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Helmuth Schneider

GESCHICHTE
DER ANTIKEN TECHNIK

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Helmuth Schneider bietet in diesem Buch einen sehr gut verständlichen, informationsreichen und gleichwohl konzisen Überblick über Bedeutung und Entwicklung der Technik und der Technologie in der Antike. Nach einer Skizze der Ursprünge antiker Technik in Ägypten und im Alten Orient rückt er die griechische und die römische Kultur ins Zentrum seiner Darstellung. Er beschreibt technische Entwicklungen im Bereich der Landwirtschaft und der Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte, des Bergbaus und der Metallurgie, des Handwerks, der Baukunst, des Transportwesens, der Infrastruktur, der Kommunikation, der Mechanik und der Zeitmessung, des Militärwesens sowie die theoretische Auseinandersetzung mit der Technologie in der entsprechenden Fachliteratur.

Über den Autor

Helmuth Schneider lehrt als Professor für Alte Geschichte an der Universität Kassel. Er ist einer der Herausgeber des Neuen Pauly und hat zahlreiche einschlägige Veröffentlichungen zur Geschichte der antiken Technik vorgelegt.

Inhalt

Einführung

Technik und Techniker in der Antike

Die Ursprünge der antiken Technik – Ägypten und der Alte Orient

Muskelkraft, Wasserkraft und Brennstoffe – Die Energiequellen der Antike

Die Landwirtschaft

Des Bodens größter Schatz – Die Metalle

Ein notwendiges Element – Das Salz

Das antike Handwerk

Vom Architrav zum Bogen – Die Bautechnik

Das Transportwesen

Die Infrastruktur

Die Kommunikation – Schrift und Buch

Die Mechanik und die Zeitmessung

Die Technik des Militärwesens

Das technische Wissen der Antike – Die technologische Fachliteratur

Ein Ausblick – Die Epochen der antiken Technikgeschichte

 

Zeittafel

Weiterführende Literatur

Bildnachweis

Register

 

Für Alexander Demandt

Einführung

Die Antike als Epoche der Technikgeschichte

In der Gegenwart besteht Einigkeit darüber, dass Produktion, Verkehr und Kommunikation in den modernen Industriegesellschaften grundlegend von der Technik und von technischen Innovationen bestimmt sind; Datenverarbeitung und die großen technischen Systeme wie die Versorgungsnetze für Wasser, Energie und Information gewinnen weiterhin an Bedeutung. Unter dem Eindruck der Relevanz technischen Wandels in der Gegenwart hat die Geschichtswissenschaft sich stärker der Technikgeschichte zugewandt; dabei hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass auch die Technik der vormodernen Agrargesellschaften ein wichtiges Thema historischer Forschung darstellt. In neueren technikhistorischen Arbeiten wird Technik allgemein so definiert, dass der Begriff nicht nur für die Industriegesellschaften, sondern auch für die vormodernen Gesellschaften Gültigkeit beanspruchen kann: Im Verständnis der modernen Techniktheorie umfasst Technik – allgemein formuliert – solche Artefakte, Sachsysteme, Verfahren und menschliche Handlungen, die nutzenorientiert zur Gewinnung und Umwandlung von Stoffen sowie zur Herstellung von Artefakten eingesetzt werden.

Obgleich die Industrielle Revolution als eine tiefe Zäsur in der Menschheitsgeschichte zu begreifen ist und die vorangegangenen Gesellschaften insgesamt als vorindustrielle Agrargesellschaften charakterisiert werden können, bleibt es eine wichtige Aufgabe der Technikgeschichte, eine präzise Periodisierung der technischen Entwicklung vorzunehmen und die Epochen der Technikgeschichte unter technischen Aspekten voneinander abzugrenzen. Hierbei ist es möglich, sich an der Existenz technischer Systeme zu orientieren. Die in einer Epoche verwendeten Werkzeuge oder Geräte und die in der Produktion angewendeten Verfahren existieren keineswegs unabhängig voneinander, sondern weisen enge wechselseitige Beziehungen auf. Die Einsicht in diesen Zusammenhang verschiedener technischer Bereiche besaß in der Antike bereits Platon, der in seinen Dialogen ‹Politeia› und ‹Politikos› darauf hinweist, dass ein Handwerker die Werkzeuge für ein anderes Handwerk herstellt, so etwa der Tischler das Weberschiffchen, das in der Textilherstellung verwendet wird. Selbst die Landwirtschaft liefert nach Platon nicht nur Lebensmittel für die Bevölkerung, sondern auch Arbeitstiere etwa für die Fuhrleute. Die Technik einer Epoche stellt damit ein Ensemble von Werkzeugen, Geräten, Installationen und Verfahren dar, das als technisches System aufgefasst werden kann. Wenn die Antike als eine Epoche der Technikgeschichte verstanden werden soll, ist es notwendig, zunächst die wesentlichen Merkmale der antiken Technik zu beschreiben und zwischen der antiken Technik und der Technik früherer und späterer Epochen klar zu differenzieren.

Als ein grundlegendes Kennzeichen der antiken Technik muss die Dominanz der Landwirtschaft genannt werden, deren Produktivität so gering war, dass etwa achtzig Prozent der Menschen auf dem Lande arbeiten mussten, um für sich und die übrige Bevölkerung Nahrungsmittel und andere Agrarerzeugnisse zu produzieren. Ferner sind in diesem Zusammenhang auch die Energiequellen, die einer Gesellschaft zur Verfügung stehen, von Relevanz. In der Antike handelte es sich vorrangig um die menschliche und die tierische Muskelkraft; die Nutzung der Wasserkraft setzte erst im frühen Principat (seit Augustus, 27 v. Chr.–14. n. Chr.) ein und blieb weitgehend auf das Mahlen des Getreides beschränkt. Daneben lieferte die Verbrennung von Holz und von Holzkohle die thermische Energie für die Zubereitung von Nahrung und für verschiedene Arbeitsprozesse im Handwerk, so für die Metallverarbeitung oder für das Brennen von Keramik. Als drittes wesentliches Merkmal ist die Verwendung der Werkzeuge zu erwähnen. Die antike Technik war eine Handwerkszeug-Technik: In der Produktion arbeitete der Handwerker mit einfachen Werkzeugen oder einfachen mechanischen Instrumenten; mit dem Werkzeug wirkte der Handwerker unter Aufwendung eigener Muskelkraft auf den Arbeitsgegenstand ein und formte ihn entsprechend seiner Vorstellung von dem fertigen Produkt. Unter den Metallen, die in der Antike in großem Umfang verarbeitet wurden, sind Kupfer und Bronze sowie Eisen zu nennen.

Im Mittelalter, das wie die Antike agrarisch geprägt war und sich in dieser Hinsicht strukturell kaum von der Antike unterscheidet, wurden gegenüber der Antike bedeutende technische Fortschritte erzielt: Durch die Verbesserung des Transmissionsmechanismus, durch die Konstruktion der Nockenwelle, war es möglich geworden, die Rotationsbewegung des Wasserrades in eine hin- und hergehende Bewegung oder in eine Stampfbewegung umzuwandeln; auf diese Weise konnte die Wasserkraft für völlig verschiedenartige Arbeitsprozesse genutzt werden, etwa zum Zerkleinern von Erz, zum Betrieb von Blasebälgen bei der Verhüttung, zur Wasserhaltung in Bergwerken, zum Walken von Tuchen oder zum Ziehen von Draht. Die Mühle, die Produktionsstätte, die mit Wasserkraft arbeitete, fand im Gewerbe des Mittelalters eine weite Verbreitung. Ein weiterer Fortschritt war in der Metallurgie und in der Feinmechanik mit der Konstruktion von Uhren gegeben, die durch den Gewichtszug in Bewegung gesetzt wurden. Zudem ist auch in der Landwirtschaft ein Innovationsschub feststellbar; so hat die Einführung der Dreifelderwirtschaft – der Wechsel von einem zweijährigen Anbau verschiedener Feldfrüchte mit einjähriger Brache – und die Verwendung verbesserter Ackergeräte die Produktivität im Agrarbereich deutlich erhöht. Diese Innovationen haben die Technik so weit verändert, dass eine klare Unterscheidung von antiker und mittelalterlicher Technik möglich ist.

Die antike Technik hat viele Errungenschaften Ägyptens und des Vorderen Orients übernommen. Obgleich in Ägypten und Mesopotamien im Bereich der Skulptur, der Monumentalarchitektur und der Infrastruktur eminente technische Leistungen vollbracht wurden, legen die späteren technischen Entwicklungen in Griechenland und Rom durchaus eine Abgrenzung zur Technik des Alten Orients nahe. Die weit verbreitete Verarbeitung von Eisen, neue Produktionsmethoden in der Keramikherstellung, neue Verfahren in der Glasherstellung, die Anwendung neuer Verfahren im Bauwesen, die Verwendung neuer Baumaterialien und die Entwicklung der einfachen mechanischen Hilfsmittel zu leistungsfähigen Instrumenten rechtfertigen es, der antiken Technik eine Eigenständigkeit gegenüber der Technik der älteren Kulturen des Alten Orients zuzuschreiben.

Aufgrund dieser Feststellungen kann der historische Ort der antiken Technik präzise erfasst werden: Die vorindustrielle Agrargesellschaft war in der Zeit des Neolithikums, der Jungsteinzeit, entstanden, ein Vorgang, der oft auch als «neolithische Revolution» bezeichnet wird. Die Menschen gingen zwischen 10.000 und 8000 v. Chr. in Vorderasien dazu über, ihre Nahrungsmittel durch Getreideanbau und Tierhaltung zu produzieren; damit war auch die Entwicklung handwerklicher Techniken verbunden: Damals begannen die Menschen, aus Ton Keramikgefäße herzustellen und aus Wolle Kleidung zu fertigen. Mit der Sesshaftigkeit ging der Hausbau einher, und die zunehmende Beherrschung des Feuers und der kontrollierte Umgang mit hohen Temperaturen führten dazu, dass dann auch Metalle, zunächst Kupfer, verarbeitet werden konnten. Mit diesen Entwicklungen waren die Voraussetzungen für die Entstehung von Hochkulturen in den großen Stromtälern Ägyptens und Mesopotamiens gegeben, und auf diesen Errungenschaften beruhte auch die griechische und römische Zivilisation.

Die Agrargesellschaften hatten Bestand bis zum Beginn der Industrialisierung, die durch den grundlegenden Wandel der Produktion, durch die Entstehung des Fabriksystems und durch die Durchsetzung der Marktwirtschaft die tradierten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse einem fortdauernden Prozess der Veränderung unterwarf. In diesem Rahmen kann die Antike als eine wichtige Epoche der Technikgeschichte bewertet werden, eine Epoche, die auf der Grundlage der älteren Zivilisationen des Vorderen Orients die technischen Möglichkeiten in großem Umfang erweiterte und damit das Fundament für weitere technische Fortschritte im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa legte.

Ein Tatbestand verdient an dieser Stelle Beachtung: Die Entwicklung der antiken Technik war mit der Entstehung einer Begrifflichkeit für den Bereich technischen Handelns verbunden, und noch die moderne Terminologie leitet sich zumindest partiell von griechischen und lateinischen Begriffen ab. So stammt das neuzeitliche Wort ‹Technik› vom griechischen techne ab, mit dem zunächst verschiedene Zweige des Handwerks bezeichnet wurden; das Wort erscheint bereits in den Epen Homers im Zusammenhang mit der Arbeit des Schmiedes oder des Zimmermanns.

Bodenschätze, Böden, das Klima und das Meer – Die naturräumlichen Voraussetzungen der antiken Technik

Die technische Entwicklung einer Gesellschaft ist immer auch durch die naturräumlichen Gegebenheiten bedingt, mit denen diese Gesellschaft konfrontiert ist. Wirtschaftliche Aktivitäten und technische Innovationen können als eine Antwort auf die Herausforderungen der natürlichen Umwelt, auf das Klima und die natürlichen Ressourcen eines Raumes, begriffen werden. Diese Feststellung trifft insbesondere auf die prämodernen Agrargesellschaften zu, denen die technischen Mittel zur umfassenden Beherrschung der Natur fehlten. So wurde die Entwicklung der antiken Technik in hohem Maße von den geographischen Bedingungen des mediterranen Raumes beeinflusst, insbesondere von den Möglichkeiten, die dieser Raum der agrarischen Nutzung, der Gewinnung und Verarbeitung von Rohstoffen sowie dem Transport und dem Austausch bietet.

Das mediterrane Klima war in der Antike für den Anbau deswegen ungünstig, weil im Sommer eine langandauernde Trockenheit herrscht, während der Winter hohe Niederschlagsmengen bringt, eine Folge der zahlreichen von Westen nach Osten ziehenden Tiefdruckgebiete. Bedingt durch die als Barriere wirkenden Gebirge in Italien und Griechenland nehmen die Niederschlagsmengen von Westen nach Osten deutlich ab. Da im Sommer viele Flüsse austrocknen, war in dieser Jahreszeit an eine künstliche Bewässerung von Feldern nicht zu denken. Der Getreideanbau musste sich an diese Bedingungen anpassen: Im Trockenfeldbau fand die Aussaat im Herbst vor Beginn der Regenzeit statt, geerntet wurde vor Eintritt der Dürreperiode. Da die Niederschlagsmengen stark schwanken, kam es aufgrund von Trockenheit relativ häufig zu Missernten. Die Entscheidung über den Anbau war in hohem Maße von den vorherrschenden Witterungsverhältnissen abhängig: Weizen benötigt eine höhere Niederschlagsmenge als Gerste, während der Ölbaum die sommerliche Trockenheit noch in solchen Gebieten übersteht, in denen ein Getreideanbau kaum möglich ist.

Die Böden im Mittelmeerraum sind vorwiegend nährstoffund humusarm; unter dieser Voraussetzung gewann die Düngung der Böden eminent an Bedeutung. Allerdings gibt es auch einige Gebiete mit ungewöhnlich fruchtbaren Böden; es handelt sich hierbei um Alluvialböden (Schwemmland) in den Flusstälern – hier ist das Tal des Baetis (heute Guadalquivir) in Südspanien zu nennen – oder um Böden vulkanischen Ursprungs wie in Etrurien und in der Umgebung des Vesuv am Golf von Neapel oder des Ätna auf Sizilien. Neben den Gebieten mit eher schwierigen Bedingungen für die Landwirtschaft existieren also einzelne Regionen mit vergleichsweise hohen Ernteerträgen.

Die Anbaufläche des Mittelmeerraums ist durch die Gebirge, die an vielen Stellen unmittelbar hinter der Küste ansteigen, stark begrenzt. Es war nicht möglich, an den steilen Hängen Getreide anzubauen, und Ölbäume konnten in höheren Lagen nicht gepflanzt werden, da sie frostempfindlich sind und schon bei mäßigem längeren Frost eingehen. Die Gebirgsräume konnten unter diesen Umständen wirtschaftlich nicht intensiv genutzt werden, sie dienten allenfalls der Produktion von Holzkohle, der Pechherstellung oder im Sommer der extensiven Wanderweidewirtschaft (Transhumanz).

Die Metallvorkommen sind im Mittelmeerraum extrem ungleich verteilt. Die erdgeschichtlich jungen Kalksteingebirge besitzen nur wenige Bodenschätze; die Lagerstätten von Erzen, aus denen Edelmetall gewonnen werden konnte, konzentrieren sich im Gebiet der erdgeschichtlich älteren Massive, zu denen im östlichen Mittelmeerraum das Rhodopen-Kykladen-Massiv gehört, das von Thrakien über Attika bis zur Insel Siphnos reicht und große Gold- und Silbervorkommen besaß. Auf der Iberischen Halbinsel gab es reiche Edelmetallvorkommen im Nordwesten, im Südwesten und an der Mittelmeerküste in der Umgebung von Cartagena; Zypern war ein Zentrum der Kupfergewinnung. Eisenerze können in vielen Regionen des Mittelmeerraumes abgebaut werden; allerdings hing die Qualität des Eisens stark von der Zusammensetzung des Eisenerzes ab, so dass Eisen von hoher Qualität nur aus wenigen Lagerstätten kam. Das Fehlen von Zinnvorkommen im Mittelmeerraum stellte die antike Metallurgie vor ein schwieriges Problem, denn Zinn ist notwendig, um Bronze, eine Kupfer-Zinn-Legierung, herzustellen, die wesentlich besser zu verarbeiten ist als reines Kupfer.

Aufgrund der geographischen Gegebenheiten des Mittelmeerraumes waren die antiken Gesellschaften nicht autark; einzelne Städte, Völker oder Herrscher waren auf den Austausch mit anderen Regionen angewiesen. Unter dieser Voraussetzung kam es zu einem Aufschwung des Handels im gesamten mediterranen Raum. Das Meer, das eigentliche Zentrum des mediterranen Raumes, hatte die Funktion einer natürlichen Infrastruktur; es verband die verschiedenen Küsten und Länder miteinander. Die Seefahrt wurde durch mehrere Faktoren begünstigt: Die hohen Berge in Küstennähe sowie die vielen Inseln haben die Orientierung auf See erleichtert, und der wolkenlose Himmel ermöglichte es, bei Nacht zu segeln, indem man die Fahrtrichtung an den Sternen ausrichtete. Das Meer bestimmte auch den Rhythmus von Wirtschaft und Kommunikation im Mittelmeerraum; im Winter musste wegen der Stürme die Seefahrt eingestellt werden, und damit ruhten auch Handel und Verkehr.

Der mediterrane Raum bot der Bevölkerung so insgesamt sicherlich gute Lebensbedingungen, aber die mageren Böden und die vorwiegend geringen landwirtschaftlichen Erträge, die ungleiche Verteilung der Metallvorkommen, die Gebirge, die wirtschaftlich nur extensiv genutzt werden konnten, und die erheblichen klimatischen Schwankungen bedeuteten für Griechen und Römer zugleich eine erhebliche Herausforderung bei dem Versuch, ihre Existenz zu sichern.

Technik und Techniker in der Antike

Das technische Handeln und die Nutzung der Natur im antiken Denken

Wie die Technik einer Zivilisation sich entwickelt, ist neben den Ressourcen des Naturraumes von weiteren Faktoren abhängig; die Formen der Herrschaftsausübung und die Gesellschaftsstruktur haben ebenso wie religiöse Überzeugungen Auswirkungen auf die materielle Produktion. Entscheidend ist darüber hinaus, ob in einer Gesellschaft technisches Handeln als solches überhaupt wahrgenommen wird und wie technische Kompetenz und der Gebrauch von Werkzeugen bewertet werden. Da technisches Handeln immer auch eine Einwirkung auf die Natur impliziert, ist die Einstellung einer Gesellschaft zur Natur für die Bewertung der Technik ebenfalls von Belang.

Es ist ein auffallender Tatbestand, dass bereits in den ältesten Texten der griechischen Literatur technisches Handeln thematisiert und die Funktion der Technik reflektiert wird. In der ‹Ilias› schildert Homer, wie der Gott Hephaistos in seiner Schmiede arbeitet und für Achill eine Rüstung herstellt. Die Eroberung Trojas gelingt den Griechen schließlich nur durch den Bau eines monumentalen hölzernen Pferdes, in dem sie sich verstecken und so in die Stadt eindringen. Homer schreibt besonders Odysseus große technische Fähigkeiten zu; um die Insel der Nymphe Kalypso verlassen zu können, baut Odysseus sich ein Boot, in der Konfrontation mit dem Kyklopen Polyphem setzt er sich aufgrund seiner technischen Fertigkeiten gegen den Stärkeren durch, und in einer Schlüsselszene des Epos, in der Penelope nach zwanzigjähriger Trennung Odysseus als ihren Gatten wiedererkennt, spielt die Erzählung, wie Odysseus sein Schlafgemach und sein Bett im Palast auf Ithaka verfertigt hat, eine entscheidende Rolle. Das technische Geschick des Hephaistos wiederum wird in einem Lied betont, das ein Sänger auf der Insel der Phäaken vorträgt: Der Gott schmiedet feine, unsichtbare Fesseln, mit deren Hilfe er seine Gemahlin, die Liebesgöttin Aphrodite, und Ares beim Ehebruch auf dem gemeinsamen Lager zu binden vermag. Die herbeigeholten Götter kommentieren dies mit den Worten, der Langsame, nämlich der lahme Hephaistos, habe den schnellen Ares durch technisches Können (techne) gefangen. Mit der Anwendung der technischen Hilfsmittel ist bei Homer eine Täuschung des Stärkeren verbunden; in der frühen griechischen Literatur besteht also eine enge Verbindung zwischen Technik und List.

Technisches Handeln wird in den Epen Homers dadurch legitimiert, dass Göttinnen und Götter wie Athene und Hephaistos als Schöpfer kostbarer Artefakte und als Lehrer der handwerklichen Fertigkeiten (technai) auftreten. So verleiht Athene Penelope, aber auch den Frauen der Phäaken die Fähigkeit, Stoffe zu weben, sie erscheint als Lehrerin eines Zimmermanns und hilft dem Helden Epeios bei dem Bau des hölzernen Pferdes; in dem Homerischen Hymnos auf Hephaistos erhalten solche Erzählungen über das Wirken der Götter eine neue Wendung, indem die Gabe der Technik den Menschen, die zuvor wie die Tiere gelebt haben, überhaupt erst ein menschenwürdiges Leben ermöglicht:

Mit Athene, der eulenäugigen Göttin,
lehrte er herrliche Werke die Menschen auf Erden, die früher
hausten wie Tiere in Höhlen der Berge. Doch jetzt in der Lehre
jenes ruhmvollen Künstlers Hephaistos lernten sie schaffen,
bringen sie leicht ihre Zeit dahin bis zum Ende des Jahres,
leben in Ruhe und Frieden in ihren eigenen Häusern.

(Übersetzung von A. Weiher)

Diese Sicht der Technik wird vor allem im Rahmen des Prometheus-Mythos thematisiert, der sich bereits bei Hesiod findet. In den Gedichten Hesiods (um 700 v. Chr.) erscheint der Raub des Feuers durch Prometheus noch ganz unter dem Aspekt der Ernährung: Das Feuer ist notwendig, um Fleisch zuzubereiten, und daher steht auch der Streit um die Verteilung des Opferfleisches am Anfang des Mythos.

In der Dichtung und in der Philosophie der klassischen Zeit (500–323 v. Chr.) wird dem Prometheus-Mythos dann ein neuer Sinn gegeben: In der Tragödie des Aischylos (ca. 525–455 v. Chr.) hat der Titan Prometheus den Menschen nicht nur das Feuer gebracht, sondern auch die wichtigen Kulturtechniken wie die Kenntnis von Schrift und Zahl; darüber hinaus hat er die Menschen alle grundlegenden Techniken (technai) gelehrt, die in einem großen Monolog aufgezählt werden, darunter das Anspannen der Tiere, die Schifffahrt sowie die Metallverarbeitung. Der Monolog schließt mit der selbstbewussten Feststellung, alle Techniken (technai) kommen den Sterblichen von Prometheus her. Bei Aischylos sind die Gaben des Prometheus allerdings insofern noch ambivalent, als Prometheus gegen den Willen des Zeus gehandelt hat und dafür auch bestraft wird.

Platon (429–347 v. Chr.) bewertet in dem Dialog ‹Protagoras› die Technik unter dem Aspekt der Natur des Menschen: Die Schöpfung der Lebewesen, die die Götter Epimetheus – dem Bruder des Prometheus – anvertraut haben, ist misslungen, da der Mensch anders als die Tiere in seiner natürlichen Umwelt nicht zu überleben vermag und seine Existenz gefährdet ist. Prononciert drückt Platon dies in der Wendung aus, der Mensch sei «nackt, unbeschuht, unbedeckt und unbewaffnet». In dieser Notlage bringt Prometheus den Menschen das Feuer und zugleich die technische Intelligenz (entechnos sophia), die ihn befähigen soll, das Feuer zu nutzen. Damit ist der Mensch zwar in der Lage, sich Wohnungen, Kleider, Schuhe, Decken und Nahrungsmittel zu verschaffen, aber isoliert lebend kann er sich nicht gegen die Tiere behaupten. Das technische Können allein befähigt nach Platon die Menschen noch nicht zu einem Zusammenleben in Städten; deswegen gewährt Zeus ihnen noch Scham und Rechtsempfinden (aidos und dike).

Der Position Platons, die technai seien wegen der mangelhaften Ausstattung der Menschen notwendig, hat später Aristoteles (384–322 v. Chr.) widersprochen; er weist darauf hin, dass der Mensch aufgrund seines aufrechten Ganges Hände erhalten habe, die geeignet sind, die Funktion verschiedenartiger Werkzeuge wahrzunehmen; damit aber ist der Mensch nach Aristoteles aufgrund seiner Anatomie und seiner Intelligenz allen anderen Lebewesen überlegen. Das Gefühl dieser Überlegenheit des Menschen fand bereits in der Tragödie einen klassischen Ausdruck: In der ‹Antigone› des Sophokles (ca. 497–406 v. Chr.) beschreibt der Chor, wie der Mensch alle Tiere in ihrem ureigenen Lebensraum überwindet. Der Mensch fängt die Vögel in der Luft, mit Netzen die Fische im Meer, und er legt den Stieren des Gebirges das Joch auf.

Der Ackerbau ist das Thema des Demeter-Mythos. In einem Hymnos aus archaischer Zeit (700–500 v. Chr.) wird erzählt, wie Demeter – die Göttin der Fruchtbarkeit und des Getreides – aus Trauer über den Raub ihrer Tochter Persephone, die von Hades in die Unterwelt verschleppt worden war, das Getreide auf den Feldern verkümmern ließ, so dass das Überleben der Menschen gefährdet war. Erst aufgrund der Intervention des Zeus konnte Persephone für zwei Drittel eines jeden Jahres aus der Unterwelt auf die Erde zurückkehren. In diesem Zeitraum ließ Demeter dann das Getreide wieder wachsen, und zugleich wurden Opfer für die Göttin eingerichtet. Indem die Fruchtbarkeit des Landes und der Anbau des Getreides auf göttlicher Vereinbarung beruhen, sind sie für die Menschen auch auf Dauer gesichert, und die Bearbeitung der Felder ist durch die der Göttin dargebrachten Opfergaben religiös legitimiert.

Die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt wurde dann auch in den philosophischen Texten des 4. Jahrhunderts v. Chr. erörtert. So hat Xenophon (ca. 430–355 v. Chr.) in den ‹Memorabilia›, einer Schrift, die Gespräche des Sokrates wiedergibt, die These formuliert, die Götter hätten die Welt für den Menschen geschaffen und so eingerichtet, dass sie möglichst nützlich für ihn sei. Die Erde gewährt vor allem die Nahrung, die der Mensch benötigt. Dem Einwand, das günstige Klima, die Jahreszeiten, der Sonnenschein sowie der Wechsel von Tag und Nacht seien auch von Vorteil für die anderen Lebewesen, wird entgegengehalten, auch die Tiere seien des Menschen wegen da; diese Sicht wird mit dem Hinweis darauf begründet, dass die Tiere Milch, Käse und Fleisch liefern und dem Menschen als Arbeitstiere dienen.