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Cornelia Faulde

Lernen, im Regen zu tanzen

Wie Sie als Paar eine Depression bewältigen

Mit Onlinematerial

Dr. theol. Cornelia Faulde ist Diplom-Psychologin, Ehe-, Familien- und Lebensberaterin, Systemische Familientherapeutin (DGSF) und Mediatorin. Sie leitet die Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen Brakel/Höxter/Warburg im Erzbistum Paderborn. Einer ihrer Arbeitsschwerpunkte ist, von Depressionen betroffenen Paaren zu helfen, gemeinsam die Erkrankung zu bewältigen.

Inhalt

Vorwort

1 Verstehen, was die Depression für Sie bedeutet

1.1 Die Symptome richtig deuten

1.2 Auslöser und Ursachen verstehen

1.3 Erste Schritte nach der Diagnose

2 Ein Bündnis gegen die Depression schließen

2.1 Mit Bildern Distanz schaffen

2.2 Wertschätzen, was da ist

2.3 Lichtblicke sammeln

3 Gemeinsam die Kinder schützen

3.1 Die Krankheit kindgerecht erklären

3.2 Den Bedürfnissen des Kindes Raum geben

3.3 Die Überforderung des Kindes vermeiden

4 Alte Verletzungen heilen

4.1 Die Chancen und Grenzen der Liebe

4.2 Falsche Glaubenssätze verändern

5 Sich in der Beziehung sicher fühlen

5.1 Belastende Vorerfahrungen mit Beziehungen

5.2 Die Neigung zu Misstrauen und Eifersucht

5.3 Das Vermeiden von Nähe

5.4 Vertrauen entwickeln

6 Füreinander Partner bleiben

6.1 Gegenseitiges Geben und Nehmen

6.2 Erkunden, was möglich ist

7 Die Gesundheit festigen

7.1 Eine gute Balance finden

7.2 Das Beziehungsnetz umgestalten

7.3 Die Verbundenheit als Paar neu spüren

8 Weitere Hilfen

Literatur

Hinweise zum Online-Material

Sachwortverzeichnis

Vorwort

Eine Depression geht nicht spurlos an einer Partnerschaft vorüber. Zwei, die auf einer Wellenlänge lagen, werden sich fremd. Glückliche gemeinsame Momente werden selten. Vertraute Routinen zerbrechen. Konflikte drehen sich im Kreis. Die Kinder verkriechen sich still oder werden unbequem. Zukunftspläne geraten ins Wanken. Trotz allem aber bleibt die Sehnsucht nach Nähe und Gemeinsamkeit und der Wille, diese Situation gemeinsam durchzustehen.

Wenn Sie sich in dieser Beschreibung wiederfinden können, möchte ich Ihnen mit diesem Buch Unterstützung anbieten. Ich bin Psychologin und berate seit mehr als 15 Jahren in einem psychosozialen Zentrum Paare in Konfliktsituationen. Viele dieser Paare sind durch die Depression oder die Depressivität eines Partners belastet. Ihnen gilt seit langem meine besondere Aufmerksamkeit. Aus dieser Erfahrung als Paartherapeutin heraus möchte ich Sie ermutigen, den Weg durch die Krankheit gemeinsam zu gehen. Dies kann das Leid verringern und die Phase der Krankheit verkürzen. Auch für Kinder ist es ein großer Vorteil, wenn die Partnerschaft der Eltern dieser Herausforderung standhält. Denn eine gute Partnerschaft bietet einen Schutzraum, der Kindern trotz elterlicher Depression eine gute und gesunde Entwicklung ermöglicht.

Aber Liebe allein heilt nicht. Diese Illusion kann sogar das Leiden verlängern. Es gehört zu den schmerzhaftesten Begleiterscheinungen einer Depression, vorhandene Liebe nicht wahrnehmen zu können und sich inmitten freundlicher Menschen einsam und allein zu fühlen. Wenn diese Gefühle der Einsamkeit als ein Zeichen dafür interpretiert werden, dass in der Partnerschaft zu wenig Liebe mehr da ist, kommt es zu bitteren Konflikten und unnötigen Trennungswünschen.

Liebe kann daher eine Einzeltherapie oder geeignete Medikamente nicht ersetzen. Oft wird erst in der Therapie eine Unterscheidung zwischen depressionsbedingten Gefühlen der Einsamkeit und fehlender Zuwendung in der gegenwärtigen Paarbeziehung möglich. Wenn diese Unterscheidung gelingt, kann eine gute Partnerschaft eine wichtige Ressource auf dem Weg zur Heilung sein. So wie der Motor bei einem E-Bike dem Fahrer Antrieb geben kann, kann der Partner »Antrieb« im Sinne von Unterstützung beim Kampf gegen die Krankheit geben. Verletzungen aus früheren Lebensphasen heilen leichter, wenn die Gegenwart Geborgenheit bietet. Anregungen aus der Therapie lassen sich im Alltag besser umsetzen, wenn auch der Partner weiß, warum sie sinnvoll sind. Um gesund zu werden und gesund zu bleiben, sind oft auch Änderungen im Lebensstil notwendig, die sich nur gemeinsam durchführen lassen.

Das Buch heißt »Lernen, im Regen zu tanzen«, weil die Phase der Depression oft zu lang ist, um nur auf den Sonnenschein zu warten. Es ist aber möglich, dieser Lebenssituation mit viel Tapferkeit, Geduld und Liebe auch gute Erfahrungen abzutrotzen. Immerhin sagen etwa ein Drittel der Betroffenen, dass sich ihre Partnerschaft in dieser Zeit gefestigt und vertieft hat. Es ist ein schmerzhafter, aber lohnender Weg.

Um diesen Weg zu unterstützen, finden Sie in diesem Buch Fragen zur Selbstreflexion, Anregungen zum Austausch und praktische Aktionsmöglichkeiten. Viele Übungen enthalten eher sachliche Methoden wie Listen und Protokolle. Andere greifen Geschichten und Bilder auf oder regen zu kreativer Verarbeitung an. Manche sind ausdrücklich nur für einen von Ihnen beiden entwickelt, andere für Sie als Paar. Wählen Sie aus, was Ihnen liegt. Alle Übungen finden Sie auch als Arbeitsblätter zum Download (siehe »Hinweise zum Arbeitsmaterial«). Das Buch ist kein Programm, das sich Schritt für Schritt abarbeiten lässt. Es möchte Sie beide aber dennoch durch die verschiedenen Phasen eines Heilungswegs und einer Therapie begleiten. Vielleicht ist Ihre Reihenfolge der Themen, die Sie beschäftigen, eine andere als im Buch, oder manches betrifft Sie nicht. Dann können Sie auch Abschnitte überspringen und später lesen. Sie bestimmen das Tempo, das Sie gehen können. Das Buch will Ihnen helfen, ein Bündnis gegen die Depression zu schließen, Ursachen und Hintergründe zu verstehen und trotz aller Einschränkungen, die eine depressive Erkrankung mit sich bringt, ein eng verbundenes liebendes Paar zu bleiben.

Die beschriebenen Fälle und Personen sind nicht real, sie dienen ausschließlich der Veranschaulichung. Dennoch sind die Verhaltensmuster, die Konflikte und auch die gefundenen Lösungsstrategien realen Lebenssituationen entnommen. Männliche und weibliche Personenbeschreibungen wechseln sich ab und stehen jeweils für beide Geschlechter.

Ich danke den Paaren, die mich an ihrem Kampf gegen die Krankheit teilhaben ließen. Ihnen verdanke ich viele Anregungen über das, was helfen kann. Durch sie weiß ich aber vor allem, dass Zuversicht und Hoffnung berechtigt sind.

Viele weitere Anregungen verdanke ich der interdisziplinären Zusammenarbeit im Team des Caritas-Beratungszentrums Brakel. In vielen Fällen übernehmen wir gemeinsame Verantwortung für betroffene Familien. Dies hat meinen Blick sehr erweitert.

Ich habe oft miterleben dürfen, dass es einen Weg durch die Krankheit hindurch zu einem leichteren und freudigeren Leben gibt, und dass auch die Phase der Depression viele sinnerfüllte Erfahrungen zulässt. Diese Phase ist keine verlorene Lebenszeit, sondern ermöglicht es sogar, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, gemeinsam »im Regen zu tanzen«. Diese Erfahrung möchte ich weitergeben.

Paderborn, im April 2022

Cornelia Faulde

1 Verstehen, was die Depression für Sie bedeutet

1.1 Die Symptome richtig deuten

Wenn einer von Ihnen an einer Depression erkrankt, beginnt für Sie beide eine Zeit großer Veränderungen, die mit vielen Unsicherheiten und Fragen verbunden ist. Viele schildern es so, dass die Depression sich wie eine dunkle Wolke über sie legt. Die Welt wird grau und kalt. Nun stellt sich die Aufgabe, sich gemeinsam als Paar auf diesen Wetterumschlag einzustellen. Wenn Sie selbst von der Krankheit betroffen sind, wünschen Sie sich meist, die Partnerschaft könnte Schutz und Wärme bieten. Wenn Sie die Partnerin sind, möchten Sie gern Hilfe leisten. Aber auch Sie selbst sind von der Wolke und dem aufziehenden Regen betroffen. So ist das Unterstützen bei einer depressiven Erkrankung nicht einfach. Die Depression selbst belastet die Partnerschaft und kann Paare auseinandertreiben. Viele spüren, dass ihre Partnerschaft in Gefahr ist. Sie brauchen Einfühlungsvermögen und Geduld, aber auch ein grundlegendes gemeinsames Verständnis der Krankheit, um der Situation standzuhalten.

Die gemeinsame Bewältigung einer Depression als Paar fängt damit an, dass Sie beide wissen müssen, woran Sie eine Depression erkennen können und welche Auswirkungen sie auf Ihr Leben haben kann. Vorher kommt es leider oft zu Paarkonflikten, weil die Symptome der Depression falsch gedeutet und anderen Ursachen zugeschrieben werden. Nicht selten beginnen Paare dann, an ihrer Liebe zu zweifeln.

Beispiel

Seit dem Abitur sind Alina und Patrick ein Paar. Sie beschließen, am gleichen Ort zu studieren, um später wieder in ihre Heimat zurückzukehren und dort eine Familie zu gründen. Doch gegen Ende des Studiums bleibt Alina morgens immer länger im Bett liegen, versäumt ihre Vorlesungen und meldet sich erst gar nicht zu den Prüfungen an. Sie hat auch keine Lust mehr, mit Patrick zusammen ins Fitnessstudio zu gehen, sondern weicht ihm aus. Patrick redet auf sie ein, dass sie ihre gemeinsame Zukunftsplanungen aus Leichtsinn und Bequemlichkeit aufs Spiel setzt. Alina droht damit, aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen, wenn er sie weiter unter Druck setzt. Patrick bekommt Angst, dass Alina das Interesse an einem gemeinsamen Leben mit ihm verloren hat. Alina geht schließlich zur Studienberatung, wo die Psychologin die Vermutung ausspricht, dass bei ihr eine Depression vorliegt.

Manuel und Sandra sind seit acht Jahren verheiratet und haben viel erreicht. Sie haben zwei kleine Töchter. Mit seinem Gehalt als KFZ-Meister und ihrem Gehalt als Versicherungskauffrau trauten sie sich, ein Haus zu kaufen und gemeinsam schön einzurichten. Aber seit einiger Zeit verbringt Manuel das Wochenende überwiegend vor dem Fernseher auf dem Sofa oder mit Computerspielen. Er beteiligt sich nur noch schwerfällig unter Druck an den Haushaltspflichten, und verschiebt seit Wochen die versprochene Reparatur der Kinderfahrräder. Er kann sich nicht mehr zu gemeinsamen Schwimmbadbesuchen und Ausflügen mit den Kindern aufraffen, sondern reagiert nur noch gereizt und abwehrend, wenn die Töchter solche Wünsche äußern. Sandra wirft ihm vor, er sei ein Pascha und ein Egoist geworden. Als er wegen Schlafstörungen zum Hausarzt geht, stellt dieser die Diagnose »Depression«.

Alina und Manuel aus den beiden Beispielen haben gemeinsam, dass sie energielos sind und dass ihnen der Antrieb fehlt, ihr bisheriges Alltagsleben fortzuführen. Sie haben auch kein Interesse mehr an schönen Aktivitäten, wie an den Besuchen im Fitnessstudio oder den Ausflügen mit den Töchtern. Damit liegen bei Alina und bei Manuel die beiden grundlegenden Kennzeichen einer Depression vor: Energie- und Antriebslosigkeit und der Verlust an Interesse an freudigen Aktivitäten.

Patrick und Sandra wissen nicht, dass dies die Kennzeichen einer Depression sind. Sie suchen deshalb nach anderen Erklärungen für die Veränderungen. Schnell sehen sie bei ihrem Gegenüber negative Veränderungen der Persönlichkeit. Sie halten sie für Egoismus und Bequemlichkeit. Dies führt zu Vorwürfen und Kritik. Die Partnerschaft erscheint ihnen nun in einem bedrückenden, ungünstigen Licht.

Das gilt auch für die Betroffenen selbst, für Manuel und Alina. Sie sehen sich jetzt ständiger Kritik ausgesetzt. Außerdem fühlen sie sich unglücklich und niedergeschlagen. Auch für sie ist es naheliegend, den Grund dafür in der Partnerschaft zu sehen. Sie denken, wenn ihre Partnerschaft wirklich gut wäre, würden sie sich nicht so schlecht fühlen. Sie ziehen sich zurück. Das Wissen, dass eine Depression vorliegen könnte, verändert jedoch diese Sicht. Der Grund für die Niedergeschlagenheit wird nicht mehr in der Partnerschaft gesucht.

Sich gemeinsam informieren. Die Einsicht, dass eine Depression vorliegt, und ein gemeinsames Verständnis der Krankheit ist in den meisten Fällen der erste große Schritt nach vorn. Derjenige von Ihnen, der erkrankt ist, hat von einem Arzt oder Psychotherapeuten die Diagnose gehört und wird bei dieser Gelegenheit sicher auch schon einige Informationen erhalten haben. Berichten Sie dem anderen davon. Denn der oder die andere muss zunächst auf den gleichen Stand gebracht werden, um zu verstehen, welche Auswirkungen die Krankheit für Ihr gemeinsames Leben hat.

Vielleicht ist es bei Ihnen aber auch umgekehrt so, dass zunächst Sie als die Partnerin die Vermutung haben, die Veränderungen des geliebten Menschen könnten etwas mit der Krankheit »Depression« zu tun haben. Die Veränderungen werden von dem Betroffenen vielleicht lange ignoriert, weil die Möglichkeit, »dass etwas mit mir nicht stimmen könnte« oder »etwas mit mir nicht in Ordnung ist« bei ihm Angst auslöst. Wenn der Schritt, zu einem Arzt zu gehen, für den Betroffenen noch zu groß ist, können Sie als Partnerin den anderen vielleicht wenigstens dazu bewegen, Informationsmaterial oder ein Selbsthilfebuch wie dieses zu lesen, um abzuklären, ob diese Vermutung in die richtige Richtung geht. Auch ein Selbsttest im Internet, z. B. auf der Homepage der Deutschen Depressionshilfe (s. Kap. 8), kann Sie weiterbringen.

Häufigkeit und Vielfältigkeit der Depression. Die Depression ist ein häufiges Krankheitsbild. In Deutschland erkranken ca. 6 Millionen Frauen und Männer im Laufe eines Jahres an einer Depression (Wittchen, 2010). Auch wenn kaum jemand darüber redet, sind Sie in Ihrer Situation bei weitem nicht allein. Gleichzeitig ist jeder und jede von Ihnen aber auch einzigartig. Wie stark die Depression ausgeprägt ist und wieviel Raum sie lässt für das bisherige »normale« Leben, werden Sie allmählich selbst herausfinden müssen. Manche Menschen leiden nur einmal an einer Depression. Für andere wird die Depression eine immer wiederkehrende Begleiterin, die nach Phasen der Erholung zurückkehren kann. Obwohl die Depression so häufig ist, sind ihre Erscheinungsformen sehr vielfältig, so wie die betroffenen Menschen in ihrer Lebenssituation, ihren Lebensvorstellungen und Lebensentwürfen sehr vielfältig sind.

Welche Bereiche ganz konkret bei Ihnen beeinträchtigt sind, müssen Sie miteinander herausfinden. Dies klingt einfacher als es ist, denn dies ist im Alltag tatsächlich häufig nicht offensichtlich. Ist jemand »nur« schlecht gelaunt, traurig, gereizt, erschöpft und energielos oder doch »depressiv« im Sinne von »krank« – das ist eine Frage, die lange im Raum stehen kann und ungeklärt bereits Paarkonflikte hervorruft. »Krank« bedeutet, dass sich ein depressiver Mensch nicht »einfach mal zusammenreißen« kann. Die Depression ist auch mit komplizierten Veränderungen im Gehirnstoffwechsel verbunden. Es ist bis heute nicht ganz geklärt, was bei Depressionen im Gehirn geschieht; relativ sicher ist, dass ein Ungleichgewicht der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin eine Rolle bei der Depression spielen. Sie bewirken, dass allein mit Willenskraft das Leiden nicht zu überwinden ist. Ebenso verursachen Depressionen körperliche Veränderungen, wie Schlafstörungen oder eine geringere Bewegungsfähigkeit, die Sport im Fitnessstudio oder jede Form von körperlicher Arbeit sehr anstrengend oder unmöglich machen. Die Konzentrationsfähigkeit ist oft eingeschränkt, was die Arbeitsfähigkeit sehr beeinträchtigen kann.

Wechsel der Perspektive. Das Anerkennen der Depression als Krankheit ermöglicht Ihnen beiden einen Wechsel der Perspektive, den Sie zur Verbesserung der Situation unbedingt brauchen. Im Alltag ist es allerdings immer wieder herausfordernd zu unterscheiden, ob z. B. die Beteiligung an Haushaltspflichten wegen der Krankheit nicht möglich ist oder ob Desinteresse vorliegt. Falsche Einschätzungen führen sehr häufig zu Enttäuschungen und Reibereien.

Tabelle 1.1 soll Ihnen helfen, die wichtigsten Symptome zu erkennen und zu verstehen, welche Fehldeutungen und Belastungen für Sie selbst und die Partnerschaft daraus entstehen können. Den Fehldeutungen wird eine realistische Einschätzung der Situation gegenübergestellt. Diese realistische Einschätzung hilft beim Wechsel der Perspektive, die Depression als Krankheit zu sehen.

Symptom der Depression

Typische Fehldeutungen der Partner

Realistische Einschätzung

Energieverlust, geringere körperliche Belastbarkeit

»Du hast kein Interesse an der Partnerschaft und den gemeinsamen Aktivitäten.«

»Du bist egoistisch und bequem, denn du vernachlässigst die Pflichten im gemeinsamen Alltag.«

Die Krankheit kann die körperliche Funktionsfähigkeit stark beeinträchtigen. Zwar sind körperliche Tätigkeiten oft weiter möglich, aber danach erfolgt dann eine große Erschöpfung und ein hoher Ruhebedarf.

Gefühlsleere, Unfähigkeit Freude zu empfinden

»Unsere Liebe ist verschwunden. Ich bin dir gleichgültig geworden. Unsere Partnerschaft hat keinen Sinn und Wert mehr.«

Die Krankheit hat eine erhebliche Auswirkung auf die Gefühlswelt. Positive Gefühle sind stark abgeschwächt oder gar nicht mehr vorhanden.

Ängstlichkeit, Gereiztheit

»Du bist ungerecht und unfair, weil du um kleine Fehler einen großen Wirbel machst mit vielen lauten Vorwürfen, die kein Ende nehmen.«

»Du willst mich kontrollieren und einengen.«

Die Krankheit verstärkt zum Teil negative Gefühle wie Ängstlichkeit oder Ärger erheblich.

Mit der Kontrolle soll Angst bekämpft werden.

Konzentrationsschwierigkeiten, Gedankenkreisen

»Du hörst mir nicht mehr zu. Du nimmst mich nicht ernst.«

Die Krankheit kann einen starken Einfluss auf die Gedankenwelt eines Menschen haben.

Selbstwertzweifel,

Hoffnungslosigkeit

»Dass ich dich liebe, ist dir nicht wichtig. Es ist dir wichtiger, was andere über dich denken oder was in deinem Beruf geschieht.«

Gerade solche Gedanken wie »Ich bin nichts wert.«, »Meine Situation ist völlig verfahren.«, sind sehr typische Auswirkungen einer Depression.

Tabelle 1.1 Mögliche Fehldeutungen der Symptome durch den Partner

Nicht bei allen Betroffenen treten alle diese Symptome auf, auch das Gewicht, das den verschiedenen Symptomen zukommt, ist sehr unterschiedlich. Die Depression kann sich auf drei Lebensbereiche erstrecken:

Nicht bei jedem Erkrankten sind alle drei Bereiche betroffen.

Wichtig

Wenn die negativen Gedanken so stark werden, dass sogar der Gedanke aufkommt, sich das Leben zu nehmen, sollten Sie sich unverzüglich in eine Klinik begeben. Nehmen Sie als Partnerin solche Äußerungen ernst und bewegen Sie Ihren Partner zu einer umgehenden ärztlichen Behandlung!

Um gemeinsam klarer zu sehen und die verhängnisvollen Fehldeutungen zu vermeiden, ist es wichtig, dass Sie sich Gedanken machen, wie sich die Depression ganz konkret bei Ihnen zeigt. Übung 1 kann Sie hierbei unterstützen.

Wenn Sie über Ihre Einschätzung ins Gespräch kommen, hilft Ihnen das dabei, sich in den anderen hineinzuversetzen und auf Ihre jeweiligen Bedürfnisse einzugehen. Bei dieser Übung geht es darum, Beobachtungen und Wahrnehmungen in Bezug auf die Depression auszutauschen. Die Liste enthält die wichtigsten Symptome der Depression. Es geht einmal darum zu verstehen, welche der Symptome einer Depression bei Ihnen auftreten. Daneben wird gefragt, welche Auswirkungen die Krankheit in Ihrem gemeinsamen Leben hat. Sich dies deutlich zu machen, kann zunächst schmerzlich sein, öffnet aber den Weg zum Besseren.

Behalten Sie vor allem eines im Blick: Da es sich um eine Krankheit handelt, trägt niemand an diesen Auswirkungen Schuld.

Machen Sie sich deshalb keine Selbstvorwürfe oder gegenseitigen Vorwürfe. Versuchen Sie zunächst nur, die Situation so zu verstehen, wie sie ist. Gegenseitige Schuldzuweisungen erübrigen sich, wenn Sie wissen, dass es eine Krankheit ist, die die Widrigkeiten verursacht.

Übung 1 • Kennzeichen der Depression erkennen

Kreuzen Sie jeder für sich in der folgenden Auflistung das für Sie Zutreffende an und tauschen Sie sich anschließend darüber aus. Überlegen Sie gemeinsam, welche Auswirkungen die Symptome auf Sie als Paar haben.

Was ich an mir erlebe (erkrankte Person) oder was ich an dir beobachte (Partner):

Im körperlichen Bereich:

Im emotionalen Bereich:

Im gedanklichen Bereich:

Da die negativen Auswirkungen für Sie und Ihre Partnerschaft eine Folge der Depression sind, können Sie die berechtigte Hoffnung haben, dass sie sich nach dem Abklingen der Erkrankung wieder zurückbilden werden. Damit dies geschieht, muss sich die erkrankte Person aber in ärztliche Behandlung oder Therapie begeben, um eine sichere Diagnose zu erhalten. Deshalb lautet die erste und grundlegende Regel:

Wichtig

Wenn Sie bei sich oder Ihrer Partnerin eine depressive Erkrankung vermuten, suchen Sie einen Arzt oder Psychotherapeuten auf.

Diagnose. Eine Diagnose öffnet die Tür zu medikamentösen und psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten. Sie weist Ihnen einen Weg, was Sie selbst tun können – und auch tun müssen –, damit es Ihnen wieder besser geht. Sie ist der Startpunkt, von dem aus sich der belastende gegenwärtige Zustand überwinden oder wenigstens verbessern lässt. Für Sie beide ist dieses Wissen um mögliche positive Veränderungen wichtig, um die Belastungen leichter ertragen zu können.

Dauer der Erkrankung. Wie lange eine Depression dauern kann, ist sehr unterschiedlich. In den meisten Fällen tritt nach spätestens einem halben Jahre eine Verbesserung ein. Manchmal verläuft eine Depression aber auch chronisch oder kann wiederkehren. Aber auch in diesen Fällen wird es meistens wieder längere Lebensabschnitte geben, in denen es keine Beeinträchtigungen gibt.

Verschiedene Formen der Depression. Eine weitere ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung wird die erste Diagnose noch präzisieren. Es wird sich u. a. zeigen, ob die Depressionen auch mit anderen psychischen Beeinträchtigungen, wie z. B. Angststörungen oder Süchten, verbunden sind. Außerdem können die Depressionen von Fachleuten in verschiedene Kategorien aufgeteilt werden. Eine Unterscheidung ist die zwischen einer depressiven Episode und einer Dysthymie. In einer depressiven Episode sind die Symptome sehr stark, klingen aber in der Regel nach zwei bis drei Monaten ab. Bei einer Dysthymie sind sie schwächer, können aber viel länger andauern.

Eine weitere wichtige Unterscheidung sind unipolare und bipolare Depressionen. Unipolar bedeutet, dass sich die Depression nur in einer Richtung zeigt, und zwar in der bedrückenden Weise des Energieverlusts und der Niedergeschlagenheit. Bipolare Störungen wirken sich in zwei Richtungen aus, neben den Phasen der Niedergeschlagenheit gibt es auch Phasen eines extremen Hochgefühls und des Aktionsdrangs. Die übertrieben optimistische Sicht und die Überaktivität in diesen Phasen sind für die Familien ebenfalls belastend, weil der Realitätssinn des Erkrankten verlorengeht und seine Ruhelosigkeit den Familienalltag hektisch und chaotisch macht. Manche Depressionen sind auch von biologischen Umständen abhängig, wie z. B. dem Monatszyklus der Frau, oder sie sind jahreszeitlich bedingt. All dies wird genauer untersucht werden müssen, um die richtige Therapieform zu finden.

Therapie. Da Psychiater und Psychotherapeuten oft eine lange Warteliste haben, wird in den meisten Fällen der Hausarzt die erste Anlaufstelle sein. Er kann oft auch schon eine medikamentöse Therapie einleiten. Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass antidepressive Medikamente Ihre Persönlichkeit verändern. Diese Medikamente können einerseits die Energielosigkeit bekämpfen und andererseits den seelischen Schmerz und die Unruhe abmildern. Es ist so, als wenn Sie einen Schutzmantel anlegen würden. Sie bleiben die gleiche Person. Oft helfen Medikamente, wenigstens ein Stück Alltagsnormalität aufrechtzuerhalten. Sie wirken allerdings erst nach einigen Wochen und sind bei verschiedenen Personen unterschiedlich wirksam. Zum Glück gibt es eine ganze Reihe verschiedener Wirkstoffe. Bis die richtigen Medikamente gefunden sind, braucht es oft Geduld. Werden Ihnen Medikamente verschrieben, bleiben Sie mit Ihrem Arzt oder Therapeuten darüber im Gespräch, wie Sie damit zurechtkommen (gefühlte Wirksamkeit, Befinden). Setzen Sie sie nicht eigenständig ab.

Psychotherapeutinnen müssen Sprechstunden für eine erste Orientierung anbieten, bei der Schritte für eine weitere Therapie geklärt werden können. Wenn Sie Schwierigkeiten haben, einen freien Termin zu finden, helfen Ihnen die Terminvergabestellen der kassenärztlichen Vereinigungen unter Tel. 116117. Nach den ersten Gesprächen kann es trotzdem zu längeren Wartezeiten kommen. Wenn Ihre Depression nur leicht ausgeprägt ist, können Sie bereits viel in Selbsthilfe für sich tun, indem Sie eigens für diese Situation konzipierte Apps nutzen oder Selbsthilfeliteratur wie diese lesen. Diese Möglichkeiten können Ihnen auch helfen, eine Wartezeit bis zu einer Therapie sinnvoll zu nutzen. Hinweise zu Therapieangeboten und weiteren Selbsthilfemöglichkeiten finden Sie in Kapitel 8.

Welche Art von Therapie am besten geeignet ist, hängt auch von den Ursachen einer Depression ab. In manchen Fällen wird dies eine medikamentöse, in anderen eine psychotherapeutische Therapie sein. Oft werden beide Therapieformen gleichzeitig angewendet. Auch eine medikamentöse Therapie mit Onlineunterstützung oder in Kombination mit Selbsthilfe ist möglich. Lassen Sie sich von Ihrer Ärztin beraten. Zunächst ist jedoch ein erstes Verständnis der Ursachen wichtig; dies kann Ihnen helfen, den Ansatzpunkt für Verbesserungen zu finden.

1.2 Auslöser und Ursachen verstehen

Zu dem ersten Schritt, ein gemeinsames Verständnis der Depression zu gewinnen, gehört auch, die möglichen Auslöser und Ursachen für die Erkrankung zu kennen. Neuere Forschungsansätze gehen davon aus, dass mehrere Faktoren vorhanden sein müssen, damit es zu einer depressiven Erkrankung kommt. Es wird daher auch bei Ihnen wahrscheinlich nicht nur eine Ursache für die Erkrankung geben.

Das grundlegende Erklärungsmodell. Nach heutigem Kenntnisstand sind es diese drei Faktoren, die in unterschiedlicher Weise vorhanden sein müssen, damit eine Depression zum Ausbruch kommt:

(1)

aktueller Stress in der gegenwärtigen Lebenssituation

(2)

lebensgeschichtliche Verlusterfahrungen

(3)

eine genetisch bedingte biologische Anlage

Man spricht auch von einem »Vulnerabilitäts-Stress-Modell«. Die genetische Anlage und frühere Erfahrungen verursachen eine Verletzbarkeit (Vulnerabilität), der aktuelle Stress wird zum konkreten Auslöser.

Welcher dieser drei Faktoren in einem einzelnen Fall das größte Gewicht hat, unterscheidet sich sehr stark. Die Faktoren können sich auch gegenseitig überlappen, z. B. wenn der Vater oder die Mutter sich selbst getötet hat, ist das für ein Kind eine gravierende Verlusterfahrung, die das Kind unmittelbar anfällig für psychische Erkrankungen machen kann. Vielleicht zeigt sich diese Anfälligkeit aber auch erst in späteren ähnlichen Situationen. Gleichzeitig liegt beim Kind dann wahrscheinlich auch eine genetische Anfälligkeit für eine Depression vor.

Belastende Ereignisse. Wenn Sie darüber nachdenken, wann Sie oder Ihre Partnerin angefangen haben, sich niedergeschlagen und energielos zu fühlen, werden Sie oft auf eine besonders schwierige Situation stoßen, die Ihr Leben verändert hat. Depressionen haben meistens einen Auslöser in aktuellem oder chronischem Stress. Sie haben vielleicht einen lieben Menschen durch den Tod verloren, Enttäuschungen mit Kollegen oder Verwandten erlebt oder Sie haben Sorgen wegen Ihrer finanziellen Situation oder um den Arbeitsplatz, vielleicht haben Sie sogar bereits Ihre Arbeit verloren oder sind gerade in den Ruhestand gegangen. Es kann aber auch gut sein, dass Ihre Partnerschaft gerade sehr unbefriedigend ist, dass Sie sich häufig streiten, Angst vor einer Trennung haben oder selbst so enttäuscht sind, dass Sie über eine Trennung nachdenken. Auch solche tiefergehenden Partnerschaftskonflikte können der Auslöser für eine Depression sein.

Es wäre aber zu kurz gedacht, in diesen belastenden Ereignissen allein die Ursache für die Depression zu sehen. Der Tod eines nahen Angehörigen, der Verlust des Arbeitsplatzes, finanzielle Schwierigkeiten, dauernder Streit in der Partnerschaft, lösen natürlich auch Niedergeschlagenheit und viele andere Beschwerden aus. Dies ist aber noch keine Depression. Trauer kann nach einiger Zeit geringer werden, auf Arbeitslosigkeit kann mit aktiver Arbeitsplatzsuche reagiert werden. Aber manche Menschen können diese Schritte zur Bewältigung einer aktuellen Krise nicht gehen. Der aktuelle Stress kann oft nicht bewältigt werden, weil er auf eine schon vorhandene besondere Anfälligkeit für Depression stößt. Wenn z. B. Arbeitslosigkeit eine Depression auslöst, bedeutet dies, dass jetzt Energielosigkeit und Selbstzweifel auftreten können. Deshalb wird die Depression es erschweren, Bewerbungen zu schreiben oder sich in Vorstellungsgesprächen gut zu präsentieren. Eine Abwärtsspirale beginnt.

Paarkonflikte. Ähnlich kann es bei Partnerschaftskonflikten sein. Eine Verletzung oder andauernde Enttäuschung durch den Partner kann Auslöser für eine Depression sein. Aber die Depression aktiviert auch vergangene Glaubenssätze und Bindungsmuster, die es unmöglich machen, zu einer Versöhnung und dem Wiederaufbau von Vertrauen zu kommen. Das subjektive Empfinden ist dann oft: »Ich bin depressiv, weil meine Partnerschaft schlecht ist.«, »Mir ginge es gut, wenn mein Partner mich wirklich lieben würde.«. Wer diesen Eindruck von der Ursache seiner Niedergeschlagenheit hat, merkt nicht, dass die Depression den Paarkonflikt weiter antreibt. Dadurch können Paarkonflikte unlösbar werden, obwohl guter Wille und Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten vorhanden sind. Wenn Sie sich seit Wochen in einer immer wiederkehrenden Spirale von Vorwürfen und Gegenvorwürfen befinden, und es Ihnen schwerfällt, die Gefühle des anderen nachzuvollziehen, kann dies ein Zeichen dafür sein, dass depressives Denken die Konflikte unlösbar werden lässt. Ihre Partnerschaft wird sich aber bessern, wenn die Depression abklingt. Diesen verhängnisvollen Denkmustern und Glaubenssätzen sind deshalb Kapitel 4 und 5 dieses Buches gewidmet.

Die Depression bewirkt, dass schlechte Erfahrungen sehr stark und gute Erfahrungen kaum in der Erinnerung abgespeichert werden. Die Anzeichen, die es für die Liebe des Partners gibt, werden übersehen, die Fehler, die er macht, sehr hoch gewertet. Zwischen Partnerschaftskonflikten und Trennungen einerseits und der Depression andererseits gibt es einen sehr engen wechselseitigen Zusammenhang (Beach et al., 1990). Nach einer Umfrage der Stiftung Depressionshilfe im Jahr 2018 fühlen sich 85 % der Erkrankten von ihren Partnern unverstanden, bei 45 % kommt es zu Trennungen. Partnerschaftskonflikte können zu Depressionen führen, Depressionen führen aber auch oft zu Partnerschaftskonflikten, weil sie die Fähigkeit zur Problemlösung beeinträchtigen. Dies zeigt, wie wichtig es ist, bei einer Depression gut auf die Partnerschaft zu achten und als Paar gemeinsam dagegen anzugehen. Viele Trennungen und das mit ihnen verbundene Leid wären dann zu verhindern.

Frühe Lebenserfahrungen. Die Hauptursache einer Depression können auch Kindheitserfahrungen sein, die von Verletzungen oder unzureichender Unterstützung geprägt waren. Ein Kind kann solche Erfahrungen glücklicherweise zu seinem Schutz oft zunächst verdrängen, und es findet oft Strategien, trotz dieser Verletzungen sich ausreichend zu entwickeln. Diese Kinder haben dann von sich selbst den Eindruck, sich gut gegenüber den Erfahrungen im Elternhaus abgegrenzt zu haben. Dass kindliche Verletzungen bei der jetzigen Niedergeschlagenheit eine große Rolle spielen, ist dann nicht auf den ersten Blick einsehbar.

Diese Strategien der Kindheit, sich vor Verletzungen zu schützen (z. B. hohe Leistungsorientierung oder sich in Abhängigkeit zu stärkeren Menschen begeben) können allerdings meistens nicht über das ganze Leben durchgehalten werden und blockieren zudem manchmal angemessene Reaktionen auf neue Situationen. Unter hohem Stress funktionieren sie außerdem nicht mehr. Dann werden Gefühle und Verhaltensmuster aktiviert, die in der Kindheit angemessen waren, aber das Leben des Erwachsenen und seine Beziehungen zu anderen Erwachsenen erschweren.

Beispiel

Vanessa ist in einem Alkoholikerhaushalt aufgewachsen. Die Ausfälle des Vaters während seiner Trinkphasen waren für sie bedrohlich. Ihre Mutter verbrauchte ihre ganze Energie darin, die Alkoholsucht des Vaters nach außen nicht sichtbar werden zu lassen. Vanessa bekam sehr wenig Aufmerksamkeit und Bestätigung durch die Eltern. Sie fand Anerkennung und Halt zunächst in ihrer Jugend-Clique und dann bei Sven, von dem sie bereits mit 17 Jahren schwanger wurde. Ihre Ausbildung zur Erzieherin brach sie ab, bekam drei Jahre später ein zweites Kind und lebte zunächst zufrieden als Hausfrau und Mutter. Als Sven anfing, im Internet mit anderen Frauen zu flirten und sich sogar mit ihnen zu treffen, brach für sie eine Welt zusammen. Sie machte ihm heftige Vorwürfe, die er jedoch nicht ernstnahm. Er beschwichtigte sie, blieb aber weiterhin oft nach Feierabend lange weg. Sie versuchte, sein Handy und seinen Laptop zu kontrollieren, was er aber vereitelte. Dies erhöhte ihr Misstrauen und ihre Eifersucht. Die Vorwurfsszenen wurden immer häufiger. Sie wollte sich aber nicht trennen, weil sie sich ein Leben ohne Sven nicht vorstellen konnte. Sie entwickelte eine Depression.

Die Strategie, durch die sie ihre Jugend zunächst ohne psychische Beeinträchtigung überstanden hatte, wurde im Verlauf ihres Lebens brüchig. Den Stress der partnerschaftlichen Konflikte kann sie nicht durch eine Trennung beenden. Dadurch wird der aktuelle Stress zum Auslöser einer Depression. Es wäre aber verkürzt zu sagen, Sven sei der Grund für ihre Depression. Das stimmt nur zum Teil. Eher ist es so, dass der Schutz, den die Beziehung zu Sven gebildet hatte, durch sein aktuelles Verhalten zusammenbricht.

Familiäre Vorbelastung. Im Hinblick auf die genetischen Ursachen gibt es Familien, in denen die genetische Veranlagung zu einer psychischen Erkrankung bereits so hoch ist, dass nur wenige Familienmitglieder aufgrund günstiger Lebensbedingungen von einer psychischen Erkrankung verschont bleiben.

Auch geringer gegenwärtiger Stress, der auch außerhalb der Partnerschaft liegen kann, wie z. B. die Kritik von Vorgesetzten oder Kollegen oder eine ausbleibende Beförderung, kann in solchen Fällen, in denen die genetische Verwundbarkeit hoch ist, zum Ausbruch einer Depression führen.

Biologische Ursachen. Weitere biologische Ursachen für eine Depression können in hormonellen Veränderungen liegen, was die Zeit der Schwangerschaft und Geburt besonders kritisch für den Ausbruch eine Depression macht. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum Frauen häufiger als Männer von einer Depression betroffen sind. Andere Menschen reagieren sehr empfindlich auf den Lichtmangel im Winter und haben regelmäßig mit jahreszeitlich auftretenden Stimmungsschwankungen zu kämpfen.

Die Form der Depression, die sich mit euphorischen und sehr aktiven Phasen abwechselt, scheint in hohem Maß biologisch bedingt und vererbbar zu sein, und ist meistens gut durch Medikamente zu beeinflussen. Sie wird »bipolar« genannt, weil sich die extremen Gefühlslagen »himmelhochjauchzend« und »zu Tode betrübt« abwechseln.

Alle diese Fragen sollten geklärt werden, um die richtige Therapie zu finden. Medikamente sind vor allem bei schweren und biologisch stark mitbedingten Depressionen sehr hilfreich. Eine Psychotherapie wird auch die lebensgeschichtlichen Aspekte berücksichtigen.

Selbsteinschätzung.