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Englische Könige
und Königinnen der Neuzeit

Von Heinrich VII.
bis Elisabeth II.

Herausgegeben von Peter Wende

 

 

 

 

 

 

C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Die britische Monarchie ist heutzutage die älteste Europas, ihr Herrscherhaus läßt sich bis in das neunte Jahrhundert zurückverfolgen. Zugleich liefert die Geschichte Großbritanniens während des 17., 18. und 19. Jahrhunderts unter mannigfachen Gesichtspunkten wegweisende Beispiele für politische und ökonomische Modernisierung: als Staat und auf dem Wege zur parlamentarischen Demokratie, als Führungsmacht der Industriellen Revolution sowie als die herausragende europäische Weltmacht mit einem erdumspannenden Kolonialreich.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den Ursachen für die erstaunliche Kontinuität einer traditionsverhafteten Monarchie in einem Umfeld von vielfach exemplarischer Modernität. In einem Staat, in dem ursprünglich alle Macht mehr oder weniger in einer Person konzentriert war, kommt dem Charakter und den Taten der Könige und Königinnen besondere Bedeutung zu. Der Weg vom sogenannten Tudor-Absolutismus bis hin zu einer Monarchie, deren Repräsentanten zum Objekt von Medieninteresse in Zeiten eines raschlebigen Populismus zu werden drohen, wird in diesem Band als eine Summe von faszinierenden Einzelportraits präsentiert.

Über den Herausgeber

Der Herausgeber, Peter Wende, emeritierter Professor für Neuere Deutsche Geschichte an der Universität Frankfurt/Main, leitete als Direktor das Deutsche Historische Institut in London von 1994 bis 2000. Im Verlag C.H.Beck ist von ihm lieferbar: Das Britische Empire. Geschichte eines Weltreichs (22016).

INHALT

Einleitung

Heinrich VII. (1485–1509) von Karl-Friedrich Krieger

Heinrich VIII. (1509–1547) von Michael Erbe

Eduard VI. (1547–1553) von Bärbel Brodt

Maria die Katholische (1553–1558) von Karl Heinz Metz

Elisabeth I. (1558–1603) von Günther Lottes

Jakob I. (1603–1625) von Ronald G. Asch

Karl I. (1625–1649) von Peter Wende

Karl II. (1649/60–1685) von Peter Wende

Jakob II. (1685–1689) von Ronald G. Asch

Wilhelm III. und Maria II. (1689–1702 und 1689–1694) von Eckhart Hellmuth

Anna (1702–1714) von Ulrike Jordan

Georg I. (1714–1727) von Lothar Kettenacker

Georg II. (1727–1760) von Hermann Wellenreuther

Georg III. (1760–1820) von Hans-Christoph Schröder

Georg IV. (1820–1830) von Rudolf Muhs

Wilhelm IV. (1830–1837) von Benedikt Stuchtey

Viktoria (1837–1901) von Edgar Feuchtwanger

Eduard VII. (1901–1910) von Johannes Paulmann

Georg V. (1910–1936) von Hartmut Pogge von Strandmann

Eduard VIII. (20. Januar 1936–11. Dezember 1936) von Gottfried Niedhart

Georg VI. (1936–1952) von Bernd Jürgen Wendt

Elisabeth II. (seit 1952) von Peter Alter

Anhang

Bibliographie

Abbildungsnachweis

Die Autoren

Personenregister

 

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EINLEITUNG

Nur selten lassen sich historische Anfänge eindeutig definieren. Dies gilt auch für den Ursprung der englischen Monarchie. Ein mögliches Datum liefert hier das Jahr 829, in welchem Egbert, Herrscher des südenglischen angelsächsischen Teilkönigreiches Wessex, von seinen Nachbarn im Norden, in Mercia und Northumbria, als gemeinsames politisches Oberhaupt anerkannt wurde. Und bis zu jenem Egbert hin läßt sich, zumindest bei großzügiger Anwendung genealogischer Gesetze, auch die Abstammung Elisabeths II., «Königin des Vereinten Königreiches von Großbritannien und Nordirland», zurückverfolgen. D.h., Großbritannien ist nicht nur die älteste europäische Monarchie, sondern der – nahezu ungebrochenen – Kontinuität der Verfassungsform entspricht die zwar gelegentlich korrigierte, aber formal niemals aufgegebene Kontinuität der herrschenden Dynastie. Und so bezieht die Geschichte des englischen Könighauses ihren besonderen Reiz bereits daraus, sich in mehr als einem Jahrtausend oftmals stürmisch verlaufenden historischen Wandels als feste Größe behauptet zu haben.

Vor diesen Hintergrund sind die biographischen Skizzen der englischen Könige der Neuzeit gestellt, als Teilantworten auf die Frage nach den Gründen für jene imponierende Kontinuität, auf die Frage nach dem besonderen Beitrag, den einzelne Herrscher durch ihre Verdienste oder auch ihr Versagen in einem solchen Zusammenhang leisteten. Und wenn auch sicher die Geschichte der englischen Monarchie nicht gleichzusetzen ist mit der Geschichte Englands, so sind doch nicht nur in dem Bereich der Verfassung, sondern auf dem weiten Feld der inneren Geschichte des Inselstaates Knotenpunkte der allgemeinen Entwicklung zugleich markante Entscheidungssituationen in der politischen Biographie des jeweiligen Herrschers gewesen, zumindest bis hin zum Beginn des 20. Jahrhunderts.

Dies gilt selbstverständlich in besonderem Maße für jene Epoche, mit der dieser Band einsetzt, den Beginn der europäischen Neuzeit, der zugleich einen allgemeinen Aufschwung monarchischer Gewalt als Faktor der Ausbildung moderner Staatlichkeit markierte. In England wird gemeinhin 1485, das Jahr der Thronbesteigung Heinrichs VII., als diese Epochenschwelle definiert. Die Geschichte der englischen Könige der Neuzeit besitzt jedoch in der Geschichte der englischen Könige des Mittelalters ihre in mannigfaltiger Hinsicht bedeutsame Vorgeschichte.

In der mehr als drei Jahrhunderte, von der normannischen Eroberung (1066) bis zur Schlacht von Bosworth (1485) währenden Epoche des Hoch- und Spätmittelalters hatten insgesamt 17 Könige über das Land geherrscht. Trotz vielfältiger innerer Wirren und selbst angesichts der Tatsache, daß drei dieser Herrscher, nämlich Eduard II. (1307–1327), Richard II. (1377–1399) und Heinrich VI. (1422–1461) im Kerker ermordet wurden, entsprach die Thronfolge während dieser Zeit im wesentlichen den Normen des Erbfolgeprinzips. Und wenn die Regeln der strikten Primogenitur durch Usurpatoren wie Heinrich IV. (1399–1413), Eduard IV. (1461–1483) oder schließlich Heinrich VII. (1485–1509) gebrochen wurden, beriefen auch sie sich stets auf ihre durchaus vorhandenen Erbansprüche. Zudem ging es bei den zahlreichen inneren Konflikten und Kämpfen der Epoche weniger um Thronstreitigkeiten als vielmehr um die Fixierung des Machtbereichs königlicher Herrschaft.

Die normannischen Eroberer hatten von ihren angelsächsischen Vorgängern eine starke königliche Zentralgewalt übernommen und diese durch die Einführung des Lehnswesens zunächst noch verstärkt. Von da an waren die ständigen innerenglischen Machtkämpfe weniger Thronstreitigkeiten um den Besitz der Krone, sondern galten vielmehr der Ausdehnung bzw. Eingrenzung der Macht des Königs, wobei sich entweder Monarch und Adel gegenüberstanden oder einzelne aristokratische Gruppierungen um die Kontrolle der königlichen Macht stritten. In diesem Zusammenhang war es von besonderer Bedeutung, daß in England der Konflikt zwischen Adel und Königtum nicht zur Ausbildung autonomer adliger Partikulargewalten führte, hier entstand kein Landesfürstentum wie in Deutschland. Statt dessen blieben lokale und regionale Interessen in den Gesamtkomplex der Monarchie eingebunden, zum einen dadurch, daß die in vielem durchaus eigenständigen Organe der Selbstverwaltung im Rahmen eines das ganze Land erfassenden gemeinen königlichen Rechts operierten, zum andern dadurch, daß sie durch ihre Vertretung im Parlament Mitsprache und Kontrolle ausüben konnten. Dieses Parlament, das aus dem Rat der Krone hervorgegangen war, verkörperte ebenso wie die königliche Gewalt die für das Mittelalter ungewöhnlich stark ausgebildeten zentripetalen Tendenzen des englischen Königreiches, denn es galt schon bald als die Vertretung des gesamten Landes und nicht nur einzelner Stände.

So kennzeichnet bei Ausgang des Mittelalters ein eigentümliches Paradoxon die Position der englischen Krone: Auf der einen Seite war die königliche Zentralgewalt machtvoll und zugleich differenziert organisiert, auf der anderen Seite jedoch eingeschränkt durch ihre Bindung sowohl an das Recht als auch an den Konsens und die Kooperation der gesellschaftlich und politisch relevanten Kräfte, d.h. im wesentlichen des Adels. Selbst die Rosenkriege (1455–85), in deren Verlauf ganze Adelsgeschlechter ausgerottet wurden, minderten nicht die zentrale politische Funktion der Krone, um deren Besitz die Häuser York und Lancaster ein Menschenalter lang erbittert stritten.

Doch nicht nur das Ende dieses letzten großen Thronstreits markiert den Beginn der englischen Neuzeit, sondern auch die damit verbundene Aufgabe aller kontinentaleuropäischen Besitzungen. Hatte die englische Monarchie des Mittelalters – nicht zuletzt infolge ihrer normannischen Ursprünge – immer wieder versucht, ihre Herrschaft nach Frankreich hin auszudehnen, so bleibt im Gegensatz dazu die englische Monarchie der Neuzeit auf die britischen Inseln konzentriert, auch wenn der aus den mittelalterlichen Herrschaftsansprüchen herrührende Titel eines Königs von Frankreich erst im Jahre 1837, mit der Thronbesteigung der Königin Viktoria, offiziell aufgegeben wurde.

Im 16. Jahrhundert markierten vor allem die Regierungszeiten Heinrichs VIII. und Elisabeths I. die Höhepunkte königlicher Machtentfaltung, so daß gelegentlich in diesem Zusammenhang von einem Absolutismus der Tudors die Rede ist. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Politik der Herrscher weiterhin an den Konsens der politischen Nation gebunden blieb. Nach wie vor verfügten die Könige nicht über ein stehendes Heer, die Regierungsbürokratie blieb gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf ca. 1200 Amtsinhaber beschränkt, die königliche Justiz wurde durch in der Grafschaft ansässige Friedensrichter verwaltet, und parallel zum Aufstieg der Krone wuchs die Bedeutung des Parlaments als staatliche Institution. Besonders durch massive Legislation im Zusammenhang mit der englischen Reformation hatte es seine politische Funktion ausbauen können, so daß herrschender zeitgenössischer Rechtsauffassung zufolge die Souveränität des englischen politischen Gemeinwesens im Verbund von Krone, Oberhaus und Unterhaus («King-in-Parliament») verortet war.

Im 17. Jahrhundert, als den Gesetzen der Erbfolge entsprechend das Haus Stuart auf den Thron gelangte, zerbrach aus vielfältigen Ursachen und Anlässen heraus dieser die englische Monarchie tragende Fundamentalkonsens. 1640 strebte das rebellierende Parlament nach der zentralen politischen Entscheidungsgewalt. Der Konflikt gipfelte 1649 in der Hinrichtung des militärisch unterlegenen Königs Karl I., doch die Monarchie behauptete sich nach kurzem republikanischen Intermezzo 1660 in der Restauration Karls II.

Als dieser und der ihm nachfolgende Bruder Jakob II. abermals versuchten, die Macht der englischen Krone dem Vorbild des französischen Absolutismus eines Ludwig XIV. entsprechend zu gestalten, war die diesmal unblutige «Glorreiche Revolution» des Jahres 1688 die Folge. Deren verfassungsrechtliche Ergebnisse wurden im Staatsgrundgesetz der Bill of Rights fixiert, mit dem das englische Königtum endgültig auf den Weg hin zur parlamentarischen Monarchie gebracht wurde.

Die Geschichte der britischen Könige des 18. und 19. Jahrhunderts ist damit die Geschichte der zunehmenden Kontrolle und Bindung königlicher Rechte durch und an die Macht des Parlaments. Seinen deutlichsten Ausdruck fand dieser Wandel in der Regulierung der Thronfolge durch Parlamentsgesetze, welche die klassischen Regeln der Erbfolge durch politische Vorgaben teilweise außer Kraft setzten, indem 1689 sowie 1701 sämtlichen Erbberechtigten katholischen Glaubens ihre Ansprüche aberkannt wurden. Nachdem durch die Regelung der Nachfolge das Parlament seine Kompetenz für die Fixierung der Grundlagen der englischen Monarchie unter Beweis gestellt hatte, waren damit implizit die Voraussetzungen für eine Verfassungspraxis geschaffen, die den König in zunehmende Abhängigkeit von seinen Parlamenten stellte. Dies galt besonders für die Kontrolle der Politik der königlichen Regierung mittels der Kontrolle der Finanzen. Nach den Revolutionen des 17. Jahrhunderts führte kein Weg mehr am Steuerbewilligungsrecht des Unterhauses vorbei. Und die Einführung der königlichen Zivil-Liste 1697 unterstellte selbst Haus- und Hofhaltung des Monarchen parlamentarischer Aufsicht. Zugleich unterstrich die damit ausgesprochene Trennung von Staatshaushalt und königlicher Privatschatulle, daß der König in England eben nicht mehr die staatliche Gewalt in vollem Umfang in seiner Person verkörperte, wie dies Ludwig XIV. von Frankreich in der berühmten Formel «L’état c’est moi» für sich in Anspruch genommen hatte. Und ebenso konnten die Könige das klassische Machtinstrument aller Politik, das Heer, ohne parlamentarische Zustimmung weder aufstellen noch einsetzen.

Dennoch blieb auch nach 1689 die Krone zentrale Instanz im Entscheidungsfeld staatlicher Politik. Auch wenn die Zielsetzungen und Aktionen der königlichen Regierung keineswegs immer die Umsetzung des königlichen Willens beinhalteten, so konnten sie gegen diesen kaum realisiert werden. Der Weg in die parlamentarische Monarchie, in der schließlich die Krone zum rein repräsentativen Staatsoberhaupt reduziert wurde, war lang und keineswegs gradlinig. Um ihn zu verfolgen, genügt es nicht, die spärlichen legislatorischen Marksteine der ungeschriebenen englischen Verfassung zu interpretieren oder scheinbar eindeutig signifikante Stationen der sich wandelnden Verfassungswirklichkeit zu markieren.

So darf z.B. die Tatsache, daß Königin Anna als letzte in aller Form durch Einlegen ihres Vetos ein Gesetz zum Scheitern brachte, nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch weiterhin dem Monarchen wirkungsvolle, wenn auch weniger spektakuläre Mittel zur Verfügung standen, die parlamentarische Legislation zu beeinflussen oder gar lahmzulegen. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ernannte der König die Minister, die allerdings zumindest mittelfristig in der Lage sein mußten, ausreichenden Rückhalt im Parlament zu mobilisieren. Vor allem verfügte die Krone über «Einfluß», den sie z.B. im Oberhaus gegen Gesetzesinitiativen des Unterhauses mobilisieren konnte und den sie besonders bei Parlamentswahlen, deren Ausgang durch die Vergabe von Ämtern und Pfründen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zu manipulieren war, auszuüben vermochte. So markierten die Wahlen des Jahres 1841 erstmals die Niederlage einer königlichen Regierung. Zuvor waren Regierungswechsel das Ergebnis politischer Manöver gewesen, in die stets auch, zumindest formal, die Krone involviert war. Mit Fug und Recht kann daher die Geschichtswissenschaft darüber streiten, in welchem Umfang die königliche Regierung im 18. Jahrhundert noch die Regierung des Königs war. Zwar hatte sich unter den ersten beiden Herrschern aus dem Haus Hannover das Kabinett als diejenige Instanz herausgebildet, die die Richtlinien der Politik bestimmte, doch nach der Thronbesteigung Georgs III. konstatierten Zeitgenossen, daß «die Macht der Krone von Tag zu Tag wachse».

Im 19. Jahrhundert wurde schließlich der Übergang zur parlamentarischen Monarchie vollzogen, ohne daß dies in spektakulären Akten der Verfassungsgesetzgebung seinen Niederschlag fand. Statt dessen fanden klassische Rechte des konstitutionellen Monarchen schlicht keine Anwendung mehr. Nachdem bereits 1707 die Krone zum letzten Mal durch ihr Veto ein Gesetz blockiert hatte, entließ 1834 der König zum letzten Male aus eigenem Antrieb eine Regierung, nämlich das liberale Kabinett Melbourne. Hinfort sollte der königliche Akt der Einsetzung und Entlassung von Premiers und Ministern lediglich Entscheidungen sanktionieren, die keine Willensentscheidungen des Königs, sondern Ergebnisse parteipolitischer Konstellationen waren. Das gleiche gilt für das klassische Recht der Auflösung des Parlaments. Parallel zur Formierung moderner politischer Parteien und der damit verbundenen Ausbildung der Strukturen und Mechanismen einer parlamentarischen Demokratie gerieten nicht nur die traditionellen Prärogativrechte der Krone in Verfall, sondern auch der zuvor oftmals bedeutsame «Einfluß» der Krone schwand – spätestens 1829 mit den Gesetz über die Gleichberechtigung der Katholiken. Und mit der Legislation zur großen Parlamentsreform des Jahres 1832 wurde deutlich, daß Politik auch gegen den ausgesprochenen Willen des Königs durchsetzbar war. Nur noch in Zeiten der Krise, d.h. wenn keine klaren parlamentarischen Mehrheiten bestanden oder eine Partei nicht über die notwendigen Mechanismen verfügte, aus sich heraus eindeutig den Kandidaten für dasAmt des Premierministers zu bestimmen, wie dies bei den Konservativen bis 1965 der Fall war, konnte der Monarch weiterhin unmittelbaren politischen Einfluß nachhaltig geltend machen.

Der für das 19. Jahrhundert eindeutig zu registrierende Rückzug des Königs aus dem Entscheidungsbereich staatlicher Politik läßt dabei die Frage offen, inwieweit jene königlichen Prärogativrechte, die der Herrscher nun nicht mehr anwandte, damit tatsächlich in Verfall gerieten oder lediglich ruhten, um in bestimmten Entscheidungssituationen reaktiviert zu werden. Zumindest noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts schien diese Frage offen, als Georg V. im Zusammenhang mit der irischen Krise ernsthaft den Einsatz seines Vetos erwog, um den seiner Ansicht nach drohenden Bürgerkrieg abzuwenden. Auch ließe sich, zumindest theoretisch, die Frage stellen, wo letztlich die Grenzen für die Begrenzung königlicher Macht liegen, ohne die eine Monarchie zur Farce gerät.

Der Historiker muß dabei jedoch zunächst eine Entwicklung beschreiben, in der der Verlust an direkter politischer Macht der Krone parallel zu einem Funktionswandel stattfand, welcher dem Monarchen neue politisch bedeutsame Aufgaben zuwies. In dem Maße, in dem die Gestaltung staatlicher Politik zum Monopol der jeweils regierenden Partei wurde, fiel dem Monarchen die Rolle des über den Parteien stehenden und damit die Einheit der Nation verkörpernden Staatsoberhauptes zu. Wo der politische Alltag durch den fortwährenden Machtkampf der Parteien bestimmt ist, bleibt damit die höchste Position im Staat dem politischen Ehrgeiz dieser Parteipolitiker vorenthalten, denn sie ist in einer parlamentarischen Monarchie ein für allemal besetzt. Notwendige Voraussetzung hierfür war selbstverständlich der Übergang politischer Macht: vom Herrscher auf die Parteien. Danach war es von sekundärer Bedeutung, mit welcher politischen Richtung der König sympathisieren mochte, wurde es doch fortan seine Pflicht, bei der jährlichen Parlamentseröffnung die Regierungserklärung des jeweiligen Premiers als seine Thronrede zu verlesen, ohne an ihrer Formulierung beteiligt zu sein.

Statt zu herrschen, übernahm die Krone in einer Ära fortschreitender Demokratisierung, als in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der kontinuierlichen Ausdehnung des Wahlrechts einem immer größeren Teil der Bevölkerung formal Anteil an der politischen Macht gewährt wurde, die Aufgabe, politische Legitimität und nationale Identität zu stiften. Diese Funktion findet ihren Ausdruck in zahlreichen symbolträchtigen Handlungen und Staatsakten. Hierzu zählen nicht nur Krönung und Begräbnis des jeweiligen Herrschers, sondern insbesondere die feierliche jährliche Parlamentseröffnung sowie die Rolle, welche die Krone bei nationalen Gedenktagen oder Besuchen ausländischer Staatsoberhäupter spielt beziehungsweise zu spielen hat. Das durchgängige Thema monarchischer Symbolhandlungen ist die Darstellung nationaler Identität vor dem Hintergrund ungebrochener Traditionen. Gerade in Zeiten beschleunigten und nahezu universalen Wandels verkörpert beziehungsweise suggeriert der scheinbar ungebrochene Fortbestand monarchischen Zeremoniells ausgleichende Kontinuität und beruhigende Stabilität. Es ist daher kein Zufall, daß solche Rückgriffe auf die Tradition beziehungsweise die Wiederbelebung oder gar Erfindung bestimmter Traditionen die Schöpfung des ausgehenden 19. Jahrhunderts waren und somit den Funktionswandel der Monarchie nicht nur begleiteten, sondern geradezu verkörperten. Das Königtum als glanzvolle Fassade, hinter der ungestört, da unbeobachtet, Politik gemacht werden kann? – Ein solches Urteil greift sicherlich zu kurz, wenn auch Walter Bagehot als scharfsichtiger Beobachter und Kritiker der englischen Verfassung bereits vor mehr als einem Jahrhundert konstatierte, die Monarchie sei eine Regierungsform, «in which the attention of the nation is concentrated on one person doing interesting actions». Doch zugleich erwächst die Faszination königlicher Würde aus der Distanz, die erst jenes Mysterium schafft, welches den Einfluß des monarchischen Staatsoberhaupts im Rahmen einer allgemeinen Öffentlichkeit begründet. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts zeichnet sich hier allerdings ein Wandel ab, dessen Folgen schwerlich einzuschätzen sind. Der zunächst erfolgreiche Versuch Georgs V. und Georgs VI., das Haus Windsor dem englischen Volk als Musterfamilie der Nation zu präsentieren, droht zu scheitern, wenn das Privatleben dieser Familie nahezu ungeschützt ins Visier konkurrierender Massenmedien gerät, um die öffentliche Neugier zu befriedigen. Vor allem seit der Tod Dianas, der letzten Prinzessin von Wales, in der britischen Öffentlichkeit Reaktionen auslöste, deren Auswirkungen auf die Zukunft der Monarchie noch nicht abzuschätzen sind, stellt sich die Frage, ob diese Monarchie damit erneut in eine Krisensituation geraten ist und wie diese gegebenenfalls bewältigt werden soll. Seit ihrer Scheidung vom Thronfolger Prinz Charles hatte sich Diana ebenso konsequent wie erfolgreich bemüht, weiterhin in der Öffentlichkeit eine prominente Rolle zu spielen, bis, unter geschicktem Einsatz der Medien, ihre Popularität die der übrigen Mitglieder des königlichen Hauses bei weitem übertraf. Mit dem spektakulären Unfalltod des neuen Idols erreichte diese dann Dimensionen bislang nicht gekannten Ausmaßes. Die Öffentlichkeit ergriff nun eindeutig Partei gegen die Königin und deren Familie und forderte, indem man sich als Vollstrecker eines ungeschriebenen Vermächtnisses der Toten verstand, eine neue, andere Monarchie, in welcher die aus der Distanz geschöpfte Majestät des Monarchen durch eine neue Nähe zum Volk zu ersetzen sei. Von Elisabeth II. wurde nun verlangt, daß sie sozusagen als Hohepriesterin der Öffentlichkeit die Zeremonien einer allgemeinen emotionalen Befindlichkeit zelebriere. Da mit dergleichen Forderungen die gültigen Regeln der monarchischen Erbfolge ernsthaft in Frage gestellt sind – man wird von einer 70jährigen Königin nicht verlangen können, den Geboten der Pop-Kultur zu folgen –, wurden dementsprechend bereits erste Stimmen laut, die entsprechende Eingriffe in die Thronfolge verlangen und Prinz William, den ältesten Sohn der Diana, zum unmittelbaren Nachfolger seiner Großmutter designieren.

Doch der Historiker sollte hier keine Prognose wagen, nicht zuletzt angesichts der beeindruckenden Kontinuität der englischen Monarchie. Der Republikanismus blieb in England auf ein nahezu in Vergessenheit geratenes Intermezzo beschränkt und bildet selbst heute die Position einer einflußlosen Minderheit. Die erstaunliche Lebens- und Überlebensfähigkeit der Krone mag allerdings auch darauf zurückzuführen sein, daß England eben nie absolute Monarchie war, vor allem nicht in jenem Sinne, daß die Summe politischer Macht und gesellschaftlich-kulturellen Lebens über lange Zeit hindurch ausschließlich am Hofe des Königs konzentriert war. Vielleicht mit der Ausnahme einiger Dekaden des 17. Jahrhunderts war die englische Gesellschaft bis ins 20. Jahrhundert hinein aristokratisch geprägt, wobei diese Aristokratie zugleich ihr materielles Fundament in einer kapitalistischen Normen gehorchenden Marktgesellschaft besaß. Nirgends wird dieses deutlicher als in der Geschichte und dem Erscheinungsbild Londons. Die Hauptstadt war stets Symbiose von Bürgerstadt und Residenz; niemals gelang es dem Herrscher, ihre Struktur seinem Gestaltungswillen zu unterwerfen. Eh und je triumphierten hier kommerzielle Interessen, vor allem auch die des Adels, der bis heute ganze Stadtteile zu eigen hat. Zugleich ist die britische Gesellschaft bis heute durch hierarchische Stufungen geprägt, d.h. sie ist eine Gesellschaft, in der Standes- und Status-, Klassen- und Einkommensunterschiede stets akzeptiert wurden. Dergleichen Hierarchien liefern geeignete Fundamente für Monarchien – beide Formen stützen und bestätigen sich gegenseitig, zumindest solange die britische Monarchie darauf besteht, eine «Rolls-Royce-Monarchie» zu bleiben und nicht dem Beispiel kontinentaler «Fahrrad-Monarchien» zu folgen. Doch die einsichtigste Erklärung für die erstaunliche Kontinuität der britischen Monarchie, für deren Anpassungs- und Überlebensfähigkeit, liefert letztendlich die Summe der Geschichten der einzelnen Herrscher, wie sie in diesem Bande vorgelegt wird.

Karl-Friedrich Krieger

HEINRICH VII.
1485–1509

Heinrich VII., geb. 28. Januar 1457; Vater: Edmund, Earl of Richmond (ca. 1430–1456); Mutter: Margarete Beaufort (1443–1509); 1461 (nach der Hinrichtung seines Großvaters Owen Tudor) Enterbung und Erziehung am Hofe William Herberts: nach dem mißglückten Restaurationsversuch der Lancastermonarchie (1471) Flucht in die Bretagne und 1484 weiter nach Frankreich; mit französischer Unterstützung 1485 Landung bei Milford Haven/Wales und Durchsetzung seiner Thronansprüche gegen König Richard III., der in der Entscheidungsschlacht von Bosworth/Leicestershire (22. August 1485) Krone und Leben verlor; Krönung in London am 30. Oktober 1485; gest. 21. April 1509 in Richmond/Surrey; begraben in Westminster.

Eheschließungen: 18. Januar 1486 mit Elisabeth von York (1466–1503), Tochter aus der Ehe König Eduards IV. (1461–1483) mit Elisabeth Woodville (1437–1495); Kinder: Arthur (1486–1502), vermählt mit Katharina von Aragon; Margarete (1489–1541), vermählt mit König Jakob IV. von Schottland (1488–1513); Heinrich (VIII.), geb. 1491, seit 1509 König von England (gest. 1547); Maria (1496–1533), vermählt mit König Ludwig XII. von Frankreich (1498–1515); Edmund (1499–1500) und drei weitere, früh verstorbene Kinder.

Nach Eduard Hall, einem Chronisten des 16. Jahrhunderts, wandte sich Heinrich Tudor am 22. August 1485 unmittelbar vor der Entscheidungsschlacht von Bosworth in einer flammenden Rede an seine Soldaten. Wenn Gott jemals Grund gehabt habe, Menschen in einem gerechten Kampf den Sieg zu gewähren, dann müsse dies für ihre gemeinsame Sache gelten. «Denn», so Heinrich, «was kann ehrenhafter, besser und gottgefälliger sein, als gegen jemanden zu kämpfen, der sich als ein Totschläger und Mörder an seiner eigenen Blutsverwandtschaft, als extremer Verderber des Adels, als ein tödliches Übel, ein feuriges Brandmal und eine untragbare Last für dieses, unser Land und dessen arme Untertanen erwiesen hat? … Laßt Gott als den, der den Sieg gibt, urteilen und entscheiden, ob unsere Sache gottgefällig und gerecht ist oder nicht! …»

Bei dem hier als Mörder und blutrünstigen Tyrannen geschilderten Gegner Heinrichs handelt es sich um niemand anderen als König Richard III., der als der Prototyp des infamen Bösewichts und tyrannischen Königs schlechthin in die Geschichte eingegangen ist. Wenn auch dieses von der späteren Tudor-Geschichtsschreibung und vor allem von William Shakespeare in seinem berühmten Königsdrama vermittelte Bild dem letzten König aus dem Hause York sicher nicht gerecht wird, so wirken andererseits aber auch die teilweise in der Literatur unternommenen Versuche, ihn von allen Vorwürfen reinzuwaschen und zum «good king Richard» hochzustilisieren, wenig überzeugend. Zu sehr war Richards Königtum bereits in den Augen der Zeitgenossen durch Usurpation und politischen Mord belastet, als daß der moderne Historiker an diesen Fakten einfach vorbeigehen könnte. So bleibt die Tatsache unbestritten, daß Richard nach dem Tode seines älteren Bruders, König Eduards IV. (1483), die ihm anvertraute Vormundschaftsführung über die noch minderjährigen Söhne des Verstorbenen dazu nutzte, sich auf dubiose Weise die Krone anzueignen, indem er seine jungen Neffen für illegitim erklären und im Tower einkerkern ließ. Da die Prinzen aus dieser Haft nie mehr auftauchten, waren nicht nur die Zeitgenossen, sondern auch die meisten späteren Historiker davon überzeugt, daß sie auf Befehl oder zumindest mit Wissen Richards umgebracht wurden, um dessen Usurpation nicht zu gefährden.

Wenn auch vieles dafür spricht, daß die zitierte, Heinrich Tudor in den Mund gelegte Rede vom späteren Chronisten frei erfunden wurde, so gibt sie doch die Argumentation des neuen Thronprätendenten im Grundsatz zutreffend wieder, der gegen den tyrannischen König das Urteil Gottes in der Entscheidungsschlacht anrief. Und in der Tat: Das erbetene Gottesurteil entschied offensichtlich gegen den amtierenden König Richard III., der nicht nur die Schlacht, sondern auch sein Leben und ganz im wörtlichen Sinne auch seine Krone verlor, die er bewußt im Kampfe getragen hatte und die ihm im Handgemenge vom Kopf gefallen war. Es schien daher nur folgerichtig, daß noch auf dem Schlachtfeld Sir Thomas Stanley, der durch sein Eingreifen auf Heinrichs Seite wesentlich zur Entscheidung beigetragen hatte, dem Sieger die inzwischen wiedergefundene Krone aufs Haupt setzte und diesen unter dem Jubel des Heeres zum neuen König von England ausrief. Gott hatte sich aus der Sicht der Zeitgenossen zwar zweifelsfrei gegen den «tyrannischen» König Richard entschieden, aber hatte er sich auch ebenso eindeutig für das Königtum Heinrich Tudors und seiner Nachkommen ausgesprochen? Hatte nicht gerade die jüngste Vergangenheit, die Zeit der Rosenkriege, gezeigt, wie kurzlebig der auf dem Schlachtfeld errungene Sieg sein konnte, wenn ein neuer Thronrivale ein neues Gottesurteil herausforderte? So gesehen machte der militärische Erfolg allein aus einem Usurpator noch lange keinen legitimen König; es blieb auch dem Sieger nicht erspart, seine Untertanen von der Rechtmäßigkeit seines Anspruches zu überzeugen und seine Königsherrschaft in der Praxis gegen weitere potentielle Thronbewerber durchzusetzen. Dies dürfte auch Heinrich Tudor bewußt gewesen sein, der bereits durch sein früheres Verhalten die konstitutive Bedeutung des Gottesurteils auf dem Schlachtfeld für sein Königtum erheblich relativiert hatte. Schon im Jahre 1484 hatte er offiziell den Königstitel angenommen und damit zu erkennen gegeben, daß er seinen Thronanspruch noch auf eine andere Rechtsgrundlage zu stützen gewillt war, nämlich auf sein Erbrecht. Allerdings war dieser Erbanspruch – gelinde ausgedrückt – umstritten. Zwar galt Heinrich als der letzte Sproß des Lancasterkönigshauses, das auf Johann von Gent, den drittältesten Sohn König Eduards III., zurückging. Aber der über seine Mutter, Margarete Beaufort, hergeleitete Thronanspruch war unter zwei Gesichtspunkten anfechtbar. Zum einen konnte man gegen den Lancasteranspruch im allgemeinen einwenden, daß nach dem strengen Erstgeburtsrecht das Thronrecht der Nachkommen des zweitältesten Sohnes König Eduards III., verkörpert durch die Angehörigen des Hauses York, vorging. Hatten somit die überlebenden Erben des Hauses York im Vergleich zu Heinrich schon nach strengem Erbrecht die besseren Karten, kam noch hinzu, daß die Beaufort-Linie, der Heinrich Tudor innerhalb der Lancasterdynastie angehörte, auf eine illegitime Verbindung Johanns von Gent mit seiner Mätresse Katharina Swinford zurückging. Nachdem auch Heinrich Tudor selbst in seiner Herrschaftspropaganda die Auseinandersetzung mit seinem Widersacher nicht als Kampf um das Lancastererbrecht, sondern als Widerstand gegen einen blutrünstigen Tyrannen und Mörder thematisiert hatte, konnte er jetzt kaum erwarten, daß der – auch mit Hilfe von Anhängern des Hauses York – erfochtene Sieg auf dem Schlachtfeld zugleich als ein Gottesurteil zugunsten des Lancasterthronrechts gedeutet wurde.

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Heinrich VII. (1485–1509)

Auch sonst standen die Chancen für Heinrich, den Makel der Usurpation abzustreifen und seine Königsherrschaft auch in der Praxis durchzusetzen, zunächst einmal nicht allzu günstig. So galt es kaum als ein gutes Omen, daß der entscheidende Sieg mit einem Heer erfochten wurde, das sich zu einem großen Teil aus notorischen Landesfeinden, nämlich Franzosen und Schotten, zusammensetzte. Auch die Tatsache, daß Heinrich gerade in Wales besondere Unterstützung von seiten einheimischer Geschlechter erfahren hatte, war in den Augen der meisten englischen Zeitgenossen wenig geeignet, ihn als Bewerber um die englische Königskrone zu empfehlen. Denn noch zu Beginn des 15. Jahrhunderts war das Land von schweren Aufständen gegen die englische Herrschaft erschüttert worden, deren Folgen immer noch nicht völlig überwunden waren. Ein weiterer Schwachpunkt schien in der Person des Thronanwärters selbst zu liegen, der im Jahre 1485 in England praktisch nicht bekannt war. Auch sein Widersacher, König Richard, hatte ihn erst im Dezember des Vorjahres offiziell als Thronbewerber zur Kenntnis genommen, als er seine Untertanen in einem Manifest vor den Umtrieben einiger namentlich genannter Verräter warnte, die einen gewissen «Henry Tidder» zu ihrem Anführer gewählt hätten.

Schon die Zeitgenossen dürften sich daher gefragt haben: Wer war eigentlich dieser Heinrich Tudor? Wenn auch Heinrich selbst sowie einige zeitgenössische Chronisten immer wieder seine walisische Abstammung zu betonen pflegten, kann sich der Historiker diese Sichtweise nur bedingt zu eigen machen. So war Heinrichs Mutter, Margarete Beaufort, rein englischer Herkunft, während der Vater, Edmund von Hadham, Earl von Richmond, zwar väterlicherseits einem alten walisischen Geschlecht, mütterlicherseits jedoch der französischen Königsdynastie der Valois und der bayerischen Herzogsfamilie der Wittelsbacher entstammte. Heinrich selbst wurde zwar in Wales geboren und verbrachte hier die ersten vierzehn Jahre seines Lebens, es deutet aber nichts darauf hin, daß er walisisch sprach oder auch nur verstehen konnte.

Vom ersten Lebensjahr an wurde die Kindheit des ersten Tudorkönigs durch die Rosenkriege geprägt, in denen die Häuser Lancaster und York um die englische Königskrone rangen. Dabei gehörten sowohl sein Großvater Owen Tudor als auch sein bereits vor seiner Geburt verstorbener Vater Edmund und dessen Bruder Jasper Tudor zu profilierten Anhängern der Lancasterpartei. Von diesen mußte Owen Tudor im Jahre 1461 seinen Einsatz für König Heinrich VI. mit dem Leben bezahlen, als er nach der verlorenen Schlacht von Mortimer’s Cross auf Befehl des Siegers, des späteren Königs Eduard IV., hingerichtet wurde. Zwar war es dem überlebenden Sohn und Onkel Heinrichs, Jasper Tudor, gelungen, sich vor der Rache der Sieger in Sicherheit zu bringen; er konnte jedoch nicht verhindern, daß König Eduard IV. die Herzogtümer Richmond und Pembroke einzog und ihn und seinen Neffen Heinrich damit ihrer materiellen Lebensgrundlage beraubte. Während Jasper Tudor in der Folgezeit als mittelloser Flüchtling sein Leben fristete, wurde der junge Heinrich am Hofe William Herberts, eines entschiedenen Anhängers des Hauses York, dem König Eduard das eingezogene Earldom Pembroke verliehen hatte, aufgezogen. Nachdem der Versuch, die Lancasterherrschaft in England wiederherzustellen, nach anfänglichen Erfolgen in der Schlacht von Tewkesbury (1471) endgültig gescheitert war, floh Jasper Tudor mit seinem Neffen Heinrich, der von nun an als der letzte überlebende Thronanwärter der Lancasterdynastie galt, in die Bretagne, wo beide am Hofe Herzog Franz’ II. allen Auslieferungsbegehren König Eduards zum Trotz Zuflucht fanden.

Eine neue Situation ergab sich für Heinrich durch die Usurpation König Richards, da von nun an auch ehemalige Yorkisten gegen den neuen König opponierten und Kontakt mit Heinrich aufnahmen. Ein erster Versuch, mit Hilfe des mächtigen Heinrich Stafford, Herzog von Buckingham, im Herbst 1483 Richard zu stürzen, schlug zwar fehl und endete mit Buckinghams Hinrichtung. Dieser Mißerfolg änderte jedoch nichts daran, daß der Flüchtling in seinem bretonischen Exil von nun an verstärkt zum Zentrum aller oppositionellen Kräfte Englands wurde, zumal er Weihnachten 1483 feierlich gelobte, nach dem Sturz König Richards Elisabeth, die überlebende Tochter König Eduards IV., zu heiraten und damit die verfeindeten Häuser Lancaster und York endgültig zu versöhnen.

Noch einmal sollte die Situation für Heinrich kritisch werden, als es der englischen Diplomatie zu gelingen schien, hinter dem Rücken des erkrankten alten Herzogs die Auslieferung der Flüchtlinge durchzusetzen. Rechtzeitig gewarnt, entkam Heinrich jedoch mit seinen Anhängern nach Frankreich, wo er am Hofe der Vormundschaftsregierung über König Karl VIII. freundliche Aufnahme fand. Französischer Unterstützung war es dann auch zu verdanken, daß Heinrich im Sommer 1485 in der Lage war, eine noch relativ kleine Streitmacht auszurüsten und mit ihr Anfang August in Milford Haven an der walisischen Küste zu landen, um von dort aus den Entscheidungskampf mit seinem Widersacher aufzunehmen.

Bedenkt man Heinrichs Jugend als enterbter Angehöriger einer geächteten Familie in Wales und seine folgende «Karriere» als mittelloser Flüchtling im Exil, so schien kaum ein englischer König seit der normannischen Eroberung so schlecht auf die Übernahme der Königsherrschaft vorbereitet zu sein wie er. Von einem kurzen, einige Monate währenden Aufenthalt in London und im Themsetal abgesehen, hatte der mittlerweile 28jährige noch keine Gelegenheit gehabt, England im engeren Sinne und seine Bewohner aus eigener Anschauung kennenzulernen, wie umgekehrt außerhalb seines Freundeskreises aus dem Exil auch kaum jemand ihn bisher zur Kenntnis genommen hatte. Ein wichtiger Schlüssel für Erfolg oder Mißerfolg lag allerdings auch in der Persönlichkeit des neuen Königs. Betrachtet man jedoch das einzige überlieferte Portrait Heinrichs, das mit Sicherheit noch zu seinen Lebzeiten angefertigt wurde, so drängt sich nicht gerade der Eindruck einer charismatischen Führergestalt auf, für die es ein leichtes war, die Massen in ihren Bann zu schlagen. Auch die sonstigen Nachrichten über sein äußeres Erscheinungsbild lassen kaum auf außergewöhnliche Vorzüge schließen: Ein hochgewachsener, aber eher schmächtig wirkender Mann mit schütterem Haar und schlechten Zähnen, der – gezeichnet von den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit – zeit seines Lebens immer älter aussah, als er war. Andererseits wurden in der harten Schule der Verbannung wohl auch bestimmte Charaktereigenschaften entwickelt oder verstärkt, die entscheidend dazu beigetragen haben, daß Heinrich seine schwierige Aufgabe am Ende doch mit Erfolg meistern konnte. Hierzu gehörte zunächst ein respektables Maß an Integrität, Vertrauenswürdigkeit und persönlicher Überzeugungskraft, gepaart mit einem sympathischen Hang zur Dankbarkeit gegenüber geleisteten Diensten – Eigenschaften, die Heinrich in die Lage versetzten, auch in schwierigen Zeiten Freunde und treue Anhänger an sich zu binden. Dazu kam ein pragmatischer Sinn für die Realitäten des Lebens mit der bemerkenswerten Fähigkeit, die richtigen Männer am richtigen Platze einzusetzen, ohne dabei die letzten Kontroll- und Entscheidungsmöglichkeiten aus der Hand zu geben. Endlich ließ Heinrich bereits im Exil erkennen, daß er in Krisensituationen in der Lage war, entschlossen und schnell, aber nie unüberlegt zu handeln.

Angesichts der aufgezeigten Probleme überrascht es kaum, daß Heinrich im Rahmen seiner Herrschaftspolitik während nahezu seiner gesamten Regierungszeit eine entscheidende Priorität setzte, der sich andere Zielvorstellungen unterzuordnen hatten: die Sicherung der erkämpften Königskrone auf Dauer für sich und seine Familie.

So gehörte es zu seinen ersten Maßnahmen, – wohl nach französischem Vorbild – eine etwa 200 Mann starke Truppe (The Yeomen of the Guard) zu bilden, die als eine Art Leibwache vor allem seine persönliche Sicherheit zu gewährleisten hatte, wenn auch später repräsentative Aufgaben in den Vordergrund traten. Außerdem ordnete Heinrich bereits unmittelbar nach der Schlacht von Bosworth an, den nächsten potentiellen Thronprätendenten der Yorkisten, den mittlerweile fünfzehnjährigen Eduard, Earl von Warwick und Neffe König Eduards IV., nach London zu bringen und im Tower in Gewahrsam zu nehmen.

Obwohl formell noch durch offizielles Parlamentsdekret (act of attainder) als Hochverräter geächtet, wurde Heinrich freudig von der Londoner Bevölkerung begrüßt, als er Ende August feierlich in die Hauptstadt einzog. Bereits am 30. Oktober erfolgte die Krönung, und eine Woche später trat das von Heinrich einberufene Parlament zusammen, das jetzt nicht nur seinen und seiner Erben Anspruch auf die Königskrone bestätigte, sondern dem neuen König als besonderen Gunstbeweis auch lebenslange Einkünfte aus dem Zoll für Wolle bewilligte. Außerdem wurden nun Heinrichs Widersacher, der ehemalige König Richard III. und seine engeren Anhänger, rückwirkend als Hochverräter geächtet, so daß Heinrich deren Vermögen einziehen und der Krondomäne zuschlagen oder an seine Gefolgsleute ausgeben konnte.

Angesichts der Schnelligkeit, mit der der neue König diese Maßnahmen in die Wege leitete, fällt auf, daß er andererseits zunächst wenig Eile an den Tag legte, sein im Exil abgegebenes Versprechen, die Tochter König Eduards IV. zu heiraten, einzulösen. Für das Zögern Heinrichs, der ja selbst ein elementares Interesse an der Heirat und ihrer konsolidierenden und in den Augen vieler Zeitgenossen auch legitimierenden Wirkung für seinen Thronanspruch haben mußte, lassen sich zunächst objektive Gründe anführen. So war vor einer Heirat wegen zu naher Verwandtschaft noch eine päpstliche Ausnahmeerlaubnis (Dispens) einzuholen, und außerdem mußte die Braut noch vom Odium der Illegitimität, das seit der Usurpation Richards III. allen Abkömmlingen Eduards IV. anhaftete, durch einen förmlichen Parlamentsbeschluß befreit werden. Hinzu kam auch, daß Heinrich von seinem Selbstverständnis als Lancastererbe her offenbar in hohem Maße daran interessiert war, aller Welt klarzumachen, daß sein Königtum nicht auf seiner Stellung als «Prinzgemahl» einer Königstochter, sondern auf eigenem Recht beruhte, was am besten dadurch geschehen konnte, daß er sich zunächst allein krönen und vom Parlament als König bestätigen ließ. Nachdem diese und auch die anderen noch fehlenden Voraussetzungen geschaffen waren, stand der Vermählung nichts mehr im Wege, die dann auch am 18. Januar 1486 mit großem Gepränge in London gefeiert wurde.

Schienen sich die Dinge somit ganz im Sinne des neuen Königs zu entwickeln, gab sich dieser dennoch wohl kaum Illusionen über die Stabilität der Lage hin. So war die Stimmung im Norden des Landes, vor allem in York, wo Richard III. viele Anhänger gehabt hatte, für den neuen Regenten nicht günstig. 1486 versuchten drei enge Vertraute des ehemaligen Königs, darunter Viscount Francis Lovell, eine bewaffnete Empörung gegen ihn anzuzetteln – allerdings ohne Erfolg. Doch schon bald sollte sich herausstellen, daß das mißglückte dilettantische Unternehmen nur den Auftakt für eine Reihe weiterer Verschwörungen und Revolten bildete, die zum Teil – da sie von ausländischen Mächten unterstützt wurden – für Heinrichs Königsherrschaft zu einer ernsten Herausforderung wurden. Anfang 1487 drang die Kunde nach London, daß in Irland ein neuer Thronprätendent aufgetreten sei, der sich als der im Tower inhaftierte Earl Eduard von Warwick ausgebe und als Erbe König Eduards IV. Anspruch auf die englische Königskrone erhebe. Bald wurde klar, daß hinter dem eher kurios anmutenden Hochstapler, der in Wirklichkeit Lambert Simnel hieß und der Sohn eines Orgelbauern war, mächtige Persönlichkeiten standen, die dem Unternehmen eine gefährliche Dimension verleihen konnten. Dabei handelte es sich zunächst um Margarete von York, eine Schwester Eduards IV. und Richards III., die im Jahre 1468 den burgundischen Herzog Karl den Kühnen geheiratet hatte. Nach dem Tode ihres Ehemannes (1477) wurde ihr Witwensitz in der Folgezeit zur bevorzugten Zufluchtstätte und Operationsbasis für alle Opponenten Heinrichs. Hier hatte im Januar 1487 der oben erwähnte Francis Lovell Unterschlupf gefunden. Ihm folgte wenig später der Earl von Lincoln, Johann de la Pole, ein Neffe Richards III., der von diesem zu seinem Erben und Nachfolger bestimmt worden war. Ihnen bot sich Irland nun als Ausgangsbasis für die Verschwörung schon deshalb an, weil die Yorkisten hier schon während der Rosenkriege eine starke Stellung innegehabt hatten und enge Beziehungen zu den einheimischen Geschlechtern, insbesondere zu den mächtigen Earls von Kildare, pflegten. So gelang es dem jungen Lambert Simnel mit Hilfe eines Priesters, der wohl von den Verschwörern instruiert war, das Vertrauen nicht nur der Massen, sondern auch der meisten einheimischen Herren zu gewinnen, die ihn als den Erben des Hauses York anerkannten und bereit waren, ihn in seinem Kampf um sein «Thronrecht» zu unterstützen.

Obwohl König Heinrich den echten Earl von Warwick aus dem Tower bringen und durch die Straßen Londons führen ließ, erhielt der Prätendent weiter Auftrieb, als Anfang Mai die beiden Hauptverschwörer Lovell und Lincoln mit einer ansehnlichen, von der Herzogin-Witwe Margarete ausgerüsteten Streitmacht von etwa 2000 kampferprobten deutschen Söldnern, an der irischen Küste landeten. Angesichts dieser militärischen Unterstützung ließen sich die Iren dazu hinreißen, ihren Prätendenten am 24. Mai als «Eduard VI.» zum König zu krönen und gemeinsam mit Lincoln, Lovell und den deutschen Söldnern den Waffengang zu wagen.

Bei Stoke an der Küste Lancashires kam es am 16. Juni 1487 zur entscheidenden Schlacht, die nach erbittertem Ringen zugunsten König Heinrichs endete. Unter den Gefallenen fand man den Earl von Lincoln und den deutschen Söldnerführer Martin Schwartz; Francis Lovell blieb vom Tage der Schlacht an verschollen. Der Thronprätendent und der ihn begleitende Priester wurden als Gefangene vor König Heinrich geführt, der gegenüber dem jungen Hochstapler Milde walten und ihm eine nützliche Aufgabe in der königlichen Küche, nämlich die Bedienung des Bratspießes, zuweisen ließ. Jahre später durfte er einigen irischen Herren, die ihn einst gefördert hatten und bei König Heinrich zu Gast waren, die Speisen reichen und auch zuprosten. Als diese auf das Wiedersehen peinlich berührt reagierten, soll Heinrich sie gefragt haben, ob sie sich nicht mit dem Gedanken trügen, nächstens auch einmal einen Affen zu ihrem König zu krönen.

Mit der Niederlage bei Stoke war zwar eine yorkistische Rebellion gescheitert, die weiter zum Widerstand entschlossenen Gegner Heinrichs wurden hierdurch jedoch nicht entscheidend getroffen. Eine gewisse Schwäche der Opponenten bestand allerdings darin, daß sich für den Kampf gegen das Tudorkönigtum (noch) kein echter Thronprätendent aus dem Hause York zur Verfügung stellte. Wieder war es daher ein Hochstapler, der bei der nächsten größeren Verschwörung als «Gegenkönig» aufgebaut werden mußte, und wieder begann dessen Karriere im nach wie vor unruhigen Irland. In der Stadt Cork überredeten im Jahre 1491 zwei eher unbedeutende Anhänger des Hauses York einen jungen Mann, der mit einem bretonischen Kaufmann an Land gekommen und ihnen durch seine noble Kleidung und sein gewandtes Auftreten aufgefallen war, dazu, sich als Richard von York, den jüngeren der beiden von Richard III. im Tower inhaftierten Söhne König Eduards IV., auszugeben, der auf wunderbare Weise den Mordanschlag seines Onkels überlebt habe und nun sein Recht auf das Erbe des Hauses York und die englische Krone geltend mache. Bei dem neuen Prätendenten handelte es sich um einen gewissen Perkin Warbeck, geboren um 1474 als Sohn eines nicht unvermögenden städtischen Zollaufsehers in der niederländischen Stadt Tournai, der bisher ein unstetes Leben im Dienste mehrerer Herren geführt hatte. Entgegen den optimistischen Prognosen seiner ersten Förderer fand Warbeck in Irland jedoch nicht die begeisterte, breite Zustimmung, die noch seinem Vorgänger Lambert Simnel zuteil geworden war. Zur gefährlichen Herausforderung wurde der Hochstapler für Heinrich jedoch, als sich ausländische Mächte für ihn einsetzten und ihn als Werkzeug zur Durchsetzung eigener politischer Zielvorstellungen benutzten. Den Anfang machte die immer noch amtierende Vormundschaftsregierung um König Karl VIII. von Frankreich, die Warbeck an den französischen Hof zog und hier ehrenvoll aufnahm, um Heinrich im Streit um die Bretagne unter Druck zu setzen. Nach dem Ausgleich mit England im Frieden von Étaples (1492) mußte Warbeck jedoch Frankreich verlassen und fand zunächst Aufnahmein Flandern am Hof der Herzogin-Witwe Margarete von York. 1493 wandte er sich unmittelbar an Margaretes Schwiegersohn Maximilian, der inzwischen zum römisch-deutschen König gewählt worden war und der – verbittert über Heinrichs Friedensschluß mit Frankreich – nun seinerseits den jungen Abenteurer als willkommenes Faustpfand gegen den ungeliebten Tudor betrachtete und ihn daher demonstrativ als rechtmäßigen Thronerben von England hofierte.