Univ.-Prof. Dr. Helmut Reinalter lehrt neuere Geschichte und politische Philosophie an der Universität Innsbruck.
Helmut Reinalter behandelt in diesem Buch die europäische Freimaurerei von ihren legendären Ursprüngen bis in die unmittelbare Gegenwart. Er stellt ihre Ziele, ihr Innenleben, ihre Organisationsstrukturen und Richtungen, ihr Verhältnis zu Staat, Politik, Gesellschaft, Kultur, Kirche und auch zu ihren Gegnern dar. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem Selbstverständnis der Freimaurerei und ihrer gesellschaftlichen Rolle und Wirkung.
Über die Entstehung der Freimaurerei haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Theorien, Mythen und Legenden entwickelt, die von den westeuropäischen Gilden-, Maurer- und Steinmetzzünften, Kathedralenbauern, Wandergesellen, Tempelrittern und Johannitern bis zur frühen Akademiebewegung und den aufgeklärten Sozietäten reichen. In der älteren freimaurerischen Historiographie werden auch direkte Linien zwischen den heutigen Bauhütten und den antiken Mysterienbünden und späteren Ritterorden herzustellen versucht, um die esoterisch-hermetischen Wurzeln der Freimaurerei aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang sind vor allem der Kult der Brahmanen, die Osiris-Legende, die Eleusinischen Mysterien, der Bund der Pythagoräer, der Mysterienkult der Essener, der Mithras-Kult, die Kabbala, die Gnosis, die Druiden und Barden zu nennen. Inwieweit für die Freimaurerei die europäische Form der Mystik im Neuplatonismus bestimmend wurde, ist ungeklärt. Es könnten zumindest einzelne Elemente in die Freimaurerei und insbesondere in die Hochgrade eingeflossen sein. Erkenntnis als Schau der Vernunft in sich selbst und die oberste Stufe der Erkenntnis als „Schau des Höchsten“ weist zumindest auf das freimaurerische Gradsystem hin. Auch Mystik als Erfahrung und als starke Quelle menschlicher Kraft zeigt masonische Verbindungen auf. Dazu kamen noch die beruflichen Zusammenschlüsse der Handwerker und die Ritterorden. Die hier erwähnten Mysterienbünde können nur mit größtem Vorbehalt als mögliche esoterische Wurzeln der Freimaurerei angesehen werden. Mit wissenschaftlicher Gewißheit lassen sich solche Entwicklungslinien nur schwer festmachen. Als wesentlich konkretere Vorstufen der modernen Freimaurerei findet man in der Literatur auch öfters die beruflichen Zusammenschlüsse der Handwerker und der Ritterorden, wie z.B. der Malteserorden und der Templerorden. Die Templertheorie stützt sich auf das hohe Ansehen der Ordensangehörigen als Bauherren und baut auf der Hypothese auf, daß der Orden trotz seiner Verurteilung und Verfolgung seine Weiterentwicklung sichern wollte. Der Großmeister Pierre d’Aumont, der zusammen mit zwei Kommandeuren und fünf Rittern nach Schottland floh, soll vom schottischen König Robert I. Bruce freundlich aufgenommen worden sein und Templer um sich gesammelt haben. Diese Gruppe soll die Logen als Organisationsträger instrumentalisiert haben. Eine weitere These geht von der älteren Rosenkreuzer-Bruderschaft als Ursprung der Freimaurerei aus.
Als die eigentlichen Vorläufer der Freimaurerei gelten jedoch heute in der freimaurerischen Forschung die handwerklichen Bruderschaften, auf deren Brauchtum sehr viel maurerisches Gedankengut zurückgeführt werden kann, und die Bauhütten, die überall dort entstanden, wo Dome gebaut wurden. Sie setzten sich aus Mitgliedern des Steinmetzstandes zusammen, nahmen aber auch Maurer und Decker auf. Während der Reformation wurde den Bauhütten der Vorwurf gemacht, sie würden geheime Zusammenkünfte abhalten und die Gesetze des Staates und der Kirche mißachten. So verloren sie – auch aufgrund der Folgen negativer ökonomischer Auswirkungen durch den Hundertjährigen Krieg – langsam an Bedeutung und wurden schließlich im Laufe des 17. Jahrhunderts größtenteils aufgelöst. Die französischen Compagnonnages, die historisch bis ins Mittelalter zurückgehen, aber erst im 16. Jahrhundert historisch manifest werden, umfaßten Gesellen, die intern gegliedert waren.
Für die weitere Entwicklung der Freimaurerei wurde dann später der Umstand bedeutsam, daß die Gilden in England auch Nicht-Werkmaurer in ihre Reihen aufnahmen. Nach englischer Definition ist die spekulative Freimaurerei – zum Unterschied von der Werkmaurerei, der sie entsprang –, „ein besonderes, in Allegorien gekleidetes und durch Symbole dargestelltes Moralsystem“ (zit. nach: Die Entwicklung der Freimaurerei, S. 28). Um 1670 überwogen bereits in einzelnen Logen die Nicht-Werkmaurer, so daß die Forschung annahm, es habe sich um die innere Gilde der Steinmetzen ein äußerer Ring gebildet, der sich aus Lieferanten, Söhnen von Maurern, Ortsgeistlichen, Bauhandwerkern verwandter Berufe, Zimmerleuten, Spenglern und Glasmalern zusammensetzte, die sich später in den inneren Ring integrierten und dann 1717 in London neu formierten. Am 24. Juni 1717 kam es durch fünf Londoner Logen zur Gründung einer Großloge, deren erster Großmeister Anthony Sayer war. Dieser Gründungsakt und der Anspruch, die erste Großloge im modernen Sinne konstituiert zu haben, ist eine historische Theorie, die nicht eindeutig quellenmäßig belegt werden kann, zumal auch kein Gründungsprotokoll überliefert ist.
Der Freimaurerbund breitete sich zunächst im britischen Inselreich aus, ehe er auch auf dem Festland, in Frankreich, in den Niederlanden, in Deutschland und Österreich Fuß zu fassen begann. Er gelangte über mehrere Etappen nach Wien. Im Jahre 1737 wurde die „Loge d’Hambourg“ gegründet und 1738 Friedrich II. von Preußen als Kronprinz in einer Deputationsloge aus Hamburg in den Bund aufgenommen. Unter seinem Protektorat stand die 1741 in Leben gerufene Loge „Aux Trois Globes“ in Berlin, die spätere Großloge „Zu den drei Weltkugeln“. Von Berlin aus wurde dann auch am 18.5.1741 die Loge „Aux Trois Squelettes“ errichtet, die unter der Hammerführung von Fürstbischof Philipp Gotthard Graf Schaffgotsch in Breslau arbeitete. Ein Mitglied dieser Loge, Reichsgraf Albrecht Joseph von Hoditz, nahm dann in Wien die Einsetzung der Loge „Aux Trois Canons“ vor. Die ersten Logenmitglieder waren größtenteils schon früher außerhalb Österreichs in den Freimaurerbund aufgenommen worden.
In der Habsburgermonarchie hat Prag eine Sonderstellung eingenommen. Die neuere Forschung betont, daß dort frühestens 1735 eine Loge bestanden haben könnte, während sich die alte Auffassung, daß auf Betreiben des Reichsgrafen Franz Anton Sporck eine Bauhütte schon 1726 entstanden sei, als falsch herausstellte. Franz Stephan von Lothringen, der 1731 von einer nach dem Kontinent entsandten Deputation der englischen Großlogen im Haag in den Freimaurerorden aufgenommen wurde, erhielt ein Jahr später in London den Meistergrad. Seiner Intervention ist es höchstwahrscheinlich zu verdanken, daß die 1738 von Papst Clemens XII. gegen die Freimaurerei erlassene Bannbulle in der Habsburgermonarchie nicht wirksam wurde und auch die zweite Bulle 1751 von Papst Benedikt XIV. in Österreich keine Anerkennung gefunden hat.
Die erste Wiener Loge bestand nur kurze Zeit. Vom 17.9.1742 bis 7.3.1743 wurden 49 Aufnahmen vorgenommen und zahlreiche Gesellen- und Meistererhebungen durchgeführt. Die Aufhebung der Loge erfolgte 1743 durch Polizeigewalt.
In der englischen Freimaurerei trat mit dem Großmeister John Théophilus Désaguliers 1719 eine wichtige Änderung ein, weil nun eine große Anzahl von bedeutenden und einflußreichen Männern in die Logen eintrat und gleichzeitig auch die Diskussion eröffnet wurde, die dann zum Konstitutionenbuch von 1723 führte. Es folgte ein relativ rascher gesellschaftlicher Aufstieg der Freimaurerei, der von einer starken Ausdehnung der Großloge begleitet war. Auch Désaguliers’ gesellschaftliche Bemühungen hatten Erfolg: 1737 erhielt der Prinz of Wales das Licht, wodurch das Ansehen der englischen Freimaurerei gesteigert wurde. Als protestantischer Geistlicher tätig, befaßte sich Désaguliers intensiv mit den Naturwissenschaften, war mit Newton befreundet und Mitglied der Royal Society in London, die zu einem Zentrum der Rosenkreuzer und der frühen Freimaurerei wurde.
Ein schottischer katholischer Adeliger, Chevalier de Ramsay, galt als wichtiger Förderer der Freimaurerei in Frankreich. Zu den Mitgliedern der französischen Logen zählten weniger als in England die Adeligen, sondern mehr die Intellektuellen, die Achtung besaßen und das Kultur- und Geistesleben in Frankreich nachhaltig beeinflußten. Chevalier Ramsay wurde Erzieher des Sohnes des vertriebenen Königs Jakob III., Eduard Stuart. 1728 hatte sich die englische Großloge geweigert, ihn als Bruder aufzunehmen, da er sich für eine tiefgreifende Reform der Freimaurerei aussprach. 1736 war er nach Frankreich zurückgekehrt und spielte bald in der französischen Freimaurerei eine führende Rolle.
Für die Entwicklung der Aufklärungsgesellschaften waren staatliche Vorschriften als Rahmenbedingungen bestimmend. Der Spielraum hing praktisch völlig von dem Ausmaß staatlicher Einflußnahme ab. Über die Motive für die Gründung verschiedener Gesellschaften läßt sich allgemein sagen: diese spezifische Art freiwilliger und partieller Vergesellschaftung war dort am stärksten ausgeprägt, wo einerseits die Verbindlichkeit ständisch-korporativer Lebensgestaltung abnahm oder schwand, während sich andererseits im Bürgertum neue Bedürfnisse und Interessen herausbildeten, die nicht mehr nur auf das engere Berufsfeld und Standesleben bezogen waren. Die Mitglieder der Sozietäten schlossen sich zu freier Geselligkeit zusammen und strebten Freundschaft und menschliche Bindungen an. Zugleich wollten sich die Mitglieder gegenseitig belehren, voneinander lernen und sich bilden, um vernünftig und aufgeklärt zu werden; sie wollten für sich das zu erreichen versuchen, was im 18. Jahrhundert mit „Glückseligkeit“ bezeichnet wurde. Die Gesellschaften setzten sich aber auch gemeinnützige Ziele, wie die Förderung des Gemeinwohls und die Verbesserung gesellschaftlicher Zustände. Das Bekenntnis zur Aufklärung war allen Gesellschaften gemeinsam.
Ihre Grundlage war der sich allmählich herausbildende moderne Staat mit seiner Beamtenschaft und die beginnende Emanzipation des Bürgertums in Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft. Im Prozeß bürgerlicher Emanzipation stellten sie eine wichtige Etappe zwischen feudaler Korporation und bürgerlicher Assoziation dar. Zur Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit trugen sie wesentlich bei, können als deren Medien aber noch nicht bezeichnet werden. Sie waren eine Erscheinungsform des tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformationsprozesses. In den Aufklärungsgesellschaften wurden zum erstenmal über konfessionelle Grenzen, staatliche und ständische Interessen hinweg gemeinsame, für die ganze Gesellschaft verbindliche Anliegen vertreten. Ihre Zahl und ihre Bedeutung nahmen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts stark zu, bald war in ihnen eine erheblicher Teil des Bürgertums organisiert.
Unter diesen Sozietäten waren die Lesegesellschaften am verbreitetsten. Sie entstanden aus Gruppen literarisch und wissenschaftlich interessierter Bürger und erweiterten sich seit ca. 1770/75 zu Lesekabinetten, die eigene Räume, manchmal sogar eigene Häuser, eine Präsenzbibliothek, auch Schreibund Unterhaltungszimmer besaßen. Ihre Mitglieder gehörten dem gehobenen Bürgertum und der literarischen und philosophischen Intelligenz an; untere Gesellschaftsschichten blieben weitgehend ausgeschlossen. Ziel war die „Förderung der Wissenschaften“ und „die Verfeinerung der Sitten“. Dies deckte sich weitgehend mit den Vorstellungen der Aufklärung und deutete darauf hin, daß trotz unterschiedlicher Auffassungen in der Interpretation dieser Bewegung ein annähernd einheitliches Selbstverständnis der Aufklärer bestanden hat. Die Bedeutung der Lesegesellschaften lag im Lektüreangebot, da dadurch das Informationsbedürfnis abgedeckt werden konnte. Die Lesegesellschaften formten den geselligen Umgang der Mitglieder untereinander neu, denen das Bedürfnis nach Wissenserweiterung gemeinsam war. Dabei ging es vor allem um bessere Information und gemeinsame Aussprache über die Ereignisse der Zeit.
Die patriotischen und gemeinnützigen Gesellschaften waren stark nach außen gewandt und gesellschaftlich engagiert. Dieses Ziel versuchten sie durch die Erprobung und Einführung technisch-ökonomischer Neuerungen und soziale Aktivitäten zu erreichen. Zu ihnen zählte eine Vielzahl unterschiedlicher Sozietäten, wie z.B. die ökonomischen oder Ackerbaugesellschaften, die als politische und wirtschaftliche Mobilisierungsinstrumente der monarchischen Zentralgewalt eine wichtige Funktion ausübten. Sicher hat auch die rasche Verbreitung der physiokratischen Lehren die Bemühungen um eine Reform der Landwirtschaft entscheidend beeinflußt. Die ökonomischen Sozietäten entstanden vor allem in Österreich auf Empfehlung von oben. Die Regierungen erhofften sich von der Errichtung regionaler Ackerbaugesellschaften eine kontinuierliche Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion.
Eine wichtige Rolle kam schließlich im Prozeß der Aufklärung neben den hier erwähnten Gesellschaften auch der Freimaurerei und den Geheimbünden zu. Im Mittelpunkt der Logen, in denen sich ihre als Weltbürger verstehenden Mitglieder eine selbst geschaffenen Ordnung gaben, stand die ritualisierte Freundschaft, die in der Trennung von der Außenwelt, jenseits der ständisch aufgebauten Gesellschaft, der Konfessionen und Staaten erlebt wurde. Durch das Fehlen eines eigenständigen, wirtschaftlich starken Bürgertums und durch die strukturelle Krise des späten Absolutismus war aber die Freimaurerei rasch als Mitträger der Aufklärungsbewegung zurückgedrängt worden. Ihr Niedergang führte schließlich zu einer Aufspaltung in verschiedene ideologisch-politische Richtungen und zur Gründung entgegengesetzt orientierter Geheimgesellschaften, wie Rosenkreuzer, Asiatische Brüder und Illuminaten.
In der Zeit von Juli bis September 1782 tagte in Wilhelmsbad bei Hanau ein internationaler Freimaurerkonvent, der wegen der Ausuferung der regulären schottischen Hochgradmaurerei in Europa, des Auftretens unseriöser Konkurrenten, Fehlentwicklungen in System und Ritual und wegen Abspaltungsversuchen und Legitimationsproblemen einberufen wurde. Alle diese Bestrebungen weckten in breiten Freimaurerkreisen die Hoffnung auf eine schon längst notwendige Neuordnung. In dieser für die Freimaurerei schwierigen Zeit fand der erwähnte Konvent statt, auf dem sehr heterogene esoterisch-ideologische Strömungen hervortraten. Die drei Hauptgruppen umfaßten die Anhänger verschiedener hermetisch-alchemistischer Traditionen, die französischen Vertreter des mystisch-spiritualistisch-martinistischen Lyoner-Systems sowie die Rationalisten und Aufklärer. Nach diesem Konvent entstand der „Eklektische Bund“ in Frankfurt, der vorsah, daß nur mehr die drei Johannisgrade (Lehrlings-, Gesellen- und Meistergrad) künftig als verbindlich anerkannt werden sollten.
Daneben entstand im 18. Jahrhundert auch die Bruderschaft der Gold- und Rosenkreuzer, die durch die Aufhebung des Prager Zirkels 1764 öffentlich bekannt wurde. In diesem Kreis existierte bereits eine enge Verbindung zwischen Freimaurern und Rosenkreuzern. Das Eindringen der Rosenkreuzer in die Logen wurde vor allem durch das Hochgradsystem begünstigt. Die Rosenkreuzer gaben sich innerhalb dieses Systems als die höchste Stufe der Freimaurerei aus. Das Herrschaftssystem des Ordens wurde durch die Hierarchie des Wissens gefestigt. Das Anliegen der Bruderschaft war religiöser Natur. Nach 1767 breitete sie sich rasch aus und gewann auch zusehends politischen Einfluß.
Der der Bruderschaft der Rosenkreuzer entgegengesetzte Geheimbund der Illuminaten wurde 1776 in Ingolstadt gegründet. Den Anlaß bildete eine von Adam Weishaupt vermutete und gegen die Aufklärung gerichtete Verschwörung von Exjesuiten und Rosenkreuzern. Ideologisch war er von der radikalen, materialistischen französischen Aufklärungsphilosophie abhängig, womit er wesentlich über die Freimaurerei hinausging.
Freimaurerei und Geheimbünde haben zweifelsohne als gesellschaftliche Formationen die Aufklärung entscheidend mitgeprägt. In ihnen wurden schon vor der Französischen Revolution z.T. demokratische Formen der Willensbildung entwickelt, zumal die Gesamtheit der Mitglieder die letzte Entscheidungsgewalt besaß. Die Ämter der Gesellschaft, ihre Ausschüsse, Kommissionen, Versammlungen und ihre Gesetzgebung waren im Sinne der Mitbestimmung aller Glieder nach dem Mehrheitsprinzip das Abbild eines republikanischen Verwaltungssystems. Das Überwinden von territorialen, konfessionellen und sozialen Schranken war ein wesentlicher Bestandteil des humanitären und gesellschaftlichen Verständnisses der Freimaurerei dieser Zeit.
Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch das komplexe Verhältnis der Freimaurerei zur Revolution. Die Freimaurerei war bei der geistigen Vorbereitung der Revolution durch das kulturelle, humanitäre und gesellschaftliche Engagement ihrer Mitglieder direkt und indirekt beteiligt, zumal die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse des Ancien Régime und aufgeklärten Absolutismus trotz Reformen noch immer im Gegensatz zu den maurerischen, humanitär-ethischen Anliegen standen. Die Freimaurerei als Organisation lehnte zwar aus prinzipiellen Gründen den revolutionären, gewaltsamen Umsturz ab, da sie ein klares Bekenntnis zur staatlichen Ordnung ablegte, doch war sie andererseits bereit, einen Bruder, der sich an einer Rebellion oder Revolution beteiligt hat, nicht auszuschließen.
Die Freimaurerei geriet mit ihrer Befürwortung der Toleranz und Freiheit sowie mit dem Bestreben nach Hebung der allgemeinen Bildung, Abbau der Standesvorrechte und Beseitigung der sozialen Ungerechtigkeiten stark in die Nähe der politischen Spätaufklärung und Frühphase der Französischen Revolution. Das hier angesprochene politische Verständnis war allerdings z.T. noch vorrevolutionär und dem Ideologisierungsprozeß der politischen Spätaufklärung entsprungen, gleichzeitig aber bereits – sofern es sich um Vorstellungen handelte, die nach 1789 entwickelt wurden – von der Französischen Revolution beeinflußt. Vor 1789 war das Republikverständnis noch stark moralisch verankert und stellte daher nur eine ethische Bedrohung des Staates dar. Nach 1789 wird dieses Verständnis politischer, da die Französische Revolution die ungleichen Hierarchien der Gesellschaft durch das Prinzip der Gleichheit ersetzte und damit ein wichtiges freimaurerisches Postulat, das bereits vor 1789 in den Logen zu praktizieren versucht wurde, realisierte. Während vor 1789 in den Logen noch deutlich die aufklärerische Tendenz einer ständetranszendierenden gesellschaftlichen Bewegung spürbar war, änderte sich diese Einstellung bei jenen Freimaurern, die sich zu einem konsequenten bürgerlichen Demokratismus bekannten. Diese Gruppe innerhalb der Logen wurde zu revolutionären Demokraten, die allerdings eine Minderheit bildeten. Entscheidend war für sie, und darin hoben sie sich von den reformerischen Aufklärern ab, die Tatsache, daß durch Reformen keine grundlegende Änderung der Gesellschaftsordnung erreicht werden könne. Sie forderten die politische Gleichheit und Freiheit aller Bürger, unabhängig von Herkunft, Besitz und sozialer Stellung. Bei ihnen war letztlich das Revolutionsverständnis entscheidend.
Wurde der Bruch mit der traditionellen politisch-sozialen Ordnung des Ancien Régime schon durch die Politisierung und Ideologisierung der Aufklärung vorbereitet, so drohte durch die Französische Revolution 1789 die Sprengung des gesamtgesellschaftlichen Gefüges. Durch Säkularisation, Mediatisierung und Reichsauflösung brach die deutsche Staatenwelt zusammen. Die Niederlage Preußens 1806/07 und die territorialen Umwälzungen erzwangen tiefgreifende politische und gesellschaftliche Reformen, an denen auch Freimaurer maßgeblich beteiligt waren. Der Zusammenstoß zwischen dem revolutionären Frankreich und den Mächten des alten Europa führte zu einer völligen Umgestaltung der politischen und territorialen Lage, die auf dem Wiener Kongreß nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Die entscheidende Bedeutung der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert lag daher in der Spannung von Revolution, Reform und restaurativen Tendenzen, die über 1815 hinaus im Konflikt zwischen den Verteidigern des Ancien Régime und den neu entstehenden nationalliberalen Bewegungen fortdauerte. Freimaurer fanden sich auf beiden Seiten dieses Konflikts.
Der entscheidende Übergang fand seinen Ausdruck im säkularen Wandel, der mit der westeuropäischen Doppelrevolution am Ausgang des 18. Jahrhunderts eingeleitet und vielfach mit dem Beginn der Moderne gleichgesetzt wurde. Mit der industriellen Revolution in England wurde das technischindustrielle Zeitalter eingeleitet und damit ein Prozeß des beschleunigten Wachstums, des technologischen Wandels und der sozialen Veränderungen, während die Ergebnisse der politisch-sozialen Revolution in Frankreich mit dem Abbau ererbter Privilegien, der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte und der beginnenden Demokratisierung verbunden waren. Freimaurer setzten sich hier an die Spitze dieser Entwicklung. Die Zeit der Französischen Revolution und der napoleonischen Herrschaft verdeutlicht die politische Auseinandersetzung zwischen revolutionärer und vorrevolutionärer Gesellschaftsordnung. Die deutschen Reformstaaten standen vor der Aufgabe, ihre eigenen historischen Traditionen mit den revolutionären Herausforderungen von außen in Einklang zu bringen. Die gesellschaftlichen Mischformen, die sich in dieser Übergangsphase herausgebildet haben, zeigten zum Teil traditionelle und moderne Elemente, heterogene Gesellschaftsformen, auch Möglichkeiten, mit modernen Mitteln traditionelle Herrschaftsziele durchzusetzen. Der Verlaufsprozeß war stark von Schüben und Rückentwicklungen, von Refeudalisierung und Modernisierung geprägt. In diesem Spannungsverhältnis muß auch die Freimaurerei dieser Zeit mit ihren Reformansätzen gesehen und beurteilt werden.
Zweifelsohne sind diese Umbrüche und Veränderungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als teilweise Fortführung der Errungenschaften der Aufklärung und Französischen Revolution zu sehen und als umfassende Emanzipationsbewegung zu deuten. Der Reformprozeß dieser Zeit wurde allerdings in erster Linie von der Staatsspitze vorangetrieben, so daß man in diesem Zusammenhang auch den Begriff „Revolution von oben“ verwendet hat. Die erste revolutionäre Veränderung der Verhältnisse innerhalb des Reiches, jene in den linksrheinischen Gebieten, erfolgte tatsächlich „von oben“ bzw. „von außen“.
Auch die Stein-Hardenbergschen Reformen in Preußen sind als Antwort auf die Französische Revolution und die napoleonische Herausforderung zu sehen. Hardenberg und Stein waren selbst Freimaurer. Sie waren davon überzeugt, daß ohne grundlegende Reformen in Staat und Gesellschaft im napoleonischen Europa keine Überlebenschance mehr bestand.
Alle großen Forderungen der Zeit wurden als Emanzipationsforderungen aufgefaßt. In der Tat waren Restauration, Romantik und dann besonders der Vormärz in ihrem Kern und in ihrer Grundstruktur durch den Aufstieg des Bürgertums und die Ausformung der bürgerlichen Gesellschaft bestimmt. Das Ringen um die Emanzipation sozialer und humanitärer Gruppen, wie z.B. die Freimaurerei, verdeutlicht die Vielfalt und Komplexität der Probleme des Übergangs zu einer neuen, auf die Freiheit des Individuums und des Eigentums gegründete Gesellschaftsform. Agrarreformen, Gewerbereformen, Gemeindereformen, Schul- und Universitätsreformen, die Freimaurer aktiv mitgestaltet haben – alle diese gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen waren Teile eines umfassenden gesellschaftlichen Emanzipationsprozesses, durch den die Fesseln der alten Gesellschaft zuerst gelockert und dann langsam aufgesprengt wurden. Von dieser Entwicklung konnte die Freimaurerei trotz ihrer spezifisch inneren Ausformung nicht unberührt bleiben, und vor diesem gesellschaftlichen Veränderungsprozeß müssen daher auch die verschiedenen Reformansätze innerhalb der Freimaurerei gesehen werden.
Die 1815 durch den Wiener Kongreß geschaffenen Rahmenbedingungen bestimmten für mehrere Jahrzehnte auch die Formen der Durchsetzung bürgerlicher Gesellschaft. Der zunehmende Widerspruch zwischen der politischen Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft und einer staatlichen Ordnung, die trotz Modernisierung durch Verfassungen und Reformen auf die Konservierung vorbürgerlicher Herrschaftsstrukturen angelegt war, bildete eine der Grundtendenzen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dieser Widerspruch führte schließlich über mehrere politische und soziale Einzelkonflikte in eine gesamtgesellschaftliche Systemkrise, die sich in der Revolution 1848/49 entlud.
Die Reformbestrebungen innerhalb der Freimaurerei im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhunderte bezogen sich nicht nur auf die Organisation der Großlogen, sondern betrafen auch inhaltliche Probleme der Arbeit und des Brauchtums. Besonders zu erwähnen sind hier die deutschen Freimaurer Knigge, Fichte, Schröder und Fessler, die sich an die Spitze der Reformbestrebungen stellten. Es ging ihnen u.a. vorrangig um eine Modernisierung der Logenverfassungen, des Rituals, um eine Anpassung der freimaurerischen Arbeit an die Strömungen der Zeit und um einen zielbewußten Aktivismus, ohne allerdings gewachsene Traditionen über Bord zu werfen.
Am 20. Oktober 1798 erließ König Friedrich Wilhelm III. ein Gesetz „wegen Verhütung und Bestrafung geheimer Verbindungen, welche der allgemeinen Sicherheit nachteilig werden könnten“. Dieses Edikt wurde als ein politischer Wendepunkt in der Geschichte der brandenburgisch-preußischen Freimaurerei angesehen und verdeutlicht die enge Wechselbeziehung zwischen Politik und Freimaurerei. Diese enge Verbindung läßt sich auch am Beispiel der Schweizer Freimaurer als Wegbereiter des Bundesstaates von 1848 deutlich aufzeigen, ein Entwicklungsprozeß, der 1798 mit dem Zusammenbruch der alten Eidgenossenschaft einsetzte und 50 Jahre dauerte. Schweizer Freimaurer waren maßgeblich an dieser Entwicklung und an der Gründung des Bundesstaates beteiligt.
In Österreich verlief die Geschichte der Freimaurerei etwas anders als in Deutschland. Hier war das Jahr 1798 mit Sicherheit keine Wende, weil der Regierungsbeginn Kaiser Josephs II., die Gründung der Großen Landesloge von Österreich 1784 und das kaiserliche Handbillett von 1785 tiefere Einschnitte darstellten. Eine zweite, vielleicht noch wichtigere Zäsur erfolgte mit Kaiser Franz II. und dessen Kriminalpatent von 1795, mit dem die Freimaurerlogen und Geheimgesellschaften in den k.k. Staaten verboten wurden. Das kaiserliche Handbillett Josephs II. vom 11. Dezember 1785 stand in einem engen Zusammenhang mit der Gründung der österreichischen Großen Landesloge von 1784, mit der die Einigung und Zusammenfassung sämtlicher Bauhütten in der Habsburgermonarchie