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Thomas O. Höllmann

DIE
SEIDENSTRASSE

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Seit der Antike bilden die Routen, die heute unter dem Begriff Seidenstraße zusammengefasst werden, ein weitverzweigtes Verkehrsnetz, dessen Hauptstrang von Ostasien bis zum Mittelmeer reicht. Der Autor verfolgt dessen Spuren bis in die Gegenwart und rekonstruiert die Facetten eines Erbes, zu dem viele Völker und Kulturen beigetragen haben.

Über den Autor

Thomas O. Höllmann ist Professor für Sinologie an der Universität München und Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Von ihm liegen zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte, Ethnologie und Archäologie Asiens vor. Bei C.H.Beck sind lieferbar: «Das alte China. Eine Kulturgeschichte», «Schlafender Lotos, trunkenes Huhn. Kulturgeschichte der chinesischen Küche», «Windgeflüster. Chinesische Gedichte über die Vergänglichkeit» sowie «Die chinesische Schrift. Geschichte, Zeichen, Kalligraphie».

Inhalt

Vorwort

1. Landschaften und Routen

Natürliche Barrieren

Transportkapazitäten

Versorgung in der Fremde

Die Hauptrouten

Der Seeweg

2. Fromme Mönche und fremde Teufel

Buddhistische Pilger

Sendboten der Christenheit

Muslimische Reisende

Abenteurer und Forscher

3. Sprache und Identität

Antike Zeugnisse

Sprachbarrieren

Übersetzer und Dolmetscher

Vorurteile und Stereotypen

Selbstzuordnung und Fremdwahrnehmung

4. Staaten und Konföderationen

Der Sohn des Himmels

Das Abbild Gottes

Der Befehlshaber der Gläubigen

Der Weltenherrscher

Zwischen Autonomie und Despotie

5. Handel und Tribut

Die Kaufleute

Chinesische Luxusgüter

Exotisches für das Reich der Mitte

Zahlungsmittel

Der Tribut

6. Pilger und Propheten

Der Buddhismus

Zoroastrismus und Manichäismus

Judentum und Christentum

Der Islam

7. Kunst und Erfindergeist

Monumente des Glaubens

Künstlerische Ausdrucksmittel

Minarette und Miniaturen

Papier und Drucktechnik

Wissenstransfer

Profite und Visionen: Eine Schlussbemerkung zur aktuellen Situation

Weiterführende Literatur

Register

Zeittafel

Karte

Vorwort

Im Jahre 414 n. Chr. kehrte der chinesische Mönch Faxian von einer langen Reise zurück, die ihn zu den heiligen Stätten des Buddhismus in Indien geführt hatte. Abgesehen von seinen spirituellen Erfahrungen hatte er dabei auch von allerlei Abenteuern zu berichten, darunter den Herausforderungen in der Taklamakan: «Man sieht weder einen Vogel in der Luft noch irgendein Tier auf der Erde. Wenn man angestrengt nach allen Richtungen Ausschau hält, um den Weg für die Durchquerung zu finden, sucht man vergeblich; die einzigen Wegzeiger sind die ausgedörrten Knochen der Toten.» Wer in Antike und Mittelalter auf der Seidenstraße reiste, hatte also nicht zuletzt über eine Fähigkeit zu verfügen, um ans Ziel zu gelangen: die richtige Einschätzung – gegebenenfalls aber auch Missachtung – von Risiken. Allzu leicht konnte man in den verschneiten Bergen, unwirtlichen Wüsten oder endlosen Meeren die Orientierung verlieren, und oft genug endete das Unterfangen tödlich.

Der Autor, der vom sicheren Schreibtisch aus über Sandstürme und Kälteeinbrüche räsoniert, geht freilich in mancher Hinsicht auch ein Wagnis ein. Denn das Vorhaben, auf wenig mehr als hundert Seiten die über zweitausendjährige Geschichte des einst umfassendsten Verkehrsnetzes der Erde zusammenzufassen, bedingt die rigorose Konzentration auf einige Grundzüge: mit der Folge, dass in anderen Bereichen massive Verkürzungen und Vereinfachungen erfolgen müssen. Viele Themenkomplexe können daher nur exemplarisch, andere gar nicht behandelt werden.

Es kommt hinzu, dass der Verfasser – anders als einst die Karawanenführer, die ihren Tross im Allgemeinen nur durch bekanntes Terrain geleiteten – auch Gebiete erschließen muss, mit denen er weniger vertraut ist als mit seinen Stammlanden. Und die liegen in diesem Fall in China. Daraus resultiert zum einen eine gewisse regionale Schwerpunktsetzung, zum anderen aber auch die Wahl einer Perspektive, die die Seidenstraße verstärkt von Osten aus wahrnimmt. Demnach wäre zwar eine stärkere Einbeziehung von Korea und Japan wünschenswert gewesen, doch wurde darauf ebenso verzichtet wie auf die ausführliche Behandlung jener Länder, die – von Asien her betrachtet – jenseits des Mittelmeers liegen.

Zum riesigen Routengeflecht, das unter dem Begriff Seidenstraße firmiert, zählen nicht nur die landgestützten Trassen, sondern auch die Seewege. Letztere wurden zur Wahrung der historischen Zusammenhänge nicht aus der Betrachtung ausgeblendet, aus praktischen Erwägungen heraus aber bis zu einem gewissen Grad nachgeordnet. Ohnehin konnte sich die Argumentation nicht immer mit der gebotenen Striktheit an den räumlichen Bindungen und der chronologischen Abfolge der Ereignisse orientieren; denn nur durch eine gewisse «Sprunghaftigkeit» konnte es – beim vorgegebenen Umfang des Buches – gelingen, den einen oder anderen Gedanken zumindest ansatzweise zu Ende zu führen.

Kompromisse mussten auch bei der Gestaltung des Textes eingegangen werden. Die Umschrift einheimischer Termini richtet sich im Allgemeinen nach dem Duden (also etwa Hadsch für die muslimische Pilgerfahrt) und gibt ansonsten der Lesbarkeit den Vorzug vor wissenschaftlicher Korrektheit (z. B. Kocho und nicht Qočo). Diakritika entfallen grundsätzlich, und für chinesische Begriffe gelten mit wenigen, am Duden orientierten Ausnahmen (insbesondere Peking) durchweg die Regelungen des Pinyin-Systems (wie im Falle von Xinjiang). Schließlich wurde auch bei der Übersetzung von Zitaten auf die Verständlichkeit der Formulierungen geachtet und gegebenenfalls eine Straffung oder Glättung vorgenommen. Der historische Rahmen soll durch eine synchronoptische Zeittafel am Ende des Bandes vermittelt werden.

Für die 4. Auflage wurden – neben kleineren Modifikationen – vor allem das Schlusskapitel und das Literaturverzeichnis aktualisiert.

1. Landschaften und Routen

Erscheinungsbild, Flora und Fauna der Regionen, die von der Seidenstraße durchzogen werden, sind ausgesprochen abwechslungsreich und vielgestaltig. Vor allem aber erschweren schroffe, eisbedeckte Berge und scheinbar endlose Wüsten das Fortkommen. Zonen, die von sengender Hitze und von klirrender Kälte geprägt sind, wechseln miteinander ab.

Natürliche Barrieren

Einige der Bergketten, an denen sich der Routenverlauf zu orientieren hatte, müssen einst nahezu unüberwindbar erschienen sein. Steil aufragende Wände, zerklüftete Hänge, riesige Geröllfelder und ewige Gletscher bilden zweifellos Barrieren, die dem Menschen noch heute Respekt einflößen. Immerhin erreichen nicht wenige unter den Gipfeln von Karakorum, Kunlun, Hindukusch, Tianshan und Pamir eine Höhe von mehr als 7000 m. Zum nordwestlich an den Himalaya anschließenden Karakorum zählt gar neben drei weiteren Achttausendern der K 2, das zweithöchste Massiv der Erde.

Zwar verlaufen die Routen im Allgemeinen deutlich unterhalb der Gipfelzonen, doch stellt die Überquerung der Gebirgszüge gleichwohl gewaltige Anforderungen an körperliche Kondition, Psyche und Planung; denn ehrfurchtgebietende Höhen erreichen auch die über weite Teile des Jahres eis- und schneebedeckten Pässe: darunter der Karakorum (5575 m, im gleichnamigen Gebirge), der Khunjerab (4733 m, ebendort) und der Torugart (3752 m, im Tianshan).

Ähnlich unwegsam wie die Bergregionen waren – und sind bis heute – jene Gebiete, in denen (klimatisch bedingte) Dürre und (nicht zuletzt durch menschliche Eingriffe verursachte) Desertifikation zu einer dramatischen Verknappung des Wasserhaushalts und einer dauerhaften Schädigung der Vegetationsdecke führen. Viele Plateaus, Becken und Senken weisen einen ariden oder semiariden Charakter auf und sind Bestandteile eines Trockengürtels, der von Nordafrika bis nach Ostasien reicht; hierzu zählt mit der Gobi auch die zweitgrößte Wüste der Erde.

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Tab. 1: Hochgebirge im Bereich der Seidenstraße (Auswahl).

Die Taklamakan bildet das Zentrum des im Norden, Westen und Süden von Hochgebirgen eingerahmten Tarim-Beckens und ist die zweitgrößte Sandwüste der Erde. Etwa 85 % der Gesamtfläche besteht aus Wanderdünen, die eine Höhe von mehr als 200 Metern erreichen können und die Weite der Landschaft plastisch gliedern. Die jährliche Niederschlagsmenge liegt teilweise unter 50 mm und reicht ohne anderweitige Wasserzufuhr nicht aus, um eine landwirtschaftliche Nutzung zu ermöglichen. Die zahlreichen Flüsse, die sich aus dem Schmelzwasser der umliegenden Bergregionen speisen, versiegen meist relativ rasch, nachdem sie die Ebene erreicht haben. Die Verdunstungs- und Versickerungsraten sind einfach zu hoch bei Temperaturen, die im Sommer oftmals über 60 Grad liegen. Vor allem in der Zeit von Mai bis August treten auch die gefürchteten Sand- und Staubstürme auf, die, bevorzugt am Nachmittag, eine Geschwindigkeit von mehr als 20 m/s erreichen können und das Leben von Mensch und Tier bedrohen.

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Tab. 2: Trockengebiete im Bereich der Seidenstraße (Auswahl).

Der Sand, den der Wind in der Taklamakan über weite Entfernungen transportiert, ist je nach Region gelb, grau oder bräunlich. In der Karakum und in der Kizilkum weist er hingegen auch eine schwarze bzw. rote Färbung auf, ein Umstand, auf den die Namensgebung der beiden Wüsten (türk. kara «schwarz»; kizil «rot»; kum «Sand») zurückzuführen ist. Die Karakum liegt übrigens bis zu 81 m unter dem Meeresspiegel; ihren tiefsten Punkt erreicht die Seidenstraße allerdings in der Turfansenke, die (mit 154 m u. M.) die zweittiefste Depression der Erde bildet.

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Abb. 1: Wegmarkierung aus Tierknochen in der Gobi (Aufnahme aus dem Jahr 1934).

Sind die Sommer in den Trockengebieten im Allgemeinen von sengender Hitze geprägt, so zeichnen sich die Winter durch strengen Frost aus. In der Gobi reichen die Temperaturen bis 35 Grad, in der Karakum gar bis 40 Grad unter dem Gefrierpunkt. Die Unbilden, welche die häufig bereits im September einsetzenden Kältewellen mit sich bringen können, schildert das im 8. Jahrhundert von Cen Can verfasste «Lied vom Schnee». Sehr anschaulich sind darin die (im Folgenden auszugsweise wiedergegebenen) Eindrücke geschildert, die der chinesische Beamte während seiner Tätigkeit in den Garnisonsstädten am Nordrand des Tarim-Beckens sammelte:

Wenn der Nordwind den Boden durchfurcht,

ducken sich die Steppengräser.

Sobald der Herbst anbricht,

treibt Schnee durch das Barbarenland.

Die Wärme, die der Fuchspelz spendet, reicht nicht mehr,

und reichlich dünn ist nun die Decke aus Brokat.

Tief in den Grund gefriert die Wüste,

die Wolken formen mächtige Barrieren.

Dicht wirbeln Flocken durch die Dämmerung,

Schnee weht an die Tore.

Dem Zerren des Sturms widerstehen

die roten Banner – steifgefroren.

Neben Schneeverwehungen, Lawinen, Sandstürmen und Muren stellen auch Erdbeben eine massive Bedrohung für Leib und Leben dar. Über weite Strecken verläuft die Seidenstraße nämlich in jenen Teilen Asiens, in denen die durch Bewegungen an den Plattengrenzen regelmäßig ausgelösten Erschütterungen besonders folgenreich sind. So erreichten in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zwei Erdbeben in Chinas Nordwestprovinzen Qinghai und Gansu eine Stärke von 8,3 bzw. 8,6 auf der Richterskala und forderten insgesamt mehr als 400.000 Tote. Jeweils in die Zehntausende ging im Lauf der Geschichte die Zahl der Opfer bei entsprechenden Katastrophen in Turkmenistan, Iran (zuletzt 2003 mit dem Epizentrum in der alten Handelsstadt Bam), Syrien und der Türkei.

Transportkapazitäten

Großzügig angelegte Straßen gehörten im kaiserzeitlichen China – und ansatzweise schon zuvor – zu den bestimmenden Faktoren der Stadt. Allerdings endeten die Boulevards meist wenige Kilometer außerhalb und nahmen relativ rasch den Charakter holpriger Wege an. Entsprechend mühsam war das Fortkommen auf Karren und Wagen. Terrain und Logistik ließen indes im Nordwesten des Reichs auch nicht die Errichtung durchgehender, für eine Benutzung durch schwere Fuhrwerke geeigneter Straßen zu. Das bedeutet nicht, dass man große Bauvorhaben grundsätzlich scheute. Gerade in den Gebirgen gab es unter beträchtlichem Aufwand errichtete Wege, von denen manche Abschnitte gar als Galerien in den Fels gehauen oder mit Hilfe von Stelzenkonstruktionen und Ketten fixiert waren. Dadurch ergaben sich jedoch zahllose Engstellen, die für größere Wagen und Gespanne unpassierbar waren.

In anderen Gebieten, insbesondere in Steppe und Wüste, wurde hingegen oftmals auf jegliche Befestigung verzichtet, und die Streckenführung war nur für kundige Führer erkennbar. Weniger erfahrene Reisende konnten sich dann – um eine Formulierung des zu Beginn des 5. Jahrhunderts die Taklamakan durchquerenden Mönchs Faxian zu übernehmen – bestenfalls noch «an den eingetrockneten Gebeinen der Toten als Wegmarkierung» orientieren. Geschotterte Straßen, die nicht nur von lokaler Bedeutung waren, lassen sich wohl erst wieder für jene Regionen zwischen Kaspischem Meer, Persischem Golf und Mittelmeer ausmachen, die einst in das vorbildliche Verkehrsnetz des römischen Imperiums einbezogen waren.

Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein war das Kamel das dominierende Lasttier der Seidenstraße. Im Westen verwendete man das einhöckrige Dromedar, im Osten hingegen das zweihöckrige Trampeltier. Nur Letzteres kommt nämlich mit den extrem niedrigen Temperaturen zurecht, die über viele Monate hinweg die Bergregionen jenseits des Syrdarya heimsuchen. Gleichzeitig ist es aber auch hervorragend für den Einsatz in der Wüste geeignet; denn Schwielensohlen mit Polstern zwischen den Zehen verhindern ein Einsinken in den Dünen, während lange Augenbrauen und verschließbare Nüstern vor den Unbilden der Sandstürme schützen.

Im Hinblick auf die Ernährung ist das wuchtige Tier genügsam. Im Allgemeinen reichen harte Gräser und Zweige, und die Höcker sind hervorragende Energiespeicher. Vor allem aufgrund seiner Fähigkeit, die Körpertemperatur den Außenbedingungen anzupassen, verbraucht es vergleichsweise wenig Wasser, kann aber nach längerer Enthaltsamkeit innerhalb weniger Minuten mehr als 100 Liter trinken, um den Verlust wieder auszugleichen. Bei einer Last von etwa 250 kg und einer täglichen Wegstrecke von rund 30 km kommt das Trampeltier selbst während der Hitzeperioden bis zu zwei Wochen ohne Tränken aus.

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Abb. 2: Holzsteig in einer Felswand (Umzeichnung nach einer Wandmalerei in Dunhuang).

Im Verhältnis zum Körpergewicht können Esel sogar noch größere Mengen Wasser in noch kürzerer Zeit trinken, um den Flüssigkeitsverlust wieder auszugleichen. Neben der Wüstentauglichkeit entsprechen auch Kälteunempfindlichkeit und zurückgelegte Tagesdistanz annähernd der des Trampeltiers. Immerhin bei etwa der Hälfte ist schließlich die Traglast anzusetzen, die bei längeren Strecken aufgeladen wird. Daher darf man die Bedeutung, die der Esel für die Güterbeförderung auf der Seidenstraße hatte, keineswegs unterschätzen.

Wegen ihrer ausgeprägteren Trittsicherheit, Duldsamkeit und Furchtlosigkeit sind für höhere Gebirgslagen die ebenfalls sehr genügsamen Maulesel (die Kreuzung aus Pferdehengst und Eselstute) und Maultiere (die Kreuzung aus Eselhengst und Pferdestute) vorzüglich geeignet. Auch die Verwendung von Yaks erweist sich in diesen Zonen manchmal als zweckmäßig. Pferde können in Regionen, in denen klimatische Bedingungen und natürliche Barrieren das Fortkommen erschweren, nur begrenzt eingesetzt werden. Ausdauer und Bedürfnislosigkeit sind nämlich im Fernhandel – anders als etwa beim Kurierdienst – meist wichtiger als die kurzfristig größere Schnelligkeit. Für Elefanten, die zuweilen auf antiken Wandmalereien als Lasttiere dargestellt sind, gelten noch weit größere Einschränkungen, und die regelmäßige Nutzung beim Gütertransport ist in den meisten Gebieten unwahrscheinlich.

Obschon manche Quellen einen anderen Eindruck vermitteln, sollte nicht übersehen werden, dass die Mehrzahl der Karawanentiere über weite Strecken geführt und nicht geritten wurde. Und man darf einen weiteren Faktor nicht vernachlässigen! Auch der Mensch kann beträchtliche Lasten bewältigen, und zumindest in China war er bis in das 20. Jahrhundert hinein das meistgenutzte Transportmittel. Besonders bewährt er sich natürlich auf engen Pfaden und steilen Anstiegen, wo die Vorteile von Tragestangen, -gestellen und -körben voll zur Geltung kommen. Bis zu einem gewissen Grad erweisen sich darüber hinaus sogar «Holzochsen» (muniu) als bergtauglich: Schubkarren, bei denen die Auflagefläche über und neben dem Rad angebracht ist. Die lebendigen Namensgeber dieses Gefährts haben in unwegsamem Gelände indes keine Chance; denn nur auf angemessen breiten und befestigten Wegen kann der Vorteil großer Zugkraft, der das Ochsengespann auszeichnet, umgesetzt werden.

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts trat in den meisten Gebieten allmählich das Auto an die Stelle von Last- und Zugtieren. Zumindest in Europa stark beachtet wurde in diesem Zusammenhang die weitgehend am Verlauf der Seidenstraße orientierte Croisière Jaune («gelbe Kreuzfahrt»), die 1931 in Beirut startete und im darauffolgenden Jahr Peking erreichte. Schon 1908, also lange bevor die Geländewagen von Citroën sich öffentlichkeitswirksam durch die Wüsten kämpften, hatte freilich bereits der deutsche Geograph Martin Hartmann gefordert, «die Einführung automobiler Trakteurs in Aussicht zu nehmen», um die Erschließung «Chinesisch-Turkestans» voranzutreiben.

Versorgung in der Fremde

Die kulturellen und politischen Zentren Ost-, Zentral- und Westasiens lagen häufig an oder in der Nähe von Flussläufen. Drei markante Beispiele sollen an dieser Stelle als Belege ausreichen: (1) Wei und Huanghe mit den Metropolen Chang’an und Luoyang, die lange Zeit im Wechsel Sitz des chinesischen Kaiserhofs waren; (2) Amudarya und Syrdarya (antike Benennung Oxus und Iaxartes), die einstigen Begrenzungen Sogdiens; (3) Euphrat und Tigris, die Namensgeber des Zweistromlands, welches seit dem 8. Jahrhundert von Bagdad dominiert wurde.

Zu dem dichten Netz aus Flüssen, Seen und Kanälen, das im Süden Chinas für den Transport schwerer Lasten zur Verfügung stand, gab es im Bereich der Seidenstraße indes keine Entsprechung. Die Hauptroute folgte den großen Strömen eher selten, und nur relativ kurze Abschnitte verliefen entlang der Ufer von Wei, Syrdarya und Euphrat. Weit wichtiger war – neben dem Industal, das der Abzweiger nach Südasien nutzte – die Orientierung an dem die Taklamakan einst nördlich und östlich umschließenden Tarim: dem heute mit einer Länge von 2179 km zweitlängsten Binnenfluss der Erde. Zwar kann er sich durchaus reißend und wild gebärden, wenn im Frühjahr die Eis- und Schneemassen des Tianshan abschmelzen, doch vermittelt er ansonsten meist einen vergleichsweise trägen Eindruck.

Zur kontinuierlichen Bewässerung größerer Oasen reicht er schon aufgrund der hohen Temperaturen im Sommer nicht aus. Für eine berechenbare Versorgung bedient man sich daher eines Systems, welches sich seit der Antike in weiten Teilen West- und Zentralasiens bewährt hat und auch in den Oasen des chinesischen Tarimbeckens unter zwei Bezeichnungen bekannt ist, die auf das Persische (kariz) und Arabische (qanat) zurückgehen. Es besteht aus unterirdisch angelegten Kanälen, welche das Wasser unter Ausnutzung des Gefälles vom Fuß der Berge zu den Anbauflächen transportieren, ohne dass der Verlust durch Verdunstung und Versickerung zu hoch wird.

Welche gravierenden Folgen die ungeplante und ungezügelte Wasserentnahme nach sich ziehen kann, zeigt besonders nachhaltig die Situation der abflusslosen Seen der Kaspisch-Turanischen Niederung, in der die Staatsgebiete Russlands, Aserbaidschans, Irans, Turkmenistans, Kasachstans und Usbekistans aufeinanderstoßen. Neben dem Kaspischen Meer ist dort vor allem der Aralsee von einem sinkenden Pegelstand – und damit einhergehend von Schrumpfung und Versalzung – betroffen: nicht nur für die Fischer, sondern für die gesamte Bevölkerung des Umlands eine ökologische Katastrophe.

Die regelmäßige Versorgung mit Trinkwasser und Nahrungsmitteln muss sicherlich als eines der wichtigsten Bedürfnisse der Reisenden angesehen werden. In den Trockengebieten war folglich ein nicht zu großer Abstand zwischen den Oasen wesentliche Voraussetzung für das Überleben. Aber auch sonst plante man gerne Aufenthalte an Orten ein, die eine ausreichende Verpflegung von Mensch und Tier – sowie eine halbwegs bequeme Übernachtungsmöglichkeit – erwarten ließen. Dies war auch von der Logistik her eine große Herausforderung, vor allem dann, wenn der Tross mehrere Hundert Menschen und ein Vielfaches an Lasttieren umfasste.

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Abb. 3: Landwirtschaftliche Tätigkeit in einer Oase am Rande der Taklamakan (Umzeichnung nach einer Wandmalerei in Dunhuang).

In den vom Islam geprägten Gebieten garantierten ein ordentliches Quartier in erster Linie die Karawansereien: durch feste Mauern und schwere Tore gesicherte Herbergen, bei denen sich die einzelnen Häuser in der Regel um einen Hof gruppierten, in dessen Zentrum der Brunnen stand. Die oftmals mehrstöckigen Komplexe verfügten neben den Schlafkammern meist auch über großzügige Gaststuben sowie großflächige Lager- und Verkaufshallen. Geradezu monumental geriet zuweilen die Architektur des Gebäudes, in dem die Stallungen untergebracht waren, wohingegen die Ausstattung der Moschee, soweit sie überhaupt in das Ensemble einbezogen war, eher bescheiden blieb.

In den Karawansereien ergab sich nicht nur die Möglichkeit zur Rast und zum Auffüllen des Proviants, sondern auch die Gelegenheit zur Rekrutierung von Führern und Dolmetschern, zum Auswechseln der Last- und Reittiere, zur Reparatur von Zaumzeug und Gerätschaften sowie zum Abschluss verschiedenster Transaktionen, bei denen die mitgebrachten Güter an Geschäftspartner weitergegeben oder veräußert wurden; nicht zuletzt boten sie ein Forum für den Austausch von Erfahrungen und Neuigkeiten.