Über das Buch:
Britisch-Kolumbien 1862: Arabella Lawrence ist mit dem Brautschiff nach Kanada gekommen, um einen Neuanfang zu wagen. Obwohl sie aus einer wohlhabenden Familie stammt, hatte sie gute Gründe, ihre Heimat zu verlassen – ihre Narben erinnern sie jeden Tag daran. Als eine der wenigen noch unverheirateten Frauen in der Kolonie hat sie gleich zwei Verehrer, die nicht unterschiedlicher sein könnten: der eine ein angesehener Leutnant, der andere ein einfacher Bäcker. Allerdings gehen ihre Ansichten zum Umgang mit den Ureinwohnern während der Pockenepidemie weit auseinander. Als Arabella schließlich ein Mädchen findet, das von seinem Stamm zurückgelassen wurde, gerät sie in eine äußerst schwierige Lage …

Über die Autorin:
Jody Hedlund lebt mit ihrem Mann, den sie als ihren größten Fan bezeichnet, in Michigan. Ihre 5 Kinder werden zu Hause unterrichtet. Die Zeit, die ihr neben dieser Tätigkeit noch bleibt, widmet sie dem Schreiben.

Kapitel 7

»Du solltest stets ein Lächeln auf den Lippen haben. Du musst immer anmutig und leichtfüßig auftreten.«

Während Arabella mit dem Schläger die harte rote Kugel über den Rasen beförderte, konnte sie die Anweisungen ihrer Stiefmutter so deutlich hören, als stünde sie neben ihr.

»Sehr gut, Miss Lawrence«, sagte Leutnant Drummond hinter ihr, obwohl ihre Kugel weit von dem kleinen Tor entfernt liegen geblieben war.

Arabella zwang sich wie schon während des gesamten Croquetspiels beharrlich weiterzulächeln und setzte sich in Bewegung.

»Sie lernen sehr schnell.« Der Leutnant schlenderte neben ihr her.

»Danke, Leutnant Drummond.« Sie versuchte, sich in ihrem schweren Reifrock so elegant wie möglich über den Rasen des Regierungsgeländes zu bewegen, wo der Leutnant und mehrere andere Offiziere das Croquetspiel aufgebaut hatten. Sie hatten Arabella und einige andere Damen eingeladen, ihnen Gesellschaft zu leisten.

Obwohl dieses Spiel, bei dem die Croquetkugeln durch mehrere Törchen gespielt und dabei gleichzeitig die Kugeln der Gegner weggedrängt werden mussten, ganz England eroberte, hatte es keine der Damen je zuvor gespielt. Die Herren brachten es ihnen geduldig bei.

Der Sonntagnachmittag war genauso kurzweilig wie die Regatta am Tag zuvor. Der Sonnenschein war warm und der weiche Boden unter Arabellas Füßen tat nach den vielen Monaten auf dem Schiff gut. Als der Wind an dem Spitzenkragen ihres Mieders zerrte, hielt sie den Stoff hastig fest, damit ihr Hals bedeckt blieb.

»Vielleicht beim nächsten Schlag ein wenig weiter nach rechts«, schlug der Leutnant vor und schwang lässig seinen Schläger. In seiner Marineuniform machte er eine eindrucksvolle Figur. Sein dunkler Schnurrbart war ordentlich gepflegt und seine Koteletten waren sauber geschnitten. Arabella sah ihm an, dass er sich besonders viel Mühe gegeben hatte, sich für diesen Nachmittag herauszuputzen.

Sie hatte sich für den morgendlichen Gottesdienstbesuch auch schön gemacht und trug immer noch das hellblaue Seidenkleid mit den kurzen Ärmeln und dem Cape mit spanischer Spitze, obwohl sie den Hut aus blauem Samt mit silberner Kordel gegen einen breitkrempigen Strohhut, den blaue Kunstblumen zierten, getauscht hatte.

Trotz der vornehmen Gesellschaft und des unterhaltsamen Spiels wanderte ihr Blick immer wieder zu der Mülltonne im hinteren Teil des Hofs und ihre Gedanken kehrten zu dem Indianerkind zurück, das sie am Morgen dort gesehen hatte. Die Erinnerungen an das kleine Mädchen führten sie unweigerlich zu Pete und dem Kümmelkuchen, den sie zusammen gebacken hatten. Sie schämte sich, dass sie sich am Ende so undankbar benommen hatte. Es hatte sie schon den ganzen Tag verfolgt, selbst während des Gottesdienstes und des anschließenden Essens.

Einerseits wusste Arabella, dass sie diese heimlichen Treffen nicht fortsetzen sollte. Sie entwickelte schon jetzt erste Zweifel daran, ob sie für einen Mann aus der Oberschicht überhaupt geeignet war.

Andererseits konnte sie es nicht erwarten, wieder zu backen. Die Frauen hatten ihren Kümmelkuchen gelobt und begeistert verspeist. Die Komplimente hatten ein Glücksgefühl in ihr ausgelöst. Eines, das sie gern wieder erleben wollte.

Ja, Arabella hatte den köstlichen Kuchen und die Reaktionen darauf sehr genossen, aber gleichzeitig hatten sie Schuldgefühle geplagt, weil sie nicht ganz ehrlich zu den anderen Frauen gewesen war und sie in dem Glauben gelassen hatte, Pete hätte ihr nur die Backanleitung gegeben und wäre dann wieder gegangen. Die Gewissensbisse waren im Laufe des Nachmittags immer stärker geworden. Zu allem Überfluss hatte sie die Frauen gebeten, den Herren – und ganz besonders Leutnant Drummond – nichts von ihrem Kuchen zu verraten.

Die Frauen verstanden ihre Bitte natürlich. Die Hausarbeiten, zu denen sie in der Kaserne gezwungen waren, waren ihnen allen unangenehm. Sie hatten alle neidisch zugesehen, als zwei weitere Frauen, Louisa und Charlotte Townsend, am Nachmittag ausgezogen waren. Die beiden wohnten jetzt bei den Pringles, alten Freunden der Familie, die aus New Westminster nach Victoria ausgewandert waren. Die Schwestern erwartete ein luxuriöses Leben, wie sie es aus England kannten. Sie brauchten sich keine Sorgen um ihre Zukunft zu machen.

»Ich gebe zu«, sagte Leutnant Drummond, »es überrascht mich ein wenig, dass Sie in England keine Gelegenheit hatten, Croquet zu spielen.«

Arabella lag die Frage auf der Zunge, wie der Leutnant auf die Idee komme, da sie doch als alte Jungfer zurückgezogen im Haus ihres Vaters gelebt habe. Aber sie schluckte die Worte hinunter.

»Sprich in Gesellschaft nie deine eigenen Angelegenheiten an. Solche Themen interessieren andere nicht.«

Erneut bestimmten die Anweisungen ihrer Stiefmutter ihre Antwort: »Ich sehe, dass Sie das Spiel sehr gut beherrschen«, lenkte sie das Gespräch von sich weg. »Sie sind offenbar ein Naturtalent.«

»Vielleicht«, antwortete er mit einem leichten Lächeln. Er blieb neben seiner Kugel stehen, baute sich mit perfekter Körperhaltung auf und bewegte dann den Schläger so präzise, dass die Kugel zuerst durch ein Törchen und dann auch noch durch das nächste rollte.

»Ich bin beeindruckt, Leutnant Drummond.«

»Wenn es Ihnen Freude bereitet, mir beim Croquet zuzusehen, würde es Ihnen gewiss auch gefallen, mich beim Pferderennen zu erleben.«

»Das kann gut sein.« Sie war zwar noch nie bei einem Pferderennen gewesen, aber das gab sie lieber nicht zu, um nicht erneut zu offenbaren, wie wenig sie bisher herumgekommen war. Er brauchte nicht zu wissen, wie langweilig ihr Leben in den letzten Jahren ausgesehen hatte.

Als er anfing, den kürzlich gegründeten Jockeyklub und seine eigene Rolle darin zu beschreiben, bemühte Arabella sich um möglichst kluge Gesprächsbeiträge und hoffte, sie würde nicht zu unwissend wirken. Als der Nachmittag zu Ende ging, war sie nicht sicher, was für einen Eindruck sie bei Leutnant Drummond hinterlassen hatte, aber als er sich verabschiedete, wirkte er recht zufrieden.

»Mögen die Männer uns?«, flüsterte Miss Spencer, sobald die Offiziere das Tor hinter sich geschlossen hatten.

Arabellas Hände waren in den Handschuhen ganz schwitzig geworden. »Natürlich mögen sie uns, Miss Spencer.« Aber während sie die junge Frau beruhigte, fühlte sie sich selbst völlig unzulänglich. Sie war zu alt, zu ungebildet und alles andere als weltgewandt. Sie hatte sich zwar nach Kräften bemüht, sich wie eine perfekte Dame zu benehmen, aber würde Leutnant Drummond sie wiedersehen wollen? Er war zu höflich, um etwas Abfälliges über sie zu sagen, aber er und die anderen Offiziere hatten bestimmt darüber gesprochen, dass die Damen auf dem Brautschiff möglicherweise nicht Englands erste Wahl waren, sondern Frauen, die noch keine Männer für sich hatten interessieren können.

Hatten sie die strapaziöse Schiffsreise auf sich genommen, um von den hiesigen Männern ebenfalls abgelehnt zu werden? Arabellas Kehle schnürte sich zu. Das Schweigen ihrer Begleiterinnen verriet, dass sie ähnliche Gedanken quälten.

Kapitel 8

Arabella ging in der Küche auf und ab und blieb schließlich vor dem Fenster stehen. Das Morgenlicht vertrieb bereits die letzten Schatten der Nacht. Die anderen Frauen würden bald aufwachen, was bedeutete, dass ihre Zeit zum Backen schwand.

»Wo sind Sie, Pete?«, fragte sie und zog die Vorhänge auf, um einen Blick in den Hof zu werfen.

Nach dem Kümmelkuchen am Sonntag war Pete auch am Montag und Dienstag vor Tagesanbruch mit einem Korb voll frisch gebackener Brote und einem zweiten mit den Zutaten für einen Kuchen gekommen. An einem Morgen hatten sie einen Sandkuchen gebacken und am nächsten einen Rosinenkuchen. Die Rezepte waren ähnlich gewesen und sie hatte den Teig so kräftig schlagen müssen, dass ihr Arm heute noch davon schmerzte.

Obwohl sie wegen dieser Treffen immer noch sehr gemischte Gefühle hatte, konnte sie Petes Besuche nicht ablehnen. Sie wollte das gemeinsame Backen nicht beenden, da es sie mit einer unbeschreiblichen Befriedigung erfüllte, aus gewöhnlichen Zutaten etwas so Köstliches und Schönes zu schaffen.

Arabellas Blick wanderte an den Vorhängen vorbei auf den verlassenen Hof und zu den Mülltonnen. Sie hatte jeden Morgen nach dem Indianerkind Ausschau gehalten und eine Portion des Abendessens beiseitegestellt, um dem Mädchen etwas Nahrhafteres als Brot und Käse geben zu können. Aber seit dem Morgen, an dem sie ihren ersten Kuchen gebacken hatte, hatte sie die Kleine nicht mehr gesehen.

Pete sagte, dass sie aus Angst wahrscheinlich nicht wieder auftauchen würde. Arabella wünschte, sie hätte mehr für sie tun können.

Sie wandte sich vom Fenster ab und lief weiter hin und her.

»Ich hoffe, Sie vermissen mich in der Zwischenzeit nicht zu sehr.« Das waren Petes letzte Worte gewesen, als er gestern die Kaserne verlassen hatte. Zum Abschied hatte er ihr zugezwinkert.

Sie hatte nur den Kopf geschüttelt und ihm erklärt, dass sie ihn bestimmt nicht vermissen würde. Aber sobald er aus der Tür gewesen war, hatte sie ihr Lächeln nicht länger zurückhalten können. Auch wenn dieser Mann unglaublich eingebildet war, hatte sie sich an seine Späßchen gewöhnt und festgestellt, dass er unter der etwas draufgängerischen Fassade ehrlich und freundlich war.

Sie kannte nicht viele Männer – wenn überhaupt einen –, die sich die Zeit nehmen würden, einer unbedarften Frau wie ihr etwas so geduldig beizubringen. Nach nur drei Kuchen beherrschte sie bereits einige grundlegende Arbeitsschritte. Vielleicht würde sie bald das Selbstvertrauen haben, ganz allein einen Kuchen zu backen. Auch wenn es eigentlich unter ihrer Würde war, wollte sie das Backen nicht mehr missen. Im Gegenteil, ihre Freude daran wuchs immer mehr.

Leutnant Drummond hatte sie natürlich nach wie vor nichts davon erzählt. Er hatte gestern Abend die Erlaubnis bekommen, sie zu besuchen, und sie hatten fast eine Stunde lang zusammen im Salon gesessen, bis eine der anderen Frauen den Raum gebraucht hatte, weil sie ebenfalls Herrenbesuch bekommen hatte. Der Besucherstrom in der Kaserne brach nicht ab. Besonders die Ladenbesitzer und Arbeiter aus der Stadt kamen, um unter den armen Frauen passende Bräute zu finden.

Als sich der Leutnant verabschiedet hatte, hatte er Arabella gebeten, ihm bei der ersten anstehenden Hochzeitsfeier einige Tänze zu reservieren. Die ganze Stadt war eingeladen. Für die Hochzeitsvorbereitungen war nicht viel Zeit geblieben. Aber der Bräutigam hatte schon mit dem Antrag ein beachtliches Tempo vorgelegt. Soweit Arabella gehört hatte, hatte ein Goldgräber namens Pioneer um die Hand von Sophia, einer der armen Frauen von der Tynemouth, angehalten, noch bevor sie richtig an Land gegangen war, und ihr zweitausend Pfund versprochen, wenn sie ihn heiratete.

Arabella und die anderen Damen der Mittelschicht, die erst später an Land gegangen waren, hatte diese Geschichte schockiert. Als sie dann auch noch erfahren hatten, dass Sophia eingewilligt hatte, diesen Fremden zu heiraten, waren sie endgültig entsetzt gewesen.

Obwohl sie einige Tage Zeit gehabt hatte, um diese Neuigkeit zu verdauen, konnte sich Arabella immer noch nicht vorstellen, wie man einen so überstürzten Antrag von einem Mann annehmen konnte, den man überhaupt nicht kannte. Im Gegensatz zu Sophia wollte sie eine Beziehung nicht überstürzen. Sie wollte – nein, sie brauchte – mehr Zeit. Aber konnte man sich je wirklich sicher sein, auch wenn man sich die Entscheidung reiflich überlegte?

Arabella blieb an der Tür stehen. »Peter Kelly«, murmelte sie, »Sie kommen zu spät.«

Sie konnte ihm daraus keinen Vorwurf machen. Inzwischen wusste sie, dass er die ganze Nacht in der Bäckerei arbeitete und mit seinen Gehilfen alle Hände voll zu tun hatte, damit die Backwaren jeden Morgen frisch ausgeliefert werden konnten. Wenn er mit seiner Arbeit fertig war und bei ihr ankam, war er wahrscheinlich völlig erschöpft. Aber er beklagte sich nie und hatte auch noch nie gefragt, wann sie ihm den vereinbarten Leseunterricht geben wollte. Vermutlich war er zu beschäftigt, um dieses Thema anzusprechen. Aber sie wusste, dass sie langsam darauf zurückkommen sollte; immerhin war es Teil ihrer Abmachung.

Als sie hörte, wie in der Ferne die Haustür der Kaserne auf- und wieder zuging, schlug Arabellas Puls höher. Das musste Pete sein. Während sich auf dem Flur Schritte der Küche näherten, strich sie ihr Haar zurück, obwohl keine einzige Strähne am falschen Platz war, und fuhr mit den Händen über ihren Rock. Sie setzte eine Miene auf, die hoffentlich konsterniert wirkte. Pete brauchte nicht zu wissen, dass sie ihn sehnsüchtig erwartet hatte. Wenn er merkte, dass sie sich auf sein Kommen freute, würde er das womöglich falsch deuten und glauben, es wäre seinetwegen. Aber so war es nicht. Sie wollte einfach nur Kuchen backen.

Vielleicht sollte sie so tun, als wäre sie beschäftigt und kümmere sich gar nicht um ihn. Schnell sah sie sich um, nahm dann den Spüllappen aus der Spülschüssel und begann, den erstbesten Gegenstand, der ihr in die Hände kam, abzuwischen.

Die Schritte polterten in die Küche und Arabella bemühte sich, die Aufregung, die sie plötzlich im Griff hatte, zu verbergen. »Sie haben also beschlossen, doch noch zu kommen?« Sie sagte diese Worte so gleichgültig wie möglich und warf Pete über die Schulter einen Blick zu. Aber es war gar nicht Pete.

Mrs Moresby vom Fraueneinwanderungskomitee stand mit zwei großen Körben im Türrahmen. Sie schnaufte vor Anstrengung. Angesichts Arabellas Begrüßung zogen sich die Brauen der älteren Frau so hoch, dass sie fast unter der Krempe des schrillen Huts verschwanden, den die bunten Federn von mindestens einem Dutzend verschiedener Vögel zierten.

Arabellas Gesicht begann zu glühen. »Entschuldigen Sie bitte, Mrs Moresby. Ich habe jemand anderen erwartet.«

»Das habe ich mir fast gedacht.« Die groß gewachsene Frau trat mit den Körben an den Arbeitstisch und Arabella half ihr schnell, betete aber insgeheim, dass sie nicht weiter nachfragen würde.

Mrs Moresby schüttelte die Arme aus. »Wen haben Sie denn so früh am Morgen erwartet, Miss Lawrence?«

Arabella suchte händeringend nach einer Antwort. Sie hätte sich denken können, dass sie von Mrs Moresby keine höfliche Zurückhaltung erwarten konnte.

»Eindeutig einen Mann«, ließ Mrs Moresby nicht locker und zog ein Taschentuch aus ihrem Handtäschchen. »Wer hat Sie derart beeindruckt, dass Sie sich schon heimlich mit ihm treffen?«

»Ich treffe niemanden heimlich«, verteidigte sich Arabella. Sie zog das Tuch von einem der Körbe und packte die noch warmen Brote aus. Warum war Pete heute nicht gekommen?

Mrs Moresby, die damit beschäftigt war, den anderen Korb zu leeren, hielt inne. »Obwohl sich mehrere Männer für Sie interessieren, erinnere ich mich, dass Ihnen Leutnant Drummond besonders viel Aufmerksamkeit schenkt.«

»Ja, er ist sehr freundlich.«

»Ich schätze den Leutnant aber nicht so ein, dass er sich mit Ihnen allein in der Küche treffen würde.« In ihrer Stimme lag keine Kritik, nur Neugier.

»Natürlich nicht! Er ist in jeder Hinsicht ein Gentleman.«

Mrs Moresby packte weiter aus und brachte verschiedenste Dinge zum Vorschein, einschließlich Eier, Butter und frischer Milch. Sie erzählte ausführlich von den Planungen für Sophias Hochzeit, besonders von dem Brautstrauß, den Mrs Moresby persönlich zusammengestellt hatte.

Arabella hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, während sie ihr zur Hand ging. Bei jedem Brot, das sie auf die Arbeitsplatte legte, wurde die Frage, wo Pete war, lauter, bis sie nichts anderes mehr denken konnte. Als Mrs Moresby schließlich Luft holte, konnte Arabella nicht mehr an sich halten und fragte: »Warum hat Mr Kelly das Brot heute nicht selbst gebracht?«

Mrs Moresbys Hände, die gerade ein großes Geschirrtuch zusammenlegten, erstarrten. Ihr aufmerksamer Blick richtete sich auf Arabella. »Sie haben sich mit Peter getroffen.«

Arabella wollte es abstreiten, aber sie ahnte, dass sie damit nicht weit kommen würde. Mrs Moresby hatte sie durchschaut. »Er gibt mir Backstunden. Das ist alles.«

»Backstunden?«

»Er zeigt mir, wie man Kuchen backt.«

Mrs Moresby legte das halb zusammengefaltete Geschirrtuch weg und ihre Brauen zogen sich wieder bis zu ihrem Hut hinauf.

Arabella verdiente eine strenge Zurechtweisung. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass es sich nicht schickte, sich mit Pete allein zu treffen, und dass sein Hund als Anstandsbegleitung nicht ausreichte. Aber sie hatte eine Ausrede nach der anderen gefunden und sich eingeredet, dass diese Backstunden ja nur vorübergehend seien, dass sie in einem Haus voller Frauen eigentlich nicht wirklich allein seien, dass Pete nur ein Bäcker sei und dass zwischen ihnen nichts Unanständiges passieren könne.

Arabella ließ zerknirscht den Kopf hängen. Sie hoffte inständig, Mrs Moresby würde sie nicht aus der Kaserne werfen und zwingen, sich selbst zu versorgen. Was sollte sie dann machen?

»Ist noch Kuchen übrig?«, fragte Mrs Moresby. »Ich würde gern ein Stück probieren.«

Arabellas Kopf schoss in die Höhe. »Wirklich?«

»Ich liebe Kuchen, aber in ganz Victoria kann niemand einen anständigen backen. Außer Peter. Aber der junge Mann kommt mit den vielen Brotbestellungen kaum nach und hat einfach keine Zeit zum Kuchenbacken.«

»Seine Rezepte sind sehr gut«, gab Arabella zu, während sie an den Küchenschrank trat und die Dose öffnete, in der sie die restlichen Kuchenstücke aufbewahrte. Sie nahm einen Teller und eine Gabel, legte ein Stück Kuchen auf den Teller und brachte ihn Mrs Moresby.

»Das ist Rosinenkuchen.« Arabella wollte Mrs Moresby mit ihrer Kreation nicht enttäuschen und zögerte.

Mrs Moresby betrachtete den Kuchen auf dem Teller, schnupperte daran und drückte dann den Daumen darauf, als wollte sie testen, ob er locker und feucht genug war. Schließlich nahm sie ihre Gabel, brach mit der Kante ein Stück ab und schob es sich in den Mund.

Angespannt beobachtete Arabella Mrs Moresby beim Kauen. Als die Frau schluckte, hielt Arabella den Atem an und wartete auf ihr Urteil. Aber statt etwas zu sagen, brach Mrs Moresby nur ein weiteres Stück ab und aß es.

»Und?« Nach dem dritten Stück war es mit Arabellas Geduld zu Ende. »Was sagen Sie dazu?«

Mrs Moresby lächelte. »Ich würde sagen, dass Sie mit Peter ein Geschäft aufmachen und Kuchen backen sollten.«

»Wirklich?« Für einen kurzen Moment ließ Arabella der Idee freien Lauf. Aber genauso schnell verwarf sie diesen Gedanken wieder. Kuchenbacken war für sie nur ein Zeitvertreib, solange sie in der Kaserne wohnte. »Das könnte ich nicht«, wehrte sie den Vorschlag ab.

»Natürlich könnten Sie das«, sagte Mrs Moresby mit vollem Mund. Diese Frau hatte nicht die besten Manieren, trotzdem strahlte sie etwas aus, das Arabella gefiel.

Sie versuchte es sich vorzustellen. Wie sie Kuchenbestellungen entgegennahm, sich einen Kundenkreis aufbaute, Geld verdiente. Es war so absurd, dass sie den Kopf schüttelte. »Ich bin nach Victoria gekommen, um zu heiraten, Mrs Moresby, und nicht, um eine Konditorei zu betreiben.«

»Wer sagt, dass Sie nicht beides tun können, wenn Sie gerne Kuchen backen?«

Könnte sie beides? Arabella schaute zu, wie Mrs Moresby das letzte Kuchenstück auf die Gabel piekte. Wer hatte je gehört, dass eine Frau ein eigenes Geschäft betrieb? Noch dazu eine ihres Standes? Ein Gentleman würde nicht wollen, dass seine Frau Kuchen backte. Er würde eine Gattin wollen, die sich auf ihr Zuhause und die Erziehung der Kinder konzentrierte, gesellschaftliche Veranstaltungen besuchte und Feste ausrichtete.

Arabella wünschte sich nichts sehnlicher als eine eigene Familie.

Vermutlich war diese Verzweiflung der Grund gewesen, warum sie sich nicht stärker gegen Mr Majors Antrag gewehrt hatte.

Ihre Gedanken kehrten zu dem Tag nach Mr Majors Übergriffen in der Kutsche zurück. Nach einer schlaflosen Nacht war sie eilig ins Esszimmer gegangen, um mit ihrem Vater zu sprechen, bevor er zur Bank fuhr.

»Es tut mir leid, Vater«, begann sie, sobald sie ihm gegenüber am Esstisch Platz genommen hatte.

»Was tut dir leid, meine Liebe?«, antwortete er, ohne von seiner Zeitung aufzublicken, und nippte an seinem Tee.

Sie zögerte, doch dann sprach sie die Worte aus, die sie sich in der Nacht zurechtgelegt hatte: »Ich habe erkannt, dass ich das nicht kann.«

Ihr Vater antwortete nicht. Er schien mit Lesen beschäftigt zu sein.

Sie wartete, bis ihr das Dienstmädchen eine Tasse Tee eingeschenkt und ein warmes, mit Marmelade bestrichenes Brötchen vorgesetzt hatte. Als es das Zimmer verlassen hatte, zwang Arabella sich weiterzusprechen, auch wenn sie ihren Vater nur ungern enttäuschte: »Ich kann Mr Major nicht heiraten.«

»Was soll das heißen?«, fragte ihr Vater und sah sie endlich an. »Bis zur Hochzeit ist es nicht einmal mehr eine Woche.«

»Das ist mir bewusst. Aber ich habe es mir anders überlegt.«

»Die Entscheidung lässt sich nicht mehr rückgängig machen.« Ihr Vater ließ die Zeitung sinken. »Er hat unsere Zusage und wir können die Pläne nicht aus einer Laune heraus ändern.«

»Das ist keine Laune, Vater. Ich habe gründlich darüber nachgedacht.«

»Jede Braut wird vor der Hochzeit nervös. Das ist normal. Die Zweifel werden bald vergehen.«

»Bitte zwing mich nicht, ihn zu heiraten, Papa.« Sie hatte ihn nicht mehr so angesprochen, seit ihre Stiefmutter darauf bestand, dass sie ihn, wie es sich gehörte, mit Vater ansprechen sollte.

»Arabella«, sagte er, »diese Heirat ist für uns alle das Richtige.«

Er brauchte ihr nicht zu erklären, dass Elizabeth diese Heirat und die Kontakte, die damit verbunden wären, sehr befürwortete. Er brauchte nicht zu erwähnen, dass es Arabellas letzte Chance sein könnte, einen Mann zu bekommen. Und er brauchte definitiv nicht anzusprechen, dass es im Haus in den letzten Jahren sehr eng geworden war, seit ihr älterer Bruder mit seiner Frau und seinen Kindern eingezogen war.

»Mir ist bewusst, dass diese Heirat in vielerlei Hinsicht von Vorteil ist«, sagte Arabella und wählte ihre Worte sehr sorgfältig. »Aber ich habe erkannt, dass ich Mr Major nicht ertragen kann. Er ist ein grausamer Mann.«

Ihr Vater seufzte. »Er mag manchmal launisch sein, doch er wird gut für dich sorgen. Das muss genügen.«

Arabella schüttelte den Kopf. Die Bilder des vergangenen Abends waren noch sehr lebendig und die Abdrücke von Mr Majors Zähnen an ihrem Hals, die sie mit ihrem hohen Kragen bedeckt hatte, schmerzten.

Ihr Vater trank seinen Tee leer, stellte die Tasse auf die Untertasse und schob seinen Stuhl vom Tisch zurück.

»Er hat mich gestern Abend verletzt!«, platzte sie heraus, bevor sie den Mut verlor.

Ihr Vater war gerade im Begriff gewesen, seine Leinenserviette auf den Tisch zu legen, und hielt nun inne.

Sie stand auf und schob ihre glockenförmigen Ärmel hoch, um ihm die blauen Flecken an ihrem Arm zu zeigen, wo Mr Major sie gepackt hatte.

Ihr Vater warf einen kurzen Blick darauf, legte dann aber ungerührt seine Serviette ab. »Vielleicht hast du dich gestoßen.«

»Und er hat mich hier gebissen.« Sie hatte nicht vorgehabt, ihrem Vater die Stelle an ihrem Hals zu zeigen, aber jetzt zog sie mit zitternden Fingern den hohen Kragen nach unten und entblößte die entzündete Bisswunde.

Arabella starrte auf die Karaffe und die Kristallgläser, die auf einem Silbertablett auf der Anrichte standen. Sie konnte es nicht ertragen, ihrem Vater ins Gesicht zu sehen. Die ganze Situation war einfach zu demütigend. Sie war eine fünfundzwanzigjährige Frau und der einzige Mann, der sie wollte, war nicht nur alt, sondern auch Furcht einflößend und brutal.

»Bist du sicher, dass Mr Major dir das angetan hat?«, fragte ihr Vater mit trauriger Stimme.

Sie nickte und zog den Kragen wieder hoch, bevor einer der Dienstboten eintrat und die Wunde sehen konnte.

Ihr Vater schwieg. Durch das offene Fenster drang fröhliches Vogelgezwitscher. Der Maimorgen war erfüllt vom Gesang der Finken, die in den Sträuchern vor dem Haus ihre Nester bauten.

»Also gut, Arabella«, sagte er schließlich und rieb sich den Bart. »Ich werde mit Mr Major sprechen und ihm mitteilen, dass wir die Hochzeit absagen.«

Arabella lehnte sich erleichtert zurück. »Danke, Vater!«

Wenn diese Erleichterung nur von Dauer gewesen wäre! Wenn sich ihr Vater nur hätte durchsetzen können!

Arabella kehrte in die Gegenwart zurück und versuchte, den Schmerz, die Traurigkeit und die Schuldgefühle, die sie auf der langen Schifffahrt nach Victoria begleitet hatten, zu ignorieren. Sie durfte sich nicht zu sehr mit der Vergangenheit aufhalten. Was geschehen war, war geschehen. Sie musste Haywards Rat befolgen und nach vorn blicken.

Hier hatte sie die Chance, sich unter vielen edlen Herren einen Mann auszusuchen, einen wie Leutnant Drummond, der sie hoffentlich wertschätzen und ihr alles geben würde, was sie sich je erträumt hatte. Wenn sie eine gute Ehe einging, könnte sie damit vielleicht ihre Entscheidung rechtfertigen, obwohl sie ihrer Familie geschadet hatte.

»Ich finde, Sie sollten sich auf jeden Fall überlegen, welche Möglichkeiten Sie haben«, sagte Mrs Moresby, während sie einige Krümel auf ihrem Teller zusammenschob und sich dann ungehörigerweise die Finger ableckte. »Mit dem Backen hätten Sie eine Möglichkeit, Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, bis Sie heiraten und eine Familie gründen.«

Ihren Lebensunterhalt bestreiten? Eine vornehme Dame wie sie? So etwas war schlichtweg undenkbar! »Dürfen wir nicht hier in der Kaserne wohnen, bis wir heiraten?«

»Wir tun, was wir können, um Sie und die anderen Frauen zu unterstützen, aber unsere Mittel sind begrenzt. Und da in naher Zukunft das nächste Brautschiff eintrifft, müssen wir für die Neuankömmlinge Platz schaffen.«

»Ich verstehe.« Mrs Moresby hatte recht. Die Frauen konnten nicht dauerhaft auf Kosten der Großzügigkeit und Freundlichkeit von Victorias Oberschicht leben. Die meisten reicheren Stadtbewohner setzten sich jetzt schon sehr für die Damen ein und hatten so viele in ihre Häuser aufgenommen, wie sie es sich leisten konnten. Sicher erwartete niemand, dass die übrigen Damen hauswirtschaftliche Arbeiten übernehmen würden wie die armen Frauen vom Brautschiff, die Stellen als Haus- und Küchenmädchen suchten. Aber wohin sollte Arabella gehen und was sollte sie machen, wenn sie nicht in der Kaserne bleiben konnte?

»Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich mit Peter sprechen. Sie könnten sich mit ihm zusammentun und ihn bei seiner Arbeit unterstützen.« Mrs Moresby reichte Arabella den leeren Kuchenteller. »Er ist ein guter Junge, auch wenn er nun schon wieder im Gefängnis gelandet ist.«

Arabella stockte mitten in der Bewegung. »Gefängnis? Wieder?« Obwohl sie wenigstens den Teller nicht hatte fallen lassen, wurde ihr schwer ums Herz und das zarte Vertrauen, das sie zu dem freundlichen Bäcker aufgebaut hatte, zerschellte in tausend Stücke. Er hatte behauptet, dass er sein wildes Leben aufgegeben habe und ein anderer Mensch geworden sei. Aber offenbar hatte er sich nicht so sehr verändert, wie er ihr gespiegelt hatte. Bittere Enttäuschung machte sich in ihr breit.

Mrs Moresby tat die Sache mit einer lässigen Handbewegung ab. »Keine Sorge, er ist in spätestens zwei Tagen wieder draußen. Dann können Sie ihm Ihre Ideen und Pläne unterbreiten.«

Arabella kniff die Lippen zusammen, um nichts Unfreundliches zu sagen. Sie war ohnehin gegen eine Geschäftspartnerschaft mit Mr Kelly und diese neue Information bestärkte sie nur in dieser Entscheidung. Warum sollte sie sich mit einem Verbrecher zusammentun?

Sie hätte Mrs Moresby gern gefragt, warum Pete im Gefängnis war. Aber spielte der Grund eine Rolle? Egal, ob er ein Dieb, ein Raufbold oder ein Trinker war, sie musste den Kontakt zu ihm abbrechen.

So gern sie auch backen lernen würde, hatte sie doch die ganze Zeit gewusst, dass sie das nicht tun sollte. Und nun, wo Pete im Gefängnis saß, blieb ihr keine andere Wahl, als das Backen aufzugeben.