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Jürgen Sarnowsky

DIE TEMPLER

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Kein anderer Orden ist so von Legenden umrankt und von Geheimnissen umwittert wie die «Ritterschaft vom Tempel Salomos». Jürgen Sarnowsky erzählt kenntnisreich die bewegte Geschichte des Ordens von den Anfängen im 12. Jahrhundert über die Zeit der Kreuzzüge bis zur Auflösung im Jahre 1312. Er schildert das religiöse Selbstverständnis der Tempelritter und ihre hierarchische Organisation, ihre militärischen Aktivitäten und das Alltagsleben in Burgen und Ordenshäusern. Zur Sprache kommt auch die enorme Wirkungsgeschichte der Templer, die durch ihren Kampf um das Heilige Land die Weltgeschichte mitprägten, zur Entstehung des Bankwesens beitrugen und in der Neuzeit zum Ideal esoterischer Zirkel avancierten.

Über den Autor

Jürgen Sarnowsky, geb. 1955, lehrt als Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Hamburg. Er ist u.a. Zweiter Vorsitzender der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung und Mitglied der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens. Zahlreiche Publikationen zu den geistlichen Ritterorden; in der Reihe C. H. Beck Wissen erschien von ihm auch „Der Deutsche Orden“ (2. Aufl. 2012) sowie „Die Johanniter“ (2011).

Inhalt

Einleitung

  I. Anfänge und Aufstieg

1. Der Erste Kreuzzug und seine Folgen

2. Ritter am Heiligen Grab

3. Die Reise Hugues’ de Payns und die Synode von Troyes

4. Das «Lob der neuen Ritterschaft»

5. Schenkungen, päpstliche Anerkennung und erste Strukturen der Gemeinschaft

6. Der Besitzausbau im Heiligen Land

7. Der militärische Einsatz im Heiligen Land

8. Der Orden auf der Iberischen Halbinsel

9. Schenkungen und Aufgaben in den Herkunftsregionen

10. Die Schlacht von Hattin 1187 und ihre Folgen

 II. Die Templer im 12. und 13. Jahrhundert

1. Die Entwicklung der Ordensregel

2. Die Ämterhierarchie

3. Das militärische Engagement

4. Das «Netzwerk» der Templer

5. Landwirtschaftliche Grundlagen

6. Die Finanzgeschäfte

7. Spiritualität und Kultur

III. Das Ende des Templerordens

1. Krise und neue Aufgaben um 1200

2. Die Niederlagen des späteren 13. Jahrhunderts

3. Die Kritik an den Templern

4. Der Beginn des Templerprozesses

5. Die Aufhebung des Ordens

6. Nachleben

Ausblick

Quellen und Literatur

Liste der Meister

Register

Einleitung

Templer sind heute in allen Medien präsent. Im Internet finden sich zahllose Seiten, die sich – von ernsthaft bis wenig vertrauenswürdig – mit Templern beschäftigen. Literatur und Filme für ein Millionenpublikum gewinnen ihre Anziehungskraft nicht zuletzt daraus, dass sie Templer auftreten lassen. Im Zeitalter des «Infotainments» kann sich dem auch das Fernsehen nicht verschließen und verbindet scheinbar seriöse Berichterstattung mit der Suche nach magischen Kräften, mythischen Figuren und dem – immer wieder neu postulierten – Templerschatz, der sich jedoch hartnäckig der Entdeckung entzieht. In vielen populären Büchern geht der Einfluss der Templer weit über Europa hinaus, erstreckt sich bis nach Nordamerika, das schon Ende des 14. Jahrhunderts (oder noch früher) auf Templerschiffen erreicht worden sein soll, oder auch nach Südindien. Überall sind neue Templer-Gesellschaften entstanden, darunter auch viele, die sich durchaus ehrenwerten Zielen verschrieben haben.

Allerdings hat diese moderne Faszination für die Templer wenig mit dem historischen Orden der «Ritter vom Tempel des Herrn zu Jerusalem» zu tun, der schon 1312 durch Papst Clemens V. aufgehoben wurde. Sie beruht vielmehr auf dem Templer-Mythos, der sich seit dem 18. Jahrhundert entwickelt hat. Auch wenn diese Aufhebung nicht bei allen Zeitgenossen auf Zustimmung stieß, bedeutete sie doch das faktische Ende der Gemeinschaft. Die verbliebenen Brüder wurden auf Lebenszeit aus geistlichen Besitzungen versorgt, und der Besitz des Ordens wurde sukzessive den Johannitern übergeben. Nūr in Einzelfällen – und nur auf der Iberischen Halbinsel – entstanden Nachfolgeinstitutionen. Erst die Fantasie späterer Jahrhunderte wollte dieses jähe Ende der Templer nicht akzeptieren, sondern glaubte an ein Fortbestehen der Gemeinschaft im «Untergrund». Die Freimaurer des 18. Jahrhunderts sahen sich in ungebrochener Kontinuität zu den Templern. Sie beriefen sich auf Geheimlehren des Ordens, die als Vermächtnis des letzten Großmeisters Jacques de Molay auf sie gekommen seien, und sahen diese Lehren als eigentliche Ursache der Aufhebung des Templerordens an.

Einer der deutschen Gründerväter der als «Templerismus» bezeichneten Strömung der Freimaurer war der 1776 verstorbene Reichsfreiherr Karl Gotthelf von Hund, der behauptete, über verlorene Templer-Dokumente zu verfügen. Er gründete die Loge «Zu den drei Säulen», deren Mitglieder in historisierender Ordenskleidung auftraten, und ließ sich im Habit eines Templermeisters bestatten. Der hessische Hofprediger Johann August Starck versuchte sogar, in seine Neutempler einen eigenen Ordensklerus zu integrieren. Im Templerismus wurde die ursprüngliche Gleichheit der Freimaurer durch die Rangordnungen der Strikten Observanz ersetzt, unter Einschluss ritterlicher Grade. Mit dem berüchtigten Georg Friedrich Johnson, der 1765 auf der Wartburg gefangengesetzt wurde, kamen erste Verschwörungstheorien in die Welt. Er warf den Freimaurern die Einflussnahme auf die polnische Königswahl, die Ermordung von Papst Clemens XIV. und von König Ludwig XV. sowie Kollaboration mit den Jesuiten vor. In der Epoche der Revolutionen zwischen 1789 und 1848 wurden die an den Templern orientierten Freimaurer immer wieder mit Umstürzen und Anarchie in Verbindung gebracht. Sie wurden als Erben antichristlicher Sekten und Gemeinschaften verstanden, die die christliche Ordnung zu untergraben suchten. In den romantischen Novellen Ivanhoe (1819) und The Talisman (1825) von Walter Scott wird daraus die Vorstellung, der einstmals kirchentreue Orden sei durch moralischen Verfall zu einer finsteren Geheimgesellschaft von nie da gewesener Macht geworden. Eine – wenn auch durchaus ironische – Spiegelung davon bietet noch der Roman Das Foucaultsche Pendel von Umberto Eco (1988).

Einer der Autoren, die durch ihre Darstellung der Geschichte der Templer auf die eigene Gegenwart einzuwirken suchten, war der österreichische Orientalist Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall (1774–1856). Allerdings ist seine Deutung eher dem Bereich der Mythenbildung zuzuordnen. Er brachte die Templer insbesondere mit den spätantiken Gnostikern in Verbindung, ohne jedoch die Unterschiede zwischen den gnostischen Lehren und den nicht das Ordensleben spiegelnden Vorwürfen gegen die Templer zu berücksichtigen. Dabei verband er den Templer-Mythos mit der Gralslegende, die er für einen Ausdruck gnostischer Lehren hielt. Auch wenn Wolfram von Eschenbach in seinem Parzival, der die Gralslegende thematisiert, Templer erwähnt, entbehrt diese Verbindung jeder Grundlage. Sie wurde dennoch seither immer wieder hergestellt. Überhaupt war die Templer-Legende vielfach einsetzbar. Politisch wurde sie von konservativen wie von radikalen Kräften instrumentalisiert, Romantiker wie Scharlatane griffen auf sie zurück. Den Templern wurden die Vermittlung geheimen Wissens aus alten Zeiten und mysteriöse Einflüsse auf die Gegenwart zugeschrieben.

Die verschlungenen Wege der weiteren Ausgestaltung des Templer-Mythos sind ein eigenes Thema und können hier nicht weiter verfolgt werden. Es ist keineswegs so, dass sie nicht die Aufmerksamkeit der Geschichtswissenschaft verdienten, erlaubt die Beschäftigung mit ihnen doch interessante Einblicke in die Vorstellungswelt und soziale Realität der jeweiligen Epoche. Der Mythos sagt jedoch nichts über die Geschichte des historischen Templerordens selbst aus, die vielleicht sogar reizvoller und vielgestaltiger als der Mythos ist.

Die Anfänge des Ordens der Templer gehören in den Kontext der Massenbewegung des Ersten Kreuzzugs (1096–1099). Dessen Teilnehmer zogen im Namen Christi in den Krieg, um den Christen des Orients zu Hilfe zu kommen und die Stätten des «Heiligen Landes» aus der Hand der «Sarazenen» zu befreien. Schon 1096 legten viele Kreuzfahrer ein Gelübde ab, und später banden sich zahlreiche Ritter auf Zeit an die gewachsenen Institutionen im Heiligen Land, um die Erfolge des Kreuzzugs, die Eroberung Jerusalems und die Errichtung der Kreuzfahrerstaaten abzusichern. So fand sich um 1119 auch eine Gruppe von Rittern um den aus der Champagne stammenden Adligen Hugues de Payns zusammen, die streng nach monastischen Regeln lebten, aber zugleich für den Schutz der nach Jerusalem kommenden Pilger kämpfen wollten. Eine gewisse Unsicherheit über die Zukunft der Gemeinschaft führte zur Reise Hugues’ nach Frankreich. Diese erbrachte nicht nur die erste schriftlich niedergelegte Regelung der Lebensform, sondern auch die Unterstützung durch den vielleicht prominentesten Vertreter der Kirche in seiner Zeit, den Zisterzienser Bernhard von Clairvaux, der mit seiner Schrift «Über das Lob der neuen Ritterschaft» eine grundlegende Rechtfertigung der Verbindung von Mönch- und Rittertum unternahm. Päpstliche Privilegien und zahlreiche Schenkungen folgten. Aus bescheidenen Anfängen erwuchs so schließlich eine einflussreiche und wirkungsmächtige Korporation, deren Mitglieder mit Päpsten und Königen Umgang pflegten und in vielen Regionen Europas und im Heiligen Land präsent waren. Schätzungsweise zählte die Korporation im 13. Jahrhundert rund 7000 Ritter- und Priesterbrüder, Sergeanten und dienende Brüder, die im lateinischen Westen rund 870 Burgen, Komtureien und weitere Besitzungen des Ordens verwalteten. Die materiellen und personellen Ressourcen des Herkunftsgebiets ermöglichten den Einsatz im sog. Heidenkampf, sowohl im Heiligen Land als auch in Spanien. Das Netzwerk von Templerhäusern, das den Transport von Männern, Pferden, Waffen und Lebensmitteln organisierte, versorgte allein im Heiligen Land wohl bis zu 600 Ritterbrüder und 2000 Sergeanten.

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Zwei Templer zu Pferde (wie auf dem ältesten Siegel) mit Ordensbanner, nach der Chronik des Matthäus Parisiensis

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Bleibulle Bertrands de Blanchefort, 1168, Vorder- und Rückseite

Das Ideal des Templerordens – die Verbindung von Mönchtum und «Heidenkampf» – entwickelte eine ungeheuere Anziehungskraft. Nach seinem Vorbild bildete sich ein ganzer Ordenszötus, die Gruppe der geistlichen Ritterorden, die sich am «Lob der neuen Ritterschaft» Bernhards von Clairvaux orientierten. So wurden die als Hospitalgemeinschaft gegründeten Johanniter ebenso nachträglich «militarisiert» wie der 1190 vor Akkon gegründete spätere Deutsche Orden, dem 1198 unter anderem die Templerregel übertragen wurde, und in Spanien wie im Baltikum entstanden Neugründungen nach dem Vorbild der Templer. Alle diese Orden, aber insbesondere die drei großen internationalen Orden der Templer und Johanniter sowie der Deutsche Orden, wurden im 13. Jahrhundert immer stärker in die Verteidigung der verbliebenen Kreuzfahrerterritorien eingebunden. Zwar gerieten sie in eine Krise, als diese nach und nach verloren gingen, am Ende konnten sich die meisten von ihnen jedoch behaupten. Der weitaus verhängnisvollere Schlag traf die Brüder des Templerordens, als sie durch den französischen König Philipp IV. seit 1307 zahlreicher Vergehen und Verbrechen beschuldigt wurden. Das sich lange hinziehende Verfahren endete schließlich in der Aufhebung des Ordens auf dem Konzil von Vienne 1312.

I. Anfänge und Aufstieg

1. Der Erste Kreuzzug und seine Folgen

Der Beginn der Kreuzzugsbewegung, aus der auch der Templerorden hervorgehen sollte, lässt sich chronologisch genau bestimmen. Papst Urban II. rief am 27. November 1095 auf einem Feld vor der Stadt Clermont dazu auf, den Christen des Ostens zu Hilfe zu kommen, nachdem er nachdrücklich ihre Leiden beschrieben hatte. Er reagierte damit zwar auf einen Hilfsappell des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos vom März 1095, doch folgte dieser Aufruf eigenen, abendländischen Bahnen.

Das Christentum hatte Krieg und Kriegsdienst lange ablehnend gegenübergestanden. Die Wandlung des Christentums zur Staatsreligion machte einen neuen Ansatz erforderlich, der Christen den Dienst in den Heeren des mittlerweile von vielen Seiten bedrängten Römischen Reiches ermöglichte. Es war insbesondere der Kirchenvater Augustinus († 430), der die Grundlagen für die weiteren Diskussionen legte, ausgehend von antiken Vorbildern. Krieg blieb grundsätzlich – als Folge der Erbsünde – negativ besetzt, doch nahm Augustinus die Existenz «gerechter Kriege» an, die vier Voraussetzungen erfüllen mussten. Sie bedurften einer legitimen Autorität, die den Krieg erklärte, eines gerechten Grundes (etwa die Verteidigung des eigenen Landes, die Bestrafung von Unrecht oder die Rückgewinnung verlorenen Gutes) und konnten nur begonnen werden, wenn Alternativen für eine friedliche Lösung fehlten und das Vorgehen angemessen war. Daneben nahm er auch mit göttlicher Autorität geführte Kriege an, die an sich gerecht seien, und entwickelte in seiner Schrift Über den Gottesstaat eine Friedensontologie. Augustinus ging davon aus, dass alle Kriege – auch die ungerechten – im Grunde der Herstellung des Friedens dienen sollten, wenn auch unter verschiedenen Vorzeichen.

Augustinus’ Lehre vom gerechten Krieg fand erst im Hochmittelalter wieder stärkere Beachtung, zum Beispiel in der kirchenrechtlichen Sammlung des Bologneser Juristen Gratian, dem für das Kirchenrecht grundlegenden, um 1140 entstandenen Decretum Gratiani. Dort wird sie zusammen mit den durchaus widersprüchlichen biblischen Stellen vergleichend analysiert und kommentiert. Davor wurden die Überlegungen Augustins kaum rezipiert. So kam es, dass man noch im 10. Jahrhundert von den Teilnehmern eines Krieges Bußleistungen verlangte, wenn sie im Kampf, auch gegen Friedensbrecher, getötet hatten. Dennoch spielten die Grundzüge der augustinischen Lehre nicht zuletzt in den Konfliktregionen zwischen muslimischen und christlichen Territorien eine wichtige Rolle. Man wollte ehemals christliche Territorien zurückgewinnen und sah sich damit nicht nur in einem gerechten, sondern auch geheiligten Krieg. In der Kreuzzugsbewegung gewann daneben noch die augustinische Forderung nach der richtigen Intention des Kriegführenden an Bedeutung, der z.B. nicht aus Besitzgier oder Hass handeln durfte.

Ein wichtiger Aspekt der Entwicklung war die «Christianisierung des Rittertums», das heißt die Einbindung der zuvor an eher heidnischen Idealen orientierten Kriegerschicht in die christliche Vorstellungswelt. Kämpfte der miles Christi, der Krieger Christi, zunächst nur mit geistlichen Waffen, als Geistlicher in der Welt oder häufiger als Mönch hinter Klostermauern, übertrug sich dieser Begriff nun auf das Rittertum. Diese Veränderungen wurden nicht zuletzt durch den Einsatz von Rittern in der sog. Gottesfriedensbewegung und in päpstlich geführten Unternehmen hervorgerufen. In den Gottesfrieden setzten die Bischöfe angesichts schwacher weltlicher Gewalten regionale, zunächst zeitlich oder auf Personengruppen begrenzte Frieden durch, indem sie mit Hilfe von weltlichen Herrschaftsträgern gegen Friedensstörer vorgingen. Das Reformpapsttum setzte Krieger gegen seine Gegner ein. So rief Leo IX. 1053 Krieger zum Kampf gegen die Normannen in Süditalien und versprach ihnen dafür den Erlass der von der Kirche verhängten Bußstrafen, setzte also geistliche Privilegien für weltliche Ziele ein. Ähnlich sagte Alexander II. 1064 den französischen Teilnehmern am Feldzug gegen das noch muslimische Barbastro Ablässe zu, und Gregor VII. wollte 1074 wohl auf ähnliche Weise gegen die Normannen und nach Kleinasien ziehen. Diese Verquickung von weltlichen und geistlichen Mitteln wurde durch den Einsatz von Fahnen unterstrichen, so 1066 durch die Versendung der päpstlichen Petersfahne an den Eroberer Englands, Herzog Wilhelm von der Normandie.

Der Aufruf Papst Urbans II. von 1095 stand somit bereits in einer längeren Tradition. Er erhielt jedoch seine besondere, auch vom Papst nicht intendierte Kraft durch die Verbindung mit dem Wallfahrts- und Bußgedanken. Obwohl aus der Überlieferung nicht klar hervorgeht, ob Urban auch Jerusalem als Ziel nannte oder nur die Hilfe für die Christen des Ostens in den Mittelpunkt seiner Rede stellte, wurde bald die Befreiung Jerusalems und der Heiligen Stätten zum eigentlichen Ziel. Heilige Orte, die sich durch heilswirksame Geschehnisse oder auch bedeutende Bauten und Reliquien auszeichneten, hatten nicht nur im Christentum besondere Bedeutung. Am besonderen Segen dieser Orte suchte man durch Pilgerreisen und von dort mitgebrachte Berührungs- oder Sekundärreliquien teilzuhaben, wenn man sich nicht sogar dorthin begab, um zu sterben. So wurden auch Pilgerreisen ins Heilige Land seit der Mitte des 11. Jahrhunderts häufiger. Auch wenn diese Pilger traditionell unbewaffnet waren, machte Urbans Aufruf den geplanten Zug nach Jerusalem doch zur Pilgerfahrt – bis hin zur begrifflichen Gleichsetzung von Pilgern und Kreuzfahrern.

Pilger und Kreuzfahrer standen gleichermaßen unter dem Schutz der Kirche, beide konnten sich von ihren Handlungen die Sicherung des Seelenheils erhoffen. Wurden Pilgerfahrten teilweise als kirchliche Bußen verhängt, nahmen nun die Kreuzfahrer die Beschwernisse ihres Zuges bewusst auf sich, weil sie den Zug als Akt der Buße für die von ihnen begangenen Sünden verstanden. Der Papst hatte in seiner Rede an die Notwendigkeit erinnert, sich von seinen Sünden zu läutern, und hatte gleichzeitig einen Ablass der irdischen Bußstrafen für jene versprochen, die mit der richtigen Intention, aus Liebe zu Gott, dem Aufruf folgten. Dies gewann in der Verbreitung durch die Kreuzzugsprediger eine eigene Dynamik. Sie stellten den Teilnehmern des Kreuzzugs auch den Erlass der jenseitigen Sündenstrafen in Aussicht und machten ihnen Hoffnung, im Todesfall unmittelbar ins Paradies einzuziehen. Urban II. scheint dem in späteren Aufrufen partiell gefolgt zu sein, und der erste schriftliche Kreuzzugsaufruf, den Eugen III. 1145 zum Zweiten Kreuzzug erlassen sollte, schrieb diesen weiten Ablass schließlich dauerhaft fest.

Der Erfolg der Kreuzzugspredigt Urbans war überwältigend. War der Papst zunächst nur von begrenzten Kontingenten von Rittern ausgegangen, machten sich letztlich umfangreiche Heere in drei Wellen auf den Weg nach Osten. Die erste bildeten unorganisierte, aus allen Schichten kommende Scharen, die dem Kreuzzugsaufruf nahezu unmittelbar Folge leisteten. Sie zogen durch den Donauraum und über den Balkan nach Konstantinopel, plünderten und bedrängten die Einwohner der Region, wurden aber in Kämpfen gegen die Seldschuken in Kleinasien völlig aufgerieben.

Das zweite Heer, das aus verschiedenen Kontingenten bestand, wurde von Fürsten und Rittern aus Nordfrankreich, Flandern, Südfrankreich und Süditalien angeführt, unter anderem vom Grafen Raimund IV. von Toulouse und dem Normannen Bohemund von Tarent. Die Kontingente trafen seit Ende 1096 in Konstantinopel ein, konnten mit byzantinischer Unterstützung die Seldschuken zweimal schlagen und erreichten im Oktober 1097 Antiochia. Die Stadt wurde nach sieben Monaten eingenommen, doch machte sich das Heer nach internen Streitigkeiten erst Anfang 1099 wieder auf den Weg nach Süden. Schließlich gelang trotz erneuter Rückschläge am 15. Juli 1099 die Eroberung Jerusalems, auch mit Unterstützung von See. Vier unabhängige Kreuzfahrerstaaten entstanden: das Königreich Jerusalem, die Grafschaften Tripolis und Edessa sowie das Fürstentum Antiochia.

Diese Territorien konnten erst in einem längeren Prozess stabilisiert werden, da die dritte Welle von Kreuzfahrern, die dem Aufruf Urbans II. gefolgt waren, das Heilige Land nicht mehr erreichte. Das Heer brach im Jahr 1100 auf, wurde aber 1101 in mehreren Schlachten von den Seldschuken vernichtend geschlagen und löste sich völlig auf. Die meisten Überlebenden des Ersten Kreuzzugs gingen in ihre Herkunftsregionen zurück, nur wenige etablierten sich im Heiligen Land. Obwohl auch lateinische Siedler ins Land kamen und ein gewisser Herrschaftsund Landesausbau einsetzte, blieben die Kreuzfahrerstaaten in der Folge – vor allem in Krisenzeiten – auf Hilfe aus dem Westen angewiesen. Dabei spielten die italienischen Seestädte eine wesentliche Rolle, Genua, Venedig und Pisa, die für ihren Einsatz insbesondere bei der Eroberung der Küstenstädte Anteile an der Herrschaft erhielten, aber auch die Versorgung mit Menschen und Material aus dem Westen sicherstellten. Zudem gelang dem ersten König von Jerusalem Balduin I. zwischen 1100 und 1118 die Eroberung der Golanhöhen und transjordanischer Gebiete, und im Bündnis mit dem Emirat von Damaskus konnte diese weite Ausdehnung christlicher Herrschaft bis in die Zeit des Zweiten Kreuzzugs 1147/48 behauptet werden.

2. Ritter am Heiligen Grab

Auch wenn nach 1101 vorerst kein größeres Unternehmen zustande kam, erfuhren die Kreuzfahrerstaaten immer wieder Verstärkung durch kleinere Gruppen von Pilgern und Kreuzfahrern, die das Heilige Land auf dem Seeweg erreichten und sich oft zuerst nach Jerusalem wandten, um die Heiligen Stätten zu besuchen. Dabei waren sie allerdings immer wieder von Überfällen bedroht. So heißt es etwa im Bericht über die Pilgerfahrt Saewulfs einige Jahre nach der Eroberung Jerusalems: «Wir reisten von Jaffa zur Stadt Jerusalem, eine Zweitagesreise, über eine bergige Strecke, die sehr schwierig und sehr gefährlich ist, weil die Sarazenen immer darauf aus sind, Christen einen Hinterhalt zu legen. Sie verbergen sich in den Tiefen der Berge und den Höhlen der Felsen, Tag und Nacht auf der Wacht nach irgendjemandem, den sie leicht angreifen können, entweder Pilger in kleinen Gruppen oder erschöpfte Versprengte, die von ihren Begleitern getrennt worden waren» (Relatio de peregrinatione Saewulfi, 36). Auch andere Pilger berichten von der Unsicherheit ihrer Reisen. Einen Höhepunkt erreichte dies Ostern 1119, als eine große Gruppe von über 700 Pilgern zwischen Jerusalem und dem Jordantal überfallen wurde. Sie waren unbewaffnet und durch Fasten und die Strapazen der Reise geschwächt. In abgelegener Gegend gerieten sie in einen Hinterhalt, 300 wurden getötet, 60 gerieten in Gefangenschaft.

Es war vermutlich dieses Ereignis, das den Ausschlag zur Gründung der Gemeinschaft der Templer gab. So hebt bereits eine frühe Urkunde aus der Zeit um 1125 den Einsatz der Templer dafür hervor, dass die Pilger «sicherer zu den Heiligen Stätten aufbrechen können» (Cartulaire, 2). Die zeitgenössischen Quellen berichten aber nur wenig über die Anfänge des Ordens. In der um 1135 entstandenen Klosterchronik des Simon de St. Bertin etwa heißt es über die Brüder lediglich, sie hätten sich dem Tempel Gottes versprochen, der Welt und persönlichem Besitz entsagt und führten ein gemeinsames Leben keusch und in einfacher Kleidung, um das Land gegen die Angriffe der Heiden zu verteidigen.

Etwas ausführlichere Nachrichten entstammen erst den Chroniken vom Ende des 12. Jahrhunderts, als sich die Templer bereits fest etabliert hatten. Den umfangreichsten Bericht bietet die Chronik Bischof Guillaumes de Tyr aus den frühen 1180er Jahren, der unter anderem auch auf die Aufgaben der Templer im Pilgerschutz hinweist. Danach hätten sich (mit seiner Datierung) im Jahre 1118 gottesfürchtige Adlige aus dem Ritterstand zusammengefunden, sich dem Patriarchen von Jerusalem unterstellt und versprochen, nach dem Vorbild der regulierten Kanoniker, der nach einer Regel gemeinsam lebender Weltkleriker, keusch, gehorsam und in persönlicher Armut zu leben. Sie hätten vom König einen Teil seines Palastes, des palatium oder templum Salomonis, erhalten, der in Gemächer unterteilten Al-Aqsa Moschee sowie weitere Privilegien und Schenkungen von Adel und Kirche. Im Gegenzug hätten sie dem Patriarchen und den Bischöfen versprochen, nicht zuletzt für ihr eigenes Seelenheil, für den Schutz der Pilger zu sorgen. Als Anführer der Gruppe werden Hugues de Payns und Geoffroi de Saint-Omer genannt. Guillaume berichtet dann über die weitere Entwicklung, die aus der kleinen Gemeinschaft einen einflussreichen geistlichen Ritterorden werden ließ.

Diese Darstellung wird durch spätere, davon unabhängige Quellen bestätigt. Nach der Chronik des Bernard le Trésorier von 1232, die vermutlich auf eine ältere Vorlage der 1180/90er Jahre zurückgeht, hätten sich dem Prior des Heiligen Grabes auch zahlreiche Ritter unterstellt, die sich zum Schutz der Heiligen Stätten verpflichteten. Da sie nicht in ausreichendem Maß zum Einsatz gekommen seien, hätten sie sich mit Erlaubnis des Priors einen Anführer gewählt und den König von Jerusalem aufgefordert, sie im Kampf gegen die Ungläubigen einzusetzen. Schließlich habe der König sie nach Beratung mit den Baronen aus der Unterstellung unter den Patriarchen gelöst und ihnen Land und Burgen zu Verteidigung übergeben.

Die beiden jüngeren Berichte betonen gleichermaßen die aktive Rolle von Rittern, die sich bereits im Heiligen Land befanden und sich den dortigen geistlichen Institutionen, insbesondere dem Patriarchen bzw. den Chorherren vom Heiligen Grab, unterstellt hatten. Tatsächlich lassen sich Ritter nachweisen, die sich als militia Sancti Sepulchri («Ritterschaft vom Heiligen Grab») längerfristig oder auch als milites ad terminum auf Zeit zum Kriegsdienst im Heiligen Land verpflichtet hatten. Milites ad terminumRecueil