Herausgegeben von
Kai Brodersen, Martin Kintzinger,
Uwe Puschner, Volker Reinhardt
Herausgeber für den Bereich Antike:
Kai Brodersen
Beratung für den Bereich Antike:
Ernst Baltrusch, Peter Funke,
Charlotte Schubert, Aloys Winterling
Heinrich Schlange-Schöningen
2. Auflage
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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2., durchgesehene und bibliographisch aktualisierte Auflage 2012
© 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
1. Auflage 2005
Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder
der WBG ermöglicht.
Satz: Setzerei Gutowski/schreiberVIS, Bickenbach
Einbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach
Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-25071-4
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-534-72877-0
eBook (epub): 978-3-534-72878-7
Geschichte kompakt – Antike
Vorwort
Vorwort zur zweiten Auflage
I. Einleitung: Ein „augusteisches Zeitalter“?
1. Monarchie in Rom
2. Das Jahr der Entscheidung: 31 v. Chr.s
3. Die Namen des Herrschers
4. Die Autorität des Augustus
5. Kritik an der Herrschaft des Augustus
II. Die Erbschaft der Krise
1. Das Augustus-Forum in Rom
2. Die römische Expansion
3. Die Krise der späten römischen Republik
3.1 Die strukturellen Probleme
3.2 Die Grundlinien der Ereignisgeschichte
4. Octavian als Erbe der Bürgerkriege
III. Jugend im Schatten der Macht
1. Die Octavier in Velitrae
2. Octavians Vater
3. Geburtslegenden
4. Kindheit in Velitrae und Rom
5. Der Großonkel Caesar
6. Caesars Testament
IV. Der Untergang der Caesar-Mörder
1. Zwischen Diktatur und Triumvirat
2. Die Situation nach dem Attentat
3. Marcus Antonius
4. Octavians Ankunft in Rom
5. „Wie gut dieser Junge den Antonius klein hält“
6. Bellum Mutinense
7. Das Zweite Triumvirat
8. Die Proskriptionen
9. Philippi
V. Von Philippi nach Actium
1. Bellum Perusinum
2. Friedensschlüsse auf dem Weg zum Krieg
3. Der Untergang des Sextus Pompeius
4. Octavian als Friedensbringer
5. Antonius als „neuer Dionysos“
6. Agrippa
7. Propagandakrieg
8. Actium
VI. Der Prinzipat
1. Octavian in Ägypten
2. Italien feiert den Sieger
3. Die Erneuerung des Senats
4. Die „Wiederherstellung der Republik“
5. Marcus Licinius Crassus
6. Marcus Claudius Marcellus
7. Das Krisenjahr 23 v. Chr.
8. Marcus Egnatius Rufus
9. Pater patriae
VII. Götterverehrung und Kaiserkult
1. Die Erneuerung der Tempel
2. Apollo Palatinus
3. Die römischen Priestertümer
4. Ein „goldenes Zeitalter“
5. Die ara Pacis Augustae
6. Der Kaiserkult
VIII. Monarchische Fürsorge und Reglementierung
1. Geldspenden für das Volk
2. Getreide- und Wasserversorgung in Rom
3. Öffentliche Sicherheit
4. Die Ordnung der Stände
5. Die Ehegesetze
IX. Das Imperium
1. Die römische „Weltherrschaft“
2. Germanien
3. Romanisierung
4. Das römische Heer
X. Das Problem der Nachfolge
1. Julier und Claudier in der Nachfolgeregelung des Augustus
2. Umsturzversuche
3. Prinzipat, Monarchie, Tyrannis
4. Pax Augusta
Auswahlbibliographie
Register
Geschichte kompakt – Antike
Die Geschichte der Antike ist ein selbstverständlicher Teil der historischen Ausbildung und Bildung. Wer Geschichte studiert, befasst sich mit dem griechisch-römischen Altertum, dem Mittelalter und der Neuzeit, und wer Geschichte lehrt oder sich allgemein für Geschichte interessiert, wird diese drei „großen“ Epochen ins Zentrum seiner eigenen Fortbildung stellen.
Allerdings ist die Geschichte der Antike vielleicht eher als die anderer Epochen nicht immer „von selbst verständlich“. Oft sehen die Lehrpläne der Schulen eine Beschäftigung mit dem Altertum nur für Altersgruppen vor, denen ein Zugang zu historischen Fragestellungen noch wenig vertraut ist. Mitunter schrecken Studierende vor einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Geschichte der Antike schon angesichts der Quellensprachen Griechisch und Latein zurück. Immer wieder schließlich hört man, es fehlten aktuelle und konzise Einführungen in wichtige Themen der Alten Geschichte für das Selbststudium, als begleitende Lektüre zu einer Lehrveranstaltung oder zur Vertiefung des eigenen Wissens.
Die Reihe „Geschichte kompakt – Antike“ möchte allen Interessierten solche Einführungen zur Verfügung stellen. Bei der Auswahl des Stoffs für die einzelnen Bände, die Themen von der frühen griechischen Geschichte bis in die Spätantike erfassen, orientieren wir uns bewusst an der Lehre an Schulen und Universitäten. Die Themen werden dabei so erschlossen, dass sie ohne große Vorkenntnisse etwa von Begriffen oder Quellensprachen schnell erfasst und anhand der sorgfältig ausgewählten weiterführenden Literatur vertieft werden können.
Als Autorinnen und Autoren konnten wir vor allem jüngere Fachwissenschaftler gewinnen, die stets auf der Grundlage der (in Übersetzung gebotenen) Quellen, stets auf dem neuesten Forschungsstand und stets aufgrund eigener Lehrerfahrung informativ und kompakt darstellen, was für das jeweilige Thema der antiken Geschichte wichtig ist. So hoffen Autorinnen und Autoren, das Beratergremium, Herausgeber und Verlag dazu beizutragen, dass die Geschichte der Antike ein selbstverständlicher Teil der historischen Ausbildung und Bildung bleibt.
Kai Brodersen
Anlässlich der Amtseinführung von John F. Kennedy im Januar 1961 verfass te der Poet Robert Frost ein Gedicht, in dem „the glory of a next Augustan age“ und „a golden age of poetry and power“ vorhergesagt wurde, das mit dem neuen Präsidenten beginnen sollte. Dieses für eine moderne Demokratie erstaunliche Beispiel aus der zweitausendjährigen Wirkungsgeschichte des Prinzeps Augustus zeigt, welchen positiven Symbolwert das „augusteische Zeitalter“ noch in der jüngeren Vergangenheit besaß. Dabei ließen die hoffnungsvollen Erwartungen, die der Dichter mit dem neuen amerikanischen Präsidenten verband, gewichtige Unterschiede in den Hintergrund treten: Der augusteischen Friedenszeit war ein über Jahrzehnte andauernder Niedergang der römischen Republik, der von Bürgerkriegen und Gewaltherrschaften geprägt war, vorangegangen, bevor Octavian, der Adoptivsohn Caesars, eine Alleinherrschaft begründen und den ausgebluteten Senatorenstand zur Zusammenarbeit zwingen konnte.
Wer war dieser Mann, der aus den Trümmern der zerstörten Republik eine Herrschaftsform schuf, die wie ein Kompromiss zwischen Republik und Monarchie verstanden werden konnte, tatsächlich jedoch die römische Kaiserzeit begründete? Warum gelang es gerade ihm, sich in den blutigen Machtkämpfen der untergehenden römischen Republik zu behaupten? Wie sah seine „Prinzipat“ genannte Herrschaft aus, und wie vermochte es Augustus, den Prinzipat gegen eine nie ganz verstummende Opposition zu sichern und schließlich die Herrschaft an einen Nachfolger aus der eigenen Verwandtschaft weiterzugeben?
Die folgenden Seiten versuchen, diese Fragen zu beantworten und damit eine Einführung in die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des augusteischen Prinzipats zu geben. Dass dabei viele Aspekte dieser auch kulturgeschichtlich faszinierenden Epoche nur in aller Kürze angesprochen werden können, war bei der gebotenen Kürze der Darstellung unvermeidbar. Wenn das Buch dem Leser eine nützliche Quelle erster Information und eine Anregung zur weiteren Beschäftigung mit Augustus wird, dann hat es seine Aufgabe erfüllt.
Danken möchte ich allen, die seine Entstehung begleitet haben: Prof. Dr. Ernst Baltrusch, der mir vorschlug, für die neue Reihe „Geschichte kompakt“ einen Band zu verfassen, meinen Studenten an der TU Dresden, die während des Sommersemesters 2003 meine Vorlesung über Augustus besuchten, dem Herausgeber der Reihe, Prof. Dr. Kai Brodersen, sowie Dr. Harald Baulig und Daniel Zimmermann von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für die aufmerksame Betreuung meines Manuskripts und schließlich – wie so oft – meiner Mutter, Dr. Renate Schlange-Schöningen, für ihre unermüdliche Bereitschaft zum Korrekturlesen. Unvergessen bleiben die Monate am Institute for Advanced Study in Princeton, wo ich während des Frühjahrs 2004 größere Abschnitte des Buches fertig stellen konnte.
Berlin, im November 2004 |
Heinrich Schlange-Schöningen |
Dass das Buch, nachdem es eine breite und von Seiten der Rezensenten auch freundliche Aufnahme gefunden hat, nun in 2. Auflage erscheint, habe ich zum Anlass genommen, einige Versehen zu korrigieren, manche Formulierungen zu verbessern und vor allem die Bibliographie auf den neuesten Stand zu bringen; sie ist gegenüber der 1. Auflage verändert und erweitert.
Saarbrücken, im März 2012 |
Heinrich Schlange-Schöningen |
753 v. Chr. |
Traditionelles Datum der Gründung Roms |
510 v. Chr. |
Vertreibung des Tarquinius Superbus |
23.9.63 v. Chr. |
Geburt des Gaius Octavius, des späteren Augustus |
15.3.44 v. Chr. |
Ermordung Caesars |
Okt./Nov. 42 v. Chr. |
Doppelschlacht bei Philippi: Tod der Caesar-Mörder |
2.9.31 v. Chr. |
Seeschlacht bei Actium: Niederlage des Antonius |
Januar 27 v. Chr. |
Einrichtung der Prinzipatsherrschaft |
19.8.14 n. Chr. |
Tod des Augustus |
Aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. sind etliche Schriften überliefert, die dazu dienten, dem Leser einen Überblick über die römische Geschichte zu verschaffen. Es bestand ein Interesse daran, die lange Geschichte der Kaiserzeit auf die wichtigsten Informationen zu reduzieren und damit eine leichtere Orientierung zu ermöglichen. Einer der Autoren, dessen Name unbekannt ist, hat in großen Teilen auf ein wenig früher entstandenes Werk des Aurelius Victor zurückgegriffen, weshalb er Pseudo-Aurelius Victor genannt wird. Seine „Epitome“ (das heißt sein „Auszug“ aus früheren Werken) beginnt mit der Feststellung, unter Augustus sei in Rom die ursprüngliche, aus der römischen Königszeit bekannte Herrschaftsform wiederhergestellt worden.
Die Herrschaft des Augustus
(Pseudo-Aurelius Victor, Epitome de Caesaribus 1,1)
Im Jahr 722 nach der Gründung der Stadt, im Jahr 480 nach der Vertreibung der Könige, ist man in Rom zu der Sitte zurückgekehrt, einem einzigen Mann zu gehorchen, den man nicht „König“, sondern „Imperator“ oder, mit einem heiligeren Namen, „Augustus“ genannt hat.
Alleinherrschaft in Rom
Für Pseudo-Aurelius Victor besteht ein enger Zusammenhang zwischen der frühen römischen Geschichte und der Epoche der Kaiserzeit, in der er selbst lebte. Nur indirekt spricht der Autor die Jahrhunderte an, die zwischen der Vertreibung des letzten Königs Tarquinius Superbus 510 v. Chr. und der Ermordung Caesars 44 v. Chr. lagen. Zwischen jener weit zurückliegenden Zeit der Könige und dem neuen Abschnitt der Geschichte, in dem man, wie Pseudo-Aurelius Victor sagt, zu der „alten Gewohnheit“ der Alleinherrschaft zurückgekehrt sei, lag eine Epoche, in der man nicht „nur einem Mann“ (uni prorsus) unterstand. Und der für das Selbstverständnis der Republik so wichtige Begriff libertas („Freiheit“) wird von Pseudo-Aurelius Victor nicht genannt, und er erklärt auch nicht, warum man anstelle des Begriffs „König“ in der neuen Epoche der Alleinherrschaft andere Ausdrücke nutzte, um den Herrscher zu bezeichnen. Dabei liegt in der Verwendung des ursprünglich aus der militärischen Sphäre stammenden Ausdrucks imperator und mehr noch in dem religiös gefärbten Begriff Augustus eine sehr bewusste Namenswahl. Sie diente gerade dazu, dem von Pseudo-Aurelius Victor vermittelten Eindruck entgegenzuwirken, zwischen der früheren römischen Königszeit und der jüngeren Monarchie bestehe im Wesentlichen kein Unterschied.
Der anonyme, spätantike Autor nennt auch das Jahr, mit dem seiner Meinung nach die neue „Königszeit“ einsetzte. Von der Gründung Roms aus gerechnet, die nach alter Tradition auf 753 v. Chr. datiert wurde, hat sich die Rückkehr zur Alleinherrschaft 722 Jahre später, also im Jahr 31 v. Chr. vollzogen. Dieses von Pseudo-Aurelius Victor genannte Datum muss tatsächlich als ein „Epochenjahr“ begriffen werden. Am Abend des 2. September 31 v. Chr. war die Entscheidung im letzten der Bürgerkriege der Römischen Republik, die durch das Attentat auf Caesar ausgelöst worden waren, gefallen und die Frage, wer künftig über das ganze römische Reich herrschen würde, beantwortet. Caesars Attentäter, ein Kreis von Senatoren um Cassius und Brutus, waren schon Jahre zuvor in der Nähe des makedonischen Ortes Philippi besiegt worden, doch aus den früheren Partnern, aus den „Caesarianern“ Antonius, Octavian und Lepidus, waren dann Feinde geworden, und zwischen den beiden Mächtigsten dieses 2. Triumvirats, zwischen Antonius und Octavian, war es nach Kriegsvorbereitung und „Propagandaschlachten“ zuletzt an der Westküste des nördlichen Griechenlands zur militärischen Entscheidung vor Actium gekommen.
Die Seeschlacht bei Actium
(Velleius Paterculus, Römische Geschichte 2,84–86)
Unter dem Konsulat von Caesar (= Octavian) und Messalla Corvinus kam es bei Actium zur Schlacht, wobei es schon lange vorher klar war, dass die julianische Partei siegen würde. Auf dieser Seite waren Soldaten und Feldherr voller Kraft, auf der anderen Seite war alles kraftlos. […] Als erste ergriff Kleopatra die Flucht. Antonius wollte lieber der Genosse der fliehenden Königin als seiner kämpfenden Soldaten sein, und so wurde dieser Feldherr, der doch gegen Deserteure streng hätte vorgehen müssen, selbst zum Deserteur aus seinem eigenen Heer. […] Caesar, der die feindlichen Soldaten, die er mit dem Schwert hätte niedermachen lassen können, lieber mit Worten gewinnen wollte, sprach zu ihnen und machte ihnen klar, dass Antonius geflohen war, und fragte sie, für wen und mit wem sie eigentlich kämpften. Ärgerlich darüber, dass sie so lange für einen geflohenen Feldherrn gekämpft hatten, legten die Soldaten die Waffen nieder und überließen Caesar den Sieg. […] Was dieser Tag für die Welt bedeutete, wie sehr sich das Schicksal des Staates änderte –, wer wollte wagen, dies in einem solchen Überblickswerk darzustellen? Der Sieg jedenfalls war verbunden mit der allergrößten Milde. Von den wenigen abgesehen, die es nicht ertragen konnten, um Gnade zu bitten, wurde niemand getötet.
Historische Bedeutung der Seeschlacht von Actium
Die Darstellung der Seeschlacht bei Actium aus der Feder des Velleius Paterculus, eines Mannes, der unter Tiberius, dem Nachfolger des Augustus, geschrieben hat, ist kein sachlicher historischer Bericht, der beiden Seiten gerecht werden wollte, sondern eine Geschichtsdeutung aus der Perspektive des Siegers und eine Verherrlichung des Augustus. Velleius Paterculus greift Elemente des Propagandakampfes gegen Antonius auf; er macht aus Antonius einen Deserteur, während Augustus als Menschenfreund gezeichnet wird, der versucht, unnötige Opfer zu vermeiden. Hier ist der Tugendkatalog des römischen Kaisers aufgeschlagen, hat doch Augus tus in direkter Nachfolge Caesars die clementia, das heißt die Schonung der politischen und militärischen Gegner, zu einem öffentlichkeitswirksamen Schlagwort seiner Politik gemacht. In einem aber hat Velleius Paterculus Recht: Der Tag von Actium, der den Zusammenbruch der Machtstellung des Antonius einleitete, war von großer Bedeutung für die weitere römische und darüber hinaus für die gesamte europäische Geschichte. Denn die Geschichte Europas ist bis weit in die Neuzeit hinein eine Geschichte von Monarchien, und sie alle hängen in ihrem Ursprung und in ihrer Legitimation von Augustus, seinem Machtgewinn und seiner Herrschaft ab.
Gaius Octavius
Es war nun bislang von „Octavian“ und von „Augustus“ die Rede, und mit dem Zitat aus Velleius Paterculus, in dem der Sieger von Actium „Caesar“ genannt wird, ist noch ein weiterer Name dazugekommen. Doch bei Caesar, Octavian und Augustus handelt es sich um ein und dieselbe Person. Erst für die Zeit nach 27 v. Chr. kann der Mann, dessen politisches Werk die antike Welt verändert hat, Augustus genannt werden, ohne dass diese Bezeichnung anachronistisch wäre. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er mehrere Namenswechsel erlebt: Geboren wurde der spätere Augustus als Gaius Octavius, und zwar am 23. September 63 v. Chr. in Rom, in jenem Jahr, in dem Cicero die Catilinarische Verschwörung bekämpfte. Von seiner Herkunft her erschien Gaius Octavius kaum dazu berufen, in die Machtkämpfe der römischen Aristokratie einzugreifen, die seit der Zeit der Gracchen Rom erschüttert und im Inneren geschwächt hatten, und doch hat er sie schließlich mit Gewalt beendet. Die Familie des Octavius stammte aus Velitrae, einer kleinen, südlich vor Rom gelegenen Stadt. Der Vater des späteren Alleinherrschers war der erste seiner Familie, der sich in Rom um Ämter bewarb. Er gelangte bis zur Praetur und erhielt anschließend die Statthalterschaft über die Provinz Makedonien. Für einen homo novus war dies eine erfolgreiche politische Laufbahn, doch verdankte Octavius seinen eigenen Aufstieg nicht seinem Vater, sondern seinem späteren Adoptivvater. Gaius Julius Caesar hatte eine Schwester mit Namen Julia, und diese Julia war mit Marcus Atius Balbus verheiratet. Aus der Ehe von Julia und Balbus stammte die Tochter Atia, die Gaius Octavius, den Vater des späteren Herrschers, geheiratet hat. Caesar, der selbst keinen Sohn besaß, nahm seinen Großneffen als Haupterben testamentarisch „in Familie und Namen“ auf.
„Gaius Julius Caesar“
Nach der Ermordung Caesars an den Iden des März (15.3.44 v. Chr.) hat Octavian nur kurz gezögert, bevor er das Erbe seines Adoptivvaters annahm. Er wusste, dass er sich damit auf einen gefährlichen Machtkampf einließ, in welchem er entweder seine Position durchsetzen oder aber damit rechnen musste, ein Opfer seiner politischen Gegner zu werden. Octavian erhielt die Nachricht von der Ermordung Caesars in Apollonia an der griechischen Adriaküste; sechs Wochen später, Anfang Mai 44 v. Chr., konnte er das Testament in Rom offiziell annehmen. Doch bereits kurz nachdem ihn die Nachricht erreicht hatte, dass er testamentarisch zum Erben Caesars eingesetzt worden war, nannte er sich selbst Gaius Julius Caesar, womit er Anspruch auch auf das politische Erbe seines Adoptivvaters erhob. Erst im Jahr 27 v. Chr., siebzehn Jahre nach dieser ersten Namensänderung, wurde Octavian dann vom römischen Senat mit dem Ehrennamen Augustus (der „Erhabene“) ausgezeichnet. Auch mit diesem sakralen Namen war ein politisches Programm verbunden, wie unter anderem aus der Lebensbeschreibung des Augustus hervorgeht, die der römische Historiker Sueton Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. verfasst hat.
Augustus oder Romulus?
(Sueton, Augustus 7,2)
Später nahm er den Beinamen Gaius Caesar und dann den Beinamen Augustus an, den ersten aufgrund des Testaments seines Großoheims, den anderen aufgrund eines Antrags des Munatius Plancus. Als nämlich die Meinung vertreten wurde, dass er gewissermaßen als zweiter Gründer der Stadt den Beinamen Romulus erhalten sollte, setzte sich Plancus mit der Auffassung durch, dass Octavian besser Augustus genannt werden sollte. Denn dieser Beiname sei nicht nur neu, sondern auch bedeutender, da man doch auch die heiligen Orte, an denen von den Auguren sakrale Handlungen vollzogen wurden, als „geweiht“ (augusta) bezeichnete.
„Augustus“
Aus Suetons Bericht geht hervor, dass der neue Name Augustus mehr darstellte, als eine einfache Dankesbezeugung des Senats für die angeblich wiedererlangte freie Verfügungsgewalt über den Staat. Nach der Beendigung der Bürgerkriege hatte Octavian im Januar 27 v. Chr. verkündet, die von ihm okkupierte Macht wieder auf den Senat übertragen zu wollen, um so die römische Republik wiederauferstehen zu lassen. Tatsächlich handelte es sich nur um eine scheinbare Rückgabe der Macht, denn Octavian behielt auch weiterhin die Zügel in der Hand. Sueton überliefert nun, dass als Alternative zum Ehrennamen Augustus auch die Benennung Octavians als eines neuen Romulus diskutiert wurde. Doch in diesem Ehrennamen hätte ein unverblümter Hinweis auf die königsgleiche Stellung Octavians gelegen, und dies war mit der Absicht Octavians unvereinbar, die Idee der res publica restituta, der „wiederhergestellten freien römischen Republik“, zu propagieren.
„Octavian“
Mit „Octavian“ gibt es schließlich noch eine weitere, neben den Namen „Caesar“, und „Augustus“ verwendete Bezeichnung für den als Octavius geborenen Mann. Diesen aus seinem ursprünglichen Familiennamen geformten Beinamen hat Octavius-Augustus zwar selbst nie verwendet, doch findet man ihn bei Zeitgenossen wie Cicero, in späteren antiken Quellen sowie in der modernen Literatur, wo er dazu dient, die frühen Jahre des Caesar-Erben von der späteren Phase seiner Alleinherrschaft abzusetzen. Wenn Octavius nach der Adoption durch Caesar auf seine ursprüngliche Herkunft hätte verweisen wollen, dann hätte er der römischen Tradition gemäß seinem neuen Namen Gaius Julius Caesar den Beinamen Octavianus hinzufügen können. Einen solchen Hinweis auf seine familiäre Abstammung wollte Octavian aber gar nicht geben. Ihm kam es nach den Iden des März vielmehr darauf an, ganz die politische Autorität des getöteten Diktators für sich reklamieren zu können.
Octavians Namen im Überblick
23.9.63 v. Chr. |
Gaius Octavius in Rom geboren |
März/Mai 44 v. Chr. |
Nach der Ermordung Caesars nennt sich Octavian Gaius |
6.5.44 v. Chr. |
offizielle Testamentsannahme |
16.1.27 v. Chr. |
Octavian erhält vom Senat den Beinamen Augustus (der „Erhabene”) |
„Octavian“ ist der in der Historiographie verwendete Name für die Jahre zwischen der Adoption durch Caesar und der Übertragung des Ehren namens Augustus.
Als „Sohn“ des vergöttlichten Gaius Julius Caesar, als Sieger im Krieg gegen Antonius und Kleopatra, später als Garant von Frieden und Wohlstand nahm Augustus eine Stellung ein, die ihn weit aus dem Kreis seiner Mitmenschen heraushob. Viele Zeitgenossen erklärten sich seine Erfolge und seine Macht mit göttlichen Kräften, die in ihm wirkten. Augustus selbst hat die Aura, die ihn umgab, genossen, und er hat in ihr auch einen seine Herrschaft stabilisierenden Faktor gesehen. In seiner Lebensbeschreibung des Augustus spricht Sueton von der „ungewöhnlichen Schönheit“ des Herrschers und von seinen „hellen und strahlenden Augen“, und er berichtet weiter, Augustus habe Wert darauf gelegt, dass man „in seinen Augen den Ausdruck einer göttlicher Kraft zu erkennen meinte“; er habe sich gefreut, „wenn jemand, den er scharf anblickte, wie vor den Strahlen der Sonne den Blick niederschlug“ (Augustus 79).
„Prinzeps“
Bereits hier, bei einem scheinbar nebensächlichen Detail im Auftreten des Augustus, stößt man auf die innere Spannung, ja Widersprüchlichkeit seiner Herrschaft. Nach der Rückgabe der außerordentlichen Gewalten an den Senat im Januar 27 v. Chr. waren Octavian neue Kompetenzen übertragen worden, die seine Macht sicherten. Er selbst aber wollte seine Stellung von nun an als die eines „Prinzeps“, das heißt eines „ersten Mannes“, verstanden wissen, was sich gut mit der republikanischen Tradition verbinden ließ. Schon lange waren die führenden Männer in Rom als principes bezeichnet worden. So wie diesen Männern durch ihre Verdienste eine besondere Autorität zugekommen war, wollte auch Augustus seine mächtige Stellung, bei der es sich tatsächlich um eine Alleinherrschaft handelte, in seiner auctoritas begründet sehen. Seit 27 v. Chr., so schreibt Augustus in seinem „Tatenbericht“, den inschriftlich überlieferten Res gestae, habe er „alle anderen an Autorität (auctoritas) überragt, aber nicht mehr Macht (potestas) besessen als diejenigen, die auch ich zu Kollegen im Amt gehabt habe“ (Kap. 34). Auctoritas ist ein Begriff, der sich staatsrechtlich nicht fassen lässt, und er ist gerade deshalb ein wichtiger Schlüssel für das Verständnis der komplizierten Herrschaftsverhältnisse im augusteischen Prinzipat.
auctoritas
Politische Autorität zielt auf die Akzeptanz von Seiten derjenigen, die sich der Macht unterordnen sollen, und Augustus hatte als Sieger von Actium, dem man die Beendigung der Bürgerkriege zu verdanken hatte, viel an Autorität gewinnen können. Von ihm erwartete man die Stabilisierung der inneren Verhältnisse und die Sorge um das Wohlergehen von Mitbürgern und Untertanen, und jeder Erfolg auf diesem Wege konnte die Akzeptanz seiner Herrschaft vergrößern. Indem sich jedoch die Autorität des Prinzeps mit einer religiösen Aura verband, wie sie bereits in der Namenswahl „Augustus“ zum Ausdruck kam, musste das politische Konzept der „wiederhergestellten Republik“ fragwürdig werden. Als „erster Mann“ durfte Augustus über den Standesgenossen stehen, aber doch nicht zum lebenden Gott werden. Deshalb wollte Augustus von den römischen Bürgern auch nicht als Gott angesprochen und verehrt werden. Es reichte ihm aus, dass er in vielen Tempeln Roms in die Nähe von Göttern wie Apollon oder Mars gerückt wurde, und der göttlichen Macht, die in ihm zu wirken schien, seinem genius, Opfer dargebracht wurden. Aber schon dieser Grad von Gottesnähe des Prinzeps und die damit verbundene und von Augustus, wie bei Sueton zu sehen ist, auch gewünschte Aura musste kritischen Beobachtern in Rom die Janusköpfigkeit der „wiederhergestellten Republik“ vor Augen führen.
Kaiserkult
Noch deutlicher wurde die Diskrepanz zwischen dem politischen, auf die Öffentlichkeit in Rom ausgerichteten Programm der res publica restituta und der religiösen Überhöhung des Augustus, wenn man von Rom aus in die Provinzen blickte. Vor allem im griechischsprachigen Osten waren die Menschen seit Jahrhunderten daran gewöhnt, dem Herrscher wie einem Gott Ehren zu erweisen, und so wurde Augustus, nachdem er selbst die Erlaubnis dazu gegeben hatte, von den Provinzialen gemeinsam mit der Göttin Roma kultisch verehrt. Darüber hinaus widmeten Einzelpersonen, Städte und Landtage dem Kaiser Altäre und Festspiele.
Wie weit die Verehrung des Augustus gehen konnte, soll ein Beispiel aus der Provinz Asia deutlich machen. Die in einem „Landtag“ (Koinon) zusammengeschlossenen Vertreter der Städte hatten Überlegungen angestellt, wie der Herrscher am besten verherrlicht werden könnte, und dann den Vorschlag des römischen Prokonsuls angenommen, Augustus’ Geburtstag, den 23. September, zum Jahresbeginn des Provinzialkalenders zu machen. Die Beschlüsse, die der Landtag von Asia im Jahr 9 v. Chr. fasste, wurden öffentlich bekannt gemacht. Aus den fragmentarisch erhaltenen Inschriften geht hervor, dass der Prokonsul seinen Vorschlag mit der Überlegung begründet hatte, „der Geburtstag des allergöttlichsten Caesar“ werde „zu Recht als der Anfang aller Dinge betrachtet, […] da er alles, was in Stücke zerfiel und sich in eine unglückselige Gestalt verwandelte, wiederhergestellt hat; denn er hat dem gesamten Kosmos, der gut und gerne seinen Untergang gefunden hätte, wenn Caesar nicht zum allgemeinen Glück für alle geboren worden wäre, ein neues Aussehen verliehen.“ In dem nachfolgenden Beschluss der Mitglieder des Landtags war dann von der Vorsehung die Rede, „die auf göttliche Weise unser Leben geordnet und unter Einsatz von Eifer und Ehrliebe dem Leben den Schmuck des vollendeten Gutes geschenkt hat, indem sie Caesar hervorbrachte, den sie zur Wohltat für die Menschheit mit höchster Vorzüglichkeit ausstattete, gerade wie wenn sie uns und unseren Nachfahren gnädig einen Retter schenkte, der den Krieg beendete und dem Frieden seine Zier verlieh“ (Übs. K. Bringmann).
Kritik an Augustus
Es waren allerdings keineswegs alle Zeitgenossen so angetan von der Herrschaft des Augustus. In Rom, wo die Mitglieder des Senats und die Teilnehmer an den Volksversammlungen noch vor kurzem eine wichtige politische Rolle gespielt hatten, sah man die Herrschaft des Augustus durchaus kritisch. Mehrfach war es unter Augustus zu Verschwörungen gekommen, weil man nicht hinnehmen wollte, völlig von der Macht und der Gnade eines Autokraten abhängig zu sein. Kein antiker Historiker hat das zwischen Zustimmung und Ablehnung schwankende Urteil der Römer über die Herrschaft des ersten Prinzeps besser eingefangen als Tacitus (55–120 n. Chr.). Zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr., als gerade die Gewaltherrschaft des Kaisers Domitian (81–96 n. Chr.) zu Ende gegangen und unter Nerva (96–98 n. Chr.) und Trajan (98–117 n. Chr.) wieder ein freieres literarisches Leben möglich geworden war, schilderte Tacitus in seinen „Annalen“ die Geschichte der julisch-claudischen Dynastie seit dem Jahr 14 n. Chr. Wie alle senatorischen Historiker der frühen Kaiserzeit glaubte auch Tacitus an das Ideal einer freien römischen Republik, obwohl ihm bewusst war, dass die römische Aristokratie am Ende der Republik nicht mehr über die notwendige innere Kraft verfügt hatte, um das Gemeinwesen in seinen herkömmlichen politischen Formen zu erhalten. So fällt das Urteil des Tacitus über Augustus zwiespältig aus: Indem der Prinzeps die Freiheit beseitigt hat, ist ein historisch notwendiger Schritt vollzogen worden. Doch so einfach und offen spricht Tacitus seine Meinung nicht aus. Vielmehr lässt er die Zeitgenossen des Augustus nach dessen Tod über seinen Aufstieg und über seine Herrschaft diskutieren und gestaltet auf diese Weise ein literarisches „Totengericht“. Die Volksmenge, so schreibt der römische Historiker, habe sich zwar nur mit Belanglosigkeiten beschäftigt und über alle möglichen Zufälle ereifert, wie zum Beispiel darüber, dass Augus tus an dem gleichen Tag gestorben war, an dem er auch die Regierung übernommen hatte (gemeint ist der Beginn seines ersten Konsulats am 19. August 43 v. Chr. und sein Tod am 19. August 14 n. Chr.) oder dass er in demselben Zimmer in der in Kampanien gelegenen Stadt Nola gestorben war wie sein Vater. Die einsichtigeren Römer dagegen hätten ernsthaft über die politische Bewertung der Herrschaft des Augustus diskutiert.
„Totengericht“ über Augustus
„Aber von den Einsichtigen wurden verschiedene Aspekte seines Lebens ent weder gerühmt oder getadelt. Die einen meinten, er sei durch seine Verehrung (pietas) für seinen Vater und durch die Notlage des Staates, in dem die Gesetze keine Gültigkeit mehr gehabt hätten, in den Bürgerkrieg getrieben worden, und ein solcher Krieg hätte weder auf löbliche Weise vorbereitet noch geführt werden können. Um sich an den Mördern seines Vaters rächen zu können, habe er vieles dem Antonius, vieles auch dem Lepidus zugestanden. Nachdem aber Lepidus stumpfsinnig und kraftlos geworden und Antonius durch seine Leidenschaften zugrunde gegangen sei, habe es für das zerrissene Vaterland kein anderes Heilmittel mehr gegeben, als dass es von einem Einzelnen regiert würde. Und doch sei der Staat nicht durch eine Königsherrschaft oder durch eine Diktatur, sondern als ‘Prinzipat’ neu geordnet worden. Die Grenzen des Reiches würden durch den Ozean und durch weit entfernte Flüsse gebildet, die Legionen, Provinzen und Flotten seien aufeinander abgestimmt, unter den römischen Bürgern hätten die Gesetze wieder Gültigkeit, die Bundesgenossen würden rücksichtsvoll behandelt, Rom selbst besitze prachtvolle Bauten, und nur weniges sei auf gewaltsame Weise geschehen, wodurch der Mehrheit der Menschen ein friedliches Leben gesichert worden sei.
Dagegen wurde von anderen eingewandt, die Verehrung für seinen Vater und der Zustand des Staates hätten nur als Vorwand gedient. Tatsächlich sei es aus Herrschsucht geschehen, dass er die Veteranen durch Spenden an sich gezogen, dass er als Jüngling und Privatmann ein Heer aufgestellt, die Legionen des Konsuls (Antonius) bestochen und den Anschein erweckt habe, im Einverständnis mit der Partei der Pompeianer zu stehen. […] Gegen den Willen des Senats habe er das Konsulat erpresst, und er habe das Heer, das er zum Kampf gegen Antonius erhalten habe, gegen den Staat geführt. Die (von den Triumvirn, also auch von Octavian angeordneten) Proskriptionen der Bürger und die Landverteilungen seien nicht einmal von denjenigen, die sie ausführten, gutgeheißen worden. Gewiss könne der Tod von Cassius und der beiden Brutus auf deren Feindschaft seinem Vater gegenüber zurückgeführt werden, obwohl es doch schicklich sei, persönlichen Hass den Interessen des Staates unterzuordnen. […] Später (nach dem Tod von Sextus Pompeius und Antonius) habe es ohne Zweifel Frieden gegeben, allerdings einen blutigen: Lollius und Varus seien vernichtend geschlagen worden, und in Rom seien (Aulus Terentius) Varro (Murena), (Marcus) Egnatius (Rufus) und Jullus (Antonius) hingerichtet worden“ (Tacitus, Annalen 1,9f.).
saeculum Augustum
Eine öffentliche Diskussion in der von Tacitus beschriebenen Weise hat es so sicher nicht gegeben. Doch die einzelnen Argumente, die er aufführt, mussten bei der Beurteilung des Augustus berücksichtigt werden, und es war nicht leicht, zu einem eindeutigen Urteil zu gelangen. Denn Augustus hatte einerseits den Anspruch erhoben, die Republik wiederhergestellt zu haben, gleichzeitig jedoch ganz eindeutig etwas anderes getan, indem er sich selbst eine unangreifbare Führungsstellung verschaffte, die alle Erschütterungen unbeschadet überstehen sollte. Als im Jahr 14 n. Chr. im Senat darüber beraten wurde, wie man den Verstorbenen ehren könnte, machte einer der Senatoren den Vorschlag, „den ganzen Zeitabschnitt vom Tage der Geburt bis zum Tode des Augustus ‘Augusteisches Zeitalter’ – saeculum Augustum – zu nennen und unter dieser Bezeichnung in den Kalender einzutragen“ (Sueton, Augustus 100). Immerhin hatte die Alleinherrschaft des Augustus von 31 v. Chr., dem Jahr seines militärischen Erfolgs über Antonius, bis zum Jahr 14 n. Chr. gedauert, also über fünfundvierzig Jahre, und wollte man das Augusteische Zeitalter von der Geburt Octavians an rechnen, so umfasste es sogar mehr als ein Dreivierteljahrhundert. Der Vorschlag des Senators wurde jedoch nicht angenommen. Erschien er dann doch als zu unterwürfig? Oder widersprach er zu sehr der Politik, die Augustus seit dem Gewinn seiner Alleinherrschaft verfolgt und die darauf abgezielt hatte, den Senat in die Herrschaftsausübung einzubeziehen und auf diese Weise den inneren Frieden wiederherzustellen? Man kann die Ablehnung des Vorschlags, die Lebenszeit des Augustus als „Augusteisches Zeitalter“ zu verewigen, also auf unterschiedliche Weise interpretieren; sie könnte als Ausdruck einer Opposition gegen den übermächtigen Herrscher gedeutet, aber auch als eine nur scheinbare Opposition gewertet werden, die sich noch nach dem Tod des Augustus genau an seine Vorgaben hielt. Denn zu den politischen Spielregeln in der „wiederhergestellten Republik“ gehörte auch, dass der Senat, wenn es opportun erschien, seine Eigenständigkeit betonte, und der Nachfolger des Augustus, Tiberius, hat auf diese Rolle des Senats zunächst großen Wert gelegt. Schon hier, beim Übergang der Macht auf den zweiten Prinzeps, wurde das Problem sichtbar, wie denn mit den politischen Vorgaben des Augustus umgegangen werden sollte. Da es in der „wiederhergestellten Republik“ eigentlich keine dynastische Erbfolge geben konnte, überrascht es nicht, dass sich nach dem Tod des Augustus der Herrschaftsantritt des neuen Prinzeps recht kompliziert gestaltete. Aber für alle Nachfolger des Augustus während des 1. Jahrhunderts n. Chr. bestand darüber hinaus eine grundsätzliche Frage: Mussten sie die teils unterwürfige und teils illoyale Senatsaristokratie an ihrer Herrschaft beteiligen, um den republikanischen Anschein zu gewährleisten, oder konnte sie sich im Vertrauen auf ihre Macht als Autokraten gebärden und den Senat brüskieren, so oft sie nur wollten?
Spricht man dagegen heute von einem „Zeitalter des Augustus“, so ist dies ganz unabhängig von einer positiven oder negativen Wertung angesichts der grundlegenden Umwandlung gerechtfertigt, die Rom und das Römische Reich unter der Herrschaft des Augustus erfahren haben. Unter ihm verwandelte sich Rom in eine Monarchie, und dieser Vorgang hat nicht weniger als die Entstehung und Verbreitung des christlichen Glaubens während der ersten Jahrhunderte der römischen Kaiserzeit die weitere Geschichte Europas geprägt. Bei einer Betrachtung der augusteischen Epoche mit ihren beeindruckenden Leistungen in Literatur, Kunst und Architektur darf allerdings nicht übersehen werden, dass ihr langwierige, das Römische Reich bis in seine Grundlagen erschütternde Machtkämpfe vorausgegangen sind. Die militärische Konfrontation zwischen Octavian und Antonius stellte nur den letzten Abschnitt einer langen und blutigen Bürgerkriegsphase dar. Die pax Augusta wurde auf Bergen von gefallenen Soldaten, auf den Leichnamen von Hunderten von verfolgten und abgeschlachteten Senatoren, auf gebrochenen politischen Versprechen und letztlich auf dem Scheitern einer republikanischen Verfassung errichtet.
Die römische Expansion im 2. Jahrhundert v. Chr.: |
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198/197 v. Chr. Schlacht bei Kynoskephalai |
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190 |
Schlacht bei Magnesia |
168 |
Schlacht bei Pydna |
148 |
Einrichtung der Provinz Makedonien |
146 |
Zerschlagung des Achäischen Bundes |
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Zerstörung von Korinth und Karthago |
133 |
Einnahme von Numantia |
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Pergamon fällt an Rom (Testament Attalos’ III.) |
Die Krise der Römischen Republik: |
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133 v. Chr. |
Tiberius Gracchus |
123/122 |
Gaius Gracchus |
111 |
lex Thoria |
107 |
Gaius Marius Konsul: Aufnahme von Freiwilligen in das |
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Heer (Heeresklientel) |
91 |
Ermordung des Volkstribunen Marcus Livius Drusus |
91–88 |
Bundesgenossenkrieg |
88 |
Sullas erster Marsch auf Rom |
87 |
Cinna und Marius nehmen Rom mit Gewalt ein |
82 |
Schlacht am Collinischen Tor |
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Proskriptionen und Sullas Diktatur (bis 79) |
74–63 |
3. Mithridatischer Krieg |
73–71 |
Spartacus-Aufstand |
60 |
Triumvirat zwischen Pompeius, Caesar und Crassus |
52 |
Pompeius alleiniger Konsul |
7.1.49 |
Caesar überschreitet den Rubicon |
9.8.48 |
Niederlage des Pompeius bei Pharsalos |
Feb. 44 |
Caesar erhält die Diktatur auf Lebenszeit |
Um verstehen zu können, warum es zur Herrschaft des Augustus gekommen ist und warum diese Herrschaft ihre spezifische Form als Prinzipat erhalten hat, muss man sich mit der vorangehenden, langen Krise der Römischen Republik beschäftigen, deren letzte Phase mit dem politischen Aufstieg des jungen Octavian einsetzte. Aus dem großen zeitlichen Abstand, der uns von der Antike trennt, erscheinen die Römische Republik und die Römische Kaiserzeit als zwei voneinander abgegrenzte und stark divergierende Epochen, doch für die Zeitgenossen, die den Aufstieg Octavians miterlebt hatten, war es eine Zeit des Übergangs. Sie konnten weder im Jahr 31 v. Chr., nach der Schlacht bei Actium, noch 27 v. Chr., als Octavian seine Sondergewalten niederlegte und sich neue Kompetenzen übertragen ließ, voraussehen, ob der aus dem letzten Bürgerkrieg als Sieger hervorgegangene junge Mann seine Herrschaft würde festigen können oder ob ihn ein Schicksal ereilen würde wie das Caesars.
Rom, Augustusforum. Grundriss mit Rekonstruktion des Statuenprogramms (P. Zanker).
Herrschaftsakzeptanz
Der Prinzeps, obwohl von schwacher Konstitution und mehr als einmal bedrohlich krank, wurde 77 Jahre alt, und dieses zumal für antike Verhältnisse lange Leben sicherte den Bestand seiner Monarchie auch für seine Nachfolger. In den Jahrzehnten der augusteischen Herrschaft gab es etliche Krisen, und Augustus musste die Konzeption seines Prinzipats wiederholt neu ausrichten, zugleich aber darauf achten, den Bezug zur republikanischen Vergangenheit mit ihren Traditionen und Wertvorstellungen aufrechtzuerhalten, denn nur auf diese Weise konnte es ihm gelingen, auf Dauer die notwendige Akzeptanz bei seinen „Mitbürgern“ zu finden. Sein politisches Werk ist von dieser Auseinandersetzung mit der Republik geprägt, und bis hinein in die Baumaßnahmen, die Augustus in Rom hat durchführen lassen, wird sein Bemühen sichtbar, die eigene Herrschaft in den Rahmen der Tradition zu stellen und sie auf diese Weise zu legitimieren. Die Zweiseitigkeit des Prinzipats wird in keinem Bauwerk anschaulicher als in dem Forum des Augustus, das einerseits in aller Deutlichkeit seine herausragende Stellung demonstrierte, diese Präsentation andererseits aber mit der Erinnerung an die „großen Männer“ Roms republikanisch einkleidete. Augustus ordnete sich hier in die römische Geschichte ein, ohne jedoch einen Zweifel daran zu lassen, dass seine Leistung die aller anderen Römer übertraf. Wie also sah die augusteische Geschichtsinterpretation auf dem neuen Forum aus?
Es handelte sich um eine große Anlage, die sich an das alte Forum Romanum und das jüngere, erst unter Augustus fertig gestellte Forum Caesars anschloss. Schon die Wahl des Gottes, dem hier ein Tempel gebaut wurde, zeigt, dass man es mit politischer Architektur zu tun hat: Gebaut wurde ein Tempel für Mars Ultor, den „rächenden Mars“, und mit der Rache war die Rache an den Mördern Caesars gemeint. Zunächst, zum Zeitpunkt dieser frühen Überlegungen noch vor der Schlacht gegen Cassius und Brutus bei Philippi (Oktober 42 v. Chr.), sollte das Forum also dazu dienen, Octavians Stellung als „Sohn“ Caesars deutlich zu machen. Fertig gestellt und eingeweiht wurden Forum und Tempel jedoch erst im Jahr 2 v. Chr. Zu diesem Zeitpunkt besaß Augustus seit Jahrzehnten die Alleinherrschaft, und so ging es ihm schon seit langem nicht mehr um die Bekundung seines Rachedurstes, sondern um den Ausdruck von Versöhnung und innerem Ausgleich. Auch dafür wurde das neue Forum genutzt, indem die Säulenhallen, die den Tempel links und rechts umfassten, mit Statuenreihen ausgestattet wurden, die das ansonsten monarchische Bildprogramm des Forums mit republikanischen Bezügen ergänzten.
Bildprogramm auf dem Augustusforum
Wer auf das Forum trat, stieß zunächst auf eine mitten auf dem Platz aufgestellte Augustus-Quadriga, die anlässlich der Einweihung des neuen Forums dem Bauherrn vom Senat gewidmet worden war. Auf der Basis der Quadriga war der Ehrentitel pater patriae („Vater des Vaterlandes“) eingeschrieben, den der Senat Augustus im Jahr der Einweihung des Forums verliehen hatte: Augustus war nicht nur der Rächer seines Adoptivvaters, sondern auch der Retter des Vaterlandes, der zunächst die Bürgerkriege beendet und sich seitdem um die Belange aller römischen Bürger gekümmert hatte. Auf der Basis der Quadriga befand sich zudem eine Inschrift, in der alle von Augustus besiegten Völker verzeichnet waren; der „Vater des Vaterlandes“ hatte also auch dem römischen Weltherrschaftsanspruch Nachdruck verliehen und die militärischen Kräfte Roms nach außen gelenkt. Im Hintergrund der Quadriga erhob sich der Mars-Tempel, auf dessen Giebel Mars und Venus sowie Romulus und die Göttin Fortuna zu sehen waren, während im Inneren des Tempels überlebensgroße Statuen von Mars und Venus, möglicherweise ergänzt um eine Statue Caesars, aufgestellt waren. Der Tempelgiebel und die Statuen im Inneren kündeten davon, dass Augustus seine Siege mit Hilfe der Götter errungen hatte, und sie wiesen zugleich auf die übernatürliche Abstammung, deren sich die Julier rühmten und die seit der Adoption durch Caesar auch von Augustus beansprucht werden konnte. „Gaius Julius Caesar“ so heißt es bei Velleius Paterculus, „stammte aus der altadeligen Familie der Julier; die Herkunft seiner Familie leitete er von Anchises und Venus ab, was auch von allen, die sich für Altertümer interessieren, für zutreffend befunden wird“ (Römische Geschichte 2,41,1). Anchises war der Vater des Aeneas, der die flüchtenden Trojaner über Karthago nach Italien geführt hatte, und mit Aeneas soll auch Rhea Silvia verwandt gewesen sein. Sie wieder war dem Mythos zufolge von Mars geschwängert worden und hatte die Zwillinge Romulus und Remus geboren. So konnten sich Caesar und nach ihm Augustus auf göttliche Herkunft und auf eine Verwandtschaft mit Aeneas und Romulus berufen.
Statuen von Aeneas und Romulus standen zwar nicht im Tempel, dafür aber an betonter Stelle in den Säulenhallen, die das Forum zu beiden Seiten des Mars-Tempels begrenzten. Die beiden langen Säulenhallen hatten auf der Höhe des Tempels halbkreisförmige Ausbuchtungen (Exedren), und hier sah man auf der einen Seite, wie Aeneas mit seinem alten Vater Anchises auf den Schultern und seinem kleinen Sohn Ascanius an der Hand aus dem brennenden Troja flüchtete. In der gegenüberliegenden Exedra waren Ascanius und weitere Nachkommen des Aeneas zu sehen, die die Stadt Alba Longa begründet und beherrscht hatten, während in der Mitte eine Statue des Romulus aufgestellt war.
principes viri
Für sich betrachtet führt die eindringliche Selbstdarstellung auf dem Forum, in der sich Augustus in Verbindung mit den Göttern und den Ahnherren der Stadt brachte, zu dem Eindruck, dass die Stellung des „Prinzeps“ die eines Monarchen war. Doch gerade diesen Eindruck wollte Augus tus vermeiden, und so wurde der monarchische Aspekt dadurch relativiert, dass Romulus und Aeneas von einer langen Reihe von principes viri, von „ersten Männern“ der Römischen Republik, umgeben waren. Auf diese Weise gab Augustus zu verstehen, dass seine Herrschaft eben keine absolute Monarchie darstellen sollte, sondern eine auf Autorität und Akzeptanz beruhende Führungsrolle des durch seine Taten ausgewiesenen ersten Mannes. Diese Herrschaftskonzeption war ein Angebot an die ehemalige Führungsschicht des Römischen Reiches, die es nicht ertragen wollte, von einem Monarchen regiert zu werden, die sich jedoch am Ende der Bürgerkriege mit dem bloßen Anschein einer res publica restituta, einer „wiederhergestellten Republik“, zufrieden geben musste.
Die Heerführer der Republik als Vorbild für den Herrscher
(Sueton, Augustus 31,5)
Nach den unsterblichen Göttern erwies Augustus die größte Ehre dem Andenken an die Heerführer, welche die römische Herrschaft aus kleinsten Anfängen zur größten Entfaltung gebracht hatten. Deshalb stellte er die Bauwerke dieser Männer wieder her, wobei er die alten Bauinschriften beibehielt, und in den beiden Säulenhallen seines Forums ließ er Triumphalstatuen aller dieser Männer aufstellen, wobei er in einem Edikt verkündete, es sei sein Wunsch, dass nach dem Muster dieser Männer sowohl er selbst, solange er lebe, als auch die Prinzipes der nachfolgenden Zeiten (insequentium aetatium principes)von den Bürgern beurteilt würden.
Die Aufstellung der Statuen in den Säulenhallen des Mars-Tempels kann zumindest in ihren Grundzügen rekonstruiert werden. Die wenigen Überreste der Statuen erlauben es zwar nicht, alle einstmals ausgestellten principes viri (es werden insgesamt etwa einhundert gewesen sein) zu benennen, doch können beinahe zwanzig Namen mit einiger Sicherheit angeführt werden. Es lässt sich zum Beispiel feststellen, dass sich unter den principes viri mit Sulla und Marius zwei Politiker befanden, die sich gegenseitig bekämpft hatten, und dass mit Sulla und Pompeius auch zwei mächtige Gegenspieler Caesars zu sehen waren. Anstelle der Gegensätze, die sich in der ausgehenden Republik in der Politik der genannten Männer artikuliert hatten, vermittelten die Statuen der principes viri, zusammengenommen mit denen der Götter und der römischen Könige, jetzt den Eindruck eines geordneten Geschichtsverlaufs, der von den kleinen Anfängen der Stadt Rom zur Großmachtsstellung und von der römischen Königszeit in den Prinzipat führte. Als Prinzeps konnte Augustus an frühere römische Herrscher erinnern, sich aber zugleich in einen Zusammenhang mit den principes viri der Republik stellen und die angebliche Ähnlichkeit seiner Führungsstellung mit der Achtung und Autorität illustrieren, welche die erfolgreichsten Aristokraten der Republik genossen hatten. Dieses Konzept lag auch einem Edikt des Augus tus zugrunde, in dem er unter ausdrücklichem Hinweis auf die Statuen des neu en Forums die Taten der republikanischen principes viri zum Maßstab nicht nur seiner eigenen Herrschaft, sondern zugleich auch seiner als principes bezeichneten Nachfolger machte (Sueton, Augustus 31,5); geschickter konnte man die Behauptung, sich im Rahmen republikanischer Traditionen zu bewegen, mit dem ansonsten längst deutlich gewordenen Anspruch auf eine dynastische, das heißt also monarchische Herrschaft zukünftiger Prinzipes kaum verbinden.
Unter den zahlreichen Statuen von principes viri