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Johannes G. Deckers

DIE
FRÜHCHRISTLICHE
UND BYZANTINISCHE
KUNST

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Das Christentum begann als eine bilderlose Religion und folgte zunächst dem Bilderverbot, das es mit dem Judentum und dem Islam teilt. Wie und warum sich ab dem 3. Jahrhundert dennoch eine christliche Kunst ausbildete und wie die beiden wichtigsten Bilder der Christenheit, das Bild Christi und das der Muttergottes, ihren Aufstieg nahmen, führt dieser Band kenntnisreich vor Augen. Ebenso erläutert er die neuen architektonischen Formen, die mit dem christlichen Kirchenbau Einzug hielten, und die typische Bildausstattung der neuen Bauten. Er zeigt, wie auch in der Kunst von Byzanz die Antike mächtig fortwirkte und wie umgekehrt die byzantinische Kunst weit über Byzanz hinaus ihre Ausstrahlung entfaltete.

Über den Autor

Johannes G. Deckers war bis zu seiner Emeritierung Professor für Frühchristliche und Byzantinische Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Für Sabine

Inhalt

Einleitung

Die Epochen der frühchristlichen und byzantinischen Kunst

Die spätantike-frühbyzantinische Phase (3. Jh.–8. Jh.)

Die mittelbyzantinische Phase (8. Jh.–1204)

Die spätbyzantinische Phase (1204–1453)

Die nachbyzantinische Phase (1453– heute)

1 Die Entstehung der christlichen Kunst

Anfänge im Privaten

Die Bilderlosen in einer Umwelt voller Bilder

Kann man ohne Bilder leben?

Bilder am Grab

Bilder im Gemeindehaus

Christlicher Kaiser – kaiserlicher Christus

«In diesem Zeichen wirst Du siegen!»

2 Der Siegeszug des Gottesbildes

Die Ikone

Streit am Kaiserhof

Der Kaiser greift ein

Das Bild im Dienst der Theologen?

Gott will sein Bild!

Ikonen als Krieger, Sieger und Diplomaten

Ist die christliche Ikone ein ‹Götzenbild›?

Ist das mobile gemalte Gottesbild eine Erfindung der Christen?

Die beiden wichtigsten Bilder der Christenheit

Wie entstand das Bild Christi?

Wie entstand das Bild der Gottesmutter?

3 Der christliche Kultbau

Eine neue Gattung der Architektur: Der Kirchenbau

Die Basilika

Gestalt und Herkunft

Das Bildprogramm der Basilika

Traditionelle Struktur und neuer Inhalt

Christus wird kaisertauglich

Der Zentralbau

Die Gestalt

Die Herkunft

Das Bildprogramm des Zentralbaus

Die Struktur

Die Ikonostase: Schwelle zum Mysterium

Das göttliche Wesen im Scheitel des Gewölbes: Zur Herkunft des zentralen Motivs

Der verinnerlichte Bildraum

4 Die Stadt und ihre Gesellschaft

Der öffentliche Raum und die Selbstdarstellung der Gesellschaft

Das Porträt

Der menschliche Körper und seine Darstellung

Das Erbe der Antike: Bildung, Renaissancen und Erotik

Traditionelle Mythen im privaten Bereich

Konstantinopel als Hort der klassischen Kunst und Bildung

Die Buchmalerei

5 Die Anderen. Die Außenwirkung der byzantinischen Kunst

Kunst als Mittel der Politik

Konstantinopel und seine Ausstrahlung

6 Byzanz nach Byzanz. Nachleben in Neuzeit und Moderne

 

Dank

Gliederung in Epochen

Literatur

Personenregister

Bildnachweis

Einleitung

Von der frühchristlichen und byzantinischen Kunst, der dieses kleine Buch gewidmet ist, hängt jene des europäischen Mittelalters und die der Neuzeit in fundamentaler Weise ab. Die damals entstandene Bilderwelt ist bis heute ein tragendes Element der kulturellen Identität der weltweiten sog. westlichen Zivilisation, prägte aber auch die des nahöstlichen und afrikanischen Christentums. Architektur und ornamentale Kunst des westlichen Islam wurden von der frühbyzantinischen Kunst angeregt und ständig befruchtet. Sie hatte eine längere Lebensdauer als die meisten anderen Kunstströmungen des mediterranen Kulturbereiches; allein ihre Kernzeit spannt sich über mehr als ein Jahrtausend (330–1453).

Der Versuch einer klaren und knappen Definition dieser Strömung stößt jedoch auf Schwierigkeiten, weil jede Beschreibung nur aus Widersprüchen zu bestehen scheint: Die frühchristliche und byzantinische Kunst ist fraglos die Fortsetzung der römischen Kunst, andererseits beginnt mit ihr etwas völlig Neues. Sie ist die Kunst einer imperialen Machtpolitik und zugleich eine spirituelle Kunst der Theologen. Sie ist eine Kunst der Eliten in den Metropolen, also in Rom und vor allem in Konstantinopel, aber auch die fernen Äthiopier, Normannen oder Moskowiter sehen sie als die ihre an. Sie ist eine entschieden christliche Kunst, aber ältere dionysische Motive leben in ihr länger als in jeder anderen Kunst des mediterranen Kulturbereichs fort.

Auch die beiden Begriffe ‹frühchristlich› und ‹byzantinisch› sind ambivalent. Sie enthalten sowohl eine zeitliche als auch eine inhaltliche Komponente, die aber nicht klar definierbar sind. Beginnt die byzantinische Kunst bereits mit der Gründung von Konstantinopel im Jahr 326 oder mit dem Ende des weströmischen Kaisertums im Jahr 476? Sollte man sie erst mit der Krönung Karls des Großen im Jahr 800 und dem Beginn einer immer eigenständiger werdenden Kunst des westlichen Mittelalters oder gar erst mit dem Schisma zwischen Rom und Konstantinopel im Jahr 1054 einsetzen lassen? Läßt sich hinsichtlich der Inhalte überhaupt eine scharfe Grenze zwischen der ‹frühchristlichen› und ‹byzantinischen› Bilderwelt ziehen?

Schließlich sind die Begriffe ‹frühchristlich› und ‹byzantinisch› eine Erfindung der modernen Kulturgeschichte. Sie sind Hilfsmittel, um im breiten Fluß der Geschichte bestimmte Strömungen und Nebenarme erkennen zu können. Und beide Begriffe bergen die Gefahr, Phänomene, die sie benennen, zu sehr aus dem weiten und komplexen Zusammenhang der Kunst des mediterranen Kulturkreises zu lösen, von dem sie nur einen Teil aspekt darstellen und ohne den sie nicht hätten existieren können.

Dieses kleine Buch muß sich auf grundsätzliche Aspekte des Entstehens, Wandels und Wirkens einer einzigartigen Bilderwelt im römisch-byzantinischen Kulturkreis beschränken. Nur auf eine kleine Auswahl exemplarischer Werke wird näher eingegangen. Es kann weder eine Stilgeschichte bieten noch auf städtische Zentren wie etwa Aquileia, Ravenna oder Thessaloniki näher eingehen.

Das erste Kapitel gilt dem Auftauchen von christlichen Bildthemen in der römischen Kunst und den Folgen der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion in der Spätantike (Die Entstehung der christlichen Kunst). Die drei folgenden Kapitel konzentrieren sich auf jeweils ein epochenübergreifendes Hauptphänomen der frühchristlichen und byzantinischen Kunst: die christliche Ikone und ihre Stellung in Religion und Gesellschaft (Der Siegeszug des Gottesbildes); den Kirchenbau als Gehäuse für eine öffentliche Bilderwelt (Der christliche Kultbau); und die gebildete Elite Konstantinopels und ihr Verhältnis zur Kultur der Antike (Die Stadt und ihre Gesellschaft). Dieser Hauptteil wird durch zwei knappe Kapitel abgerundet, die die Außenwirkung und Nachwirkung der byzantinischen Kunst beleuchten.

Das zweite, dritte und vierte Kapitel bilden den Kern des Buches: Sie gelten der Entstehung von später kanonisch gewordenen Haupttypen bildlicher Darstellungen (Kap. 2) sowie dem ersten Auftreten von jenen monumentalen Kirchenbauten und ihren Bildprogrammen in der Spätantike, die die spätere Entwicklung entscheidend prägen (Kap. 3). Die wechselnden Arten der Adaption antiker Bilder in der Kunst von Byzanz werden an charakteristischen Beispielen untersucht (Kap. 4). Die Frage nach der Beziehung zwischen der im frühchristlichen und byzantinischen Kulturraum anzutreffenden, allerorts gleichen Bilderwelt und den in und mit ihr lebenden Menschen wird in allen drei Kapiteln verfolgt. Zur Illustration werden Monumente aus allen Epochen herangezogen, so daß nebenbei auch die komplexe kunsthistorische Entwicklung zumindest in Schlaglichtern angedeutet wird.

Im Anhang finden sich eine Tabelle mit der Gliederung in Epochen sowie Hinweise auf weiterführende Literatur und ein Personenregister. Ein Plan von Rom ist auf der vorderen, einer von Konstantinopel auf der hinteren Umschlaginnenseite abgedruckt.

Die Frühchristliche und Byzantinische Kunstgeschichte bedient sich derselben Methoden wie die anderen Kunstgeschichten und Archäologien. Ihr Forschungsbereich beschränkt sich nicht auf Monumente mit christlicher Aussage, sondern umschließt sämtliche kulturellen Hinterlassenschaften materieller Art aus dieser Epoche. Zu ihrem Gebiet gehören damit etwa auch profane Ikonographie und Architektur. Stellvertretend für diese Sparten enthält das vierte Kapitel einen Abschnitt über das Portrait.

Auch im vorliegenden Buch werden die Begriffe ‹Byzanz› und ‹byzantinisch› häufig verwendet. Historisch korrekt wäre es jedoch, nur Byzantion, also jene Stadt, die griechische Siedler um 600 v. Chr. am Bosporus gegründet hatten, als Byzanz zu bezeichnen. Denn schon wenige Jahre nach der Neugründung der Stadt durch Kaiser Konstantin I. im Jahr 326 n. Chr. verschwindet der alte Name. Die neue Stadt wird nun Stadt des Konstantin, also Konstantinopel, genannt. Da die neue Residenz des Kaisers die alte Metropole am Tiber immer unaufhaltsamer überflügelt, wird sie bald auch als Neues Rom bezeichnet. Ihre Bewohner nennen sich Römer bzw. Rhomaioi und verstehen sich als solche. Die Bezeichnung von Konstantinopel als Byzanz und die Benennung der Bewohner der Stadt und des Reiches als Byzantiner ist historisch gesehen also falsch. Dennoch wird diese moderne Sitte auch im folgenden beibehalten.

Die Epochen der frühchristlichen und byzantinischen Kunst

Da die lange und überaus komplexe Entwicklung der frühchristlichen und byzantinischen Kunst hier nicht geschildert werden kann, andererseits zum Verständnis des folgenden Textes eine grobe Vorstellung des politischen wie kunstgeschichtlichen Rahmens unerläßlich ist, werden zunächst die vier Phasen der frühchristlichen und byzantinischen Kunst kurz umrissen.

Die spätantike-frühbyzantinische Phase (3. Jh.–8. Jh.)

Im 3. Jh. tauchen, eingebettet in die im ganzen römischen Imperium verbreitete Kunst, die ältesten christlichen Motive als Randerscheinungen auf. Sie sind auf den privaten Bereich christlicher Familien und christlicher Gemeinschaften beschränkt und gehen auf deren Initiative zurück. In der öffentlichen Kunst spielen sie keine Rolle. Diese Situation ändert sich, als Kaiser Konstantin nach dem Jahr 312 beginnt, das Christentum zur Staatsreligion zu erheben. Fast aus dem Nichts entsteht eine Kunst, die römisches Staatsinteresse und christliche Inhalte miteinander verbindet. Dieser Verschmelzungsvorgang dauert etwa bis zum Beginn des 5. Jh.

Es wäre allerdings zu einfach, ab dem 5. Jh. die ‹byzantinische› Kunst beginnen zu lassen. Zwar verlagert sich ab diesem Jahrhundert das politische, wirtschaftliche und militärische Gewicht des römischen Imperiums immer weiter in den Osten des mediterranen Kulturbereichs, Byzanz/Konstantinopel wird zunehmend zu seinem eigentlichen Zentrum. Dennoch behalten, wie in den früheren Jahrhunderten, auch andere Städte ihr eigenes Gepräge und ein von ihnen kulturell bestimmtes Um- und Hinterland. Rom ist hier an erster Stelle zu nennen, aber auch Alexandria oder Antiochia (heute Antakya/Türkei).

Erst mit den arabischen Eroberungen verändert sich diese traditionell polyzentrische kulturgeographische Struktur des Imperiums. 638 fallen Antiochia und Jerusalem, 642 Alexandria und Ägypten. Am Ende des 8. Jh. reicht der arabisch-islamische Herrschaftsbereich von Aleppo bis Cordoba. Als sich im Jahr 800 Karl der Große von Papst Leo III. zum Kaiser krönen läßt, ist ein zweites Kaisertum entstanden. In West- und Mitteleuropa bilden sich in der Folge Königreiche, deren Kunst zwar immer von den mediterranen Wurzeln gespeist wird und von Konstantinopel ständig Anregungen erhält, im Laufe des Mittelalters aber deutlich eigene Züge gewinnt. Im mediterranen Kulturbereich ist ab dem 8. Jh. Konstantinopel die einzige Großstadt. Sie prägt die Kunst im gesamten östlichen Teil des christlichen Imperiums. In ihr religiöses und politisches Schwerefeld geraten zudem der gesamte Balkan, das Schwarzmeergebiet und Rußland, deren Kunst vom Einfluß Konstantinopels beherrscht wird.

Ab dem 8. Jh. kann die Kunst dieses kulturgeographischen Raumes zweifellos als ‹byzantinisch› bezeichnet werden. Jene der fünf voraufgehenden Jahrhunderte ist jedoch mit dem Begriff ‹frühchristlich› nur unzureichend benannt, da er sich lediglich auf einen Teil dieser Kunst bezieht. Sie wird daher immer häufiger auch als ‹spätantike› und/oder als ‹frühbyzantinische› Kunstepoche bezeichnet.

Die Benennung der folgenden Phasen bereitet weniger Schwierigkeiten. Wieder sind es einschneidende politische Ereignisse, die ihre Spuren in der Kunst hinterlassen und ihrer Entwicklung eine neue Richtung geben.

Die mittelbyzantinische Phase (8. Jh.–1204)

Die zweite, mit dem 8. Jh. beginnende Phase endet im Jahr 1204, als die Kreuzfahrer mit Hilfe Venedigs Konstantinopel besetzen. In diesen vier Jahrhunderten entwickelt sich eine im engeren Sinne ‹byzantinische› Kunst. Zu Beginn hatte der sog. Bilderstreit das Verhältnis der Byzantiner zur bildenden Kunst erschüttert. Er dauerte von 730 bis 787 und von 815 bis 843. Die grundsätzliche Frage, ob Christus dargestellt und seine Bilder verehrt werden dürfen, verunsicherte die Byzantiner zutiefst: hatte doch im zweiten Gebot Gott aufs schärfste verboten, Bilder von belebten Wesen, also auch von Menschen, herzustellen. War es nicht ein Zeichen des göttlichen Zorns, daß sich jetzt Naturkatastrophen häuften und die Anhänger Mohammeds, der wie Christus das Bilderverbot des Moses übernommen hatte, schon bis an die Stadtmauern Konstantinopels vorgedrungen waren? Am Ende dieser Krise, die in Konstantinopel bürgerkriegsartige Züge annahm, siegten jedoch die Bilderverehrer. Von nun an entwickelt sich eine eigene Theologie des Bildes, die vor allem Christusikonen unmittelbar mit dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes verbindet. Die in dieser Phase stattfindende Christianisierung der Slawen und das militärische Ausgreifen der Byzantiner in deren Gebiet hat eine bedeutende Ausbreitung der Kunst von Konstantinopel zur Folge. Die Stadt ist nun das alles bestimmende strahlende Zentrum des Reiches.

Im Verlauf des 11. Jh. schwächen militärische Niederlagen in Süditalien und Sizilien, auf dem Balkan und in Kleinasien sowie das Vordringen vor allem von Venedig, Genua und Pisa, die sich immer mehr Häfen im östlichen Mittelmeer aneignen können, die Position von Byzanz. Die Einnahme von Konstantinopel durch die Kreuzfahrer beendet die glanzvolle zweite Phase.

Die spätbyzantinische Phase (1204–1453)

In Konstantinopel etabliert sich 1204 ein lateinischer, also katholisch-westlicher Kaiser. Die kunsthistorisch bedeutende Folge der Einnahme ist eine enorme Intensivierung des Austauschs zwischen westlicher und byzantinischer Kunst im Bereich des östlichen Mittelmeeres. Zudem macht die ungeheure Menge von erbeuteten Werken besonders die Stadt Venedig jetzt zu einem wahren Einfallstor für die byzantinische Kunst nach ganz Westeuropa; ihr Einfluß kann bis nach England verfolgt werden.

Im Jahr 1261 gelingt es Michael VIII. Palaiologos, Konstantinopel wiederzugewinnen und auf der Peloponnes Fuß zu fassen. Ein erneuter Angriff aus dem Westen kann 1282 durch diplomatisches Geschick (‹Sizilianische Vesper›) verhindert werden. In Kleinasien gehen die meisten Gebiete an die Seldschuken/Osmanen verloren. Die Macht des bulgarischen und des serbischen Königreiches, die Byzanz unmittelbar bedrohen, wird zwar von den Osmanen gebrochen, aber damit sind nur zwei Feinde durch einen noch bedrohlicheren Gegner ersetzt. Eine letzte, unverhoffte Atempause bedeutet 1402 der Sieg Timur Lenks bei Ankara über Sultan Bajezid. Am 29. Mai 1453 aber kann die mehr als ein Jahrtausend alte, nie gestürmte Mauer der Stadt der schweren Artillerie der Osmanen nicht mehr standhalten.

In der spätbyzantinischen Phase der Kunst, die immerhin mehr als zwei Jahrhunderte dauert, ist ein ungewöhnliches Phänomen zu beobachten: Der ständige Verlust an militärischer und wirtschaftlicher Kraft wird nicht von einem Rückgang der künstlerischen Fähigkeiten begleitet. Zwar sind die neu errichteten Bauten oft fast miniaturhaft klein, ihre zierlichen Proportionen sind aber wohlausgewogen. Ihr äußerer Dekor ist spielerisch und einfallsreich, ihre Ausstattung mit Mosaiken und Malereien von höchster Qualität. Die gebildete Elite zieht sich so oft als möglich in ihre immer noch unvergleichlich reichen Bibliotheken zurück. Kopien alter Werke werden mit neuen Miniaturen ausgestattet. Schmuck und Gewänder sind von erlesener Kostbarkeit. Die Ausstrahlung der byzantinischen Kunst ist immer noch ungebrochen.

Die nachbyzantinische Phase (1453–heute)

Aber auch nach 1453 lebt die byzantinische Kunst weiter. In ihrer vierten, der sog. nachbyzantinischen Phase ist sie ein wesentlicher Bestandteil der orthodox geprägten Kultur im Zarenreich. Auch in den orthodoxen Teilen der Bevölkerung des türkischen Großreiches werden die Innenräume der von außen recht unscheinbar gehaltenen Kirchen oft reich ausgemalt. Religion und religiöse Kunst sind damals Mittel zur Erhaltung der eigenen Identität.

Die historistische Kunst des 19. Jh. greift byzantinische Motive – oder das, was man in dieser Zeit dafür hält – mit Vorliebe auf. Im 19. und 20. Jh. dominieren byzantinische Elemente in der nationalen Kunst Griechenlands. In den postkommunistischen Ländern unserer Tage manifestiert sich die wiedergewonnene nationale Identität im bewußten Rückgriff auf die byzantinisch geprägte Kunst der eigenen Vergangenheit.

1

Die Entstehung der christlichen Kunst

Anfänge im Privaten

Die Bilderlosen in einer Umwelt voller Bilder

Strenggenommen dürfte es keine bildlichen Darstellungen von Gestalten und Episoden aus dem Alten oder Neuen Testament geben. Das Judentum und das aus ihm hervorgegangene Christentum sind – wie der später entstandene Islam – monotheistische Religionen, die das Anfertigen von Abbildern Gottes und durch ihn belebter Wesen strikt ablehnen. Dieses ‹Bilderverbot› gehört zum Kernbestand der Lehren aller drei Religionen.

Wie schon zuvor das Judentum, so distanziert sich auch das Urchristentum in den beiden ersten nachchristlichen Jahrhunderten auf diese Weise von einer Umwelt, die übervoll ist von bildlichen religiösen Darstellungen. Die Kultbilder der anderen gelten als verabscheuungswürdige Götzenbilder. Auch für Christen ist das von Moses vermittelte Gebot Gottes bindend: «Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen, kein Abbild von dem, was im Himmel droben oder unten auf der Erde oder im Wasser unter der Erde ist! Du sollst dich nicht vor diesen Bildern niederwerfen und sie nicht verehren» (2. Mose 20,4f.; 34,17; ebenso 5. Mose 4,15–19; 5,8f.; 3. Mose 19,4).

Im Neuen Testament ist an keiner Stelle von einem Christusbild die Rede. Um Gott zu verehren, brauchen die Urchristen keinerlei materielle Hilfsmittel. Im Gespräch mit der Samariterin sagt Christus, daß «die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden» (Johannes 4,23). Ebensowenig benötigen die Christen einen Tempel. Sie versammeln sich in Synagogen, auf öffentlichen Plätzen, irgendwo im Freien oder in Privathäusern. Dort feiern sie den Wortgottesdienst und das von Christus eingesetzte Gedächtnismahl. Das Haus Gottes sind die Christen selbst; wenn sie sich im Geiste Christi versammeln, sind sie seine ‹Kirche›. Im ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther, entstanden um 53/55 n. Chr., ist zu lesen (3,16): «Wißt ihr nicht, daß ihr der Tempel Gottes seid und daß der Geist Gottes in euch wohnt?» Oder im zweiten Brief an die Korinther (6,16): «Wie verträgt sich der Tempel Gottes mit den Götzen? Wir sind ja doch der Tempel des lebendigen Gottes.»