GESTALTEN DER ANTIKE
Herausgegeben von
MANFRED CLAUSS
Vorwort zur Reihe
Vorbemerkungen
Das Land
Die Chronologie
Namen und Schreibweisen
Ramses’ Vorgänger
Ahmose
Amenophis I.
Thutmosis I.
Thutmosis II.
Thutmosis III.
Amenophis II.
Thutmosis IV.
Amenophis III.
Haremheb
Ramses I.
Der Kronprinz
Der Pharao
„Ramses, die große Sonne Ägyptens“ – König und Gott
„Wie schön ist dein Erscheinen“ – Der Pharao und die Götter
„König Ramses in seinen 67 Regierungsjahren“
Jahr 1 bis 4
Jahr 5: „Gegen Millionen Barbaren ganz allein“. Die Schlacht bei Qadesch
Jahr 6 bis 20
Jahr 21: „Gute Brüderschaft und guter Frieden“. Der Friedensvertrag
Jahr 22 bis 29
Jahr 30: „Du verjüngst dich stetig“. Ein erstes Erneuerungsfest, ein zweites, ein drittes …
Jahr 31 bis 33
Jahr 34: „Das Wunderbare“. Der Pharao heiratet
Jahr 35 bis 39
Jahr 40: „Wirksame Arzneien“. Die ägyptischhethitischen Beziehungen
Jahr 41 bis 66
Jahr 67: „Re trennt sich von den Menschen“. Ramses’ Tod (119)
Ramses’ Umgebung
„Die Allerschönsten“ – Die Frauen
„Königssohn von seinem Leib“ – Die Kinder
„Eine kupferne Schutzmauer“ – Die Beamten
Was bleibt?
„Der Glanzpunkt Ägyptens“ – Ramses und seine Stadt
„Es ist schön, Denkmal auf Denkmal zu errichten“ – Der Pharao baut
Ein Fazit frei nach Plutarch: Ramses und Augustus
Anhang
Anmerkungen
Zeittafel
Abkürzungsverzeichnis
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Register
„Gestalten der Antike“ – die Biographien dieser Reihe stellen herausragende Frauen und Männer des politischen und kulturellen Lebens jener Epoche vor. Ausschlaggebend für die Auswahl war, dass die Quellenlage es erlaubt, ein individuelles Porträt der jeweiligen Personen zu entwerfen, und sie konzentriert sich daher stärker auf politische Persönlichkeiten. Sie ist gewiss auch subjektiv, und neben den berühmten „großen Gestalten“ stehen interessante Personen der Geschichte, deren Namen uns heute vielleicht weniger vertraut sind, deren Biographien aber alle ihren je spezifischen Reiz haben.
Die Biographien zeichnen spannend, klar und informativ ein allgemeinverständliches Bild der jeweiligen „Titelfigur“. Kontroversen der Forschung werden dem Leser nicht vorenthalten. So geben auch Quellenzitate – Gesetzestexte, Inschriften, Äußerungen antiker Geschichtsschreiber, Briefe – dem Leser Einblick in die „Werkstatt“ des Historikers; sie vermitteln zugleich ein facettenreiches Bild der Epoche. Die Darstellungen der Autorinnen und Autoren zeigen die Persönlichkeiten in der Gesellschaft und Kultur ihrer Zeit, die das Leben, die Absichten und Taten der Protagonisten ebenso prägt wie diese selbst die Entwicklungen beeinflussen. Die Lebensbeschreibungen dieser „Gestalten der Antike“ machen Geschichte greifbar.
In chronologischer Reihenfolge werden dies sein:
Hatschepsut (1479–1457), von den vielen bedeutenden Königinnen Ägyptens nicht nur die bekannteste, sondern auch die wichtigste, da sie über zwei Jahrzehnte die Politik Ägyptens bestimmt hat;
Ramses II. (1279–1213), der Pharao der Rekorde, was seine lange Lebenszeit wie die nahezu unzähligen Bauvorhaben betrifft;
Alexander (356–323), der große Makedonenkönig, dessen Rolle in der Geschichte bis heute eine ungebrochene Faszination ausübt;
Hannibal (247–183), einer der begabtesten Militärs der Antike und Angstgegner der Römer; seine Kriege gegen Rom haben Italien mehr geprägt als manch andere Entwicklung der römischen Republik;
Sulla (138–78), von Caesar als politischer Analphabet beschimpft, weil er die Diktatur freiwillig niederlegte, versuchte in einem eigenständigen Konzept, den römischen Staat zu stabilisieren;
Cicero (106–43), Philosoph, Redner und Politiker, von dem wir durch die große Zahl der überlieferten Schriften und Briefe mehr wissen als von jeder anderen antiken Persönlichkeit; sein Gegenpart,
Caesar (100–44), ein Machtmensch mit politischem Gespür und einer ungeheuren Energie;
Kleopatra (69–30), Geliebte Caesars und Lebensgefährtin Marc Antons, die bekannteste Frauengestalt der Antike, die vor allem in den Darstellungen ihrer Gegner unsterblich wurde;
Herodes (73 v.–4 v. Chr.), der durch rigorose Anpassung an die hellenistische Umwelt die jüdische Monarchie beinahe in den Dimensionen der Davidszeit wiederherstellte, dem seine Härte jedoch letzten Endes den Ruf des „Kindesmörders“ eintrug;
Augustus (43 v.–14 n.Chr.), der mit unbeugsamer Härte, aber auch großem Geschick das vollendete, was Caesar angestrebt hatte; da er den Bürgerkriegen ein Ende setzte, wurde er für die Zeitgenossen zum Friedenskaiser;
Nero (54–68), der in der Erinnerung der Nachwelt als Brandstifter und Muttermörder disqualifiziert war, auch wenn ihn die zeitgenössischen Dichter als Gott auf Erden feierten;
Marc Aurel (161–180), der so gerne als Philosoph auf dem Thron bezeichnet wird und doch immer wieder ins Feld ziehen musste, als die ersten Wellen der Völkerwanderung das Römische Reich bedrohten;
Septimius Severus (193–211), der erste „Nordafrikaner“ auf dem Thron, aufgeschlossen für orientalische Kulte; er förderte die donauländischen Truppen und unterwarf das Reich zahlreichen Veränderungen;
mit Diocletian (284–305) lässt man die Spätantike beginnen, die sich vor allem durch konsequente Ausübung der absoluten Monarchie auszeichnet;
Konstantin der Große (306–337), der im Zeichen des Christengottes in die Schlacht zog und siegte, hat den Lauf der Geschichte nachhaltig verändert; dem Christentumwar nun der Weg zur Staatsreligion vorgezeichnet;
Athanasius (295–373), unter den großen politischen Bischöfen der Spätantike einer der radikalsten und erfolgreichsten in dem Bemühen, den neuen Glauben im und gegen den Staat durchzusetzen;
Julian (361–363), dessen kurze Regierungszeit vieles von seinen Plänen unvollendet ließ und deshalb die Phantasie der Nachwelt anregte;
Theodosius der Große (379–395), von dem man sagt, er habe mit einer rigorosen Gesetzgebung das Christentum zur Staatsreligion erhoben; er bewegte sich mit Geschick durch eine Welt religiöser Streitigkeiten;
Theoderich der Große (474–526), der bedeutendste jener „barbarischen“ Heerführer, die das Weströmische Reich beendeten,
und schließlich Kaiser Justinian (527–565), der zusammen mit Theodora die Größe des alten Imperium Romanum wiederherstellen wollte; die Beschreibung seiner Herrschaft kann insofern einen guten (chronologischen) Abschluss bilden.
Manfred Clauss
Vielen Darstellungen gilt Ramses II.1 (1279–1213) als „der Große“, ja als Ägyptens größter Pharao und folglich auch größter Feldherr. Ihn selbst würde dies zweifellos freuen, war dies doch genau das Ziel seiner unermüdlichen Selbstdarstellungen, seiner Bilder und seiner Texte, die er wie kein anderer Herrscher vor oder nach ihm über das Land verteilte. Nach der Schlacht von Qadesch, deren Ausgang von Ramses als Sieg dargestellt wurde, hat er zwar praktisch keinen Feldzug mehr persönlich geführt, aber nie aufgehört, sich als Krieger herauszustellen. Sein Erbe besteht vor allem in den zahllosen Bauten, die er in ganz Ägypten hinterlassen hat.
Wenn für die Geschichte einer Region die Biographie als Mittel der historischen Darstellung Bedeutung hat, dann für Ägypten. Wie wohl in keinem anderen antiken Staat ist alles auf eine Person zugespitzt, den Pharao. Dabei stand aber weder seine Rolle als Krieger, Verwalter oder Bauherr im Zentrum – es waren die kultischen Funktionen, die für das Land und die Gesellschaft die größte Bedeutung besaßen. Der Pharao war der Vermittler zwischen der menschlichen und der göttlichen Welt, er führte die Opfer für die Götter durch, seine erste und wichtigste Funktion war diejenige eines Priesters. Eigentlich war er der einzige Priester seines Landes, alle anderen leiteten ihre Befugnisse aus den seinen ab.
Die Zeugnisse für diese Rolle des Pharaos füllen Bände; Kenneth A. Kitchen hat sie zusammengestellt.2 Doch so umfangreich das Quellenmaterial aus der langen Regierungszeit des Herrschers ist, so einseitig ist es auch. Weder die Inschriften, die Ramses nahezu überall hinterlassen hat, noch die diplomatische Korrespondenz geben etwas über seine Persönlichkeit preis. Dies ist allerdings bei kaum einem Menschen der Vormoderne der Fall, ja ich würde es sogar generell für nahezu unmöglich halten, sich einer Person oder gar ihrem Charakter im Nachhinein anzunähern. Selbst Briefe und Memoiren projizieren letzten Endes ebenso ein Selbstbildnis wie alle öffentlichen Verlautbarungen. Derartige ins Private gehende Zeugnisse haben wir von Ramses nicht. Für einen Herrscher wie den ägyptischen König kommt hinzu, dass wir keinerlei reflektierte zeitgenössische Darstellungen über ihn besitzen. Alle Inschriften und sämtliche Bildnisse sind in hohem Maße durchstrukturiert, fußen weitgehend auf uralten Traditionen und haben nur ein Ziel: den Pharao zu verherrlichen. Überliefert sind uns die offiziellen königlichen Monumente und Dokumente, in denen für Alltägliches kein Raum war.
Alles Persönliche bleibt außen vor. Ramses’ Denken und Fühlen, seine Ängste und Befürchtungen, seine Liebe und sein Hass, seine Wünsche und Pläne sind uns unbekannt – ja es ist schon Spekulation, ob er derartige Kategorien überhaupt kannte. Wichtige Aspekte seines Lebens und Wirkens sind aufgrund der besonderen Quellenlage nicht zu erfassen: Werke antiker Historiker wie eines Thukydides, Tacitus oder Sueton haben wir über Ramses nicht. Selbstzeugnisse wie bei dem spätantiken Kaiser Julian, der mehr von sich preisgegeben hat als jeder andere römische Herrscher, liegen nicht vor. Etwaige Entwicklungen im Lebensweg, Sackgassen oder Umkehrungen, wenn es sie überhaupt bei jemandem gab, der seit seiner Geburt zum Herrn der Welt bestimmt war – wir kennen sie nicht.
Will man Ramses’ Leben beschreiben, kann man also nur seinen eigenen Zeugnissen und damit dem Bild folgen, das er selbst von sich zu Lebzeiten entworfen hat. Gelegentlich versuchen Darstellungen dem zu entkommen, indem sie allgemeine Betrachtungen zu Religion, den ägyptischen Institutionen, zu Kunst und Literatur oder zum Alltag bieten.3 Dies werde ich äußerst knapp halten und stattdessen dem Weg folgen, den Ramses selbst vorgegeben hat.
So steht in diesem Buch die Gestalt des Pharaos ganz im Mittelpunkt. Anhand einer Liste, die Ramses im Tempel von Abydos einmeißeln ließ, werden seine Vorgänger vorgestellt, um damit in die Geschichte des Neuen Reiches seit etwa 1550 bis auf Ramses einzuführen (S. 17–26). Dann gehe ich kurz auf seine Zeit als Kronprinz ein (S. 27–33). Die Aufgaben eines Königs, die Ramses wie zahlreiche Herrscher vor und nach ihm zu erfüllen hatte, beschreibt er selbst im sogenannten Dekret des Schöpfergottes Ptah-Tatenen (S. 35–48). Seine wichtigste Aufgabe war, wie bereits betont, diejenige des Priesters, der, selbst ein Gott, Ägypten und seine Menschen gegenüber den Göttern vertrat (S. 49–52). Die insgesamt 67 Regierungsjahre schildere ich in annalistischer Form, auch wenn nicht für alle Jahre konkrete Ereignisse bekannt sind (S. 53–122). Herausragende Geschehnisse wie die Schlacht bei Qadesch 1275, das Friedensabkommen mit den Hethitern 1259, das erste Erneuerungsfest 1250 oder Ramses’ Heirat mit einer hethitischen Prinzessin 1246 werden ausführlich behandelt. Mit der Formel „Der Pharao lebe, sei heil und gesund!“, die in ägyptischen Texten den Namen des Herrschers begleitet, werden dagegen jene Jahre gekennzeichnet, aus denen uns keine historischen Ereignisse bekannt sind.
Dem chronologischen Abriss folgt ein Kapitel über jene Personen, die zu Ramses’ nächster Umgebung gehörten (S. 123–154): seine „Großen Königlichen Gemahlinnen“, seine Kinder, vor allem seine Söhne, und die höchsten Reichsbeamten und Priester. Bis heute geblieben sind von Ramses vor allem seine über ganz Ägypten verteilten Bauten (S. 155–181). Wenig ist von seiner einstigen Hauptstadt Piramesse erhalten, aber umso mehr von seinen Tempeln in Karnak, Luxor, Abu Simbel, Abydos sowie von seinem Totentempel, dem Ramesseum. Ramses hatte als Pharao in Ägypten niemand, den man ihm, was die Länge der Herrschaft und die daraus resultierenden gewaltigen Bauleistungen betrifft, an die Seite hätte stellen können. So wage ich den Vergleich mit Augustus, dem ersten römischen Kaiser, der in vielem unserem Pharao ähnlich war.
Das Land
Er ist einer der längsten Ströme der Erde und einer der ältesten Wasserwege der Menschheit, und er zählt zu den fruchtbarsten Flüssen überhaupt: der Nil. In jedem Frühjahr zur gleichen Zeit beginnt mit wunderbarer Regelmäßigkeit ein beeindruckendes Schauspiel: die Nilflut. In Khartoum, der heutigen Hauptstadt des Sudan, trifft der „Blaue Nil“ aus dem abessinischen Hochland mit der dreifachen Wassermenge auf den „Weißen Nil“, der im Innersten des afrikanischen Kontinents entspringt. Hier vereinen sich die beiden Arme und fließen als ein einziger gewaltiger Strom gegen Ägypten.
Dieser Strom ist Ägypten, oder um mit Herodot zu sprechen: Ägypten ist ein Geschenk des Nil.4 Der Nil erreicht nach seiner Vereinigung die Landschaft Nubien, das altägyptische Kusch. Seine Wasser graben ein tiefes Bett in den nubischen Sandstein, doch wo sie auf Granit treffen, können sie sich nicht in den Fels einschneiden, so dass sie in Stromschnellen darüber hinwegfließen müssen. Sechs solcher Katarakte erschweren den Lauf. Man zählt sie – der Erschließung des Niltales durch den Menschen folgend – von Assuan an stromaufwärts. Zwischen dem fünften und sechsten Katarakt, 300 Kilometer nördlich von Khartoum, liegt die Mündung des Atbara. Von hier ab, auf einer Strecke von 2.700 Kilometern, gibt es bis zum Mittelmeer keine Zuflüsse – und so gut wie keinen Regen, kein „Wasser des Himmels“ – mehr.
Hat der Nil dann die Sahara, den größten Wüstengürtel der Erde, in ihrem Ostflügel durchquert, mehren sich an den Ufern die Zeugnisse ehemaliger ägyptischer Herrschaft. Unterhalb des vierten Katarakts, an strategisch wichtiger Stelle, lag Napata (Karte S. 10). Reste alter Tempel, einzelne Säulen mit ägyptischen Kapitellen, Statuen ägyptischer Götter und Könige sowie Hieroglyphen erinnern daran, dass der König Thutmosis III. um 1450 seine Herrschaft bis hierher ausdehnte (S. 22). Nubische Sklaven holten für die ägyptischen Könige – insbesondere des Neuen Reiches – Gold aus den Bergen, und lange Zeit beruhte die Macht der Pharaonen zu einem beträchtlichen Teil auf den Minen dieses Landes.
Schon seit jeher gilt der Besitz von Gold als gleichbedeutend mit Reichtum, und darin übertraf Ägypten alle seine Nachbarn bei weitem. Die östliche Wüste war an diesem kostbaren Material so reich, dass man es jahrhundertelang nicht nötig hatte, südlich von Koptos danach zu suchen. Erst als die dortigen Vorkommen allmählich erschöpft waren oder die Erzgewinnung zu schwierig wurde, legte man in Nubien neue Bergwerke an. Das unwegbare Land zwischen dem dritten und zweiten Katarakt ist unbesiedelt und ohne Verkehrswege. Allmählich nähert sich der Nil nun der heutigen ägyptischen Grenze. Auch im Altertum fand ungefähr hier die Herrschaft Ägyptens ihr Ende: Der Pharao Sesostris III. (1878–1841) legte in dieser Gegend Festungen an.
Bis zum Bau des Assuan-Staudamms im Jahre 1971 wiederholte sich zur Zeit der Nilschwemme das immer gleiche Phänomen: Ewigblauer Himmel, kein Regentropfen fiel nieder, und dennoch stieg der Pegel mehr und mehr. Alljährlich warteten die Bewohner des 1.100 Kilometer langen schmalen Niltales voller Sehnsucht auf das Eintreffen der Fluten; denn sie bedeuteten Nahrung und Leben für Mensch, Tier und Pflanze – ohne sie wäre das Tal dem Tod geweiht gewesen. Die Verehrung für den Fluss steigerte sich bis zur religiösen Ekstase; er wurde zu einem heiligen, Segen spendenden höheren Wesen, das den Ägyptern die fruchtbare dunkle Erde brachte, nach der sie ihre Heimat benannten: Kemet, das schwarze Land. Hiervon unterscheiden sich sowohl die Wüstengebiete, deren goldgelbe Sanddünen teilweise bis dicht an das Nilufer heranreichen, als auch die ockerfarbenen und rötlichen Hügelketten auf beiden Seiten des Stromes: das rote Land. Noch heute heißt das Meer, das an das Rotland grenzt, Rotes Meer.
Das Kernland des alten Ägypten umfasste ungefähr dasselbe Gebiet wie das heutige: Auf einer Fläche von beinahe einer Million Quadratkilometern, von denen nur rund 3,5 % bewohnt und landwirtschaftlich nutzbar sind, erstreckt es sich über mehr als siebeneinhalb Breitengrade und ist von alters her in zwei Hälften aufgeteilt: Unterägypten (das 24.000 Quadratkilometer große fruchtbare Marschland des Nildeltas vom heutigen Kairo bis zur Meeresküste) und Oberägypten (das Niltal von Kairo bis Assuan). Im Norden stößt Ägypten ans Mittelmeer, im Osten an das Rote Meer, und im Süden liegt die Grenze auf der Höhe des ersten Katarakts. Im Westen dagegen gibt es – wegen der endlosen unbewohnbaren Wüstenregionen – keine natürlich vorgegebene Trennungslinie zum benachbarten Libyen. Auch hier prägte die Landschaft Grundvorstellungen des altägyptischen Denkens: Die Idee vom Totenreich im Westen hat ihren Ursprung nicht nur in der Analogie zum Untergangspunkt der Sonne, sondern sie findet ihre sinnfällige Bestätigung in der westlichen Wüste mit all ihren Schrecken, die den Ägyptern ein Bild des Unbekannten, Unbegrenzten, gleichsam Chaotischen darbot.
Die Chronologie
Die Chronologie ist nach einem Bonmot des Alttestamentlers Julius Wellhausen „die Grammatik der Geschichte“.5 Eine wichtige Quelle zur Bestimmung der Herrschaftszeiten der ägyptischen Könige stellt der sogenannte Turiner Königspapyrus dar, der aus Ramses’ Zeit stammt, denn mit diesem Herrscher endet die Liste. Es handelt sich dabei um das einzige überlieferte Exemplar einer offiziellen Herrscherliste; es befindet sich heute in Turin. Der Papyrus weist zwar große Lücken auf, aber es ist doch so viel erhalten, dass seine Gesamtanordnung klar ist. Der Verfasser hat die ägyptischen Könige von dem mythischen Herrscher Menes bis auf Ramses zusammengestellt, mit der Angabe der Summe von Jahren, ja sogar von Monaten und Tagen, die jeder Einzelne regiert hat. Darüber hinaus sind die Herrscher zu Gruppen vereinigt, und auch die Gesamtregierungsdauer jeder Gruppe wird zusammengezählt. Diese Gruppen werden später noch von dem ägyptischen Geschichtsschreiber Manetho im 3. Jahrhundert6 in seiner Geschichte Ägyptens verwendet und entsprechen dem, was wir als Dynastien bezeichnen. Der Turiner Königspapyrus gliedert Geschichte also in einen Ablauf von Dynastien.
Nun gilt es, die Angaben dieser und anderer Listen an unsere heutige Chronologie anzuschließen. Was die Datierung der Regierungszeiten der ägyptischen Könige angeht, so ist man in der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum immer mehr bereit, sich dem Ansatz von Jürgen v. Beckerath anzuschließen. Ihm zufolge regierte Ramses von 1279 bis 1213. Wichtig für die Bestimmung von Ramses’ Regierungsantritt ist eine Notiz aus dem Tagebuch eines Nilschiffers, in dem der 27. Tag des 6. Monats des 52. Jahres des Pharaos als Neumond bezeichnet ist. Astronomisch kommen für ein solches Ereignis im 13. Jahrhundert nur drei Jahre in Frage, was den Regierungsantritt Ramses’ auf 1304, 1290 oder 1279 festlegt;7 aus anderen Angaben ergibt sich das Jahr 1279. Das Tagesdatum seiner Thronbesteigung ist bekannt, weil dieser Tag später immer wieder gefeiert wurde. Es war der 27. Tag des 11. Monats, was unserem 31. Mai 1279 entspricht.
Namen und Schreibweisen
Eine Bemerkung zum Gebrauch der Bezeichnung ‚Pharao‘: Seit der Zeit Thutmosis’ III. (1479–1425) übertrug man den Begriff für den Palast des Königs, per-aa, „Großes Haus“, auf den Herrscher selbst; so sprechen auch wir heute beispielsweise vom „Weißen Haus“ oder vom „Kreml“. Das ägyptische Wort ist über das Hebräische in die griechische Übersetzung des Alten Testaments gelangt: Pharao. Als Titel, der vor dem Namen des Königs steht, lässt sich „Pharao“ erst seit König Siamun (978–960), dem vorletzten Herrscher der 21. Dynastie, belegen; seine Übertragung auf einen früheren König wie Ramses ist daher zwar anachronistisch, hat sich aber eingebürgert und erlaubt eine größere sprachliche Vielfalt.
Eine zweite Vorbemerkung gilt der Schreibweise: Bereits in den 1920er Jahren hatte sich der englische Ägyptologe J. B. Hurry einmal die Mühe – oder besser gesagt: den Spaß – gemacht, alle voneinander abweichenden Wiedergaben des Namens Ij-m-htp, Imhoteps, des Baumeisters des Königs Djoser (2624–2605), zu zählen, die sich im modernen Schrifttum finden: Er kam auf 34 verschiedene Variationen.8 Und um die Verwirrung komplett zu machen: Einige Namen ägyptischer Könige sind von griechischen Schriftstellern in anderer Form überliefert. Amenhotep beispielsweise heißt dort Amenophis, und so schreibe ich es auch, darin dem „Lexikon der Ägyptologie“ folgend.9
In Abydos, im Heiligtum des Osiris, des Gottes des Todes, der Wiederauferstehung und der Fruchtbarkeit, ist ägyptische Geschichte in Stein gemeißelt: In den Tempeln, die Sethos I. (1293–1279) und sein Sohn Ramses dort errichteten, befinden sich königliche Ahnentafeln. Vollständig ist nur die Sethos’ I. erhalten, doch aus den Resten derjenigen des Ramses wird deutlich, dass sie identisch war mit der seines Vaters. In drei Reihen waren 76 Könige aufgeführt. Diese sind nicht als Personen dargestellt, sondern werden durch ihre Namen repräsentiert. Den Anfang macht Menes; es fehlen vor allem Herrscher, die später nicht mehr als rechtmäßig angesehen worden sind. Für Sethos I. und Ramses sollte die Liste Legitimität dokumentieren, beide stellten sich in eine Tradition, die bis zum „Anfang“ zurückreichte.1
Nicht ganz so weit zurück geht die Darstellung einer Prozession der Könige der Vergangenheit auf einem Pylon des Ramesseums, Ramses’ Totentempels. Die Könige sind in Form ihrer Statuen anwesend, die von Priestern in einem feierlichen Zug auf den Schultern getragen werden; jedem König ist sein Name beigeschrieben. Die Prozession findet sich in der Darstellung eines Festes, das zu Ehren des Erntegottes Min gefeiert wurde und mit der Königskrönung in Zusammenhang steht; an ihm nehmen die Vorgänger des regierenden Pharaos als Repräsentanten der glorreichen Vergangenheit teil. Die Aufzählung erwähnt die Könige des Neuen Reiches von Ramses zurück bis zu Ahmose (1551/1540–1515), der den Späteren wegen der Vertreibung der Hyksos (S. 18) als Begründer einer neuen Epoche galt. Es handelt sich um insgesamt zwölf Könige; Hatschepsut (1479– 1457) ist ebenso ausgelassen, wie es die Herrscher der Amarna-Zeit (1353– 1322) sind.
Den Anfang macht Ramses selbst. Er steht hier als Kronprinz – mit dem für Jungen typischen Knabenzopf – und rezitiert Hymnen aus einem Papyrus, den er vor sich hält. Ihm folgt sein Vater und Vorgänger Sethos I. (1293–1279), dann erscheinen Ramses I. (1295–1293) und so fort bis Ahmose. Dieser ist herausgehoben aus der Reihe der Übrigen, allerdings nicht als Einziger, denn er ist nicht der Letzte des Zuges. Mit ihm dargestellt sind die Statuen zweier weiterer Herrscher, die innerhalb der ägyptischen Geschichte eine besondere Rolle spielen: Montuhotep (2061–2010) und der mythische König Menes.
Menes, Montuhotep und Ahmose galten zur Zeit der 19. Dynastie jeweils als Gründer einer Epoche der ägyptischen Geschichte: Wir nennen sie „Altes“, „Mittleres“ und „Neues Reich“. Ramses’ Zeit kannte also ein Geschichtsbild, das die Entwicklung Ägyptens in große Abschnitte unterteilte, die wir heute „Reiche“ nennen. Das Konzept der Reiche ist ägyptisch, der Begriff selbst stammt aus dem 19. nachchristlichen Jahrhundert und ist in Anlehnung an das preußische Reich gebildet worden;2 die Ägypter kannten einen entsprechenden Namen nicht.
Wir wollen die Liste aus dem Heiligtum in Abydos in umgekehrter Abfolge betrachten und beginnen die kurze Vorstellung der königlichen Vorgänger Ramses’ daher mit Ahmose, dem Gründer des Neuen Reiches.
Ahmose (1551/1540–1515)
Im ersten nachchristlichen Jahrhundert überliefert der jüdische Autor Flavius Josephus einen Bericht Manethos, wonach unter der Regierung eines uns nicht bekannten Pharaos Timaios von Osten Eindringlinge unklarer Herkunft nach Ägypten gekommen seien: „Wir hatten einen König mit Namen Timaios; in dessen Regierung geschah es, ich weiß nicht warum, dass Gott mit uns unzufrieden war. Und es kamen unerwartet Leute von unedler Herkunft aus den östlichen Gegenden, die frech genug waren, einen Zug in unser Land zu unternehmen und es leicht mit Gewalt, ohne Schlacht, unterwarfen.“3 Es begann um 1650 die Herrschaft der Hyksos, ein Titel, mit dem die Ägypter des Mittleren Reiches seit langem die Kleinkönige Syrien-Palästinas bezeichneten.
Die Zeit der Hyksos war für Ägypten von größter Bedeutung. Sie brachte zwar wenige, dafür aber technisch und politisch zukunftsweisende Neuerungen mit sich, vor allem im militärischen Bereich: einen wirksameren, kürzeren Bogen und eine Reihe weiterer waffentechnischer Verbesserungen wie Schilde, Helme, Hiebwaffen – etwa das sogenannte Sichelschwert –, Pfeile mit Metallspitzen aus Bronze statt Stein oder Knochen. Neben Speer und Bogen führten die Truppen jetzt auch Kriegsbeile mit sich. Die Soldaten lernten das Schießen in Salven, und die später gefürchteten ägyptischen Bogenschützen gewannen allmählich ihren Ruf. Die wahrhaft revolutionäre Neuerung aber, die nicht nur das Heerwesen, sondern auch das wirtschaftliche und soziale Leben völlig veränderte, war die Einführung von Pferd und Wagen.
Diese Neuerungen hatten Bestand, als Ahmose in der Mitte des 16. Jahrhunderts die Herrschaft der Hyksos ablösen konnte. Dass ihm dies gelang, lag auch an der mittlerweile veränderten internationalen Situation. Die Hethiterkönige Hattusilis I. (1650–1620) und Mursilis I. (1620–1590) hatten ihre Macht so weit gefestigt, dass sie beginnen konnten, ihr kleinasiatisches Kerngebiet allmählich auszudehnen. Dadurch war der damals regierende Hyksos nicht mehr in der Lage, seine ganze Macht gegen die inneren Gegner in Ägypten einzusetzen, und unterlag Ahmose.
Amenophis I. (1515–1494)
Ahmose hatte nach der Beseitigung der Fremdherrschaft die politischen Rahmenbedingungen des Staates neu festgelegt, und während der Regierung seines Sohnes Amenophis I. wurde der Grundstein für eine neue kulturelle Blüte gelegt. Für kaum eine andere Zeit besitzen wir derart viele Informationen über einzelne Künstler, Gelehrte, Architekten und Wissenschaftler oder ihre entsprechenden Werke. Zu ihnen zählt der Astronom Amenemhet, der in seinem Grab stolz vom Bau einer Wasseruhr berichtet. Dieser neuen Elite gehört auch der Baumeister Ineni an, dem es zu verdanken ist, dass das berühmte ‚Tal der Könige‘ zur riesigen Begräbnisstätte ausgebaut werden sollte.
Für die Zukunft prägend wurde ferner die religiöse Literatur dieser Zeit, die, auf überlieferten Texten und Vorstellungen aufbauend, für eine Vielzahl von Ritualen die endgültige Form schuf. Einer dieser Texte diente den später so beliebten ‚Jenseitsführern‘, lehrhaften Büchern über das Totenreich, als Vorbild. Bereits diese frühe Fassung – sie trägt den Titel „Schrift des verborgenen Raumes“ und ist unter der späteren Abkürzung „Amduat“ bekannt geworden – weist eine Fülle ausdrucksstarker Bilder auf.4 Vielerorts hatten sich die Menschen Gedanken über das Jenseits gemacht und dabei an die unterschiedlichen lokalen Traditionen angeknüpft. Nun wurden solche Vorstellungen zu einem einheitlichen Konzept zusammengefügt. Die Rahmenhandlung des Amduat gab – wie bei allen solchen Erzählungen – die Fahrt des Sonnengottes während der zwölf Nachtstunden durch das Totenreich ab. Während dieser Reise durch die Welt der Verdammten wird detailverliebt ein breites Spektrum von Höllenstrafen geschildert; das Amduat ist damit – fast drei Jahrtausende vor Dante verfasst – die bislang älteste ‚Höllen‘-Schilderung.
Dem Althergebrachten entsprach es, dass Amenophis I. als Bauherr vor allem in Karnak hervortrat, wo sich die Könige des Neuen Reiches in der Ausgestaltung des größten aller Tempel für Amun gegenseitig zu übertreffen suchten. Heute wirkt die Anlage daher wie ein riesiges Labyrinth von Pylonen, Höfen, Sälen und Kammern. Eine ganz neue Tradition dagegen begründete der König mit der Konzeption seines Grabes: Er gab die Pyramidenform auf und entschloss sich, Ruhe- und Verehrungsstätte voneinander zu trennen. Daher baute er südlich der Grabanlagen seiner Vorfahren in Theben für sich und seine Gemahlin einen kleinen Totentempel und im Norden, unter einem Felsen verborgen, sein Grab.
Thutmosis I. (1494–1482)
Mit Thutmosis I. – „Thot ist geboren“ – begann außenpolitisch eine neue Epoche. Von nun an taucht in den Texten immer wieder das Verlangen auf, „die Grenzen auszudehnen“.5 Solche Vorstellungen zeugen von einer gewandelten geistigen Haltung, welche die bisherigen Leistungen zu übertreffen suchte und erstmals eine Art von Fortschrittsglauben entwickelte.
Von seiner unangefochtenen Position aus – die Dynastie herrschte mittlerweile fast ein halbes Jahrhundert – konnte Thutmosis die neuen militärischen Möglichkeiten ausnutzen und seine Feldzüge bis an den Euphrat ausdehnen. In dieser Zeit wurde Memphis eine wichtige Militärbasis und gleichsam zweite Residenz. Hier erhielten fortan die Kronprinzen ihre militärische Ausbildung. Das neue Machtzentrum in Mesopotamien, das Mitanni-Reich (Abb. 1), ermöglichte die militärischen Erfolge der Ägypter indirekt, weil es die bisherige Vorherrschaft der Hethiter in der Region schwächte. Dieses Mitanni-Reich sollte für ein Jahrhundert zum Hauptgegner der Ägypter werden. Thutmosis wurde zum Begründer des ägyptischen Imperiums, und seine Expansionspolitik gliederte dem Reich durch ausgreifende Eroberungskriege in Nord und Süd neue Provinzen an.
Ein Strom von Sklaven, Gold, Webstoffen, Edelhölzern und anderen Reichtümern ergoss sich ins Land. Was nicht als Beute oder Tribut kam, wurde auf dem Handelsweg aus dem Inneren Afrikas, aus Mesopotamien, Kleinasien, Kreta, Zypern und der ägäischen Inselwelt herbeigeschafft. Natürlich fanden mit diesen Gütern fremde Sitten, religiöse Kulte und geistige Anregungen Eingang, die das Bild des Landes nachhaltig veränderten.
Im zweiten Jahr seiner Regierung stieß Thutmosis I. zunächst über den stark gesicherten Festungsriegel südlich des zweiten Kataraktes weit nach Süden vor (Karte S. 10). Bei diesen Unternehmungen wurden die Schiffe über die zweite und dritte Stromschnelle geschleppt, und die Ebene von Kerma gelangte in ägyptischen Besitz. Für fast 800 Jahre blieb fortan der vierte Katarakt die Südgrenze des Reiches.
Thutmosis II. (1482–1479)
Da der zum Nachfolger bestimmte Kronprinz und „Kommandeur des Heeres“ Amenmesse vor seinem Vater gestorben war, folgte auf Thutmosis I. ein anderer seiner Söhne von einer Nebenfrau: Thutmosis II. Zu seiner Hauptgemahlin erhob der neue König seine Halbschwester Hatschepsut, die mütterlicherseits vom Begründer des Neuen Reiches, von Ahmose, abstammte. Hatschepsut war mit vollem Titel „Königstochter, Königsschwester, Gottesgemahlin und Große Königliche Gemahlin“. Durch die Heirat mit dieser Frau erhielt Thutmosis II. nach geltendem Verständnis seine Legitimation.
Abb. 1: Der Vordere Orient im 2. Jahrtausend
Seine kurze Regierungszeit wurde von mehreren – beinahe schon routinemäßigen – militärischen Unternehmungen in Nubien und Palästina ausgefüllt. Als er im Frühjahr 1479 starb, hinterließ er aus der Ehe mit Hatschepsut eine Tochter, Neferure. So fiel der Thron an den noch unmündigen Sohn einer Nebengemahlin, der wie seine beiden Vorgänger den Geburtsnamen Thutmosis trug. Es lag nahe, die beiden Kinder miteinander zu verheiraten, um auf diese Weise den Anspruch des Jungen sicherzustellen. Für den als Säugling zur Regierung Gekommenen führte seine Stiefmutter Hatschepsut die Geschäfte. Weibliche Regentschaften hatte es bereits früher gegeben, doch sollte sich bald zeigen, dass Hatschepsut nicht gewillt war, sich mit einer solchen Stellung zu begnügen. Bereits 1478, in ihrem zweiten Jahr als Regentin, ließ sie sich zum „König“ ausrufen und feierlich krönen. So etwas durfte es nicht geben, und so löschte Thutmosis III. später ihr Andenken radikal aus, und auf der Liste der königlichen Vorgänger Ramses’ fehlt sie.
Thutmosis III. (1479–1425)
Thutmosis III. sollte für seine Untertanen wie für die Nachbarvölker zum furchteinflößenden Symbol der Größe Ägyptens werden. Er trat seine Alleinregierung 1457 zu einem Zeitpunkt an, als Ägyptens immer latente Kontrolle des syrisch-palästinensischen Gebietes prekär wurde. In Syrien war ein Bündnis lokaler Stadtherren um das Zentrum Qadesch (Kadesch) entstanden, das sich der aufstrebenden Großmacht Mitanni angeschlossen hatte. Syrien und große Teile Palästinas waren für Ägypten bereits verloren, als Thutmosis mit seinen Truppen nach Palästina aufbrach und in der Küstenebene von Megiddo südlich von Tyros auf den Gegner traf. Es heißt, Thutmosis III. habe sich bei Megiddo „auf dem Streitwagen aus Gold, geschmückt mit seinen Kriegswaffen wie Horus, der Starkarmige, Herr des Opfers, wie der thebanische Month (ein alter Kriegsgott)“ ausgezeichnet.6
Seinen Feldzug hat der König in aller Ausführlichkeit an den Wänden des von ihm erbauten „Annalen-Saales“ in Karnak geschildert. Vieles bleibt dabei alten Schemata verhaftet, manches ist jedoch sehr individuell. Die Annalen interessieren sich nämlich über das rituell festgelegte Schema des Geschichtsablaufes hinaus auch für einmalige Ereignisse und sogar für Misserfolge7: „Hätte das Heer seiner Majestät nicht seinen Sinn darauf gerichtet, die Habe der Feinde zu plündern, so hätten sie Megiddo in diesem Augenblick eingenommen.“ Die endgültige Einnahme der Stadt gelang erst nach einer siebenmonatigen Belagerung.
Für seine Zeit und für die Nachwelt ist Thutmosis III. der große Eroberer gewesen, dessen Feldzüge in Abenteuergeschichten weiterlebten. Wichtiger war aber die Tatsache, dass er seinen Eroberungen durch eine Reihe von verwaltungstechnischen Regelungen Dauer verleihen konnte. Seine Handlungen vermitteln generell das Bild eines klug und weitsichtig agierenden Herrschers, und dazu passt auch die rechtzeitige Sicherung der Nachfolge: Sein Sohn Amenophis erhielt – insbesondere in militärischer Hinsicht – eine gründliche Ausbildung, namentlich im Armeehauptquartier in Memphis.
Amenophis II. (1427–1401)
Als der große Architekt des ägyptischen Imperiums 1425 starb, war sein Sohn Amenophis II. schon seit einiger Zeit Mitregent gewesen. Es gelang ihm ein Vierteljahrhundert lang, das von seinen Vorgängern aufgebaute Großreich zusammenzuhalten. Stärker noch als sein Vater fühlte sich der neue König als Krieger. Daher legte er besonderes Gewicht darauf, dass man seine persönlichen Großtaten auf diesem Gebiet gebührend herausstellte, und die Verfasser entsprechender Berichte sparten nicht an hochtrabenden Formulierungen. Amenophis II. wird außergewöhnlich athletisch dargestellt. Inschriften, die von überragenden Leistungen seiner Regierung künden, betonen stets seine ‚olympische‘ Begabung. Man wird einiges davon abstreichen müssen, da viele Pharaonen dieser Dynastie – jeder auf seine Weise – körperliche Eigenschaften oder Vorlieben und religiöse Vorstellungen ins Extrem steigerten. Den Höhepunkt solcher Panegyrik erreicht ein Text, der nahe bei dem großen Sphinx gefunden wurde und in dem es über Amenophis heißt: „Er war aber als König erschienen, als er ein ausgewachsener Jüngling war, der seinen Körper schon in der Gewalt hatte und der 18 Jahre auf seinen Schenkeln in Tapferkeit vollendet hatte, wobei er alle Tätigkeiten des (Kriegsgottes) Month kannte, ohne dass es seinesgleichen auf dem Schlachtfeld gab. Und er kannte die Pferde, ohne dass es seinesgleichen im ganzen riesigen Heer gab. Keiner von ihnen konnte seinen Bogen spannen, und man konnte ihn nicht im Wettlauf erreichen. Seine Arme waren stark, ohne dass er ermüdete, sobald er das Ruder ergriff.“8 Später beschreibt der Verfasser, wie der König eine kupferne Zielscheibe aufstellte und seine Pfeile mitten hindurchschoss.
Ein Unruheherd wurde erneut Syrien-Palästina, da dort das erstarkende Reich von Mitanni Aufstände gegen die Ägypter unterstützte. Gegen Ende des Regierungszeit Amenophis’ II. zeichnete sich eine erneute Verschiebung des Kräfteverhältnisses im Vorderen Orient ab: Die Hethiter dehnten ihre militärischen Aktionen wieder ins nördliche Syrien aus; als sie dadurch das Mitanni-Reich bedrohten, kam es zu einer Verständigung der bisherigen Kontrahenten. Friedensverhandlungen zwischen Ägypten und Mitanni wurden eingeleitet und unter Amenophis’ Nachfolger erfolgreich beendet.
Thutmosis IV. (1401–1391)
Von einer ganz besonderen Leistung Thutmosis’ IV. kündet ein Gedenkstein zwischen den Vorderpranken des großen Sphinx von Gisa. Der König schildert darauf, dass der Sonnengott Re ihm im Traum das Königtum verheißen habe, wenn er das gewaltige Löwenbild vom Treibsand befreie. Als erste größere Tat seiner Regierung hat Thutmosis IV. das dem Gott gegebene Gelübde eingelöst. Hervorzuheben ist an der Geschichte die Wunschübermittlung durch das Medium des Traumes, das im Verhältnis Gott – König in Ägypten hier zum ersten Mal begegnet und von da an immer häufiger Verwendung finden wird.
Dem Pharao ist es zu Beginn seiner Regierung gelungen, ein Abkommen mit dem Mitanni-Reich zu schließen, das ein weiteres Vordringen der Hethiter in Nordsyrien vorläufig noch verhindern konnte. Nach langen Verhandlungen besiegelte man den Vertrag durch eine dynastische Heirat: Eine Tochter des Mitanni-Königs Artatama (um 1400) wurde in Thutmosis’ Harim aufgenommen. Doch der Pharao konnte sich kaum noch aktive Militärpolitik in der Region leisten. Ägypten musste seine Grenze bis auf die Höhe von Qadesch zurückziehen, vermochte aber die syrischen Häfen dank der ägyptischen Seehoheit zu behaupten.
Amenophis III. (1391–1353)
Das erste Jahrzehnt Amenophis’ III. erinnert mit einem nubischen Feldzug und großen rituellen Jagden noch an seine Vorgänger. Fast gewinnt man den Eindruck, er habe damit einer eher lästigen Pflicht Genüge getan, denn in den folgenden drei Jahrzehnten scheint er sich ganz auf den Prunk seiner Hofhaltung konzentriert zu haben. Im Süden der thebanischen Weststadt ließ der Pharao eine Palastanlage mit einem 185 mal 35 Meter großen künstlichen See errichten, eine der wenigen königlichen Residenzen, von denen noch wesentliche Teile erhalten sind.
Anstelle von Kriegen betrieb Amenophis III. eine Politik dynastischer Heiratsverbindungen. Das Ausgreifen der Hethiter in den Westen beispielsweise machte ägyptische Gegenmaßnahmen erforderlich. Nach zähen Verhandlungen hatte der König 1382 eine Tochter des Mitanni-Königs geheiratet. Wie ein Gedenk-Skarabäus berichtet, begleiteten sie 317 Ehrendamen und eine Unmenge von Mitgiftgaben auf ihrem Weg in den Harim des Pharaos.
In diesen Jahren hatte Suppiluliuma I. (1370–1330) das Hethiterreich zu einer bis dahin nicht gekannten Großmachtstellung geführt. Innenpolitisch hatte er den Feudaladel entmachtet und eine effiziente Beamtenschaft ins Leben gerufen, ganz ähnlich wie die Pharaonen der zwölften Dynastie zu Beginn des 2. Jahrtausends. Im Jahre 1364 konnte Mitanni noch einmal einen Angriff Suppiluliumas abwehren. Ägypten war nicht mehr in der Lage, in das Kräfteverhältnis Nordsyriens einzugreifen. Als sich immer mehr Stadtstaaten den Hethitern anschlossen, gelang es diesen, das ohnehin schon geschwächte Mitannireich zu zerschlagen.
Keiner – einmal abgesehen von Ramses II. – baute in Ägypten so viel und derartig kolossal wie Amenophis. Eine Besonderheit ist zu seiner Zeit in den Heiligtümern Nubiens zu beobachten: In einigen Tempeln befanden sich neben Statuen des Gottes Amun auch solche des Königspaares. Gewiss, der Herrscher war zu Lebzeiten Gott, aber einen Tempelbau für „sein lebendes Bild auf Erden“ hat es erst jetzt gegeben. Unter Amenophis III. entstehen die ersten Zeugnisse für die persönliche Vergottung des lebenden Herrschers.
Haremheb (1322–1295)
In der Königsliste, der wir uns als Führer durch fast drei Jahrhunderte ägyptischer Geschichte anvertrauen, folgt auf Amenophis III. Haremheb (1322–1295) mit einer offiziell allerdings weitaus längeren Regierungszeit (1353–1295). Amenophis IV./Echnaton (1353–1336), Semenchkare (1336– 1334), Tutanchamun (1334–1327) sowie Eje (1326–1322) werden übergangen. Echnaton hatte seinen Gott Aton absolut gesetzt und unter anderem die Namen anderer Gottheiten aus den Texten der Tempel ausmeißeln lassen. Wie man im Nachhinein die Vergangenheit dieser Herrscher sah, erklärt ein Restaurationsedikt Tutanchamuns: „So machte das Land eine Krankheit durch, und die Götter vernachlässigten dieses Land. Wenn man Soldaten nach Syrien schickte, um die Grenzen Ägyptens zu erweitern, so geschah kein irgendwie gearteter Erfolg durch sie. Wenn man einen Gott anflehte, um sich von ihm etwas zu erbitten, kam er nicht her.“9
Als Tutanchamun 1327 starb, war mit ihm die Königsfamilie in männlicher Linie erloschen. Wie häufig in solchen Situationen ergriff eine Frau aus dem Herrscherhaus die Initiative, diesmal die verwitwete Königin Anchesenpaaton. Ihr Vorhaben war spektakulär wie kaum ein anderes: Sie bot dem Hethiterkönig Suppiluliuma an, einen seiner Söhne zu heiraten und damit zum Herrscher Ägyptens zu erheben. Verständlicherweise zog der Hethiter zunächst Erkundigungen ein, um mögliche Hintergedanken des bislang gefährlichsten Gegners auszuschließen. Es scheint, dass beide Seiten dann aber den Plan für realisierbar hielten; denn der hethitische Prinz Zananza war bereits auf dem Weg nach Ägypten, als er, vermutlich auf Anordnung Ejes, ermordet wurde. Was wäre geschehen, wenn es zu dieser Hochzeit gekommen wäre und ein Sohn die Herrschaft der beiden Großreiche angetreten hätte?
Als Haremheb den Thron bestieg, wiederholte sich, was wir bereits nach dem Tod der Hatschepsut beobachten konnten: Haremheb zählte seine Regierungszeit vom Tod Amenophis’ III. an. Damit war die heute nach der von Echnaton gegründeten Hauptstadt so genannte Amarna-Zeit ausgelöscht.
Ramses I. (1295–1293)
Der Großvater unseres Ramses war Paramessu, der Sohn eines Sethos, der aus dem östlichen Delta-Gebiet stammte, wo man schon lange den Gott Seth verehrte. Paramessus Statuen stellen ihn als königlichen Schreiber dar. Der halb-entrollte Papyrus auf seinen Knien zählt all die hohen Ämter auf, zu denen er befördert wurde: Außer dem Wesirat bekleidete er noch die Funktionen eines Oberaufsehers der Pferde, eines Festungskommandanten, eines Oberaufsehers der Flussmündungen, eines Befehlshabers des Heeres des Herren der Beiden Länder – von zahlreichen Priesterämtern ganz zu schweigen. Am bedeutsamsten ist jedoch, dass er von sich behauptet, „Stellvertreter des Königs in Ober- und Unterägypten“ gewesen zu sein; damals war das Wesirat nicht in Ober- und Unterägypten geteilt. Paramessu verband in seiner Person politische, wirtschaftliche und vor allem militärische Führungspositionen des Landes. Da Haremheb keinen regierungsfähigen Nachkommen besaß, wählte er diesen Paramessu zum Kronprinzen, der mit seinem erwachsenen Sohn Sethos auch die nächste Generation als Pharao sichern konnte.
Als dieser Paramessu die Königswürde errang, ließ er den bestimmten Artikel in seinem Namen – P(a) – fort und nannte sich Ramessu, „(der Sonnengott) Ra hat ihn geboren“, griechisch Ramesses, woraus im Deutschen Ramses wurde.10 Er wurde als Ramses I. der Begründer einer neuen, der 19. Dynastie. Ob seine Regierungszeit von 1295 bis 1293 auf ein hohes Alter zurückgeführt werden kann, wissen wir nicht; sie ist auf jeden Fall zu kurz gewesen, um wesentliche Spuren hinterlassen zu haben. Nach seinem Tod konnte die Krone zum erstenmal seit 60 Jahren wieder in direkter Erbfolge vom Vater auf den Sohn übergehen, so wie es die Tradition eigentlich verlangte. Mit diesem Sethos I., dem Vater unseres Ramses, werden wir uns im nächsten Kapitel beschäftigen.