Einführungen Philosophie

Die Reihe „Einführungen“ (Philosophie) soll vor allem den Studienanfängern Orientierung bieten. Auf dem neuesten Stand der Forschung werden die wesentlichen Theorien und Probleme aller Hauptgebiete der Philosophie dargestellt. Dabei geht es nicht um Philosophiegeschichte, sondern um das Philosophieren selbst. Nicht Namen und Epochen stehen im Vordergrund, sondern Argumente. Jeder Band steht für sich und ermöglicht einen systematischen Überblick über das jeweilige Gebiet. Die didaktische Aufbereitung (Zusammenfassungen, Übungsaufgaben, Literaturhinweise…), eine übersichtliche Gliederung und die gute Lesbarkeit machen die Bände zu einem hervorragenden Hilfsmittel für Studierende.

Herausgeber:

Dieter Schönecker, Universität Siegen

Niko Strobach, Universität Münster

Wissenschaftlicher Beirat:

Rainer Enskat (Halle-Wittenberg), Roland Henke (Bonn),

Otfried Höffe (Tübingen), Wolfgang Künne (Hamburg),

Wolfgang Malzkorn (Bonn), Enno Rudolph (Luzern),

Wolfgang Spohn (Konstanz), Ursula Wolf (Mannheim)

Michael Quante

Einführung in die Allgemeine Ethik

6., aktualisierte Auflage

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Anna Caterina und Sophia Marie

Impressum

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Inhalt

    I. Dimensionen der Ethik

1. Einleitung

2. Grundfragen der philosophischen Ethik

a) Die erste Grundfrage: Was soll ich tun?

b) Die zweite Grundfrage: Warum ist diese Handlung richtig?

c) Die dritte Grundfrage: Was bedeuten unsere ethischen Begriffe?

3. Zwei zentrale Unterscheidungen

a) Die drei Ebenen der philosophischen Ethik

b) Zwei Perspektiven

4. Der Aufbau dieser Einführung

5. Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

   II. Grundbegriffe der Ethik

1. Die Unverzichtbarkeit der Metaethik

a) Der Status metaethischer Aussagen

b) Drei Arten von Definitionen

c) Die Zweiteilung der Grundbegriffe als heuristische Strategie

2. Das Sollen: deontische Grundbegriffe

a) Der erste deontische Grundbegriff: „ethisch geboten”

b) Broads Unterscheidung

c) Der zweite deontische Grundbegriff: „ethisch richtig”

3. Das Gute: der grundlegende Wertbegriff

a) Die verschiedenen Verwendungsarten von „gut”

b) Kriterien der Anwendung

4. Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

  III. Die nonkognitivistische Herausforderung

1. Grundidee und Hintergrundannahmen des Nonkognitivismus

a) Die Grundidee

b) Hintergrundannahmen

2. Sprachanalytische Vorüberlegungen

a) Illokutionäre Rollen

b) Drei Bedeutungskomponenten

3. Hauptformen der nonkognitivistischen Ethikkonzeption

a) Alfred J. Ayer

b) Charles L. Stevenson

c) Richard M. Hare

4. Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

  IV. Der Subjektivismus

1. Die Grundidee

2. Aufgeklärtes Eigeninteresse

a) Rationalität

b) Kooperation

    Exkurs zur Entscheidungs- und Spieltheorie

c) Gerechtigkeit

3. Probleme und Grenzen des subjektiven ethischen Rationalismus

a) Probleme

b) Grenzen

4. Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

   V. Objektivismus und Realismus (I)

1. Einleitung

2. Objektivismus oder Realismus: Vier mögliche Optionen

a) Terminologische Festlegungen: „objektiv“ und „real”

b) Starke und schwache Varianten

3. Der starke ethische Objektivismus

a) Die letztbegründende Vernunftethik: Immanuel Kant

b) Die letztbegründende Diskursethik: Karl-Otto Apel

4. Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

  VI. Objektivismus und Realismus (II)

1. Vorklärungen

a) Drei Bedeutungen von „Realismus”

b) Werterfahrung und Werturteil

c) Zwei Arten des Wahrnehmens

2. Der starke ethische Realismus

a) Drei Versionen

b) Mackies Kritik

3. Der schwache ethische Realismus

a) Die relationale Konzeption evaluativer Eigenschaften

b) Die Reichweite des schwachen ethischen Realismus

c) Materiale ethische Bestimmungen

4. Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

 VII. Ethischer Naturalismus

1. Grundidee und Grundbegriffe

a) Die Grundidee

b) Wissenschaftstheoretische Vorbedingungen

c) Die Attraktivität des ethischen Naturalismus

2. Ansprüche und Ziele der evolutionären Ethik

a) Evolutionstheorie als Grundlage des Naturalisierungsprojekts

b) Ansprüche und Ziele

3. Reichweite und Grenzen der naturalisierten Ethik

a) Erörterung der Ansprüche

b) Fazit

4. Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

VIII. Haupttypen der Ethik

1. Der Gegenstand ethischer Bewertung

2. Grundorientierungen ethischer Bewertung

3. Deontologische Ethik

4. Utilitarismus

5. Tugendethik

6. Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

  IX. Begründung in der Ethik

1. Warum begründen?

a) Nutzen und Nachteile des Projekts ethischer Begründung

b) Zwei Unterscheidungen

2. Das Gespenst des Relativismus

a) Die Grundidee

b) Einwände

3. Begründungsmodelle und Begründungsansprüche

a) Deduktivismus, Induktivismus und Kohärentismus

b) Infallible Fundamente für die Ethik?

c) Fazit: Wer hat Angst vor‘m Relativismus?

4. Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

   X. Freiheit, Verantwortung und Determinismus

1. Einleitung

2. Metaphysische Freiheit und Determinismus

a) Die Problemstellung

b) Begriffsklärungen: Determinismus und Freiheit

c) Zwei Ebenen

d) Positionen

3. Ethische Freiheit und Verantwortung

a) Der kompatibilistische Analysevorschlag

b) Die inkompatibilistische Alternative

c) Fazit: eine internalistische Deutung

4. Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

Danksagung

Literatur

Namenregister

Sachregister

I. Dimensionen der Ethik

In diesem Kapitel wird in die philosophische Ethik eingeleitet, indem ihr Inhalt grob umrissen wird. Dies geschieht durch die Unterscheidung der drei ethischen Grundfragen sowie durch die Bestimmung des Verhältnisses der philosophischen Ethik zum alltäglichen Ethikverständnis einerseits und zu anderen philosophischen Disziplinen andererseits. Außerdem werden drei Ebenen der philosophischen Ethik und zwei Perspektiven unterschieden. Abschließend wird ein Überblick über den Aufbau dieser Einführung gegeben.

1. Einleitung

Ethik ist gegenwärtig in aller Munde. Sie füllt Feuilletons, Talk Shows und gelehrte Abhandlungen, ruft Ethik-Kommissionen und Ethik-Beiräte hervor. Die drängenden Probleme der Zeit – sei es die wieder aktuelle Frage nach gerechten oder zumindest gerechtfertigten Kriegen, seien es die vielfältigen Probleme der Medizin und Biotechnologien – bringen einen tiefgreifenden ethischen Orientierungsbedarf mit sich. Ethik scheint etwas für Experten zu sein, eine schwierige Sache, bei der zu befürchten steht, dass sie trotz ihrer Komplexität nicht in der Lage ist, die anstehenden Probleme in den Griff zu bekommen. Ethik scheint daher mit schwierigen Fällen oder extremen Problemen befasst zu sein. Sie scheint sowohl von ihrem Gegenstand wie auch von ihrer Methodik her eine Spezialdisziplin zu sein, die uns zwar alle mehr oder weniger direkt betrifft, aber doch an Experten delegiert wird.

Ethik ist jedoch auch alltäglich. Jeder von uns reagiert mit Empörung auf manches, was ihm angetan wird, oder auf Berichte darüber, was anderen widerfahren ist. Wir loben den selbstlosen Einsatz für eine gute Sache genauso wie die umsichtige Sorge für Freunde oder Verwandte. Die meisten von uns fragen sich gelegentlich, ob sie ihrem Leben diese oder jene Wendung geben, ob sie dies tun oder jenes lassen sollten. Manchmal fragen wir uns, ob wir das Richtige getan haben, ob wir in der Lage sind, unsere Entscheidungen und Handlungen vor uns selbst und vor allem auch vor anderen zu begründen.

Wir verlangen von anderen, dass sie uns gerecht behandeln, dass sie die Regeln der Höflichkeit einhalten und uns Respekt entgegenbringen. Geschieht dies nicht, fordern wir die Einhaltung der entsprechenden Regeln und Verhaltensnormen ein, durch die uns eine angemessene Behandlung zuteil werden kann. Wir verstehen, wenn andere unser Verhalten als ethisch falsch oder ungerecht kritisieren. Zumeist versuchen wir dann, entweder eine Rechtfertigung oder zumindest eine Entschuldigung vorzubringen. Oder wir sehen, wenn auch vielleicht nur insgeheim, ein, dass wir einen Fehler gemacht haben. Aber nicht nur Handeln gegenüber anderen bewerten wir auf diese Weise. Wir kritisieren auch, wenn jemand sein Talent verschwendet, mit seiner Gesundheit oder seiner beruflichen Zukunft verantwortungslos umgeht. Zumeist verstehen wir auch sehr gut, wenn andere unsere eigene Lebensführung unter dieser Perspektive kritisieren. Man kann Rauchern vorhalten, dass sie die Gesundheit anderer schädigen. Man kann Rasern im Straßenverkehr vorhalten, dass Sie andere gefährden. Man wird ihnen aber auch dann, wenn sie nur sich selbst schaden oder sich selbst leichtsinnig gefährden, Vorwürfe machen.

Wir sind, mit anderen Worten, Sender und Empfänger ethischer Bewertungen wie Lob und Tadel; wir sind Subjekte und Objekte ethischer Einstellungen. Ethik ist, so betrachtet, etwas Alltägliches und Vertrautes: eine, nein, unsere Lebensform. Und dennoch: Kommt es zur Frage nach der Möglichkeit von Ethik, dann sind viele skeptisch. Gerade die Betrachtung der Früchte, die der eingangs erwähnte Ethikboom mit sich bringt, nährt diese Skepsis. Ethische Orientierung in diesen Zeiten ist schwer, die Begründung ethischer Ansprüche scheint vielen sogar unmöglich zu sein.

Ziel des Buches

Mit dieser Einführung soll ein Überblick über die Schwierigkeiten und Möglichkeiten der philosophischen Ethik gegeben werden. Die Gründe für die weit verbreitete Skepsis gegenüber der Ethik sollen ermittelt und, soweit möglich, entkräftet werden. Natürlich kann eine philosophische Einführung nicht alle Fragen beantworten. Vermutlich wird sie sogar im Endeffekt mehr Fragen aufwerfen, als sie zu beantworten vermag. Aber sie kann helfen, das eigene Denken über die wichtigsten Probleme zu klären, die wichtigsten theoretischen Weichenstellungen kennen zu lernen und die Fragen in der richtigen Weise zu stellen. Sie kann Orientierung bieten und eine Plattform, von der aus man dann gezielt weiter fragen und forschen kann.

2. Grundfragen der philosophischen Ethik

a) Die erste Grundfrage: Was soll ich tun?

Ethik begegnet uns in unserem Alltag auf vielfältige Weise. Nahezu jeder stößt in den Medien gelegentlich auf Diskussionen um Embryonenforschung, Sterbehilfe oder Tier- und Umweltschutz. Die schwierige und schmerzhafte Auseinandersetzung um Gewalt als Mittel der Politik ist sicherlich in den letzten Jahren an niemandem vollständig vorbeigegangen. In einer schwierigen Entscheidungssituation fragt uns eine Freundin um Rat: Den Partner und die Kinder verlassen, um beruflich Karriere machen oder sich selbst verwirklichen zu können? Eine Schwangerschaft zu beenden, weil das heranwachsende Kind vermutlich am Down Syndrom leiden wird? Aber auch wir stehen in vielfältigen Entscheidungssituationen: Sollen wir Urlaub in einem Land machen, in dem die Menschenrechte massiv missachtet werden? Ist es vertretbar, ein Produkt zu kaufen, von dem wir wissen, dass es in einem Land der Dritten Welt durch Kinderarbeit hergestellt worden ist? Beschleicht uns nicht gelegentlich das Gefühl, wir sollten auf ein Stück unseres Lebensstandards verzichten und einen Teil unseres Geldes für humanitäre Zwecke spenden? Die eine oder der andere fragt sich möglicherweise, ob es nicht angebrachter wäre, sich politisch zu engagieren anstatt die eigene Zeit für diverse Freizeitaktivitäten zu verwenden. Sollte ich nicht mal wieder meine Oma im Altersheim besuchen, anstatt in das Konzert zu gehen, auf das ich mich schon so lange gefreut habe? Vermutlich würde der Besuch bei der alten Dame eher anstrengend und nicht sehr unterhaltsam. Das Konzert dagegen würde mir auf vielfältige Weise Spaß und Gewinn bringen. Aber dennoch: Sollte ich nicht trotzdem meiner Oma die Freude machen und sie wieder einmal besuchen?

Erste Grundfrage der Ethik

Fragen dieser Art sind durchaus nicht ungewöhnlich. Vielmehr sind wir von ihnen ständig umgeben. Sie lassen sich auf eine allgemeine Formel bringen, die zugleich die erste Grundfrage der philosophischen Ethik ist:

(F 1) Wie soll ich handeln?

Bei dieser Frage handelt es sich um eine normative Frage. Sie zielt nicht auf theoretische Wahrheit im Sinne der Ermittlung von Tatsachen, sondern auf normative Geltung. Und sie zielt nicht auf theoretisches Wissen, sondern auf praktische Umsetzung. Wer danach fragt, wie er handeln soll, der möchte nicht einfach nur eine theoretische Überzeugung erwerben, wie dies für denjenigen gilt, der wissen möchte, ob Wale Fische oder Säugetiere sind.

Natürlich kann man auch Wissensfragen in praktischer Absicht stellen, zum Beispiel, wenn Tina wissen möchte, ob das Rathaus Mittwochs nachmittags geöffnet hat. Aber die Antwort auf diese Wissensfrage ist unabhängig davon, ob sie damit für sich Handlungskonsequenzen verbindet. Dies ist bei der Frage „Wie soll ich handeln?“ nicht so. Es handelt sich um eine praktische Frage danach, welche Handlung die richtige ist.

Damit sind die ersten Charakteristika der philosophischen Ethik benannt. Sie gehört zur praktischen Philosophie und zielt auf normative Geltung. Die philosophische Ethik, so könnte man es schlagwortartig formulieren, hat die Aufgabe, uns im Handeln zu orientieren. Aber unsere vorläufige Gegenstandsbestimmung ist damit noch nicht zufriedenstellend abgeschlossen. Die Anschlussfrage ist vielmehr, im Hinblick worauf ich so oder so handeln sollte. Anders gesagt: Zu fragen ist, um welche Art von Normativität, um welche Art von Geltung es geht.

Verschiedene Bedeutungen von „richtig”

Wenn Peter eine Partie Schach spielt, dann könnte er sich fragen: Welchen Zug soll ich ausführen? Welcher Zug ist richtig? Auf diese Frage gibt es zwei verschiedene Antworten, die auf unterschiedlichen Ebenen liegen. Stellen wir uns vor, wir hätten es mit dem Schachspieler Andreas zu tun, der gerade erst die Regeln dieses Spiels erlernt hat und sich noch nicht sicher ist. Wenn Andreas fragt, ob der von ihm erwogene Zug richtig ist, dann könnte diese Frage so gemeint sein: Ist dieser Zug regelgerecht?

Vermutlich wird dies so sein, und seine Gegenspielerin Barbara wird bestätigen können, dass der von Andreas geplante Zug richtig im Sinne von „regelkonform“ ist. Aber ist es auch der richtige Zug? Vielleicht sieht die erfahrene Schachspielerin Barbara mit einem Blick, dass der von Andreas geplante Zug innerhalb weniger Züge dazu führt, dass er die Partie verliert. Außerdem sieht sie, dass Andreas einen alternativen Zug machen könnte, durch den er die Partie offen halten könnte. Es geht an dieser Stelle nicht darum, ob Barbara in irgendeinem Sinne verpflichtet ist, Andreas darauf hinzuweisen, dass der von ihm geplante Zug nicht richtig bzw. nicht gut ist. Normalerweise ist ein Schachspieler nicht darauf verpflichtet, seinem Spielpartner Tipps zu geben. Aber normalerweise fragt dieser auch nicht. Ob eine solche Verpflichtung vorliegt, lässt sich ohne weitere Auskünfte über die konkrete Situation nicht entscheiden. Wir können uns auch, um dieses Problem auszublenden, vorstellen, dass Andreas sich selbst fragt, ob der von ihm geplante Zug der richtige ist. Wichtig ist nur, dass die zweite Bedeutung seiner Frage sichtbar wird. Sie lässt sich so umschreiben: Ist dieser Zug geeignet, das Ziel oder den Sinn des Schachspielens zu realisieren? Ermöglicht er es, die Partie zu gewinnen? Oder ist er zumindest dazu geeignet, nicht auf die Verliererstraße zu gelangen?

Offensichtlich lässt sich die erste Grundfrage der philosophischen Ethik nicht auf diese Weise verstehen. Wer sagt, dass es falsch ist, unter Alkoholeinfluss ein Auto zu steuern, der möchte damit normalerweise nicht zum Ausdruck bringen, dass ein solches Verhalten gegen die Spielregeln, in diesem Falle die Straßenverkehrsordnung, verstößt. Es lassen sich zwar Kontexte denken, in denen diese Bemerkung auch so gemeint sein kann: etwa in einem rechtswissenschaftlichen Seminar oder in der Fahrschule. Vermutlich wird die Aussage auch nicht als Hinweis darauf gedacht sein, dass alkoholisiertes Autofahren dem Sinn oder Ziel des Autofahrens widerspricht. In aller Regel wird sie als Hinweis darauf gemeint sein, dass ein solches Verhalten ethisch inakzeptabel, weil fahrlässig ist.

Wer die Frage „Wie soll ich handeln?“ in ethischer Absicht stellt, der fragt danach, ob seine Handlung im Hinblick auf das ethisch Richtige oder das ethisch Gute angemessen ist. Als Definition der philosophischen Ethik taugt diese Antwort nicht, weil sie zirkulär ist. Deshalb ist sie auch nicht wirklich informativ. Es kann vielmehr als eine der Hauptaufgaben der philosophischen Ethik angesehen werden, auf die Frage nach dem ethisch Richtigen und Guten inhaltlich konkrete Antworten zu geben. Solche Antworten können jedoch höchstens am Ende, keinesfalls aber am Anfang einer Einführung stehen. Vermutlich wird diese Frage auch am Ende nicht wirklich umfassend und befriedigend beantwortet worden sein. Wichtig sind unsere jetzigen Vorüberlegungen jedoch aus zwei Gründen. Zum einen lassen sie sichtbar werden, dass man die zentralen Begriffe der Ethik wie „sollen“, „richtig“ oder „gut“ näher analysieren muss, da sie offensichtlich auch in einem nichtethischen Sinne gebraucht werden können. Dies wird uns im nächsten Kapitel beschäftigen. Zum anderen zeigt sich schon hier eine der zentralen Aufgaben der philosophischen Ethik: die Formulierung konkreter Antworten auf die Frage nach dem ethisch guten oder richtigen Handeln.

b) Die zweite Grundfrage: Warum ist diese Handlung richtig?

Zweite Grundfrage der Ethik

Ethik ist in unserem Leben nicht nur deshalb alltäglich, weil wir uns häufig die Frage danach stellen, wie wir handeln sollen. Vermutlich genauso oft sind wir mit der Überlegung konfrontiert, warum denn die Handlung A und nicht die Handlung B die ethisch richtige ist. Wir suchen dann nicht nur eine Antwort auf die erste Grundfrage der Ethik, sondern auch nach einer Begründung für diese Antwort. Häufig taucht die Frage nach der Begründung in Situationen auf, in denen wir unser Tun vor anderen rechtfertigen oder eben zumindest begründen müssen. Gelegentlich stellt sie sich auch, wenn wir um Rat gebeten werden oder anderen von uns aus Ratschläge geben. Unsere ethische Einstellung prägt unser Zusammenleben. Daher erheben wir gegenseitig ethische Ansprüche, verlangen danach, dass andere sich ethisch korrekt verhalten, und kritisieren vermeintliches Fehlverhalten. In diesem Kontext erhebt sich schon im Alltag die Frage nach der Begründung. Wir können die Begründungsfrage deshalb als zweite Grundfrage der philosophischen Ethik ansehen:

(F 2) Warum ist Handlung A ethisch richtig (gut) bzw. falsch (schlecht)?

Anders als die erste zielt diese zweite Grundfrage nicht darauf ab, die Handlung zu ermitteln, die zu tun ist. Sondern sie fragt nach den Merkmalen, aufgrund derer sich die ermittelte Antwort als die richtige erweist. Im Kontext der Ethik fragt man also auch nach den Merkmalen oder Kriterien des ethisch Guten bzw. Richtigen.

Radikalisierung der zweiten Grundfrage

In radikalisierter Form kann sich die Begründungsfrage wegbewegen von der einzelnen Handlung A. Sie richtet sich dann auf das ethische Handeln im Ganzen. Die Frage lautet nun: Wieso soll ich überhaupt ethisch handeln? Welchen Grund soll es dafür geben, dass ich meine egoistischen Interessen zugunsten der Bedürfnisse anderer zurückstelle? (Ich verwende hier zum einen den Begriff des Interesses in einem allgemeinen Sinn, der individuelle Bedürfnisse, Wünsche und Ideale gleichermaßen umfassen soll; vgl. Kapitel IV, 1. Zum anderen benutze ich den Begriff „egoistisch“ an dieser Stelle in einem wertneutralen Sinne: egoistisch heißt also nicht zwangsläufig ethisch falsch oder schlecht; vgl. Kapitel IV, 3b). Es sind jedoch gerade diese Fälle, in denen die egoistischen Interessen mit dem ethisch Gebotenen kollidieren, durch welche die zweite Grundfrage der philosophischen Ethik in ihrer radikalisierten Form aufgeworfen wird. Sie lautet dann:

(F 2*) Warum soll ich ethisch handeln?

Nun wird die Begründungsfrage in ihrer auf ethisches Handeln überhaupt ausgerichteten radikalisierten Form zwar hauptsächlich durch die Fälle aufgeworfen, in denen egoistische Interessen und ethische Ansprüche in Konflikt geraten. Das sollte aber nicht zu Fehlschlüssen verleiten. Zum einen folgt daraus nicht, dass ethisch gebotenes Handeln per definitionem im Widerspruch zur Erfüllung egoistischer Interessen stehen muss. Viele unserer egoistischen Interessen lassen sich in ethisch akzeptabler Weise befriedigen. Zum anderen wird eine ethisch angemessene Handlung nicht schon dadurch entwertet, dass sie auch der Befriedigung egoistischer Interessen dient. Die Freude und Befriedigung, die Christa dabei empfindet, dem bedürftigen Dieter die dringend benötigte Knochenmarkspende zu geben, entwertet ihre Handlung nicht automatisch als ethisch schlecht. Trotzdem gehört es zu den charakteristischen Merkmalen des ethisch Gebotenen, dass uns eine Verpflichtung oder ein Sollen auferlegt zu sein scheint, welches sich dadurch bemerkbar macht, dass es gegen unsere egoistischen Interessen steht, zu deren Befriedigung wir mehr oder weniger unmittelbar motiviert sind.

Begründung versus Motivation

Wie schon bei der ersten Grundfrage (F 1) ist es auch mit Bezug auf die zweite Grundfrage von entscheidender Bedeutung, verschiedene Fragen und Stoßrichtungen dieser Fragen zu unterscheiden. Mit der oben vorgenommenen Differenzierung in die zwei Begründungsfragen (F 2) und (F 2*) haben wir dazu einen ersten wichtigen Schritt unternommen. Es ist aber nicht nur wichtig, zwischen der ethischen Begründung für eine bestimmte Handlung und der ethischen Begründung für den ethischen Standpunkt zu unterscheiden. Zu differenzieren ist auch zwischen der Begründungsfrage im Sinne der Ermittlung rationaler Argumente auf der einen und dem Motivationsproblem auf der anderen Seite. Hier ergibt sich ein ganzes Spektrum von Möglichkeiten, die es zu unterscheiden gilt. So kann Erika, die durchaus gewillt ist, das ethisch Richtige zu tun, nach einer Begründung dafür fragen, dass Handlung A und nicht Handlung B die ethisch richtige ist. Ferdinand dagegen fragt danach, weshalb er die ethisch richtige Handlung A, z.B. seine Oma zu besuchen, ausführen sollte, anstatt die seine egoistischen Interessen erfüllende Handlung B, ins Konzert zu gehen, zu realisieren. Wo Erika nach einem sachlichen ethischen Grund fragt, die eine Handlung der anderen vorzuziehen, möchte Ferdinand ein Argument hören, welches ihm klar macht, weshalb er motiviert sein sollte, ethisch zu handeln.

Die Figur des Amoralisten

Während Erika und Ferdinand sich beide als Mitglieder der ethischen Gemeinschaft begreifen lassen, die nur unterschiedlich motiviert sind, gibt es in der Literatur der philosophischen Ethik auch eine Figur, nennen wir sie Greta, die man als Amoralisten bezeichnet (vergleiche zur Figur des Amoralisten [I-1], Kap. 1). Bei Greta handelt es sich um eine rationale Person, die nicht bereit ist, sich nach dem ethischen Sollen auszurichten. Anders als Ferdinand, der nach einem Grund fragt, den ethischen Gesichtspunkt ausschlaggebend werden zu lassen, weigert sich Greta, den ethischen Standpunkt auch nur einzunehmen. Gelegentlich wird der Amoralist als ein Wesen beschrieben, welches diesen Standpunkt überhaupt nicht einnehmen kann, also mit einer Art ethischer Blindheit geschlagen ist. Zumeist handelt es sich jedoch um eine Person, die keinen Grund sieht, an der ethischen Lebensform teilzunehmen. Lassen wir den pathologischen Amoralisten unberücksichtigt, da er uns zur Frage führen würde, ob es ein rationales menschliches Lebewesen ohne jeglichen Sinn für ethische Ansprüche überhaupt geben kann. Unterstellen wir also, dass „Rationalität“ und „Amoralität“ verträglich sind. Gegenüber Greta stellt sich dann die Begründungsfrage „Warum ethisch sein“ in ihrer radikalsten Form. Kann es eine Begründung der Ethik geben, die rationale Wesen, die vollkommen außerhalb dieser ethischen Lebensform stehen, aufgrund ihrer Rationalität davon überzeugt, an dieser Lebensform teilzunehmen? Man kann die ersten beiden, von Erika und Ferdinand geforderten Begründungen als interne Begründungsansätze kennzeichnen, weil sie nach der normativen Geltung fragen, die sich innerhalb der ethischen Lebensform ergibt. Demgegenüber handelt es sich bei der hypothetischen Auseinandersetzung mit Greta um den Versuch einer externen Begründung, da man nach einem Argument für die ethische Lebensform sucht, welches selbst nicht bereits ein Teil der Ethik ist.

c) Die dritte Grundfrage: Was bedeuten unsere ethischen Begriffe?

Philosophische Ethik als Theorie

Die Begründungsfrage stellt sich in ihren beiden Formen als zweite Grundfrage der philosophischen Ethik bereits in unserer alltäglichen ethischen Praxis. Die philosophische Ethik geht diesen Begründungsproblemen in systematisierender Weise nach und ist bestrebt, ethische Begründungen in ihrer immanenten Struktur transparent zu machen, die dabei verwendeten Grundbegriffe zu analysieren sowie die spezifische Natur ethischer Ansprüche und Begründungen zu verstehen. Obwohl es also zwischen unserer alltäglichen ethischen Praxis und der philosophischen Ethik keine scharfe Trennung gibt, weil beide mit der Beantwortung von Fragen und der Begründung von Antworten im Hinblick auf ethische Geltung zu tun haben, zeichnet sich die philosophische Ethik dadurch aus, dass sie eine Theorie ist. Dies hindert die philosophische Ethik zwar nicht daran, auch materiale Antworten auf die erste und die zweite Grundfrage zu geben. Sie verlangt aber über die im Alltag übliche Praxis hinaus eine systematische Durchdringung und Analyse dieser Praxis. Vermutlich wird die philosophische Ethik dabei in weiten Teilen rekonstruktiv und interpretierend vorgehen können. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass die philosophische Ethik sich verändernd auf unsere alltägliche Ethik und unser ethisches Selbstverständnis auswirkt. Wenn dem so ist, sollte dies dem kritischen Reflexionspotenzial geschuldet sein, wodurch sich die philosophische Ethik von unserem alltäglichen ethischen Verständnis unterscheidet. Philosophische Ethik sollte sich dadurch auszeichnen und darin bewähren, dass sie unsere Praxis rational begründet und uns damit in die Lage versetzt, unsere eigene ethische Praxis besser zu verstehen und besser zu begründen.

Dritte Grundfrage der Ethik

Wir können damit eine dritte Grundfrage der philosophischen Ethik formulieren, die auf diesen systematisierenden Aspekt abhebt:

(F 3) Wie sind die ethischen Grundbegriffe beschaffen und wie funktionieren ethische Begründungen?

Die philosophische Ethik ist eine alte Disziplin, so alt wie die Philosophie selbst. Solange Menschen Philosophie getrieben haben, solange haben sie die Phänomene des Erkennens und Handelns, des Wissens und Wollens philosophisch zum Thema gemacht. Es ist daher kein Wunder, dass im Laufe der mehr als zwei Jahrtausende, in denen es die abendländische Philosophie gibt, verschiedene und auch konkurrierende philosophische Ethiken entstanden sind. Sie alle nehmen von Erfahrungen aus unserer ethischen Alltagspraxis ihren Anfang, sind dann aber eingebettet in weitere philosophische und sonstige Annahmen, die von den jeweiligen Philosophen für wahr oder richtig gehalten werden. Im Laufe dieser Einführung werden wir die Haupttypen der philosophischen Ethik kennen lernen, die in der geschichtlichen Entwicklung der Philosophie hervorgebracht worden sind. Sie werden uns als mögliche und konkurrierende Antworten auf die entscheidenden systematischen Fragen, die sich auf dem Gebiet der philosophischen Ethik ergeben, nach und nach begegnen. Bevor wir uns jedoch diesem systematischen Gedankengang widmen können, müssen erst noch einige Vorabklärungen erfolgen.

3. Zwei zentrale Unterscheidungen

Man bringt, so lautet ein bekanntes und durchaus zutreffendes Bonmot, zwei Philosophen eher dazu, gemeinsam eine Zahnbürste zu benutzen, als dazu, die gleiche Begrifflichkeit zu verwenden. Damit verbunden werden in den unterschiedlichen philosophischen Theorien voneinander abweichende Differenzierungs- und Einteilungsvorschläge gemacht. Viele sind ineinander übersetzbar und werfen daher keine prinzipiellen Probleme auf. Andere dagegen haben inhaltliche Konsequenzen und können deshalb nur in Verbindung mit den materialen Aussagen der jeweiligen philosophischen Ethik betrachtet werden. Besonders misslich ist mit Bezug auf unseren Gegenstand zudem, dass manche der zentralen Begriffe der philosophischen Ethik auch in der Alltagssprache verwendet werden, dort aber eine andere Bedeutung haben.

Da es aussichtslos ist, eine Terminologie zu finden, die mit allen anderen, die im Gebrauch sind, in Einklang gebracht werden kann, besteht unsere einzige Möglichkeit darin, eine Begrifflichkeit festzulegen und sie konsequent zu verwenden. Wo immer dies im Laufe dieser Einführung notwendig wird, werden wir solche Festlegungen vornehmen. Zwei Unterscheidungen sind für unsere Überlegungen von Beginn an zentral; es handelt sich erstens um eine Ebenen- und zweitens um eine Perspektivenunterscheidung.

a) Die drei Ebenen der philosophischen Ethik

Ebenen

Auch wenn über das genaue Verhältnis der Ebenen zueinander gestritten wird, hat sich die Unterscheidung dreier Ebenen eingebürgert (vergleiche [I-2], S. 39–43). Man unterscheidet voneinander. Notwendig wird diese Unterscheidung, weil sich auf diesen drei Ebenen verschiedene Typen von Aussagen finden.

– die deskriptive Ethik

– die normative Ethik

– die Metaethik

Deskriptive Ethik

Beschreibt beispielsweise ein Historiker, welche Sitten im Römischen Reich galten, dann stellt er selbst keine normativen Behauptungen auf. Wer feststellt, dass es in einer Gesellschaft verboten ist, Schweinefleisch zu essen, der formuliert eine empirische Aussage, behauptet aber selbst nicht, dass man kein Schweinefleisch essen sollte. Gleiches gilt, wenn jemand behauptet, dass der Suizid nach christlicher Vorstellung eine Todsünde darstellt. Oder wenn darauf hingewiesen wird, dass die Freiheit von Forschung und Lehre in der Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich geschützt ist. In keinem dieser Fälle liegt eine normative Aussage vor.

Empirische Untersuchungen dieser Art werden in der Literatur zumeist deskriptive Ethik genannt. Aussagen aus diesem Bereich spielen in der philosophischen Ethik zwar auch eine Rolle. Aber im Grunde handelt es sich hierbei erstens nicht um eine philosophische, sondern eben um eine empirische Disziplin (z.B. die Ethnologie, die Soziologie oder die Geschichtswissenschaft). Zweitens geht es auf dieser Ebene nicht um normative Fragen, Behauptungen oder Begründungen. Ich möchte daher für diese Ebene den Begriff der Ethik gar nicht verwenden, weil die eingangs dieses Kapitels formulierten Grundfragen hier keine Rolle spielen.

Normative Ethik

Auf der Grundlage der bisherigen Charakterisierung von Ethik ist klar, dass die Charakterisierung „normative Ethik“ genauso redundant ist wie die Charakterisierung „unverheirateter Junggeselle“. Ethik hat es per definitionem mit normativen Aussagen zu tun. Sie stellt normative Behauptungen auf, analysiert normative Behauptungen, die wir in unserer alltäglichen ethischen Praxis formulieren oder die in anderen Ethiktheorien aufgestellt werden, und fragt nach den Begründungen für diese Behauptungen (einen Grenzfall stellt hier der ethische Nonkognitivismus dar, mit dem wir uns im dritten Kapitel ausführlich beschäftigen werden). Die Unterscheidung zwischen „deskriptiv“ und „normativ“ ist jedoch auf jeden Fall sinnvoll zur Charakterisierung von Aussagen. Denn natürlich können deskriptive Aussagen auch in der philosophischen Ethik vorkommen. Deshalb wird von nun an stets von Ethik im Sinne einer philosophischen normativen Ethik die Rede sein. Während die Unterscheidung von deskriptiver und normativer Ethik, im Unterschied zur Unterscheidung zwischen normativen und deskriptiven Aussagen, im weiteren Verlauf unserer Überlegungen damit keine Rolle mehr spielt, werde ich gelegentlich den qualifizierenden Zusatz „philosophische“ Ethik weiter verwenden. Dies dient zum einen der Abgrenzung zur alltäglichen Ethik, d.h. zur Betonung des systematisierenden und reflexiven Charakters der philosophischen Ethik als einer normativen Theorie. Zum anderen soll diese Kennzeichnung auch hervorheben, dass es um eine Ethik geht, die eine philosophische Begründung, im Gegensatz etwa zu einer theologischen Begründung, anstrebt. Wenn im Folgenden also der Begriff der Ethik ohne weiteren qualifizierenden Zusatz verwendet wird, dann ist stets die normative Disziplin der philosophischen Ethik gemeint.

Metaethik

Als drittes muss man eine besondere Art von Behauptungen kennzeichnen, in denen Aussagen über die Grundbegriffe und die Begründungsformen der Ethik gemacht werden. Diese Aussagen formulieren auf der einen Seite keine normativen Forderungen, beschreiben auf der anderen Seite jedoch auch keine faktischen Normensysteme. Vielmehr handelt es sich bei diesen Aussagen, die man zur Metaethik zählt, um sprachphilosophische und methodologische Aussagen, die ihrerseits mit weiter gehenden philosophischen Annahmen aus anderen Disziplinen der Philosophie verbunden sind.

Wenn man z.B. über die sprachliche Analyse der verschiedenen Verwendungsweisen von „gut“ oder „richtig“ versucht, der Eigenheit des Ethischen auf die Spur zu kommen, dann betreibt man genauso eine metaethische Untersuchung wie dann, wenn man die spezifische Form ethischer Argumentation ermitteln möchte. Gleiches gilt, wenn man versucht, den sprachlichen Charakter einer normativen ethischen Aussage philosophisch zu bestimmen. Nehmen wir die Aussage „Es ist ethisch falsch, einen unschuldigen Menschen gegen seinen Willen zu töten“. Es gibt einen metaethischen Streit darüber, ob es sich hierbei wirklich um eine behauptende Aussage handelt, mit welcher der Anspruch auf Wahrheit erhoben wird. In dieser Auseinandersetzung haben manche Philosophen die These vertreten, dass es sich bei dieser Aussage nur der Oberflächenstruktur nach um eine Behauptung handelt. In Wirklichkeit müsse man diesen Sprechakt als eine Empfehlung, als Ausdruck eines Gefühls oder als Imperativ verstehen. Ich möchte auf diese Diskussion, die uns im dritten Kapitel noch ausführlich beschäftigen wird, jetzt nicht näher eingehen. Aber sie verdeutlicht zweierlei: Erstens können sich aus Antworten auf metaethische Fragen weit reichende inhaltliche Konsequenzen ergeben. Denn ganz offensichtlich lassen sich ethische Aussagen nur dann begründen, wenn mit ihnen Wahrheitsansprüche erhoben werden. Zweitens sind diese metaethischen Aussagen selbst weder normative Aussagen noch bloße Beschreibungen faktisch akzeptierter Normensysteme.

Interdependenz von Ethik und Metaethik

Metaethische Aussagen sind daher aufgrund ihres Aussagetyps von ethischen Aussagen zu unterscheiden. Dies sollte uns jedoch nicht zu der Annahme verführen, die Ebenen der Ethik und der Metaethik wären vollkommen unabhängig voneinander. Es ist zwar richtig, dass bestimmte metaethische Annahmen einen Philosophen nicht zwangsläufig auf einen bestimmten Typ philosophischer Ethik festlegen. Viele metaethische Befunde lassen sich in unterschiedliche Ethiktypen integrieren. Andererseits legen metaethische Annahmen einen allgemeinen Rahmen für die philosophische Ethik fest, sodass die Metaethik gegenüber der philosophischen Ethik nicht vollkommen neutral ist. Die Metaethik hat Auswirkungen auf die Beantwortung der materialen Fragen der philosophischen Ethik. Die Abhängigkeit gilt dabei, und das wird zumeist zu wenig beachtet, auch in die andere Richtung. Es kann nicht sein, dass ein metaethischer Analysevorschlag, der mit den materialen Überzeugungen der (philosophischen) Ethik unverträglich ist, in jedem Fall als verbindlicher Rahmen angesehen werden muss. Ein Widerspruch zwischen Ethik und Metaethik muss nicht automatisch zugunsten der Metaethik aufgelöst werden. Dies würde nur gelten, wenn metaethische Aussagen den gleichen Status hätten wie logische Aussagen. Da die Metaethik aber, anders als die Logik, inhaltlich nicht neutral ist, muss im Konfliktfall jeweils überlegt werden, auf welcher Ebene Korrekturen vorzunehmen sind.

Weil die philosophische Ethik, anders als die alltägliche Ethik, den Anspruch einer Systematisierung und theoretischen Durchdringung hat, kann sie auf die Metaethik nicht verzichten. Deshalb wurde vorhin die Frage nach der Beschaffenheit unserer ethischen Grundbegriffe und Begründungen als dritte Grundfrage der philosophischen Ethik angeführt. Es wird sich im weiteren Verlauf unserer Überlegungen zeigen, dass es zu einem großen Teil divergierende metaethische Überzeugungen sind, aufgrund derer sich die unterschiedlichen philosophischen Theorien voneinander unterscheiden. Vor allem im zwanzigsten Jahrhundert haben die metaethischen Auseinandersetzungen die Hauptrolle gespielt bei der Ausdifferenzierung unterschiedlicher philosophischer Ethiken.

b) Zwei Perspektiven

Perspektiven

Damit kommen wir zur Unterscheidung zweier Perspektiven, die für unsere weiteren Überlegungen relevant werden wird. Es handelt sich um die Unterscheidung zwischen einer internen und einer externen Perspektive auf die Ethik. Leider wird die Intern-Extern-Unterscheidung ebenfalls in verschiedenen Bedeutungen verwendet. Oben war bereits in Bezug auf das Begründungsproblem von einer externen Begründung im Sinne einer Begründung der Ethik ohne Rückgriff auf ethische Begriffe oder ethische Annahmen die Rede. Ganz generell kann man zwischen einer internen und einer externen Perspektive auf die Ethik als einer Lebensform unterscheiden.

Eine interne Perspektive wird immer dann eingenommen, wenn einzelne Handlungen oder ethische Aussagen unter Rückgriff auf andere ethische Annahmen begründet oder gerechtfertigt werden. Diese Perspektive löst sich nur dann auf, wenn man für die gesamte ethische Begrifflichkeit auf der Ebene der Metaethik eine naturalistische Analyse vorschlägt. Ob sich eine solche naturalistische Konzeption plausibel machen lässt, wird später zu erörtern sein (vgl. Kap. VII).

Eine externe Perspektive beruht demgegenüber darauf, eine Erklärung oder Begründung ethischer Einstellungen, Handlungen oder sozialer Praktiken zu geben, die selbst nicht mehr im Rahmen der Ethik formuliert wird. Auch diese Charakterisierung gilt nur unter der Voraussetzung, dass sich die ethische Begrifflichkeit nicht naturalisieren lässt.

Prominente Beispiele für eine solche externe Perspektive sind zum einen ideologiekritische Entlarvungsargumente des Typs: Ein ethischer Diskurs ist nur die Verschleierung der wahren ökonomischen Interessen. Ethische Argumente und Begründungen sind, selbst wenn die Individuen daran glauben, nicht wahr, weil die eigentliche Motivation durch die ökonomischen Interessen bestimmt wird. Zum anderen stellt die evolutionäre Ethik – zumindest in einer Lesart (vgl. Kap. VII, 2 und 3) – ein Musterbeispiel für die externe Perspektive dar. Hier werden die ethischen Einstellungen und Überzeugungen sowie die ethische soziale Praxis als evolutionäre Strategie gedeutet. Die Ethik als individuelle Verhaltensweise oder als kollektive Strategie ist deshalb sinnvoll und begründbar, weil sie insgesamt der Verbreitung der eigenen Gene oder der Arterhaltung dienen. Eine dritte Ethikkonzeption, in der unsere Unterscheidung von interner und externer Perspektive hinfällig wird, beruht auf der Annahme, dass sich ethische Anforderungen explizieren lassen in Begriffen einer moralfreien Rationalität, die auf das Eigeninteresse des Handelnden ausgerichtet ist (vgl. dazu Kapitel IV). In einer solchen Konzeption gibt es eine Reduktion des Ethischen auf ethikfreie aufgeklärte Rationalität, sodass sich die Grundfragen der Ethik in einer Begrifflichkeit beantworten lassen, die selbst nicht Teil der Ethik ist. Zwar stellt diese Konzeption keinen ethischen Naturalismus dar, weil sich der Begriff der Rationalität nicht naturwissenschaftlich fassen lässt. Zugleich steckt in dem Reduktionsprogramm jedoch die Vorstellung, die Ethik insgesamt in der externen Perspektive zu erfassen.

Wir können an dieser Stelle über den Sinn und Unsinn dieser Ansätze nicht diskutieren. Vielleicht sind die ersten beiden Forschungsprojekte unplausibel, vielleicht lassen sich auf diese Weise aber auch bedeutsame Einsichten gewinnen. Wichtig ist für den Augenblick nur, dass es sich bei ihnen klarerweise um eine externe Perspektive handelt. Dies wird schon daran deutlich, dass sie die erste Grundfrage der philosophischen Ethik gar nicht behandeln können. Wer wissen möchte, ob die Handlung A oder die Handlung B ethisch richtig ist, dem helfen ideologiekritische oder evolutionsbiologische Erklärungen seiner ethischen Grundeinstellung nicht weiter. Sie können höchstens dazu führen, dass der Betreffende aufhört, seine Frage zu stellen. Wer danach fragt, welche Handlung ethisch richtig ist, und wer nach einer ethischen Begründung fragt, der setzt klarerweise die interne Perspektive voraus und erwartet damit auch eine Antwort innerhalb der Ethik, keine Erklärung für die Ethik von außen. Die externe Perspektive auf die Ethik als ganze ist damit ungeeignet, die konkreten Grundfragen der Ethik zu beantworten. Dies gilt für den dritten Weg einer Reduktion des Ethischen auf das aufgeklärte Eigeninteresse nicht in dieser Form, weil hier ja eine Übersetzung unserer ethischen Begrifflichkeit in eine andere normative Begrifflichkeit vorgeschlagen wird. Da wir von unserem Vorverständnis aus jedoch zwischen unserem Eigeninteresse und den Anforderungen der Ethik an uns einen Unterschied machen, ist die Antwort dieser Ethikkonzeption auf die ersten beiden Grundfragen der Ethik zumindest überraschend.

Weil die Diskussion der Konzeption des aufgeklärten Eigeninteresses (in Kapitel IV) und des ethischen Naturalismus (in Kapitel VII) noch aussteht, bleibt an dieser Stelle dreierlei festzuhalten. Erstens ist die Unterscheidung zwischen einer internen und einer externen Perspektive heuristischer Natur, da sie sich nur dann sinnvoll aufrecht erhalten lässt, wenn die diversen Reduktionsstrategien, in denen unsere ethische Begrifflichkeit auf etwas Außerethisches zurückgeführt wird, mit guten Gründen zurückgewiesen werden können. Daraus ergibt sich zweitens, dass die argumentative Inanspruchnahme dieser Unterscheidung zwischen einer internen und einer externen Perspektive inhaltlich keine neutrale Differenzierung ist (sie ist damit ein Beispiel für die inhaltliche Bedeutsamkeit metaethischer Überlegungen). Schließlich ist diese heuristische Unterscheidung drittens dadurch gerechtfertigt, dass sie eine Differenz artikuliert, die wir in unserem alltäglichen ethischen Selbstverständnis in der Regel voraussetzen.

4. Der Aufbau dieser Einführung

Der Aufbau des Buches

Im zweiten Kapitel werden wir uns einem Aspekt der Metaethik zuwenden und drei zentrale Begriffe der philosophischen Ethik: „gut“, „richtig“ und „sollen“ näher analysieren. Wie die Überlegungen in diesem ersten Kapitel gezeigt haben, wird es dabei primär darum gehen müssen, die spezifisch ethische Bedeutung dieser Begriffe von ihren nicht-ethischen Bedeutungen zu unterscheiden. Im dritten Kapitel wird die Grundidee des Nonkognitivismus vorgestellt. Diese Form der philosophischen Ethik geht von der Annahme aus, dass ethische Äußerungen nur an der grammatischen Oberfläche die Struktur von Behauptungen haben. Die philosophische Analyse zeige dann jedoch, dass es sich bei ihnen um sprachliche Äußerungen handle, die keinen Wahrheitswert haben. Nach dieser Erörterung werden wir uns mit hinreichend überzeugenden Argumenten vom Nonkognitivismus verabschieden und in der Folge die Hauptarten des ethischen Kognitivismus behandeln. Im vierten Kapitel werden die verschiedenen Varianten subjektivistischer Theorien diskutiert. Diese gehen zum einen von der kognitivistischen Annahme aus, dass es sich bei ethischen Aussagen um wahrheitsfähige und damit begründbare Behauptungssätze handelt. Zum anderen halten Philosophen, die den Subjektivismus in der Ethik vertreten, es für möglich, diese Aussagen letztlich auf Aussagen über individuelle Interessen zu reduzieren. Im Gegensatz dazu gehen Vertreter des ethischen Objektivismus, mit denen wir uns im fünften Kapitel auseinandersetzen werden, von der Annahme aus, dass sich ethische Aussagen nicht auf subjektive Interessen zurückführen lassen. Mit den Subjektivisten und Realisten teilen sie die kognitivistische Annahme, dass es sich bei ethischen Äußerungen um wahrheits- und begründungsfähige Aussagen handelt. Gegenüber den Realisten sind sie aber der Meinung, dass sich diese Objektivität letztlich auf intersubjektiv gültige Aspekte einer allgemeinen oder auch transzendentalen Vernunft zurückführen lässt. Im sechsten Kapitel werden wir uns dann mit den ethischen Realisten beschäftigen, deren zentrale Grundannahme in der These besteht, dass sich ethische Aspekte und Ansprüche nicht vollständig auf Leistungen empirischer oder transzendentaler Subjektivität reduzieren lassen. Hier lassen sich mit dem starken und dem schwachen Realismus zwei Formen unterscheiden, die in der philosophischen Literatur häufig nicht deutlich genug auseinander gehalten werden. Nachdem wir uns bis dahin einen Überblick über den Gegensatz von subjektivistischen, objektivistischen und realistischen Theorien innerhalb des nichtnaturalistischen Lagers des ethischen Kognitivismus verschafft haben werden, geht es im siebten Kapitel um den Gegensatz zwischen naturalistischen und nichtnaturalistischen Ansätzen. Naturalistische Ansätze gehen von der Grundthese aus, dass sich ethische Begriffe, Aussagen und Phänomene auf nichtethische Begriffe, Aussagen und Phänomene zurückführen lassen. Demgegenüber gehen nichtnaturalistische Ethiken von der Eigenständigkeit und der Irreduzibilität des Ethischen aus.

In den Kapiteln III bis VII werden die Unterscheidungen zwischen kognitivistischen Ansätzen und dem Nonkognitivismus, zwischen Naturalismus und nichtnaturalistischen Ansätzen sowie die unterschiedlichen ontologischen Voraussetzungen der nichtnaturalistischen kognitivistischen Ansätze als Leitfaden verwendet. Der Aufbau dieses Gedankengangs lässt sich wie im folgenden Schema darstellen.

Im achten Kapitel wird ein Klassifikationsschema vorgestellt, dessen Einteilungskriterium darin besteht, welcher Gegenstand der jeweiligen ethischen Theorie zufolge der eigentliche Gegenstand der ethischen Bewertung ist. Teleologische Theorien bemessen den Wert einer Handlung nach dem Resultat, deontologische Theorien stellen den Wert der Handlungsart ins Zentrum und Tugendethiken konzentrieren sich auf den Charakter des Handelnden, um den Wert einer Handlung zu bestimmen. Das neunte Kapitel gibt einen Überblick über die unterschiedlichen philosophischen Begründungsmodelle für die Ethik. In diesem Kapitel werden neben dem Problem des Relativismus die zentralen Strukturmerkmale ethischer Begründungsmodelle vorgestellt. Im zehnten Kapitel wird uns dann ein philosophischer Dauerbrenner beschäftigen. Gemeint ist das Freiheitsproblem, genauer: der Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung. Hier wird es darum gehen, die Bezüge zwischen den verschiedenen Fragestellungen, die sich hinter dem Freiheitsproblem verbergen, näher zu bestimmen, um auf diese Weise ein genaueres Bild davon zu erhalten, wie sich Freiheit und Verantwortung zueinander verhalten.

5. Zusammenfassung, Lektürehinweise, Fragen und Übungen

Zusammenfassung