Über den Autor |
Hubert Wolf, geb. 1959, ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster. Er wurde u.a. mit dem Leibnizpreis der DFG, dem Communicator-Preis und dem Gutenberg-Preis ausgezeichnet und war Fellow am Historischen Kolleg in München. Bei C.H.Beck erschienen von ihm u.a. «Index» (BsR, 2007) sowie «Papst und Teufel» (BsR, 2012).
Zum Buch |
Rom, im Juli 1859: Eine Nonne ruft um Hilfe, man will sie vergiften, doch sie kann fliehen. Es kommt zu einem Prozess, in dem die Inquisition Unglaubliches aufdeckt: Im Kloster Sant’Ambrogio werden seit Jahrzehnten Nonnen als Heilige verehrt. Visionen, Dämonenaustreibungen, Segnungen per Zungenkuss, lesbische Initiationsriten und Wunder sind an der Tagesordnung. Zweiflerinnen werden beseitigt. Und hinter den Nonnen steht ein Netzwerk von Jesuiten mit besten Kontakten zum Papst.
Hubert Wolf hat in den Vatikanischen Archiven die Akten eines einzigartigen Skandals aufgespürt, der in diesem Buch erstmals publik gemacht wird. In seiner meisterhaften Erzählung des Falles geht es nicht nur um Mord, sexuellen Missbrauch und angemaßte Heiligkeit vor den Toren des Vatikans, sondern auch um die Macht des Papstes.
«Besser als ein Roman» Rudolf Neumaier, Süddeutsche Zeitung
Eine wahre Geschichte
C.H.Beck
Inhalt |
Dramatis personae
PROLOG
«Rette, rette mich!»
ERSTES KAPITEL
«Solche Schändlichkeiten»
Katharina von Hohenzollern erstattet Anzeige bei der Inquisition
Rom als himmlisches Jerusalem
Ein Damaskuserlebnis und seine Folgen
Eine römische Klosteridylle
Rettung aus der Klosterhölle
Anzeige aus Gewissenspflicht
Das Geheimnis von Sant’Ambrogio
Ein besessener Nonnenverführer
Eine falsche Heilige
Giftanschläge
Die Sicht des Retters
ZWEITES KAPITEL
«Die delicatezza der Angelegenheit als solcher»
Außergerichtliche Voruntersuchungen
Informelle Sondierungen
Die Aussage der Ausgestoßenen
Zwei Nonnen in einem Bett
Unkeuschheit und Sodomie
Ein Dominikaner will es ganz genau wissen
Zahlreiche überzeugende Beweise
Nun doch ein Inquisitionsprozess
Die Inquisition als Tribunal: Verfahren und Akteure
Die Quellen aus dem Archiv der Glaubenskongregation
DRITTES KAPITEL
«Ich bin der kleine Löwe meiner reformierten Schwestern»
Der Informativprozess und die Verehrer der Mutter Gründerin
Das Kloster Sant’Ambrogio della Massima
Franziskanerinnen vom Dritten Orden
Agnese Firrao wird als Heilige verehrt
Agnese Firrao wird der falschen Heiligkeit bezichtigt
Das Urteil der Inquisition von 1816
Die wunderbare Bekehrung Leos XII.
Wahre und falsche Heiligkeit
Beweise für den fortdauernden Kult der Firrao
Die geheime Äbtissin
Reliquien
Inspirierte Texte
Eine Frau als Beichtmutter
Beichtväter verkünden den falschen Kult
VIERTES KAPITEL
«Wasch mich gut, denn der Pater soll kommen»
Die angemaßte Heiligkeit der Madre Vicaria
Visionen auf dem Weg zur Macht
Mystik und Mystizismus
Der irdische Ursprung von Himmelsringen und Rosenduft
Die Gottesmutter schreibt Briefe
Das marianische Jahrhundert
Die Fälscherwerkstatt für Marienbriefe
Seelsorgerlicher Beistand im Bett
Lesbische Intimitäten in der Klosterzelle
Das System Sant’Ambrogio
FÜNFTES KAPITEL
«Eine Tat in göttlicher Herrlichkeit»
Mord auf Befehl der Gottesmutter
Der Americano und sein obszöner Brief
Der Strick um Katharinas Hals
Himmelsbriefe kündigen die Ermordung Katharinas an
Dramaturgie einer Vergiftung
«Es war mit Sicherheit der Teufel»
Weitere Morde
Geld, das vom Himmel fällt
Die Beichtväter als Mitwisser und Mittäter
Das Ergebnis des Informativprozesses
SECHSTES KAPITEL
«Das ist ein himmlischer Liquor»
Der Akkusationsprozess und das Verhör der Madre Vicaria
«Ich wollte immer schon Nonne werden»
Die Geschichte eines Unschuldslammes
Beweise und erste Geständnisse
Maria Luisa und ihre Novizinnen
Sexueller Missbrauch
Jesuitische Beichtväter und ihr ganz besonderer Segen
Die Affäre des Beichtvaters mit Alessandra N.
Maria Luisa und Pater Peters zwischen Sex und Segen
«Meine einzige Verteidigung ist Jesus Christus»
SIEBTES KAPITEL
«Jener gute Pater hat das Werk Gottes verdorben»
Die Verhöre von Beichtvater und Äbtissin
Giuseppe Leziroli: ein Beichtvater vor Gericht
Der Apostel der heiligen Agnese Firrao
Der Beichtvater und die heilige Maria Luisa
Leziroli und die Giftanschläge
Maria Veronica Milza: eine Äbtissin vor Gericht
Geständnisse
ACHTES KAPITEL
«Während dieser Taten das innere Gebet niemals eingestellt»
Das Verhör von Giuseppe Peters
Die wahre Identität von Pater Peters
Spontane Bekenntnisse des Angeklagten
Ein Kardinal bricht das Geheimnis des Heiligen Offiziums
Und der Kult der Firrao war doch erlaubt
Theologie und Zungenküsse
Neuscholastische Windungen
Der Schlussantrag des Gerichts
Ein Stellvertreterkrieg?
NEUNTES KAPITEL
«Betrübt und reuevoll»
Das Urteil und seine Folgen
Konsultoren, Kardinäle, Papst: das Urteil
Abschwörung im Internen und Geheimhaltung nach außen
Klostergründerin statt Nonne
Vergiftungstrauma eines Kardinals
Die Großen lässt man laufen
Eine Heilige im Irrenhaus
Ein Häretiker schreibt Dogmen
EPILOG
Das Geheimnis von Sant’Ambrogio im Urteil der Geschichte
ANHANG
Dank
Anmerkungen
Quellen und Literatur
Bildnachweis
Personenregister
Dramatis personae |
KATHARINA FÜRSTIN VON HOHENZOLLERN-SIGMARINGEN
für fünfzehn Monate als Novizin Luisa Maria in Sant’Ambrogio, erfährt von Klostergeheimnissen und gerät in Lebensgefahr
GUSTAV ADOLF ZU HOHENLOHE-SCHILLINGSFÜRST
Titularerzbischof von Edessa und Vertrauter von Papst Pius IX., Cousin Katharinas und deren Retter
MARIA AGNESE FIRRAO
Gründerin des Klosters von Sant’Ambrogio, als Heilige verehrt, vom Heiligen Offizium jedoch als falsche Heilige verurteilt
MARIA LUISA
schöne junge Novizenmeisterin und Madre Vicaria des Klosters, hat Visionen und gilt als Heilige
MARIA VERONICA
Äbtissin von Sant’Ambrogio, jedoch von Maria Luisas Gnaden
LUIGI FRANCESCHETTI
Anwalt und zuständig für die Rechtsgeschäfte des Klosters
AGNESE ELETTA
Nichte der Agnese Firrao, Ordensschwester, teilt das Bett mit Maria Luisa
MARIA GIACINTA
leibliche Schwester Franceschettis, Ordensschwester, die ebenfalls das Bett mit Maria Luisa teilt
AGNESE CELESTE
Novizin, kennt sich als Tochter eines Arztes mit Medikamenten und Giften aus
MARIA FRANCESCA
Novizin mit einer himmlisch schönen Handschrift
MARIA GIUSEPPA
Krankenschwester mit dem Schlüssel zur Klosterapotheke
MARIA IGNAZIA
Novizin und Komplizin Maria Luisas
MARIA FELICE
Novizin und ebenfalls Komplizin Maria Luisas
PETER KREUZBURG
der «Americano», besessen vom Teufel und von Maria Luisa
GIUSEPPE LEZIROLI
Jesuitenpater, Geistlicher Direktor und erster Beichtvater in Sant’Ambrogio, verehrt die beiden heiligen Frauen des Klosters
GIUSEPPE PETERS
Jesuitenpater und zweiter Beichtvater in Sant’Ambrogio, verehrt vor allem Maria Luisa und ist mehr, als es scheint
KARL AUGUST GRAF VON REISACH
Kardinal und eine Zeit lang Seelenführer Katharinas, hat eine Schwäche für stigmatisierte Frauen
MAURUS WOLTER
Benediktiner, Katharinas neuer Seelenführer, der ihr zur Anzeige bei der Inquisition rät
COSTANTINO PATRIZI
Kardinalprotektor des Klosters Sant’Ambrogio und gleichzeitig Kardinalvikar der Römischen Kurie, kennt Geheimnisse
VINCENZO LEONE SALLUA
Dominikaner und Untersuchungsrichter der Römischen Inquisition
PIUS IX.
Papst von 1846 bis 1878, glaubt an das Eingreifen der Gottesmutter in dieser Welt
MARIA
Mutter Jesu Christi, erscheint und schreibt Briefe
PROLOG
«Rette, rette mich!» |
«Schließlich kam zu mir am Montag, dem 25. Juli, kurz nach acht Uhr – gesandt vom Herrn – der Erzbischof von Edessa. Es gab keine andere Hoffnung mehr; das war die letzte Möglichkeit, mich zu retten. Ihm konnte ich alles enthüllen und ihn anflehen, mir zu helfen, so rasch wie möglich aus dem Kloster zu entkommen. Alles ging gut aus – ich wurde erhört und gerettet.»[1] Mit diesen eindringlichen Formulierungen, niedergelegt in ihrer Klageschrift an den Papst vom Sommer 1859 knapp fünf Wochen nach der dramatischen Flucht aus dem römischen Kloster Sant’Ambrogio oder besser der Befreiung durch ihren Cousin Erzbischof Gustav Adolf zu Hohenlohe-Schillingsfürst, beschreibt Fürstin Katharina von Hohenzollern-Sigmaringen das Ende ihres Abenteuers hinter römischen Klostermauern, das sie um ein Haar mit dem Leben bezahlt hätte.
Man hatte sie gedemütigt, man hatte sie von ihren Mitschwestern isoliert und von der Außenwelt abgeschnitten, man hatte versucht, sie als gefährliche Mitwisserin von Klostergeheimnissen zum Schweigen zu bringen. Schließlich hatte man sogar mehrfach Giftanschläge auf sie verübt. Nach ziemlich genau fünfzehn Monaten, am 26. Juli 1859 nachmittags um halb vier, war ihre Zeit als Schwester Luisa Maria vom heiligen Joseph bei den Nonnen vom regulierten Dritten Orden des heiligen Franziskus in Sant’Ambrogio della Massima in Rom, die so verheißungsvoll begonnen hatte, endgültig abgelaufen. Es war wahrlich eine Rettung aus höchster Not, aus unmittelbarer Todesgefahr.
Dieses Scheitern als Ordensfrau und die dramatische Flucht aus dem Kloster interpretierte die Fürstin in ihrer Klageschrift zwar in klassisch frommer Weise als Erlösung durch Christus, den Herrn, und machte es dadurch zugleich für sich selbst irgendwie erträglich. Aber dieses dramatische Erlebnis, die mehrere Monate dauernde Todesangst, sollte zur entscheidenden Erfahrung ihres ganzen Lebens werden. Nach dem 26. Juli 1859 war nichts mehr so wie vorher. Wie existenziell ihre Notlage gewesen war, wie sehr sie ihr Leben in Sant’Ambrogio tatsächlich bedroht gesehen hatte, wie traumatisiert sie durch die Vergiftungsanschläge auch noch viele Jahre später war, führen ihre Erlebnisse plastisch vor Augen, die Christiane Gmeiner,[2] eine enge Mitarbeiterin der Fürstin, 1870, über ein Jahrzehnt nach den furchtbaren römischen Ereignissen, niederschrieb. Folgt man dieser autobiographischen Quelle, dann war es Katharina gelungen, in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1859 «im Geheimen» einen Brief aus dem Kloster herausschmuggeln und Erzbischof Hohenlohe im Vatikan übergeben zu lassen. «Mit großer Angst wartete die Fürstin, bis sie morgens um halb acht ins Sprechzimmer gerufen wurde. In großer Angst, fast atemlos eilte die Fürstin hinunter und auf den Erzbischof zu, dem sie in größter Aufregung zurief: ‹Rette, rette mich!› – Erst konnte er sie gar nicht verstehen und fürchtete fast, seine Cousine redete irre, aber nach und nach gelang es ihr, ihn zu überzeugen, dass sie ihrer Sinne mächtig war und dass ihre Furcht nicht unbegründet war. Jetzt wurde ihm ihr Verlangen klar, aus dem Kloster zu scheiden, und er versprach, alles zu tun, damit alles so bald als möglich geschehen könne, konnte aber den kürzesten Termin erst für den anderen Tag anberaumen» – so schrieb Christiane Gmeiner in der dritten Person nieder, was die Fürstin ihr in der ersten Person geschildert hatte.[3]
Was Katharina von Hohenzollern-Sigmaringen hier berichtet, klingt nach finsterem Mittelalter und bedient zahlreiche Klischees und Vorurteile, die gemeinhin über das katholische Ordensleben kolportiert werden. Doch wir befinden uns nicht im Mittelalter, sondern in der Neuzeit, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, nicht in einer einsam gelegenen Klosterburg auf einem hohen Berg am Rande der Welt, sondern mitten in der Hauptstadt der Christenheit, kaum zwei Kilometer Luftlinie vom Vatikan entfernt, dem Sitz des Stellvertreters Jesu Christi auf Erden.
Was war wirklich in Sant’Ambrogio passiert? Handelte es sich um bloße Vergiftungsphantasien einer überspannten hochadeligen Dame, oder gab es die Anschläge auf das Leben Katharinas wirklich? Und überhaupt: Wie kam eine Fürstin aus dem Hause Hohenzollern, eine enge Verwandte des späteren preußischen Königs und deutschen Kaisers Wilhelm I., dazu, als Nonne in einen derart strengen Orden und gerade in Rom einzutreten?
ERSTES KAPITEL
«Solche Schändlichkeiten»Katharina von Hohenzollern erstattet Anzeige bei der Inquisition |
Die Italiensehnsucht eines Johann Wolfgang von Goethe oder Johann Joachim Winckelmann, die sich an Rom als dem Hort der klassischen Antike berauschten, war es nicht, die Katharina nach Rom trieb.[1] Es war auch nicht der imperiale Zug, der die großen deutschen Königsgeschlechter von den Karolingern bis zu den Staufern in die Stadt am Tiber geführt hatte, um dort die Kaiserkrone zu empfangen. Da Katharinas Ziel ein Ort frommer Frauen war, müssen es vor allem religiöse Motive gewesen sein, die sie in die Stadt des Papstes zogen.
Dabei hatte Rom als religiöses Zentrum seit der Mitte des 18. Jahrhunderts einen dramatischen Niedergang erlebt.[2] Der Papst war als weltlicher Fürst des Kirchenstaates, der in der Mitte Italiens ein gutes Viertel der Fläche der Apenninenhalbinsel einnahm, immer stärker in politische und militärische Konflikte zur Sicherung seiner Herrschaft hineingezogen worden und hatte sich immer weniger um seine Aufgaben als geistliches Oberhaupt der katholischen Kirche kümmern können. Gegen Ende des Jahrhunderts sank das religiöse Ansehen des Papsttums auf einen absoluten Tiefpunkt. 1773 gelang es den europäischen Mächten sogar, Clemens XIV. zu zwingen, mit dem Jesuitenorden seine wichtigste kirchenpolitische Stütze aufzuheben. Napoleon Bonaparte annektierte den Staat des Papstes und zwang Pius VII. ins französische Exil. Der Wiener Kongress von 1815 stellte zwar nach der Rückkehr des Papstes aus Frankreich den Kirchenstaat als eigenständiges Gebilde wieder her, die Reformen auf den Feldern der Verwaltung, der Rechtsprechung, des Bildungswesens und nicht zuletzt der Wirtschaft, die Kardinalstaatssekretär Ercole Consalvi[3] in Wien versprach, wurden aber nie durchgeführt. Der Staat des Papstes galt deshalb als das rückständigste politische Gebilde Europas überhaupt.
Im Zuge der Restauration, die nach den Befreiungskriegen in Europa zur dominierenden Richtung wurde, konnte das Papsttum sein Ansehen als moralische und religiöse Instanz jedoch deutlich verbessern. Jetzt war der Papst plötzlich der einzige Monarch Europas, der der Bestie Napoleon getrotzt hatte und für seine Überzeugungen ins Exil gegangen war, während alle anderen Fürsten mit dem Kaiser der Franzosen gekungelt hatten. Deshalb galt in der Romantik das Papsttum als Garant ewiger Werte, insbesondere der Monarchie und des Gottesgnadentums, und als Schutz gegen das Chaos und die Unsicherheiten der Französischen Revolution mit ihrem liberalen Staatsund Menschenrechtsverständnis. Besonders geschickt nahm Leo XII. diese Sehnsucht nach Sicherheit auf. Das ewige Rom sollte wieder zum heiligsten Ort der Welt werden.
Gerade in Deutschland orientierten sich infolge der Säkularisation und der damit verbundenen Zerstörung der alten Reichskirche mit ihren Fürstbistümern nicht wenige Katholiken immer mehr nach Rom. Sie waren meist Untertanen protestantischer Fürsten geworden und suchten ihr Heil in einer engen Anbindung an die Päpste. Besonders nach der Julirevolution von 1830 begann eine Phase der zunehmenden Ultramontanisierung der katholischen Kirche. Immer stärker blickten Katholiken «ultra montes», über die Berge nach Rom, immer mehr wurden die römische Frömmigkeit, die römische Liturgie und die römische Theologie als die einzig wahren Verwirklichungen des Katholizismus angesehen, weil sie vom Papst als Vicarius Christi legitimiert waren.
Die katholische Publizistik stilisierte im Zuge dieser Bewegung Rom zur Braut Christi, zur Heiligen Stadt, zum himmlischen Jerusalem auf Erden. Diese religiöse Aufwertung des Papsttums ging bezeichnenderweise nicht von den Päpsten und der Römischen Kurie selbst aus, sondern wurde von außen an den Papst herangetragen. Das Papsttum wurde zur Projektionsfläche aller religiösen Sicherheitsbedürfnisse in einer Zeit voller Umbrüche, Unsicherheiten und revolutionärer Umwälzungen. Genau in dieser Phase entdeckte man die Wallfahrt nach Rom wieder neu: Die persönliche Begegnung mit dem Papst, das Gebet an den Gräbern der Apostelfürsten Petrus und Paulus und die damit verbundene religiöse Selbstvergewisserung wurden zu Kennzeichen echter Katholizität.
Diese Orientierung an Rom wurde an der Kurie ganz unterschiedlich aufgenommen. Das Kardinalskollegium spaltete sich in «Zelanti» und «Politicanti». Während die einen, die Eiferer, die neue Rombegeisterung dafür nutzen wollten, jede Reform in Kirche und Kirchenstaat zurückzudrängen und den Papst immer mehr zum unfehlbaren Gottkönig zu stilisieren, waren die anderen, die Pragmatiker, eher skeptisch, weil sie ihr Programm einer Versöhnung von Kirche und Welt gefährdet sahen. «Falken» und «Tauben» stießen vor allem bei Papstwahlen heftig aufeinander; abwechselnd setzten sich Hardliner und Gemäßigte beim Konklave durch.
In diesen Zug der Romwallfahrer, der vor allem höhere soziale Schichten erfasste, reihte sich auch Katharina von Hohenzollern mit ihrer Mutter ein, als sie im Pontifikat Gregors XVI., der ein Zelant war, 1834 zum ersten Mal nach Rom kam. Der Papst und seine Umgebung hegten ein prinzipielles Misstrauen gegenüber der modernen Welt mit all ihren fortschrittlichen politischen Ideen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und wirtschaftlichen Entwicklungen.[4] Während seiner Regentschaft baute er die Heilige Stadt zu einer geistigen Trutzburg gegen die teuflischen Mächte des Liberalismus aus, nachdem die Julirevolution auch den theokratischen Staat des Papstes nicht verschont hatte. Dies führte bei Gregor XVI. zu einem ausgesprochenen Revolutionstrauma und einer Verfolgung aller Neuerer in der katholischen Kirche. Alles, was auch nur entfernt nach Freiheit, Reform oder moderner Bildung aussah, roch für den Papst nach Schwefel. Die katholische Kirche sollte auf Rom konzentriert und zu einem «Haus voll Glorie» aufgerüstet werden, das der Moderne erfolgreich Paroli bieten und sie letztlich durch den Triumph des Heiligen Stuhles – wie ein einschlägiger Buchtitel des Papstes lautete – besiegen würde.[5]
Nach diesem restaurativen Pontifikat wurde am 16. Juni 1846 Giovanni Maria Mastai-Ferretti zum Papst gewählt. Er galt als gemäßigter Politicant und nannte sich folgerichtig nach seinem Vorvorgänger Pius IX.[6] Tatsächlich führte der persönlich äußerst gewinnende Papst anfangs eine Reihe von Reformen durch. So erließ er eine Amnestie für politische Gefangene, setzte eine Zivilregierung ein und versprach seinen Untertanen die Mitwirkung am politischen Leben des Kirchenstaats durch eine Verfassung. Dieser liberale Impuls stieß bei der römischen Bevölkerung auf breite Zustimmung. Allerdings radikalisierte sich die Situation in Rom: Der Funke der Märzrevolution von 1848 sprang auch auf die Stadt des Papstes über. Pius IX. war gezwungen, ins neapolitanische Gaeta zu fliehen. Erst nachdem französische Truppen den Aufstand niedergeschlagen hatten, konnte der Papst 1850 in den Vatikan zurückkehren.
Das Trauma der Revolution von 1848 bestimmte fortan sein Pontifikat. Alle Reformen wurden zurückgenommen, die Politik im Kirchenstaat und das Lehramt in der Kirche trugen ab sofort strikt reaktionäre Züge. Ähnlich wie sein Vorgänger Gregor XVI. fühlte sich der Papst von allen Seiten verfolgt und bedroht. Daraus resultierte eine geradezu apokalyptische Angst vor der Besetzung des Kirchenstaats und Roms durch italienische Truppen. Nur durch ausländische Truppen konnte Pius’ IX. weltliche Herrschaft im Kirchenstaat gegen das Risorgimento, die nationale Einigungsbewegung, gesichert werden, die Rom als natürliche Hauptstadt des neuen italienischen Nationalstaats ansah.
Dies führte auch auf religiösem Gebiet zu einer Art Belagerungsmentalität.[7] Während am Beginn des Pontifikates Pius’ IX. liberale Kardinäle und Prälaten beim Papst genauso ein offenes Ohr gefunden hatten wie Hardliner und Intransigente, verschoben sich die Gewichte eindeutig zugunsten der Letzteren. So war Rom in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus eine Stadt des religiösen Pluralismus gewesen. Die Parteiungen und theologischen Richtungen, die es etwa in Deutschland und Frankreich gab, spiegelten sich auch an der Römischen Kurie mit ihren Büros und Kongregationen wider. Den Kurialen, die eine Versöhnung von Kirche und Welt, von moderner Philosophie und katholischem Glauben anstrebten, standen Romantiker und Neuscholastiker gegenüber, die in der Philosophie des heiligen Thomas von Aquin die einzig denkbare Basis für den Katholizismus sahen. Vor allem der Jesuitenorden und das von ihm dominierte Collegio Romano wurden mehr und mehr zum Hort der Neuscholastik und der Hyperorthodoxie in Rom, während sich etwa die Benediktiner der Abtei Sankt Paul vor den Mauern einem offenen, pluraleren Modell von Frömmigkeit und Theologie verschrieben, das neuere philosophische Ansätze einbezog.
Der Papst stellte sich nach 1848 immer eindeutiger auf die Seite der Konservativen und ließ abweichende theologische Meinungen durch die Inquisition und die Indexkongregation verfolgen. Zahlreiche moderne Theologen landeten auf dem Index der verbotenen Bücher, der von einem Instrument zur Kontrolle des gesamten Buchmarktes in der Zeit Pius’ IX. immer mehr zum Instrument der Disziplinierung innerkirchlicher Selbstdenker wurde.
Den unterschiedlichen theologischen und kirchenpolitischen Richtungen entsprachen ganz unterschiedliche Frömmigkeitspraktiken und religiöse Mentalitäten. Die restaurative und romantische Richtung setzte auf eine Wiederherstellung der überschwänglichen Andachtsformen des Barockkatholizismus, entdeckte die während der Aufklärung diskreditierte Mystik wieder und rechnete überall mit Wundern. Die liberaleren Kreise an der Kurie bevorzugten eine nüchterne Frömmigkeit, die vor den Ansprüchen der neuzeitlichen Vernunft Bestand haben sollte. Auch hier waren die Vorlieben Pius’ IX. sehr eindeutig: Der Papst glaubte an das Eingreifen himmlischer Mächte im Hier und Jetzt. So führte er seine Rettung aus einem reißenden Fluss, in den er als Kind gefallen war, unmittelbar auf die helfende Hand der Gottesmutter zurück.[8]
Auf dieses Milieu traf Katharina von Hohenzollern, als sie sich 1857 entschloss, endgültig nach Rom überzusiedeln. Das Rom dieser Tage war klein und überschaubar. Als der Geschichtsschreiber der Stadt, Ferdinand Gregorovius, 1852 zum ersten Mal an den Tiber kam, notierte er in seinem Tagebuch: «Rom ist so tief still, dass man hier in göttlicher Ruhe empfinden, denken und schaffen kann.»[9] Dieser Eindruck Gregorovius’ verwundert nicht, denn die Stadt hatte damals gerade einmal 180.000 Einwohner.[10] Davon waren rund 7500 Geistliche und Nonnen. Eine allgemeine Schulpflicht existierte nicht; die Elementarschulen erreichten immerhin, dass ein Drittel der Bevölkerung lesen und schreiben konnte. Von den gut vierzehn Quadratkilometern Stadtfläche, die innerhalb der vierundzwanzig Kilometer langen antiken Stadtmauer lagen, war gerade ein gutes Drittel bebaut. Die übrige Fläche wurde landwirtschaftlich genutzt – so diente etwa das Forum Romanum als Viehweide. Es gab insgesamt 14.700 Gebäude, in denen 39.000 Familien lebten, die zu vierundfünfzig Pfarreien gehörten. Erst 1854 wurde eine Gasbeleuchtung in den Straßen installiert, ein Eisenbahnanschluss fehlte. Der wirtschaftliche Aufschwung und die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts waren an der Stadt und dem Kirchenstaat, in dem damals auf 42.000 Quadratkilometern rund 3,2 Millionen Menschen lebten, vorbeigegangen.
Die Einkommensunterschiede waren immens. So verdiente ein hoher Prälat an der Kurie im Jahr knapp 2000 Scudi, eine bürgerliche Familie mit sechs Personen brauchte zum Leben in der Stadt jährlich etwa 650 Scudi, eine gleich große Bauernfamilie kam mit 250 Scudi aus. Ein Landarbeiter verdiente im Jahr 72 Scudi, ein Hirtenjunge kam auf 32 Scudi.
Bereits die erste Begegnung mit Rom im Jahr 1834 wurde für Katharina zu einem tiefgreifenden Einschnitt.[11] Sie war am 19. Januar 1817 als Tochter des Fürsten Karl Albrecht III. zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst und seiner zweiten Ehefrau Leopoldine zu Fürstenberg in Stuttgart geboren und katholisch getauft worden.[12] Nachdem die Eltern sich bereits wenige Jahre nach ihrer Geburt auseinandergelebt hatten und der Vater sich auf seine hohenlohischen Besitztümer zurückgezogen hatte, wuchs die Prinzessin überwiegend in Donaueschingen bei ihrer Mutter und den fürstenbergischen Verwandten auf. Ihre streng kirchlich orientierten Biographen sprechen mit tiefem Bedauern von einer sehr liberalen Erziehung, die sie im äußerst freisinnigen Baden genossen habe, und beklagen, dass sie ihre ganze Kindheit und Jugend über «ohne eigentlich religiöse Führung» geblieben sei.[13]
Als 1848 dieses Gemälde entstand, heiratete Katharina im Alter von einunddreißig Jahren den Fürsten Carl von Hohenzollern-Sigmaringen.
Als die Siebzehnjährige 1834 mit ihrer Mutter nach Rom reiste, kam es zu einem Damaskuserlebnis. In der Stadt des Papstes bekehrte sich Katharina zum katholischen Glauben in seiner strengkirchlichen Spielart, aus der freisinnigen jungen Dame wurde eine fromme katholische Adelige. Entscheidenden Anteil an dieser Wende hatte Karl August Graf von Reisach.[14] Reisach, geboren am 6. Juli 1800, stammte wie Katharina von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst aus dem schwäbisch-fränkischen Adel und hatte eine schwierige Kindheit und Jugend hinter sich. Sein Vater, von ständiger finanzieller Not bedrängt und wegen Veruntreuung von Geldern angeklagt, hatte sich 1820 durch Selbstmord der Verantwortung entzogen. Dies muss eine einschneidende Erfahrung im Leben des jungen Grafen gewesen sein. Als sich nach dem Studium der Rechte seine Hoffnungen auf eine Professur in Landshut zerschlugen und Heiratspläne im Sande verliefen, suchte Reisach nach Orientierung und Halt. Er geriet unter den Einfluss von Clemens Maria Hofbauer,[15] einem vom Protestantismus zum Katholizismus konvertierten Redemptoristenpater, und des Göttinger Staatsrechtsprofessors Adam Müller,[16] der ein romantisches ständisches Gesellschaftsmodell mit dem Papst an der Spitze vertrat. Rom wurde für Reisach zum Ziel und Haltepunkt in den Unsicherheiten seines Lebens. Er entschloss sich, Priester zu werden und Theologie an dem einzigen Ort zu studieren, an dem aus seiner Sicht rechtgläubig gelehrt wurde. Deshalb besuchte er im Oktober 1824 als erster Deutscher nach der Säkularisation das gerade von Leo XII. wiedereröffnete Collegio Romano, die spätere päpstliche Universität Gregoriana, und bezog das Collegium Germanicum, das Studienkonvikt für deutsche Priesteramtskandidaten in Rom.[17] Unter dem Einfluss der Jesuiten entwickelte sich Reisach zu einem Eiferer für Papst und Kirche. 1828 zum Priester geweiht und zum Doktor der Theologie promoviert, wurde er Rektor des Kollegs der Propaganda Fide, der Kongregation zur Verbreitung des Glaubens. Mit deren Präfekten, Kardinal Mauro Cappellari, verband ihn eine besonders enge und vertrauensvolle Beziehung. Beide waren sich in einer strikt restaurativen Ausrichtung der Kirche und einer Ablehnung aller Reformen einig, die Reisach als «fein gesponnenes Komplott der freizügigen Theologen mit den Philosophen zum Zweck der Abschaffung der katholischen Kirche» ansah.[18] Nachdem Cappellari als Gregor XVI. 1831 den Stuhl Petri bestiegen hatte, wurde Reisach sein engster Mitarbeiter bei der Bekämpfung aller Kirchenreformer, insbesondere im deutschen Südwesten, aus dem Katharina kam.
Katharina muss von dem jungen Geistlichen fasziniert gewesen sein. Jedenfalls wurde Reisach umgehend ihr Beichtvater und Seelenführer. Damit gewann er einen entscheidenden Einfluss auf ihr künftiges Leben. Denn die Prinzessin verpflichtete sich nicht nur, ihm im Sakrament der Beichte ihr Innerstes zu offenbaren, sondern sollte sich fürderhin in allen Lebensfragen mit der Bitte um Rat und Weisung an ihn wenden. Tatsächlich entwickelte sich zwischen dem Seelenführer und seinem Beichtkind ein intensiver Briefwechsel. In ihrem jugendlichen Überschwang wollte Katharina Reisach im Kampf für die Kirche nachfolgen und äußerte den Wunsch, in ein römisches Dominikanerinnenkloster einzutreten. Dem scheint sich Reisach jedoch entgegengestellt zu haben. Er sah darin wohl eher die jugendliche Schwärmerei einer Siebzehnjährigen denn eine reife religiöse Entscheidung. Sie sollte – wie es sich für eine junge Adelige ihres Standes gehörte – erst einmal ihre Pflicht als Ehefrau und Mutter tun.[19]
Und tatsächlich legte Katharina von Hohenlohe statt des Ordenskleides zunächst das Brautkleid an. Sie hatte sich, wie ihre Nichte Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe[20] schreibt, «leidenschaftlich in einen Grafen Ingelheim verliebt, von dem meine Großeltern nichts wissen wollten, denn man hielt den übrigens sehr liebenswürdigen jungen Mann für schwindsüchtig. Tante Katharine setzte sich darüber hinweg und heiratete ihn trotz aller Widerstände.»[21] Das war 1838. Graf Erwin von Ingelheim[22] verstarb dann wirklich bereits 1845. Die Ehe blieb kinderlos. Drei Jahre später trat Katharina noch einmal in den heiligen Stand der Ehe; diesmal war es vermutlich eine Vernunftehe. Sie heiratete nämlich 1848 den vierunddreißig Jahre älteren Fürsten Karl von Hohenzollern-Sigmaringen,[23] der in erster Ehe mit Antoinette Murat, einer Nichte des Schwagers von Napoleon Bonaparte, liiert gewesen war. Fürst Karl brachte mehrere Stiefkinder in die Ehe, die fast alle älter waren als seine zweite Frau. Doch auch diese Ehe währte nicht lange. Auf einer Reise durch Norditalien erkrankte der Fürst an Typhus und starb am 11. März 1853 in Bologna. Nach nur fünf Ehejahren war die inzwischen sechsunddreißigjährige Katharina zum zweiten Mal Witwe. Sie erhielt von der Familie ihres Mannes das Gut im böhmischen Bistritz als Witwensitz und eine jährliche Pension von zunächst 12.000 und dann 15.000 Rheinischen Gulden, ferner eine Einmalzahlung von 100.000 Gulden, die sie zum Aufbau eines Kapitalstockes für eine Stiftung verwendete, aus der sie später die Gründung eines Klosters finanzieren wollte.[24]
Zunächst erfüllte sie sich jedoch ihren bereits 1834 in Rom geäußerten Herzenswunsch und wurde Ordensfrau. Katharina trat am 18. Dezember 1853 im elsässischen Kintzheim in ein Haus der Gesellschaft der «Dames du Sacré-Cœur» ein. Die Frauen des Herzens Jesu erinnern in Vielem an die Englischen Fräulein. Auch bei ihnen handelte es sich um eine Kongregation, die sich vor allem der Mädchenbildung verschrieben hatte und dabei von einem jesuitischen Konzept der Pädagogik inspiriert war. Mitunter wurden sie deshalb sogar als «Jesuitinnen» bezeichnet.[25] Am 11. März des folgenden Jahres wurde Katharina dort als Novizin eingekleidet. Allerdings zeigte sich bald, dass die Fürstin den Strapazen des Schuldienstes weder körperlich noch psychisch gewachsen war. Auf diese Überforderung und das Scheitern ihres Traums vom Klosterleben reagierte sie mit Krankheit; medizinische Anwendungen und Kuraufenthalte brachten keine Linderung. War diese Reaktion ein für die Fürstin typisches Verhaltensmuster im Angesicht des Scheiterns? Spräche dann nicht Vieles dafür, dass sie wenige Jahre später die Giftanschläge in dem römischen Kloster ebenfalls vortäuschte, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass sie als Ordensfrau erneut gescheitert und deswegen wieder schwer erkrankt war?
Jedenfalls legte ihr nach Rücksprache mit den behandelnden Ärzten ihr Seelenführer Reisach, der 1836 Bischof von Eichstätt und 1846 Erzbischof von München und Freising geworden war, nahe, umgehend aus dem Kloster im Elsass auszutreten. Viele Frauen waren im 19. Jahrhundert, im sogenannten weiblichen Ordensfrühling, Kongregationen und religiösen Orden beigetreten, um als Lehrerinnen oder Krankenschwestern Berufe zu ergreifen, die ihnen sonst verwehrt waren. Für Katharina war dies offenbar nicht der richtige Weg. Der Erzbischof hielt sie «nicht für das Erziehungsfach veranlagt und vorgebildet»; für eine «kränkliche und von schweren Lebensprüfungen doppelt gebeugte Witwe» war dieser Schulorden nach seiner Ansicht schlicht ungeeignet.[26] Worin die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Fürstin genau bestanden, wird aus den Quellen nicht ganz deutlich. Ihr Biograph Karl Theodor Zingeler spricht in seinem 1912 erschienenen Lebensbild von «Wassersucht», einer abnormen Ansammlung von Körperflüssigkeit, unter der die korpulente Katharina Zeit ihres Lebens zu leiden hatte.[27]
Katharina trat – den Ratschlägen Reisachs folgend – im November 1855 aus dem Kloster der Herz-Jesu-Damen in Kintzheim aus und verbrachte den Winter in Kupferzell und Baden-Baden. Danach kehrte sie nach Bistritz, ihrem Witwensitz, zurück. Im Sommer zwang sie ihr Leiden, das Kloster Lichtenthal bei Baden-Baden aufzusuchen. Nachdem sich nach gut einem Jahr ihr Gesundheitszustand halbwegs stabilisiert hatte, erinnerte sie sich an die Sätze, die Reisach ihr nach ihrem Austritt aus Kintzheim von Rom aus geschrieben hatte, wo er am 17. Dezember 1855 von Pius IX. zum Kurienkardinal ernannt worden war: «Kommen Sie in einigen Jahren nach Rom, wenn Ihre Gesundheit sich gekräftigt hat.»[28] Im Sommer 1857 siedelte die Fürstin daher in die Ewige Stadt über. Sie nahm Wohnung im Palazzo alle Quattro Fontane in unmittelbarer Nähe des Quirinalpalastes, der neben dem Vatikan eigentlichen Stadtresidenz des Papstes.[29]
Im Vergleich zu ihrem ersten Rombesuch 1834 hatte sich die Situation, was deutsche Ansprechpartner an der Kurie anging, grundsätzlich verändert. Zahlreiche Priesteramtskandidaten aus Deutschland zogen zum Studium der Theologie nach Rom ans Collegium Germanicum. In den Büros des Vatikans gab es immer mehr deutschsprachige Mitarbeiter. Und vor allem: Seit 1846 befand sich ein enger Verwandter Katharinas in der unmittelbaren Entourage Pius’ IX.: Gustav Adolf zu Hohenlohe-Schillingsfürst.[30] Am 26. Februar 1823 geboren, stammte er aus einer gemischt-konfessionellen Ehe. Sein Vater Fürst Franz Joseph war katholisch, die Mutter Constanze Prinzessin zu Hohenlohe-Langenburg dagegen evangelisch. Wie im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 vorgeschrieben, erhielten die Töchter die Konfession der Mutter, während die vier Söhne – unter ihnen der spätere Reichskanzler Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst[31] – der Konfession des Vaters folgten. Trotz einer liberalen Erziehung schlug Gustav Adolf unter dem Einfluss des Breslauer Fürstbischofs Melchior von Diepenbrock[32] die geistliche Laufbahn ein. Zunächst studierte er in Breslau und München katholische Theologie. Die Begegnung mit dem Münchener Kirchenhistoriker Ignaz von Döllinger[33] scheint ihn dabei entscheidend geprägt zu haben. Gustav beschloss, seine geistliche Laufbahn standesgemäß an der Römischen Kurie zu beginnen, was bei seiner evangelischen Mutter auf heftige Ablehnung stieß. Sie befürchtete, ihr Sohn könnte von den dort dominierenden Jesuiten verdorben werden. Offenbar konnte sein Bruder Chlodwig die Mutter beruhigen: Ein Aufenthalt in Rom müsse Gustav nicht automatisch zu einem Jesuiten machen. Und tatsächlich gelang es diesem, sich dem Werben der Gesellschaft Jesu zu entziehen. Die offenere, irenische Prägung, die er in Breslau und München erhalten hatte, setzte sich durch.
Hohenlohe machte an der Römischen Kurie rasch Karriere: 1847 trat er in die Accademia dei Nobili ein, die Ausbildungsstätte für kuriale Führungskräfte und angehende päpstliche Diplomaten, 1848 begleitete er Pius IX. auf seiner Flucht nach Gaeta. Dort erhielt er 1849 die Priesterweihe, und es gelang ihm, eine freundschaftliche Beziehung zu Pius IX. aufzubauen. Der Papst, der «ihn persönlich liebte und ihn zu seinem liebsten Begleiter hatte», gab damals viel auf seine Meinung.[34] Hohenlohe bekleidete die Funktion eines wirklichen Geheimkämmerers und hatte als Mitglied des päpstlichen Haushalts unmittelbaren Zugang zu Pius IX. Als Katharina 1857 nach Rom kam, konnte sie an der Bischofsweihe ihres Cousins in der Sixtinischen Kapelle teilnehmen. Hohenlohe stieg zum Titularerzbischof von Edessa auf. Er hatte als Großalmosenier den Almosenfonds des Papstes zu verwalten und dessen sozialkaritatives Engagement zu koordinieren.
Katharina blieb jedoch ihrem langjährigen Seelenführer und Beichtvater Kardinal Reisach treu und zog Hohenlohe als geistlichen Begleiter nicht in Erwägung. Damit entschied sie sich zugleich für eine bestimmte theologische und kirchenpolitische Richtung, ohne dass ihr die Feinheiten der Konzepte, für die Hohenlohe und Reisach standen, bewusst gewesen sein dürften.
Wer von den beiden geistlichen Herren für die deutsche Prinzessin den Kontakt zum Papst herstellte, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Jedenfalls war Katharina vom Charme und der Liebenswürdigkeit Pius’ IX. fasziniert. Immer wieder lud sie der Papst ein und empfing sie privat. Pius IX. schmeichelte natürlich auch die Tatsache, dass Katharina eine enge Verwandte des evangelischen preußischen Königs war, und hoffte, über sie auf die Kirchenpolitik Berlins Einfluss nehmen zu können.
In einer Privataudienz soll der Papst angesichts ihres beachtlichen Körperumfangs über ihre äußerst stattliche Erscheinung gescherzt haben.[35] Nicht umsonst nannten die Italiener die Fürstin spöttisch eine «Matrone». Von ihrer «erschreckenden Fülle» berichtet auch ihre Nichte Marie von Thurn und Taxis. Sie beschrieb ihre Tante als eine «sonderbare, einnehmende und ehrfurchtgebietende Gestalt», die «groß und sehr dick» dahergekommen sei. Ihr rosiges Gesicht sei «breit und aufgedunsen» gewesen, habe aber dennoch «Spuren von großer Schönheit» bewahrt und ihr einen «heiteren und hoheitsvollen» Ausdruck verliehen. «Hellblaue, weit geöffnete Augen schauten einen voll an; aus ihnen sprachen ein lebhafter, rascher Verstand, absolute Rechtlichkeit und ein gebieterischer, leidenschaftlicher Wille. … Dichte blonde Augenbrauen, die Nase gerade und schön geformt, der kleine Mund, der so sanft lächeln konnte, zeigte kleine, regelmäßige und weiße Zähne, die Wangen freundliche Grübchen … Sie sprach stark schwäbisch, in einem drolligen, singenden Tonfall. Zu diesem imponierenden Körper gehörte eine sehr hohe, sehr sanfte, geradezu kindliche Stimme.» Auf ihre Nichte wirkte die Tante als eine «souveräne Frau von glühender Frömmigkeit, die nicht davor zurückgeschreckt wäre, für ihr gutes Recht das Schwert zu ziehen».[36]
Mit ihrem Seelenführer Kardinal Reisach nahm Katharina sofort nach ihrer Ankunft in Rom die Suche nach einem geeigneten Kloster auf. Den ersten Vorschlag scheint der Papst selbst gemacht zu haben. Er wies Katharina auf die Visitantinnen hin.[37] Im Zentrum von deren Frömmigkeit stand die Verehrung des Heiligsten Herzens Jesu – ein Kult, der im 19. Jahrhundert nach einem Rückgang während der Aufklärungszeit eine neue Blüte erlebte. Insbesondere Pius IX. förderte die Herz-Jesu-Verehrung und machte sie zum Fanal seines Kreuzzuges gegen die Moderne. Der Herz-Jesu-Kult wurde zum Zeichen des Rückzugs der Katholiken ins Innere, ins Ghetto, in die Gegengesellschaft des katholischen Milieus, und zum «Identifikationssymbol für die zeitgenössische Leidenserfahrung der Katholiken» als Verlierer in den Modernisierungsprozessen der Neuzeit.[38] Während die moderne Naturwissenschaft das Gehirn zum wichtigsten Organ des Menschen erklärte, hielten die Katholiken am Herzen «als Zentralorgan des leiblichen und als Träger des sittlichen Lebens» fest.[39]
Dringend notwendige Umbaumaßnahmen an den gerade erworbenen Klostergebäuden machten jedoch die Aufnahme der Fürstin in den Konvent der Visitantinnen unmöglich. Deshalb konnte nun Reisach Katharinas Interesse auf das Kloster lenken, das er von Anfang an im Blick gehabt haben dürfte: Sant’Ambrogio della Massima. Hierbei handelte es sich um ein Klausurkloster des «strengsten Ordens» überhaupt, weshalb Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe die dortigen Nonnen als «sepolte vive», als lebendig begraben bezeichnete.[40] Reisachs Vorschlag überrascht, hatte er doch schon die wesentlich weniger strengen Rahmenbedingungen klösterlichen Lebens im elsässischen Kintzheim als zu belastend für die gesundheitlich angeschlagene und von schweren Schicksalsschlägen gebeutelte Fürstin angesehen. Man hätte eher erwartet, dass er ihr ein adeliges Damenstift als geistliches Refugium vorgeschlagen hätte.
Der Kardinal vermittelte Katharina aber den Eindruck, dass in dieser Gemeinschaft die Art von Frömmigkeit und strenger klösterlicher Disziplin herrschte, die er als ideal für sein Beichtkind ansah. Und tatsächlich zog sich Katharina zu Ostern 1858 zu einer «Retraite» in diesen Franziskanerinnen-Konvent zurück. Ihre ersten Eindrücke während dieses «Klosters auf Zeit» waren überaus positiv. Sie glaubte, «hier die Stätte klösterlichen Friedens und heiliger Ordnung» gefunden zu haben und war überzeugt, «am Ziel ihrer heißen Sehnsucht für das Ordensleben zu sein». Um sich noch gründlicher zu prüfen, ob hier wirklich der Ort der lang ersehnten «ungestörten Vereinigung mit dem Seelenbräutigam» Jesus Christus sein könnte, bat die Fürstin darum, noch länger zur Probe in Sant’Ambrogio bleiben zu dürfen, ohne schon formal den Aufnahmeprozess einleiten und klösterliche Tracht tragen zu müssen.[41] Trotz manch warnender Stimme, insbesondere aus dem Umfeld ihres Cousins Erzbischof Hohenlohe, der bezweifelte, dass die kränkliche Fürstin es in dem «strengen Kloster aushalten» werde, blieb die Fürstin mehrere weitere Monate in weltlicher Kleidung im Kloster.[42]
Während dieser Zeit vermittelte Reisach ihr auch einen neuen Beichtvater, da er selbst wegen seiner vielfältigen Aufgaben offenbar nicht die Zeit hatte, sich weiter intensiv um Katharina zu kümmern. Er blieb zwar ihr eigentlicher Seelenführer, überließ aber das Alltagsgeschäft und die regelmäßige Beichte einem ihm sehr gut bekannten Jesuiten: dem siebenundvierzigjährigen Pater Giuseppe Peters. Dieser war seit einigen Jahren ohnehin aushilfsweise als Beichtvater in Sant’Ambrogio tätig, um den Geistlichen Direktor des Klosters, seinen Ordensbruder Giuseppe Leziroli zu entlasten, der mit seinen dreiundsechzig Jahren gesundheitlich angeschlagen war. Damit war die Kontinuität der jesuitischen Seelenführung der Fürstin gesichert.
Diese Probezeit lobte Katharina in ihren Erlebnissen rückblickend in den höchsten Tönen: «Das Klosterleben … ließ nichts zu wünschen übrig und erschien musterhaft.» Die Regel wurde exakt eingehalten, Arbeit und Gebet hielten sich die Waage, die Gebetszeiten des Chorgebetes begannen schon um vier Uhr am Morgen, die Klausur war streng. Zudem war – wie die Fürstin schreibt – Sant’Ambrogio auch architektonisch bestens eingerichtet, sodass «kaum ein Geräusch von der Stadt, in deren Mitte es lag, in diese stille, für sich bestehende Welt hineinzudringen vermochte». Besonders überzeugte sie die franziskanische Armut und Einfachheit. Gartenarbeit und «kunstvolle Stickereien für den Kirchschmuck» bildeten die finanzielle Grundlage. Die Abschottung der Nonnen von der Welt war vollkommen, auch der Priester, der die Kommunion spendete oder die Beichte hörte, durfte die Klausur nicht betreten. Beide blieben – wie es sich für ein strenges Klausurkloster gehörte – durch ein Eisengitter voneinander getrennt.[43]
Auch mit den «Personen, welche diesem stillen, wohlgeordneten, der Welt unbekannten Gemeinwesen vorstanden und es leiteten», war die Fürstin mehr als zufrieden. Insbesondere die Äbtissin Schwester Maria Veronica flößte ihr als «schönes Vorbild in Beobachtung der Heiligen Regel und als Frau von sanftem stillen Charakter» von Anfang an großes Vertrauen ein. Es war leicht, «ihr kindlich zu gehorchen», und Katharina fühlte sich «herzlich zu ihr hingezogen». Noch stärker aber faszinierte sie die Novizenmeisterin und Stellvertreterin der Äbtissin, die Madre Vicaria Schwester Maria Luisa vom heiligen Franz Xaver. «Diese noch junge Nonne (sie war erst siebenundzwanzig Jahre alt) besaß bei auffallender körperlicher Schönheit und Anmut eine so gewinnende Liebenswürdigkeit, dass sich alle Herzen bald von ihr angezogen fühlten.» Auch die Fürstin ließ sich gerne überwältigen vom «Zauber der Lieblichkeit, die ihr Wesen zeigte»; sie war wahrlich «entzückt von der liebenswürdigen Nonne».[44]
Katharina stellte allerdings deutliche Mentalitäts- und Bildungsunterschiede zwischen ihr, der deutschen Hochadeligen, und ihren meist aus einfacheren Verhältnissen stammenden italienischen Mitschwestern fest.[45] Diese waren eben «Leute ohne Welt- und Menschenkenntnis», denen «jede feinere Bildung und auch das, was die einfachste Schulbildung an Kenntnissen gewährt», vollständig abgingen. So hatten sie – wie sich die Fürstin erinnert – nie zuvor in ihrem Leben eine Zahnbürste[46] gesehen. Nach einer damals weit verbreiteten Vorstellung versuchten der Teufel und böse Geister, durch alle Körperöffnungen in den Menschen einzudringen und ihn dadurch zu beherrschen. Die Nonnen waren ratlos, ob die Zahnbürste ein gefährliches Werkzeug des Teufels war und ob Katharina dieses Ding weiter benutzen dürfe. Nach Rücksprache mit der Äbtissin und den Beichtvätern wurde der Fürstin schließlich der Gebrauch der Zahnbürste als religiös ungefährlich erlaubt. Auch Baumwolle,[47] die Katharina für ihre Handarbeiten mitbrachte, war ihren römischen Mitschwestern völlig unbekannt. Sie glaubten ernsthaft, wie sie Katharina mehrfach versicherten, «auf den Köpfen der Deutschen wüchse solches Zeug».[48] Die Fürstin interpretierte diese kulturellen Defizite jedoch positiv als «sancta simplicitas». Und heilige Einfalt stand schließlich demütigen Nonnen im Allgemeinen und den Töchtern des Poverello, des heiligen Franziskus von Assisi, im Besonderen gut zu Gesicht.
Nach einem knappen halben Jahr der Prüfung und Probe stand der Entschluss Katharinas von Hohenzollern-Sigmaringen fest. Sie glaubte sich am Ziel «ihrer heißen Sehnsucht für das Ordensleben».[49] Am 29. September 1858 wurde sie, nachdem sie wie üblich eine Mitgift hinterlegt hatte, feierlich eingekleidet.[50] Kardinal Costantino Patrizi nahm den liturgischen Akt vor, und Kardinal Reisach «hielt auf den Anlass eine Ansprache über die Flucht aus der Welt».[51] Damit war die Fürstin Angehörige des Klosters der regulierten Franziskanerinnen vom Dritten Orden geworden, und ihr Noviziat begann offiziell.[52] Katharina war nun der Hoheit der Äbtissin und vor allem der Novizenmeisterin als ihrer unmittelbaren Vorgesetzten unterworfen und hatte deren Weisungen im absoluten Gehorsam zu folgen.
Als die Fürstin ins Kloster eintrat, gehörten zum Konvent gut drei Dutzend Nonnen.[53] Die meisten von ihnen stammten aus Rom selbst oder aus Latium. Einige wenige kamen auch aus anderen Teilen des Kirchenstaates. Katharina war die einzige Ausländerin in Sant’Ambrogio. Auch im Hinblick auf ihre soziale Herkunft bildete die Fürstin eine Ausnahme. Der deutschen Adeligen standen Frauen gegenüber, die überwiegend aus einer bürgerlichen Schicht stammten; die meisten Familien konnten die nicht unbeträchtliche Mitgift für ihre Töchter immerhin selbst aufbringen. Alle Schwestern konnten lesen und schreiben, eine war die Schwester eines Anwalts, eine andere die Tochter eines Chirurgen, wenigstens eine beherrschte mit Französisch eine Fremdsprache. Was das Alter ihrer Mitschwestern angeht, traf die damals einundvierzigjährige Katharina im Kloster auf drei Gruppen: Da war zunächst eine Handvoll Schwestern, die am Beginn ihres siebten Lebensjahrzehnts standen und bereits seit der Gründung zum Kloster gehörten. Dazu kam rund ein Dutzend Schwestern um die vierzig Jahre. Maßgeblich bestimmt wurde das Leben in Sant’Ambrogio jedoch durch die vielen jungen Schwestern. Etwa zwanzig Nonnen waren erst zwanzig Jahre alt oder sogar noch jünger; ihr Eintritt ging zumeist auf die erfolgreiche Anwerbung durch die Novizenmeisterin Maria Luisa zurück.
Doch die Idylle von Sant’Ambrogio erwies sich als trügerisch. Für Katharina muss das Paradiesgärtlein hinter Klostermauern schnell zur Hölle auf Erden geworden sein. Anders lässt sich ihr flehentlicher Schrei um Hilfe, das «Rette, rette mich!», das sie am 25. Juli 1859 ihrem Cousin Hohenlohe entgegenrief, nicht verstehen. Um ihn in Sant’Ambrogio überhaupt treffen zu können, war die Fürstin ein hohes Risiko eingegangen: Sie hatte nämlich ohne Wissen ihrer klösterlichen Vorgesetzten und gegen alle Vorschrift einen Brief aus der Klausur herausschmuggeln und zum Vatikan bringen lassen. Von dem «kindlichen Gehorsam» der Äbtissin gegenüber scheint nach nur einem Jahr nichts übrig geblieben zu sein.
Was war in den zehn Monaten vom September 1858 bis Juli 1859 hinter den Mauern von Sant’Ambrogio passiert? Der Erzbischof wurde aus den Äußerungen seiner Cousine, als er sie am 25. Juli im Kloster persönlich traf, nicht recht klug. Er glaubte, sie sei geistig verwirrt und rede irre – jedenfalls gab Katharina in ihren Erlebnissen seine Reaktion so wieder.[5455