Georg Schwedt

Experimente mit Supermarktprodukten

Eine chemische Warenkunde

Vierte, aktualisierte und erweiterte Auflage

Vorwort zur 4. Auflage

Seit 2001 sind drei Auflagen dieses weit verbreiteten Buches erschienen – die 3. erweiterte und aktualisierte Auflage stammt aus dem Jahr 2008. Seitdem sind in der Zusammensetzung einiger Supermarktprodukte Veränderungen aufgetreten, manche sind möglicherweise vollständig aus dem Angebot verschwunden. Am Beispiel eines großen Supermarktes und eines Drogeriemarktes wurde geprüft, ob einige sehr spezielle Produkte noch auf dem Markt sind bzw. sich in ihrer Zusammensetzung geändert haben. Bei mehreren, systematischen und intensiven Besuchen in verschiedenen Supermärkten konnten nicht alle der in den vorherigen Auflagen beschriebenen Produkte wieder aufgefunden werden. Trotzdem habe ich die entsprechenden Beschreibungen und Versuche in dieser Auflage beibehalten. Es gilt jedoch eine grundlegende Regel:

Nur wenn die Zusammensetzung eines Produktes mit der hier angegebenen übereinstimmt, ist auch das beschriebene Versuchsergebnis zu erwarten. Daher bitte vor einem Versuch immer die Angaben auf den Verpackungen kontrollieren.

Neu ist das Kapitel 16 Produkte aus der Warengruppe ,,Schreib- und Bürowaren“, das sich an das Kapitel über spezielle Produkte aus dem Bau- und Hobbymarkt anschließt. Für eine Reihe von Versuchsreihen mit den Möglichkeiten eigener Entdeckungen werden Produkte aus den Segmenten Bürozubehör, Farb- und Malstifte (bis Wandtafelkreide), Papier (von der Papierserviette bis zu farbigen Papieren) sowie Klebstoffe eingesetzt. In der jeweiligen Einführung zur Versuchsreihe werden die Produktgruppen ausführlich vorgestellt und beschrieben.

Bonn, im August 2021

Georg Schwedt

Vorwort zur 3. Auflage

Das Konzept des Experimentierens mit Supermarktprodukten zur Vermittlung einer Alltagschemie hat inzwischen eine weite Verbreitung gefunden. Für die zahlreichen Einladungen zu Experimentalvorträgen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten habe ich viele neue Experimente entwickeln können. Im März 2007 wurde nach dem in diesem Buch beschriebenen Konzept ein weiteres Schülerlabor in Bonn eröffnet – die von der Deutschen Telekomstiftung finanzierte ExperimentierKüche im Deutschen Museum Bonn (www.deutsches-museumbonn.de), wo fast täglich Workshops für unterschiedliche Klassenstufen durchgeführt werden. Kooperationspartner ist das Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften der Universität Bonn. Für den Bereich Obst und Gemüse ist ein Jahr später in Hamburg das Schülerlabor Hamburger Großmarkt (SCOLAB Stiftung) in einem Gebäude auf dem Großmarkt eröffnet worden. Viele der für beide Labore von mir entwickelten Experimente sind in diese 3. Auflage des Buches aufgenommen worden. So konnte die Anzahl der Experimente von 160 auf 224 erhöht werden.

Bonn, im August 2008

Georg Schwedt

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Einführung

1.1 Das Konzept

1999 startete der „Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft“ sein Aktionsprogramm PUSH (public understanding of science and humanities) – als Dialog Wissenschaft und Gesellschaft. Das Memorandum unterzeichneten am 27. Mai 1999 die Präsidenten und Vorsitzenden der deutschen Wissenschaftsgesellschaften (Deutsche Forschungsgemeinschaft, Max-Planck- und Fraunhofer-Gesellschaft, Wissenschaftsrat, Stifterverband sowie Hermann Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren und Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz) im Wissenschaftszentrum Bonn. Wesentliche Punkte dieses Memorandums sind:

  • • Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden aufgefordert, ihre Arbeit öffentlich auch in einer für den Nichtspezialisten verständlichen Form darzustellen.
  • • Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden aufgefordert, die notwendige Infrastruktur bereitzustellen sowie Lehr- und Weiterbildungsangebote zu entwickeln, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die Lage versetzen, ihre Arbeit öffentlich zu präsentieren.

Der Projektvorschlag Chemische Experimente mit Supermarktprodukten unter der Lupe wurde im Dezember 1999 bei insgesamt 216 Anträgen mit einem der 22 Förderpreise ausgezeichnet. Er ging im Ansatz davon aus, dass die Akzeptanz chemischer Forschung ganz besonderer Anstrengungen bedarf. Insbesondere ist einem weitverbreiteten Vorurteil entgegenzuwirken, man solle nur Dinge oder Produkte benutzen, in denen keine Chemie enthalten sei. Diesem Vorurteil gilt es entgegenzuhalten, dass alles Chemie ist, was unser Leben betrifft. Um diese Tatsache auch dem Laien deutlich und verständlich zu machen, sind solche Experimente besonders geeignet, die sich mit den „natürlichen“ Inhaltsstoffen und auch mit den Zusatzstoffen (oft „natürlicher“ Herkunft) in Produkten der Supermärkte bzw. des privaten Haushalts beschäftigen.

1. Stufe: Vermittlung von chemischem Basiswissen

Die Zutatenlisten bzw. Inhaltsangaben von Supermarktprodukten (vom Lebensmittelsupermarkt über den Drogeriemarkt bis in den Bau-, Garten- und Hobbymarkt), d. h. von Haushalts- und damit Alltagsprodukten, weisen die Namen zahlreicher chemischer Stoffe auf. Die Eigenschaften und die Wirkungsweise, die sich hinter diesen oft komplizierten, auch dem Chemiker nicht immer geläufigen Stoffen verbergen, sind den meisten Verbrauchern jedoch unbekannt. Andererseits eignen sich Haushaltsprodukte mit ihren Hauptinhaltsstoffen bei Kenntnis der Gesamtzusammensetzung auch für eindeutige chemische Experimente, wobei ein gekennzeichneter Stoff oder eine Stoffgruppe aus einem Lebensmittel mit einer anderen Substanz, die z. B. in einem Reinigungsmittel enthalten ist, zur Reaktion gebracht wird. Mithilfe einfacher chemischer Versuche, die bis auf wenige Chemikalien ausschließlich mit den Haushaltsprodukten selbst durchgeführt werden, können interessierte Laien Stoffeigenschaften in Gestalt von Phänomenen – Farbreaktionen, Gasentwicklungen, Bildung neuer Stoffe, Entstehung und Isolierung verschiedenartiger in Wasser oder organischen Lösemitteln wie Spiritus oder Benzin unlöslicher Produkte – kennenlernen. Sie eignen sich auf diese Weise, mit dem Hintergrund ihres speziellen Interesses für ein Produkt und spielerisch, ein an Alltagsprodukten orientiertes Basiswissen der Chemie an.

Im Rahmen des Förderpreises wurde ein Versuchsprogramm entwickelt, das so aufgebaut ist, dass die Einzelversuche sich mit den Hauptinhaltsstoffen und Zusatzstoffen von Produkten aus insgesamt 14 Warengruppen beschäftigen. Die Warengruppen wurden in Anlehnung an den Aufbau von Supermärkten gewählt. Ein ausführlich beschriebenes und in den zu erwartenden Ergebnissen erläutertes beispielhaftes Experiment steht immer für eine Reihe eigener weiterer Entdeckungen mit anderen Produkten, wozu auch Anregungen gegeben werden. Auch die Vergleiche von Produkten im Experiment spielen dabei eine wichtige Rolle. Das genannte Basiswissen umfasst Bereiche der anorganischen, analytischen, organischen, physikalischen Chemie und der Biochemie.

Einige Reagenzien, die am Anfang stehen – Rotkohlsaft, Iodlösung, Eisenlösung, Kalkwasser und Seifenauflösung (auch Kaliumpermanganat und Kupfersulfatlösung) – eignen sich für Untersuchungen sehr unterschiedlicher Produkte. Mit ihnen allein lässt sich schon ein kleines Versuchsprogramm zusammenstellen. Ziel aller Einzelexperimente ist, eine wesentliche Eigenschaft eines Produktinhaltsstoffes so vorzustellen, dass sich dieses Experiment mit dem in den Erläuterungen vermittelten Grundwissen auch auf möglichst viele andere Produkte übertragen (und im Ergebnis auch deuten) lässt. Die zitierten Beispiele von Zutatenlisten bzw. Inhaltsangaben der Bedarfsgegenstände (meist mit englischen Namen) sollen Informationen über Begleitstoffe vermitteln. Zugleich machen sie deutlich, dass die übrigen Inhaltsstoffe die beschriebene Reaktion nicht stören. Und schließlich sollen sie auch zu aufmerksamerem Studium der Informationen auf den Verpackungen beim Einkauf im Supermarkt anregen.

2. Stufe: Brücken zur aktuellen, instrumentellen Analytik

Das Projekt hat nicht nur das Ziel, mit einfachen sowohl in Schulen als auch in der eigenen Küche nachvollziehbaren, d. h. auch gefahrlosen Experimenten Eigenschaften von Alltagsstoffen und deren Reaktionen kennen, verstehen und beurteilen zu lernen. Für die Wege zur aktuellen Forschungsanalytik hier einige Beispiele:

Der Zerfall des Reduktionsmittels Dithionit in Entfärbemitteln in mehrere Schwefelspezies (Anionen wie Sulfit, Sulfid und Thiosulfat) ist im einfachen Experiment nur am Sulfid (schwarze Fällung in einer Kupfersulfatlösung durch Bildung von Kupfersulfid) überzeugend darstellbar. Zur Aufklärung der Zerfallsmechanismen wurden von uns in neueren Arbeiten die Methoden Voltammetrie und Kapillarelektrophorese eingesetzt, deren Prinzip und Leistungsfähigkeit Fortgeschrittenen (wie Fachlehrerinnen und -lehrern) an diesem Beispiel aus dem Alltag demonstriert werden. Damit wird zugleich ein Kapitel der Schwefelchemie und der aktuellen Elementspeziesanalytik behandelt.

Die Frage, warum der altbewährte Rotkohlsaft so viel besser zur pH-Indikation geeignet ist als andere rote Säfte (Kirsch-, Heidelbeer- oder Traubensaft), wird mithilfe der Flüssigkeitschromatografie (HPLC) belegt: Im Rotkohlsaft ist im Unterschied zu den anderen Säften im Wesentlichen nur ein Hauptanthocyan enthalten, wie eine Auftrennung der Anthocyangemische im Vergleich überzeugend zeigt. Außerdem werden UV/Vis-Spektren verschiedener Säfte bei unterschiedlichen pH-Werten aufgezeichnet und verglichen.

Die Chemie des Eisens wird einerseits nach dem Lösen von Eisenfeilspänen in Essigessenz in einfachen Versuchen vorgestellt, andererseits liefert die Voltammetrie eine differenzierte Analyse nach Eisen(II)- und Eisen(III)-Ionen. Die Messergebnisse der Atomabsorptionsspektrometrie (AAS) zeigen, welche Begleitelemente wie Zink, Blei, Mangan, Magnesium in Eisen-/Stahlprodukten des Alltags enthalten sein können.

Über die einfachen, den Möglichkeiten in Schulen angepassten Experimente hinaus werden somit die modernen Methoden der instrumentellen Analytik berücksichtigt und deren Einsatzmöglichkeiten und Leistungsvermögen für spezielle Stoffe aufgezeigt.

Ziel des Versuchsprogramms ist es auch, aufgrund der erworbenen elementaren Stoffkenntnisse einen kritischen Verbraucher heranzubilden. Er soll in die Lage versetzt werden, eine Entscheidung zwischen Produkten mit unterschiedlicher Zusammensetzung, aber ähnlicher Verwendung zu treffen, so z. B. die Frage experimentell beantworten zu können, ob er überhaupt eine Seife mit EDTA und Etidronat oder zur Fleckenentfernung ein Mittel mit schwefelwasserstoffbildendem Dithionit benötigt.

Ein weiteres aktuelles Thema ist die Darstellung des Themas Bioverfügbarkeit von Mineralstoffen an den Beispielen Calcium und Eisen. Auch für diese Fragestellung werden anhand einfacher Modellversuche Grundlagen vermittelt, die in Verbindung mit der Forschung im Institut stehen.

Das Clausthaler SuperLab

Aus den Mitteln des Stifterverbandes wurde mit dem Logo „wissenschaft im dialog“ im Institut für Anorganische und Analytische Chemie der Technischen Universität Clausthal auch ein Schüler-/Besucherlabor mit dem Namen Clausthaler Super-Lab eingerichtet. Es besteht aus mehreren Hundert Supermarktprodukten, jeder Arbeitsplatz ist mit einfachen Geräten (Bechergläser, Schnappdeckelgläser, Plastikpipetten, Trichter, Heizplatte – s. Abschn. 1.2 „Die experimentelle Grundausstattung“) ausgestattet. In ihm können Schüler ab dem neunten Jahrgang chemische Experimente mit Haushalts (Supermarkt)-Produkten selbst durchführen, die ein Basiswissen von den Stoffeigenschaften der wichtigsten organischen und anorganischen Inhaltsstoffe vermitteln. Für Fortgeschrittene und Lehrer werden in den Forschungslaboratorien auch Anwendungen der aktuellen instrumentellen Analytik vorgestellt. Ziele dieser Kurse sind die Vermittlung

  • • einer chemisch orientierten Warenkunde,
  • • einfacher Techniken des chemischen Experimentierens für eigene Entdeckungen, nur mit Supermarktprodukten ohne spezielle Laborchemikalien, und
  • • ein Basiswissen zum Grundverständnis der Eigenschaften verbreiteter „Zutaten“ (chemischer Inhaltsstoffe) in Alltagsprodukten.

Das vorliegende Buch hat darüber hinaus die Aufgabe, das bisher insgesamt entwickelte Versuchsprogramm vielen Interessierten zugänglich zu machen und auch die weiterführenden Informationen (mit der Literatur zum Nachlesen und Nachschlagen) zu vermitteln.

Experimente mit den auf den Verpackungen aufgeführten Inhalts- und Zusatzstoffen stehen im Vordergrund dieses Experimentalprogramms.

Da es sich nicht um Reaktionen zwischen Einzelstoffen handelt, sind für die meisten der Experimente auch die vollständigen Angaben über die Inhaltsstoffe (Ingredients bei den Kosmetika) der verwendeten Produkte aufgeführt. Auf diese Weise lassen sich bei abweichenden Versuchsergebnissen durch Vergleich der Listen (Produktkennzeichnungen) häufig auch die Ursachen dafür erkennen.

Die Grundausstattung für die Durchführung der Experimente wird deshalb im Einzelnen aufgeführt, um entsprechend der verwendeten Gefäße zugleich die Mengenverhältnisse (-angaben) für die einzelnen Experimente festlegen zu können.

Bei den beschriebenen Farbreaktionen können geringfügig abweichende Farbtöne beobachtet werden. Auch im Clausthaler SuperLab haben verschiedene Schüler den Farbeindruck bei ein und demselben Experiment unterschiedlich bezeichnet.

Die Anregungen für weitere Versuche sollen immer wieder deutlich machen, dass bei der Vielfalt an Produkten eines Supermarktes sich viele weitere „chemische Entdeckungen“ machen lassen.

1.2 Die experimentelle Grundausstattung

Die meisten der Reaktionen werden in Schnappdeckelgläsern (Volumen 20 ml) durchgeführt. Die Reagenzlösungen werden in 30 oder 50 ml-Glasflaschen mit Schraubverschluss aufbewahrt. Für Experimente, bei denen die Proben erhitzt werden müssen, werden kleine Bechergläser (25 oder 50 ml) sowie eine Heizplatte (im Haushalt die Herdplatte eines Küchenherdes) benötigt. Zum Dosieren von Feststoffen wird ein Spatellöffel, von Flüssigkeiten werden Plastikpipetten (3 ml), zum Umrühren beim Erhitzen ein Glasstab (oder Kaffeelöffel) verwendet. Für Filtrationen wird ein kleiner Plastiktrichter (Durchmesser 5 cm) mit Kaffeefilterblättern (94 mm) eingesetzt. Diese Geräte werden in der Beschreibung der Experimente unter „Materialien“ nicht mehr aufgeführt. Werden darüber hinaus spezielle Gefäße wie z. B. eine Porzellanschale benötigt, so sind diese unter „Materialien“ genannt.

Reagenzlösungen

Für viele der einzelnen Experimente werden einige Lösungen immer wieder als Reagenzlösungen verwendet. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird ihre Herstellung und Bedeutung an dieser Stelle beschrieben.

A. Rotkohlsaft – als pH- und Redoxindikator

Historisches

Leonhard Thurneysser zum Thurn (1530–1596) aus Basel, gelernter Goldschmied und Anhänger des Arztes und Naturforschers Paracelsus (1493–1541), entdeckte die Eignung von Veilchensaft zur Unterscheidung von schwefliger Säure (Schwefeldioxid) – Entfärbung – und Schwefelsäure – Rotfärbung. Dem Chemie-Nobelpreisträger Richard Willstätter (1872–1942) gelang es ab 1913, auch die Zusammensetzung und die Struktur der Anthocyane, welche die Eigenschaften eines Chamäleons haben, näher zu erforschen.

MaterialienEin Blatt von einem Rotkohlkopf, sauberer Sand, 100 ml-Glasflasche, Porzellanschale
Herstellung Ein Blatt eines Kopfes Rotkohl (etwa 40 g) wird zerkleinert und mit drei Spatellöffeln voll Sand sowie etwa 20 ml Wasser verrieben. Nach 10 min wird der wässrige Extrakt durch das Filterpapier im Trichter in die Glasflasche filtriert. Insgesamt wird fünfmal auf diese Weise eine Extraktion durchgeführt, sodass man etwa 100 ml des Rotkohlsaftes erhält. Die Flasche wird im Kühlschrank aufbewahrt. Haben sich Kolonien von Schimmelpilzen gebildet, so können diese entfernt werden; die Lösung ist trotzdem weiterhin verwendbar und muss nur nach dem Auftreten einer deutlichen Trübung neu hergestellt werden.
Erläuterungen Rotkohlsaft eignet sich als pH-Indikator aufgrund der pH-abhängigen Eigenschaften der Anthocyane (Abb. 1.1). Weitere Einzelheiten zur Chemie der Anthocyane siehe in Kap. 4 „Obst und Gemüse: Konserven und Säfte“. (UV/Vis-Spektren von Rotkohlsaft siehe Abb. 1.2)
Verwendung Es lassen sich anhand der Farbänderungen folgende pH-Werte unterscheiden:

2: rot – 4: pink – 6: violett – 7: blau – 8: grau(stahl)blau – 9: türkis – 10: grün – 12: gelb.

Darüber hinaus kann mit diesem Pflanzensaft auch die Wirkung von Reduktions- und auch Oxidationsmitteln erkannt werden.

Abb. 1.1 Grundstruktur der Anthocyane (1), mit R1 und R2 = H im Rotkohlsaft als Rubrobrassin (Cyanidin-3-triglucosid) und pH-abhängige Strukturen (2).

B. Iodlösung – zum Stärkenachweis und als Oxidationsmittel

MaterialienBetaisodona®-Lösung (aus der Apotheke), 100 ml-Glasflasche, destilliertes Wasser (aus dem Supermarkt)
Herstellung2,5 ml der Iodlösung werden in der Glasflasche auf 100 ml mit destilliertem Wasser verdünnt.
ErläuterungenBei der Betaisodona®-Lösung handelt es sich um den Wirkstoff Povidon-Iod, d. h. um eine etwa 11%ige Lösung von Iod in Polyvinylpyrrolidon (mittleres Molgewicht 40 000; (C6H9NO)xxI). Deklariert sind als sonstige Bestandteile: Glycerol, Nonooxinol 9, Natriummonohydrogenphosphat, Citronensäure, Natriumhydroxid, Kaliumiodat, gereinigtes Wasser.
VerwendungDiese ethanolfreie Iodlösung wird sowohl für Redoxreaktionen als auch vor allem für die Iod-Stärke-Reaktion (s. Abschn. 2.3, Experiment 15) eingesetzt.

C. Eisenlösung – zum Nachweis von Komplexbildnern und Reduktionsmitteln

MaterialienEisennagel (rostfrei), Feile, 100 ml-Flasche, Essigessenz
HerstellungDer Boden eines 25 ml-Becherglases wird mit durch Feilen des Eisennagels hergestelltem Eisenpulver bedeckt. Dann fügt man etwa 10 ml Essigessenz hinzu, erwärmt bis sich deutlich sichtbar Gasblasen entwickeln und lässt dann das Eisenpulver ohne weiteres Erwärmen bis zur Verringerung der Wasserstoffentwicklung noch einige Zeit reagieren. Dann filtriert man in die 100 ml-Flasche, schüttelt gut durch und lässt die Lösung 1–2 Tage stehen. Es bildet sich eine rötliche Lösung, die schließlich auf etwa 100 ml mit Wasser verdünnt wird, wobei die Farbe einen Gelbton annimmt.
ErläuterungenBeim Lösen von Eisenpulver in der Essigessenz entsteht zunächst eine farblose Lösung von Eisen(II)-Ionen. Durch den Luftsauerstoff werden diese langsam oxidiert (zunächst schwache Gelbfärbung) und schließlich bildet sich ein Eisen(III)-acetato-Komplex mit roter Farbe. (Polarogramm einer Fe2+∕Fe3+-Lösung in Abb. 1.3)
VerwendungDie Eisen(III)-Ionen-Lösung wird zur Prüfung von Reduktionswirkungen (-mitteln) und auch für Experimente zur Eisenchemie eingesetzt.

Abb. 1.2 UV/Vis-Spektren eines Rotkohlsaftes bei verschiedenen pH-Werten: (a) pH 2, (b) pH 7, (c) pH 10.

Abb. 1.3 Polarogramm einer Eisenlösung in Essigessenz mit Fe(II)- und Fe(III)-Ionen Methode: Differenzielle Pulse-Polarografie mit Quecksilbertropfelektrode, U(start): –50 mV, U(end) –1600 mV, Elektrolyt: 0,1 mol/l Na4P2O7 × 10 H2O, pH 10,3.

D. Kalkwasser – zum Nachweis von Carbonat, Phosphat und Oxalat

Materialien100 ml-Becherglas, 100 ml-Vorratsflasche, „Blitzzement“ (enthält Portlandzement und Calciumhydroxid)
Herstellung20 g Blitzzement werden vorsichtig (H- und P-Sätze auf der Verpackung beachten) mit 50 ml Wasser im Becherglas angerührt. Nach 1–2 min Rühren lässt man den Hauptanteil des Feststoffes absitzen und filtriert die dekantierte überstehende Lösung in die Vorratsflasche. Aus 20 g Blitzzement und 50 ml Wasser werden etwa 25 ml Filtrat erhalten.
(Anregung: Anstelle des Kalkwassers kann auch ein Gipswasser, eine gesättigte Lösung von Calciumsulfat, zum Nachweis von vor allem Carbonaten verwendet werden.)
ErläuterungIm Reparaturmörtel ist Calciumoxid enthalten, das sich in Wasser zum Teil zu einer gesättigten Lösung an Calciumhydroxid (unter Freiwerden von Wärme) löst.
VerwendungAufgrund der schwerlöslichen Calciumverbindungen Calciumcarbonat, Calciumoxalat und Calciumphosphat dient diese Lösung zum Nachweis der entsprechenden Anionen. (Rotkohlsaft – Reagenz A – färbt sich im Kalkwasser grün.)

E. Seifenauflösung – ein historisches Reagenz

Historisches

Die „Seifenauflösung“ gehört zu den klassischen Reagenzien der „Probierkabinette“, die als Experimentkästen oder besser tragbare Laboratorien um 1800 gehandelt wurden (Abb. 1.4). Autoren solcher Probierkabinette, die zahlreiche Reagenzien in Flaschen und ein Anleitungsbuch enthielten, waren der Jenaer Chemieprofessor Göttling (1755–1809) und der Pharmazeut Wiegleb (1732–1800). Goethe setzte einem solchen Probierkabinett in seinem Roman „Die Wahlverwandtschaften“ ein literarisches Denkmal. (s. in G. Schwedt: Goethes chemische Experimente, Köln 1999)

Materialien100 ml-Becherglas, 100 ml-Vorratsflasche, Spiritus, Seife ohne EDTA und Etidronat (z. B. Palmolive Original)
HerstellungVon der Seife wird Pulver mittels Abschaben im Becherglas mit Spiritus übergossen und einige Minuten durch Umrühren gelöst. Dann wird die Lösung in die Vorratsflasche filtriert.
ErläuterungSeife enthält Natriumsalze (engl. unter „Ingredients“ als sodium bezeichnet) von z. B. Palmkernöl (engl. sodium palm kernelate). Sie lösen sich zum Teil im Spiritus.
VerwendungDurch den Zusatz einer Säure bilden sich aus den Salzen schwerlösliche Fettsäuren, die eine milchige Trübung verursachen. Calcium- oder Magnesium- und andere Ionen ergeben schwerlösliche Salze, die in Form von Flocken ausfallen und gegen das Licht betrachtet infolge Lichtbrechung rötlich erscheinen. Mit der Seifenauflösung können somit sowohl freie Säuren als auch vor allem Calciumsalze nachgewiesen werden, welche die Härte des Wassers verursachen (s. dazu Kap. 13).

Abb. 1.4 Nachbau des chemischen Probierkabinetts von Göttling aus Jena von 1790 – aus der Werkstatt des Instituts für Anorganische und Analytische Chemie der TU Clausthal.