Neunte, vollständig neubearbeitete Auflage
Verlag C.H.Beck
Günter Stemberger führt seit 1982 das bedeutende Werk von H. L. Strack fort, der 1887 die erste umfassende Einleitung in den Talmud in einer europäischen Sprache veröffentlicht und sie 1920 durch eine Einleitung in den Midrasch erweitert hatte. Günter Stemberger legt nun in der neunten Auflage eine vollständig neu bearbeitete, auf dem aktuellen Stand der Forschung erarbeitete Fassung dieser Einleitung vor. Er skizziert den historischen Rahmen und das rabbinische Schulwesen, bespricht die rabbinische Hermeneutik, die Frage der mündlichen Tradition sowie Methodenfragen und stellt die wichtigsten Rabbinen kurz vor. Er bietet zudem einen Überblick über die talmudische Literatur und führt in die Midraschim ein. Diese Einführung ist ein Standardwerk, das ein unentbehrliches Arbeitsbuch für das Studium des rabbinischen Schrifttums darstellt.
Günter Stemberger ist emeritierter Professor für Judaistik an der Universität Wien. Von demselben Autor sind im Verlag C.H.Beck lieferbar: Jüdische Religion (62009); Das klassische Judentum. Kultur und Geschichte der rabbinischen Zeit (2009); Der Talmud. Einführung, Texte, Erläuterung (42008); Einführung in die Judaistik (2002); Midrasch. Vom Umgang der Rabbinen mit der Bibel. Einführung-Texte-Erläuterungen (2002)
Seit Erscheinen der 8. Auflage der «Einleitung in Talmud und Midrasch» 1992 hat die Erforschung der rabbinischen Literatur wieder erfreuliche Fortschritte gemacht. Alle rabbinischen Texte sind nun in den Maagarim der Hebräischen Sprachakademie nach der jeweils besten Handschrift zugänglich (http://hebrew-treasures.huji.ac.il); die Bar Ilan Judaic Library (CD-ROM) enthält die Texte in den Standardausgaben; alle Textzeugen von Tosefta, Mekhilta und Leviticus Rabba sind auf der Website der Bar Ilan University frei zugänglich; die Handschriften des Bavli sind auf der Henkind Talmud Text Databank des Lieberman Institute verfügbar. Dazu kommen neue Editionen des palästinischen Talmud und M. Sokoloff’s Dictionary of Jewish Babylonian Aramaic. Hervorzuheben sind auch das gesteigerte Interesse an den späten Phasen des babylonischen Talmud und seiner redaktionellen Interessen sowie die nach wie vor rege Midraschforschung, die inzwischen auch manchen lange vernachlässigten späten Texten (z.B. dem Midrasch Wa-yosha) zugutekam. Dass durch Initiative des Schechter-Instituts, Jerusalem, die Midraschim zu den Megillot in Kürze kritische Ausgaben haben werden, schließt eine lange schmerzlich empfundene Lücke.
Es ist selbstverständlich, dass die Entwicklungen der fast zwanzig Jahre seit der letzten Auflage wieder eine gründliche Überarbeitung des gesamten Textes notwendig machten. Ich danke vielen Kolleginnen und Kollegen für die Zusendung von Sonderdrucken, besonders auch für noch unveröffentlichte Dissertationen. Die Abkürzungen der rabbinischen Werke habe ich im Interesse einer zunehmenden Standardisierung mit wenigen Ausnahmen an jene der Encyclopedia of the Bible and its Reception (Berlin–New York 2009ff) angepasst, ebenso deren Transkriptionssystem weitgehend übernommen, dabei aber geläufige Begriffe und Namen in der gewohnten Form belassen, auch wenn so keine volle Einheitlichkeit gegeben ist. Herrn Dr. Stefan von der Lahr und dem Verlag danke ich für die hervorragende Betreuung meines Textes. Ich kann nur hoffen, dass das Buch in der neuen Gestalt weiterhin seinen Dienst leistet.
Wien, Ende Dezember 2010 | Günter Stemberger |
Vorwort
Erster Teil. Allgemeine Einleitung
I. Der historische Rahmen
1) Die äußere Geschichte
2) Die Anfänge der rabbinischen Bewegung
3) Die Quellen
4) Die Periodisierung der jüdischen Geschichte
II. Das rabbinische Schulwesen
1) Der Elementarunterricht
2) Die rabbinische Ausbildung in Palästina
3) Die rabbinischen Akademien Babyloniens
4) Die Jüngerschaft
III. Die rabbinische Hermeneutik
1) Die sieben Regeln Hillels
2) Die dreizehn Middot des R. Jischmael
3) Die zweiunddreißig Middot
IV. Mündliche und schriftliche Tradition
1) Der Begriff der mündlichen Tora. Ein Schreibverbot?
2) Rabbinische Belege für das Schreibverbot?
3) Rabbinische Belege für die Niederschrift der mündlichen Tora
4) Schulbetrieb und mündliche Tradition
V. Vom Umgang mit rabbinischen Texten: Zur Methodenfrage
1) Die Literaturgeschichte
2) Kultur- und Religionsgeschichte
3) Form-, Traditions- und Redaktionsgeschichte
VI. Die Rabbinen
1) Unsere Quellen
2) Rabbinennamen als Datierungshilfe
3) Probleme der rabbinischen Biographie
4) Die wichtigsten Rabbinen
VII. Sprachen der rabbinischen Literatur
1) Mischna-Hebräisch (mhe1)
2) Das amoräische Hebräisch (mhe2)
3) Das galiläische Aramäisch
4) Das babylonische Aramäisch
5) Lehn- und Fremdwörter
6) Lexika
Zweiter Teil. Die talmudische Literatur
I. Die Mischna
1) Worterklärungen
2) Aufbau und Inhalt
3) Die Entstehung
4) Der Text: Handschriften und Ausgaben
5) Die Auslegung der Mischna
II. Die Tosefta
1) Name, Aufbau und Inhalt
2) Die Entstehung
3) Der Text der Tosefta
4) Kommentare zur Tosefta
III. Der palästinische Talmud
1) Begriffe: der Name
2) Inhalt und Aufbau
3) Die Entstehung nach der Tradition
4) Die Redaktion
5) Der Text
6) Kommentare
IV. Der babylonische Talmud
1) Aufbau und Inhalt
2) Die Entstehung: die Tradition
3) Die Redaktion
4) Der Text
5) Die Autorität des babylonischen Talmud
6) Kommentare
7) Der Talmud in der Polemik
V. Die außerkanonischen Traktate
1) Avot de Rabbi Natan (= ARN)
2) Soferim
3) Evel Rabbati
4) Kalla
5) Derekh Ereẓ Rabba (DER)
6) Derekh Ereẓ Zutta (DEZ)
7) Pereq ha-Shalom
8) Die anderen «kleinen Traktate»
Dritter Teil. Midraschim
I. Einführung
1) Der Begriff
2) Anfänge der Midraschexegese
3) Die Eigenart des rabbinischen Midrasch
4) Einteilung der Midraschim
5) Der Lesezyklus in der Synagoge
6) Synagogenpredigt, Peticha und Chatima
II. Die halakhischen Midraschim
1) Allgemeine Einführung
2) Die Mekhilta de Rabbi Jischmael (= MekhY)
3) Die Mekhilta de Rabbi Simeon ben Jochai (= MekhSh)
4) Sifra
5) Eine «Mekhilta» zu Lev?
6) Sifre Numeri (= SifBem)
7) Sifre Zutta Numeri (= SifZ)
8) Sifre Deuteronomium (= SifDev)
9) Midrasch Tannaim (= MidTan)
10) Sifre Zutta zu Deuteronomium (= SifZ Dev)
III. Die ältesten Auslegungsmidraschim
1) Genesis Rabba (BerR)
2) Klagelieder Rabba (EkhR)
IV. Homilien-Midraschim
1) Levitikus Rabba (WaR)
2) Pesiqta de Rav Kahana (PesK)
3) Pesiqta Rabbati (PesR)
4) Tanchuma – Yelamdenu
5) Deuteronomium Rabba (DevR)
6) Exodus Rabba (ShemR)
7) Numeri Rabba (BemR)
8) Kleinere Homilien-Midraschim
V. Midraschim zu den fünf Megillot
1) Die sogenannten Rabbot
2) Andere Midraschim zu den Megillot
VI. Andere Auslegungsmidraschim
1) Midrasch Psalmen (MidTeh)
2) Midrasch Mishle (MidMish)
3) Midrasch Samuel
4) Midrasch Ijob
VII. Andere Haggadawerke
1) Vom Midrasch zur Erzählliteratur
2) Ethische Midraschim
3) Esoterische bzw. mystische Schriften
VIII. Sammelwerke und Midrasch genannte Kommentare
1) Yalqut Shimoni
2) Yalqut ha-Makhiri
3) Yalqut Reuveni
4) Midrasch ha-Gadol (MHG)
5) Pitron Tora
6) Bereshit Rabbati
7) Leqaḥ Tov
8) Sekhel Tov
9) Bereshit Zutta
10) Weitere Midraschim und verwandte Werke
Anhang
Liste der Wochenlesungen (Sedarim) aus der Tora
Abgekürzt zitierte Literatur
Abkürzungen
Register
Sachregister
Büchertitel
Eigennamen
Lit.: Palästina: G. Alon, The Jews; ders., Studies; M. Avi-Yonah, Geschichte der Juden im Zeitalter des Talmud, B 1962; Z. Baras, S. Safrai, M. Stern, Y. Tsafrir, Hg., Eretz Israel from the Destruction of the Second Temple to the Muslim Conquest (h), 2 Bde., J 1982–1984; L. I. Levine, Hg., The Galilee in Late Antiquity, NY-J 1992; A. Oppenheimer, Galilee in the Mishnaic Period (h), J 1991; P. Schäfer, Der Bar-Kokhba-Aufstand, Tüb. 1981; ders., Hg., The Bar Kokhba War Reconsidered. New Perspectives on the Second Jewish Revolt against Rome, Tüb. 2003; ders., Geschichte der Juden in der Antike, Tüb. 2010; E. M. Smallwood, The Jews under Roman Rule. From Pompey to Diocletian, L 1976; G. Stemberger, Das klassische Judentum. Kultur und Geschichte der rabbinischen Zeit, M 22009; ders., Juden und Christen im Heiligen Land. Palästina unter Konstantin und Theodosius, M 1987. – Babylonien: I. M. Gafni, Babylonia; ders., Babylonian Rabbinic Culture, in: D. Biale, Hg., Cultures of the Jews, NY 2002, 223–265; ders., The political, social, and economic history of Babylonian Jewry, 224–638 CE, CHJ IV 792–820; J. Neusner, Babylonia; A. Oppenheimer, Babylonia Judaica in the Talmudic Period, Wiesbaden 1983. – Innerjüdische Organisation: M. Beer, Exilarchate; M. Gil, The Exilarchate, in: D. Frank, Hg., The Jews of Medieval Islam. Community, Society, and Identity, L 1995, 33–65; D. Goodblatt, The Monarchic Principle. Studies in Jewish Self-Government in Antiquity, Tüb. 1994; L. L. Grabbe, Sanhedrin, Sanhedriyyot, or Mere Invention, JSJ 39 (2008) 1–19; A. Grossman, Reshut ha-gola be-Bavel bi-tequfat ha-Geonim, J 1984; G. Herman, The Exilarchate in the Sasanian Era (h), Diss. J 2005; M. Jacobs, Die Institution des jüdischen Patriarchen, Tüb. 1995; L. I. Levine, The Jewish Patriarch (Nasi) in Third Century Palestine, ANRW II 19/2, 649–688; H. Mantel, Sanhedrin; A. Sivertsev, Private Households and Public Politics in 3rd–5th century Jewish Palestine, Tüb. 2002. – Anfänge der rabb. Bewegung: S.J.D. Cohen, The Significance of Yavneh: Pharisees, Rabbis, and the End of Jewish Sectarianism, HUCA 55 (1984) 27–53 (= ders., Essays 44–70); C. Hezser, The Social Structure; J. Neusner, Development; A. J. Saldarini, The End of the Rabbinic Chain of Tradition, JBL 93 (1974) 97–106; P. Schäfer, Die Flucht Joḥanan b. Zakkais aus Jerusalem und die Gründung des «Lehrhauses» in Jabne, ANRW II 19/2, 43–101.
Die geschichtliche Periode, vor deren Hintergrund die hier darzustellende rabb. Literatur entstanden ist, ist das 1. Jahrtausend unserer Zeitrechnung. Ihr Anfangspunkt ist, grob genommen, das Jahr 70 mit der Zerstörung Jerusalems und seines Tempels durch Titus, ihr Endpunkt etwa das Jahr 1040 mit dem Niedergang der gaonäischen Akademien Babyloniens, auch wenn die letzten Werke der rabb. Literatur erst Jahrhunderte später entstanden.
Die wesentlichen Fakten dieser Periode seien ganz knapp in Erinnerung gerufen, da ja keine Literatur ohne ihren zeitgeschichtlichen Zusammenhang begriffen werden kann. Die beiden wichtigsten Zentren des jüdischen Lebens in der damaligen Welt waren Palästina und Babylonien; aus diesen Zentren ist die rabb. Literatur fast ausschließlich hervorgegangen.
In Palästina ging den Juden mit ihrer Niederlage im Jahre 70 der letzte Rest staatlicher Eigenständigkeit für immer verloren, der Tempel als religiöses Zentrum und als Basis der priesterlichen Macht existierte nicht mehr. Die Neuorganisation einer jüdischen Selbstverwaltung entwickelte sich nur allmählich aus dem neuen Zentrum religiöser Gelehrsamkeit, Javne: Dort begann Jochanan ben Zakkai bald nach 70, jüdische Gelehrte vor allem aus pharisäischen und Schriftgelehrtenkreisen, aber auch aus den sonstigen wichtigen Gruppen des zeitgenössischen Judentums um sich zu sammeln. Aus diesen Anfängen ging langsam die neue jüdische Führung Palästinas hervor, die das Judentum durch eine Zeit ohne Tempel und ohne Staat zu lenken imstande war: das Patriarchat mit seinem Gericht, das einen früheren Sanhedrin fortzuführen beanspruchte, und seiner Schule.
Am großen Diaspora-Aufstand gegen die römische Herrschaft in den Jahren 115–117 haben die Juden Palästinas, soweit sich erkennen lässt, wohl nicht teilgenommen (für zumindest geringere Unruhen auch in Judäa plädiert M. Pucci Ben Zeev, Diaspora Judaism in Turmoil, 116/117 CE, Leuven 2005, 219–257). Doch dann ließen sie sich unter der Führung Bar Kokhbas in den folgenschweren zweiten großen Aufstand gegen Rom in den Jahren 132–135 ziehen. Erst nach dem Tod Hadrians im Jahr 138 kam es zu einer Versöhnung mit Rom: Unter den Antoninen und Severern konnte sodann ein friedlicher Wiederaufbau beginnen, an dessen Ende das machtvolle Patriarchat Jehuda ha-Nasi’s, kurz Rabbi genannt, stand. Die jüdische Bevölkerung Palästinas hatte nach 135 ihren Schwerpunkt nicht mehr in Judäa, sondern in Galiläa; Zentrum der rabbinischen Bewegung war nach dem Bar-Kokhba-Aufstand somit auch nicht mehr Javne, sondern zuerst Uscha (bis etwa 170), dann Bet Schearim und Sepphoris, schließlich ab der Mitte des 3. Jhs. Tiberias.
Das 3. Jh. brachte dem palästinischen Judentum eine Verfestigung seiner Strukturen – Führung durch das nunmehr erbliche Patriarchat und Aufstieg des Rabbinats. Gleichzeitig hatte Palästina natürlich auch seinen Anteil an den politischen Wirren und dem wirtschaftlichen Niedergang des Römischen Reichs in dieser Periode, aus der vor allem zwei Fakten hervorzuheben sind: Politisch und wirtschaftlich von weitreichender Bedeutung war die Constitutio Antoniniana Caracallas von 212, die (fast) allen Reichsbewohnern, also auch den Juden, das römische Bürgerrecht verlieh. Direkter betroffen war das palästinische Judentum durch die Episode der Herrschaft Odenats und Zenobias von Palmyra über weite Gebiete im Osten des Römischen Reichs, darunter auch Palästina (260–273).
Die große Wende kam mit der Christianisierung des Römischen Reiches unter Konstantin: 313 wurde das Christentum durch das «Edikt» von Mailand zur religio licita; mit der Alleinherrschaft Konstantins ab 324 wurde dies auch für Palästina bedeutsam. Die Folgezeit brachte ein stetiges Vordringen des Christentums, sodass das Judentum sogar in Palästina immer mehr in die Defensive geriet. Die Herrschaft Julians (361–363), der sogar den Wiederaufbau des Tempels zu Jerusalem gestattete, bedeutete nur eine kurze Atempause. Dann setzte sich das Christentum endgültig durch. Nach außen ist dies vor allem durch ein Gesetz aus dem Jahr 380 dokumentiert, das alle Untertanen des Reichs auf das nizänische Glaubensbekenntnis verpflichtete und damit das Christentum de facto zur Staatsreligion machte. Zwischen 415 und 429 wurde die Institution des jüdischen Patriarchats aufgehoben. Der 438 promulgierte Codex Theodosianus und vollends der 529 bzw. 534 veröffentlichte Codex Justinianus fixierten dann endgültig die Rechtslage zuungunsten der jüdischen Bevölkerung. So verwundert es nicht, dass die Juden Palästinas sich viel von der Herrschaft der Perser (614–628) erwarteten; wiederum enttäuscht, ließen sie die Wiederkehr der byzantinischen Regierung über sich ergehen, bis die arabische Invasion – 638 kapitulierte Jerusalem – sie endgültig aus christlicher Macht befreite.
Babylonien, seit dem Exil von 586–538 stets Wohnsitz einer bedeutenden jüdischen Volksgruppe, wurde für die rabb.-jüdische Geschichte mit dem Bar-Kokhba-Aufstand bedeutsam. Nun flüchteten nämlich zahlreiche Rabbinen Palästinas nach Babylonien, und manche von ihnen blieben, auch nachdem sich die Lage in ihrer Heimat wieder normalisiert hatte. Um 226 wurde die parthische Herrschaft über Babylonien durch die sassanidischen Perser abgelöst, die den zoroastrischen Glauben als Staatsreligion durchzusetzen versuchten. Anfänglich führte dies zu Schwierigkeiten für die jüdische Bevölkerung, doch unter Schapur I. erhielt sie um 250 ihre Autonomie wieder bestätigt; Voraussetzung dafür war die Anerkennung des Landesgesetzes. Der Exilarch als Führer der jüdischen Selbstverwaltung ist in dieser Zeit erstmals belegt, auch wenn es das Amt schon früher gegeben haben mag.
Eine lange Periode der Stabilität und Blüte fand erst in der 2. Hälfte des 5. Jhs. ihr abruptes Ende mit einer Reihe von Judenverfolgungen (gleichzeitig mit Christenverfolgungen), die um 468 ihren Höhepunkt erreichten: Die jüdische Selbstverwaltung wurde aufgelöst, der Exilarch hingerichtet; Synagogen wurden geschlossen und zahlreiche Rabbinen getötet. Die Normalisierung der Verhältnisse in der ersten Hälfte des 6. Jhs. brachte keine Erneuerung des Exilarchats; ähnlich wie in Palästina fehlte somit auch in Babylonien dem Judentum die straffe zentrale Führung.
Die entscheidende Wende kam auch in Babylonien durch die Machtübernahme der Araber um 640. Die beiden großen jüdischen Zentren befanden sich nun erstmals unter einer gemeinsamen politischen Verwaltung; deren Hauptstadt war zuerst unter den Omaijaden Damaskus, womit zunächst Palästina dem Machtzentrum näher war, dann jedoch ab 750 unter den Abbassiden Bagdad, was innerjüdisch zu einer Dominanz des babylonischen Judentums führte. Das erneuerte Exilarchat und die Führer der großen rabb. Akademien von Sura und Pumbedita – beide nunmehr in Bagdad – wurden für einige Zeit die anerkannten Vertreter des Judentums nicht nur in Babylonien, sondern auch in der übrigen Diaspora und, mit gewissen Einschränkungen, sogar in Palästina.
Doch der politische Niedergang des Kalifats brachte dann eine langsame Gewichtsverlagerung innerhalb der jüdischen Bevölkerung mit sich: Ägypten, Nordafrika und Spanien wurden immer bedeutender; das Exilarchat verlor an Einfluss, die gaonäischen Schulen gingen darnieder. Die Kreuzzugsbewegung schließlich – 1099 eroberten die Kreuzfahrer Jerusalem – bedeutete das endgültige Aus für diese Geschichtsepoche und die jüdische Welt, in der die rabb. Literatur entstanden war. Mag auch die literarische Tätigkeit im Geist der Rabbinen noch einige Zeit weitergegangen sein, ihre Zeit war endgültig vorbei, und die Schriften der Rabbinen wurden nun selbst Gegenstand von Kommentaren und Kompendien, wurden Primärliteratur.
Aus heutiger Sicht ist das Jahr 70 ein eindeutiger Wendepunkt in der jüdischen Geschichte. War es jedoch auch für die Zeitgenossen ein solcher Schnitt, der klar die Zeit des Tempels und der Pharisäer von der Zeit nach 70 ohne Tempel und mit den Rabbinen trennte? Die Einführung des Titels Rabbi (zu unterscheiden von der Anrede Rabbi im Sinn «mein Herr, mein Meister») deutet auf ein solches Bewusstsein einer neuen Epoche hin. Das spiegelt sich in tEd 3,4 (Z. 460): «Wer Schüler hat, die selbst wieder Schüler haben, den nennt man Rabbi. Sind seine Schüler vergessen, nennt man ihn Rabban; sind auch die Schüler seiner Schüler schon vergessen, nennt man ihn beim (bloßen) Namen.» Dem in diesem Text reflektierten Sprachgebrauch nach 70 lag keine bloß äußerliche Änderung zugrunde, sondern ein neues Selbstverständnis; dieses ist nicht plötzlich und geradlinig entstanden, doch aus dem Rückblick der 2. Hälfte des 2. Jhs. schon klar.
Dieser Wandel im Selbstverständnis der Rabbinen zeigt sich auch in der Traditionskette von Avot bzw. ARN. Diese Schriften bieten zuerst eine Liste der «Paare» bis Hillel und Schammai, die untereinander bis zurück zu Mose durch Empfang und Weitergabe der Tora verbunden sind. Nach Hillel und Schammai erfolgt ein Bruch: Nur Jochanan ben Zakkai wird nachträglich mit derselben Traditionsterminologie eingefügt (qibbel – masar), während die später dazugefügte Patriarchenliste und die Aufzählung der anderen Rabbinen diese typische Terminologie nicht verwendet. Das zeigt das Bemühen, Jochanan mit den «Paaren» zu verbinden, die rabb. Tradition mit der pharisäischen zu verknüpfen (Saldarini).
Wie J. Neusner verschiedentlich betont hat (z.B. Phar III 228. 282f.), kam dieses Bemühen in der Zeit von Javne noch nicht zum Tragen: Damals fühlte man noch gar keinen Bruch mit der Zeit vor 70. Dessen wurde man sich vielmehr erst in Uscha bewusst, als klar war, dass es in absehbarer Zeit keinen Tempel und keine Restauration früherer Zustände geben würde: «the real break in the history of the Pharisaic-rabbinic movement comes not at 70, with the destruction of the Temple, but at 140, with the devastation of southern Palestine and the reconstitution of the rabbinic movement and the patriarchal government in the north» (Phar III 283). Nun erst wurde deutlich, dass die Ereignisse des Jahres 70 zu einem irreparablen Bruch geführt hatten, und in den folgenden Jahrzehnten begann man explizit an die Zeit vor 70 anzuknüpfen, die geistigen Stammväter der rabb. Bewegung in Hillel und Schammai und ihren Schulen bewusst darzustellen, ja den Ahnen bis in die Zeit Simeons des Gerechten und Esras nachzuspüren, die Kontinuität bis Mose herzustellen.
Die Erzählung von der Flucht Jochanan ben Zakkais aus Jerusalem wurde bald zur Gründungslegende des rabb. Judentums (dazu Schäfer; D. Boyarin, Border Lines: The Partition of Judaeo-Christianity, Phil. 2004, 151–201). Doch dauerte es lange, bis man gerade hier den entscheidenden Neueinsatz gesehen hat. Erst aus der Sicht der Späteren ist es klar, dass der Verlust der Eigenstaatlichkeit und des Tempels die Voraussetzung für den Aufstieg des rabb. Judentums war. Noch mehr Zeit verging natürlich, bis sich das Rabbinat als die neue Führungsschicht des Judentums durchsetzen konnte und es die Vielfalt des Judentums vor 70 zu einer gewissen Einförmigkeit reduzierte. Das rabb. Judentum stellte nie die einzige Ausprägung jüdischen Lebens dar; und es ist auch erst durch eine Entwicklung von Jahrhunderten zu dem «normativen» Judentum geworden, als das man es gern für die ganze Periode gesehen hat.
Die Quellen für die Darstellung der rabb. Zeit sind so einseitig, dass das aus ihnen gewonnene Geschichtsbild weithin ungesichert bleibt – so geht etwa die Vorstellung vom «normativen» Judentum auf diese Quellenlage zurück. Nur die großen Linien der äußeren Geschichte sind durch nichtjüdische Quellen hinreichend belegt. Was jedoch die innere Entwicklung des rabb. Judentums betrifft, sind wir fast vollständig auf das Selbstzeugnis der Rabbinen angewiesen, somit auf die Literatur einer einzigen Gruppe innerhalb dieses Judentums – das Selbstverständnis der Rabbinen prägt jegliche Überlieferung. Zwar kann man dieses Bild zum Teil durch archäologische Funde (zumindest in Palästina), durch Texte der Kirchenväter und andere nichtjüdische Schriften überprüfen und korrigieren; Tatsache bleibt aber, dass außer den Rabbinen keine andere Gruppierung innerhalb des damaligen Judentums uns literarische Zeugnisse hinterlassen hat. Wenn die Geonim – etwa der Seder Tannaim we-Amoraim oder der Brief des Scherira Gaon – uns die Zustände der rabb. Zeit schildern, erfolgt dies wiederum in einem bestimmten Gruppeninteresse; somit sind sie kein geeignetes Korrektiv gegenüber den rabb. Darstellungen. Die tatsächliche Bedeutung der rabb. Bewegung innerhalb des jüdischen Lebens vor allem der talmudischen Periode ist so nur mit Vorsicht abzuschätzen. Sicher ist, dass die Rabbinen erst langsam zur anerkannten Führungsschicht innerhalb des Judentums aufgestiegen sind, erst allmählich ihre Gruppenliteratur zur fast kanonischen Literatur des Judentums werden konnte.
Der Seder Tannaim we-Amoraim (STA) verbindet eine Methodenlehre – wie kann man die geltende Halakha aus der rabb. Literatur ableiten? Wie verhält sich die Mischna zu den Baraitot und zu den halakhischen Midraschim? – mit einer Traditionskette nach dem Vorbild von Avot, aber auch unter dem Einfluss der islamischen Methode des isnad al-hadith; dieser Teil überliefert die Patriarchenliste ab Hillel sowie eine Aufzählung der rabb. Lehrer bis zum Ende der savoräischen Periode. Wie schon Azaria dei Rossi im Meor Enayim bemerkt hat, steht am Ende dieser Liste das Datum 884 (sowohl in seleukidischer Zeitrechnung wie auch von der Weltschöpfung her datiert). Gewöhnlich betrachtet man somit 884 als Entstehungsjahr der Schrift, was jedoch keineswegs sicher ist, zumal die Schrift aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt ist. Stücke könnten aus Israel stammen, andere in Babylonien entstanden sein, spätere wiederum in Nordafrika und Frankreich, wo der vollständigste Text im Machzor Vitry überliefert ist. Kritische Ausgabe (Grundtext Machzor Vitry): K. Kahan, Hg., Seder Tannaim we-Amoraim, F 1935 (mit deutscher Einleitung); vgl. dazu J. E. Ephrati, The Sevoraic Period 14–32; S. Abramson, Le-toldot nusah «Seder Tannaim we-Amoraim», FS E. Z. Melammed, Ramat Gan 1982, 215–247 (Geniza-Fragmente); R. Brody, The Geonim 274–277.
Brief des Scherira Gaon (Iggeret Rav Scherira Gaon, daher ISG): 987 vom Gaon von Pumbedita Scherira (ca. 906–1006) an Jakob ben Nissim ibn Shahin und die Gemeinde von Kairowan geschriebene Antwort auf Fragen zur Redaktion von Mischna, Tosefta und Talmud. Scherira verbindet eine Darstellung der rabb. Schriften mit einer Aufzählung der wichtigen Rabbinen sowie der Geonim bis zu seiner Zeit. In zwei Rezensionen, einer französischen und einer «spanischen», überliefert (diese ist nach Schlüter eher eine aschkenasische Überarbeitung). Während B. M. Lewin der «spanischen» Fassung den Vorzug gibt, wird heute eher die französische bevorzugt, die allein in der Geniza belegt ist (cf. Epstein, IAL 610–615; Brody, The Geonim 20–25). Kritische Ausgabe: B. M. Lewin, Hg., Iggeret Rav Scherira Gaon, F 1920, Ndr. J 1972; M. Schlüter, Auf welche Weise wurde die Mishna geschrieben? Das Antwortschreiben des Rav Sherira Gaon. Mit einem Faksimile der Handschrift Berlin Qu. 685 (Or. 160) und des Erstdrucks Konstantinopel 1566, Tüb. 1993 (mit komment. Übers. beider Versionen). Dazu: S. Assaf, Geonim 149–153; M. Beer, The Sources of Rav Sherira Gaon’s Igeret (h), Bar-Ilan 4–5 (1967) 181–196; Ephrati, The Sevoraic Period 1–13; I. M. Gafni, On Talmudic Historiography in the Epistle of Rav Sherira Gaon: Between Tradition and Creativity (h), Zion 73 (2008) 271–296.
In der rabb. Zeit erfolgt die Periodisierung aufgrund der Quellenlage völlig aus der Sicht der Rabbinen und ihrer Interessen: Zentral für sie ist das Verhältnis zu Tradition und Lehre, was sich auch in der Abgrenzung der Perioden spiegelt. Von Hillel und Schammai zu Beginn unserer Zeitrechnung – nach Joseph Ibn Aqnin, einem Schüler des Maimonides, schon ab Simeon dem Gerechten um 300 v. Chr., nach Abraham Ibn Daud’s um 1160/61 geschriebenem Sefer ha-Qabbala wiederum erst nach 70, genauer nach Jochanan ben Zakkai beginnend – reicht bis zu Rabbi und seinen Söhnen, somit ins frühe 3. Jh., die Zeit der Tannaiten (aram. tanna, von hebr. shana «wiederholen, lehren, lernen»: die Meister der später als autoritativ betrachteten, mündlich durch ständige Wiederholung weitergegebenen Lehre) (dazu Bacher, ET I 193f., II 241). Bis etwa 500 folgen die Amoräer (amar, «sagen, kommentieren», somit die Kommentatoren der tannaitischen Lehren). Die Zeit der Savoräer (savar, «meinen»: die Bearbeiter des babylonischen Talmud) im 6. und wohl auch frühen 7. Jh. findet ihre Fortsetzung in der Periode der Geonim (gaon, «erhaben», Titel der Schulhäupter Babyloniens) bis ins 11. Jh.
Diese Periodisierung ist schon sehr alt; bereits die Gemara des Talmud bzw. die Midraschim treffen die Unterscheidung zwischen den Tannaiten und den ihnen folgenden Lehrern: Als Tanna im eigentlichen Sinn (zu einer anderen Bedeutung siehe S. 22) bezeichnen sie nur die Lehrer der mischnaischen Zeit, deren Aussprüche sie mit entsprechenden Verbalformen (tenu, teni u. Ä.) einleiten; ebenso ist die Verwendung von amar im spezifischen Sinn schon talmudisch. Die Bezeichnungen savora bzw. gaon stammen aus der gaonäischen Periode: So findet man die üblich gewordene Periodisierung schon in STA und ISG vor; Abraham Ibn Daud hat sie dann voll ausgebaut: Von ihm stammt auch die heute noch übliche Unterteilung der tannaitischen Periode in fünf Generationen, die der amoräischen Zeit in sieben Generationen.
Lit.: B. S. Cohen, On Local Academies in Talmudic Babylonia (R. Ada bar Ahava, R. Sheshet, R. Hamnuna I and II) (h), Zion 70 (2005) 447–471; H. Z. Dimitrovsky, Hg., Exploring the Talmud, Bd. I: Education, NY 1976; J. Florsheim, The Establishment and Early Development of the Babylonian Academies, Sura and Pumbeditha (h), Zion 39 (1974) 183–197; I. Gafni, Babylonia 177–236 (Lit.!); B. Gerhardsson, Memory and Manuscript; D. M. Goodblatt, Instruction; ders., New Developments in the Study of the Babylonian Yeshivot (h), Zion 46 (1981) 14–38; ders., The history of the Babylonian academies, CHJ IV 821–839; C.Hezser, Jewish Literacy in Roman Palestine, Tüb. 2001; J. N. Lightstone, The Institutionalization of the Rabbinic Academy in Late Sassanid Babylonia and the Redaction of the Babylonian Talmud, StudRel/SciRel 22 (1993) 167–186; B.-Z. Rosenfeld, Torah Centers and Rabbinic Activity in Palestine 70–400 CE. History and Geographic Distribution, L 2010; J. L. Rubenstein, The Rise of the Babylonian Rabbinic Academy: A Reexamination of the Talmudic Evidence, JSIJ 1 (2002) 55–68. – Zur Ordination: W. Bacher, Zur Geschichte der Ordination, MGWJ 38 (1894) 122–127; Y. Breuer, «Rabbi is Greater than Rav, Rabban is Greater than Rabbi, The Simple Name is Greater than Rabban» (h), Tarbiz 66 [1996f.] 41–59; E. Lohse, Die Ordination im Spätjudentum und Urchristentum, Göttingen 1951; G. Stemberger, Die Ordination der Rabbinen – Idealbild oder historische Wirklichkeit? Trumah 15 (2006) 25–52 (= Judaica Minora II 187–215). – Zur Jüngerschaft: R. Kirschner, Imitatio Rabbini, JSJ 17 (1986) 70–79; J. Neusner, Talmudic Judaism in Sasanian Babylonia, L 1976, 46–135.
«Sitz im Leben» der rabb. Literatur ist neben der Synagoge und im geringeren Maß dem Gerichtswesen der Schulbetrieb im weitesten Sinn. Dieser Schulbetrieb spiegelt sich in den rabb. Texten und trägt seinerseits zur Erklärung dieser Texte bei. Zugleich hat das rabb. Schulwesen den wichtigsten Beitrag zur Ausbreitung des rabb. Ideals geleistet, bis dieses das gesamte Judentum mehr oder weniger bestimmt hat. Daher muss das Schulwesen in seiner Entwicklung hier kurz skizziert werden; zwei seiner wesentlichen Aspekte – Hermeneutik und mündliche Tradition – werden in den folgenden Abschnitten behandelt.
Schon die Bibel verpflichtet den Vater zur religiösen Unterweisung seiner Söhne (Dtn 11,19). SifDev § 46 (F. 104) verdeutlicht dies damit, dass der Vater mit seinem Sohn in der heiligen Sprache reden und ihn Tora lehren müsse. Mädchen zu unterrichten wurde im Allgemeinen abgelehnt (Kontroverse in mSot 3,4). Die meisten Väter waren kaum in der Lage, diese Verpflichtung selbst zu erfüllen oder aber Privatlehrer anzustellen; die Gründung von Schulen erwies sich somit wohl bald als Bedürfnis. Die rabb. Tradition schreibt dies Simeon ben Schetach zu (yKet 8,11,32c). Jehoschua ben Gamala, Hohepriester in den Jahren vor dem großen Aufstand gegen Rom, soll das Schulwesen auf alle Städte ausgedehnt haben, sodass Knaben ab dem Alter von sechs oder sieben Jahren allgemein zur Schule gehen konnten (bBB 21a). Doch selbst wenn diese Tradition verlässlich sein sollte, kann eine solche Initiative in der damaligen politischen Lage kaum lange anhaltenden Erfolg gehabt haben: Nach dem Aufstand hätte sicher wieder neu mit dem Aufbau des Schulwesens begonnen werden müssen, ebenso nach dem Bar-Kokhba-Aufstand und den schwierigen Jahren, die ihm bis zum Tode Hadrians 138 folgten. Ab dem 3. Jh. ist der Schulunterricht für Knaben in rabb. Quellen breiter belegt und hat sich langfristig dann allgemein durchgesetzt. Eine Baraita kann somit einem Gelehrten verbieten, in einem Ort zu wohnen, in dem es u.a. keinen Kinderlehrer gibt (bSan 17b). Doch darf die Idealvorstellung, dass ein (männlicher) Jude auf jeden Fall lesen und schreiben kann, nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies der Endpunkt eines langen Prozesses war, in talmudischer Zeit aber nur in geringem Maß realisiert wurde (dazu ausführlich Hezser, Literacy).
Die Grundschule (bet sefer, «Haus des Buches») befand sich im Haus des Lehrers, später oft in der Synagoge oder einem ihrer Nebenräume. Das Kind lernte dort vor allem den Bibeltext lesen. Es begann mit dem Alphabet auf einer Tafel (ARN A6,10 Sch. 29; B. 80f.), bekam dann kleine Stücke der Tora auf Schriftrollen vorgelegt (yMeg 3,1,74a) und schließlich vielleicht vollständige Torarollen. Das Buch, mit dem man begann, war Lev (WaR 7,3, M. 156). Im Lauf der Schulzeit sollte das Kind theoretisch die gesamte Bibel zusammen mit dem Targum (soweit vorhanden) durchlernen. Die Lernmethode, die hier wie überhaupt im jüdischen Schulwesen bevorzugt wurde, bestand im lauten Lesen (bEr 53b–54a) und der ständigen Wiederholung (bHag 9b).
Der allgemeine Schulbesuch endete im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren (BerR 63,9, Th-A 692; bKet 50a; mAv 5,21 mit seinen Altersangaben ist eine spätere Ergänzung des Textes). Knaben, die noch weiter lernen wollten, gingen dann zu einem Mischnalehrer in das «Lehrhaus» (bet midrash oder bet talmud), wo sie die Grundzüge der jüdischen Tradition und der Halakha lernten. Eine allgemeinere Fortbildung über das Grundschulniveau hinaus erfolgte durch Predigt und Lehrvortrag in Synagoge und Lehrhaus am Sabbat.
Auch die rabb. Schulen in Palästina wurden wie die Oberschule als bet ha-midrash bezeichnet. Der Ausdruck yeshiva oder aram. metivta, später für rabb. Schulen geläufig, wurde hingegen zumindest in tannaitischer Zeit nicht dafür verwendet, sondern wörtlich als «Sitzung» verstanden, gelegentlich auch als der bei einer solchen Sitzung vorgetragene Lehrstoff; übertragen wurde der Ausdruck dann auch vom Gericht verwendet. Insofern das Gericht dem Publikum offenstand und die Verhandlungen zugleich der praktischen Unterweisung der Studenten dienten, mag sich hier ein Übergang zur Bedeutung «Hochschule, Akademie» ergeben haben.
Über die Vorläufer des rabb. Schulwesens in der Zeit des Tempels, ob es nun Einrichtungen der Pharisäer oder der Schriftgelehrten waren, ist uns fast nichts bekannt. Die Schilderung des bet ha-midrash auf dem Tempelberg in tSan 7,1 (Z. 425) enthält zumindest zum Teil anachronistische Züge; auch geht es hier nicht um einen Schulbetrieb im eigentlichen Sinn, sondern um die Entscheidung der Halakha durch den Großen Gerichtshof in der Quaderkammer vor Publikum, was natürlich eine gewisse Unterweisung mit sich bringt. Dass Jochanan ben Zakkai vor 70 im galiläischen Dorf Arav ein Lehrhaus geführt habe, wird zwar oft aus yShab 16,8,15d herausgelesen, ist dort jedoch nicht explizit behauptet (cf. Neusner, Development 133f.). Außerdem ist der Text relativ spät entstanden und anekdotisch, historisch somit nur sehr bedingt verwertbar. Die «Häuser» Hillels und Schammais schließlich können ebenso wenig im Sinn von organisierten Schulen verstanden werden (gegen Gerhardsson 85: «two different school foundations and not merely two tendencies»). Als Legende ist auch die Angabe bBB 134a zu betrachten, dass Hillel achtzig Schüler gehabt habe.
Für die Zeit nach 70 ist vor allem eine Baraita in bSan 32b informativ: «‹Gerechtigkeit, Gerechtigkeit, ihr sollst du nachjagen› (Dtn 16,20). Folge den Gelehrten zur yeshiva, R. Eliezer nach Lod, R. Jochanan ben Zakkai nach Beror Chajil, R. Jehoschua nach Peqiin, Rabban Gamaliel nach Javne, R. Aqiva nach Bene Beraq, R. Mattja nach Rom, R. Chananja ben Teradjon nach Sikhnin, R. Jose nach Sepphoris, R. Jehuda ben Batyra nach Nisibis, R. (Chanina, dem Schwestersohn des R.) Jehoschua in die Diaspora [d.h. Babylonien], Rabbi nach Bet Schearim, den Gelehrten in die Quaderkammer.»
Dieser Text geht auf eine in bSan 32b zuvor zitierte kürzere Fassung zurück, die das rechtmäßige Gericht nur bei R. Eliezer in Lod und bei Rabban Jochanan ben Zakkai in Beror Chajil gewährleistet sieht, also vielleicht gegen die Nachfolge Jochanans durch Gamaliel in Javne polemisiert. Dieser Text wurde später in eine Liste von Lehrzentren umgewandelt, die man vielleicht in die Zeit um 200 datieren kann, da Rabbi noch in Bet Schearim und noch nicht in Sepphoris wirkt (es sei denn, man wollte Sepphoris nur nicht ein zweites Mal nennen, nachdem es zuvor schon für R. Jose in der vorhergehenden Generation erwähnt worden war).
Einzelheiten über den Schulbetrieb, vor allem für die tannaitische Periode, sind nur spärlich bekannt. Mit einer fest organisierten Schule können wir für die frühe Zeit wohl nur am jeweiligen Sitz des Patriarchen rechnen, wo die Schule fest mit dem Gerichtshof verbunden war (kein Sanhedrin im ursprünglichen Sinn: siehe Levine, The Rabbinic Class of Roman Palestine in Late Antiquity, J 1989, 76–83). Die Schulen der anderen Gelehrten waren wohl eher kleine Jüngerkreise, die sich am Wohnsitz eines bekannten Lehrers bildeten und nach dessen Weggang oder Tod auch wieder auflösten. Erst ab dem 3. Jh. entstanden auch außerhalb des Patriarchensitzes größere rabb. Zentren, die in den Texten immer wieder zusammenfassend z.B. als «die Rabbinen von Caesarea» oder «die Rabbinen aus dem Süden» (wahrscheinlich Lod) genannt werden. Die wichtigsten Schulen Galiläas in amoräischer Zeit waren Sepphoris (auch noch nach dem Weggang des Patriarchen nach Tiberias) und Tiberias, wo schon R. Meir unterrichtet haben soll (yHag 2,1,77b) und R. Jochanan bar Nappacha (lt. Scherira 279 gestorben) die Schule zu großem Ansehen brachte. Noch vor der Übersiedlung des Patriarchats nach Tiberias gegründet, überlebte diese Schule auch das Ende des Patriarchats und blieb bis in die islamische Zeit bedeutend, bis dann Jerusalem wieder das eigentliche Schulzentrum wurde.
Die Geschichte dieser Schulen ist nur in gaonäischen Quellen aus dem 9. und 10. Jh. überliefert (Tanchuma, STA und vor allem ISG). An die Angaben Scheriras hat sich auch die jüdische Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jhs. fast ausnahmslos gehalten und sie im Wesentlichen nur mit talmudischem Material gefüllt. Demnach sollen die großen babylonischen Schulen auf das 3. Jh. zurückgehen: Rav, ein jüngerer Zeitgenosse Rabbis, habe in Sura am Eufrat die Hochschule gegründet und sei ihr erster Rektor gewesen; sein Zeitgenosse Mar Samuel habe die Hochschule von Nehardea geleitet; Jehuda bar Jechezqel habe als Ersatz für das 259 von Odenat zerstörte Nehardea die Schule von Pumbedita gegründet, doch auch jene von Nehardea lebte später wieder auf.
Es ist unmöglich, die gaonäischen Berichte einfach als getreue Zusammenfassungen von Archivmaterial der Akademien zu sehen; vielmehr verfolgen die Texte bestimmte politische Tendenzen – so wollte ISG das Wiederaufleben der Schule von Sura verhindern, indem er wiederholt betonte, allein Pumbedita habe eine ununterbrochene Tradition. Wenn man die gaonäischen Angaben im bT überprüft, der doch das Werk dieser Akademien sein soll, findet man in amoräischer Zeit keinen Beleg für große rabb. Akademien in Babylonien, wie D. Goodblatt aufgezeigt hat. Der bT verwendet als Ausdruck für eine rabb. Schule nicht yeshiva oder metivta, sondern be rav, «Haus des Meisters», gewöhnlich mit Zufügung des Namens des dort unterrichtenden Rabbi (die Stellen im Bavli, in denen yeshiva eine Schule bedeuten kann, gehören zu der spätesten, anonymen Schicht: Rubenstein). Zusammen mit anderen talmudischen Angaben ergibt sich daraus, dass die babylonischen Rabbinen in ihren Wohnhäusern, gelegentlich auch in eigenen Schulhäusern, einen kleinen Jüngerkreis unterrichteten, der sich spätestens mit dem Tod des Meisters wieder auflöste. Erfolgreichere Lehrer haben sicher gelegentlich einen größeren Schülerkreis um sich versammeln können; u.U. haben sie dann auch Hilfslehrer anstellen müssen und so einen größeren Schulbetrieb organisiert. Doch bleibt es Tatsache, dass die Geonim anachronistisch ihre eigenen Verhältnisse in eine frühere Zeit projiziert haben. Die Akademien von Sura, Nehardea und Pumbedita waren in talmudischer Zeit wohl nichts anderes als die in diesen Städten besonders zahlreichen und bedeutenden Lehrer mit ihren Jüngerkreisen, die erst eine spätere Tradition zu einzelnen großen Akademien zusammengefasst hat. Diese Akademien in ihrer späteren Form sind jedoch erst in der frühen islamischen Zeit entstanden und haben wohl auch islamische Vorbilder.
Was die Lehrmethoden betrifft, gab es wohl kaum große Unterschiede zwischen Palästina und Babylonien. Auch auf diesem Ausbildungsniveau hatte das Auswendiglernen durch ständig wiederholtes lautes Rezitieren des Lehrstoffes in einer bestimmten Form der Kantillation (bMeg 32a) absoluten Vorrang. Zuerst galt es einmal zu lernen, auch wenn man das Gelernte nicht verstand; über den Sinn eines Textes nachdenken konnte man auch später (bAZ 19a; bShab 63a). Wo die Zahl der Schüler genügend groß war, gab es auch einen Pauker, den Tanna, der einen möglichst großen Umfang an Traditionsstoff auswendig beherrschen musste und der diesen Stoff durch ständig wiederholtes Vorsagen den Schülern weitergab. Als lebendige Studienbibliothek im Schulbetrieb unentbehrlich, wurde der Tanna andererseits wegen seines bloß mechanischen Wissens von vielen Rabbinen verachtet: «Der Magier murmelt und weiß nicht, was er sagt. Der Tanna lehrt und weiß nicht, was er sagt» (bSot 22a). Trotz dieser Kritik ist die Funktion des Tanna bis in gaonäische Zeit lebendig geblieben, war sie doch zu sehr mit dem Ritual des Lernens verbunden, als dass man sie leichthin abgeschafft hätte.
Schon in talmudischer Zeit, besonders ausgebaut aber dann in der gaonäischen Periode, traten in Babylonien neben die Ausbildung der Rabbinen im Jüngerkreis bzw. später in der Akademie die Institutionen von Pirqa und Kalla.
Die Etymologie des Wortes Kalla (auch kallah wie hebr. «Braut» geschrieben) ist nicht geklärt, auch wenn es gern auf die «Braut» Tora gedeutet wird; Gafni (Tarbiz 51, 1981f., 572f.) hat, gestützt auf einen Vergleich mit den Statuten der christlichen Schule von Nisibis, die Ableitung von griech. kella, (Studier-)Zelle, vorgeschlagen. Die von Natan ha-Bavli ausführlich geschilderte Institution war eine Art rabb. Bildungstagung, ein mehrtägiges Treffen von Studenten und Absolventen rabb. Schulen. In gaonäischer Zeit waren dafür der Monat Elul im Sommer, der Monat Adar im Winter vorgesehen (die «Kalla-Monate»). Diese zu Beginn des 4. Jhs. erstmals nachweisbaren Versammlungen mögen zum Ausbau der rabb. Akademien wesentlich beigetragen haben. Auf ihnen konnte man mit relativ zahlreicher Teilnahme rechnen: Mindestens zehn Männer mussten anwesend sein, damit die Sitzung eröffnet werden durfte (bBB 12b). Thema der Kalla war ein Traktat der rabb. Tradition, später dann des Talmud, dessen Text abgefragt wurde, bevor man sich an die Diskussion seiner besonderen Probleme machte. Sicher waren die Kalla-Sitzungen für die endgültige Ausgestaltung des bT von besonderer Bedeutung (siehe Goodblatt, Instruction 155ff.; Gafni, Babylonia 213ff.).
Die Pirqa («Abschnitt, Kapitel»), ebenfalls seit Beginn des 4. Jhs. nachweisbar, war ein Einzelvortrag zu einem teils halakhischen, teils haggadischen Thema vor einem größeren Publikum, zu dem auch Leute aus dem einfachen Volk gehörten. In gaonäischer Zeit fand die Pirqa regelmäßig an Sabbaten in den Synagogen der rabb. Akademien statt; den Vortrag hielt der Schulleiter oder der Exilarch. Die Pirqa trug somit viel zur Verbreitung der rabb. Geistigkeit im gewöhnlichen Volk bei (dazu Goodblatt, Instruction 171f.; Gafni, Babylonia 204ff.).
Neben den schulischen Aspekt der rabb. Ausbildung tritt als mindestens ebenso wichtiger Teil der Schulung die Jüngerschaft bei einem Gelehrten, der «Dienst» des Gelehrtenschülers (talmid hakham) bei einem Rabbi. Diese Jüngerschaft dauert Jahre und ist vielfach mit einer Art Lebensgemeinschaft und einem gemeinsamen Haushalt verbunden. Nur durch diese Lebensschulung wird man ein vollwertiges Mitglied der rabb. Gesellschaft; ohne sie bleibt man trotz allen Wissens ein Ungebildeter, ein am ha-areẓ (bSot 21b- 22a). Bei seinem Meister lernt der Jünger das rechte Verhalten und passt sich ihm in allen Formen des täglichen Lebens an, in Kleidung, Sprechweise usw., was zu einem ausgeprägten Traditionalismus und Klassenbewusstsein führt, vielfach auch zur Erblichkeit des rabb. Standes, auch wenn dies gelegentlich zu Kritik Anlass gibt (z.B. bNed 81a).
Ziel der Ausbildung ist die Befähigung, in Fragen des religiösen Rechts frei und selbstständig entscheiden zu können. Traditionell sieht man dies an die semikha, die Ordination, gebunden, mit der auch das Recht verknüpft gewesen sei, den Titel Rabbi zu tragen. Seit Raschi findet sich die Meinung, in Babylonien habe man statt der Bezeichnung Rabbi den Titel Rav verwendet, weil dort die Ordination nicht existierte. Doch gab es auch dort (trotz yBik 3,3,65d; bSan 14a) geregelte Formen einer Einsetzung in ein Amt; der anfangs rein dialektale Unterschied zwischen Rabbi und Rav gewann erst später auch inhaltliche Bedeutung (siehe Y. Breuer). Insgesamt ist die Rekonstruktion der semikha äußerst problematisch: «There is no evidence that semikhah was ever practiced in amoraic Palestine» (C. Hezser, Social Structure 93).
Nach traditionellem Verständnis soll die rabb. Semikha (hebr. «Aufstützen», von da «Handauflegung» als Geste einer Funktionsübertragung) zur authentischen Weitergabe der Tradition befähigen, die ununterbrochene Traditionskette von Mose bis in die eigene Zeit sichern. Doch ist der Begriff semikha oder lismokh für die Einsetzung in ein Amt palästinisch nicht belegt; der in Palästina übliche Ausdruck ist minnuy bzw. le-mannot, «Ernennung, ernennen». Auch die aus dem Begriff semikha abgeleitete Handauflegung nennen nur babylonische Texte; dabei ist man sich dessen bewusst, dass diese nicht notwendig ist und die bloße Nennung des Namens des in ein Amt Einzusetzenden genügt (bSan 14a). Schließlich ist nicht nachzuweisen, dass die Einsetzung Josuas durch Mose als Vorbild diente; Num 27,23 wird in diesem Zusammenhang erst in bSan 13b zitiert. Wann der Gedanke einer ununterbrochenen Kette der Amtsweitergabe wichtig wurde, lässt sich nicht belegen. Eine Verknüpfung der semikha mit der Traditionskette von mAv 1 kann man frühestens in ARN B 1 (Sch. 2; B. 317) nachweisen.
bSan 5a bringt für die Amtseinsetzung die Formel: «Darf er lehren? Er darf. Darf er richten? Er darf. Darf er erlauben (d.h. Gelübde lösen)? Er darf». In diesem vollen Umfang wird man zur selbstständigen Unterweisung und Entscheidung in der Halakha autorisiert, zur Ausübung des Gerichts, zur Erlaubnis von Erstlingen für den profanen Gebrauch, zur Lösung von Gelübden, zur Mitwirkung bei der Einfügung des Schaltmonats und zur Verhängung des Banns, wobei zumindest die Beteiligung bei der Kalenderfestsetzung nur in Palästina möglich war.
Die mit dem Begriff minnui bzw. babylonisch semikha bzw. reshuta («Autorität, Autorisierung») bezeichnete Ernennung eines Rabbi kann die v.a. durch den eigenen Lehrer ausgesprochene Qualifikation bezeichnen, damit verbunden – wie bereits genannt – die Berechtigung zur Lehre und zur Entscheidung halakhischer Fragen (aber nicht im Gebiet des Meisters). Sie kann auch die Teilnahmeberechtigung am rabbinischen Gericht bedeuten, v.a. zur Festsetzung des Kalenders, sei es als Folge der zuvor genannten Qualifikation oder infolge der Ernennung durch den Patriarchen. In anderen Texten wieder ist es die v.a. durch den Patriarchen oder eine Ortsgemeinde verfügte Verleihung eines Amts als Richter usw. oder schließlich auch die Ernennung zu bestimmten Funktionen am Hof des Patriarchen, traditionell als Mitgliedschaft im «Sanhedrin» bezeichnet. Die zahlenmäßige Begrenzung der Ernennungen ist mit der traditionellen Mitgliederzahl dieses Gremiums oder, eher pragmatisch, mit der Befreiung von gewissen Steuern zu erklären, die einem begrenzten Kreis von Personen zukam.
Diese verschiedenen Möglichkeiten einer Ernennung fasst ySan 1,3,19a schematisch als historische Entwicklung zusammen: «Es sagte R. Ba: Anfangs pflegte jeder Einzelne seine Schüler zu ernennen … Dann aber erwies man diesem Haus die Ehre: Man sagte: Ein Gericht, das ohne Zustimmung des Patriarchen ernannt hat – seine Ernennung ist keine Ernennung. Und ein Patriarch, der ohne Zustimmung des Gerichts ernannt hat – seine Ernennung ist eine Ernennung. Dann aber legte man fest: Nicht ernenne ein Gericht ohne Zustimmung des Patriarchen und nicht ernenne ein Patriarch ohne Zustimmung des Gerichts.» Doch spätestens mit dem Ende des Patriarchats in den Jahren vor 429 muss man wieder zu dezentralen Formen der Ernennung übergegangen sein. Auch in Babylonien unterschied man wohl immer zwischen der Autorisierung zur Lehre durch den eigenen Meister und der Ernennung in ein Amt durch eine Gemeinde oder den Exilarchen.