Prof. Dr. med. Thomas Meinertz
Die 101 wichtigsten Fragen
Herz und Herzerkrankungen
C.H.Beck
Das Herz ist Motor und Taktgeber des Lebens. Solange es einwandfrei arbeitet, machen wir uns keine Gedanken. Doch sobald Störungen auftreten, wenn das Herz aus dem Rhythmus gerät oder schwach wird, treten auch die drängenden Fragen auf: Ist Herzstolpern harmlos oder gefährlich? Wie macht sich Vorhofflimmern bemerkbar? Stellt Stress ein Risiko für das Herz dar? Sind Sensoren und Apps zur Herzüberwachung zu empfehlen? Wie erkennt man einen Herzinfarkt? Gibt es Herzkrankheiten ohne Herzbeschwerden? Ist ein Stent oder ein Bypass vorzuziehen? Wie tief soll der Blutdruck gesenkt werden?
Diese und 93 weitere Fragen beantwortet Prof. Dr. med. Thomas Meinertz, einer der angesehensten Herzspezialisten Deutschlands und Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Herzstiftung, konkret und verständlich in diesem Buch. Darunter finden sich auch grundsätzliche Fragen, etwa «Wie funktioniert unser Herz?», oder vermeintlich spielerische wie «Kann das Herz brechen?» oder «Schlagen Frauenherzen anders?». Wer sein Herz besser kennenlernen will, Fragen zu Herzerkrankungen hat oder auch die Diagnose des behandelnden Herzspezialisten und ihre Konsequenzen besser verstehen will, wird zu diesem außergewöhnlich klaren und informativen Buch greifen.
Prof. Dr. med. Thomas Meinertz, geb. 1944, war nach Stationen an den Universitätskliniken Mainz und Freiburg und dem Krankenhaus St. Georg in Hamburg von 1994 bis 2011 Direktor am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, zuletzt als Leiter der Klinik und Poliklinik für Kardiologie und Angiologie des Universitären Herzzentrums. Seit 2010 ist er Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Prof. Meinertz ist Herausgeber zahlreicher medizinischer Lehrbücher und Verfasser von über 400 Fachpublikationen. 2011 erhielt er die Carl-Ludwig-Ehrenmedaille, die höchste Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. Bei C.H.Beck ist von ihm erschienen: Herzangelegenheiten. Fallgeschichten auf Leben und Tod (2012).
Vorwort
Herz: Motor des Lebens
1. Wie funktioniert unser Herz?
2. Woher nimmt das Herz seine Kraft?
3. Wie treibt das Herz das Blut in den Kreislauf?
4. Wie werden Herz und Kreislauf gesteuert?
5. Was tun, wenn das Herz stillsteht?
6. Schlagen Frauenherzen anders?
7. Kann das Herz brechen?
Herz: Taktgeber des Lebens
8. Welcher Herzschlag ist normal?
9. Ist Herzstolpern harmlos oder gefährlich?
10. Welche Herzrhythmusstörungen sind gefährlich?
11. Wer ist durch einen plötzlichen Herztod gefährdet?
12. Wie macht sich Vorhofflimmern bemerkbar?
13. Was nutzen Medikamente bei Vorhofflimmern?
14. Hält die Ablationstherapie, was sie verspricht?
15. Mit welchen Komplikationen muss man bei der Ablationstherapie rechnen?
16. Welche Alternativen gibt es zu den Blutverdünnern?
17. Was bedeutet ein Schenkelblock im EKG?
18. Wann wird ein Herzschrittmacher eingesetzt und wie funktioniert er?
19. Wie sieht der Herzschrittmacher der Zukunft aus?
20. Wann wird ein Defibrillator eingesetzt und wie funktioniert er?
21. Welche Komplikationen können bei der Implantation eines Defibrillators auftreten?
22. Wann ist der Einsatz einer tragbaren Defibrillatorweste sinnvoll?
23. Kann man trotz Schrittmacher oder Defibrillator in Ruhe sterben?
Kardiologie: Die Lehre vom Herzen
24. Wann begann die moderne Lehre vom Herzen?
25. Was sind die Meilensteine der weiteren Entwicklung der Kardiologie?
26. Was geht am häufigsten am Herzen «kaputt»?
27. Wie findet man heraus, was nicht in Ordnung ist?
28. Ist das ärztliche Gespräch entbehrlich?
29. Womit gelang der Durchbruch in der Diagnostik?
30. Womit gelang der Durchbruch in der medikamentösen Therapie?
31. Wie gelang der Durchbruch in der operativen und interventionellen Therapie?
32. Welche Herzforscher hätten den Nobelpreis verdient?
33. Was erwartet der Patient vom Kardiologen?
Wenn die Herzkranzgefäße blockiert sind
34. Woran merkt man, dass die Herzkranzgefäße eingeengt sind?
35. Was ist ein akutes Koronarsyndrom?
36. Wie erkennt man einen Herzinfarkt?
37. Wie behandelt man einen Herzinfarkt?
38. Gibt es stumme Herzinfarkte?
39. Was ist das Syndrom des «gebrochenen Herzens»?
40. Gibt es Angina pectoris auch bei normalen/gesunden Herzkranzgefäßen?
41. Was bedeutet Prinzmetal-Angina?
42. Wie behandelt man die Einengungen der Herzkranzgefäße?
43. Kann der Stent die Bypassoperation ersetzen?
44. Ist eine komplett arterielle Bypassoperation möglich?
45. Ist die Herzkatheteruntersuchung ersetzbar?
Wenn das Herz schwach wird
46. Wie macht sich Herzschwäche bemerkbar?
47. Warum macht der Herzmuskel schlapp?
48. Wie wird die Herzschwäche diagnostiziert?
49. Was kann man gegen Herzschwäche tun?
50. Gibt es Fortschritte in der medikamentösen Therapie?
51. Ist Eisenmangel Ursache oder Folge von Herzschwäche?
52. Wer profitiert von der kardialen Resynchronisationstherapie?
53. Wie lange kann man mit einem transplantierten Herzen überleben?
54. Wann werden Unterstützungssysteme und Kunstherzen eingesetzt?
55. Was sind die Risiken der Herzersatzes?
56. Worunter leiden Patienten mit Herzschwäche besonders?
57. Lassen sich die seelischen Probleme bei Herzschwäche lindern?
58. Wie kann man Komplikationen bei Herzschwäche vermeiden?
Was noch am Herzen «kaputtgehen» kann
59. Sind angeborene «Herzfehler» heilbar?
60. Sind Aortenklappenfehler erblich bedingt?
61. Ist das Herz ein Spielball unserer Gene?
62. Wann ist eine genetische Beratung sinnvoll?
63. Ist ein Mitralklappenprolaps eine harmlose Anomalie oder eine Krankheit?
64. Wenn die Mitralklappe undicht ist: Wann muss man operieren?
65. Wenn die Aortenklappe eingeengt ist: Wann muss man die Klappe ersetzen?
66. Wenn die Herzklappe undicht ist: Was ist besser – reparieren oder ersetzen?
67. Was sind die Vor- und Nachteile von biologischem bzw. mechanischem Herzklappenersatz?
68. Für welche Patienten eignet sich der Aortenklappenersatz über den Herzkatheter?
69. Wie gefährlich ist eine Infektion der Herzklappe?
70. Wie lässt sich eine Infektion der Herzklappen vermeiden?
71. Wie bedrohlich ist eine Entzündung des Herzmuskels?
72. Schädigen rheumatische Erkrankungen das Herz?
73. Warum ist die Lungenarterienembolie gefährlich?
74. Was bedeutet pulmonale Hypertonie?
Behandeln ist wirksam
75. Wann und warum muss hoher Blutdruck behandelt werden?
76. Wie tief soll der Blutdruck gesenkt werden?
77. Warum ist die blutdrucksenkende Therapie so wenig erfolgreich?
78. Sind Statine zur Vorbeugung von Herzinfarkt und Schlaganfall nur nutzlos und teuer?
79. Ist Diabetes mellitus gefährlich für das Herz?
80. Worauf beruht die Wechselwirkung von Herz und Niere?
81. Was unterscheidet die «Blutverdünner» (Antikoagulanzien) voneinander?
82. Ist körperliche Aktivität eine therapeutische Maßnahme?
83. Besteht beim Wettkampfsport die Gefahr eines plötzlichen Herztodes?
84. Ist Extremsport schädlich für das Herz?
85. Können Herz-Kreislauf-Erkrankungen Fahruntüchtigkeit verursachen?
86. Wann muss man auf Flugreisen verzichten?
Vorbeugen ist wirksamer
87. Kann Lärm das Herz gefährden?
88. Ist Luftverschmutzung eine Gefahr für das Herz?
89. Stellt psychosozialer Stress ein Risiko für das Herz dar?
90. Wie schädlich ist Rauchen?
91. Ist Alkoholkonsum nützlich oder schädlich für das Herz?
92. Welche Rolle spielt regelmäßige körperliche Aktivität bei Herzgesunden?
93. Gibt es so etwas wie eine Herzdiät?
94. Wie wirkt die Mittelmeerküche?
95. Schützen Vitaminpräparate vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen?
96. Sind Sensoren und Apps zur Herzüberwachung zu empfehlen?
Ein Herz und eine Seele
97. Herz und Seele – wer macht wen krank?
98. Gibt es Herzbeschwerden ohne Herzkrankheit?
99. Gibt es Herzkrankheiten ohne Herzbeschwerden?
100. Ist das Herz unsterblich?
101. Ist Musik ein Heilmittel bei Herzerkrankungen?
Bildnachweis
Register
Noch vor den Tumoren sind Herzkrankheiten die häufigste Todesursache. Aber nicht nur das: Sie mindern die Lebensqualität und machen meist erhebliche Beschwerden. Wie kann man diesen Krankheiten zuvorkommen bzw. ihren Verlauf günstig beeinflussen?
Das geht nicht ohne Kenntnisse über die Funktion von Herz und Kreislauf und darüber, welche diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten bei Herzkrankheiten bestehen.
Informationen hierzu gibt es reichlich in der Laienpresse und im Internet, allerdings sind diese unausgewogen und widersprüchlich. Außerdem sind sie häufig nicht auf dem letzten Stand oder beziehen sich nur auf einen Teilaspekt.
Ziel dieses Buches ist es, in einer für den Laien verständlichen Form die Funktion sowie häufige Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems zu erklären. Diagnostische und therapeutische Möglichkeiten werden auf dem neuesten Stand des Wissens dargestellt.
Vorteil des hier gewählten Formates der Darstellung ist die Beschränkung auf das Wichtigste und die sich daraus ergebenden praktischen Konsequenzen. Die in der Kapitelüberschrift gestellten Fragen werden nicht nur diskutiert, sondern auch beantwortet. Dabei konnte ich auf meine Erfahrungen als stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift der Deutschen Herzstiftung (Herz Heute) zurückgreifen. Auch dort gilt das Prinzip, Patientenfragen sachgerecht und in verständlicher Form zu beantworten. Darüber hinaus konnte ich die Expertise des wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Herzstiftung mit über 300 Medizinprofessoren nutzen.
Andererseits bringe ich bei der Beantwortung der 101 Fragen meine Erfahrung und persönliche Meinung mit ein. Diese mag nicht immer von allen Fachleuten geteilt werden. Anders aber als in Veröffentlichungen im Internet, in Fachzeitschriften und in der Laienpresse soll der Leser in diesem Buch unzweideutige und klare Antworten auf seine Fragen finden. An der Auswahl der Fragen kann der Leser erkennen, welche Herzthemen heutzutage aktuell sind und wie eine Herzkrankheit am besten behandelt wird.
Doch das Buch beschränkt sich nicht auf die körperlichen Herzkrankheiten. Er geht ebenso auf seelisch bedingte sowie durch die Umwelt verursachte Herzschäden ein. Außerdem macht es deutlich, wie sehr Herzkrankheiten sich in der Philosophie, bildenden Kunst, Literatur und Musik widerspiegeln.
Mein Dank gilt zahlreichen Kollegen, die mir Ratschläge gegeben haben, den Autoren der Zeitschrift Herz Heute und deren Chefredakteurin Frau Dr. Irene Oswalt sowie meiner langjährigen Sekretärin Frau Annelie Bachmann.
Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Dr. Stefan Bollmann, Lektor des Verlages C.H.Beck, der das Manuskript kritisch und unkonventionell durchgesehen und mich auf manche Defizite aufmerksam gemacht hat.
Hamburg, im April 2018 |
Thomas Meinertz |
1. Wie funktioniert unser Herz? Solange das Herz einwandfrei arbeitet, machen wir uns keine Gedanken. Wir nehmen dies als selbstverständlich hin. Erst wenn Störungen auftreten oder ein Versagen droht, wird uns bewusst, dass das Funktionieren dieses Organes nicht so selbstverständlich ist, wie wir denken. Einige Beobachtungen machen uns die Funktion des Herzens klar:
Wenn das Herz nicht mehr schlägt, bricht der Kreislauf zusammen, das Gehirn wird nicht mehr durchblutet und innerhalb von Minuten tritt der Tod ein.
Das Herz schlägt von selbst. Wenn man es dem Tier oder Menschen entnimmt, schlägt es weiter und bestimmt selbst seinen Takt. Es muss daher über eine eigene elektrische Kommandozentrale verfügen, die die elektrischen Impulse bildet und weiter an den Herzmuskel abgibt.
Schaltet man die elektrische Kommandozentrale aus, kann das Herz trotzdem weiterschlagen, wenn es elektrisch durch Stromimpulse dazu angeregt wird. Mit anderen Worten: Der Herzmuskel verfügt über eine ihm eigene Fähigkeit, sich zusammenzuziehen und nachfolgend zu erschlaffen.
Wie aber arbeitet das Herz? Es arbeitet wie eine Druck-Saug-Pumpe. Während der Druckphase wirft es das Blut in die Körperschlagader aus, während der Saugphase füllt es sich mit Blut aus den Herzvorhöfen. Das rechte und das linke Herz arbeiten parallel. Das rechte Herz wirft das Blut in die Lungenstrombahn aus, das linke gleichzeitig sein Blut in die Körperschlagader. Somit arbeitet das Herz ganz ähnlich wie ein Automotor, die Zündung erfolgt durch die elektrische Kommandozentrale, sie bestimmt den Takt des Herzens, die eigentliche Arbeit leistet der Herzmuskel mit seinem Zusammenziehen und Erschlaffen.
Um die Flussrichtung des Blutes im Herzen zu steuern, befinden sich zwischen Herzvorhöfen und Herzkammern sowie zwischen Herzkammern und abgehenden großen Gefäßen Herzklappen. Sie lenken den Blutfluss in die gewünschte Richtung und verhindern wie Schleusentore seinen Rückstrom in die unerwünschte Richtung.
Versorgt wird der Herzmuskel durch die Herzkranzgefäße. Diese entspringen unmittelbar oberhalb der Aortenklappe aus der großen Körperschlagader, teilen sich in ein weitverzweigtes Netzwerk und versorgen den Herzmuskel mit Sauerstoff und Nährstoffen.
Dieser kleine Motor ist ein Pumpwerk von unglaublicher Ausdauer und Präzision. Bei etwa 100.000 Herzschlägen pumpt er mehr als 7000 Liter Blut pro Tag. Im Laufe eines Lebens sind das über 200 Millionen Liter Blut.
Abbildung 1: Schema des Herzens
2. Woher nimmt das Herz seine Kraft? Was gibt unserem Herzen die Kraft, sich über 100.000 Mal pro Tag zusammenzuziehen und zu erschlaffen und tonnenweise Blut in den Körper zu pumpen? Die elektrischen Impulse werden vom Reizleitungssystem auf die Herzmuskelzellen übertragen. Diese sind in der Lage, ihre elektrische Erregung von Zelle zu Zelle und schließlich auf den ganzen Herzmuskel weiterzuleiten. Damit hören alle Herzmuskelzellen auf ein Kommando.
Das Zusammenziehen erfolgt durch fadenförmige Eiweißmoleküle, die in Längsrichtung und zueinander parallel in den Herzmuskelzellen angeordnet sind. Immer wenn sich eine Herzmuskelzelle zusammenzieht, schieben sich die Eiweißfäden wie Teleskope ineinander. Dies führt zur Verkürzung der Herzmuskelzelle und damit zu einem Zusammenziehen des Herzmuskels. Beim Erschlaffen passiert genau das Umgekehrte: Die Eiweißfäden gleiten in ihre Ausgangslage zurück.
Die hierzu notwendige Energie wird in den Herzmuskelzellen als chemische Energie in Form energiereicher Phosphate (hauptsächlich Adenosintriphosphat ATP) gespeichert. Beim Ineinandergleiten der Eiweißfäden werden ATP und Sauerstoff verbraucht. ATP muss ständig erneut aufgebaut werden. Hierzu müssen Sauerstoff und Nährstoffe fortlaufend über das Transportsystem Blut zur Verfügung gestellt werden.
Der Vermittler zwischen dem elektrischen Prozess an der Zelloberfläche (Erregung der Herzmuskelzellen) und der Auslösung des Zusammenziehens der Herzmuskelzelle ist das zweiwertige Kalzium-Ion. Dieses ist in geringen Mengen im Inneren der Herzmuskelzelle vorhanden. Kommt es zur elektrischen Erregung der Zelle, strömt Kalzium in die Herzmuskelzelle ein und wird aus intrazellulären Speichern freigesetzt. Die Kalziumkonzentration steigt um das etwa Hundertfache. Dieser Anstieg löst das Zusammenziehen der Eiweißfäden und damit die Kontraktion der Herzmuskelzelle aus. Die Erschlaffung erfolgt dadurch, dass Kalzium erneut in intrazelluläre Speicher (sarkoplasmatisches Retikulum) aufgenommen wird.
Die häufigste Ursache für ein Versagen des Herzens ist der Mangel an ATP als Energielieferant. Hierzu kommt es etwa beim Herzinfarkt, wenn infolge der Verstopfung des Herzkranzgefäßes mit einem Blutgerinnsel kein sauerstoffreiches Blut und keine Nährstoffe zu den Herzmuskelzellen gelangen. Ohne genügend Sauerstoff kann ATP nicht ausreichend gebildet werden, hierdurch erfolgt der Zusammenbruch des normalen Kontraktionsablaufes mit Zusammenziehen und Erschlaffen des Herzmuskels.
3. Wie treibt das Herz das Blut in den Kreislauf? Alle Anstrengungen des Herzens wären sinnlos, würde es nicht über den Kreislauf alle Organe mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen und die Abfallprodukte abtransportieren. Nur wenn dieser Transportvorgang funktioniert, können wir überleben.
Um Anatomie und Funktion des Kreislaufs zu verdeutlichen, setzen wir uns gedanklich auf ein rotes Blutkörperchen und schwimmen mit dem Blutstrom.
In der unteren Hohlvene steigen wir zu. Das Blut fließt hier langsam in Richtung Herz. Wir gelangen in den rechten Vorhof, in dem das Blut der unteren und oberen Hohlvene zusammenfließt. Über die Trikuspidalklappe erreichen wir die rechte Herzkammer und werden von dieser in die Lungenarterie ausgeworfen. Diese verzweigt sich in die beiden Lungenarterien und schließlich in kleinere Gefäße. Wir bewegen uns deutlich schneller als in der unteren Hohlvene und gelangen in immer dünnere Röhren und schließlich bis in feinste Haargefäße. Durch die muss sich unser Gastgeber förmlich hindurchzwängen. Beim direkten Kontakt mit der jetzt hauchdünnen Gefäßwand wird Kohlendioxyd als Abfallgas abgegeben und frischer Sauerstoff aufgenommen. Das bis dahin dunkelrote Blut wird deutlich hellrot. Mit dem «frischen Blut» gelangen wir in die immer weiter werdenden Lungenvenen und so schließlich im langsamen Blutstrom in den linken Herzvorhof. Von jetzt an geht alles rasend schnell.
Über die Mitralklappe werden wir – unser Gastgeber mit uns – in die linke Herzkammer gesaugt. Durch sanften Druck hilft der Herzvorhof nach. Jetzt ziehen sich die Wände der muskelstarken linken Herzkammer mit großer Kraft zusammen und werfen uns durch die Aortenklappe mit hohem Druck und starker Beschleunigung in die Körperschlagader aus. Wir rasen an den Abgängen großer Gefäße vorbei, bis wir schließlich wie von selbst in einem großen abzweigenden Gefäß landen. Hier erleben wir Ähnliches wie im Lungenkreislauf. Die Gefäße verzweigen sich und werden zunehmend enger, bis sie schließlich so eng werden, dass sich unser Gastgeber geradezu durchzwängen muss. In diesen Haargefäßen (Kapillaren) wird der Sauerstoff an das Gewebe abgegeben und Kohlendioxyd und andere Abfallprodukte des Gewebestoffwechsels aufgenommen. Nach Passage der Kapillaren gelangen wir in zunehmend weite Venen und schließlich in die große Hohlvene. Damit schließt sich der Kreislauf.
Abbildung 2: Großer Körperkreislauf
4. Wie werden Herz und Kreislauf gesteuert? Wenn wir aufgeregt oder angespannt sind, schlägt unser Herz schneller und kraftvoller, wenn wir uns entspannen, hingegen langsamer und weniger stark. Diese Vorgänge laufen auch dann ab, wenn wir gar nicht daran denken. Unser Herz schlägt ebenfalls schneller, wenn wir uns körperlich belasten, und kräftiger, wenn wir sportlich aktiv sind.
Steuert das Gehirn diese Abläufe? Wenn ja, wie gibt das Gehirn seine Weisungen an das Herz? Findet ein Wechselgespräch zwischen beiden Organen statt? Diese Fragen kann man heutzutage beantworten.
In der Tat gibt es ein Wechselgespräch zwischen Gehirn und Herz. Nur so kann sich das Herz den Anforderungen des Alltags anpassen. Zwischen beiden Organen verlaufen die Nervenfasern des sogenannten vegetativen Nervensystems (unwillkürliches Nervensystem), das ist das Nervensystem, das nicht unserem Willen unterworfen ist. Sie leiten von sogenannten Nervenkernen, das sind Ansammlungen von Nervenzellen im Hirnstamm, die Impulse zum Herzen und leiten ebenso vom Herzen Informationen zurück an das Gehirn. Zusätzlich veranlasst das Gehirn ebenfalls über Verbindungen des sogenannten vegetativen Nervensystems die Freisetzung von Hormonen (die Antreiberhormone Adrenalin und Noradrenalin) aus dem Nebennierenmark in das Blut, ebenfalls, um gesteigerte Anforderungen an das Herz zu ermöglichen.
Die Nervenkerne im Stamm des Gehirns stehen mit der Großhirnrinde – als dem Ort des Denkens und Fühlens – in Verbindung. Auf diese Weise können Gedanken und Gefühle auf die Tätigkeit des Herzens – ohne dass wir uns dessen bewusst sind – einwirken.
Andererseits können auch Veränderungen des Herzschlages (z.B. Rhythmusstörungen) auf diesem Wege in umgekehrter Richtung Gedanken und Gefühle beeinflussen. Diese Verbindung von Herz und Gehirn betrifft auch die Gefäße. Über das vegetative Nervensystem werden die Gefäße verengt oder erweitert.
Zwischen Herz und Gehirn verlaufen zusätzlich Nervenbahnen, die Schmerzen, die im Herzen entstehen, zum Gehirn leiten und dort zur Schmerzempfindung führen. Diese Schmerzreize entstehen in der Wand der großen Gefäße, die das Herz mit Blut versorgen, und im Herzbeutel. Auslöser dieser Schmerzreize ist hauptsächlich die Durchblutungsstörung des Herzmuskels, es sind aber auch die Entzündung oder Reizung des Herzbeutels. Die Muskulatur des Herzens selbst verfügt, soweit bekannt, über keine Schmerzempfindung.
5. Was tun, wenn das Herz stillsteht? Unser Leben ist vom Funktionieren unseres Herzens abhängig. Hört es auf zu schlagen, werden wir nach etwa 15 Sekunden bewusstlos und sterben innerhalb von 10 bis 15 Minuten. Todesursache ist eine dauerhafte Schädigung des Gehirns.
Wodurch kommt es zum Herzstillstand? In der Regel durch Kammerflimmern. Das flimmernde Herz transportiert das Blut nicht mehr und produziert keinen Pulsschlag. Kammerflimmern entsteht am häufigsten infolge einer Durchblutungsstörung des Herzmuskels oder durch eine andere schwerwiegende Herzkrankheit.
Durch eine effektive Herzmassage wird die Funktion des Herzens für eine Zeit ersetzt und so die Durchblutung des Gehirns gesichert.
Über Jahrzehnte war man der Meinung, dass zur Wiederbelebung neben einer Herzmassage auch eine Atemspende gehört. Gerade die Beatmung machte die Reanimation für viele Helfer zum Problem. Heute weiß man es besser: Die Herzmassage allein ist völlig ausreichend, um einen Patienten erfolgreich wiederzubeleben. Eine Beatmung ist nicht notwendig, da das Blut noch für 10 bis 12 Minuten genügend Sauerstoff enthält. Erst bei einer länger dauernden Wiederbelebung (>12 min.) bedarf der Patient zusätzlich einer Beatmung. Da zumindest in den Städten in Deutschland der Notarztwagen rasch am Ort des Herzstillstandes ist, ist eine Beatmung in der Regel nicht notwendig.
Für die kardiopulmonale Reanimation gelten folgende Regeln:
Prüfung, ob eine kardiopulmonale Reanimation notwendig ist.
Wenn ja, Beginn der Reanimation mit Herzmassage.
Telefonnummer 112 benachrichtigen bzw. eine Benachrichtigung veranlassen.
Herzmassage mit einer Frequenz von etwa 100/min. und 5 bis 6 cm tiefen Kompressionen in der Mitte des Brustbeins. Die Patienten sollten mit freiem Brustkorb auf harter Unterlage liegen.
Wie lange muss man die Herzmassage durchführen? So lange, bis der normale Herzrhythmus durch eine Defibrillation (Elektroschock) wiederhergestellt ist. Beim Elektroschock handelt es sich um einen hochenergetischen Stromimpuls, der über Elektroden auf der Brustwand abgegeben wird und die krankhafte elektrische Aktivität des Herzens beendet. Durch die Herzmassage selbst wird der normale Herzrhythmus nicht wiederhergestellt. Das Kammerflimmern geht trotz Herzmassage weiter. Die Herzmassage sorgt lediglich für die ausreichende Durchblutung des Gehirns. Die übrigen Organe des Körpers vertragen eine Minderdurchblutung. Der normale Rhythmus wird durch einen Elektroschock wiederhergestellt. Dieser Elektroschock kann auch von Rettungssanitätern und von Laien abgegeben werden. Wenn verfügbar, sollte ein automatischer externer Defibrillator eingesetzt werden. Die Herzmassage darf nur kurz für die Abgabe des Defibrillationsschocks unterbrochen werden.
In jedem Jahr sterben allein in Deutschland etwa 100.000 Menschen an einem Herzstillstand mit Kammerflimmern. Mindestens 20 bis 30 % dieser Menschen könnten durch eine rechtzeitige Wiederbelebung mit Herzmassage gerettet werden. In einigen Ländern (Skandinavien) wird dieses Ziel erreicht. In Deutschland bei weitem nicht. Warum? In Deutschland ist die Unterweisung in der Wiederbelebung völlig unzureichend. Es ist dringlich, dass in Schulen die einfachen Maßnahmen der Wiederbelebung gelehrt werden.
6. Schlagen Frauenherzen anders? Warum sollten sie? So gibt es in der Mechanik – Zusammenziehen und Erschlaffen des Herzmuskels – und in der Elektrik – Erregungsleitung und Erregungsbildung – sowie im Stoffwechsel des Herzens keine augenfälligen Unterschiede zwischen Mann und Frau. Entsprechend können Frauen ohne weiteres nach einer Herztransplantation mit dem Herzen eines Mannes und Männer mit dem Herzen einer Frau leben.
Und doch: Es gibt Unterschiede nicht nur in der Anatomie und Physiologie, sondern auch auf zellulärer und molekularer Ebene. Wie könnte man sonst erklären, dass bestimmte Herzerkrankungen bei Frauen häufiger vorkommen, dass Frauen und Männer bei der gleichen Erkrankung unterschiedliche Symptome haben und auf eine Behandlung unterschiedlich ansprechen.
Um dem Thema gerecht zu werden, muss man nicht nur biologische, sondern auch psychologische und soziokulturelle Aspekte berücksichtigen. Betrachten wir zunächst die biologischen Unterschiede:
Frauen haben andere Geschlechtsorgane, können schwanger werden und haben einen anderen Hormonhaushalt. So gibt es Herzkrankheiten, die nur im Verlauf der Schwangerschaft vorkommen. Frauen können während der Schwangerschaft einen schweren Bluthochdruck entwickeln. Selten, aber lebensbedrohlich kann es in der späten Schwangerschaft oder nach der Geburt zu einer Herzmuskelerkrankung mit Herzschwäche und Flüssigkeitseinlagerung in den Körper (sogenannte Schwangerschaftskardiomyopathie) kommen. Bei beiden Krankheiten spielt der während der Schwangerschaft veränderte Hormonhaushalt ursächlich eine Rolle.
Der weibliche Hormonstatus erklärt auch, weshalb Herzerkrankungen bei Frauen anders verlaufen als bei Männern.
Es ist allgemein bekannt, dass Frauen bis zur Menopause deutlich seltener einen Herzinfarkt erleiden, nach der Menopause dagegen häufiger als Männer. Ebenso sollte heutzutage Allgemeinwissen sein, dass Frauen andere und weniger charakteristische Beschwerden bei einem Herzinfarkt haben als Männer. Ebenfalls mit dem Hormonhaushalt hängen zwei weitere Krankheitsbilder zusammen, die bei Frauen deutlich häufiger vorkommen als bei Männern: die sogenannte Mikrovaskularangina (Einengung der kleinen Herzkranzgefäße unter Stress oder Kälteeinwirkung) und das sogenannte Raynaud-Phänomen (Absterben der Finger bzw. Hände bei Einwirkung von Kälte). Auch die stressbedingte Kardiomyopathie (Tako-Tsubo-Kardiomyopathie) findet sich bei Frauen deutlich häufiger als bei Männern. Kardiomyopathien sind Erkrankungen des Herzmuskels.
Nicht ohne weiteres durch den Hormonhaushalt erklärbar ist, dass die meisten kardiovaskulären Erkrankungen bei Frauen ungünstiger verlaufen als bei Männern. Die Fakten sind bekannt, haben aber bislang erstaunlich wenig öffentliche Aufmerksamkeit gefunden:
Eine Herzdiagnostik wird bei Frauen seltener durchgeführt.
Frauen erhalten weniger Herzmedikamente und seltener Herzoperationen und Interventionen (z.B. Stents).
Die Diagnostik und Therapie von Herzkrankheiten ist bei Frauen komplikationsreicher, die Ergebnisse der Therapie sind weniger erfolgreich.
Ganz allgemein ist der Verlauf der meisten Herzkrankheiten bei Frauen ungünstiger als bei Männern.
7. Kann das Herz brechen? Unter den menschlichen Organen nimmt das Herz eine Sonderstellung ein. Wie in keinem anderen Organ spiegeln sich im Herzen Anspannung, Freude, Trauer und Niedergeschlagenheit körperlich wider. Der Patient kann die Veränderungen des eigenen Herzens geradezu spüren.
Und noch eine zweite Beobachtung erklärt die besondere Stellung des Herzens: Es ist mit Leben und Tod so unmittelbar verbunden wie kein anderes Organ. Auch für den Laien ist es evident: Herzaktivität bedeutet Leben, Herzstillstand oder Herzversagen Tod.
Es sind diese beiden Besonderheiten, die die Faszination des Menschen am Herz begründet haben und weniger die unglaubliche Leistungsfähigkeit dieser Druck-Saug-Pumpe Noch bis in die Neuzeit hinein war diese Leistungsfähigkeit weder bekannt noch messbar.
Neben der medizinisch-naturwissenschaftlichen Dimension schwingt beim Herzen immer auch eine psychologisch-poetische mit. Dass beide mehr miteinander zu tun haben könnten, als medizinischer Sachverstand oftmals vermutet, ist bereits Skakespeare aufgegangen. In der Tragödie König Lear macht er deutlich, wie notwendig es ist, seine Schmerzen zu artikulieren:
«Gib Worte deinem Schmerz, Gram, der nicht spricht, presst das belastete Herz, bis dass es bricht.»
Am Ende der Tragödie darf Lears Herz endlich brechen. Der Herzog von Kent, der die Agonie Lears miterleben muss, fleht die erlösende Ruptur des Herzens herbei:
«Break, heart, I prithee, break! – Herz, ich bitt dich, brich.»
Jeder denkt, wenn von einem gebrochenen Herzen die Rede ist, zunächst an das im übertragenen Sinne gebrochene Organ. Mittlerweile steht dieser metaphorischen Redeweise vom gebrochenen Herzen aber dank moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse auch eine handfeste medizinische gegenüber. Das Herz als Druck-Muskel-Pumpe kann zwar nicht brechen – wie ein Knochen –, aber doch zu Bruch gehen.