Bernhard Maier
DIE ORDNUNG
DES HIMMELS
Eine Geschichte der Religionen
von der Steinzeit bis heute
C.H.BECK
Seit Urzeiten erkunden Menschen den Willen der Götter, befolgen deren heilige Ordnung und hoffen auf Erlösung. Bernhard Maier beschreibt anschaulich die Geschichte der Religionen von den frühesten Grabkulten über die Weltbilder des Alten Orients und den Monotheismus bis zu den heutigen Religionskonflikten und der individuellen Suche vieler Menschen nach Heil.
Die Ordnung des Himmels ist ewig. Sie zeigt sich am Lauf der Gestirne und der Jahreszeiten, wird von Priestern und Theologen erforscht, in heiligen Schriften niedergelegt, in Ritualen bekräftigt, in der Ethik befolgt, in Mythen und Predigten an die nächste Generation weitergegeben. Doch tatsächlich befindet sich diese Ordnung in einem ständigen Wandel – abhängig von Aufstieg und Untergang von Reichen, der Wanderung von Völkern und Ideen oder den Neuerungen religiöser Virtuosen. Bernhard Maier geht diesen Veränderungen im Lauf der Weltgeschichte nach. Dabei gelingt es ihm meisterhaft, die Eigenheiten großer und kleiner Religionen prägnant zu porträtieren, parallele Entwicklungen in Schlüsselepochen deutlich zu machen und Mythologien, Zeitvorstellungen oder heilige Stätten miteinander zu vergleichen. Wer seinen eindrucksvollen Überblick gelesen hat, wird besser verstehen, warum Religionen auch heute noch so machtvoll sind und selbst eingefleischte Skeptiker zutiefst faszinieren.
Bernhard Maier ist Professor für Allgemeine Religionswissenschaft und Europäische Religionsgeschichte an der Universität Tübingen. Bei C. H.Beck erschienen von ihm u.a. die erfolgreichen Standardwerke «Die Religion der Kelten» (3. Auflage 2016) und «Die Religion der Germanen» (2003).
Einleitung
ERSTER TEIL: Von den Anfängen bis zum
Ende der altorientalischen Großreiche
Ur- und Vorgeschichte
Ägypten und Mesopotamien
Altiran und Altkleinasien
Syrien, Palästina und der Mittelmeerraum
1. Bestattungen:
Älteste Zeugnisse von Religion?
Vorgeschichtliche Bestattungen und ihre Deutung
Bestattungen als gemeinschaftliches Ritual
Gräber als Ausdruck kollektiver Identität
Totenfürsorge und -abwehr
Frühe Seelenvorstellungen
2. Unfassbar nah und unerreichbar fern:
Götter und Göttinnen
Altsteinzeitliche Götterbilder?
Götter und Göttinnen der Jungsteinzeit
Die Götter und die Weltordnung in Ägypten, Mesopotamien und Indien
Wirkungsweisen von Göttern in frühgeschichtlichen Kulturen
Echnatons Monotheismus
3. Zeichendeutung, Opfer und Gebet:
Formen der Interaktion
Traumdeutung, Omina, Opferschau und Orakel
Anlässe, Zwecke und Formen des Opfers
Riten zur Tilgung von Sünden
Opfer, Weihung und Bann
Lieder, Gebete, Beschwörungen
4. Heilige Räume und Zeiten:
Kultstätten und Tempel, Alltag und Feste
Höhlen als altsteinzeitliche Kultstätten
Die frühesten Heiligtümer Alteuropas
Ägyptische und griechische Tempel
Der Bau eines Tempels im Alten Orient
Zeitrechnung und Kalender
Feste im Alten Orient und in Alteuropa
5. Ausdruck früher Weltbilder:
Mythen und ihre Deutung
Die Mythen Homers und ihre Rezeption
Altindische Mythen
Mesopotamische Mythen
Germanische Mythen?
Ansätze einer vergleichenden Mythenforschung
ZWEITER TEIL: Vom Hellenismus bis zum
Aufstieg des Islams
Der Mittelmeerraum
Indien
China
6. Das Unheil der Welt:
Religionen als Erlösungswege
Der Begriff der Achsenzeit
Daoismus und Konfuzianismus
Die Wiedergeburtslehre der Upanischaden
Der Buddhismus
Der Jinismus
Die Religion Israels und die Entstehung des Judentums
7. Anpassung durch Wandel:
Formen wechselseitiger Beeinflussung
Zarathustra und der Zoroastrismus
Das hellenistische Judentum
Religion und Philosophie im Hellenismus
Die Anfänge des Christentums
Gnosis und Manichäismus
Die Anfänge des Islams
8. Fixierung der Offenbarung und Kanonisierung:
Heilige Schriften
Der Pali-Kanon und seine Rezeption in Europa
Die Entstehung der Bibel
Apokryphen und Pseudepigraphen
Koran und Hadith
9. Verfolgung, Duldung, Förderung:
Religion und Politik
Der Buddhismus in Indien
Die Christianisierung des Römischen Reichs und seiner Nachfolgestaaten
Die frühe Ausbreitung des Islams
10. Differenzierung und Spezialisierung: Lebensformen und Organisation
Das buddhistische Mönchtum
Die Rabbinen und ihre Literatur
Die Entstehung der christlichen Volkskirche
Askese und Mönchtum im Abendland
Die Leitung der Gemeinde im frühen Islam
Parallelen und Analogien
DRITTER TEIL: Europa und Asien
im Zeichen der Weltreligionen
Die christlichen Reiche Europas
Das Gebiet des Islams
Die buddhistischen Regionen Asiens
11. Mission und Herrschaftsanspruch:
Krieg und Konversion
Die letzten Heiden Europas
Die Ausbreitung des Islams in Asien
Kreuzzüge und Reconquista
Der Buddhismus in Tibet, China, Korea und Japan
12. Zwischen Toleranz und Zwangsbekehrung:
Religiöse Minderheiten
Juden und Muslime unter christlicher Herrschaft
Juden und Christen unter muslimischer Herrschaft
Abweichler und Abtrünnige im Christentum und im Islam
Kultureller Austausch
13. Religion im Alltag:
Ausdrucksformen der Frömmigkeit
Religion im Tagesablauf und Jahreskreislauf
Versammlungsräume und Gotteshäuser
Funktionen der Wallfahrt
14. Der Einzelne und sein Gott:
Formen der Mystik
Die Anfänge der christlichen Mystik
Der islamische Sufismus
Formen jüdischer Mystik
Theistische und nicht-theistische Mystik in Indien
Einheit und Vielfalt mystischer Erfahrungen
15. Bewahrung, Anpassung, Erneuerung:
Die Auslegung der Offenbarung
Muslimische Exegeten und Rechtsgelehrte
Jüdische Philologen und Philosophen
Reformbewegungen im Christentum
Die Jesiden
Der Sikhismus
VIERTER TEIL: Von der Entdeckung Amerikas
bis zum Ende des Zeitalters
der Aufklärung
Europa
Amerika
Afrika
Asien
16. Wege in die Neuzeit:
Territorialisierung und Konsolidierung
Reformation und Konfessionalisierung in Europa
Sunniten, Schiiten und Ibaditen
Der Neokonfuzianismus unter den Ming und Qing
Nichiren-Buddhismus und Neokonfuzianismus in Japan
17. Alte Welt, Neue Welt:
Missionsbewegungen und Akkulturation
Die christliche Mission in Indien, China und Japan
Die christliche Mission in Amerika
Die Ausbreitung des Islams in Afrika und Indonesien
18. Die letzten ihrer Art:
Ethnische Religionen in der Neuzeit
Die Religion der Maya
Die Religion der Azteken
Die Religion der Inka
Die Religion der Irokesen
Afrikanische Religionen
Indigene und antike Religionen und die Suche nach der Urreligion
19. Offenbarung und Vernunft:
Philosophen, Kritiker und Reformer
Philosophische Religionskritik
Aufklärungstheologie
Freimaurer, Rosenkreuzer und Illuminaten
20. An der Schwelle zur Moderne:
Bewahrer und Neuerer
Die jüdische Haskala und ihr Erbe
Islamische Reformbewegungen
Pietismus und Erweckungsbewegung
FÜNFTER TEIL: Vom Beginn der Industrialisierung
bis zur Gegenwart
Großmächte und Weltmächte
Höhepunkt und Niedergang des Kolonialismus
Die Industrielle Revolution und ihre Folgen
21. Religionen im Wandel:
Säkularisierung und Dekolonisation
Das Christentum in der Industriegesellschaft
Politischer Islam und Panislamismus
Neohinduismus
Neobuddhismus
22. Rückkehr der Propheten:
Die Entstehung neuer Religionen
Die Mormonen
Die Religion der Baha’i
Die Taiping-Bewegung
Der Geistertanz der Prärie-Indianer
Die Ahmadiya-Bewegung
23. Alternativen zur Religion: Philosophen, Ideologen und Visionäre
Humanismus, Atheismus und Agnostizismus
Wunderglaube, Mesmerismus und Spiritismus
Theosophie und Anthroposophie
24. Religion und Gewalt:
Konflikte und ihr Kontext
Buddhismus und japanischer Imperialismus
Konflikte zwischen Hindus, Muslimen und Sikhs
Völkische Ideologien und Neuheidentum
Politische Heilslehren
Antisemitismus und Zionismus
Der Nahostkonflikt und der islamistische Extremismus
25. Digitalisierung und Globalisierung:
Religion und Religionen heute
Afroamerikanische Religionen
Neue religiöse Bewegungen
Religionen im Internet
Religionsgeschichte und Religionswissenschaft
ANHANG
Zeittafel
Zur Schreibung und Aussprache fremdsprachiger Namen und Begriffe
Anmerkungen
Einleitung
ERSTER TEIL: Von den Anfängen bis zum Ende der altorientalischen Großreiche
ZWEITER TEIL: Vom Hellenismus bis zum Aufstieg des Islams
DRITTER TEIL: Europa und Asien im Zeichen der Weltreligionen
VIERTER TEIL: Von der Entdeckung Amerikas bis zum Ende des Zeitalters der Aufklärung
FÜNFTER TEIL: Vom Beginn der Industrialisierung bis zur Gegenwart
ANHANG: Zur Schreibung und Aussprache fremdsprachiger Namen und Begriffe
Literatur
Bildnachweis
Register
Wer eine geschichtliche Darstellung verfasst, weiß im Allgemeinen nicht, aus welchem speziellen Interesse und mit welcher Motivation der Leser sein Buch zur Hand nimmt. Auch die Vorkenntnisse des Lesers und sein weltanschaulicher Standpunkt sind dem Verfasser in der Regel unbekannt. Was jedoch Leser und Autor in den meisten Fällen miteinander verbinden dürfte, ist die Überzeugung, dass die Beschäftigung mit der Vergangenheit den eigenen geistigen Horizont erweitern und neue Perspektiven auch auf die Gegenwart eröffnen kann. Eine Geschichte der Religionen stellt in diesem Rahmen insofern einen Sonderfall dar, als sich die Darstellung zwangsläufig über viele Epochen und geographische Regionen erstreckt, viele verschiedene Bereiche menschlicher Kultur berührt und aus eben diesen Gründen auf die Ergebnisse einer Vielzahl unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen zurückgreifen muss. So erscheint es sinnvoll, diesem Buch einige einleitende Bemerkungen zur Konzeption und ihrer Durchführung voranzustellen.
Es liegt auf der Hand, dass ein Buch von weniger als 600 Seiten angesichts der Fülle des Stoffs und der Komplexität des Themas entweder nur eine erste Einführung in den Gegenstand bieten kann oder aber diese Fülle und Komplexität einem ganz bestimmten Leitgedanken unterordnen muss. Die zuletzt genannte Möglichkeit hat zwar durchaus ihren Reiz und ihre Berechtigung, doch wird ein Buch dieser Art vor allem denen nützen, die bereits mit den Quellen und den unterschiedlichen Möglichkeiten ihrer Deutung vertraut sind und so die Plausibilität der vorliegenden Darstellung im Vergleich zu anderen Entwürfen abschätzen können. Der Verfasser wendet sich demgegenüber in erster Linie an Leserinnen und Leser, die sich dem Gegenstand gleichsam von außen nähern, nicht schon viele andere Bücher zu diesem Thema gelesen haben und von einer einbändigen Darstellung der gesamten Religionsgeschichte nicht so sehr geistreiche Zuspitzung und gewagte Originalität als vielmehr Ausgewogenheit und Zuverlässigkeit erwarten.
Das Buch nimmt seinen Ausgangspunkt bei einem im Alltag weithin üblichen, doch nur selten kritisch reflektierten Sprachgebrauch, demzufolge man von «Religion» (in der Einzahl) und «Religionen» (in der Mehrzahl) reden kann. Dieser Sprachgebrauch beruht auf der zumeist stillschweigend vorausgesetzten Annahme, dass das, was bei uns heute «Religion» heißt, unter anderen Bezeichnungen auch in anderen Zeiten und Räumen zu finden sei, dass man also bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen, Lebensformen, ethische Normen, Kulturschöpfungen sowie individuelle und kollektive Handlungen deshalb «religiös» nennen könne, weil wir es gewohnt sind, vergleichbare – oder besser: uns vergleichbar erscheinende – Phänomene unserer eigenen Kultur so zu bezeichnen. Die Plausibilität oder Tragfähigkeit dieser Auffassung soll hier nicht grundsätzlich in Abrede gestellt werden. Ein wesentliches Anliegen des Buchs besteht gleichwohl darin, diesen landläufigen Sprachgebrauch und die ihm zugrunde liegenden Vorstellungen anhand ausgewählter Beispiele immer wieder zu erörtern, zu präzisieren und mitunter kritisch in Frage zu stellen. Zum einen soll der Leser dadurch eine Vorstellung davon bekommen, welche häufig wiederkehrenden und also mutmaßlich grundlegenden Funktionen «der» Religion (Einzahl) – und das heißt eben in der Regel: der einzelnen von uns so genannten «Religionen» (Mehrzahl) – in Vergangenheit und Gegenwart nachweisbar sind. Zum anderen soll das Buch aber auch deutlich machen, dass «Religion» ganz unterschiedliche Formen annehmen kann, dass also die historisch greifbaren Religionen längst nicht immer und überall viele oder gar sämtliche Züge aufweisen, die dem Leser aus den ihm bereits bekannten Religionen vertraut sind.
Im Unterschied zu vergleichbaren Darstellungen steht in vorliegendem Buch nicht jeweils eine Religion im Mittelpunkt der einzelnen Kapitel. Vielmehr geht es in den 25 Kapiteln jeweils um bestimmte Phänomene und religionsgeschichtliche Entwicklungen, die für die betreffende Epoche charakteristisch sind und die vielfach über ihre eigene Zeit hinaus weitreichende Folgen gehabt haben. Sie werden anhand einiger charakteristischer Beispiele aus verschiedenen Religionen veranschaulicht, wobei immer wieder auch kurze Ausblicke auf die weitere Geschichte dieser Phänomene und Entwicklungen gegeben werden.
Weit verbreitet ist das Interesse an Ähnlichkeiten zwischen räumlich wie zeitlich weit voneinander entfernten Religionen. Solche Übereinstimmungen gelten mitunter als Ausdruck «richtiger» oder doch allgemein menschlicher und darum besonders wertvoller Einsichten. Im Hinblick darauf besteht ein wesentliches Anliegen dieses Buches darin, durch eine möglichst präzise Darstellung der betreffenden Sachverhalte in ihren geschichtlichen Zusammenhängen reale von nur scheinbaren Ähnlichkeiten zu unterscheiden. Wichtig sind dafür zum einen Vorsicht und Zurückhaltung bei der Übertragung vertrauter Begriffe auf fremde oder vergangene Kulturen, zum anderen eine angemessene Berücksichtigung der Eigenbegrifflichkeit fremder Religionen. Letztere konnte im Hinblick auf den geringen Umfang des Buches und den Anspruch der Allgemeinverständlichkeit zwar nicht in jedem Fall dargestellt und erläutert werden, kommt aber zumindest in ausgewählten Beispielen immer wieder zur Sprache.
Die Darstellung der religionsgeschichtlichen Fakten soll in möglichst allen Teilen den gegenwärtigen Stand der Forschung widerspiegeln. Dass ein einzelner Verfasser aber weder alle Quellen noch die wissenschaftliche Literatur auf diesem weiten Feld beherrschen oder auch nur vollständig überblicken kann, wird wohl niemanden überraschen. Immerhin hofft der Verfasser, dass er sich durch die wissenschaftliche Beschäftigung mit einzelnen Teilgebieten der Religionsgeschichte sowohl die erforderliche Vorsicht im Umgang mit den Quellen und der Sekundärliteratur als auch die Fähigkeit zu einer kritischen Beurteilung der Rezeptions- und Forschungsgeschichte anderer, ihm weniger vertrauter Bereiche erworben hat. Diese – oft faszinierende – Rezeptions- und Forschungsgeschichte wird in diesem Buch zwar nicht um ihrer selbst willen thematisiert, doch kommt sie in ausgewählten Beispielen wenigstens kurz zur Sprache, damit der Leser einen Einblick in die historische Bedingtheit – und das heißt auch: die Relativität und Vorläufigkeit – jedes und damit auch des gegenwärtigen Erkenntnisstandes erhält.
Die wichtigste Grundlage der Darstellung bilden naturgemäß Texte, die wie keine andere Quelle der historischen Erkenntnis den unmittelbaren Zugang zu religiösen Vorstellungen eröffnen. Gleichwohl soll die Darstellung keine «Geschichte der religiösen Ideen» sein, sondern die gesamte Lebenswirklichkeit der Religionen in all ihren kulturellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen im Auge behalten. Dass die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Religion, Politik, Ökonomie, Sozialstruktur, Literatur, Musik und Kunst immer nur in Ausschnitten erfasst werden konnten, liegt auf der Hand, doch sollen wechselnde Schwerpunkte zumindest einen Eindruck von der Bandbreite dieser Verflechtungen vermitteln. In geographischer und chronologischer Hinsicht liegt ein gewisser Schwerpunkt auf der Religionsgeschichte Europas und des Vorderen Orients, ferner auf den mitunter so genannten Hoch- oder Weltreligionen Asiens. Daneben sollten jedoch auch die indigenen Religionen Afrikas, Amerikas und Eurasiens Berücksichtigung finden und über der Betrachtung der noch heute lebendigen Traditionen auch weniger bekannte untergegangene Religionen nicht vergessen werden.
Die Anmerkungen und das Literaturverzeichnis dienen in erster Linie dazu, wissenschaftlich interessierten Benutzern die Quellen der Darstellung offenzulegen und gleichzeitig Hinweise auf Möglichkeiten einer weiterführenden und vertiefenden Beschäftigung mit dem Thema bereitzustellen. Dabei bringt es die Weite des Gegenstands mit sich, dass hier nur eine kleine Auswahl aus der Überfülle gedruckter oder online verfügbarer Texte geboten werden kann. Grundsätzlich beschränken sich die Literaturhinweise auf selbständig erschienene Publikationen in deutscher, englischer und französischer Sprache. Bevorzugt angegeben werden – im Hinblick auf den einführenden Charakter des Buches – Handbücher sowie Überblicks- und Gesamtdarstellungen, während Spezialuntersuchungen zu Einzelfragen nur in einer kleinen exemplarischen Auswahl berücksichtigt sind. Um die Anmerkungen und das Literaturverzeichnis überschaubar zu halten, beziehen sich die Hinweise zumeist auf die jeweils neuesten mir bekannten Monographien, die ihrerseits weiterführende Quellen- und Literaturhinweise bieten. Auf die oft überaus nützlichen Überblicksartikel in den großen religionsgeschichtlichen Nachschlagewerken (Religion in Geschichte und Gegenwart, Reallexikon für Antike und Christentum usw.) sei hier ausdrücklich hingewiesen, auch wenn sie im Folgenden nicht einzeln angeführt sind. Dass mancher Leser auch viele grundlegende und zum Teil klassisch gewordene ältere Darstellungen vermissen wird, liegt vor allem daran, dass man über die Beschäftigung mit der jeweils neuesten Literatur ohnehin auf sie stößt. Da Ausgangspunkt, Inhalt, Umfang, Aufbau und Zielsetzung vieler im Literaturverzeichnis angeführter Werke keineswegs bereits aus dem Titel ersichtlich sind, findet man in den Anmerkungen immer wieder knappe Erläuterungen dazu.
Mit Recht erwartet der Leser von einer Darstellung wie der folgenden, dass der Verfasser alle Religionen in gleicher Weise aus einer neutralen Außenperspektive schildert und Werturteile vermeidet. Dass er seine eigene kulturelle Prägung nicht völlig verleugnen kann, wird gleichwohl niemanden überraschen. Die Selbstverständlichkeit, mit der viele frühe Religionshistoriker die Überlegenheit der eigenen Kultur über alle anderen teils stillschweigend voraussetzten, teils lautstark proklamierten, mag manchen heutigen Leser überraschen, ärgern oder abstoßen. Trotzdem gilt bei allem Streben nach Objektivität und Sachlichkeit aber auch heute noch, dass schon der Entschluss zum Schreiben sowie die Auswahl und Gewichtung des Stoffs eine Vielzahl letztlich subjektiver Entscheidungen nach sich ziehen und völlige Neutralität unmöglich machen. Die Wissenschaftlichkeit der Darstellung muss sich daher in erster Linie daran messen lassen, wie genau sie die heute bekannten, in zahllosen Einzeluntersuchungen ermittelten und immer wieder kritisch reflektierten empirischen Daten der allgemeinen Religionsgeschichte widerspiegelt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich eine zusammenfassende Darstellung immer nur auf dem schmalen Grat zwischen unvermeidlicher und unzulässiger Vereinfachung bewegen kann. Über viele Einzelheiten, die hier mit wenigen Sätzen abgehandelt werden, sind ganze Bücher geschrieben worden. Auch hier gilt letzten Endes: Zeichnen heißt weglassen.
Wer für eine Geschichte der Religionen Abbildungen zur Veranschaulichung des Textes sucht, kann auf einen reichen Schatz imposanter Denkmäler und Kunstwerke zurückgreifen. Die Verwendung erlesener Materialien, beeindruckende Kunstfertigkeit und eine oft gewaltige Arbeitsleistung zeugen von der zentralen Bedeutung, die Kult und Religion im Leben der Menschen von der Steinzeit bis heute spielten. Doch die Religionsgeschichte besteht nicht nur aus Leistung, Glanz und Pracht, und daher zeigen die Illustrationen des vorliegenden Buches vor allem die Menschen, die den Gang dieser Geschichte bestimmten. Auf vielen Abbildungen sind historische Persönlichkeiten zu sehen, von denen sich die Nachwelt allerdings oft ein ganz anderes Bild machte, als es der Religionshistoriker zeichnet. Gedacht sei hier aber auch der vielen Namenlosen, die nur im Hintergrund, am Rand oder gar nicht auf solchen Bildern erscheinen, «denn die Zunahme des Guten in der Welt beruht auch auf Handlungen, die nicht zur großen Geschichte gehören, und dass unsere Lage nicht so schlimm ist, wie sie hätte sein können, liegt zu einem guten Teil an denen, die treulich ein verborgenes Leben führten und nun in Gräbern ruhen, die keiner besucht».[1]
Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle dem fachkundigen Lektor des Verlags C. H. Beck, Herrn Dr. Ulrich Nolte, der das Projekt einer Weltgeschichte der Religionen initiiert, über etliche Jahre hinweg geduldig begleitet und mit konstruktiver Kritik und vielfältigen Anregungen wesentlich gefördert hat.
Bernhard Maier
ERSTER TEIL
Nach unserem derzeitigen Kenntnisstand begann die Entwicklung der Gattung Mensch (Homo) in einem Zeitraum zwischen zwei und drei Millionen Jahren vor der Gegenwart. Über das Alter der frühesten Spuren menschlicher Religiosität (des Homo sapiens und des Homo neanderthalensis) gehen die Meinungen der Archäologen und Anthropologen zwar nach wie vor auseinander, doch dürften sie schwerlich weiter als 40.000–80.000 Jahre vor der Gegenwart zurückreichen. Lässt man nun die Stammesgeschichte des Menschen vor 2,5 Millionen Jahren anfangen und veranschaulicht sie in der Form eines Kalenders mit 365 Tagen, so beginnt die Weltgeschichte der Religionen (einschließlich der schriftlosen Frühzeit) erst in den letzten Wochen des Jahres. Beschränken wir uns auf die Religionsgeschichte im eigentlichen Sinn dieses Wortes, also auf den Zeitraum seit dem Einsetzen schriftlicher Quellen, dann setzt sie sogar erst am letzten Tag dieses Menschheitsjahres ein. Betrachtet man die Geschichte der Gattung Mensch gar als bislang letzten Abschnitt in einer sehr viel längeren Geschichte des Lebens auf unserem Planeten und vergegenwärtigt man sich diesen Zeitraum auch wieder im Bild eines einzigen Jahres, so entspricht die Dauer der Weltgeschichte der Religionen innerhalb dieses größeren Rahmens gerade einmal der eines mitternächtlichen Feuerwerks. Was jedoch vordergründig wie eine kurze Episode in der Geschichte des Lebens erscheinen könnte, erweist sich bei näherem Zusehen als äußerst komplex, in vielen Einzelheiten umstritten und keineswegs einfach zu überschauen.
In wie viele und welche Epochen kann oder sollte man die Weltgeschichte der Religionen einteilen? Vordergründig könnte es so erscheinen, als böte eine einheitliche Aufteilung des gesamten Zeitraums in gleich lange Abschnitte die beste Gewähr für eine angemessene Darstellung dieser Geschichte. Tatsächlich ist dies aber kaum praktikabel, da unsere Kenntnis der gesamten vorgeschichtlichen Epoche insgesamt so lückenhaft und in vielen Einzelheiten so umstritten ist, dass der Religionshistoriker gerade über diese erste und mit großem Abstand längste Epoche am wenigsten anschaulich erzählen kann. Auch bildet das Einsetzen der schriftlichen Überlieferung im frühen dritten Jahrtausend v. Chr. für die weitere Geschichte der Religionen keineswegs eine so tiefgreifende Zäsur, dass man damit eine neue Epoche der Religionsgeschichte beginnen lassen müsste, denn obwohl die Erfindung der Schrift langfristig kaum zu überschätzende Auswirkungen auf den Gang der Religionsgeschichte haben sollte, wirkte sich dies doch erst mit einer gewissen Verzögerung aus, so dass man die ältesten erhaltenen Schriftquellen vielfach auch zur Deutung der vorausgehenden vorgeschichtlichen Epoche mit Gewinn heranziehen kann. Vieles spricht dafür, dass sich tiefgreifende strukturelle Veränderungen in der Religionsgeschichte erst in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung vollzogen, so dass es sich anbietet, den Zeitraum von den mutmaßlich ältesten Spuren menschlicher Religiosität bis zum Ende der altorientalischen Großreiche als eine Einheit zusammenzufassen.[1] Vor einer näheren Betrachtung der religiösen Erscheinungen und Entwicklungen in dieser ersten Epoche der Religionsgeschichte erscheint es jedoch sinnvoll, sich zunächst einige zeitliche und räumliche Differenzierungen zu vergegenwärtigen.[2]
Eine erste, gleichsam provisorische Gliederung der gesamten Frühzeit vor der Entstehung der ältesten Schriftkulturen ermöglicht das im neunzehnten Jahrhundert entwickelte Dreiperiodensystem. Es gliedert die Frühzeit ausgehend von dem jeweils vorherrschenden Werkstoff in die fließend ineinander übergehenden Perioden der Stein-, Bronze- und Eisenzeit. Die mutmaßlich ältesten Spuren menschlicher Religiosität sind in der späten Altsteinzeit zu finden.[3] Vergleichsweise unspektakulär erscheint innerhalb der ersten Periode der Übergang von der Altsteinzeit (Paläolithikum) zur Mittelsteinzeit (Mesolithikum), den man üblicherweise an der erstmaligen Herstellung und Verwendung komplexer Werkzeuge aus Holz und Feuerstein, den Anfängen der Sesshaftwerdung und dem ersten Auftreten von Keramik festmacht. Viel einschneidender war dagegen die Einführung des Ackerbaus und der Viehzucht, die den Beginn der Jungsteinzeit (Neolithikum) bezeichnet. Tatsächlich scheinen sich nicht nur die Wirtschafts- und Gesellschaftsformen, sondern auch die religiösen Äußerungen der Jungsteinzeit (und späterer Epochen) von jenen der vorausgegangenen Alt- und Mittelsteinzeit so grundlegend unterschieden zu haben, dass man in der Sesshaftwerdung des Menschen den Beginn einer neuen Epoche der Religionsgeschichte sehen könnte – wären die vorausgehenden Jahrtausende nicht so unzureichend bekannt, dass man sie in einer zusammenfassenden Gesamtdarstellung wie der vorliegenden kaum als eigenständige Epoche würdigen kann.[4]
Im Hinblick auf die darauf folgenden Epochen der Bronze- und Eisenzeit empfiehlt es sich, neben der zeitlichen auch eine räumliche Differenzierung vorzunehmen, denn zum einen breiteten sich die technischen Neuerungen der Metallverarbeitung mitsamt den damit verbundenen gesellschaftlichen und politischen Veränderungen im Alten Orient viel früher aus als in Europa, und zum anderen besitzen wir gerade für Ägypten, das Zweistromland, Syrien-Palästina und Altkleinasien schon für das dritte und zweite Jahrtausend v. Chr. umfangreiche religiöse Texte, während die schriftlichen Quellen der europäischen Religionsgeschichte mit ganz wenigen Ausnahmen erst in den beiden letzten Dritteln des ersten Jahrtausends v. Chr. (und in manchen Regionen Mittel- und Nordeuropas sogar erst sehr viel später) einsetzen.[5]
Im Vorderen Orient hat die Jungsteinzeit mit dem für sie charakteristischen Übergang von der Wirtschaftsweise der umherschweifenden Jäger und Sammler zur sesshaften Lebensweise der in dörflichen Gemeinschaften organisierten frühen Ackerbauer vielleicht schon im zehnten Jahrtausend v. Chr. begonnen. Eine unmittelbare Folge der neuen, auf Haustier- und Vorratshaltung gegründeten Wirtschaftsweise war eine größere Unabhängigkeit von der natürlichen Umgebung, die zu einem deutlichen Bevölkerungswachstum und so zur allmählichen Ausbreitung neolithischer Lebens- und Wirtschaftsformen auch nach Europa führte. Hatten im Paläolithikum noch unterschiedliche Formen des Menschen gleichzeitig und teilweise nebeneinander existiert, so erfolgte die Neolithisierung der Alten Welt nach dem Aussterben des Neandertalers um 25.000 v. Chr. ausschließlich durch den Homo sapiens. Im vierten Jahrtausend v. Chr. begünstigten in Ägypten und Mesopotamien besondere geographische Gegebenheiten, nämlich ausgedehnte, landwirtschaftlich ertragreiche und daher dicht besiedelte Flusstäler, die Entstehung der altorientalischen Hochkulturen mit ihrer arbeitsteiligen Gesellschaft, ihrer monumentalen Architektur, ihrer zentralen Verwaltung und – damit verbunden – der Entwicklung eines Kalenders und der frühesten Schriftsysteme.
Schon um die Mitte des ersten Jahrtausends bezeichnete der griechische Historiker Herodot Ägypten als ein «Geschenk des Nils» (Historien 2,5), denn der 6700 Kilometer lange Strom war nicht nur die wichtigste Verkehrsader des Landes, sondern ermöglichte durch die Ablagerung großer Mengen des fruchtbaren Nilschlamms im Gefolge der alljährlichen Überschwemmungen überhaupt erst den ertragreichen Anbau von Gerste, Emmer und Weizen in dem schon damals regenarmen Klima. Aus der Vereinigung von regionalen Gruppen Vieh züchtender Nomaden und sesshafter Bauern entwickelte sich so um 3000 v. Chr. ein einheitliches Gemeinwesen mit einer hierarchisch gegliederten, arbeitsteiligen Gesellschaft, dem Schriftsystem der Hieroglyphen und einer für diese Kultur charakteristischen Religion.[6] Die rund zweieinhalbtausend Jahre altägyptischer Geschichte – von den ersten Pharaonen zu Beginn des dritten Jahrtausends bis zur Eroberung durch die Perser um die Mitte des ersten Jahrtausends – gliedert man üblicherweise in die vier großen Epochen des Alten, Mittleren und Neuen Reichs sowie der Spätzeit.
Das Alte Reich, das durch eine monumentale Steinarchitektur, lebensgroße Steinplastiken und die ältesten schriftlichen Aufzeichnungen gekennzeichnet ist, umfasst fast das gesamte dritte Jahrtausend. An seiner Spitze stand ein gottgleicher König. In den idealisierenden Biographien der königlichen Beamten, die uns auf den Wänden ihrer Grabkammern bis heute erhalten geblieben sind, hören wir von Feldzügen gegen Nubier und Libyer, Steinbruch-Expeditionen in die gebirgige Wüste zwischen Nil und Rotem Meer und einem regen Schiffsverkehr zwischen Ägypten, Syrien und dem Libanon.[7] Als bis heute geläufiges Sinnbild königlicher Macht entstanden um die Mitte des dritten Jahrtausends unter den Pharaonen Cheops, Chephren und Mykerinos die großen Pyramiden von Giseh, darunter als höchstes Bauwerk der Antike die aus 2,3 Millionen Kalksteinblöcken erbaute, 146 Meter hohe Cheops-Pyramide.
Auf das Alte Reich folgte eine Zeit des Rückgangs der königlichen Zentralgewalt und wachsenden Autonomie der einzelnen Landesteile, in denen örtliche Machthaber königliche Privilegien beanspruchten und in lokalen Machtzentren eigene Dynastien bildeten. Erst in den letzten Jahrzehnten des dritten Jahrtausends gelang die Wiederherstellung der Einheit des Landes, mit der als zweite große Blütezeit der altägyptischen Kultur die Epoche des Mittleren Reichs begann. In enger Zusammenarbeit mit den nach wie vor mächtigen Lokalherrschern betrieben die Pharaonen nun die Festigung der ägyptischen Grenzen im Nordwesten und Nordosten sowie die wirtschaftliche Ausbeutung Nubiens und des Sinaigebiets. Wesentlich verstärkt wurden die Beziehungen zwischen Ägypten und Vorderasien im siebzehnten Jahrhundert, als westsemitische Einwanderer aus Vorderasien ins Nildelta eindrangen, dort vorübergehend die Herrschaft an sich rissen und so erneut den Niedergang der Zentralgewalt einleiteten. Erst um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts wurde Ägypten erneut unter einer einzigen Zentralgewalt vereint und so das Neue Reich begründet. In den rund siebenhundert Jahren seines Bestehens erreichte Ägypten den Höhepunkt seiner Machtentfaltung, indem Pharao Thutmosis III. in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts mit seinem Heer über den Euphrat bis zum Orontes vorstieß und erstmals Syrien unter ägyptische Oberhoheit brachte. In den folgenden Jahrhunderten setzte jedoch trotz einer ausgedehnten internationalen Diplomatie und Heiratspolitik der außenpolitische Niedergang des Neuen Reiches ein, das im zwölften Jahrhundert durch die Angriffe der von den Ägyptern so genannten «Seevölker» auf das Nildelta zusätzlich erschüttert wurde. Nachdem Ägypten schon im siebten Jahrhundert vorübergehend zu einer Provinz des Assyrischen Reiches geworden war, wurde es um 525 v. Chr. von den Persern erobert, deren Könige das Land bis zum Aufstieg Alexanders des Großen in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts beherrschten.
Ungefähr zur gleichen Zeit, als in Ägypten das Alte Reich entstand, entwickelte sich auch im Zweistromland, in den Flussebenen des Euphrat und des Tigris, die zweite große Schriftkultur der Alten Welt.[8] Als Schöpfer der dort verwendeten Keilschrift gelten die nach einer babylonischen Landschaftsbezeichnung heute so genannten Sumerer, die als Erste in größerem Umfang reine Bildzeichen auch zur Schreibung einzelner Wörter und Silben verwendeten. Von den Sumerern übernahmen diese Erfindung zunächst die ebenfalls im Zweistromland ansässigen Akkader, später auch andere Völker Vorderasiens wie die Hethiter und Hurriter. Anders als in Ägypten gab es in der zweieinhalbtausendjährigen Geschichte Mesopotamiens von den Anfängen bis zur Eroberung des Landes durch Alexander den Großen immer wieder Konflikte zwischen rivalisierenden Gruppierungen. Menschen aus anderen Gegenden wanderten ein, so dass sich unterschiedliche kulturelle Traditionen herausbildeten und sich Machtschwerpunkte häufiger verlagerten.
In die beiden ersten Drittel des dritten Jahrtausends fällt die erste Blütezeit der frühen sumerischen Stadtstaaten, in denen der Tempel eine zentrale Rolle spielte und deren Fürsten politische und religiöse Funktionen in ihrer Person vereinigten. Als erstes Großreich entstand im letzten Drittel des dritten Jahrtausends das Reich von Akkad, das allerdings schon drei Generationen nach dem Tod des Reichsgründers Sargon wieder zerfiel, was zu einem neuerlichen Machtzuwachs einiger sumerisch geprägter Stadtstaaten wie Ur und Isin sowie zu einer Rückbesinnung auf sumerische Kulturtraditionen führte.
Mit dem Beginn des zweiten Jahrtausends gewannen semitischsprachige Bevölkerungsteile zunehmend an Macht und Einfluss, wodurch das Sumerische als gesprochene Sprache schließlich vollständig verdrängt und durch das heute so genannte Akkadische ersetzt wurde. Am oberen Tigris entwickelte sich nun das Reich der Assyrer mit seiner nach dem Reichsgott benannten Hauptstadt Assur, das als Alt-, Mittel- und Neuassyrisches Reich in wechselnder Ausdehnung und Machtfülle bis zum späten sechsten Jahrhundert Bestand haben sollte. Sein südlicher Rivale war das nach seiner Hauptstadt Babylon so genannte Babylonische Reich, das in wechselnden Bündniskonstellationen und mit schwankender territorialer Ausdehnung das Assyrische Reich sogar noch überdauerte und erst 539 v. Chr. mit der Eroberung durch die Perser sein Ende fand.
Zwischen dem oberen Euphrat und Tigris etablierte sich um die Mitte des zweiten Jahrtausends außerdem das Reich der Hurriter. Wie die keilschriftlich überlieferten Eigennamen aus jener Region vermuten lassen, bildeten darin die schon seit dem Ende des dritten Jahrtausends bezeugten Hurriter die Bevölkerungsmehrheit, doch bestand die Führungsschicht allem Anschein nach aus Angehörigen einer später zugewanderten Minderheit, die eine indoeuropäische Sprache verwendete.
Die Hochebene östlich des Zweistromlands ist für die Religionsgeschichte des Altertums von weitreichender Bedeutung und spielte auch als Brücke zwischen den Hochkulturen Vorderasiens und dem Indischen Subkontinent eine herausragende Rolle.[9] Hier – wenn auch nicht notwendigerweise auf dem Gebiet des modernen Staates Iran – liegt die Heimat des nach Zarathustra (griechisch Zōroástrēs) benannten Zoroastrismus, dessen Anfänge wohl bis ins zweite Jahrtausend zurückreichen, der in vielen Zügen jedoch erst aus viel späterer Zeit bekannt ist. In der modernen Forschung hat man dem Zoroastrismus vor allem wegen seiner möglichen Bedeutung für die Entstehung des Monotheismus und wegen seiner Rolle bei der Entstehung des Judentums im Rahmen des Persischen Reichs viel Aufmerksamkeit gewidmet.
Schon im frühen dritten Jahrtausend entstand im Südwesten Irans das von seinen akkadischen Nachbarn so genannte Reich Elam, das bis zu seiner Eroberung durch die Assyrer im siebten Jahrhundert Bestand hatte und dessen Landessprache, das mit keiner anderen Sprache erkennbar verwandte Elamische, noch im Perserreich der darauf folgenden Jahrhunderte eine wichtige Rolle spielte.[10] Dagegen erscheinen die Völker, die später von ihren griechischen Nachbarn Meder und Perser genannt wurden und ebenso wie Zarathustra eine altiranische Sprache verwendeten, erstmals in Quellen des frühen ersten Jahrtausends. Die Meder waren maßgeblich an der Vernichtung des Assyrischen Reiches im späten siebten Jahrhundert beteiligt, gingen aber schon bald nach der Mitte des sechsten Jahrhunderts im Perserreich auf, das in der Folge auch das Babylonische und das Ägyptische Reich unterwarf und als das letzte und flächenmäßig bedeutendste altorientalische Großreich erst um 330 v. Chr. mit der Eroberung durch Alexander den Großen sein Ende finden sollte.
Ähnlich wie Iran bildete auch Kleinasien im Nordwesten des Zweistromlands eine Brücke, in diesem Fall zwischen den frühen Hochkulturen Mesopotamiens und dem Mittelmeerraum.[11] Vermutlich schon in der zweiten Hälfte des dritten Jahrtausends v. Chr. wanderten die ersten Gruppen von Sprechern einer indoeuropäischen Sprache wohl aus Regionen nördlich des Schwarzen Meeres nach Kleinasien ein. Dort verbanden sie sich mit den Hattiern, den Trägern einer bodenständigen bronzezeitlichen Kultur, die dem heute so genannten Reich der Hethiter ihren Namen gaben. Aus dem ersten Viertel des zweiten Jahrtausends kennt man durch schriftliche Aufzeichnungen und archäologische Ausgrabungen eine Reihe konkurrierender Stadtstaaten, die von planmäßig angelegten ummauerten Zentren aus regiert wurden. Einer der größten und bedeutendsten dieser Staaten war Nesa, das heutige Kültepe, nach dem die Hethiter ihre Sprache, die nur von uns «Hethitisch» genannt wird, als «die von Nesa» bezeichneten. «Die von Hatti» nannten die Hethiter dagegen die nichtindoeuropäische Sprache der alteingesessenen Hattier, deren Eigenbezeichnung man auch in dem Namen des städtischen Zentrums Hattusa, des heutigen Bogazköy nordwestlich von Nesa, wiederfindet. Eine andere indoeuropäische Sprache Altkleinasiens war das mit dem Hethitischen eng verwandte Luwische.
Noch in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends wurde das Reich der Hethiter zu einer international gefürchteten Großmacht, die ihren Herrschaftsanspruch zeitweise bis nach Syrien-Palästina und Mesopotamien ausweitete. Warum das Hethitische Großreich bald nach 1200 sein Ende fand, ist bis heute ungeklärt. Soziale Unruhen, Versorgungskrisen und eine Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse in Verbindung mit der Zuwanderung neuer Völker im Mittelmeerraum, wie man sie auch in Ägypten nachweisen kann, mögen wesentlich zu seinem politischen Zusammenbruch beigetragen haben. Wenn an einigen Stellen der Hebräischen Bibel vom Land des Volkes der Hittim und von dessen Stammvater Het als einem Sohn des Noah-Enkels Kanaan die Rede ist (vgl. etwa Genesis 10,15 und Josua 1,4), so beziehen sich diese Mitteilungen nicht mehr auf die vom anatolischen Hattusa aus regierte Großmacht des zweiten Jahrtausends v. Chr., sondern auf einige in Nordsyrien gelegene Nachfolgestaaten, die im Laufe des achten Jahrhunderts infolge der Ausdehnung des Neuassyrischen Reichs endgültig untergingen.[12]
Eine religionshistorisch bedeutende Brücke zwischen Ägypten, Mesopotamien und Altkleinasien war auch die Region Syrien-Palästina, also das Kulturland am Ostufer des Mittelmeeres.[13] Hier reichen die ältesten Siedlungsspuren – etwa in Jericho – bis ins zehnte Jahrtausend zurück, doch datieren die ältesten schriftlichen Quellen der Religionsgeschichte erst aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends. Herausragende Bedeutung kommt dabei den Texten in einer westsemitischen Sprache zu, die 1928 in dem um 1200 zerstörten Ugarit, dem heutigen Ras Schamra in Syrien, gefunden wurden. Neben Wirtschaftstexten, Briefen und Verträgen fand man Götterlisten, Texte zur Vorzeichendeutung, Mythen um den Wettergott Baal sowie Epen um die Könige Keret und Aqhat, die wegen ihrer zeitlichen und räumlichen Nähe zur frühen Religion Israels in der Forschung große Aufmerksamkeit erregt haben.[14] Aus dem ersten Jahrtausend kennt man – vor allem durch archäologische Funde und vergleichsweise wenige Inschriften – die Religionen der Phöniker und Aramäer, die ebenso wie die Bewohner Ugarits eine westsemitische Sprache verwendeten. Von überragender Bedeutung für die Religionsgeschichte Syrien-Palästinas im ersten Jahrtausend ist schließlich die Hebräische Bibel, deren vorliterarische Anfänge noch ins zweite Jahrtausend v. Chr. zurückreichen, deren Redaktion jedoch erst in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung ihren Abschluss fand.
Im Vergleich zum Alten Orient ist die Quellenlage für die frühe Religionsgeschichte Europas sehr uneinheitlich. Außerhalb des Mittelmeerraums sind wir bis zu den Anfängen der Romanisierung – und außerhalb der Grenzen des Römischen Reichs oftmals noch lange darüber hinaus – fast ausschließlich auf archäologische Funde angewiesen, während schriftliche religiöse Quellen fast vollständig fehlen.[15] Letztere stammen in der Frühzeit vor allem aus dem Kulturraum der frühen Griechen. Hier datieren die ältesten Schriftquellen bereits aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends, und aus den beiden letzten Dritteln des ersten Jahrtausends ist eine Fülle von Informationen über die Kulte, Riten und Mythen jener Zeit erhalten.[16] An erster Stelle stehen dabei die beiden Epen Ilias und Odyssee, die man im Altertum ebenso wie eine Reihe von Götterhymnen (und einige andere Werke) dem Dichter Homer zuschrieb, ferner die als Theogonie bekannte religiöse Dichtung des Epikers Hesiod, von denen schon der Historiker Herodot im fünften Jahrhundert v. Chr. annahm, dass sie auf die religiösen Vorstellungen der Griechen einen überragenden Einfluss ausübten (Historien 2,53).
Ein aus zahlreichen Abenteuergeschichten und -filmen bekanntes Motiv ist der «Elefantenfriedhof» – ein Ort, der sterbende Elefanten auf eine geheimnisvolle Weise anzieht und so dem, der ihn findet, durch die Ansammlung gewaltiger Mengen Elfenbein zu unerhörtem Reichtum verhilft. Wie man heute weiß, handelt es sich dabei um einen modernen Mythos, vielleicht verursacht von der Beobachtung, dass altersschwache Elefanten in der Tat bestimmte Orte mit einer für sie besonders geeigneten und leicht erreichbaren Vegetation bevorzugen und dann auch oft dort verenden. Ihren besonderen Reiz erhält die Geschichte dadurch, dass Friedhöfe dem modernen Menschen sonst als primär religiös motiviert und daher als zutiefst menschlich und der Tierwelt völlig fremd erscheinen. Doch sind Bestattungen in gleich welcher Form wirklich die frühesten Zeugnisse von Religion?[17]
Abb. 1 Jungsteinzeitliches Hockergrab aus Rössen in Thüringen, fünftes Jahrtausend v. Chr.