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Robert Bohn

GESCHICHTE
SCHLESWIG-HOLSTEINS

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

In diesem Buch werden die Hauptlinien der ereignisreichen Geschichte Schleswig-Holsteins von der Frühgeschichte bis zur Gegenwart übersichtlich dargestellt. Die politische Geschichte bildet den festen Rahmen und liefert die Chronologie; darin eingebettet sind Betrachtungen über Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur in den einzelnen Epochen. Ein eigener Schwerpunkt liegt auf der Geschichte des Bundeslandes nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute.

Über den Autor

Robert Bohn lehrt an der Universität Flensburg Mittlere und Neuere Geschichte. Die Geschichte Nordeuropas und Norddeutschlands sind Schwerpunkte seiner Forschung. Von ihm liegen bei C.H.Beck vor: Dänische Geschichte (bsr 2162), Die Piraten (bsr 2327) sowie Geschichte der Seefahrt (bsr 2722).

Inhalt

    I.  Rückblick in die Frühgeschichte

1. Von der Eiszeit zur Völkerwanderungszeit

2. Wikinger, Sachsen, Franken und Abodriten

   II.  Herrschafts- und Territorienbildung im Hohen Mittelalter

1. Schleswig

2. Holstein

3. Schleswig-Holstein

  III.  Wirtschaft und Gesellschaft im Mittelalter

1. Bauern, Adel, Herrschaft

2. Landwirtschaft, Gewerbe, Handel

  IV.  Vom Lehns- zum Ständestaat

1. «Auf ewig ungeteilt» – Ritterschaft und Fürstenmacht

2. Reformation

   V.  Das Zeitalter der Teilungen

1. Ausbau der Landesherrschaft und Verfall der Ständemacht

2. Der herzoglich-königliche Gegensatz im Jahrhundert der Kriege

  VI.  Wirtschaft und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit

1. Landwirtschaft und Seefahrt

2. Handel und Gewerbe

 VII.  Schleswig und Holstein im dänischen Gesamtstaat

1. Aufgeklärter Absolutismus und Reformen

2. Innere Auflösung und Kriege

VIII.  Schleswig-Holstein als preußische Provinz

1. Politische und gesellschaftliche Differenzierung im Zeichen von Modernisierung und Industrialisierung

2. Von der Weimarer Demokratie zum nationalsozialistischen Mustergau

  IX.  Schleswig-Holstein im Bund

1. Nachkriegsnot und demokratischer Neubeginn

2. Wirtschaft und Gesellschaft im Wandel

 

Literaturhinweise

Personenregister

I. Rückblick in die Frühgeschichte

1. Von der Eiszeit zur Völkerwanderungszeit

Die Geschichte Schleswig-Holsteins beginnt nach der Völkerwanderung. Zwar war Nordelbien, das Land zwischen Elbe und Königsau, seit dem Abklingen der letzten Eiszeit vor 12.000 Jahren kontinuierlich besiedelt, doch haben bis zur Völkerwanderungszeit, die im Norden mit der Invasion Britanniens durch Angeln, Jüten und Sachsen zu Beginn des 5. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte, keine über eine Stammesorganisation hinausführenden Staatsbildungsprozesse stattgefunden. Bei der Rekonstruktion der vor- und frühgeschichtlichen Gesellschaftsverbände und ihrer materiellen Lebensgrundlagen ist man auf archäologische Artefakte und deren Deutung angewiesen. Sie geben Aufschluss über einzelne kulturelle Entwicklungsstufen vom primitiven, von Mangel geprägten Dasein der Jäger und Sammler der Steinzeit bis zu den sesshaften Siedlungsverbänden der römischen Eisenzeit, d.h. bis zum Vorabend der Völkerwanderung. Ein tiefgreifender sozioökonomischer Wandel vollzog sich nach 4000 v. Chr. mit der sogenannten Neolithischen Revolution: Aus Jägern und Sammlern wurden Ackerbauern und Viehhalter, die feste Häuser und dorfähnliche Siedlungen anlegten, die ihr Zusammenleben differenzierter gestalteten und durch kultische Handlungen absicherten. Überschussproduktion, Vorratswirtschaft und Arbeitsteilung führten zu einem Bevölkerungsanstieg und zu sozialen Veränderungen. Durch Handelsbeziehungen über die Elbe nach Süden gelangten technische Innovationen nach Nordelbien, die ab ca. 1800 v. Chr. die Herstellung und den praktischen Gebrauch von Bronze und ab etwa 500 v. Chr. von Eisen ermöglichten. Aufgrund der kontinuierlichen Entwicklung einer einheitlichen Kultur von der späten Bronzezeit bis in die historische Zeit hinein nimmt die Ur- und Frühgeschichtsforschung eine germanische Ethnogenese an. Seit der Eisenzeit fand eine Ausdifferenzierung innerhalb dieser Kultur statt, die auf die Bildung von einzelnen germanischen Stammesverbänden schließen lässt, wobei in erster Linie durch Klimaverschlechterung ausgelöste Wanderbewegungen eine nicht unerhebliche Rolle spielten. Diese griffen schließlich über die Elbe nach Süden hinaus und gingen einher mit der Ausbreitung der Kelten. Durch den Kontakt mit der römischen Welt sind nun erstmals Namen von Völkerschaften überliefert, deren Ursprünge in Nordelbien bzw. Jütland auch archäologisch nachgewiesen sind. Es handelt sich um die Cimbern, Teutonen, Ambronen und Sueben. Tacitus und Ptolemäus nennen zudem Langobarden und Angeln als nord- bzw. unterelbische Stämme. Im zweiten Jahrhundert werden auch erstmals die Sachsen erwähnt, die aus dem Zusammenschluss der von Tacitus ‹Nerthus› genannten nordelbischen Kleinstämme entstanden sein dürften.

In der Vökerwanderungszeit setzte die Westwanderung der Sachsen ein, der sich die Angeln anschlossen. Jetzt stehen auch zunehmend schriftliche Quellen zur Verfügung. Die neuere Forschung geht davon aus, dass es bereits im 4. Jahrhundert regelmäßige Kontakte von der Cimbrischen Halbinsel aus zur englischen Ostküste gegeben hat. Mit dem Abzug der letzten römischen Besatzungstruppen aus Britannien kurz nach 400 und der wachsenden Bedrohung Mittelenglands durch Pikten und Skoten scheinen Angeln und Sachsen als Foederati in den Dienst britannischer Kleinkönige getreten zu sein. Dass sie dann als solche die Herrschaft an sich reißen konnten und dadurch den weiteren Zuzug aus ihren Stammlanden förderten, ist ein in der Geschichte nicht seltener Vorgang.

In Nordelbien blieb ein weitgehend entvölkertes Land zurück. Erst im späten 7. Jahrhundert setzte eine allmähliche Wiederbesiedlung ein: Durch Sachsen von südlich der Elbe sowie durch Jüten (Dänen) von Norden her. Hinzu kamen Neusiedler: Friesen, die sich auf den Geestinseln niederließen, und Slawen aus dem heutigen Mecklenburg – westslawische Abodriten mit ihren einzelnen Teilstämmen: den Wagriern, die in das östliche Hügelland und an den Unterlauf der Trave zogen, und den Polaben, die sich südöstlich davon im heutigen Lauenburg ansiedelten.

Aus dieser Zeit um 700 ist ansonsten aus dem Gebiet am Ende der Schlei ein einzelner, aber sehr bedeutsamer Bodenfund erhalten: das Danewerk. Dendrochronologische Untersuchungen datieren die erste Bauphase dieser Verteidigungsanlage, die über mehrere Jahrhunderte weitergebaut wurde, auf das frühe 8. Jahrhundert. Das Danewerk entwickelte sich während der Wikingerzeit (8.–11. Jahrhundert) zu einem verzweigten System von Wällen, das die Aufgabe hatte, die Schleswiger Landenge gegen Süden zu sperren. Die älteste Nachricht aus einer Schriftquelle über das Bauwerk stammt aus dem Jahre 808. In den fränkischen Reichsannalen wird berichtet, dass der dänische König Göttrik (Godfred) einen solchen Wall anlegte – möglicherweise zur Sicherung vor den Franken. Diese hatten kurz zuvor, 798, mit Hilfe der Abodriten die nordelbischen Sachsen unterworfen und drohten nun, ihre Herrschaft nach Norden auszuweiten. Zu einer militärischen Auseinandersetzung kam es indes nicht. Göttriks Neffe und Nachfolger Hemming schloss 811 mit Karl dem Großen Frieden, wobei erstmals der Flusslauf der Eider als Grenze zwischen dänischem und fränkischem Reich festgelegt wurde. Der archäologisch nachgewiesene Anfang des Danewerks reicht also fast hundert Jahre vor seine älteste Erwähnung zurück. Das lässt vermuten, dass es bereits um diese Zeit an der Schleswiger Landenge Spannungen zwischen Nord und Süd gegeben hat, die zum Bau der ersten – noch bescheidenen – Mauer führten.

Zu Beginn der historischen Zeit finden wir auf dem Gebiet des späteren Schleswig-Holstein mithin vier voneinander zu unterscheidende Ethnien: im Süden und Westen Sachsen und Friesen, im Norden Dänen (bzw. Jüten) und im Südosten Slawen. Sie grenzten sich nicht nur sprachlich und kulturell voneinander ab, sondern auch durch Befestigungen, mit denen sie ihre Siedlungsgebiete vor einem Ausgreifen der Nachbarn sicherten. Neben dem Danewerk ist der Limes Saxoniae nachgewiesen, ein mit Ringwällen versehener, dicht bewaldeter Grenzsaum, der von der Kieler Förde nach Süden bis zur Elbe verlief. Er trennte die Siedlungsgebiete von Sachsen und Abodriten voneinander. Auch die Friesen schützten sich durch Burgwälle gegen ihre Nachbarn. Das Siedlungsgebiet der Sachsen war in die drei Gaue Dithmarschen, Stormarn und Holstein gegliedert. Von letzterem sollte sich später die Bezeichnung für alles Land zwischen Eider und Elbe ableiten.

2. Wikinger, Sachsen, Franken und Abodriten

Als das fränkische Reich Karls des Großen am Ende des 8. Jahrhunderts nach Nordelbien ausgriff, befand sich Dänemark im Prozess der sogenannten Reichssammlung, der großräumigen Königsordnung mit der Tendenz zur Zentralisierung und Territorialisierung der Herrschaft. Sie rief eine über Generationen andauernde politische und gesellschaftliche Konfliktkonstellation hervor, bis sich vor der Jahrtausendwende das Einheitskönigtum durchsetzen konnte – ein Entwicklungsmuster, das auch für die beiden anderen skandinavischen Reiche, Norwegen und Schweden, zutraf. Hierin ist eine von mehreren Ursachen für die Wikingerzüge zu sehen. Denn in dieser innergesellschaftlichen Auseinandersetzung wurden viele Große, die sich nicht unterordnen wollten, aus dem Land gedrängt – oder sie gingen freiwillig. Bei den Dänen setzten sich einige ambitionierte Herrscher oft auch selbst expansionistische Ziele, die gleichermaßen der Herrschaftssicherung und der Machtausweitung dienten. Waren es zu Beginn des 9. Jahrhunderts noch Raubzüge von einzelnen Wikingerhäuptlingen zur englischen, friesischen oder fränkischen Küste gewesen, so nahmen diese Züge ab etwa 840 sowohl an Häufigkeit als auch an Zahl der daran beteiligten Krieger zu. Allmählich änderte sich auch ihr Charakter: Ab der Mitte des 9. Jahrhunderts waren es mitunter große militärische Expeditionen, die von Königen oder Angehörigen des Königsgeschlechts geführt wurden.

Neben und mit diesen Raub- und Eroberungszügen, die immer wieder auch auf den Unterelberaum zielten, fand ein ausgedehnter Handel statt, und dessen wichtigster Umschlagplatz im Norden war Hedeby/Haithabu. Entstehung und Entwicklung dieser wikingerzeitlichen Siedlung wurden gefördert durch die günstige verkehrstechnische Lage an der innersten Bucht der Schlei. Von hier bis zur Wasserscheide auf der Geest waren nur etwa 15km Landweg zu überwinden, um auf dem Flüsschen Treene bis zur Nordsee zu gelangen. Diese nirgendwo sonst auf der Cimbrischen Halbinsel so vorteilhaft gegebene Lage übte auf den Handel zwischen Ost- und Nordseeraum eine große Anziehungskraft aus. Wesentlichen Anteil daran hatten die Friesen, die in jener Zeit den Seehandel in der südlichen Nordsee beherrschten. Bedeutsam war auch, dass am Ende der Schlei der auf dem Geestrücken nord-südlich verlaufende uralte jütische Heerweg vorbeiführte. So war es nur natürlich, dass sich seit dem frühen 9. Jahrhundert ein bedeutender Fernhandelsplatz bildete, den Kaufleute von der Rheinmündung und England her regelmäßig besuchten, ja mitunter kamen sogar arabische Sklavenhändler von der Iberischen Halbinsel – aber auch Wikinger aus dem ganzen Norden, die ihr Beutegut losschlagen wollten. Nach Osten hin reichten die Handelsverbindungen bis ins Baltikum und – vermittelt durch die schwedischen Wikinger, die Waräger – darüber hinaus in den Orient. Einen bedeutenden Entwicklungsschub erhielt Haithabu dadurch, dass König Göttrik die abodritische Konkurrenz ausschaltete, indem er um 808 deren Küstenhandelsplatz Reric in der Wismarer Bucht zerstörte und tributpflichtige Händler zwangsweise von dort nach Haithabu umsiedelte.

Dieses Haithabu stand vom 9. bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts im Mittelpunkt des politischen, militärischen und wirtschaftlichen Geschehens auf der Cimbrischen Halbinsel. Zur Blütezeit des Ortes lebten hier etwa 1500 Menschen, von denen die überwiegende Mehrzahl Handel und Handwerk betrieb. Hinzu kamen zahlreiche saisonal ansässige Händler. In Haithabu wurden erstmals nördlich der Elbe städtische Funktionen ausgebildet, und hier entwickelte das dänische Königtum eine materielle und symbolische Machtbasis, von der aus es weiter nach Süden auszugreifen versuchte. Bereits zu König Göttriks Zeiten ließ Karl der Große zur Abwehr dieser dänischen Herrschaftsansprüche in Holstein am Fluss Stör eine Burg errichten: Esesfeld, das heutige Itzehoe.

Auch in kultureller Hinsicht kam Haithabu eine große Bedeutung zu. Über diesen Ort sind entscheidende Impulse aus dem Süden und Westen Europas in den Norden und Osten ausgegangen. Er wurde zum Ausgangspunkt der christlichen Mission nicht nur im Reich der Dänen. Dennoch dauerte es bis 948, ehe es dort unter der Herrschaft des zum christlichen Glauben übergetretenen Königs Harald I. Blauzahn zur Einrichtung eines Bistums als Suffragan des Erzbistums Hamburg-Bremen kam. Dies gelang jedoch nur durch Unterstützung Heinrichs I. und Ottos I. Das Bistum Haithabu umfasste etwa den Raum des späteren Herzogtums Schleswig; anfangs zählte auch der ostholsteinische Missionsraum dazu. Zu dieser Zeit hatte sich in Holstein und Stormarn seit gut 100 Jahren unter fränkischer Oberhoheit und nach der Zwangsbekehrung der Sachsen eine rudimentäre Kirchspielorganisation herausgebildet, deren Gemeinden aber ständigen heidnischen Einfällen aus dem Norden (Dänen) und Osten (Abodriten) ausgesetzt waren. 845 war Hamburg von dänischen Wikingern geplündert worden, woraufhin der Erzbischofssitz in das besser geschützte Bremen verlegt wurde. Von hier aus versuchten machtbewusste Erzbischöfe mit wechselndem Erfolg, die fränkische Kirchenpolitik nach Norden auszurichten.

Auch nach der Errichtung des Suffraganbistums in Haithabu sollte es Rückschläge geben. So kam es nach dem gewaltsamen Tod Harald Blauzahns 987 unter seinem Sohn und Nachfolger Svend I. Gabelbart (987–1014) zu einer heidnischen Reaktion, bei der der Bischof aus Haithabu vertrieben wurde. Erst unter König Knud II. (dem Großen, 1018–1035) wurde der Bischofsstuhl wieder besetzt. Das dänische Königtum konnte sich in dieser Zeit entscheidend festigen und in dem Nordseereich unter König Knud seine größte Machtentfaltung entwickeln. Im Unterschied zu seinem Vater Svend Gabelbart war sich Knud bewusst, dass er ohne das Mitwirken der Kirche ein solches Reich nicht würde regieren können. Deshalb förderte er die Kirche durch Schenkungen und Privilegien. Auch wurden durch die Benediktiner erste Klöster angelegt, die der katholisch-abendländischen Religion und Kultur den Weg in den skandinavischen Norden bahnten.

Während Knuds Regentschaft hatte allerdings bereits der Niedergang Haithabus eingesetzt, das mehrfach von norwegischen und schwedischen Wikingern heimgesucht wurde. Die letzte Verwüstung durch Norweger fand 1050 statt, und wenige Jahre später, 1066, besiegelte ein Überfall heidnischer Abodriten das endgültige Schicksal dieses Ortes. Haithabu wurde nicht wieder aufgebaut, und seine Funktionen wurden nun von Schleswig übernommen. Dieser in Sichtweite am gegenüberliegenden Schleiufer gelegene Ort hatte sich schon seit längerem parallel zu Haithabu entwickelt. Der Hafen am Nordufer der Schlei erwies sich als besser geeignet, und der Ort für die Errichtung eines befestigten Mittelpunktes der politischen Herrschaft günstiger. Alle merkantilen, politischen und kirchlichen Funktionen gingen nun an Schleswig über. Die Bedeutung des Ortes wird dadurch unterstrichen, dass alles umliegende Territorium und das spätere, von der Eider bis zur Königsau (Kongeå) reichende Herzogtum nach ihm benannt wurden.

Die Blütezeit als bedeutender Handelsort im west-östlichen Warenaustausch sollte indes nicht einmal hundert Jahre dauern. 1196 wird Schleswig zwar als Civitas mit einem eigenen Stadtrecht erwähnt, das vorbildhaft für andere dänische Städte wurde, auch gab es zu dieser Zeit mehrere Handelsgilden in der Stadt. Unter ihnen war die Knudsgilde der in den Ostseeraum fahrenden Kaufleute besonders angesehen. Doch zweierlei führte zum merkantilen Bedeutungsverlust: Zum einen wurden die Fahrwasser am Ende der Schlei für die nun größer gewordenen Handelsschiffe, die Koggen, zu flach – ganz zu schweigen vom beschwerlichen Landtransit der angewachsenen Warenströme. Zum anderen – und dieser Umstand war noch wichtiger – war Mitte des 12. Jahrhunderts am Unterlauf der Trave eine neue Stadt angelegt worden, die binnen kurzer Zeit allen Transithandel an sich reißen konnte: Lübeck. Deren Kaufleute verstanden es, in Zusammenarbeit mit Kollegen in Hamburg einen Landtransit zu organisieren, der dem Schleswiger überlegen war.

In politischer und kirchlicher Hinsicht wuchs jedoch die Bedeutung Schleswigs. Unter König Svend II. Estridsen (1047–1076) wurde im dänischen Königreich mit dessen Einteilung in acht Diözesen eine grundlegende kirchliche Organisation vorgenommen. Diese Diözesen unterstanden allerdings weiterhin dem Erzbistum Hamburg-Bremen. Die auch kirchenpolitisch zunehmend selbstbewusster werdenden dänischen Herrscher strebten danach, sich von dieser Bevormundung zu befreien, indem sie wiederholt beim Papst die Einrichtung eines eigenen Erzbistums betrieben. Doch erst Erik I. hatte 1103/04 damit Erfolg. Die neue Erzdiözese Lund war nunmehr an Stelle Hamburg-Bremens für den gesamten Norden nördlich der Eider zuständig. Damit wurde auch das Bistum Schleswig bis zur Reformation Suffragan dieses neuen Erzbistums und stand so außerhalb der deutschen Kirchenorganisation. In politischer Hinsicht setzte zur selben Zeit eine Entwicklung ein, die Schleswig (Stadt und Territorium) zu einem zweiten Kraftzentrum im dänischen Königreich werden ließ.

II. Herrschafts- und Territorienbildung im Hohen Mittelalter

1. Schleswig

Für die Herausbildung Schleswigs als Herzogtum war die Statthalterschaft dänischer Königssöhne entscheidend, die hier seit dem frühen 12. Jahrhundert einen vom übrigen dänischen Königreich abgegrenzten Herrschaftsbereich schufen. Das geschah freilich nicht konfliktfrei, sondern in – mitunter mit Waffengewalt ausgetragener – Auseinandersetzung mit dem Inhaber der Königskrone oder anderen Prätendenten auf die Schleswiger Herrschaft innerhalb der Dynastie. Als eigenständiges, urkundlich belegtes Herzogtum ist Schleswig ab 1232 sicher nachweisbar. In diesem Jahr wurde der nachgeborene Sohn König Waldemars II., Abel, damit belehnt, während sein älterer Bruder Erik zum Mitkönig gekrönt wurde. Doch bereits hundert Jahre zuvor hatte mit der Einsetzung Knud Lawards als Jarl (comes bzw. praefectus) der Verselbstständigungsprozess begonnen. In einigen Quellen taucht dieser Knud Laward (engl. Lord) als Herzog auf, doch bezog sich diese Bezeichnung auf das gesamte dänische Königreich und sollte seine gegenüber den anderen Großen neben dem König herausgehobene Position unterstreichen. Als machtbewusster Fürst versuchte er, von Schleswig aus seinen Einflussbereich auszudehnen – nicht nur innerhalb Dänemarks, sondern auch nach Süden über die Eider hinaus. Knud verbündete sich mit Kaiser Lothar III. und wurde von diesem nach einem gemeinsamen Feldzug als Herrscher über die Abodriten eingesetzt. Seitdem trug Knud auch den Königstitel, allerdings bezogen auf die Herrschaft über die Abodriten. Von diesen beiden Positionen aus betrieb er dem dänischen König gegenüber eine eigenständige Politik, die darauf zielte, Schleswig mit Teilen Holsteins zu vereinen und ein geschlossenes Herrschaftsgebiet bis in das heutige Mecklenburg hinein zu schaffen. Das Vorhaben scheiterte jedoch mit seiner Ermordung 1131 durch seinen Vetter, den Königssohn Magnus, der in ihm einen Konkurrenten um die dänische Krone sah.

Auch danach sehen wir Angehörige des Königsgeschlechts als Praefecti in Schleswig. Unter ihnen ragen die späteren Könige Waldemar I. (der Große, 1157–1182) und Waldemar II. (der Sieger, 1202–1241) heraus. Letztgenannter machte die Stadt sogar zu seiner Residenz, die in dieser Zeit eine rege «öffentliche» Bautätigkeit erlebte: Dom, Königspfalz, Pfarrkirchen und Klöster entstanden.

Mit der Belehnung Abels mit Schleswig als Sekundogenitur 1232 und durch die Heirat Abels mit der Tochter des Schauenburger Grafen Adolf IV., Mechthild, erhielt die Sonderentwicklung Schleswigs in zweifacher Hinsicht eine entscheidende Weichenstellung: Die herausgehobene Stellung als Herzogtum im dänischen Königreich war spätestens jetzt rechtlich fixiert, und durch die dynastische Verbindung mit dem aufstrebenden holsteinischen Grafenhaus der Schauenburger erhielt der Schleswiger Herzog gegenüber seinem König einen starken Verbündeten außerhalb des Königreiches. Mit Hilfe der Schauenburger – und zu deren Nutzen – erreichten Abel und seine Nachkommen, in deren Hand Schleswig fünf Generationen lang verbleiben sollte, dass die Herrschaftsrechte des Königs im Herzogtum stetig verringert wurden und stattdessen auf den Herzog übergingen. In dem Maße, wie die landesherrliche Gewalt des Herzogs ausgebaut wurde, wurde auch die Abtrennung des Fürstenlehens vom Königreich mehr und mehr sichtbar. Schließlich gab es nicht nur eine klare Grenzscheide zwischen Dänischem Reich und den Nachbarreichen, sondern auch innerhalb Dänemarks zwischen dem Herzogtum Schleswig und dem Königreich. Allerdings konnte die Krone das Vasallenverhältnis bis 1325 aufrechterhalten. In jenem Jahr starb Herzog Erik II., und König Christoph II. forderte für dessen unmündigen Sohn Waldemar die Lehnsvormundschaft, wich aber zurück, als Graf Gerhard III. von Holstein-Rendsburg, Waldemars Onkel mütterlicherseits, seinerseits die Vormundschaft einforderte. Aus diesem innerdynastischen Streit erwuchs unversehens ein politischer Konflikt, denn die dänischen Magnaten nutzten dieses Schwächezeichen ihres ungeliebten Königs, um gegen diesen zu rebellieren, wobei sie von Gerhard III. und dessen Vetter Johann III. von Holstein-Plön unterstützt wurden. Beide brachten den dänischen Reichsrat 1326 dazu, Waldemar an Stelle des inzwischen landflüchtigen Christoph zum dänischen König zu erheben und Gerhard als dessen Vormund einzusetzen. Der nunmehrige König Waldemar III. machte aus Dankbarkeit nicht nur dem dänischen Adel in seiner Handfeste erhebliche Zugeständnisse, sondern zudem, vom Vormund gelenkt, seinen holsteinischen Oheim Gerhard zum Herzog von Schleswig. Im Zusammenhang damit wurde die Rechtsstellung des Herzogtums in einer knapp gefassten königlichen Urkunde neu geregelt, deren wichtigste Aussage als Constitutio Waldemariana bezeichnet wurde. In ihr wurde festgelegt, dass künftig kein dänischer Herrscher gleichzeitig über Königreich und Herzogtum regieren sollte.

Das Jahr 1326 bedeutete somit für die staatsrechtliche Stellung des Herzogtums einen tiefen Einschnitt. Mit der Belehnung Gerhards III. erhielt nicht nur erstmals ein holsteinischer Graf den Schleswiger Herzogtitel, sondern er erhielt diesen zudem als erbliches Fahnenlehen und damit sowohl das Obereigentumsrecht eines Lehnsherren als auch das volle Gebrauchsrecht eines Lehnsmannes (Dominium directum und Dominium utile). Ihm wurden keinerlei Verpflichtungen gegenüber dem König auferlegt. Dieser behielt nurmehr formell das Recht künftiger Belehnung und faktisch die Pflicht, die Belehnung bei der Abel-Dynastie zu belassen. Somit erscheint an der Schwelle zum späten Mittelalter Schleswig als selbstständiges Territorium, das nur durch die Person des Königs mit dem übrigen Dänemark verbunden war. Diese nicht vom Reichszentrum, sondern von außen gelenkte Entwicklung musste zu Konflikten zwischen König und Herzog führen. 1326 war zwar ein Rechtszustand geschaffen worden, der auch in der Folgezeit urkundlich bestätigt wurde, aber er bedeutete für die dänische Krone keineswegs den Verzicht auf das Herzogtum. Solange die Inhaber der Krone zu schwach waren, um ihren Standpunkt durchzusetzen, konnte sich die Rechtsauffassung der Abel-Dynastie und des Grafen von Holstein jedoch in mehreren Waffengängen behaupten.

2. Holstein

Im Siedlungsgebiet der nordelbischen Sachsen zog sich die territoriale Herrschaftsbildung seit der fränkischen Eroberung über den langen Zeitraum von drei Jahrhunderten hin. Zwar war das sächsische Nordelbien seit Karl dem Großen Teil des fränkischen bzw. ostfränkischen/deutschen Reiches, doch hat es insbesondere im 9. Jahrhundert sowohl von dänischer wie, allerdings weniger zielgerichtet, von abodritischer Seite wiederholt Versuche gegeben, die fränkisch-deutsche Oberhoheit über die Elbe zurückzudrängen.

936 richtete Kaiser Otto I. eine abodritische Mark ein, von der aus eine aktive Missionstätigkeit ausgehen sollte, was allerdings keinen dauerhaften Erfolg zeitigte. Stattdessen beschränkte sich der Markgraf auf die Erhebung von Abgaben und die Sicherung der Grenze zu den Slawen. Festere Herrschaftsformen wurden erst ab 953 mit der Einsetzung Hermann Billungs als Markgraf entwickelt, der 964 zudem zum Herzog von Sachsen erhoben wurde. In räumlicher Ferne von König und Kaiser vermochten es Hermann Billung und seine Nachkommen, im Norden eine bedeutende Machtstellung aufzubauen. Zeitweilig konnten sie ihre Herrschaft auch nach Wagrien ausdehnen.