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Über den Autor

Martin Krieger lehrt an der Universität Greifswald Geschichte der Neuzeit. Die Schwerpunkte seiner Forschung und publizistischen Tätigkeit liegen in der nordeuropäischen Geschichte, in der Kulturgeschichte und in der Geschichte der kolonialen Expansion.

Zum Buch

Die Stadt Hamburg entwickelte sich seit dem frühen Mittelalter aus einer kleinen Niederlassung am Rande der damals bekannten Welt zur führenden Handelsmetropole Norddeutschlands, später zu einem bedeutenden Industriestandort und schließlich zu einem eigenen Bundesland. Martin Krieger bietet eine knappe Einführung zur Geschichte der Stadt/des Bundeslandes und nähert sich der Vergangenheit der Elbmetropole in einer ganzheitlichen Perspektive. Ein Überblick für alle, die sich über Hamburg und seine Geschichte kurz und präzise informieren wollen.

Martin Krieger

GESCHICHTE
HAMBURGS

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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1. Einleitung

Im Gegensatz zu den meisten heutigen Bundesländern stellte Hamburg schon Jahrhunderte vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland eine eigenständige, historisch gewachsene Einheit dar. Obwohl es bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts umstritten war, ob Hamburg eine direkt dem Kaiser unterstehende Reichsstadt oder lediglich eine holsteinische Landstadt war, bildete sich schon früh eine eigene hamburgische Identität heraus, mit der sich der Hamburger kulturell und politisch von den benachbarten Territorien abgrenzte. Der Hanseat der Elbmetropole avancierte regelrecht zum Synonym für Geschäftstüchtigkeit, Kosmopolitismus und soziales Engagement.

Die günstige geographische Lage an der Schnittstelle zwischen dem weiten mittelosteuropäischen Hinterland und dem atlantischen Handelsraum beförderte nicht nur den Aufstieg von Handel und Gewerbe, sondern auch ein unvergleichliches Bevölkerungswachstum und die Entstehung von Kommunikationsstrukturen, die Hamburg seit dem Mittelalter zu einem Einfallstor für fremde kulturelle Einflüsse machten. Dennoch war die Stadt keine gesellschaftliche Idylle, wie landläufige Vorstellungen gern glauben machen wollen. So prägten auch scharfe soziale Gegensätze, Massenarmut, Hunger, Not und Krankheit das Bild der Stadt zwischen ihrer erstmaligen Zerstörung durch eine Wikingerflotte im 9. Jahrhundert und dem Feuersturm des Zweiten Weltkrieges.

Viele Jahrhunderte lang machte das Stadtgebiet kaum mehr als das von den heutigen Wallanlagen umschlossene Gelände aus, umgeben von einigen – teilweise gemeinsam mit Lübeck verwalteten – Landgemeinden. Erst im Zuge der Industrialisierung und mit dem Ausbau des Hafens wuchs Hamburg zu einer Großstadt heran. Mehrere heutige Stadtteile waren bis ins 20. Jahrhundert hinein eigenständige Orte, wie Altona und Wandsbek, die ursprünglich zu Holstein gehörten, oder wie das südlich der Elbe gelegene, erst hannoversche, dann preußische Harburg-Wilhelmsburg. Auch wenn diese Orte erst vor rund einem dreiviertel Jahrhundert in das Hamburger Stadtgebiet integriert wurden, bildete sich zwischen ihnen und der Elbmetropole bereits in der Frühen Neuzeit eine oft wechselvolle politische, ökonomische und kulturelle Interdependenz heraus.

Schon seit Jahrhunderten machen sich die Hamburger in vielfacher Weise Gedanken über das Wesen ihrer Stadt, über deren Vergangenheit sowie den Zusammenhalt ihres oftmals fragilen Gemeinwesens. Nicht nur in der Studierstube, sondern in der breiten Öffentlichkeit wollten die städtischen Eliten seit dem beginnenden 18. Jahrhundert patriotische Gefühle und einen Sinn für die eigene Geschichte wecken, um auf diese Weise gesellschaftliche Integration zu stiften – in der Realität aber ein nur schwer umsetzbares Ziel. Symbolisch für diesen Versuch einer ganzheitlichen Betrachtung der Stadt als organisch gewachsene Einheit steht ein Modell Hamburgs, welches 1726 im Opernhaus am Gänsemarkt aufgebaut worden war und dort für einen erheblichen Menschenandrang sorgte. So schrieb die zeitgenössische Moralische Wochenschrift «Der Patriot»: «Wie viele haben nicht noch kürtzlich […] unser Opern-Haus besucht, weil Hamburg auf einer Maschine darin vorgestellet worden, das vielleicht der grösseste Theil derselben vorher niemahls in seiner natürlichen Lage recht angesehen!»[1] Das Modell sollte dem Betrachter also die räumliche Einheit der Stadt als Bezugspunkt vor Augen führen, den Einzelnen aus seinem näheren sozialen Umfeld, etwa dem Kirchspiel, dem Amt oder der Kaufmannsstube, mental hinausführen und ihm die Möglichkeiten für seinen eigenen kleinen Beitrag zur Erhaltung dieses Kosmos «Stadt» aufzeigen.

Seit derselben Zeit entstand eine umfangreiche und vielfältige wissenschaftliche Forschung über die Vergangenheit der Elbmetropole. Für die Beleuchtung der politischen und der Verwaltungsgeschichte Hamburgs ist immer noch Johann Klefekers «Sammlung der Hamburgischen Gesetze und Verfassungen» aus den Jahren 1765–1773 unersetzlich. Sie bietet einen umfassenden Überblick über die vom Hamburger Rat bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts erlassenen Verordnungen. Der eigentliche Begründer der historisch-kritischen Erforschung Hamburgs war jedoch Johann Martin Lappenberg (1794–1865), der um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein umfangreiches Oeuvre zur Lokalgeschichte der Elbmetropole von der politischen Entwicklung bis zum kulturellen Schaffen vorlegte. Die darauffolgenden Jahrzehnte brachten eine Reihe von Gesamtdarstellungen unterschiedlicher Qualität hervor, wie etwa die Arbeiten von Gustav Gallois oder Carl Mönckeberg. Aus dieser Zeit stammt auch die Konstruktion eines recht einseitigen Bildes vom vermeintlich egalitären und geradezu demokratischen Hamburg in der Vergangenheit, wie es in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem von dem herausragenden Hamburger Historiker Percy Ernst Schramm (1894–1970) gepflegt wurde. Jüngere Forschungen stellen die auf diese Weise konstruierte, vermeintliche soziale Idylle der Elbmetropole mittlerweile gründlich in Frage und weisen auf fehlende gesellschaftliche Mobilität, Massenarmut und mangelnde politische Partizipation zwischen dem Mittelalter und dem 20. Jahrhundert hin.

2. Wik und Hammaburg

Die Landschaften Norddeutschlands sind zum großen Teil durch die Kräfte der Eiszeiten geprägt, deren letzte – die Weichsel-Eiszeit – vor etwa zehntausend Jahren zu Ende ging. Das Vorrücken und anschließende Abschmelzen der Gletscher, die große Geröllmengen aus dem skandinavischen Raum mit sich führten, brachte die charakteristischen Grund- und Endmoränen hervor; das Schmelzwasser grub die Tunnel- und Urstromtäler, während sich im Vorfeld der Gletscher der im Schmelzwasser mitgeschwemmte Sand ablagerte und die Sanderflächen schuf. Neben den eiszeitlichen Moränen und Sanderflächen bildete sich mit der ebenen Marsch aber auch noch lange nach dem Ende der letzten Eiszeit eine weitere Geländeformation heraus. Alle drei Geländetypen finden wir auf engstem Raum auch im Bereich des heutigen Hamburger Stadtgebietes; ja, es war gerade diese landschaftliche Vielfalt, die die Entwicklung der Stadt begünstigte.

Bei der Betrachtung der Frühgeschichte Hamburgs ergänzen sich wie anderenorts auch archäologische und schriftliche Quellen. Für Hamburg ergibt sich das besondere Problem, daß durch die jahrhundertelange Bautätigkeit sowie durch die verheerenden Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges nur wenige archäologische Baudenkmäler aus früheren Jahrhunderten existieren; zudem fiel auch ein Großteil der städtischen Archivbestände 1842 und noch einmal 1943 den Flammen zum Opfer. Dennoch läßt sich heute anhand jahrzehntelanger intensiver stadtgeschichtlicher Forschungen ein mehr oder weniger klares Bild von der Frühzeit und dem mittelalterlichen Hamburg entwerfen. Besonders ergiebig waren in diesem Zusammenhang die archäologischen Untersuchungen im Zuge des Wiederaufbaus der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Anfänge Hamburgs sind im Kontext der Herausbildung von Fernhandelsplätzen im niedersächsischen Raum zu sehen –den sogenannten Wiken. Diese sind für die Zeit seit etwa 800 n. Chr. sowohl im nordwestdeutschen Marschgebiet als auch im Binnenland archäologisch nachweisbar und unterschieden sich in ihrer Funktion als oft nur saisonal bewohnte Handelsniederlassungen deutlich von den umliegenden, landwirtschaftlich geprägten Siedlungen. Beispiele für frühe Wike mit kaufmännischer und handwerklicher Bevölkerung im nordwestdeutschen Raum sind unter anderem Emden, Groothusen und Grimersum in Krummhörn an der Emsmündung, Nesse bei Dornum, Langwarden in Butjadingen, Haithabu im dänisch-schleswigschen Raum und eben auch das frühe Hamburg. Ein besonderes Charakteristikum der meisten, in der Regel im 9. Jahrhundert noch unbefestigten Wike stellt ihre oft unmittelbare Nähe zu Burgen weltlicher oder geistlicher Herrscher dar. Diese boten mit ihren Befestigungsanlagen im Kriegsfall Schutz und lieferten gleichzeitig zahlungskräftige Konsumenten für die im Wik angebotenen Handelsprodukte – gute Voraussetzungen zur Herausbildung einer Markt- und Zentralfunktion des jeweiligen Ortes. Viele Wike waren wie auch Hamburg durch ihre Einstraßenlage gekennzeichnet; das heißt, die Kaufleute- und Handwerkerhäuser reihten sich wie an einer Schnur längs eines Fernhandelsweges auf und verfügten darüber hinaus oftmals über einen direkten Zugang zum Wasser – im alten Hamburg den 1877 zugeschütteten Reichenstraßenfleet.

Für die frühen Wike im nordwestdeutschen Raum, die als Umschlagplätze vom Land- zum Seehandel dienten, war der Zugang zu schiffbaren Gewässern von großer Bedeutung. Ebenso war trockener, fester Baugrund für die Errichtung der Siedlung erforderlich. Entsprechend entstanden jene meistens in Wassernähe auf Dünenzügen (Bremen) oder Geestvorsprüngen. Dabei ging es nicht allein darum, das Gewässer – meist den Fluß – als Handelsweg nutzbar zu machen, sondern diesen auch möglichst leicht in Querrichtung überschreiten zu können. Seit vor- und frühgeschichtlicher Zeit lag denn auch der geographische Mittelpunkt Hamburgs und seiner sächsischen Vorläufer an einem natürlich begünstigten Geländesporn am Zusammenfluß von Alster und Bille, der etwa 14 Meter über das umliegende Marschland aufragte und über jene Voraussetzungen verfügte. Hier bestand nicht nur eine Verbindung zum Wasser, sondern es existierte auch ein Landübergang über die Alster.

Die Bezeichnung Hamburg leitet sich von einer ersten Festungsanlage an dieser Stelle – der Hammaburg – ab. Der altsächsische Begriff ham bedeutet ungefähr «Ufergelände» oder «Marschland» und beschreibt genau die geographische Lage Hamburgs am Übergang der Geest zu den feuchten Niederungen von Elbe, Alster und Bille. Seit dem 13. Jahrhundert entwickelten sich aus dieser Bezeichnung die Namen Hammenburg und Hambueg als Vorläufer des heutigen Stadtnamens.

Neben der geographischen spielte auch die ethnische Situation mit den daraus resultierenden Kontakten und Konflikten eine herausragende Rolle bei der Entstehung der Wike. Das trifft in besonderem Maße auch auf das frühe Hamburg zu. So begegneten die im Frühen Mittelalter im norddeutschen Raum siedelnden Sachsen den seit dem 7. Jahrhundert von Osten her in Richtung Ostholstein einwandernden slawischen Stammesgruppen (Obotriten). Unruhen innerhalb der slawischen Bevölkerungsgruppen und deren Vorstöße in sächsisches Gebiet zogen auch immer wieder das junge Hamburg in Form von Überfällen und Plünderungen in Mitleidenschaft. Hinzu kamen seit dem 8. Jahrhundert die Expansion des Fränkischen Reiches in Richtung Elbe und die allmähliche Unterwerfung der Sachsen durch die Franken. Im Laufe des 9. Jahrhunderts erwuchs der Siedlung außerdem mit der Expansion der Dänen nach Süden sowie den Beutezügen der Wikinger ein weiterer Bedrohungsherd.

Bereits im 7. Jahrhundert n. Chr. hatte ein befestigtes sächsisches Dorf mit einer Doppelgrabenanlage in der Nähe des Alsterüberganges bestanden. Die slawischen Obotriten, die Karl den Großen bei seiner Expansion in Richtung Norden militärisch unterstützt hatten und denen er 804 Nordelbien als Siedlungsgebiet zur Grenzsicherung gegenüber den Dänen überließ, gründeten auf dem Gelände dieses Dorfes eine eigene Siedlung. Im Jahre 808 besiegten jedoch die Dänen die nordelbischen Obotriten und schalteten damit einen wichtigen Verbündeten Karls im Norden aus. Diese Entwicklung veranlaßte den Frankenherrscher, selbst die nördlich der Elbe gelegenen Gebiete zu besetzen und die Reichsgrenze von der Elbe an die Eider zu verlegen. So fiel auch die Gegend des heutigen Hamburg 811 unter die direkte Herrschaft der Karolinger.

Auf dem Gelände der zunächst sächsischen, dann obotritischen Siedlung oder in deren Nähe entstand vermutlich in den 820er Jahren eine in frühen päpstlichen Quellen als «Hammaburg» bezeichnete Festung zur Sicherung der karolingischen Herrschaft an der Elbe. Spätestens in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts existierte auf dem späteren Domgelände eine befestigte Siedlung. Ob diese allerdings mit der anfänglichen «Hammaburg» identisch ist, konnte archäologisch bislang nicht belegt werden. Wie archäologische Untersuchungen des Museums für Hamburgische Geschichte zwischen 1947 und 1957 sowie erneut in den 1980er Jahren zeigten, besaß die Anlage eine Grundfläche von einem Hektar und war von einem im Norden durch eine Palisade verstärkten Wall sowie einem Graben umgeben. Über die Bebauung im Inneren lassen sich kaum Aussagen machen. Die Hammaburg stellte aber zweifellos keine Burg in der modernen, landläufigen Vorstellung von einer mittelalterlichen Adelsburg dar. Statt dessen dürfte sie als befestigter Zentralort mit spezifischer gesellschaftlicher Schichtung und Arbeitsteilung stadtähnliche Funktionen wie Rechtsprechung, Handel und Gewerbe im sonst weitgehend städtelosen nordwestdeutschen Gebiet wahrgenommen haben. Nach kanonischem Recht hatte auch ein Bischof in einer Stadt zu residieren – und so dürfte die Hammaburg allein aus kirchenrechtlichen Gründen bald schon nominell zur Stadt avanciert sein.

Südlich und westlich der Hammaburg entstand in dieser Frühzeit ein Wik aus Hütten, die mit Flechtwänden oder aus Holzbohlen gebaut und mit Strohdächern versehen waren. Zudem wurden bei Ausgrabungen an der heutigen Kleinen Bäckerstraße die Überreste von mit Pfählen und Bohlen errichteten Schiffsanlegestellen entdeckt. Hier wurden neben Getreideresten vor allem Importgüter aus dem Frankenreich – wie Waffen, Keramik oder Tuche –, slawische Keramik und norwegischer Speckstein gefunden, die auf einen lebhaften Handel deuten. Auch wenn ein Marktprivileg, welches dem Fernhandel Schutz und Rechtssicherheit gewährt hätte, aus dieser Frühzeit Hamburgs nicht überliefert ist, deuten jedoch indirekte Hinweise aus späterer Zeit darauf hin, daß bereits damals ein solches, vom fränkischen König ausgestelltes Privileg für einen Markt beim heutigen Alten Fischmarkt existierte.

Die aus Burg und Wik bestehende karolingische Siedlung am Alsterübergang wurde in der Folgezeit zu einem wichtigen Stützpunkt der christlichen Mission im paganen Norden ausgebaut. Bereits 814 war dem Bistum Bremen Dithmarschen als Missionsbezirk zugesprochen worden, während das Bistum Verden Holstein und Stormarn erhielt. Allerdings kann zu einem solch frühen Zeitpunkt von einer tatsächlichen Missionsarbeit keine Rede sein. Erste Initiativen zu einer wirklichen Nordgermanenmission gingen um 822 vom Erzbischof Ebo von Reims aus (amtierte 816–834; später Bischof von Hildesheim). Die Quellenüberlieferung läßt Ebo allerdings deutlich in den Schatten des Missionars Ansgar treten, des «Apostels des Nordens». Über dessen Leben sind wir durch die von seinem Schüler, Vertrauten und Nachfolger als Erzbischof, Rimbert (ca. 830–888), verfaßte «Vita Anskari» gut unterrichtet. Noch im Späten Mittelalter genoß Ansgar im Kontext dieser Überlieferung Heiligenverehrung und wurde von den gläubigen Hamburgern als deren Schutzherr und Fürsprecher (intercessor) im Himmel betrachtet.

Ansgar entstammte vermutlich einer sächsischen Familie, war selbst aber in der französischen Picardie geboren. Nach seiner Ausbildung als Geistlicher, die stark von irisch-keltischen Klostervorstellungen geprägt war, wurde er um 822 in das neu gegründete Kloster Neu-Corbie (das heutige Corvey) gesandt. Von dort aus unternahm der Benediktiner Missionsreisen in den norddeutschen Raum, zunächst aber offensichtlich ohne größeren Missionserfolg. Im Auftrage Kaiser Ludwigs des Frommen machte sich Ansgar schließlich 830/831 zu einer großen Missionsreise nach Schweden auf den Weg, um die wenigen dort bereits lebenden Christen zu betreuen und durch weitere Mission einen potentiellen Verbündeten für den Kaiser im Norden aufzubauen. Die schriftliche Überlieferung nennt dasselbe Jahr 831 als das Gründungsjahr des Bistums Hamburg, welches bereits 832 durch Papst Gregor IV. zum Erzbistum erhoben wurde. Rimbert berichtet über die Absichten des Kaisers:

«Im Bewußtsein der schon früher zur Verehrung Gottes eingeleiteten Unternehmungen bei den Dänen lobte und dankte er dem allmächtigen Gott und hielt in brennendem Glaubenseifer jetzt die Zeit für eine Prüfung der Frage gekommen, wie sich im Norden, an der Grenze seines Reiches, ein Bischofssitz errichten lasse. […] Er errichtete deshalb mit Zustimmung der Bischöfe und einer zahlreich besuchten Synodalversammlung für das äußerste Gebiet Sachsens jenseits der Elbe in der Burg Hamburg [im lateinischen Original: in civitate Hammaburg] einen Erzstuhl, dem die gesamte Kirche Nordelbiens unterstehen und der für alle Länder des Nordens Vollmacht haben sollte, Bischöfe und Priester zu weihen, um sie im Namen Christi in jene Länder zu senden.»[2]

Mit der Gründung des Erzbischofssitzes sollte also ein Stützpunkt der Skandinavienmission am äußersten Nordrand des Reiches unter Ansgars Leitung geschaffen werden. Diese Entwicklung deutet auf einen raschen Bedeutungszuwachs der Hammaburg und des benachbarten Wikes zwischen 808 und 832 hin.

In der Hammaburg baute Ansgar eine der Gottesmutter geweihte hölzerne Taufkapelle als Vorläufer des späteren Doms. Hier wurden die ersten Reliquien aufbewahrt, die dem Missionswerk zusätzlich Kraft verleihen sollten: Knochen der Heiligen Sixtus und Sinnitius. Die wirtschaftliche Grundlage des neuen Erzbistums war schmal, verfügte es doch über keinen nennenswerten territorialen Besitz. Allein das Kloster Torhout in Flandern war Hamburg als Einkommensgrundlage zugeordnet, ging nach dem Tode Ludwigs des Frommen mit der Reichsteilung 843 aber wieder verloren.

Auch wenn die Siedlung mit der Expansion des Karolingerreiches bis an die Eider ihre Position als Grenzort verloren hatte, waren die Zeiten keineswegs sicherer geworden. Einen gravierenden Bruch in der historischen Entwicklung stellte der Überfall einer Wikingerflotte im Jahre 845 dar. Nur mit Mühe konnte Ansgar fliehen und die Reliquien retten, wie uns noch einmal Rimbert berichtet:

«Aber während Diözese und Mission sich lobenswert und gottgefällig entwickelten, tauchten ganz unerwartet wikingische Seeräuber mit ihren Schiffen vor Hamburg auf und schlossen es ein […]; als der Bischof dort von ihrem Erscheinen hörte, wollte er zunächst mit den Bewohnern der Burg und des offenen Wiks den Platz halten, bis stärkere Hilfe käme. Aber die Heiden griffen an; schon war die Burg umringt; da erkannte er sich zur Verteidigung außerstande, und nun sann er nur noch auf Rettung der ihm anvertrauten heiligen Reliquien; seine Geistlichen zerstreuten sich auf der Flucht nach allen Seiten, er selbst entrann ohne Kutte nur mit größter Mühe.»[3]

Die Hammaburg wurde geplündert, niedergebrannt und in der Folgezeit offensichtlich nicht wieder als Burganlage aufgebaut. Ansgar verließ den Ort und übernahm das Kölnische Suffraganbistum Bremen, welches drei Jahre nach dem Wikingerüberfall an das Erzbistum Hamburg angeschlossen und fortan als Erzbistum Hamburg-Bremen von Bremen aus verwaltet wurde. Die Position des jungen Erzbistums Hamburg-Bremen blieb jedoch juristisch lange Zeit umstritten, und erst mehr als ein Jahrtausend später – im Jahre 1995 – sollte Hamburg mit Ludwig Averkamp wieder Sitz eines katholischen Erzbischofs werden.

Neben alten Anrechten Verdens auf Hamburg waren es hauptsächlich Kölner Ansprüche, die die Unabhängigkeit Hamburg-Bremens bedrohten, vor allem als zur Zeit Rimberts die Nordgermanenmission für einige Zeit zum Erliegen kam. So wurden 895 die erzbischöflichen Privilegien aufgehoben und der damalige Hamburg-Bremer Erzbischof Adalgar ein Suffragan Kölns. Erst im 10. Jahrhundert erfolgten eine erneute Emanzipation Hamburg-Bremens und eine Wiederaufnahme der Mission im Norden. Langfristig verlor Hamburg-Bremen aber ohnehin mit dem Aufstieg der skandinavischen Königreiche und spätestens mit der Gründung des Erzbistums Lund seine Rolle als Zentrum der Nordgermanenmission. Daran konnte auch die ambitionierte Machtpolitik Bischof Adalberts von Bremen im 11. Jahrhundert nichts ändern, über die der Leiter der Bremer Domschule, Adam von Bremen, in seiner «Bischofsgeschichte der Hamburger Kirche» berichtet.

Die der Hammaburg benachbarte weltliche Wik-Siedlung scheint sich rasch von dem Wikingereinfall 845 und nachfolgenden Slaweneinfällen in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts erholt zu haben. Auch behielt der Ort, an dem Ansgars Taufkapelle gestanden hatte, die herausragende sakrale Bedeutung bei. Das Kirchengebäude wurde denn auch 858 und nach einer erneuten Zerstörung durch die Slawen im 10. Jahrhundert als hölzerner Dombau immer wieder neu errichtet, und der dortige Altar der Gottesmutter stellte über Jahrhunderte das bedeutendste Heiligtum Hamburgs dar. Auch wenn der Mittelpunkt des Erzbistums nunmehr in Bremen lag, übte die Aura, die das Wirken Ansgars in Hamburg umgab, noch im 11. Jahrhundert eine so große Anziehungskraft auf seine Nachfolger aus, daß die Erzbischöfe sich oft mehrere Monate lang am Hamburger Mariendom aufhielten und dort auch immer wieder die großen christlichen Feste feierlich begingen. Im Jahre 965 erlebte der Hamburger Dom einen berühmten Zuzug. Der von Kaiser Otto verbannte Papst Benedikt V. hielt sich hier bis zu seinem Tod im darauffolgenden Jahr auf. Der Leichnam des später heiliggesprochenen Papstes wurde allerdings wieder exhumiert und nach Rom überführt.

Neben der bischöflichen Gewalt residierte im Gebiet der einstigen Hammaburg auch ein weltlicher Vertreter der Karolinger und ihrer Nachfolger im Norden des Reiches. Im Jahre 966 wurde Hermann Billung vom deutschen König Otto I. zum Statthalter im Norden ernannt. Er baute als Markgraf seine Macht systematisch aus, und ihm gelang es, sein Amt auch an seine Nachkommen zu vererben und sich allmählich von der Kontrolle des Königs zu emanzipieren. Nahezu zwei Jahrhunderte lang trugen die Billunger den sächsischen Herzogstitel. Damit erwarben sie gleichzeitig die Oberrechte über die aus den ehemaligen sächsischen Gauen hervorgegangenen Grafschaften Dithmarschen und Holstein-Stormarn. Auch wenn die Geschichte dieser Grafschaften in der Zeit vor dem 12. Jahrhundert nur schemenhaft erkennbar ist, scheinen die Billunger zumindest zeitweise im 11. Jahrhundert neben der Herzogswürde auch die gräfliche Gewalt in Holstein-Stormarn innegehabt zu haben.

Zwischen den Billungern und der Hamburg-Bremer Geistlichkeit, die in der Regel stärker zur Seite des Reichsoberhauptes tendierte und die Hoheitsrechte über das Domgelände (die sogenannte Domimmunität) beanspruchte, bildete sich im Laufe der Zeit ein Machtkampf um die Herrschaftsrechte über Hamburg heraus. Der Dualismus zwischen Billungern und Erzbistum führte zur Entstehung mehrerer befestigter Anlagen. So errichtete Erzbischof Bezelin Alebrand (amtierte 1035–1043) um 1035 ein sogenanntes «steinernes Haus», einen Wohnturm, während der Billunger Bernhard II. auf dem Gelände des heutigen Rathauses eine Turmburg errichtete – die «Alsterburg» – und dessen Sohn Ordulf jenseits der Alster 1061 mit der «Neuen Burg» eine zusätzliche befestigte Anlage der weltlichen Statthalter hinzufügte. Ein weiteres Bollwerk der Bischöfe kam etwa zur selben Zeit hinzu, als Bischof Adalbert um 1060 eine Verteidigungsanlage auf dem Süllberg etwa