„Die Friedensverhandlungen in Somerset House 1604“. (Englische (rechts, unter Vorsitz von Thomas Sackville) und spanische sowie flämische (links, unter Führung von Juan Fernández de Velasco) Delegierte sitzen sich am Verhandlungstisch gegenüber.) Gemälde von Juan Pantoja de la Cruz, 1604.

Ronald G. Asch

Vor dem Großen Krieg

Europa im Zeitalter der spanischen Friedensordnung 1598–1618

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Impressum

 

 

 

Inhalt

Vorwort

Einleitung

I. Eine Friedensordnung für Europa?

1. Das Ende der spanischen Offensivpolitik: der Frieden mit Frankreich

2. Auf dem Weg zum Ende des spanisch-englischen Konfliktes

3. Der Waffenstillstand mit der Republik der Niederlande

II. Zwischen eschatologischer Geschichtsdeutung und transkonfessionellen Ordnungsentwürfen: zum intellektuellen Profil der Epoche

1. Eschatologische Weltdeutungen

2. Pragmatismus statt Eschatologie?

3. Neustoizismus und Tacitismus: Justus Lipsius

4. Philologie und antiquarische Gelehrsamkeit als dominante Disziplinen in einer Epoche der Skepsis

5. Auf dem Weg zu einem neuen Recht des Friedens und des Krieges

III. Konfessionelle Differenzierungen und religiöse Lebenswelten

1. Die strukturelle Wirkung der konfessionellen Spaltung Europas an der Wende zum 17. Jahrhundert

2. Adlige Eliten und konfessionelle Identität: „epikurische Hofchristen“ oder Glaubenskrieger?

3. Der Konvertit als Grenzgänger zwischen den Konfessionen

4. Das Martyrium als religiöses Leitbild

IV. Politische Ordnungen zu Beginn des 17. Jahrhunderts zwischen konfessionellem Legitimationszwang und theokratischer Herausforderung

1. Die theokratische Bedrohung und die Verschärfung des Widerstandsrechtes

2. Die Erneuerung der französischen Monarchie als Prozess der Sakralisierung und Heroisierung des Herrschers

3. Gottesgnadentum und protestantisches Kirchenregiment: Jakob VI. und I.

4. Religiöse Legitimationsstrategien und Kirchenregiment in ständisch verfassten Gemeinwesen und Republiken: Polen und die Niederlande

V. Imperien zwischen Konsolidierung und Krise

1. Die Bedeutung dynastischer Imperien

2. Das Erbe Philipps II. und die Neuorientierung der spanischen Monarchie

3. Ein Weltreich im Niedergang? Das Reich der spanischen Habsburger vor 1618/21

4. Die Stuart-Monarchie im frühen 17. Jahrhundert: die englisch-schottische Personalunion

5. Kolonie oder periphere Provinz? Irlands Stellung in der Stuart-Monarchie

6. Das multikonfessionelle Reich der Habsburger an der Wende zum 17. Jahrhundert

7. Die Habsburgermonarchie nach dem Ende des Bruderzwistes

8. Das Heilige Römische Reich um 1600

9. Strukturelle Bedingungen imperialer Politik

VI. Der Wandel des europäischen Mächtesystems: neue Kräfte und strukturelle Veränderungen

1. Aufstrebende dynastische Akteure

2. Ständische Korporationen zwischen Niedergang und Selbstbehauptung

3. Die Rückkehr Frankreichs auf die europäische Bühne

4. Der Aufstieg der Niederlande

5. Die oranische Heeresreform und der Wandel der Kriegführung

6. Spanien als Militärmacht

7. Das Heerwesen der anderen europäischen Mächte

VII. Eine fragile Friedensordnung und ihr Zusammenbruch 1609–1621

1. Die spanische Politik nach 1609 bis zum Sturz des Herzogs von Lerma

2. Konflikte und Krisen nördlich der Alpen nach 1609

3. Die Krise der Reichsverfassung und ihre Zuspitzung – das Scheitern der Kompositionspolitik

4. Die kurpfälzische Politik, der böhmische Aufstand und das Ende der Pax Hispanica in Europa

VIII. Resümee

Anmerkungen

Bibliographie

Personenregister

Vorwort

Die Frühe Neuzeit galt einmal – und dies noch in den 1990er Jahren – als „Musterbuch der Moderne“ (Winfried Schulze). Dieser Blick auf die Frühe Neuzeit ist heute eher unüblich geworden. Die meisten jüngeren Historiker und Historikerinnen sind gegenüber großen Meistererzählungen, die beanspruchen, sinnstiftend auch für die Gegenwart zu sein, skeptisch. Und dass Europa in der globalen Geschichte seit der Renaissance eine besondere Rolle gespielt habe und hier in Europa die Fundamente für den modernen Verfassungsstaat ebenso wie für unsere heutige Wissenskultur gelegt wurden, ist eine schon wegen ihres vermeintlich verwerflichen Eurozentrismus fast ketzerische Ansicht – trotz ihrer in Wirklichkeit schwer zu leugnenden Plausibilität. So verständlich in mancher Hinsicht die Skepsis einer jüngeren Historikergeneration gegenüber älteren Narrativen auch sein mag, so riskiert die Frühneuzeitforschung doch durch den Verzicht auf Deutungen, die auch für die Gegenwart relevant sein können, sich selbst überflüssig zu machen. Diese Tendenz kommt den Bestrebungen der Bildungspolitik entgegen, die Geschichtskenntnisse von Schülern wenn möglich auf das 20. Jahrhundert zu beschränken, wie die Bildungspläne der weiterführenden Schulen in den meisten Bundesländern erkennen lassen.

Dieses Buch will solchen Tendenzen in bescheidenem Maßstab entgegenwirken, indem es unter anderem zeigt, wie Europa an der Wende zum 17. Jahrhundert nach Wegen suchte, mit konfessioneller Pluralität und dem daraus resultierendem Konfliktpotenzial zu leben. Auch wenn am Ende die Suche nach Frieden scheiterte, so wurden intellektuell und politisch doch zwischen den späten 1590er Jahren und dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges Fundamente gelegt, auf denen eine spätere Generation 1648 und in den folgenden Jahren ein solideres Gebäude errichten konnte.

Für die Entstehung dieses Buches war das Gespräch mit meinem Kollegen Mark Greengrass (Sheffield/Paris) von entscheidender Bedeutung. Zwar musste der ursprüngliche Plan, gemeinsam eine Monografie zu schreiben, als allzu ehrgeizig aufgegeben werden – für solche Unternehmungen eignen sich die Geisteswissenschaften dann eben doch nicht wirklich –, aber ich habe vom vielfältigen wissenschaftlichen Austausch mit Mark dennoch außerordentlich profitiert. Zu Dank bin ich auch Horst Carl (Gießen), Martin Wrede (Grenoble) und meinem Mitarbeiter Christian Kühner für die kritische Durchsicht zentraler Kapitel dieser Darstellung verbunden. Wichtige Anregungen gab mir auch Christoph Kampmann (Marburg) während einer Tagung in Bologna, an der wir gemeinsam teilnahmen. Ganz besonders gilt mein Dank aber auch meiner leidgeprüften Sekretärin Sibylle Rupp, die mir durch ihr Organisationstalent den notwendigen Freiraum für meine Arbeit verschaffte, und meinen studentischen Mitarbeitern Luca Scalzini und Olivia Kirsten, die das Manuskript sorgfältig durchgesehen und bereinigt haben.

Ich hätte dieses Buch freilich nicht schreiben können, wenn mir nicht das FRIAS der Universität Freiburg und dessen Direktor Bernd Kortmann im akademischen Jahr 2016–17 großzügig eine Fellowship gewährt hätten. Unter den Fellows des FRIAS, mit denen ich mich damals besonders intensiv ausgetauscht habe, seien hier Marie Seong-Hak Kim (St. Cloud State University) und Martin Loughlin (LSE) genannt. Das Freisemester, das mir auf diese Weise zur Verfügung stand, wurde durch ein von der DFG finanziertes Forschungssemester ergänzt – auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die mich im Lauf meiner Karriere auch sonst vielfältig unterstützt hat, gilt an dieser Stelle mein Dank.

Dieses Buch entstand in einer Zeit, in der die Zukunft Europas ungewisser denn je erscheint, nachdem der trügerische Optimismus der 1990er Jahre, die ein halkyonisches „Ende der Geschichte“ zu versprechen schienen, verschwunden ist. Aber vielleicht ist es gerade in einem Augenblick notwendig, den Blick auf die fernen Ursprünge der Gegenwart zu richten, in dem für Europa als Kontinent und als eigenen Raum spezifischer kultureller Traditionen – wenn auch nicht zum ersten Mal – die Worte zu gelten scheinen: maioresque cadunt altis de montibus umbrae.

Freiburg, im August 2019

Einleitung

I

Religiös motivierte oder legitimierte Gewalt ist heute durchaus ein Thema von aktueller Bedeutung. Terroranschläge, bei denen solche Aspekte eine Rolle spielen, häufen sich auch in der westlichen Welt seit dem Herbst 2001 – auch wenn diese Form von Gewalt vielleicht nie wirklich ganz verschwunden war, vor allem, wenn man bedenkt, dass noch in den frühen 1990er Jahren in den Auseinandersetzungen respektive Bürgerkriegen in Nordirland und Jugoslawien religiöse Bekenntnisse zumindest als ethnische Unterscheidungsmerkmale eine erhebliche Relevanz besaßen. Im Übrigen auch dort, wo es heute nicht zu offener Gewaltanwendung kommt, spielen doch in den Einwanderergesellschaften des Westens religiöse Spannungen eine deutlich größere Rolle als zum Beispiel in den Jahrzehnten unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Sicher mag es sich zum Teil um Kulturkonflikte handeln, die sich nur in religiöser Form artikulieren. Dennoch wird gerade dem Islam in diesem Kontext oft vorgeworfen – auch von liberalen Muslimen selbst –, er habe jene Trennung von Politik und Religion nicht oder noch nicht vollzogen, die dem Westen vor allem im Zuge der Aufklärung gelungen sei – nur sie könne aber ein friedliches Zusammenleben verbürgen.1 Diese Kritik mag in Teilen durchaus berechtigt sein, sie übersieht aber oft, dass der Westen den Weg zu einer Reduktion des Gewaltpotenzials religiöser Konflikte, so mühsam dieser Weg auch war, schon vor dem Sieg der Aufklärung beschritten hatte. Neue, weniger gewaltaffine Formen der Spiritualität und der Frömmigkeit sowie eine andere theologische Beurteilung möglicher „Heiliger Kriege“ leisteten zu dieser Eindämmung von Gewalt ebenso ihren Beitrag wie ein Rationalismus, der sich von der intellektuellen Hegemonie der Theologie in der Tat konsequent zu befreien suchte.2 Es ist diese Gemengelage von Argumenten und Frontstellungen, die die Epoche, um die es in dieser Darstellung geht, so faszinierend erscheinen lässt. Europa begann in dieser Zeit zu lernen, mit konfessioneller Vielfalt zu leben, auch wenn dieser Lernprozess erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und in manchen Ländern und Regionen Europas sogar erst deutlich später zum Abschluss kam.

Eine solche Deutung widerspricht allerdings einer verbreiteten und in Deutschland wohl immer noch dominierenden Lehrmeinung, die für die Jahrzehnte vor 1618 eher die kontinuierliche Eskalation der konfessionellen Gewaltbereitschaft betont. So stellte Heinz Schilling in einem wichtigen, vor gut 25 Jahren publizierten Aufsatz zu den Glaubenskriegen der Frühen Neuzeit fest, durch die Konfessionalisierung hätten die „Gegensätze und Allianzen innerhalb des europäischen Mächtesystems eine spezifische ideologische Deutung“ erhalten, „die auf der Wende des 16. Jahrhunderts auch die letzten Schranken zur unbedingten Gewaltbereitschaft zwischen den europäischen Machtblöcken fallen ließ“.3 Dies ist eine These, die auch Schillings magistrale Darstellung der zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa zwischen 1560 und 1660 maßgeblich prägt und bestimmt.4 Schilling geht dabei davon aus, dass aufgrund der konfessionellen Spannungen sich eine Unfähigkeit zur Konfliktlösung herausgebildet habe. Ausschlaggebend sei hier auch gewesen, dass beide Seiten, ganz besonders aber die Protestanten, die Gegensätze zwischen den streitenden Parteien mehr denn je in einer apokalyptischen Perspektive sahen. Schillings Darstellung hat einen stark teleologischen Grundzug; sie ist ausgerichtet auf den Endpunkt 1618/19, den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, der als unvermeidliches Resultat der Eskalation der vorherigen Jahrzehnte erscheint. Namentlich im deutschen Sprachraum ist das eine Perspektive, die auch heute noch sehr einflussreich ist,5 auch wenn jüngere wissenschaftliche Darstellungen zum Dreißigjährigen Krieg die Zwangsläufigkeit einer Entwicklung, die schon lange vor 1618 den Keim der Katastrophe in sich trug, tendenziell eher infrage gestellt haben.6 Einflussreich bleibt die These von der alles zerstörenden Wirkung des Konfessionskonfliktes, die vermeintlich erst durch die beginnende Säkularisierung von Kultur und Politik eingedämmt wurde, dennoch.7 In einer eher populärwissenschaftlichen aktuellen Darstellung des Dreißigjährigen Krieges kann man etwa lesen, die Entwicklung Europas seit der Mitte des 17. Jahrhunderts könne auf der Grundlage des „Säkularisierungstheorems“ beschrieben werden: „Religiöse Bindungen spielten für die öffentliche Positionierung der Menschen eine immer geringere Rolle, und der religiöse Glaube wurde schrittweise zu einer privaten und persönlichen Angelegenheit. Religionskriege wurden bald als überwunden angesehen und als maßgebliche Zäsur galt dabei neben der Aufklärung vor allem der Westfälische Frieden.“8

Dies ist in der Tat eine Deutung, die als dominierende Meistererzählung immer noch das Bild des Dreißigjährigen Krieges und seiner Vorgeschichte wesentlich prägt, allerdings ist sie nicht unproblematisch. Zu Recht wurde darauf aufmerksam gemacht, dass nach 1618 kaum ein Akteur die vollständige Vernichtung seiner Gegner anstrebte. Weder setzte Spanien nach der Aufnahme des Krieges gegen die Niederlande darauf, die Republik vollständig zu unterwerfen, wie man das in den 1580er oder 1590er Jahren noch versucht hatte,9 noch war der Kaiser bestrebt im Reich den Protestantismus vollständig zu vernichten, statt ihn lediglich zu schwächen und zurückzudrängen. Sehr wohl ging es aber darum, innerhalb eines gegebenen Rechts- und Machtsystems die Balance zu verschieben und die eigene Position zu stärken und dies unter Umständen mit durchaus dramatischen Auswirkungen. Umgekehrt gilt aber auch, dass der schließlich für Mitteleuropa – nicht für ganz Europa – 1648 erreichte Frieden keineswegs eine durchgehende Säkularisierung des Politischen zur Voraussetzung hatte. Im Gegenteil, das Prinzip der konfessionellen Homogenisierung von Territorien setzte sich in vielen Herrschaftsgebieten erst nach 1648 wirklich durch, man denke an die habsburgischen Erblande unter Einschluss Böhmens und Mährens oder an manche geistliche Fürstentümer wie zum Beispiel das Niederstift Münster.10 In den europäischen Konflikten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts blieb im Übrigen in zahlreichen Fällen die Konfession ein wichtiger verschärfender Faktor. Ein Beispiel dafür sind die Auseinandersetzungen zwischen dem Frankreich Ludwigs XIV. und den Niederlanden ab den 1670er Jahren oder die französisch-englischen Kriege zwischen 1689 und 1713.11 Es wäre umgekehrt auch ein Fehler, anzunehmen, es sei allein oder primär der Bedeutungsverlust des Religiösen, der das Konfliktpotenzial des Konfessionellen in machtpolitischen Auseinandersetzungen auf der europäischen Ebene schrittweise verringert habe. Weder der Katholizismus noch der Protestantismus machten die Legitimität einer bestehenden staatlichen Ordnung grundsätzlich von der Rechtgläubigkeit der jeweiligen Obrigkeit abhängig. Namentlich im Protestantismus, jedenfalls in dessen lutherischer Ausprägung, war von Anfang an eine gewisse Tendenz erkennbar, eine Autonomie weltlicher Herrschaftsordnungen anzuerkennen, oder, wie der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann es ausgedrückt hat: „Eine Deutungsperspektive, die den Anteil der konfessionellen Religion lediglich auf der Seite der kriegsfördernden Momente verbucht, den Frieden hingegen als Emanzipation der politischen Vernunft gegen die Logik des Konfessionellen wertet, simplifiziert die Sachlage, und unterschätzt die insbesondere im Luthertum im Horizont der Fundamentaldistinktion von Gesetz und Evangelium ausgebildete Fähigkeit, zwischen Politik und Religion zu unterscheiden.“12

Gerade im Licht dieser These von Thomas Kaufmann lohnt es sich, die Versuche, zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu einer dauerhaften Friedensordnung zu gelangen, näher zu betrachten. Wer nur auf 1648 blickt, ist versucht, die Eindämmung religiöser Spannungen eben doch in eins zu setzen mit einer nach 1650 einsetzenden Säkularisierung der Politik, soviel auch in anderer Hinsicht dagegensprechen mag. Für die Epoche um 1600 gilt das so noch nicht, hier ging es eher um eine Selbstbeschränkung konfessioneller Militanz, die innerhalb eines Wertesystems Plausibilität erlangen musste, das selbst noch weitgehend konfessionell geprägt blieb. Sicherlich galt schon aus Gründen der Staatsräson konfessionelle Homogenität, auch wenn sie auf Zwang beruhte, den meisten Herrschern um 1600 noch als ein zentrales politisches Ziel, auf das man ohne Not nicht verzichten wollte. Zugleich aber hatte sich doch ein intellektuelles Klima entwickelt, das ein Leben mit konfessioneller Pluralität innerhalb des weiten Rahmens der Christenheit erleichterte. Es mehrten sich die Stimmen derjenigen, die bereit waren, die Konfessionsspaltung als politisches Faktum anzuerkennen und sich damit zu arrangieren.13

Man könnte dem entgegensetzen, dass dennoch die Versuche, zu Beginn des 17. Jahrhunderts Fundamente für einen dauerhaften Frieden zu legen, am Ende alle scheiterten. Das ist aber so nicht richtig, jedenfalls nicht für Westeuropa. Der durch das Edikt von Nantes 1598 für Frankreich geschaffene Religionsfriede etwa erwies sich trotz des zeitweiligen Wiederaufflammens der Auseinandersetzungen zwischen den Hugenotten und der Krone in den 1620er Jahren als leidlich dauerhaft. Erst unter ganz anderen Vorzeichen wurde das Edikt dann 1685 von Ludwig XIV. vollständig aufgehoben. Im Chaos versank Frankreich jedenfalls nach 1600 nicht erneut. Und als 1621 der Krieg zwischen den Niederlanden und Spanien wieder ausbrach, ging es, wie schon angedeutet, beiden Seiten vor allem um machtpolitische und handelspolitische Vorteile – auch um grundsätzliche Rechtsansprüche in Europa und Übersee –, aber nicht mehr um einen Vernichtungskrieg. Die Auseinandersetzung hatte deutlich an ideologischer Schärfe verloren, was sich auch in der Praxis der Kriegführung bemerkbar machte, die sehr viel eher bereit war, eine Schonung der Zivilbevölkerung zu gewährleisten.14

Auch der englisch-spanische Frieden von 1604 beendete relativ erfolgreich eine lange militärische Auseinandersetzung, die Mitte der 1580er Jahre begonnen hatte. Zwar brachen die Feindseligkeiten 20 Jahre später, 1625, noch einmal aus, aber die englischen Angriffe auf spanische Häfen zeigten nur eine geringe Wirkung und ab 1627 wurde der Krieg nur noch sehr verhalten fortgeführt, auch wenn es erst 1630 zu einem offiziellen Friedensschluss kam. Insgesamt war dieser Krieg doch eine bloße Episode in einer Friedensperiode, die, was Spanien und England betraf, mit der kurzen Unterbrechung der späten 1620er Jahre immerhin 50 Jahre dauerte, von 1604 bis 1654, als Cromwell Spanien den Krieg erklärte. Für das Reich, für Mitteleuropa stellen sich die Dinge natürlich anders dar, aber auch hier waren die Versuche vor 1618, zu einer „Komposition“ der Spannungen zwischen den verfeindeten Lagern zu gelangen, nicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt (siehe unten, S. 285–293).

II

Es blieb allerdings in der Epoche der sogenannten Pax Hispanica zwischen 1598 und 1618/21, um die es hier gehen soll, dennoch ein grundsätzliches Problem: Nämlich dass jeder Versuch der Vermittlung zwischen den feindlichen konfessionellen und politischen Lagern zunächst auf ein tiefes und oft nur schwer zu überwindendes Misstrauen stieß. Wer den Versuch einer solchen Vermittlung dennoch übernahm und den Weg für Kompromisse zu bereiten versuchte, geriet leicht in das Niemandsland zwischen den Fronten und wurde von der eigenen Seite unter Umständen als Verräter betrachtet. Das galt etwa für den holländischen Ratspensionär Johan van Oldenbarnevelt (1547–1619), den Architekten des Waffenstillstandes mit Spanien (1609), der 1618/19 gestürzt und als Hochverräter hingerichtet wurde. Es galt aber auch für den leitenden Minister des Kaisers Matthias, Kardinal Melchior Klesl (1552–1630), dem am Ende Protestanten wie Katholiken gleichermaßen misstrauten. Nach Ausbruch der böhmischen Revolte wurde er vom designierten Nachfolger des Kaisers, Erzherzog Ferdinand, und dem in Tirol regierenden Erzherzog Maximilian 1618 gefangen gesetzt und es war wohl nur sein Kardinalsrang, der ihn davor bewahrte, das Schicksal Oldenbarnevelts zu erleiden. Jakob I. von England (1566–1625), der sich ebenfalls Zeit seines Lebens um eine Politik des Ausgleichs bemühte und zeitweilig sogar die Idee eines ökumenischen Konzils ins Spiel brachte, das die Konfessionsspaltung überwinden sollte, wurde zwar nicht von seinen Untertanen gestürzt, stieß aber bei militanten Protestanten in seinem eigenen Königreich vor allem nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges ebenfalls auf ein wachsendes Misstrauen. Dieses wuchs noch an, als sich zeitweilig (1618–1623) eine dynastische Heirat zwischen seinem Sohn, dem Thronfolger, und einer spanischen Infantin abzuzeichnen schien.15 Der Weg vom Friedenspolitiker und Vermittler zum vermeintlichen Verräter war oft kurz und das war mit ein entscheidender Grund, warum viele Kompromisslösungen, die man zu Beginn des 17. Jahrhunderts entworfen hatte, sich als so fragil erwiesen.

Eine wichtige Quelle für das Misstrauen gegenüber jeder Vermittlungspolitik war, dass die unterschiedlichen politisch-konfessionellen Lager sich ihrer eigenen Identität zum Teil nicht wirklich sicher waren. Stellte nicht der, der einen Ausgleich mit einem langjährigen Gegner anstrebte, die konfessionelle und politische Identität der eigenen Seite, die Werte und die historischen Narrative, die ihr eine gewisse Stabilität gaben, infrage? Gerade weil die konfessionellen Lager sich noch nicht abschließend verfestigt hatten und eine gewisse konfessionelle Ambiguität ein weitverbreitetes Phänomen war,16 konnte jeder, der die traditionellen Feindbilder relativierte oder gar verwarf, als ein Akteur erscheinen, der die eigene Konfession, aber auch die politische Ordnung, die sich mit diesem Identitätsentwurf verband, destabilisierte. Oft ging es auch um die Glaubwürdigkeit einer politisch-konfessionellen Mission, die für dynastische Großreiche ein ebenso wichtiger Faktor der Kohärenz war wie für Republiken, etwa die nördlichen Niederlande.

Auf der europäischen Ebene wiederholte sich somit das, was für konfessionelle Kompromisslösungen auch im Inneren der Reiche und Territorien galt. Gerade weil sie nur zustande kamen, indem man bestimmte Streitgegenstände ausklammerte und sich zum Teil mit bloßen Formelkompromissen begnügte, nährten sie ein Gefühl der Unsicherheit und des Misstrauens. Für England hat das Alexandra Walsham mit Blick auf den ausgeprägten Kompromisscharakter der Church of England nach 1558 auf den Nenner gebracht: „Could it be that the pluralism nurtured by the Elizabethan Settlement helped to prevent the outbreak of a confessional war in the mid-sixteenth century but created the conditions in which one would ignite 80 years later? To this extent, there may be less of a contrast between early modern England and France than traditional historiography implied.“17 Die Kompromisse, die man eingegangen war, konnten sich nur halten, weil beide Seiten ihre wirklichen Überzeugungen verbargen, „dissimulierten“, um die Sprache der Zeit zu verwenden. Genau das erwies sich langfristig jedoch als zentrales Problem, weil es ein starkes Misstrauen gegenüber allen weniger eifrigen Gläubigen nährte, oder wie Walsham an anderer Stelle geschrieben hat: „By creating conditions in which dissimulation and clandestinity could flourish, it […] stimulated anxieties which culminated in the conviction that radical constitutional measures and military action had to be taken to prevent English Protestantism from being undermined from within.“18

III

Dennoch oder gerade deshalb bleibt die Periode, von der dieses Buch handelt, wichtig, weil sie einerseits zeigt, wie schwierig es war, in einer Epoche konkurrierender absoluter theologischer Wahrheitsansprüche zu einem dauerhaften modus vivendi zu finden, weil andererseits aber deutlich wird, dass die verfeindeten Lager durchaus dazu in der Lage waren, eine gemeinsame Sprache für das Gespräch über die Fronten hinweg zu entwickeln oder auch wiederzubeleben. Das unterschied die innerchristlichen Konflikte, so erbittert und brutal sie zeitweilig auch sein mochten, dann eben doch von den Auseinandersetzungen zwischen den christlichen Mächten und dem Osmanischen Reich, deren heiße Phase 1606 mit dem Frieden von Zsitvatorok freilich zumindest in Südosteuropa ein vorläufiges Ende fand.19 Sicherlich, auch in den Beziehungen zu den Osmanen gab es Perioden des relativen Friedens. Bestimmte christliche Mächte wie Frankreich oder Venedig hatten auch immer wieder erfolgreich die Zusammenarbeit mit dem Osmanischen Reich gesucht, insbesondere auf dem Gebiet des Handels, aber – jedenfalls im Fall Frankreichs – unter Umständen auch im Kontext einer politisch-militärischen Kooperation, die sich gegen gemeinsame Gegner wie Spanien richtete. Dennoch blieben hier deutliche Unterschiede zu den Beziehungen innerhalb des christlichen Europa: Hier sahen sich die großen Dynastien trotz aller Konflikte doch als Teil einer Familie von Fürsten, einer societé des princes, und in der Tat waren ja viele der Dynastien miteinander verwandt,20 bis zu einem gewissen Grade auch über die Konfessionsgrenzen hinweg, da Konversionen und gelegentlich auch konfessionell gemischte Ehe weiterhin Verbindungen schufen. Solche Verbindungen christlicher Fürsten zum Haus Osman, das in Konstantinopel herrschte, gab es naturgemäß nicht. Umgekehrt hielt man aufseiten der Hohen Pforte bis ins späte 17. Jahrhundert durchaus an der Vorstellung fest, es sei grundsätzlich die Aufgabe der Sultane, das „Haus des Islam“ immer weiter durch erfolgreiche Kriege auszudehnen und möglichst viele ihrer christlichen Untertanen unter Umständen auch durch sozialen Druck, wenn auch meist ohne direkten Zwang, zur Konversion zum Islam zu bewegen.21 Wie stark dieses Ideal dann in die politische Praxis umgesetzt wurde, hing sicherlich auch von der jeweiligen machtpolitischen Konstellation ab, aber immerhin war noch die Herrschaft Mehmeds IV. (1648–1687) durch solche Vorstellungen bestimmt, wie auch jüngere Forschungen noch einmal hervorgehoben haben.22 Erst nach den Niederlagen des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts mussten solche Ambitionen, die sich noch von dem Fernziel einer Universalherrschaft des Hauses Osman leiten ließen, aufgegeben werden. Erst jetzt wurden christliche Fürsten und Mächte wirklich als gleichberechtigte Vertragspartner bei Friedensschlüssen anerkannt, wie dies in den Verträgen von Karlowitz (1699) und Passarowitz (1718) geschah, auch wenn der Friede von Zsitvatorok (1606) bereits ein erster Schritt in diese Richtung gewesen war.23

Trotz aller innereuropäischen Konflikte und der phasenweise durchaus ausgeprägten Zusammenarbeit einzelner christlicher Mächte wie der Republik Venedig oder des französischen Königs mit dem Osmanischen Reich gab es am Ende auf christlicher Seite im frühen 17. Jahrhundert doch wichtige Grundlagen eines spezifischen Bewusstseins der Zusammengehörigkeit. Diese Beobachtung kann der Hinweis auf den durchaus relevanten kulturellen Austausch, die Handelsbeziehungen oder die nicht wenigen Grenzgänger zwischen den beiden Welten – der christlichen und der muslimisch-osmanischen – nicht grundsätzlich relativieren.24 Nicht zuletzt schufen selbst die permanenten konfessionellen Auseinandersetzungen eine Art „Streitgemeinschaft“, in der die Konfliktparteien sich als Teil eines größeren Ganzen verstanden, wie dies schon Friedrich Schiller in seiner Geschichte des Dreißigjährigen Krieges hervorhob.25 Dazu kam in Europa eine gemeinsame Adelskultur, deren Kohärenz durch die Institution der adligen Bildungsreise, die auch wohlhabende protestantische Adlige im 17. Jahrhundert zunehmend nach Italien führte, noch verstärkt wurde. Wie wichtig diese gemeinsame Kultur war, wird auch in bildlichen Darstellungen der Epoche deutlich. Betrachtet man die bekannte Darstellung der Somerset House Conference von 1604 (also der Friedenskonferenz zwischen Spanien und England, die den seit 1585 geführten Krieg beendete),26 so fällt auf, wie wenig sich die elf hier dargestellten Politiker und Diplomaten voneinander in Kleidung und Habitus unterscheiden, unabhängig davon, ob es sich um Engländer oder Spanier oder um die Vertreter der spanischen Niederlande, also um Wallonen oder Flamen, handelte. So unterschiedlich die Interessen und Überzeugungen waren, alle Beteiligten hatten doch Anteil an einer gemeinsamen europäischen Standeskultur.

Das galt wohl noch stärker mutatis mutandis für die Gelehrten und Intellektuellen der Epoche, für die Mitglieder der europäischen res publica litteraria, auch über die konfessionellen Grenzen hinweg.27 Gerade hier war die Wirkung der konfessionellen Konfrontation ambivalent; es wurden Gräben aufgerissen; aber der Konflikt konnte auch dazu führen, dass die Zeitgenossen umso intensiver nach einem intellektuellen Vokabular suchten, das die Verständigung über die Lagergrenzen hinaus erlaubte. Dieses Vokabular konnte das der späthumanistischen Bildungswelt und ihres Wissenskanons sein oder es konnte einer juristischen Sprache entstammen, die ihre Wurzeln zu wesentlichen Teilen im Römischen Recht hatte, oder es konnte geprägt sein von den ethischen Begriffen der antiken Philosophie oder der – allerdings in ihrer Interpretation umstrittenen – christlichen Tradition selbst.

Allerdings war nicht jede Aufforderung zur Mäßigung in theologischen Auseinandersetzungen, nicht jede sich erasmianisch-friedlich gebende Auslegung des christlichen Glaubens wirklich so tolerant, wie es auf den ersten Blick scheinen mochte. Oft ging es auch darum, eine scharfe Grenze zwischen den „Moderaten“ und denjenigen zu ziehen, die in keine wie immer geartete Friedenslösung einbezogen werden konnten, weil ihnen der Wille zum Frieden vermeintlich fehlte. Dabei konnte es sich je nach Standpunkt ebenso um militante Calvinisten wie um Jesuiten handeln. Faktisch kamen die wenigsten irenischen Diskurse, an denen es in dieser Epoche keineswegs fehlte, ohne die Abgrenzung gegenüber einem gemeinsamen Feind aus. Das konnten für die Christenheit insgesamt die Osmanen sein, deren Bedrohungspotenzial die Gegensätze zwischen Protestanten und Katholiken relativierte. Es konnten aber auch die vermeintlichen Fanatiker auf der Gegenseite sein, für die Katholiken die Anhänger Calvins, für die Protestanten die allzu papsttreuen Anhänger Roms oder spanische Inquisitoren. Auch dort, wo innerhalb eines gegebenen politischen Systems, etwa des Heiligen Römischen Reiches, die Hoffnung auf Frieden beschworen und die Gegensätze zwischen den feindlichen Lagern relativiert wurden, kam man ohne solche Feindbilder nicht aus.

Wie etwa Alexander Schmidt gezeigt hat, gab es gerade im Reich durchaus Ansätze für einen transkonfessionellen Patriotismus, auch wenn Protestanten stärker als Katholiken auf diese Option setzten. Vor allem humanistisch gesinnte Gelehrte versuchten, an einen solchen Patriotismus zu appellieren, und stellten die Diskurshoheit der Theologen nachdrücklich infrage.28 Mit noch größerem Nachdruck verwarf der niederländische Jurist Hugo Grotius den Anspruch der Theologen, die weltliche Obrigkeit ihren Dogmen dienstbar machen zu können (siehe unten, S. 156–158). Dem setzte er die Überzeugung entgegen, dass Dogmen, die dem bürgerlichen Frieden abträglich seien, abgelehnt werden müssten. Am Ende sei es wichtiger, ein guter Bürger zu sein als ein guter Christ.29 Diese Aussage stammt aus einem Spätwerk des Niederländers, aus einer Auseinandersetzung mit dem Theologen André Rivet, die er in den 1640er Jahren führte (Rivet hatte ihm vorgeworfen, Socinianer zu sein und mit dem Judentum zu sympathisieren); so radikal hätte sich Grotius 20 oder 25 Jahre früher wohl nicht geäußert. Aber unabhängig davon bleibt festzuhalten, dass auch das postdogmatische, erasmianische Christentum, für das Grotius hier eintrat, einem wirklichen Frieden nicht immer so zuträglich war, wie es auf den ersten Blick erscheinen mochte. Auch Humanisten wie Grotius oder Theologen, die wie er für eine erasmianische Zurückhaltung in konfessionellen Auseinandersetzungen eintraten, zogen, wie bereits hervorgehoben, Grenzen. Grenzen zwischen denen, die noch als friedensfähig galten, und denen, die es eben nicht mehr waren, mit denen ohnehin kein Ausgleich und kein modus vivendi möglich war. Damit wurden potenziell immer auch neue Gräben aufgerissen und neue Konflikte ausgelöst. Das galt vor allem für innerkirchliche Konflikte wie in der reformierten Kirche der Niederlande zu Beginn des 17. Jahrhunderts oder in der Church of England, aber in einem weiteren Sinne auch für die Suche nach Kompromissen auf der europäischen Ebene.30 Wir dürfen daher nicht den Fehler machen, in den Debatten der Zeit allzu schnell zwischen friedfertigen Humanisten und pragmatischen Politikern auf der einen Seite und theologischen Fanatikern und Zelanten auf der anderen Seite zu unterscheiden.31 Auch Friedensvisionen und -entwürfe konnten und können in sich den Keim des Konfliktes tragen, weil sie sich fast immer auch gegen die vermeintlich nicht Friedensfähigen und Intoleranten richteten und richten. Ein Problem, das uns aus den Debatten der Gegenwart nur allzu vertraut ist.

IV

Dem eigentlichen Architekten der fragilen Friedensordnung, die ab 1598 schrittweise in Europa entstand, Francisco Gómez de Sandoval y Rojas, Herzog von Lerma (1553–1625), lag jede Relativierung des Anspruches der römischen Kirche, die allein seligmachende Glaubensgemeinschaft zu sein, natürlich ohnehin völlig fern. Lerma, der als leitender Minister und Favorit (valido) König Philipps III. von Spanien die Politik des größten europäischen Reiches leitete, ging es um ganz andere Ziele als um einen Ausgleich zwischen den Konfessionen. Seine Politik zog vielmehr die Konsequenzen aus der Einsicht, die sich in den 1590er Jahren in Spanien respektive in Kastilien, dem eigentlichen Kernland der spanischen Monarchie, immer mehr durchgesetzt hatte, dass man sich einen permanenten Krieg gegen eine Vielzahl von Gegnern – die aufständischen Niederländer, die Engländer und den französischen König sowie die Korsaren Nordafrikas – einfach nicht leisten konnte. Um die Monarchie zu stabilisieren, bedurfte es des Friedens, zumindest mit einem Teil der alten Gegner.32 Das hieß nicht, dass Spanien seinen Anspruch darauf, Vormacht des katholischen Europa zu sein und allein die reine Botschaft des katholischen Glaubens rückhaltlos zu verteidigen, aufgab, aber die universale Mission, die man sich immer noch zuschrieb, war jetzt nicht mehr notwendigerweise eine militärische, sondern konnte sehr wohl auch eine spirituelle und kulturelle sein. Man hoffte, mit den Waffen der Diplomatie mehr zu erreichen als mit Kanonen und Piken. Zugleich verband sich die Politik Lermas mit einer Distanzierung vom deutschen respektive österreichischen Zweig der Dynastie. Die Beziehungen Madrids zum Kaiserhof in Prag waren schon vor 1598 merklich abgekühlt, zumal Kaiser Rudolf II. seinen spanischen Verwandten – wie fast allen Mitgliedern seiner Familie – zutiefst misstraute.33 Allerdings zog erst Lerma daraus die Konsequenz, ein militärisches Engagement im Heiligen Römischen Reich auch im Ernstfall auf ein absolutes Minimum zu beschränken und sich dabei primär an spanischen, nicht an dynastischen Interessen zu orientieren, mochte auch die spanische Königin Margarete (1583–1611), die aus dem deutschen Zweig des Hauses Österreichs stammte, diese Dinge dezidiert anders sehen. Lermas Prioritäten waren andere: Eine universelle Mission nahm die spanische Monarchie in den Jahren, als Lerma ihre Politik bestimmte, immer noch für sich in Anspruch. Diese Mission fand ihre Erfüllung aber nicht mehr im unaufhörlichen Kampf gegen die „Ketzer“ in Nordeuropa, sondern eher in der Verteidigung der Christenheit gegen das Osmanische Reich und seine Verbündeten im Mittelmeerraum sowie in der Vorbildfunktion, die Spanien für die Erneuerung des Katholizismus zukommen sollte.34

Für die Ausgleichspolitik der Jahre ab 1598 war aber auch von entscheidender Bedeutung, dass die südlichen Niederlande nun nicht mehr direkt von Madrid regiert wurden, sondern von Erzherzog Albrecht (1559–1621), einem Sohn des Kaisers Maximilian II. und seiner Gattin, der Infantin Isabella. Albrecht und seine Gemahlin waren stark an einer politischen und wirtschaftlichen Konsolidierung ihrer Territorien interessiert; dieses Ziel war aber nur um den Preis eines Verzichtes auf expansive politische Ziele zu erreichen, dessen war man sich in Brüssel bewusst. Überdies war Albrechts Interesse an der globalen Machtstellung der spanischen Monarchie, die sich in Südostasien seit den 1590er Jahren in einem Konflikt mit den Niederlanden befand, begrenzt. Er drängte daher auch auf diesem Gebiet zu Zugeständnissen, um den Krieg mit den nördlichen Niederlanden zumindest vorübergehend beizulegen.35 Die Friedenspolitik Albrechts und Isabellas besaß daher namentlich für den englisch-spanischen Frieden von 1604 und für den Waffenstillstand mit den Niederlanden 1609 eine erhebliche Bedeutung.

Abb. 2: Studie für das Reiterbildnis des Herzogs von Lerma. Federzeichnung von Peter Paul Rubens, 1603.

V

In den südlichen Niederlanden, dem Herrschaftsgebiet Albrechts und Isabellas, lag mit Löwen auch eine der wichtigsten katholischen Universitäten Nordeuropas. Hier lehrte ab 1590 Justus Lipsius (1547–1606), der als Vertreter der Philosophie des Neustoizismus sowie als Interpret und Kommentator der Werke des römischen Historikers Tacitus Katholiken wie Protestanten gleichermaßen beeinflusste – ein Indiz dafür, dass trotz aller Konflikte zwischen den Konfessionen Europa zumindest für die Gelehrten, aber auch für die sozialen Eliten, eine umfassende intellektuelle Kommunikationsgemeinschaft blieb. Es war gerade die Konkurrenz zwischen inkommensurablen theologischen Wissenssystemen, die gegen Ende des 16. Jahrhunderts bei vielen Zeitgenossen eine Stimmung des Zweifels und der Skepsis geschaffen hatte. Die Lehre des Neustoizismus mit ihrem Ideal der Selbstdisziplin und Ataraxie sowie ihrer politischen Klugheitslehre versuchte diese Skepsis zu bewältigen. Wie sich am europaweiten Einfluss der Werke von Lipsius zeigen lässt, waren es die Diskurse der humanistischen Gelehrsamkeit, die eine Gewähr dafür boten, dass der Dialog zwischen den verfeindeten Lagern nie ganz abbrach. Das Gleiche galt für die Sprache des Rechtes, aus der sich schrittweise die Prinzipien eines neuen ius publicum Europaeum entwickelten. Ohne diese an der Wende zum 17. Jahrhundert gelegten Fundamente hätte man auch 1648 nicht den Weg zu einem Frieden gefunden, der dann doch zumindest in Mitteleuropa eine Ordnung schuf, die für alle oder fast alle Beteiligten akzeptabel war. Wichtige Grundlagen für diesen Ausgleich wurden schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der Epoche der Pax Hispanica geschaffen, auch wenn es einer späteren Generation überlassen blieb, die Früchte dieser Bemühungen zu ernten.

Die ersten zwei Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts waren hingegen auch durch den Versuch der großen dynastischen Imperien Europas bestimmt, sich neu zu orientieren und den zentrifugalen Kräften der Destabilisierung, denen sie permanent ausgesetzt waren, zu trotzen. Dass die Politik des Herzogs von Lerma in Madrid wesentlich durch dieses Bemühen bestimmt war, wurde bereits hervorgehoben. Spanien stellt aber nur das prominenteste Beispiel für ein dynastisches Großreich dar, in dem die Beziehungen zwischen den einzelnen Reichsteilen an der Wende zum 17. Jahrhundert neu ausgehandelt werden mussten. Ähnliches galt für das Reich der Stuarts, das nach 1603 England, Schottland und Irland umfasste, und für die Habsburgermonarchie mit ihren Zentren in Prag und Wien, deren Länder und Territorien ein besonders hohes Maß an Heterogenität aufwiesen, nicht nur kulturell und sprachlich, sondern auch, weil hier in vielen Kronländern der Protestantismus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Fuß gefasst hatte. Im Fall des spanischen Weltreiches und der Habsburgermonarchie waren es wesentlich die Krisenjahrzehnte der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die über die Zukunft dieser composite monarchies oder dynastic agglomerates entschieden. Ferdinand II. und Ferdinand III. gelang es, das von Wien aus regierte Reich dauerhaft zu festigen, während die spanische Monarchie zwar nicht zerfiel – sie zeigte vielmehr trotz aller Krisen ein bemerkenswertes Maß an Überlebenskraft, auch wenn 1668 die Unabhängigkeit Portugals endgültig anerkannt werden musste –, aber doch ihren Status als potenzielle europäische Hegemonialmacht, der um 1610 noch intakt gewesen war, verlor.

Die Bühne gehörte nun Mächten, deren Aufstieg sich um 1600 bereits deutlich abzeichnete, einerseits der Republik der Niederlande, die sich trotz innerer Krisen in der Zeit des Waffenstillstandes mit Spanien 1609–1621 zu konsolidieren vermochte, und andererseits dem Frankreich der Bourbonen. Die französische Monarchie war nach dem Aussterben des Hauses Valois (1589) genötigt gewesen, sich neu zu erfinden. Eine ausgeprägte Resakralisierung des Königtums war jedoch nur im engen Bündnis mit einem erstarkten Reformkatholizismus möglich. Dieser distanzierte sich jetzt zunehmend von der Militanz und Gewaltbereitschaft der Heiligen Liga, die in der Endphase der französischen Religionskriege gegen eine protestantische Thronfolge und jede Form von Toleranz für Protestanten gekämpft hatte. Doch blieb andererseits das Ideal des Märtyrertums einflussreich und wurde im Kontext einer frühbarocken Frömmigkeit emphatischer denn je inszeniert (siehe unten, S. 121–128). Der Unterschied war jedoch, dass man nun die Märtyrerkrone auch in der Askese und in der Fürsorge für die Kranken und Schwachen zu finden vermochte und nicht notwendigerweise im Kampf gegen Ketzer und Ungläubige. Das Martyrium wurde sublimiert sowie internalisiert und verlor damit seine unmittelbare politische Sprengkraft.

Dennoch blieb das Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Autorität, zwischen imperium und sacerdotium, zu Beginn des 17. Jahrhunderts weiterhin von Spannungen geprägt, und das nicht nur in Frankreich. In einer Zeit radikaler Widerstandstheorien, die oft mit der mangelnden Rechtgläubigkeit weltlicher Herrscher argumentierten, war es umso wichtiger, die Unantastbarkeit einer Monarchie von Gottes Gnaden zu betonen. Das geschah in Frankreich unter Heinrich IV. und seinem Nachfolger genauso wie etwa zur gleichen Zeit in England unter Jakob I. Aber auch in Republiken wie den Niederlanden oder Venedig – über das der Papst 1606 das Interdikt verhängte – sehen wir in dieser Zeit Versuche, eine Delegitimation weltlicher Herrschaftsordnungen durch theologische Argumente grundsätzlich zurückzuweisen und die kirchlichen Autoritäten strikt der weltlichen Obrigkeit unterzuordnen. Die Auseinandersetzungen um das venezianischen Interdikt von 1606 und um den gleichzeitigen englischen Oath of Allegiance in England zeigen, dass die Abgrenzung der weltlichen und der kirchlichen Machtsphäre eines der zentralen Themen der Epoche war, das auch noch in den Verhandlungen der französischen Generalstände von 1614 seinen Widerhall fand. Erst, nachdem es gelungen war, das Aufsichtsrecht des Papstes über weltliche Herrscher ebenso zurückzuweisen wie die „Strafgewalt“ protestantischer Theologen und Synoden, konnte sich auch in den zwischenstaatlichen Beziehungen die Politik von direkten theologischen Vorgaben emanzipieren. Die Voraussetzung dafür war jedoch gerade in einer Monarchie wie Frankreich nicht eine Säkularisierung des monarchischen Herrschaftsanspruches, sondern eine erneute Sakralisierung, die sich freilich auf eine lange Tradition des Sakralkönigtums und eine spezifisch französische religion royale stützen konnte.36 Hier wurden Fundamente gelegt für den emphatischen Herrschaftsanspruch des Königtums im Zeitalter Ludwigs XIV., der oft mit dem Schlagwort des Absolutismus bezeichnet wird.

Auch hier nahmen die ersten zwei Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts Entwicklungen vorweg, die erst später, als man sich zum Teil der Genese der dominierenden politischen Legitimationsdiskurse schon gar nicht mehr vollständig bewusst war, in ihrer vollen Tragweite sichtbar wurden.

Es ist der Anspruch dieser Studie, die in die Zukunft verweisenden Tendenzen dieser Epoche zu würdigen, ohne diese Zeit jedoch als bloße Vorgeschichte des Konfliktes, der 1618–1621 ausbrach respektive im Fall der Niederlande wieder ausbrach, erscheinen zu lassen. Das würde den komplexen Konfliktkonstellationen der Wende zum 17. Jahrhundert ebenso wenig gerecht werden wie der Offenheit der politischen ebenso wie der konfessionellen Entwicklungen in diesen Jahren. Es gab um 1610 keinen vorgezeichneten Weg, der in die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges führte, weder im Sinne eines Konfessionsfundamentalismus, der jeden Ausgleich unmöglich machte, noch im Sinne machtpolitischer und – im Heiligen Römischen Reich – auch rechtlich-konstitutioneller Konflikte, die sich in keiner Weise mehr hätten beilegen lassen. Allerdings, und das erwies sich als verhängnisvoll, gelangte die spanische Monarchie aus unterschiedlichen Gründen nie wirklich in den Genuss jener „Friedensdividende“, auf die der Herzog von Lerma als leitender Minister gesetzt hatte, was in Madrid ab 1618 die Bereitschaft, zu einer kriegerischen, offensiven Politik zurückzukehren, sicherlich stärkte. Umgekehrt ließen sich allzu viele Zeitgenossen in ihrer Einschätzung der Lage in Europa von einem tiefen Pessimismus, von einem Denken in Kategorien eines Worst-Case-Szenarios leiten, das einen großen Konflikt ohnehin früher oder später unausweichlich erscheinen ließ. Ohne diese Erwartungshaltung lässt sich das Verhalten wichtiger Akteure wie des Fürsten Christian von Anhalt in der Krise der Jahre 1618/19 nicht verstehen, wie zu zeigen sein wird.

Diese Studie erhebt nicht den Anspruch, die Jahre der Wende zum 17. Jahrhundert erschöpfend und in allen Teilaspekten darzustellen. Der Akzent liegt vielmehr einerseits auf der Geschichte der großen Imperien und dynastischen Akteure der Epoche und darüber hinaus auf der politischen Geschichte West- und Mitteleuropas insgesamt. Zum anderen aber sollen jene konfessionellen und geistigen Kräfte gewürdigt werden, die einerseits in der Tat zur Verschärfung bestehender machtpolitischer Gegensätze beitrugen, andererseits aber auch Frontstellungen schufen, die zum Teil quer zu den Linien verliefen, die die konfessionellen Lager trennten. Es mag eine Banalität sein, festzustellen, dass die Epoche der Pax Hispanica eine Zeit der Widersprüche war – welche Epoche ist das am Ende nicht? –, aber angesichts der Versuche, gerade mit Blick auf den Ausbruch des Krieges 1618 die Vorgeschichte dieser Katastrophe in der einen oder anderen Richtung zu vereinfachen, scheint es umso notwendiger, sich die Komplexität der Konfliktlagen in den Vorkriegsjahrzehnten vor Augen zu führen. Nur dann kann man die Voraussetzungen jener Friedenslösung verstehen, die am Ende, 1648, zumindest für das Reich und den spanisch-niederländischen Konflikt gefunden wurde.

I. Eine Friedensordnung für Europa?

1. Das Ende der spanischen Offensivpolitik: der Frieden mit Frankreich

Philipp II. von Spanien war im Vertrauen darauf, dass Gott auf seiner Seite stand, fast nie einem Kampf mit den Gegnern der spanischen Monarchie ausgewichen, unabhängig davon, ob es sich nun um rebellierende Untertanen in den Niederlanden, Gegner des katholischen Glaubens im Mittelmeerraum oder Nordeuropa oder nur um machtpolitische Rivalen handelte.1