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Dieter Gerten

WASSER

Knappheit, Klimawandel, Welternährung

C.H.Beck


Zum Buch

«Jahrhundertdürre in Australien», «Die Flüsse trocknen aus», «Die Grundwasservorräte schwinden»: Eine Ära weltumspannender Wasserknappheit scheint angebrochen zu sein. Wasserkrisen gehören mittlerweile zu den größten globalen Risiken für Wirtschaft und Gesellschaft, Zusammenhänge mit Nahrungsmittelknappheit und mangelnder Anpassung an den Klimawandel sind offenkundig.

Der Autor, Experte des weltweit renommierten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), analysiert die globale Wasserkrise vor dem Hintergrund des Klimawandels und einer weiter steigenden Nachfrage nach Lebensmitteln. Er zeigt, dass Wasserknappheit selten die unabwendbare Folge schwindender Wasservorräte ist, sondern immer auch das Resultat der (unverhältnismäßig hohen) Nachfrage durch den Menschen. Von Anbeginn an hat die Menschheit einen überwältigenden Erfindungsreichtum an den Tag gelegt, Wasser zu bewirtschaften und aus immer ferneren Gegenden heranzuziehen. Heute benötigen wir ein neues Wasserethos: Es respektiert die durch lokale und planetare Umweltbedingungen gesetzten Grenzen und überführt die Gewässerökosysteme wieder in einen intakten Zustand. Es umfasst darüber hinaus den gerechten Zugang aller Menschen zu sauberem Wasser, arbeitet also auch an der Abschaffung der globalen Wasserverteilungs- und Wasserqualitätskrise.

Zum Autor

Prof. Dr. Dieter Gerten ist Koordinator für Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Klimasystem und Wasserhaushalt im Globalen Wandel an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Inhalt

Einleitung

1 Die Vielfalt der weltweiten Wasservorkommen

1.1 Niederschlag über Land – vitale Quelle für Mensch und Natur

1.2 Schicksal von Regentropfen

1.3 Planetare Grenze für die Wassernutzung

1.4 Blaues Wasser, grünes Wasser

2 Menschliche Wassernutzungen

2.1 Eine kurze Weltgeschichte der Wassernutzung

2.2  Wassernutzung und -verbrauch 1900–2100: Immer weiter, immer mehr?

2.3  Bewässerte und unbewässerte Land- und Viehwirtschaft heute

2.4  Wasserfußabdruck von Agrarprodukten und virtueller Wasserhandel

3 Wasserknappheit und Welternährung heute

3.1  Bestimmung von «Wasserknappheit» und ihr derzeitiges Ausmaß

3.2 Wassermangel und Nahrungsmittelproduktion

4 Globaler Klimawandel und Wasserressourcen

4.1 Klimawandel: Grundsätzliches und jüngste Trends

4.2 Dürren und Landwirtschaft

5 Blick in die Zukunft: Genug Wasser zur Nahrungsmittelproduktion?

5.1 Warum zwei Grad?

5.2  Wasserverknappung unter Klimawandel und Bevölkerungswachstum

6 Wege zur Wassereinsparung in der Landwirtschaft

6.1 Zurück aus der Zukunft

6.2  Hin zum «weichen Pfad»: Paradigmenwandel in der Wasserwirtschaft

6.3  Innovative Nutzung blauen und grünen Wassers: ein weites Spektrum

6.4 Weniger Wasser essen

7 Bausteine für ein neues Wasserethos: Religiöse und ethische Aspekte

8 Resümee und Perspektiven

8.1 Stereo-Perspektiven

8.2 Globale Wasserkrise?

8.3 Visionen

Quellen und Anmerkungen

Wo aber Gefahr ist, wächst
das Rettende auch.

Friedrich Hölderlin

Einleitung

Im Jahre 1957 stellte ein Buch des Umweltjournalisten Alfred Karbe die etwas zynische Mutmaßung an, dass «die Menschheit seit Jahrtausenden erfolgreich bemüht ist, den Segen des Wassers in eine tödliche Gefahr zu verwandeln».[1] Noch vor Rachel Carsons Bestseller Der stumme Frühling, der eine Initialzündung für das moderne Umweltbewusstsein darstellt, zählte der Autor zu dieser Gefahr die hochgradige Verschmutzung von Flüssen, Seen und Grundwasserkörpern sowie das Versiegen von Quellen und Flussläufen. All dies wird in einem unterschwellig apokalyptischen Tonfall geschildert, wie es andere ökologisch versierte Warner jener Zeit auch taten.[2] Als wichtigste Ursachen dieser Entwicklungen benannte Karbe die Begradigung von Flüssen, den Austrag von Schadstoffen aus Industrieanlagen und gedüngten Ackerflächen sowie großflächige Entwaldungen und Moorentwässerungen. Selbst eine durch zunehmende Industrialisierung erklärte langsame Erwärmung der Erde und ihre Begleiterscheinungen wie veränderte Niederschlagsmuster, Gletscherschmelze und Meeresspiegelanstieg zog er bereits in Betracht.

Die weltweiten Wasserprobleme und ihre Ursachen klingen 60 Jahre nach ihrer Niederschrift erstaunlich aktuell, obwohl schon damals Lösungen vorgeschlagen wurden, wie sich die Menschheit aus der angespannten Situation wieder herausmanövrieren könnte. In einer eigentümlichen Mischung aus Technologiekritik und Vertrauen in Ingenieurskünste diskutierte Karbe geplante bzw. begonnene Großprojekte als Rettungsstrategien. Diese umfassen den Ausbau von Talsperren zur Minderung von Hochwasserspitzen und zur Trinkwasser- und Energiegewinnung, die vor allem in Asien avisierte großräumige Bewässerungslandwirtschaft zur Urbarmachung von Trockenregionen, die Umleitung von Flüssen über große Distanzen und sogar die Manipulation von Wolkenbildung und Meeresströmungen. Am Rande kommen auch weniger groß gedachte, dezentrale Methoden wie die Restauration antiker Brunnen zur Sprache. Im Übrigen, so der Ausblick, könne ohne eine «Renaissance der Wasserwirtschaft» der Hunger der täglich wachsenden Weltbevölkerung (Ende der 1950er Jahre noch kaum drei Milliarden!) nach Energie und Lebensmitteln nicht gestillt werden, sofern nicht etwa Algen und Seetang als Nahrungsmittel Abhilfe schafften.

Nicht alle damaligen Ideen sind umgesetzt worden, aber insbesondere die später unter der Etikette «Grüne Revolution» zusammengefassten Maßnahmen – darunter die erhebliche Ausweitung der künstlichen Bewässerung – haben entscheidend zu ihrem erklärten Ziel der Steigerung der Agrarproduktion beigetragen. Trotzdem ist in der Folgezeit die Liste der Missstände im Wassersektor nicht kürzer geworden; quantitativ haben die Wasserprobleme in vielen Regionen sogar noch drastisch zugenommen. Nach Jahrzehnten der Euphorie hat sich Katzenjammer breitgemacht, eine Ära weltumspannender Wasserknappheit scheint spätestens zur Jahrtausendwende angebrochen zu sein. Seit mehreren Jahren werden Wasserkrisen als eines der größten globalen Risiken für Wirtschaft und Gesellschaft gelistet, Zusammenhänge mit Nahrungsmittelknappheit und mangelnder Anpassung an den Klimawandel sind offenkundig.[3] Gleichzeitig prophezeit ein Weltwasserbericht der Vereinten Nationen, dass der globale Bedarf an Wasser bis 2050 voraussichtlich um mehr als die Hälfte ansteigen wird, so dass dann über 40 % der Weltbevölkerung in Gebieten mit hohem Wasserstress leben werden, was tiefgreifende Änderungen bei der Nutzung, Verwaltung und Aufteilung des Wassers erforderlich mache.[4] Hinzu kommt das Dilemma, dass zur Versorgung der vor allem in Asien und Afrika weiter wachsenden Bevölkerung zukünftig noch mehr Nahrungsmittel produziert werden müssen, die Landwirtschaft aber wegen der bereits bestehenden Wasserengpässe, der notwendigen Restoration von Gewässerökosystemen und der zunehmenden Konkurrenz mit anderen Sektoren mit weniger Wasser auskommen muss.[5] Paradoxerweise ist die dramatische Entwicklung der Weltwassersituation nicht zuletzt eine Folge eben jener Maßnahmen, die vor Jahrzehnten als Teil der Lösung gehandelt wurden: Das auf Grund gelaufene Schiff dort, wo noch vor nicht allzu langer Zeit der Aralsee als größtes innerasiatisches Binnengewässer die Landschaft und die heimische Bevölkerung bereicherte sowie – vorübergehend – den Baumwollexport florieren ließ, ist eines jener ikonischen Bilder, die uns die fatalen Auswirkungen übermäßiger Wasserentnahme und kurzsichtiger Planung vor Augen führen. Karbes unentschlossene Haltung gegenüber manchen Aspekten der erhofften wasserwirtschaftlichen Renaissance nimmt somit die Ambivalenz großräumiger menschlicher Eingriffe in den natürlichen Landschaftswasserhaushalt vorweg.

Schlagzeilen der letzten Jahre wie «Jahrhundertdürre in Australien», «Mexiko-Stadt trocknet aus» oder «Grundwasservorräte schwinden dahin» versinnbildlichen, dass mannigfaltige Wasserprobleme für Mensch und Natur also nach wie vor virulent sind und wir uns bezüglich unserer Umgangsformen mit diesem so lebensnotwendigen wie kulturell bedeutungsvollen Element auf einem ganz und gar nicht nachhaltigen Kurs befinden. Das oft gezeichnete Panorama einer «globalen Wasserkrise» verheißt darüber hinaus nichts Gutes für die Zukunft – sofern nicht ein tiefreichender Wandel im Umgang mit den begrenzten Süßwasservorräten unseres Heimatplaneten eingeleitet wird, der die Krise als Chance zu einer Neubewertung des Wassers begreift.

Zwar sind inzwischen viele Wasserkrisen als «Managementkrisen» verschiedenster Couleur entlarvt, denen man mit dem Einsatz effizienterer Technologien, einer besseren Regulierung der Wasserzuteilung sowie finanziellen Anreizen zu sparsamerem Wassereinsatz begegnen könnte. Doch die Verantwortung liegt nicht allein bei Wasserbauingenieuren, Wasserbehörden oder Landwirten. Viele der Probleme haben ihre Ursache in gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und Einstellungen außerhalb des eigentlichen Wassersektors. Dazu gehört zum einen der menschgemachte (anthropogene) Klimawandel, der in vielen Regionen der Erde die Wasserverfügbarkeit erheblich beeinträchtigen wird – je nachdem, wie hoch die globale Mitteltemperatur tatsächlich steigen wird. Jedes weitere Jahr, das ohne erkennbare globale Emissionsminderungen von Treibhausgasen vergeht, erhöht somit die Wahrscheinlichkeit, dass kommende Generationen mit mehr chronischen oder akuten Verknappungen bzw. zunehmenden Unwägbarkeiten des Wasserdargebots und, als eine Folge, mit Ernteeinbußen werden umgehen müssen. Zum anderen sind ganz persönliche Konsumgewohnheiten und Verhaltensmuster auch ohne den «Umweg» über das Klimasystem entscheidend. Jüngste Forschungen zum «Wasserfußabdruck» von Ländern, Betrieben und Einzelpersonen oder auch zum zwiespältigen Verhältnis zwischen Wassernutzung und Religion fördern Erhellendes zu den realen und symbolischen Beziehungen der Menschheit zum Wasser zutage. Die Summe solcher Befunde legt nahe, dass der Umgang mit Wasser in den verschiedenen Kulturkreisen konsequenter aufgearbeitet, hinterfragt und verbessert werden muss.

Die schier unzähligen Facetten von Wasserknappheit, Wasserverschmutzung und Wassermanagement, denen man bei einer Rundreise zu den entsprechenden Brennpunkten begegnet, sind in anderen, eher journalistischen Büchern und auch in Filmen anschaulich dokumentiert worden. Beispiele für die Verwobenheit von Zivilisationen mit ihren Wasserlandschaften finden sich auch in verschiedenen «Flussbiografien».[6] Solche Betrachtungen liefern sehr wertvolle Einsichten in die spezifischen Problemfelder, Einzelschicksale und Zusammenhänge in unterschiedlichen Regionen. Jedoch fehlt ihnen in der Regel eine konsequente quantitative Darstellung der globalen Situation. Das vorliegende Buch verfolgt eine solche Systematik nach dem neuesten wissenschaftlichen Kenntnisstand, freilich mit Beispielen aus konkreten Regionen und mit stetem Verweis auf die fundamentale Bedeutung des Wassers für die menschliche Zivilisation. Dabei konzentriere ich mich auf den Zusammenhang zwischen Wasser, Klimawandel (dem bedeutendsten Einfluss auf die Wasserverfügbarkeit) und Landwirtschaft (dem nach wie vor größten Wasserverbraucher). Weitere wichtige Themen wie Wasserverschmutzung, Wasserprivatisierung und Hochwasser unterstreiche ich an geeigneter Stelle, kann sie aber hier nicht erschöpfend behandeln.

Die globale Perspektive ist inzwischen unumgänglich, denn wie uns der zur Jahrtausendwende geprägte und nun weithin verwendete Begriff «Anthropozän» vergegenwärtigt, ist ein buchstäblich neues, wesentlich vom Menschen geprägtes Erdzeitalter angebrochen:[7] Formende Eigenschaften dieser unserer Epoche sind unter anderem die hohe und noch zunehmende Weltbevölkerung, die rasant steigende Nachfrage nach Wasser, Materialien und Nahrungsmitteln, gravierende Landschaftsänderungen, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, der selbstverschuldete globale Klimawandel sowie vielfältige Formen der Umweltverschmutzung. Vor diesem Hintergrund stellen sich aus Wassersicht einige Fragen, denen dieses Buch besondere Aufmerksamkeit widmet: Steuern wir auf eine «globale Wasserkrise» zu, oder befinden wir uns bereits mitten darin? Welchen Einfluss hat der globale Klimawandel auf die Süßwasserressourcen und ihre räumliche Verteilung? Ist trotz vermeintlich knapper werdendem Wasser (und auch Land) eine ausreichende Ernährung der weiter steigenden Weltbevölkerung möglich? Was sind einerseits die Grenzen, andererseits die Chancen einer effektiveren und nachhaltigeren Wassernutzung in der Landwirtschaft? Und wohin mag der gegenwärtige Paradigmenwandel in Wasserforschung und -praxis führen, dessen Weg durch wirkmächtige neue Begrifflichkeiten wie «grünes Wasser», «virtueller Wasserhandel», «weiches Wassermanagement» oder «Soziohydrologie» geebnet wird?

Alle diese Fragen drehen sich um zwei unverrückbare Tatsachen: Die nachhaltig erschließbaren, überlebensnotwendigen Süßwasserressourcen der Erde sind begrenzt, und sie sind sehr ungleich in Raum und Zeit verteilt. Das Auffinden, die Nutzbarmachung und die Kultivierung des Wassers waren deshalb von jeher eine zivilisatorische Notwendigkeit. Aus immer größeren Tiefen und immer weiterer Ferne wird bislang unberührtes Wasser herangezogen, um den stets größer werdenden Durst der Menschheit zu stillen. Auch der moderne Mensch wird sich von der essentiellen, gegenseitigen «Bedingtheit von Wasservorkommen und menschlichem Leben»[8] nicht befreien können. Umso dringender ist es nun, diese Beziehung gründlich zu überdenken und die immer noch weit verbreitete Ansicht, Wasser sei bloß eine ausbeutbare Ressource, als langweilig und destruktiv zu enttarnen.

Mein Dank gilt allen Kollegen, Freunden, Bekannten und Verwandten, die entweder schon immer oder noch nie von der Relevanz der Wasserfrage überzeugt waren: Sie alle haben zur Schärfung des Buches beigetragen. Andreas Diesel sei gedankt für den täglichen Fluss und den Mitarbeitern des Verlags C.H.Beck für ihre Hilfe und Geduld.

1 Die Vielfalt der weltweiten Wasservorkommen

1.1 Niederschlag über Land – vitale Quelle für Mensch und Natur

«Wasser tritt aus der Erde als Quelle, bewegt sich als Fluß, steht als See, ist in ewiger Ruhe und endloser Bewegtheit das Meer. Es verwandelt sich zu Eis oder zu Dampf; es bewegt sich aufwärts durch Verdunstung und abwärts als Regen, Schnee oder Hagel; es fliegt als Wolke. Es ist der Samen, der die Erde befruchtet. […] Es ängstigt, bedroht, verletzt und zerstört den Menschen und seine Einrichtungen durch Überschwemmungen, Sturmfluten, Hagelschlag. […] So enthält das Wasser den Tod und gebiert alles Leben.»[9] Stets hat diese enorme Erscheinungsvielfalt des Wassers, haben sein Kreislauf und seine ambivalente Kraft die Menschen beeindruckt, ihr Handeln geprägt und ganze Gesellschaften in ihrer Entwicklung beeinflusst. Bis heute entscheiden die räumliche und zeitliche Verteilung des Wassers, sein Aggregatzustand, sein Reinheitsgrad und der Zugang zu verlässlich sprudelnden, sauberen Quellen über Gesundheit, Wohlstand, Macht, Leben und Tod.

Wie aber kann es sein, dass auf einem Planeten, der die enorme Menge von 1,39 Milliarden Kubikkilometern Wasser beherbergt, und dessen Fläche zu über 70 % mit Wasser bedeckt ist, überhaupt von Wassermangel die Rede ist? Die Antwort ist einfach. Fast alles Wasser der Erde ist Salzwasser, das sich vorwiegend in den seit über vier Milliarden Jahren existierenden Ozeanen, zu einem ganz geringen Teil aber auch im Grundwasser und in Salzseen befindet. Von dem verbleibenden Anteil des Süßwassers am Gesamtvolumen (2,5 %) ist wiederum die größte Menge wegen ihres Aggregatzustands oder ihrer Lage unerreichbar: Drei Viertel sind als Eis und Schnee gebunden (vor allem in der Antarktis und in Grönland), und weitere 24,7 % sind seit Jahrtausenden, wenn nicht Jahrmillionen als fossiles Grundwasser in tiefen Gesteinsschichten eingeschlossen. Somit verbleiben gerade einmal 0,3 % des weltweiten Süßwasservorkommens in Flüssen, Feuchtgebieten, Seen, Böden und der Atmosphäre.[10]

Dieses Wasser wird permanent in regionalen und globalen Kreisläufen in Bewegung gehalten. Während ein Abzweig des aus den Ozeanen verdunstenden Wassers – um die 45.000 Kubikkilometer pro Jahr (km3/a) – zu den Kontinenten gelangt und dort früher oder später abregnet, zirkuliert zusätzlich fast doppelt so viel Wasser ausschließlich in und über der Landoberfläche: Es verdunstet aus offenen Gewässern, aus dem Boden sowie durch Bäume, Sträucher und Gräser, bildet sodann in höheren Luftschichten Wolken und geht irgendwo erneut als Regen oder Schnee nieder. Die globale Bilanz wird geschlossen, indem von den rund 120.000 km3 Niederschlag, die im Jahresdurchschnitt auf die Landoberfläche fallen,[11] besagte 45.000 km3 wieder in die Ozeane abfließen.

Doch das sind globale Summen und langjährige Durchschnittswerte. Sie sagen kaum etwas darüber aus, wie sich die Wassersituation an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten verhält. Von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr wechselt nämlich die Erde ihr Wasserantlitz, wehen die Winde in verschiedene Richtungen, fällt der Niederschlag in anderen Gegenden, rücken Schnee und Eis vor oder ziehen sich zurück. Die räumliche Verteilung der Hoch- und Tiefdruckgebiete und der daran gekoppelten Windzonen diktiert die ausgesprochen ungleiche Verteilung des Niederschlags. In den südasiatischen Monsungebieten und den immerfeuchten inneren Tropen entlang des Äquators, wo die aus dem sich nördlich und südlich anschließenden subtropischen Hochdruckgürtel zusammenströmenden Passatwinde regelmäßig mächtige Quellbewölkung und Gewitter auslösen, kommen im Durchschnitt die höchsten Regenmengen zusammen, gebietsweise mehrere Tausend Liter pro Quadratmeter und Jahr (vgl. Abbildung 1 oben). Die Stadt Cherrapunji im Nordosten Indiens und der Berg Wai’ale’ale auf Hawaii gehen als regenreichste Orte der Erde mit durchschnittlich rund 11.500l/m2 pro Jahr in die Statistik ein; in Einzeljahren sind in Cherrapunji sogar über 25.000l/m2 registriert worden. Zum Vergleich: Die mittlere Jahresniederschlagsmenge von Deutschland – in den gemäßigten Breiten gelegen – beläuft sich auf etwa 750l/m2, in Teilen Ostdeutschlands und des Rhein-Main-Gebiets auf kaum mehr als 500l/m2. Werte von zum Teil weit unter 500l/m2 sind charakteristisch für den subtropischen Hochdruckgürtel, der die südlichen USA und Mexiko, Südeuropa, fast ganz Nordafrika und das südliche Afrika, den Nahen Osten sowie Teile Zentralasiens und Australiens umfasst. Punktuell ist in dieser Klimazone seit Jahrzehnten sogar überhaupt kein Niederschlag mehr gemessen worden – in der nordchilenischen Atacama-Wüste im Jahre 1971 angeblich zum ersten Mal seit 400 Jahren (doch in den vergangenen Jahren wurde mehrmals von Starkregen in dieser Gegend berichtet). Relativ niederschlagsarm sind auch die hohen Breiten, die sich im Übrigen durch einen sehr hohen Schneeanteil auszeichnen.

Abbildung 1:  Verteilung des Niederschlags über Land im Gesamtjahr (oben), im Winter (Mitte) und im Sommer der Nordhalbkugel (unten). Angaben in Litern pro Quadratmeter, Mittelwerte 1971–2000. Quelle: Klimadatenbank CRU TS3.0.

Die Niederschlagsmenge ist in den meisten Regionen auch ungleichmäßig innerhalb des Jahres verteilt (Abbildung 1 Mitte, unten). So ist für die gemäßigten Breiten ganzjährig wechselhafte Witterung mit Regen oder Schnee typisch, während etwa der Mittelmeerraum durch ein wechselfeuchtes Klima mit Winterregen und nur sporadischen Regenfällen im Sommer geprägt ist. Infolge des sommerlichen Sonnenhöchststandes und der unterschiedlichen Verteilung von Land und Meer wandert auch die tropische Regenzone im Jahresverlauf, und zwar im Nordsommer auf Äquatorhöhe und nach Südostasien hinein (wo sich dann die Monsunregen ausbilden) und im Südsommer auf etwa 15–20 Grad südliche Breite.

Ebenso schwankt die Niederschlagsmenge von Jahr zu Jahr, was sich selbst in der globalen Summe manifestiert. Wie Abbildung 2 zeigt, wich im vergangenen Jahrhundert die Jahresniederschlagsmenge über Land um einige Prozent nach oben oder unten vom Mittelwert des Gesamtzeitraums ab.

Abbildung 2:  Zeitreihe der jährlichen Niederschlagsmenge auf den Landflächen der Erde, 1901–2005 (in 1000 Kubikkilometern). Die fette Linie zeigt den fünfjährigen gleitenden Mittelwert. Quelle: Klimadatenbank CRU TS3.0.

1.2 Schicksal von Regentropfen

Der (variable) Gesamtniederschlag über Land stellt die maximale erneuerbare Wassermenge dar, die zumindest theoretisch in irgendeiner Form nutzbar ist (einmal abgesehen von den eher geringen Mengen, die bislang durch Meerwasserentsalzung gewonnen werden können). Entscheidend für die Nutzungsmöglichkeiten ist aber nicht nur, wie viel Niederschlag in einem bestimmten Zeitraum fällt, sondern welche Wege das Wasser daraufhin einschlägt. Fließt es ober- oder unterirdisch ab, oder verdunstet es? Über welchen Pfad geschieht diese Verdunstung? Zur Illustration dieser Prozesse wollen wir einmal das mögliche Schicksal eines willkürlichen Regentropfens verfolgen[12] – nicht zuletzt deshalb, weil dies für das spätere Verständnis der Chancen zur Wassereinsparung in der Landwirtschaft fundamental ist. Zuallererst wird unser Beispiel-Tropfen mit der sehr heterogenen Gestalt der Landoberfläche konfrontiert. So kann es passieren, dass er auf eine bebaute Fläche (ein Hausdach, eine Straße) trifft, ein Stück unbewachsenen Bodens erreicht oder aber von der Oberfläche einer mit Vegetation bestandenen Fläche (etwa der Krone eines Nadel- oder Laubbaums oder den Ähren eines Weizenfeldes) aufgefangen wird. Ferner ist es denkbar, dass der Tropfen auf eine bereits bestehende Wasserfläche fällt und so zur Füllung dieses Teichs oder Sees beiträgt. Auch kann er zunächst als Schneeflocke gefallen sein und erst nach der Schmelze seinen weiteren Weg suchen.

Für einen Tropfen, der von einem Gegenstand, etwa einer Baumkrone, für einige Minuten oder Stunden zwischengespeichert wird, gibt es nun prinzipiell zwei Möglichkeiten: Entweder er verdunstet von dieser Oberfläche zurück in die Umgebungsluft (Interzeptionsverdunstung), oder er tropft bzw. fließt entlang des Stamms der Schwerkraft folgend nach unten. Wie auch immer er am Ende die Bodenoberfläche erreicht – dort wird es wichtig, welchen weiteren Weg er einschlägt. Oberflächlich abfließen wird er vor allem dann, wenn der Grund hart bzw. versiegelt oder bereits so feucht ist, dass dieser kein zusätzliches Wasser mehr aufnehmen kann. Im anderen Fall wird er in den Boden eindringen, mehr oder weniger langsam in tiefere Schichten einsickern und unterirdisch wieder austreten oder langfristig dazu beitragen, den Grundwasservorrat aufzufüllen.

Ein Großteil des Bodenwassers verdunstet allerdings binnen Tagen oder Wochen: entweder als Evaporation direkt aus dem Boden oder – nach Aufnahme durch das Wurzelwerk und anschließendem Transport durch den Grashalm oder den Baumstamm, gegebenenfalls bis in höchste Baumhöhen hinauf – als Transpiration durch die Stomata. Diese Stomata sind die zahlreichen kleinen Porenöffnungen der Landpflanzen, die sich vor allem an deren Blattunterseiten befinden, und über die die Fotosynthese abläuft, indem Kohlenstoff aufgenommen und, unabdingbar, Wasser transpiriert wird. Was beachtlich ist: Die Stomata leiten den Löwenanteil des Wasserumsatzes in die Atmosphäre, mindestens 40.000 km3 jährlich!

Wie bereits erwähnt, summiert sich der Abfluss und damit die über das weltweite Flussnetz ins Meer transportierte Wassermenge auf durchschnittlich 45.000 km3/a – in Einzeljahren mit Abweichungen um zum Teil mehr als 10 % nach oben oder unten, die hauptsächlich mit den oben gezeigten Niederschlagsschwankungen zusammenhängen. So spiegelt auch das räumliche Abflussmuster in wesentlichen Zügen die Niederschlagsverteilung wider, wie ein Vergleich der Abbildungen 1 und 3 zeigt. Doch fällt auf, dass einige ansonsten trockene Gebiete von sehr bedeutenden Zuflüssen gespeist werden, die ihren Ursprung in zum Teil weit entfernten Gegenden haben. Dazu zählen der Unterlauf des Nils, Teile des Niger und einige Flüsse in Zentralasien, die als lebenswichtige Adern die Trockengebiete durchziehen. Vor allem die Gebirge fungieren als «Wassertürme» der Erde: Etwa die Hälfte der weltweiten Wasserversorgung ist zumindest zeitweise von ihrem Zufluss abhängig.[13]

Abbildung 3:  Modellierte räumliche Verteilung des entlang des globalen Flussnetzes akkumulierten Abflusses (Kubikkilometer pro Jahr, Mittelwert 1971–2000). Quelle: PIK – Simulation mit dem Biosphären- und Wasserhaushaltsmodell LPJmL.[14]

Für die Landwirtschaft ist von besonderer Bedeutung, dass die Niederschlags- und Abflussschwankungen gelegentlich zu weit über das Normalmaß hinausragenden Extremereignissen ausarten. Ein Beispiel für solche Extrema, die sogar kurz hintereinander in entgegengesetzte Richtungen ausschlugen, sind die mitteleuropäischen Sommer 2002 und 2003. Während vor allem die Anwohner der Elbe und ihrer Nebenflüsse nach tagelangen starken Niederschlägen im August 2002 ein Rekord-Hochwasser erlebten, wurden im Folgejahr bei anhaltender Hitze und Trockenheit historische Niedrigwasserstände der Elbe verzeichnet (die bereits in manchen Folgejahren noch unterboten wurden). 2013 folgte direkt auf das im Juni fast ganz Mitteleuropa beherrschende Rekordhochwasser (in seinem Ausmaß wohl nur noch in den Jahren 1342 und 1501 übertroffen) einer der trockensten Sommer der vergangenen Jahrzehnte. Ein ähnliches Beispiel sind die 2012 in Südengland nach einem ausgesprochen nassen April aufgetretenen Überschwemmungen, die so unmittelbar auf eine vorangegangene Dürre folgten, dass gleichzeitig zur Hochwassersituation noch Bewässerungsverbote – mit bis zu 1000 £ strafbare hose pipe bans – in Kraft waren. Allein diese Überschwemmungen verursachten Ernteeinbußen in einer Höhe von 600 Millionen £.[15] Nicht nur ein Zuwenig, sondern auch ein Zuviel an Wasser kann also katastrophal für die Landwirtschaft sein. Solche Aufeinanderfolgen unterschiedlicher Extrema verdeutlichen, wie schwierig es ist, geeignete Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel zu planen.

1.3 Planetare Grenze für die Wassernutzung

Meist wird statt des Niederschlags – von dem ja ein größerer Anteil früher oder später verdunstet – der Abfluss (einschließlich des in Seen, Talsperren und Grundwasserleitern zwischengespeicherten Anteils) als die für eine menschliche Nutzung maximal verfügbare Wassermenge angesehen. Aber selbst dies ist eine eher theoretische, optimistische Größe. Zum einen ist alles Wasser, das in Hochwasserereignissen abfließt, unzugänglich, falls keine Speichermöglichkeiten bestehen. Zum anderen fließen große Wassermengen durch entlegene, dünn besiedelte Landschaften wie das Amazonasgebiet oder Sibirien und können unter derzeitigen Bedingungen ebenfalls nicht erschlossen werden. Allein diese Umstände reduzieren die weltweit erreichbare bzw. nutzbare Süßwassermenge auf kaum 16.000 km3/a, Wasserspeicherungen durch Talsperren bereits eingerechnet.[16] Ein Teil dieser Gewässer wiederum ist zu stark verschmutzt oder sollte zum Erhalt der Fluss- und Auenökosysteme von einer Wasserentnahme durch den Menschen ausgenommen bleiben (was in der Realität vielfach jedoch nicht der Fall ist).

Im aktuellen Rahmenkonzept der «planetaren Grenzen», das unter anderem vorsieht, ein akzeptables Höchstmaß an Verschiebungen des Wasserkreislaufs zu berechnen, wird nach vorläufiger Schätzung sogar vorgeschlagen, dass global nur maximal 4000 km3 Wasser pro Jahr verbraucht werden sollten.[17] Ein menschlicher Eingriff in den Wasserhaushalt, der dieses Ausmaß übersteigt, berge das Risiko schwerwiegender Konsequenzen für das Erdsystem mit seinen Ökosystemen und menschlichen Gesellschaften. Deshalb solle der historische, einigermaßen stabile Zustand vorsorglich nicht verlassen werden. Nimmt man den Mindestwasserbedarf, der zur Aufrechterhaltung der Ökosysteme im Fluss bleiben müsste, ernst, bleiben pro Jahr nur noch um die 2800 km3 (siehe Abbildung 4), bei strengen Vorgaben noch niedrigere Mengen für eine Nutzung übrig[18] – ein verschwindend kleiner Teil der gesamten Wasservorräte der Erde und nur ein minimaler Bruchteil der Süßwasservorräte!

Abbildung 4:  Globale Summen von Komponenten des Abflusses (links) und der Verdunstung (rechts) auf den Landflächen der Erde. Die Gesamtsumme entspricht dem Niederschlag (etwas niedriger als in Abbildung 2, da hier unter anderem Eisflächen und kleinere Inseln ausgeschlossen sind). Angaben in Kubikkilometern pro Jahr, Mittelwerte 1971–2000.[19] Der nachhaltig nutzbare Anteil des Abflusses entspricht der aktuell geschätzten planetaren Grenze für den menschlichen Süßwasserverbrauch.

Das Gute daran: Die zwar stets zirkulierende, aber global immer gleich bleibende erneuerbare Wassermenge ist theoretisch unendlich lange nutzbar. Man mag daher die wunderliche Rechnung aufstellen,[20] dass sämtliche Tiere, die je die Erde bevölkert haben, mindestens zehn Millionen mal so viel Wasser getrunken und wieder ausgeschieden haben wie das gesamte Menschengeschlecht (bisher vermutlich 108 Milliarden Menschen). Ohne den noch sehr viel höheren Wasserumsatz durch die Stomata aller je existenten Vegetation mitzuzählen, ist das zusammengenommen mehr als das Tausendfache der erneuerbaren Süßwassermenge. Stets war es dasselbe uralte, immer und immer wieder umverteilte Wasser; jeder einzelne Tropfen hätte eine abwechslungsreiche, Milliarden Jahre (womöglich bis in die Zeit vor Entstehung unseres Sonnensystems) zurückreichende Geschichte zu erzählen: Nicht unwahrscheinlich also, dass das Wasser in Ihrem Trinkglas schon einmal von längst ausgestorbenen Urzeitwesen konsumiert wurde. Das Wasser wird uns also auch in Zukunft nicht ausgehen – jedenfalls nicht, bevor in spätestens 1,3 Milliarden Jahren die unaufhaltsame Austrocknung der Erde und ihrer Ozeane aufgrund der dann enorm gesteigerten Leuchtkraft der Sonne beginnt.[21]

An drei Tatsachen kommt man mit solchen Überlegungen jedoch nicht vorbei. Erstens ist und bleibt das Süßwasser regional höchst unterschiedlich verteilt; zweitens ist die Weltbevölkerung (auch und vor allem in Trockengebieten) inzwischen auf 7,5 Milliarden angewachsen; und drittens ist Wasser, anders als zum Beispiel Öl, nicht substituierbar: Es bleibt als Trinkwasser, als Industriemotor und für den Wuchs natürlicher und landwirtschaftlicher Pflanzen auch in Zukunft alternativlos. Die Menschheit kommt also nicht umhin, die regionale und globale Wassernachfrage besser als bisher auf das Angebot (oder, so der schöne Ausdruck deutschsprachiger Hydrologen, das «Wasserdargebot») abzustimmen.

1.4 Blaues Wasser, grünes Wasser

Bei allen Unkenrufen über immer knapper werdende Wasserressourcen ist Folgendes zu beachten: Das im Boden von unbewässerten Äckern und Weideflächen zwischengespeicherte und über die verschiedenen Pfade verdunstende Wasser kommt dem Menschen eigentlich auch zugute, gewährleistet es doch die auf diesen Flächen ausgeübte Land- und Viehwirtschaft. Berücksichtigt man dieses Wasser also in der Bilanz, ist die gesamte nutzbare Süßwassermenge doch um einiges größer.

Vor diesem Hintergrund hat ein von der schwedischen Hydrologin Malin Falkenmark geprägtes Begriffspaar Prominenz erlangt, das ihre bis in die 1970er Jahre zurückreichenden Bemühungen zur Klärung grundlegender Zusammenhänge von Wasserverfügbarkeit und Welternährung schlaglichtartig zusammenfasst: «blaues Wasser» und «grünes Wasser».[22] Falkenmarks Kernbotschaft ist, dass spätestens seit der Grünen Revolution immer nur das in Flüssen, Seen, Grundwasserspeichern und künstlich errichteten Talsperren vorhandene und zur menschlichen Entnahme (vor allem zur Bewässerung) nutzbare blaue Wasser im Mittelpunkt steht. Das «unsichtbare», in den Boden eingedrungene Regenwasser – das grüne Wasser[23] – wurde hingegen bis vor kurzem in der Forschung und der Wasser- bzw. Landwirtschaftspraxis vernachlässigt. Das ist erstaunlich, ist dieses Wasser doch Voraussetzung für den weitaus größten Teil der Biomasseproduktion der Erde: Es nährt nicht nur sämtliche natürlichen Landökosysteme, sondern auch die gesamte unbewässerte Landwirtschaft (einschließlich des Weidelands) sowie immer auch Teile der bewässerten Landwirtschaft. Die Verdunstung grünen Wassers auf Acker- und Weideflächen summiert sich derzeit auf über 21.000 km3 pro Jahr (vgl. Abbildung 4, die für diese Flächen die Verdunstung von ca. 1200 km3 blauem Bewässerungswasser enthält).

«Nur wenn wir sie in Worte kleiden, geben wir den Dingen Wirklichkeit», meinte einmal Oscar Wilde. Es lässt sich natürlich nicht sagen, inwieweit Falkenmarks Begriffspaar dazu beigetragen hat, dass seit einigen Jahren vermehrt neue Wege zu einer effizienteren Wassernutzung in der Landwirtschaft diskutiert werden und dass sich diese Diskussion mehr und mehr vom allzu engen Fokus auf die Bewässerung emanzipiert. Tatsache ist jedenfalls, dass eine erweiterte Perspektive, die das grüne Wasser mit in den Blick nimmt, von fundamentaler Bedeutung für Fragen der Wasserknappheit und der Welternährung ist. Ich komme darauf noch ausführlich zurück; aber die Feststellung, dass die erheblichen Mengen grünen Wassers bisher weitgehend ausgeblendet wurden, lässt bereits zwei Dinge erahnen: Ein alleiniger Fokus auf blaues Wasser führt zum einen fast zwangsläufig zu einer Überschätzung des regionalen und globalen Wassermangels. Zum anderen verschleiert er die Sicht auf das weite Spektrum wasser- und landwirtschaftlicher Methoden, die ganz ohne Bewässerung zu einer Steigerung des Ertrags beitragen und dabei stillschweigend die blauen Wasserressourcen schonen.

In den vergangenen Jahren haben sich unter Wissenschaftlern und zunehmend auch in der Öffentlichkeit noch andere Begriffe etabliert, die den vielen Gesichtern des Wassers und seiner Nutzungsmöglichkeiten Rechnung zu tragen versuchen bzw. eigentlich Offensichtlichem überhaupt erst einen Namen verliehen haben. Vor allem der Begriff «virtuelles Wasser» hat einige Bekanntheit erlangt. Er bezeichnet den Umstand, dass im Rahmen der Herstellung fast aller Produkte, die wir konsumieren, je nach Produkt und Herkunftsort unterschiedliche Mengen an Wasser verbraucht werden. In landwirtschaftlichen Erzeugnissen beispielsweise ist vor allem das am Wachstum der Kulturpflanzen beteiligte Wasser «versteckt». Zwar ist es nicht mehr im Endprodukt enthalten, aber doch auf den Feldern und im weiteren Verarbeitungsprozess verdunstet, versickert oder verschmutzt worden. Infolgedessen beansprucht jede Region durch den Warenimport letztlich die blauen oder grünen Wasserressourcen der Exportregion. Nach wenig erfolgreichem Bemühen, dieses Prinzip des Handels mit «verstecktem» Wasser bekannt zu machen, hat der Londoner Geograf Tony Allan Anfang der 1990er Jahre schließlich den Begriff virtuelles Wasser geprägt. Erst durch die Verwendung des Wortes «virtuell», das im Zuge der Internetrevolution damals in aller Munde war, hat diese Idee Einzug in die öffentliche Debatte gehalten und den Diskurs über die globale (und globalisierte!) Wassernutzung verändert.[24]

Überhaupt entschlüsselt die moderne Wasserforschung – insbesondere seit die Vereinten Nationen 1965 die Internationale Hydrologische Dekade ins Leben gerufen haben – in immer feineren Analysen von Mess- und Modelldaten den immerwährenden Wasserkreislauf in seinen zahllosen Verästelungen. So können die mittlerweile erstaunlich verschlungenen Pfade des Wassers durch die zunehmend globalisierte Weltgesellschaft mit wachsender Präzision verfolgt werden. Aber wie hat diese menschliche Durchdringung des globalen Wasserkreislaufs angefangen?

2 Menschliche Wassernutzungen

2.1 Eine kurze Weltgeschichte der Wassernutzung

Im Jahre 2005 stießen Archäologen bei Ausgrabungen im südlichen Jordanien auf etwas höchst Bemerkenswertes: Im Wadi Abu Tulayha entdeckten sie Strukturen eines simplen Bewässerungssystems, bestehend aus einer Art Zisterne zur Speicherung von bis zu 60.000 Litern Wasser und einem kleinen Damm zur Wasserumleitung. Diese Anlage ist sicher 9500 Jahre alt und somit das älteste bisher bekannte Wassermanagementsystem der Erde. Sie hatte den Nomaden in diesem extrem trockenen Gebiet offenbar den saisonalen Anbau von Getreide auf ein paar Hektar Land ermöglicht.[25] Dies markiert den Beginn eines bis heute fortlebenden überwältigenden Erfindungsreichtums des Menschen, sich von seiner direkten Abhängigkeit von lokalen Quellen zu emanzipieren, vorhandene Wasserressourcen immer konstruktiver zu bewirtschaften und sie aus immer ferneren Gegenden heranzuziehen.

Doch erst mit Beginn des Bronzezeitalters wurden Brunnen, Kleinspeicher, Dammanlagen und Bewässerungsterrassen technisch verfeinert und verbreiteten sich in der Alten Welt. Man mag diese Entwicklung als eine «Wasserrevolution» im Gefolge der Neolithischen Revolution, also dem Aufkommen der Land- und Viehwirtschaft, bezeichnen, die die Entwicklung der Kultur und den Lauf der Weltgeschichte mindestens genauso entscheidend mitbestimmt hat.[26] Zumindest das Aufblühen von antiken Städten wie Pergamon war nur auf der Grundlage ausgefeilter Wasserversorgungs- und Wassertransportsysteme möglich.[27] Dazu gehören auch die Qanate, eine «geniale wassertechnische und wasserwirtschaftliche Entdeckung und Entwicklung» des Altertums.[28] Diese unterirdischen Stollensysteme fanden vor knapp 3000 Jahren zunächst in Persien, dann im Mittleren und Nahen Osten, im Zuge der späteren Islamisierung auch in Nordafrika und Teilen Südeuropas Verbreitung, und sie werden auch heute noch genutzt. Ein Qanat-Netzwerk ermöglicht selbst in flusslosen Gebieten den kontinuierlichen Austritt und die Weiterleitung von Grundwasser (meist aus angrenzenden Berghängen) mit den weiteren Vorteilen, dass das Wasser nicht offen steht, es kaum erwärmt oder verschmutzt werden kann, nur wenig davon verdunstet und seine Entnahme nicht über die natürliche Grundwasser-Neubildungsrate hinausgeht.

Beispiele für groß angelegte wasserbauliche Meisterleistungen der antiken Welt, von denen heute manche auf der UNESCO/ĭǔ29