Agentin Gottes
1515–1582
Eine Biographie
C.H.Beck
„Ich möchte unsere Seele als eine Burg betrachten, die aus einem einzigen Diamanten oder einem sehr klaren Kristall besteht und in der es viele Gemächer gibt“: Mit diesen Worten beginnt Teresa von Avila ihr berühmtes Buch über die „innere Burg“, die es auf dem Weg zu sich selbst und zu Gott zu erkunden gilt. Dass sie deshalb ein Leben in kontemplativer Zurückgezogenheit geführt hätte, wäre jedoch ein Trugschluss. Linda Maria Koldau beschreibt anschaulich, wie der Blick nach innen Teresa die Kraft gab, ganz neue Wege zu wagen: als eine Gelehrte und Schriftstellerin, die als erste Frau zur Kirchenlehrerin erhoben wurde, als eine Klostergründerin, die sich gegen mächtige Widersacher durchsetzte, und als eine Geschäftsfrau, die unzählige Klöster wirtschaftlich absicherte. Dies war auch ein Leidensweg, bis hin zu Depressionen und Nahtoderfahrungen, aber Teresa verstand es auf wunderbare Weise, immer wieder gestärkt aus existenziellen Krisen hervorzugehen.
Linda Maria Koldau, Professorin für Kulturgeschichte, gehört der Universität Utrecht an und arbeitet derzeit an der Universität Kiel. Neben der Musik und Frömmigkeitskultur in Spätmittelalter und Früher Neuzeit ist die maritime Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts ihr Forschungsschwerpunkt. Bei C.H.Beck erschien von ihr u.a. „Titanic. Das Schiff, der Untergang, die Legenden“ (2. Aufl. 2012).
Für Ulrich
Prolog: Die moderne Heilige
1. Kindheit im Schatten der Inquisition
Martyrium im Maurenland
Abstammung von den Conversos
«Reinheit des Blutes» und honra
Die Familie Sánchez de Cepeda y Ahumada
Die Stadt der Heiligen
Stadthaus und Landsitz
2. Der schwere Weg ins Kloster
Jugendsünden
Schülerin bei den Augustinerinnen
Eintritt ins Menschwerdungskloster
Die Spiritualität des Karmel
Schwere Krankheit und der Weg zum Gebet
Versuchung und Scheintod
Unter dem Schutz des heiligen Joseph
3. Jahre innerer Qual
Alltag im Menschwerdungskloster
Zerrissenheit und sequedad
Visionen und Sammlung im Gebet
Spirituelle Aufbrüche in Spanien
Der Tod des Vaters
4. Die Mystikerin
Wendepunkt im geistlichen Leben
Auf der Suche nach geistlichem Rat
Zwischen Gelehrten und Frommen
Das innere Gebet
Die Wohnungen der Inneren Burg
5. Ein Ort für das Leben nach der Regel
Höllenvision und Gründungsidee
Kampf um ein neues Kloster
Sturm gegen San José
Beharren auf der Armut
Diplomatisches Geschick
Das teresianische Ideal
6. Die ersten Gründungen
Universale Mission
Gründung über Nacht
Die Odyssee der Gründungen
Johannes vom Kreuz und das erste Männerkloster
7. Managerin und Seelsorgerin
Teresas Netzwerk
Unternehmerin und Managerin
Priorin im Menschwerdungskloster
Weg der Vollkommenheit
8. Der Kampf gegen die Unbeschuhten Karmeliten
Pater Jerónimo Gracián
Der Konflikt entzündet sich
Teresa im Kreuzfeuer
Unterdrückung der Unbeschuhten
Eine eigene Ordensprovinz
9. Teresa als Mitbegründerin der spanischen Literatur
Teresas Stil
Das Buch meines Lebens
Das Buch der Gründungen
Berichte, Gedanken und Gedichte
Briefe über Briefe
Frauen, Bildung und das Hohelied
10. Theologie der Liebe
Gottesliebe und Nächstenliebe
Teresas Liebe zu Jerónimo Gracián
Lehrmeisterin der Theologen
«Ich bin in jedem meiner Klöster gegenwärtig»
Epilog: Der Duft der Heiligen
Anhang
Zeittafel
Stammtafel
Anmerkungen
Bildnachweis
Literatur
Personenregister
Teresa von Avila, eine Nonne des 16. Jahrhunderts, zutiefst fromm, ganz der Lehre der katholischen Kirche unterworfen – eine Frau aus einer fernen Zeit, die mit unserer Welt wenig zu tun hat. Wer die Bilder dieser Heiligen sieht, etwa Berninis berühmte Ekstase der heiligen Teresa oder eines der Porträts, auf denen ein strenger Schleier das Gesicht der Ordensfrau rahmt, muss sich in der Tat fragen, was Teresa uns heute noch zu sagen hat.
Das Bild der Heiligen und ekstatischen Mystikerin ist jedoch nur die eine Seite dieser ungewöhnlichen Frau. Teresa war auch eine Unternehmerin und Managerin, die viele Tabus ihrer Zeit und der Kirche brach, die ihre Stimme erhob, wo Frauen zum Schweigen verdammt waren, die höchsten kirchlichen Würdenträgern trotzte und als brillante Diplomatin mit Stadträten, Bischöfen und Adeligen verhandelte. Während Ordensobere und päpstliche Repräsentanten dieses «widerspenstige Weib» verfluchten, wurde sie von den führenden Theologen ihrer Zeit anerkannt und verehrt. Der spanische König Philipp II. schätzte ihr fruchtbares Wirken für das religiöse Leben so sehr, dass er den von ihr gegründeten Ordenszweig gegen heftige Angriffe verteidigte und vor der Auslöschung bewahrte.
Teresa von Avila lebte in einer Welt, die uns fremd erscheint: Europa zerriss sich in Glaubenskriegen; Familien und ganze Länder spalteten sich in der Frage, ob Christus im Abendmahl unmittelbar gegenwärtig ist oder nicht. Städte verfielen religiöser Hysterie, während die Inquisition Menschen verfolgte, die die falschen Bücher lasen. Frauen lebten als Gefangene – entweder ihrer Väter, Brüder und Ehemänner oder in Klöstern, hinter den Gittern der Klausur. Soziale Herkunft und das spanische Ehrgefühl bedeuteten alles: Ein einziger Vorfahre jüdischer Abstammung konnte alle Karrierechancen zerstören, eine einzige kleine Albernheit in der Jugend lebenslange Schande bedeuten. Und immer drohte die Angst vor ewiger Verdammung, die man durch Gebete, Buße und fromme Werke zu bannen suchte. Umgekehrt aber war Gott eine ständige, selbstverständliche Realität im Leben der Menschen: Was auch immer im Alltag geschah, wurde als Wirken Gottes – oder aber des Teufels – verstanden. Gebet, Kirchenbesuch und regelmäßige Beichte waren Teil einer selbstverständlichen Beziehung zwischen Gott und Mensch. Teresa gehörte dieser Welt voll und ganz an: Von klein auf hatte sie Angst vor der Hölle, betete brav ihre Vaterunser und Avemaria, versuchte sogar, als kleine Märtyrerin den direkten Weg in den Himmel zu erhandeln. Später achtete sie peinlich genau auf ihre Ehre und sonnte sich in den Privilegien, die ihr als junger Adeligen zustanden. Im Kloster fand sie allmählich zu Gott und unterwarf sich der strengen Regel ihres Ordens; ihr Leben widmete sie der immer innigeren Beziehung zu Gott und Christus, die für sie geliebte Freunde, ständige Ansprechpartner und konkrete Ratgeber waren.
Teresa von Avila: eine Frau, wie sie heute kaum fremder erscheinen könnte. Doch der Eindruck täuscht. In ihrer Persönlichkeit, ihrem Lebensweg, ihrem Wirken innerhalb ihrer Gesellschaft und Zeit wirkt sie tatsächlich hochmodern. Als Individualistin in einer Gesellschaft, die Anpassung und Unterordnung verlangte, folgte Theresa in ihrem Lebensweg ihrer ganz besonderen Berufung, über alle Hindernisse hinweg: Sie verwarf die weltliche Alternative zum Klosterleben, fügte sich in die unbequeme Existenz als Nonne, überstand unzählige Krankheiten und widersetzte sich allen Versuchen geistlicher und weltlicher Autoritäten, sie in ihre Schranken zu weisen. Obwohl stets ängstlich darauf bedacht, die Gottgegebenheit ihrer geistlichen Erfahrungen zu prüfen, ließ sie sich, sobald sie einmal von dieser Gottgegebenheit überzeugt war, weder durch Verleumdung noch durch Anfeindungen oder sogar Anzeigen bei der Inquisition einschüchtern. Nachdem Teresa nach Jahren inneren Ringens für sich den richtigen Weg erkannt hatte – ein kontemplatives Leben in tiefer Verbundenheit mit Gott –, war sie gezwungen, in einer klösterlichen Umgebung, die sich weit von diesem Ziel entfernt hatte, die Voraussetzungen für eine Lebensführung nach den Idealen ihres Ordens neu zu schaffen. Sie stellte sich damit gegen ein eingefahrenes, bequemes System und traf dementsprechend auf die erbitterten Widerstände, die sich jedem idealistischen Systemkritiker und Reformer entgegenstellen.
Auch die Gesellschaft des 16. Jahrhunderts, die in Teresas Schriften so lebendig wird, wirkt durchaus vertraut. In ihrer Autobiographie beschreibt Teresa die Intrigen, Eifersüchteleien und Konkurrenz innerhalb geschlossener Institutionen, ein Netzwerk politischer Machtspiele und Schachzüge, in dem freies, unabhängiges Denken und Handeln eingeschränkt ist. Es «menschelt» allenthalben, und auch Teresa beteiligte sich lange Zeit an dem vom Prestigedenken geprägten Cliquenwesen ihres Riesenklosters. Das Menschwerdungskloster zu Avila erscheint als Sinnbild für die Problematik einer jeden Institution, sei es im 16. oder im 21. Jahrhundert: Durch maßlose Erweiterung, Missachtung von Qualitätskriterien, schlechtes Management und verantwortungslose Leitung wird sie in ihrem Kern zersetzt. Die Trägheit der Institution macht jedoch die dringend nötige Reform und Rückkehr zu den eigentlichen Zielen nahezu unmöglich. Eben deshalb wollte Teresa, wie sie 1575 schrieb, lieber vier neue Klöster gründen, als die Ordensfrauen eines einzigen bereits bestehenden Klosters zur Lebensweise nach dem ursprünglichen Ordensideal bewegen zu müssen – die Aussage einer erfahrenen Unternehmensgründerin und Managerin.
Teresa von Avila: eine Frau aus einer anderen Zeit – und doch hochmodern in ihrem Denken und Handeln
Auch in ihrem Charakter erscheint Teresa keineswegs als fremder Mensch aus ferner Zeit. In ihren viele Tausend Seiten umfassenden Schriften wird die kommunikative, lebensfrohe, humorvolle und unverwüstliche Spanierin unmittelbar gegenwärtig. Sie ist emotional, erbarmungslos offen gegen sich selbst, sehnt sich nach menschlichem Kontakt, nimmt aber auch kein Blatt vor den Mund, wenn ihr etwas gegen den Strich geht. Teresa lässt ihre Leser auch an ihren Schwächen teilhaben: ihren Zweifeln, ihrem Scheitern an sich selbst, ihren temperamentvollen Ausbrüchen, ihren depressiven Anwandlungen. Anfangs eine Frau voll innerer Spannungen, gelangt sie auf ihrem Weg mit Gott zu einer solchen Stärke, dass sie zuletzt als weltgewandte Geschäftsfrau auftreten und wirken kann – eine Nonne, stets verschleiert, ihrer strengen Regel unterworfen, die im frauenfeindlichen Spanien des 16. Jahrhunderts siebzehn eigene Klöster gründet.
Auch in ihrer Bedeutung als Theologin und Mystikerin scheint Teresa von Avila unserer Zeit verbunden. In ihrem mystischen Hauptwerk, der Inneren Burg, weist sie den Weg zur inneren Sammlung und Selbstfindung, zur Versöhnung des Menschen mit sich selbst und Gott. Freilich darf dieser Weg nicht als moderne Selbstverwirklichung missverstanden werden: Teresa hat ihre Gebetslehre für Ordensfrauen des Karmelordens geschrieben, für Frauen, die ihr Leben ganz und gar Gott geweiht haben. Der Weg zum Inneren der Seele ist ein Weg in Gemeinschaft mit Gott. Sein Ziel ist die völlige Hingabe an Gottes Willen: Die Befreiung von den Fesseln des Egoismus, die Teresa lehrt, ist im christlichen Weltbild verwurzelt, in der Ich-Du-Beziehung zwischen Gott und dem einzelnen Menschen. Voraussetzung für diese befreiende Erfahrung sind Werte, die heute «veraltet» erscheinen mögen. So betont Teresa immer wieder, dass kein einziger Schritt auf dem Weg in die Innere Burg ohne Demut und Gehorsam möglich ist. Diese Begriffe lassen sich jedoch auch «moderner» fassen: Aufgrund ihrer reichen Erfahrung legt Teresa dar, dass der Weg der inneren Befreiung ohne eine realistische Selbsteinschätzung (Demut) und tiefes Gottvertrauen (Gehorsam) blockiert bleiben muss.
Aus dieser Erfahrung heraus wird Teresa zur Kirchenlehrerin: Es gelingt ihr, die Kluft zwischen Theorie und Praxis, zwischen Schultheologie und religiösem Leben, zu überwinden. Als Mystikerin sucht sie stets den Austausch mit Theologen; denn sie wünscht ein wissenschaftliches Fundament für ihren Weg mit Gott. Umgekehrt beginnen die Theologen ihrer Zeit, von dieser weisen Frau mit ihrer unerschöpflichen Lebens- und Gotteserfahrung zu lernen: Teresa zeigt, dass Theologie mit praktischer Glaubenserfahrung einhergehen kann und dass diese Theologie, dieses Leben mit und in Gott, gänzlich auf der Liebe gründen muss. Gottesliebe und Nächstenliebe sind für sie eine untrennbare Einheit. So bedeutet kontemplatives Leben für sie auch nicht einen Rückzug in die Mystik, fern von der Welt und den Menschen, sondern ein Hineinnehmen der Gotteserfahrung in den unmittelbaren Alltag. Verwurzelt in der Gottesliebe, gewinnt Teresa Kraft für eine Nächstenliebe, die in ihrem Ausmaß und ihrer Unermüdlichkeit schier unerschöpflich scheint. Das «Heilige» an Teresa ist die unbedingte Zuwendung, die sie ihren Mitmenschen zuteilwerden lässt. Sie ist eine Heilige, die in ihrem Leben und ihren Schriften lehrt, wie menschliche Beziehungen im Alltag «heil» gelebt werden können.
Das Leitmotiv in Leben und Persönlichkeit dieser Nonne sind die zwei scheinbar gegensätzlichen Seiten, die in Wirklichkeit untrennbar zusammengehören und sich gegenseitig befruchten. Dieses Mit- und Ineinander findet sich in allen Bereichen ihres Lebens und Wirkens: Einerseits weltzugewandt und kommunikativ, sucht sie andererseits dringend die Abgeschiedenheit und Einsamkeit der Klausur. Sie hat Freude am Sinnlichen – schönen Stoffen, Schmuck, blühenden Wiesen und sprudelnden Quellen –, lebt aber selbst in einer tiefen Bedürfnislosigkeit. Sie lebt ein kontemplatives und zugleich höchst aktives Leben, ist gleichzeitig Mystikerin und Unternehmerin. Diese Gegensätze bedeuten für Teresa keinen Konflikt, sie sind unverzichtbare, komplementäre Teile einer harmonischen Einheit, einer Persönlichkeit, die in Gott und damit in ihrem wahren Selbst ruht. Jahrzehnte bitteren Kampfes benötigte sie, um diese innere Balance zu finden; physisch und psychosomatisch bedingte Erkrankungen brachten sie dabei an den Rand des Todes. Erst als reifer Frau von vierzig Jahren gelang ihr der Durchbruch, die Aufgabe ihrer eigenen Prioritäten und die wahre Hingabe an Gott. Dieser Durchbruch führte sie, die so sehr in Freundschaften und Kommunikation aufging, auf neue, befreiende Weise zu den Menschen, in Beziehungen des gegenseitigen Gebens und Nehmens. Ihre innere Befreiung erst gab ihr die Kraft und das Durchhaltevermögen für ihr großes Gründungswerk. Wie Teresas Persönlichkeit hatte auch dieses Werk charismatische Anziehungskraft: In ganz Spanien kamen Frauen und Männer in ihre Klöster, die ein Leben in diesem neuen, befreienden Verhältnis zu Gott führen wollten.
Teresa erhob nie den Anspruch, einen «neuen Orden» gründen zu wollen, ganz im Gegenteil: Ihr ging es stets darum, dass in ihren Klöstern die «ursprüngliche Regel» des Karmeliterordens beobachtet wurde. Durch die Umstände ihrer Zeit, vor allem aber durch ihren Charakter und ihre große Weisheit, die sie in jahrzehntelanger Erfahrung mit den Bedingungen eines eremitisch-kontemplativen Lebens gesammelt hatte, gab sie jedoch dieser ursprünglichen Spiritualität eine neue Wendung, indem sie Rücksicht auf die Nöte und Bedürfnisse der Schwestern und Brüder im damaligen Spanien nahm.
Teresa starb in der liebevollen Sorge für ihre Klöster. Ihre letzten Tage waren von Konflikten und Enttäuschungen geprägt, die jedoch nicht ihre Liebe überschatten konnten. In ihrer durchweg positiven Sicht auf ihre Mitmenschen, ihrem Prinzip einer liebevollen Sanftheit folgend, lehrte sie Zeitgenossen und Nachkommen, wie die Mystik die Theologie und den Alltag ganz und gar durchdringen und so eine neue Beziehung zwischen Gott, Mensch und Nächstem schaffen kann.
Am Mittwoch, dem achtundzwanzigsten März des Jahres 1515, wurde Teresa geboren, meine Tochter, um fünf Uhr früh oder eine halbe Stunde mehr oder weniger, denn jener Mittwoch war schon fast angebrochen. Ihr Pate war Vela Nuñez und ihre Patin Doña María del Águila, die Tochter von Francisco Pajares.[1]
Teresa, mi fija – Teresa, meine Tochter: Eigentlich ist es ein nüchterner Eintrag in der Mappe, die Teresas Vater Don Alonso de Cepeda als Verzeichnis für die Geburten seiner zwölf Kinder angelegt hatte. Und doch wirkt dieser Eintrag auch ein wenig prophetisch: Teresa, mi fija – Don Alonso und seine Tochter Teresa waren einander mit einer Innigkeit verbunden, die in den Quellen zu Familienbeziehungen des 16. Jahrhunderts nur selten zu finden ist.
Teresa wuchs in einer großen Geschwisterschar auf, mit warmherzigen und zutiefst frommen Eltern. Sechs Jahre vor ihrer Geburt hatte ihr Vater seine erste Frau, Doña Catalina, verloren und war mit zwei kleinen Kindern zurückgeblieben. Unter den zehn Kindern von Don Alonsos zweiter Frau, Doña Beatriz, war Teresa lange Zeit das einzige Mädchen in einer quirligen Schar von Brüdern. Zusammen mit ihnen erhielt sie – im Spanien des 16. Jahrhunderts keine Selbstverständlichkeit für ein Mädchen – eine gute Ausbildung; ein unverzichtbarer Teil des täglichen Lebens waren zugleich Gebet, Kirchgang und Beichte.
Das hellwache, neugierige und kontaktfreudige Mädchen war eine unersättliche Leseratte. «Ich meinte, nicht glücklich zu sein, wenn ich kein neues Buch hatte», schrieb die Nonne im Rückblick auf ihre Kindheit – allerdings meinte sie damit vor allem Ritterromane, eine heimliche Leidenschaft, die ihre Mutter Beatriz zum Missfallen des Vaters mit ihr und anderen Geschwistern teilte. Don Alonso wünschte nämlich, dass seine Kinder «gute Literatur» zu lesen bekamen: Als solche galten damals geistliche Werke, teils religiöse Standardliteratur wie die Schriften der Kirchenväter, teils die aktuelle Frömmigkeitsliteratur. Neben diesen Texten fanden sich in der Bibliothek des Vaters auch Hauptwerke der humanistischen Literatur in spanischer Übersetzung. Und, ein Muss in jedem christlichen spanischen Haushalt, die Breve e muy provechosa doctrina de lo que deve saber todo cristiano («Kurze und sehr nützliche Unterweisung dessen, was jeder Christ wissen muss», erste Ausgabe ca. 1496) des spanischen Mönchs und Bischofs Hernando de Talavera, eine christliche Lehre für den Alltagsgebrauch mit genauen Anweisungen für das rechte christliche Leben zu jeder Jahres- und Tageszeit. Aus ihr lässt sich annähernd rekonstruieren, wie der Alltag in Teresas Elternhaus ausgesehen haben muss.
Teresa aber las am liebsten spannende Geschichten. In ihrer Autobiographie (Vida) erwähnt sie besonders die Heiligenlegenden, die sie und ihr Lieblingsbruder Rodrigo in der spanischen Ausgabe der berühmten Legenda aurea verschlangen. Dieses «religiöse Volksbuch des Mittelalters», das der Dominikaner Jacobus de Voragine im 13. Jahrhundert verfasst hat, gehörte im Mittelalter zu den populärsten Büchern in ganz Europa und faszinierte auch im 16. Jahrhundert die Kinder der Familie Cepeda. Teresa versenkte sich in die Geschichten aus dem Vorderen Orient und dem spätantiken Europa, die trotz diverser Leidensepisoden immer gut ausgingen, weil die Märtyrer ja ewiges Seelenheil erhielten und zudem von den Gläubigen verehrt wurden. Gleichzeitig nahm sich die kleine Leserin das Anliegen des Genres zu Herzen. Die Heiligenviten erschienen Teresa als Vorbild, das den schnellsten Weg zum Himmel wies: «Als ich die Marter sah, welche die heiligen Frauen für Gott durchmachten, schien es mir, dass sie sich das Eingehen in den Genuss Gottes sehr billig erkauften, und so sehnte ich mich danach, so zu sterben, doch nicht aus Liebe, die ich zu ihm zu haben glaubte, sondern um in so kurzer Zeit von den großen Gütern zu genießen, die es im Himmel gab, wie ich las.»[2]
Tatsächlich wurde Teresas Kinderglaube von der Angst vor ewiger Verdammnis überschattet: In der Kirche hörte sie, wie Prediger phantastische Höllenstrafen ausmalten, im Beichtstuhl lernte sie, dass jedes kleine Vergehen sie ewigen Höllenqualen preisgeben könnte. Die kleine Christin dachte pragmatisch: den richtigen Weg ins Paradies finden, und zwar so schnell wie möglich. Da die Märtyrerinnen, von denen sie in der Legenda aurea las, sich einfach nur den Kopf hatten abschlagen oder auch von Löwen auffressen lassen, um a) sofort ins Paradies zu kommen und b) sogar noch als Heilige verehrt zu werden, erschien Teresa diese Methode als ein «billiger» Handel. Ihre Kinderlogik führte zum zwingenden Fazit: «So tat ich mich mit diesem Bruder [Rodrigo] zusammen, um zu beraten, welches Mittel es dazu gab [d.h. zu einem raschen Martyrium mit ewiger Seligkeit als Belohnung]. Wir kamen überein, uns ins Land der Mauren aufzumachen und aus Liebe zu Gott darum zu bitten, uns dort zu köpfen.»[3]
Mit dieser Episode schuf Teresa eine kleine Heiligenlegende, lange bevor sie zur Heiligen kanonisiert wurde. Besonders interessant erscheint freilich ihr Sinn für Realismus und sorgfältige Planung, der sich in dieser Episode offenbart. Die Kinder verließen das Elternhaus nämlich keineswegs spontan, sondern Teresa sorgte für Proviant und wartete einen günstigen Augenblick ab, um mit ihrem Bruder unbemerkt aus dem Haus zu schlüpfen. Der Siebenjährigen war durchaus klar, dass ihre Eltern mit den Märtyrerplänen nicht unbedingt einverstanden sein würden: «Und mir scheint, dass uns der Herr in so zartem Alter durchaus den Mut dazu [zum Märtyrertod] eingab, wenn wir nur ein Mittel gesehen hätten; doch Eltern zu haben schien uns dabei das größte Hindernis zu sein.»[4] Immerhin gelang es den Kindern, bis an die Brücke am Adaja-Fluss zu kommen – vom Hause der Familie Cepeda rund einen Kilometer entfernt. Dort wurden sie von ihrem Onkel Francisco eingeholt, der mittlerweile von der Mutter alarmiert worden war und sich zu Pferd auf die Suche nach den Ausreißern gemacht hatte. Damit fand die Reise der kleinen Martyriumsanwärter ihr jähes Ende, und zu Hause wartete eine mit Recht erzürnte Mutter. Erneut erscheint das Verhalten von Teresa wegweisend für ihre spätere «Karriere» als geradlinige Heilige: Während der ältere Bruder Rodrigo – recht unritterlich – alle Schuld auf seine kleine Schwester schob, hatte Teresa kein Problem damit, für ihr Handeln einzustehen. Immerhin war sie ja nur dem Vorbild der Heiligen gefolgt und damit den Büchern, die die Eltern ihr zu lesen gaben!
Auf der Suche nach dem Land der Mauren hatten die Kinder den einzigen Weg aus der Stadt eingeschlagen, den sie kannten: Richtung Gotarrendura, zum Landgut ihrer Eltern, in dem die Familie die Wintermonate verbrachte und alle wichtigen Familienfeste beging. Teresa liebte dieses Landgut, das ihr und ihren Brüdern so viel mehr Platz zum Spielen bot als das düstere Haus in den engen Gassen von Avila. Im Garten von Gotarrendura suchte Teresa dann auch, nachdem ihre Expedition ins Land der Mauren gescheitert war, nach einer Alternative, um ein gottgefälliges Leben zu führen: «Als ich sah, dass es unmöglich war, dorthin zu gehen, wo sie mich für Gott umgebracht hätten, beschlossen wir, Einsiedler zu werden. In einem Garten, den es zu Hause gab, versuchten wir, so gut es ging, Einsiedeleien zu bauen, indem wir kleine Steine aufschichteten, die aber bald wieder einfielen; so fanden wir keine Abhilfe für unseren Wunsch.»[5] Immerhin scheint der entmutigende Einsturz der Einsiedeleien Teresa nicht von ihrem hartnäckigen Wunsch abgebracht zu haben, ihr Leben Gott zu widmen. In ihrem kindlichen Glauben, geprägt von der zeittypischen Angst vor ewiger Verdammnis, suchte sie nach immer neuen Wegen, um sich die himmlische Seligkeit zu verdienen:
Flucht ins Land der Mauren: Mit sieben Jahren schlich sich Teresa mit ihrem Bruder aus dem Haus, um Märtyrerin zu werden.
Die Flucht ins Maurenland endete an der Brücke über den Adaja-Fluss vor der Stadtmauer von Avila.
Ich gab Almosen, wie ich konnte, doch vermochte ich nicht viel. Ich bemühte mich, allein zu sein, um meine Andachten zu verrichten, die zahlreich waren, vor allem den Rosenkranz, dem meine Mutter sehr zugetan war; und so brachte sie auch uns dazu. Es gefiel mir sehr, wenn ich mit anderen Mädchen spielte, Klöster zu bauen, wie wenn wir Klosterschwestern wären. Und ich glaube, dass ich das auch werden wollte, freilich nicht so gern wie die anderen Dinge, die ich gesagt habe.[6]
Nach heutigen Maßstäben erscheinen diese Episoden als vielsagendes Zeichen einer Berufung zur Ordensfrau und Heiligen. Tatsächlich aber waren Teresas Neigungen für ihre Zeit gar nicht so ungewöhnlich. Für Frauen der gehobenen Schicht gab es zwei Alternativen: Ehe oder Kloster. Wenn ein kleines Mädchen nicht «Vater, Mutter, Kind» spielte, so blieb in der damaligen Vorstellungswelt nur eine Alternative: Nonne spielen – was in einer Gruppe von mehreren Spielgefährtinnen ohnehin auf der Hand lag.
Freilich war Teresa nicht die «geborene Heilige», sondern musste viele Jahre ringen, bis sie endlich Frieden in ihrem Stand als Ordensfrau fand. Die Neigung aber, die Sehnsucht nach Gott und ewiger Seligkeit, war von Anfang an da. Teresa ließ sich von den Heiligenviten fesseln, von der Vorstellung, dass es da etwas Großes, Unendliches gab – im Gegensatz zu den klaren Grenzen, die sie als Kind und später als Frau erlebte. Immer wieder sprach sie mit ihrem Bruder Rodrigo darüber und vertiefte im Gespräch ihre Sehnsucht nach dem Unbekannten, der unvorstellbaren Größe und unendlichen Dauer von Gottes wahrer Welt:
Es beeindruckte uns sehr, wenn es in dem, was wir lasen, hieß, dass Pein und Herrlichkeit auf ewig andauern sollten. Es geschah immer wieder, dass wir viel Zeit mit Gesprächen darüber zubrachten, und es gefiel uns, oftmals zu sagen: auf ewig, auf ewig! Indem wir uns das lange Zeit hindurch vorsagten, gefiel es dem Herrn, dass sich mir schon in meiner Kindheit der Weg der Wahrheit tief einprägte.[7]
Ein kleines Mädchen, fasziniert von Heiligenlegenden und dem Paradies, das in kindlicher Hingabe Morgen- und Abendgebet verrichtet und regelmäßig an der Hand der älteren Schwester in die Kirche geht: der perfekte Ausgangspunkt für die Biographie einer Heiligen. Doch die Idylle trügt. Teresa und ihre Geschwister wuchsen zwar behütet auf – ihre Familie aber befand sich in ständiger Gefahr.
Teresas Vater Don Alonso entstammte einer angesehenen reichen Familie aus Toledo. Er hatte jedoch einen Makel: Sein Nachname lautete Sánchez. Und damit war deutlich, dass er von Juden abstammte. Deshalb war Teresas gesamte Familie, ungeachtet ihres Reichtums und gesellschaftlichen Ansehens, grundsätzlich gefährdet. Bis in die vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts fand sich in den zahllosen Büchern und Artikeln über Teresa von Avila kein Hinweis – teils wurde es auch bewusst verschwiegen –, dass Teresa väterlicherseits von den Conversos abstammte, von konvertierten Juden, die im Spanien des 16. Jahrhunderts systematisch unterdrückt wurden und unter ständiger Beobachtung der Inquisition standen. Tatsächlich sind Teresas Leben und Werk, ihre Schriften und vor allem ihre gezielte Öffnung für Menschen aus diskriminierten Gruppen ohne eine Kenntnis dieser gesellschaftlichen Problematik nicht zu verstehen.
Die Katholischen Könige: Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón
Nachdem muslimische Heere die Iberische Halbinsel im 8. Jahrhundert erobert hatten, waren die folgenden Jahrhunderte von der Reconquista geprägt, der Wiedereroberung durch die Christen. 1492 beendeten Ferdinand II. von Aragón und Isabella I. von Kastilien – «die Katholischen Könige» (los Reyes Católicos) – mit ihrem Sieg über das Emirat von Granada die muslimische Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel. Gleichzeitig begann mit der Entdeckung Amerikas durch den von Spanien gesandten Christoph Columbus die Conquista, die brutale Eroberung und Ausbeutung Mittel- und Südamerikas. In Spanien selbst richtete sich nun das Augenmerk auf die ethnische und religiöse Vereinheitlichung, die zunächst gegen die spanischen Juden gerichtet war. Bereits im frühen 15. Jahrhundert wurden erste diskriminierende Gesetze gegen jüdische Mitbürger erlassen. Hatten die Juden bis ins späte 14. Jahrhundert als gut integrierte Bevölkerungsgruppe in Spanien gelebt, so waren ihnen nun viele Berufe und öffentliche Ämter verboten. In den erlaubten Bereichen – Handel, Finanz- und Steuerwesen, Medizin – konzentrierten sich zunehmend hochausgebildete und erfolgreiche Juden, die wiederum den Neid der Bevölkerung weckten. Die einzige Möglichkeit, in den Besitz aller Bürgerrechte zu gelangen, war der Übertritt zum Christentum. Zumindest in den ersten Jahren der Judenunterdrückung öffnete die Taufe erneut den Weg in alle Berufe, auch in kirchliche Ämter. Daher hatten viele kirchliche Würdenträger und Ordensleute jüdische Vorfahren, ironischerweise sogar der erste Großinquisitor Tomás de Torquemada, also der Leiter einer Institution, die in Spanien gezielt zur Unterdrückung des jüdischen Glaubens und jüdischer Riten geschaffen wurde.
Mit der Konversion folgten jedoch auch neue Anfeindungen. Der Vorwurf, die Conversos seien nur um der sozialen Vorteile willen zum christlichen Glauben übergetreten, lag für viele Altchristen – so ungerecht er meist war – auf der Hand. Hinzu kam Missgunst, wenn Conversos Erfolg im Beruf hatten oder gesellschaftlich angesehene Positionen erlangten. Als Isabella und ihr Mann Ferdinand 1474 die Regierung übernahmen, herrschten in den Städten fast bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen den verschiedenen christlichen und jüdischen Gruppen: Altchristen warfen den konvertierten Juden Heuchelei vor, und in den jüdischen Vierteln kam es zu Hass und Spaltung zwischen den glaubenstreuen Juden und den Conversos, die trotz des Übertritts zum Christentum ihren Wohnvierteln und ihrem sozialen Umfeld treu blieben. Die Katholischen Könige versuchten, den Konflikten mit strenger Kontrolle zu begegnen: 1478 wurden sie durch Papst Sixtus IV. ermächtigt, Inquisitoren in Spanien einzusetzen. Grundsätzlich ging es Rom mit der Einrichtung der Inquisition um die Bekämpfung von Häresie aller Art; den spanischen Herrschern aber lag vor allem daran, das Problem mit den Conversos (und, in geringerem Maße, mit konvertierten Mauren) in den Griff zu bekommen. Tatsächlich wandte sich in den ersten fünfzig Jahren die überwältigende Mehrzahl der Inquisitionsprozesse gegen Conversos, die der heimlichen Ausübung ihres ursprünglichen Glaubens angeklagt wurden.
1492, wenige Jahre nachdem die spanische Inquisition ihre Arbeit ernsthaft aufgenommen hatte, erließen Ferdinand und Isabella das sogenannte «Alhambra-Edikt», mit dem die Vertreibung der verbleibenden Juden aus allen Territorien der spanischen Krone angeordnet wurde; bei einer Rückkehr drohte die Todesstrafe. Nur wer bereits konvertiert war oder bis zum 31. Juli 1492 konvertierte, durfte bleiben. 1501 folgte ein entsprechendes Ausweisungsedikt gegen die Mauren. Auf dem Papier war Spanien nun rein christlich. In Wirklichkeit aber war das Land mehr denn je von religiösen Spannungen und der Unterdrückung einzelner Bevölkerungsgruppen gekennzeichnet.
Teresa entstammte väterlicherseits einer Converso-Familie. Damit lebten sie und ihre Geschwister in ständiger Gefahr. Zwar gab es für die Nachfahren konvertierter Juden eine Reihe von Möglichkeiten, diese Abstammung zu vertuschen und bis zu einem gewissen Grad in der Gesellschaft aufzusteigen. Eine anonyme Anzeige, ein Gerücht, eine gehässige Bemerkung konnten jedoch jederzeit die Existenz vernichten – nicht nur einer einzelnen Person, sondern der ganzen Familie. Teresas Vater Don Alonso Sánchez hatte dies auf demütigende Weise erlebt. Sein Vater Don Juan Sánchez de Toledo, der selbst bereits als Converso im christlichen Glauben aufgewachsen war, gestand 1485 seinem Beichtvater, dass er «viele und schwere Verbrechen der Häresie und Abtrünnigkeit vom heiligen katholischen Glauben» begangen habe.[8] Worin genau diese «Verbrechen» bestanden, ist nicht bekannt. Juan Sánchez kam relativ glimpflich davon: Zusammen mit seinen jüngsten Söhnen, die ähnliche «Verbrechen» gebeichtet hatten, musste er in Toledo an mehreren Freitagen im Büßergewand in der öffentlichen Prozession der Sünder von Kirche zu Kirche ziehen, um seine Vergehen gegen den christlichen Glauben zu sühnen. Teresas Vater Alonso war damals fünf Jahre alt – ein kleiner Büßer, dem sich die öffentliche Demütigung tief ins Gedächtnis eingegraben haben muss.
Obwohl offiziell rehabilitiert, war die Schande nicht auszulöschen. 1490 verließ Juan Sánchez mit seiner Familie Toledo, um sich in Avila niederzulassen. Hier war von den Bußprozessionen in Toledo kaum etwas bekannt, und wenn, dann waren sie rasch vergessen – immerhin gehörte Don Juan dank seiner Geschäftstüchtigkeit bald zur Gruppe der reichen Händler und Kaufleute, die in Avila im (überwiegend jüdischen) Geschäftsviertel um den Mercado Chico lebten. Mit dem Handel von feinen Woll- und Seidentuchen erwirtschaftete Don Juan ein Vermögen, von dem seine Söhne und seine Tochter Elvira mit ihren kinderreichen Familien jahrzehntelang zehren konnten.
Dennoch lag der Schatten der Ächtung über den Mitgliedern der Familie Sánchez und ihren Nachkommen. Teresas Vater war sich der Gefährdung seiner Familie nur allzu bewusst, weshalb er die typischen Converso-Strategien anwandte, um sich und seine Angehörigen zu beschützen: ein zurückgezogenes Leben, Versenkung in Religion und Frömmigkeit – ein wichtiger Grund, warum Teresa einen so starken Kinderglauben entwickelte und am liebsten Märtyrerin geworden wäre.
Vor allem aber wurde Teresas Familie durch einen beliebten Schachzug nobilitiert: Ihr Großvater, der Converso Don Juan Sánchez de Toledo, hatte 1500 einen Adelsbrief für sich und seine Kinder erworben. Damit gehörte die Familie dem niederen Adel an und war vor den üblichen Repressionen geschützt; zudem musste sie – wie für Adelige üblich – keine Steuern zahlen. Der Adelsbrief war eine wichtige Lebensversicherung, denn die ethnische Ausgrenzung von Spaniern jüdischer Abstammung wurde von den sogenannten «Statuten über die Reinheit des Blutes» (estatutos de limpieza de sangre) verstärkt. Diese Statuten bilden zusammen mit der allgemeinen Converso-Problematik den wesentlichen gesellschaftlichen Hintergrund für Teresas sorgsam behütete Kindheit, später aber auch für ihre bewusste Praxis der Integration und Nächstenliebe.
«Reinheit des Blutes» steht für einen rassistisch motivierten Adelswahn, der auf der gezielten Unterdrückung ethnischer Gruppen im Spanien des 15. und 16. Jahrhunderts basierte: «In Spanien gibt es zwei Arten von Adel: ein höherer, das ist die Hidalguía, und ein niederer, das ist die Limpieza [rassische Reinheit], die wir Alt-Christen nennen. Und wenn es auch ein Zeichen von mehr Ehre ist, zum höheren Adel, der Hidalguía, zu gehören, so ist es doch viel schändlicher, die zweite Art von Adel nicht zu haben, denn in Spanien schätzen wir den gemeinen, aber [rassisch] reinen Mann viel mehr als einen Hidalgo, der nicht rein ist.»[9] So weit ein Bericht aus dem 17. Jahrhundert. Einerseits gab es also den üblichen, sozial bestimmten Adel, die hidalgos, die den alteingesessenen Adels- und Patrizierfamilien entstammten oder in jüngerer Zeit einen Adelsbrief erworben hatten. Andererseits aber durfte sich jeder Spanier «reinen Blutes» als Adeliger fühlen. Ein einziger Familienangehöriger mit jüdischen oder maurischen Wurzeln aber bedeutete eine Schande für die ganze Familie. Tatsächlich führte der Statuswahn dazu, dass gerade eine Abstammung von alteingesessenen spanischen Bauern höchste Ämter in Staat und Kirche ermöglichte.
Gesetzlich fixiert wurde die Unterscheidung in «reine» und «nicht reine» Spanier erstmals 1449 in Toledo. Mit dem «Statut über die Reinheit des Blutes» wies der Stadtrat den Bürgern jüdischer Abstammung, in welcher Gesellschaftsschicht auch immer sie sich bewegten, ein für alle Mal einen geächteten Status zu. Proteste, Einsprüche und Klagen waren zwecklos: 1467 bestätigte der Stadtrat das Statut, elf Jahre später kam zudem die Inquisition als offizielle Behörde hinzu, die gegen heimlich ihren Glauben ausübende Juden vorging. In den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts führten erste Orden in ihren klösterlichen Gemeinschaften das Statut über die Reinheit des Blutes ein, und im Laufe des 16. Jahrhunderts wurde es mehrfach von weltlichen und kirchlichen Körperschaften bekräftigt – 1555 auch durch Papst Paul IV. und im Jahr darauf durch König Philipp II. für das ganze Königreich Spanien.
Für alle Spanier, die keinen «reinen» altchristlichen Stammbaum nachweisen konnten, bedeutete das Statut eine schwerwiegende soziale Ausgrenzung. Letzten Endes wurde dadurch eine geradezu kastenartige Einteilung der spanischen Gesellschaft geschaffen: Die Geburt bestimmte unveränderlich über die soziale Zugehörigkeit – entweder wurde man in eine «ehrenvolle» Familie hineingeboren, oder man gehörte lebenslang zu den Verdächtigen, Ehrlosen, zu denen, die «Häretiker» (das heißt Nichtchristen) unter ihren Vorfahren hatten. Charakteristischerweise richteten sich die Statuten gerade gegen eine Bevölkerungsgruppe, die den Neid der anderen erregte: wohlhabende Handelsleute, Akademiker, Ärzte, Juristen, Finanzexperten. Mit einem Schlag wurden diese zu Bürgern zweiter Klasse abgestempelt und damit Tür und Tor für ihre Verunglimpfung, Unterdrückung und Verleumdung geöffnet. Daraufhin kam es in Spanien geradezu zu einem Genealogienfieber: In den Städten kursierten Kataloge mit Namen von Converso-Familien (libres verdes), in denen man nachschlagen konnte, vor wem man keine Achtung mehr zu haben brauchte. Manche nutzten diese Kataloge, um ihre Mitbürger zu erpressen, und wurden deshalb linajudos, Genealogieschnüffler, genannt.[10] Die Inquisition bot außerdem die Möglichkeit zur anonymen Anzeige von Mitbürgern, die angeblich nicht-christliche Praktiken pflegten. Wurde eine solche Person verhaftet und – meist unter Folter – zum Geständnis gebracht, so verhängte das Tribunal Strafen, die die Schande sichtbar und unvergesslich machten: Die Bestraften mussten in öffentlichen Prozessionen Büßerhemden (sanbenitos) tragen, anschließend wurde das Büßerhemd in ihrer Pfarrei mit Angabe des Namens und der Strafe aufgehängt. Wer einmal diese Schande erlitt, war für immer gezeichnet.
Wer keine «Reinheit des Blutes» besaß, der besaß keine Ehre. Ehre – honra – war ein Schlüsselbegriff im Spanien des Goldenen Zeitalters. Ein ausgefeilter Ehrenkodex beherrschte das Leben und bestimmte das eigene Verhalten wie auch die Beziehungen zum Nächsten. Um der honra willen wurde getötet – schon wenn das Gerücht umging, dass die Ehefrau untreu sei, war dies ein Grund, sie ohne Prüfung der Vorwürfe zu töten; denn allein durch das Gerücht hatte sie die Ehre des Ehemanns befleckt. Jede Art von akademischem Studium oder kultureller Tätigkeit war riskant: Wer intellektuell oder künstlerisch begabt war, wurde rasch als «Jude» bezeichnet und hatte somit die honra verloren. In seinem Beruf Reichtum zu erwerben schadete der honra, wurde finanzieller Erfolg im Geschäftsleben doch mit Juden assoziiert und galt somit als schandbar. Und selbstverständlich musste man um der honra willen beweisen, dass man im rechten Glauben stand: Kirchenbesuche, Beichten, Seelenmessen, Stiftungen dienten der öffentlichen Demonstration wahren Christentums.
Die spanische Gesellschaft im 16. Jahrhundert steckte voller repressiver Regeln und Fußfallen. Wer nicht dem Hochadel oder aber dem einfachen Bauernstand angehörte, lief ständig Gefahr, Ehre und Ansehen zu verlieren. Wer aber Juden unter seinen Vorfahren hatte und einmal öffentlich als Converso gebrandmarkt worden war, konnte sich der damit verbundenen Ächtung nur durch Auswanderung entziehen. Viele Opfer verließen ihre Geburtsstadt und wechselten den Namen, so auch Teresas Großvater, der Toledo verließ und dessen Söhne in Avila vorzugsweise die Nachnamen ihrer Ehefrauen annahmen. Andere verließen «die Welt» und traten in Klöster ein – zumindest in Klöster, die nicht die «Reinheit des Blutes» zur Bedingung machten. Und für die jüngere Generation wurde die Neue Welt zum Ausweg: Auffallend viele Söhne aus Converso-Familien – darunter fast sämtliche von Teresas neun Brüdern – verließen Spanien und zogen nach «Westindien», wo ihre Abstammung keine Rolle mehr spielte und sie die Chance hatten, angesehene Ämter zu erlangen.
In einer solchen Gesellschaft war ein Adelsbrief von unschätzbarem Wert. 1519 strengten Teresas Vater und seine Brüder, die alle den unverfänglichen Nachnamen der Mutter, Cepeda, angenommen hatten, deshalb einen Prozess an, um ihren Adel erneut bestätigen zu lassen. Ihr geschicktes und äußerst vorsichtiges Vorgehen dabei lässt erkennen, wie hoch sie die Gefahr einschätzten: Eine Aberkennung des Adelstitels wäre für die inzwischen weit verzweigte Familie einer Katastrophe gleichgekommen. Tatsächlich gewannen sie den Prozess mit nicht ganz sauberen Mitteln – die freilich in ihren Kreisen stillschweigend als ganz normal akzeptiert waren. Nachdem der pleito (Prozess) im August 1519 offiziell eröffnet worden war, überwog zunächst die Zahl der feindlichen Zeugen. Dann aber neigte sich die Waagschale zugunsten der Brüder Cepeda, und das keineswegs zufällig. Der mächtige Stadtrat Francisco de Pajares, durch Heirat mit Don Alonso verschwägert und außerdem Vater von Teresas Patin, unterstützte seine eingeheirateten Angehörigen nachhaltig und bestach Zeugen mit großzügigen Summen. Bei der nächsten Verhandlung waren dann diejenigen Zeugen in der Mehrheit, die unter Eid bestätigten, dass die Brüder Cepeda schon immer den Lebensstil von Adeligen gepflegt hätten und generell als hidalgos angesehen würden, dass sie mit vornehmen Adelstöchtern verheiratet seien, über reichlich Personal verfügten, dem König gedient und «niemals Steuern gezahlt» hätten. Damit gewannen die Brüder Cepeda im August 1522 endlich den Prozess und erhielten den verbindlichen Adelsbrief für ihre Familie.
Teresa nannte sich die ersten Jahrzehnte ihres Lebens «Doña Teresa de Cepeda y Ahumada». Damit handelte sie im Einklang mit den Sitten und dem Ehrenkodex ihrer Zeit: Durch den Titel «doña» hob sie ihren Adelsstand hervor und vermied – wie auch ihre elf Geschwister – den verräterischen jüdischen Nachnamen Sánchez.[11] Später legte sie ihren Adelstitel ab, in der Erkenntnis, dass vor Gott alle Menschen gleich sind und von Gott gleichermaßen geliebt werden. Auch ihre Geschwister ermahnte sie als reife Ordensgründerin von über sechzig Jahren, auf das eitle Titelgehabe, das auf einem durch Bestechung gekauften Adelsbrief beruhte, zu verzichten.[12] Doch ohne Erfolg: In der spanischen Gesellschaft des 16. Jahrhunderts galt ein Adelstitel alles.
Oberflächlich kommt das Problem ihrer Abstammung in Teresas Schriften und anderen Quellen zu ihrem Leben kaum zum Ausdruck. Dennoch durchzieht zunächst die Furcht vor Entdeckung, später die Abneigung gegen die Verurteilung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft und ihres Ranges ihr Werk unterschwellig wie ein roter Faden.
Trotz der kastenartigen Einteilung der Gesellschaft gab es im Spanien des 16. Jahrhunderts vielfältige soziale Aufstiegschancen. Durch Heirat, Geschäftsverbindungen, Patenschaften und in beschränktem Maße auch durch Ämterkauf war es möglich, die gesellschaftliche Leiter einige Sprossen emporzuklimmen. Das Einheiraten in eine der führenden Familien war in den städtischen Gesellschaften der Frühen Neuzeit der beste Weg, um eine weniger vornehme Herkunft zu vertuschen.
Die Söhne des Don Juan Sánchez aus Toledo machten hier keine Ausnahme. Teresas Vater Don Alonso war der Erste, der in Avila heiratete – und mit Doña Catalina de Peso wählte er eine Frau, die gleich zwei führenden Patrizierfamilien entstammte. Ihr Vater, Don Pedro de Peso, war Mitglied im Stadtrat und somit eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der Stadt. Seine Frau, Doña Inés de Henao, stammte ebenfalls aus einer der führenden örtlichen Familien. Dem Converso Don Alonso Sánchez war es durch seine Heirat somit gelungen, in die vornehmsten Ränge der Stadt aufzusteigen, auch wenn er selbst als Angehöriger des niederen Adels und als Mann jüdischer Abstammung niemals ein öffentliches Amt wahrnahm und viele Berufe nicht ausüben durfte. Die Paten, die er für Teresa wählte, zeigen, dass sich sein Status innerhalb der höchsten Kreise von Avila gefestigt hatte: Blasco Nuñez Vela, später von Karl V. zum ersten Vizekönig von Peru ernannt, gehörte der vornehmen Patrizierfamilie de Vela an, und Doña María del Águila war niemand anderes als die Tochter von Francisco de Pajares, einem der mächtigsten Männer der Stadt. Auch die Patinnen und Paten der zahlreichen Geschwister von Teresa kamen aus den führenden Kreisen von Avila: Damit schuf Don Alonso für sich und seine Kinder ein starkes Netzwerk guter Beziehungen, von dem seine Nachkommen noch über Generationen profitieren konnten.
Die im Mai 1505 geschlossene Ehe mit Catalina de Peso währte jedoch nur weniger als zweieinhalb Jahre. Nachdem Catalina im Februar oder März 1506 die älteste Tochter María und im Mai 1507 den Sohn Juan geboren hatte, starb sie Anfang September 1507. Alonso, siebenundzwanzig Jahre alt, blieb mit einem Kleinkind und einem Säugling zurück.
Zwei Jahre später fand er seine zweite Frau, die ihm zehn Kinder schenkte. Beatriz de Ahumada stammte aus dem kleinen Ort Olmedo, etwa siebzig Kilometer nördlich von Avila. Ihre Eltern, Don Juan de Ahumada und Doña Teresa de las Cuevas, waren eng mit den Familien Tapia und de Peso in Avila verwandt und dadurch auch mit Don Alonsos erster Ehefrau Catalina de Peso. Vielleicht hatten die Familienangehörigen aus Olmedo dem Begräbnis von Catalina beigewohnt, vielleicht war Alonso ihnen auch schon früher begegnet, denn Trauerfeiern gab es viele in dieser Familie aus Olmedo: 1503 fielen die ältesten Söhne von Don Juan de Ahumada und Doña Teresa im Krieg, später starben zwei Töchter und Don Juan. Zurück blieb die Witwe Teresa de las Cuevas mit ihren beiden letzten Kindern, Beatriz und Juan.
Beatriz war erst vierzehn Jahre alt, als sie 1509 zur zweiten Ehefrau von Don Alonso und damit zur Stiefmutter seiner ersten beiden Kinder wurde. In den folgenden neunzehn Jahren gebar sie ihm acht Söhne und zwei Töchter – kurz nach der Geburt ihrer jüngsten Tochter Juana starb sie mit nur dreiunddreißig Jahren. Teresas «große Furcht» vor dem Ehestand dürfte zu einem guten Teil darin begründet sein, dass sie über viele Jahre miterlebte, wie ihre Mutter von den Strapazen der ständigen Schwangerschaften und Geburten mehr und mehr ausgezehrt wurde.
Dies änderte nichts an der Liebe, die sie für ihre Geschwister empfand. «Ich hatte sie alle sehr lieb, und sie mich auch», schreibt sie später in ihrer Vida. Als sie 1533 ihre ältere Halbschwester María im kleinen Dorf Castellaños de la Cañada besuchte, hätte diese Teresa am liebsten bei sich behalten. Und Rodrigo, ihr Spielgefährte der Kindheit, trat seiner Lieblingsschwester sein gesamtes Erbteil ab, als er 1535 nach Südamerika ging.
Unter den Kindern der Familie Cepeda y Ahumada war María die Große, Besonnene. Nur elf Jahre jünger als Alonsos zweite Frau, ging sie ihrer Stiefmutter Beatriz de Ahumada vermutlich schon bald zur Hand, um die wachsende Kinderschar zu hüten. Vor allem Teresa dürfte unter ihrer besonderen Obhut gestanden haben. Über viele Jahre hinweg war sie nach der ältesten Schwester das einzige Mädchen. Während Beatriz ständig mit Säuglingen und den kleinen Brüdern zu tun hatte, war María sowohl Vorbild als auch «Zweitmutter» für die neun Jahre jüngere Halbschwester. Über die beiden ältesten Brüder von Teresa, Juan (Catalinas Sohn und somit Teresas Halbbruder) und Hernando (das erste Kind von Beatriz), wissen wir wenig. 1513 oder 1514 wurde Rodrigo geboren, Beatriz’ zweiter Sohn. Ihm folgte 1515 Teresa; die zwei – die zufällig beide am 28. März Geburtstag hatten – wurden rasch unzertrennlich. Und dann kam, fast Jahr für Jahr, ein Geschwisterchen hinzu: Juan im Jahr 1518, ein Jahr später Lorenzo, in den Jahren 1520 bis 1522 Antonio, Pedro und Jerónimo, 1527 und 1528 schließlich die beiden Nachzügler Agustín und Juana.
Die lebenslange Verbindung, die Teresa zu ihren Geschwistern hielt, lässt erahnen, dass die Familie Cepeda y Ahumada fest zusammenhielt. In der frühneuzeitlichen Gesellschaft war dies nichts Ungewöhnliches: Familienbande und ein starkes Wissen, für den Erhalt und die Pflege der Familiendynastie spielten eine zentrale Rolle. Allerdings dürfte das unterschwellige Wissen, dass die Außenwelt Gefahren für die Converso-Familie barg, die Eltern und Geschwister zusätzlich zusammengeschweißt haben.
Ihre Eltern liebte Teresa innig. Die ersten Abschnitte ihrer Vida geben – trotz der Genrekonventionen der geistlichen Autobiographie – Einblicke in das Alltagsleben und die Atmosphäre im Hause Cepeda y Ahumada. Dabei betont Teresa in auffälliger Weise, dass beide Eltern über die wesentliche Tugend in der Gesellschaft ihrer Zeit, die honra, verfügten: