Weiterlebens nach dem Tode explizit in Frage gestellt. Auch wenn Sima Qian viel von den Versuchen des Ersten Kaisers von Qin berichtet, Unsterblichkeit zu erlangen, glaubte dieser vermutlich nicht daran, dass eine Tonarmee seinen Leichnam schützen könne. Der Bau seiner Grabanlage war vielmehr offenbar eine gewaltige Machtdemonstration. Generell könnten Beigaben zudem einen zeremoniellen Zweck bei den Begräbnisfeierlichkeiten erfüllt und dazu gedient haben, dass der Verstorbene nach seinem Ableben über dieselben Annehmlichkeiten verfügte wie zuvor. Die Quellen geben auf diese Frage keine explizite Antwort.
7. Wo verläuft die Seidenstraße? In der griechisch-römischen Antike hatte man von China nur ein schimärenhaftes Wissen. Heißbegehrt war aber vor allem bei den Römerinnen die aus China kommende Seide, die ihren Weg durch das Reich der im heutigen Iran und im Zweistromland herrschenden Parther nahm. Römische Autoren geißeln die Schamlosigkeit, mit der die Frauen durchsichtige Seidengewänder trugen. Die Handelsstraße, über welche die Seide ins römische Reich gelangte, bezeichneten schon antike Historiker und Geographen wie der berühmte Ptolemaios als «Serike» oder «Serata». Bevor persische und arabische Seefahrer ab dem 7. Jahrhundert die Route über das Meer einschlugen, war diese Straße jahrhundertelang die einzige nennenswerte Verbindung zwischen China und dem Westen. Sie nahm ihren Anfang in der Hauptstadt Chang’an, in der Nähe des heutigen Xi’an, und führte dann durch den Hexi-Korridor zu den Oasenstädten der Taklamakan. In der heute als Xinjiang (Neue Territorien) bezeichneten autonomen Region im Nordwesten Chinas teilte sich die Straße in zwei Routen, die das unfruchtbare Tarimbecken in nördlicher und in südlicher Richtung umschlossen. Die beiden Routen trafen bei Kashgar wieder aufeinander und führten dann über den Karakorum-Pass durch Pakistan und Afghanistan nach Iran. Von dort aus zogen die mit Waren beladenen Karawanen schließlich ins Zweistromland und in die römische Provinz Syrien. Allerdings gab es außerhalb der Wüsten natürlich mehrere Straßen. So zweigte ein Teil der Händler nach Indien ab, einige zogen eher im Norden durch Turkmenistan, die anderen im Süden durch Iran.
Selbstverständlich lebte die Seidenstraße von stabilen politischen Verhältnissen: Am besten funktionierte sie in der Zeit der Mongolenherrschaft im 13. und 14. Jahrhundert. Doch auch danach fand über sie ein kontinuierlicher Austausch zwischen dem Vorderen Orient und China statt.
8. Wann beginnt die Moderne? Das «moderne China» ist genauso ein Kampfbegriff des 20. Jahrhunderts wie die «modernen Chinawissenschaften». Ein «modernes China» setzt ein antiquiertes China voraus, weshalb im vergangenen Jahrhundert jede neue Generation Chinas versucht hat, sich von der älteren abzusetzen, indem sie ihr eigenes Zeitalter als modern, das vorangegangene aber als einer jahrtausendealten, oft als verknöchert angesehenen Tradition verhaftet ausgab.
Mit einer wissenschaftlichen Definition von Moderne haben solche Aussagen nichts zu tun, und auch im Westen ist der Begriff umstritten. Eine maßgebliche Richtung ist der Auffassung, dass der Zeitpunkt, an dem ein Staat als modern anzusehen ist, dann gekommen ist, wenn die Eliten beginnen, nicht mehr das Wohl ihrer eigenen Großfamilien als oberstes Ziel anzusehen, sondern Staatsinteressen für übergeordnet zu halten. Naito Torajiro, ein japanischer Sinologe, stellte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die These auf, dass dieser Zeitpunkt in China an der Wende von der Tang-Zeit (618– 907) zur Song-Zeit (960 – 1280) anzusetzen ist, also etwa an der Schwelle vom 10. zum 11. Jahrhundert, lange bevor man im Westen von einer Moderne reden kann. Während nämlich die Politik der Tang, obwohl sie durchaus von Beamten umgesetzt wird, noch von mächtigen Adelsclans dominiert ist, scheint es manchen so, als seien die Beamten der Song von der Idee des Staates so weit domestiziert worden, dass sie nicht mehr gewagt hätten, Eigeninteressen zu verfolgen, sondern sich ganz in den Dienst ihres Herren stellten.
Ob dies zutreffend ist, wird in der Forschung weiter diskutiert. Indes ist eindeutig, dass die Wahrnehmung der chinesischen Elite in späteren Zeiten eine andere gewesen ist. Sie ging bis zum Ende der Kaiserzeit grundsätzlich davon aus, dass die chinesische Geschichte kontinuierlich verlaufen sei. Nach Auffassung der wichtigsten chinesischen Historiker hat sich China erst modernisiert, als in der ausgehenden Kaiserzeit die alten Glaubenssätze, von denen man meinte, sie seien ehern gewesen, plötzlich infrage gestellt werden konnten und damit das Interpretationsmonopol, das eine Gelehrtenschicht über geschichtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge hatte, ins Wanken geriet. 1905 wurden die Beamtenprüfungen, bei denen für mehr als ein Jahrtausend konfuzianisches Wissen abgefragt worden war, das den Zugang zur Elite garantierte, abgeschafft. Neues, «modernes» Wissen war fortan gefragt. 1919 demonstrierten chinesische