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Hermann Parzinger

DIE SKYTHEN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Die Skythen, so schrieb Herodot im 5. Jahrhundert v. Chr., waren allen anderen Völkern in einer bestimmten Kunst überlegen. Diese bestand darin, daß keiner, den sie verfolgten, ihnen entkommen und keiner sie einholen konnte, wenn sie sich nicht einholen lassen wollten. Dem Vater der Geschichtsschreibung schien jenes Volk gar unüberwindlich: Bauten die Skythen doch weder Städte noch Befestigungsanlagen, sondern lebten vielmehr auf Wagen, führten also ihre Häuser mit sich, schreckten ihre Feinde mit einem Pfeilhagel, den sie ihnen vom Rücken ihrer Pferde entgegensandten, und betrieben keinen Ackerbau, sondern lebten von Viehzucht.

Jene schriftlosen Reiternomaden, die sich im Laufe des 1. Jahrtausends v. Chr. in Südrußland, Vorderasien und bis in den Donauraum hinein zu einer geschichtsmächtigen Kraft entwickelten, ehe sie in hellenistischer Zeit wieder verdrängt wurden, haben bis heute nichts von ihrer Faszinationskraft verloren. Dank intensiver Erforschung ihres reichen archäologischen Erbes, aber auch der vorhandenen antiken Schriftquellen ist es Hermann Parzinger möglich gewesen, in diesem Band ein lebendiges, facettenreiches Bild ihrer Geschichte und Kultur zu entwerfen.

Über den Autor

Professor Hermann Parzinger, Träger des Leibnizpreises, ist Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Er hat sich intensiv der archäologischen Erforschung antiker Reiternomadenvölker, insbesondere der Skythen, gewidmet und zahlreiche einschlägige Publikationen zu diesem Themenkreis vorgelegt. Im Verlag C.H.Beck sind von ihm ferner lieferbar: Die frühen Völker Eurasiens. Vom Neolitihikum bis zum Mittelalter (22011, Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung) und Die Kinder des Prometheus. Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift (42015).

Für Jimena

Inhalt

Einführung

Die Aussagen der antiken Geschichtsschreibung

Die Skythen im Nordschwarzmeerraum

Die Skythen im Vorderen Orient

Völker und Kulturen der Skythenzeit in Sibirien

Die Schriftquellen und die Ursprungsgebiete der Skythen

Im Herzen Asiens: Tuva und das Minusinsker Becken

Im Eis der Hochgebirge: Die Pazyryk-Kultur in Berg-Altai

Zwischen Steppen und Oasen: Die Saken Mittelasiens

Sauromaten und frühe Sarmaten an Ural und unterer Wolga

Die Skythen im Nordschwarzmeerraum

Land und Leute

Lebens- und Wirtschaftsweise

Gesellschaftsordnung

Religion, Mythen und Gebräuche

Totenkult und Grabbau

Die Skythen vor den Toren Mitteleuropas

 

Literaturauswahl

Abbildungsnachweis

Register

Einführung

Seit bald 300 Jahren werden Grabhügel (‹Kurgane›) der Skythen und mit ihnen gleichzeitiger sowie kulturell eng verwandter Reiternomadenstämme zwischen Jenissei im Osten und mittlerer Donau im Westen ausgegraben. Die ersten Funde machten altertumsinteressierte Laien und Universalgelehrte, seit dem späten 19. Jh. aber auch ausgebildete Archäologen, die ihre Geländearbeiten bei stetig fortschreitender Verbesserung der Ausgrabungs- und Auswertungsmethoden durchführen. Reich verzierte Goldobjekte oder tätowierte Mumien lenkten schon früh die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ein frühgeschichtliches Volk, das erstmals wie kaum ein anderes Europa und Asien in einer gemeinsamen Geschichte zu verbinden scheint und dadurch wahrhaft eurasische Dimension erlangt. Mit dem Beginn der Skythenzeit verbinden sich tiefgreifende Veränderungen der Lebens- und Wirtschaftsweise, der Gesellschaftsstruktur, der Kunst und der materiellen Kultur gegenüber den älteren Perioden dieses Raumes, die sich zunächst im ausgehenden 9. Jh. v. Chr. ganz im Osten der eurasischen Steppe, in Südsibirien und an der Peripherie Nordchinas vollziehen und sich anschließend etappenweise nach Westen bis in das Karpatenbecken und nach Schlesien ausbreiten, dabei jedoch weitgehend an den eurasischen Steppengürtel gebunden bleiben. Im frühen 7. Jh. v. Chr. leben Skythen im Nordschwarzmeerraum, wenige Jahrzehnte später erreichen sie dann auch die westlichsten Teile ihres Verbreitungsgebietes. Im Verlaufe des 3. Jh. v. Chr. werden sie von neuen Gruppen, zu denen Hunnen und Sarmaten gehören, verdrängt, und ihre Kultur wird überlagert. Seit dem 2. Jh. v. Chr. sind die Skythen – kleine Restgruppen auf der südlichen Halbinsel Krim ausgenommen – aus der Geschichte verschwunden.

An der nördlichen Schwarzmeerküste begegnen ihnen die Griechen, die dort ab dem frühen 7. Jh. v. Chr. Handelsniederlassungen und Kolonien gründen. Die Griechen schreiben über dieses ihnen ob seiner Gebräuche seltsam erscheinende Volk der Skythen, wobei ihre Berichte teils unmittelbar (Herodot), teils durch jüngere Autoren römischer Zeit überliefert werden. Wir erhalten dadurch Informationen über die Skythen, die mit ausschließlich archäologischen Methoden nicht zu erfahren wären. Dies macht es um so attraktiver, geschichtliche Überlieferung und Ausgrabungsfunde einander gegenüberzustellen und zu vergleichen – eine Aufgabe, der sich jede Gesamtdarstellung der ‹Skythen› widmen muß, und sei der ihr zugemessene Rahmen auch noch so eng.

Die Suche nach den Ursprüngen der ‹Skythen› führt dabei unweigerlich weit nach Osten, bis Mittelasien, Südsibirien und an die nördliche Peripherie Chinas, wo wir allein auf archäologische Quellen angewiesen bleiben, die inzwischen aber immer deutlicher zeigen, wie das, was wir weiter westlich als ‹skythische Kultur› bezeichnen, entstanden ist.

Die Aussagen der antiken Geschichtsschreibung

Die Skythen im Nordschwarzmeerraum

Der Kontakt der Griechen mit den Bewohnern der Nordschwarzmeersteppen reicht weit vor die Gründung griechischer Kolonien seit dem 7.Jh. v. Chr. zurück. Dies zeigen mythische Überlieferungen, in denen immer wieder auch historische Tatsachen verborgen sind. So berichtet beispielsweise die Argonautensage, wie griechische Helden unter Führung von Iason auf einem Schiff namens ‹Argo› Richtung Kolchis – im äußersten Osten des Schwarzen Meeres gelegen – segeln, um das Goldene Vlies zu holen. Danach flüchten sie, von den Kolchern verfolgt, entlang der nördlichen Schwarzmeerküste. Der historische Kern dieser Sage dürfte in den Fahrten griechischer Händler und Piraten entlang der Küsten des Schwarzen Meeres liegen, die mindestens bis in mykenische Zeit zurückreichten. Viel archäologisch Faßbares ist davon nicht geblieben, doch gerade in der heute in Westgeorgien gelegenen Kolchis stieß man auf sogenannte Rapiere, die typische Schwertform mykenischer Krieger aus dem späteren 2. Jt. v. Chr.

Als erste Nachricht über frühe Reiternomaden im nordpontischen Raum – wenn auch ohne ausdrückliche Nennung der ‹Skythen› – gilt die Ilias des Homer; darin steht sie am Anfang des 13. Gesanges. Dort wird erzählt, wie Zeus den bei Troja kämpfenden Heeren der Griechen und Trojaner den Rücken zuwendet und den Blick nach Norden schweifen läßt, wobei sein Blick von den rossezüchtenden Thrakern im Balkanraum über die kampferprobten Myser an der unteren Donau bis zu den Bewohnern des Steppenraumes nördlich des Schwarzen Meeres reicht, den «Hippemolgen und Galaktophagen», also Stutenmelkern und Milchessern (Ilias XIII 1–6). Was mit diesen Begriffen gemeint ist, wird uns verständlich, wenn wir die Überlieferung des griechischen Geschichtsschreibers Herodot studieren, der seine Aufzeichnungen im 5. Jh. v. Chr. verfaßt hat. Er bringt den Vorgang des Stutenmelkens ausdrücklich mit den Skythen in Verbindung, wenn er schreibt: Während die Stuten gemolken werden, bläst man ihnen mit einem Rohr in die Scheide, um das Euter zur Milchabgabe zu reizen. Die Milch wird in Holzgefäßen von geblendeten Sklaven so lange gerührt, bis sich oben eine (Rahm-) Schicht absetzt, die die Skythen für das Bessere halten, während sie all das, was sich darunter befindet, für minderwertig betrachten. Diese obere Milchschicht erscheint ihnen so wertvoll, daß sie – nach Aussage von Herodot – dafür sogar die Sklaven blenden. Wie Herodot selbst den Begründungszusammenhang zwischen Milchprodukten und Blendung der Sklaven sieht, wird nicht recht klar. Wohl wollten die Skythen damit verhindern, daß die Sklaven die obere Rahmschicht auch nur sehen, um sie erst gar nicht in Versuchung zu bringen, diese dann selbst zu verzehren. Wie in anderen Fällen, so scheint Herodot auch bei dieser Geschichte einer legendenumwobenen Überlieferung aufgesessen zu sein.

Während also Herodot das Stutenmelken explizit mit den Skythen in Zusammenhang bringt, werden sie bei Homer nicht genannt. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, weil während der Zeit, in der die homerischen Epen entstanden (vermutlich in der zweiten Hälfte des 8. Jh. v. Chr.), die Skythen noch gar nicht die Herren der Nordschwarzmeersteppen waren. Die ältesten archäologisch nachweisbaren Hinterlassenschaften der Skythen in diesem Gebiet stammen aus der ersten Hälfte des 7. Jh. v. Chr. Wen könnte Homer also gemeint haben? Diese Frage wurde bereits in der Antike kontrovers diskutiert. So gehen Strabon (1. Jh. v. Chr./1. Jh. n. Chr.) und Poseidonios (2./1.Jh. v. Chr.) davon aus, daß Homer die europäischen Skythen im Blick hatte. Eratosthenes (3. Jh. v. Chr.) und Apollodor (2. Jh. v. Chr.) bestreiten dies freilich. Sie vertreten die Auffassung, Homer habe über keine Kenntnis von fernen Ländern verfügt und folglich die Skythen gar nicht erwähnen können. Sicher trifft es zu, daß Homers geographischer Horizont nicht bis zum Nordufer des Schwarzen Meeres reichte, wie überhaupt seine Kenntnisse über den Pontos auffallend gering sind.

Die Epen Homers werden – wie schon erwähnt – in der Regel in die zweite Hälfte des 8. Jh. v. Chr. datiert; die Ilias ist das ältere, die Odyssee das jüngere Werk, wobei der zeitliche Entstehungsabstand zwischen beiden kaum mehr als eine Generation betragen haben dürfte. Gerade zu dieser Zeit treten die Kimmerier in den Gesichtskreis der ionischen Städte an der Westküste Kleinasiens, während sich die Skythen im nordwestlichen Iran aufhalten. Folglich ist es denkbar, daß Homer die Skythen gar nicht kennt und mit seinen «Stutenmelkern» in der Tat die Kimmerier meint, zumal er diese in der Odyssee auch bereits namentlich erwähnt (XI 14). Selbst Strabons Überlieferung bietet für diese Interpretation letztlich gewichtige Argumente, denn ihm zufolge soll der Zug der Kimmerier bis nach Ionien zur Zeit Homers oder kurz zuvor stattgefunden haben (III 2,12). Auch Paulus Orosius (5. Jh. n. Chr.) datiert den verheerenden Einfall der Kimmerier und Amazonen nach Kleinasien 30 Jahre nach der Gründung Roms, die der Legende nach auf 753 v. Chr. datiert wird (Historia adversus paganos I 21,1–2). Ein entscheidender Hinweis zur Identifizierung der Stutenmelker mit den Kimmeriern findet sich im Hymnos des Kallimachos (4./3. Jh. v. Chr.) (III 252 f.), in dem Lygdamis erwähnt wird, der mit dem «Heer der Stutenmelker der Kimmerier» Ephesos angegriffen hat. Homer mußte demnach die Kimmerier kennen, er war ihr Zeitgenosse.

Die früheste ausdrückliche Erwähnung der Skythen in griechischen Quellen verdanken wir Hesiod (8./7. Jh. v. Chr.), der sie ebenfalls als «Stutenmelker» bezeichnet, sie jedoch nicht direkt mit dem Nordschwarzmeerraum in Verbindung bringt.Im 7. Jh. v. Chr. gründeten ionische Griechen von ihren Mutterstädten im Westen Kleinasiens aus erste Kolonien an der nördlichen Schwarzmeerküste. Gesichert ist dies durch Ausgrabungen für Berezan’ bei Olbia, nahe den Mündungen von Südlichem Bug (Hypanis) und Dnepr (Borysthenes) in das Schwarze Meer. Auch Taganrog, weiter östlich am Nordufer des Asovschen Meeres gelegen, könnte eine solche Gründung sein, wie neuere Untersuchungen zeigen. Das Meer spült dort immer wieder frühe ionische Keramik an Land, die auf eine frühe Ansiedlung, wahrscheinlich in der Flachwasserzone unmittelbar vor dem heutigen Ufersaum, schließen läßt. Spätestens seit dieser Zeit unterhalten die Griechen engeren Kontakt mit den Bewohnern des nördlichen Schwarzmeergebietes, und das Interesse von griechischen Siedlern und Kaufleuten an dem neu erworbenen Land und dessen Leuten nimmt zu. Das griechische Blickfeld erweitert sich zum Steppenraum hin. Ein Indiz dafür ist die Tatsache, daß der Philosoph Anaximander von Milet (7./6. Jh. v. Chr.) dessen Randbereich in seine Erdkarte aufnimmt. Auch in der Literatur dieser Zeit finden sich Hinweise auf entsprechende Kulturkontakte. So schreiben gegen Ende des 7. und zu Beginn des 6. Jh. v. Chr. griechische Dichter dieser Epoche über die fernen Gestade des Schwarzen Meeres und das herrliche Binnenland nördlich davon. In einem Vers des Lyrikers Alkaios von Mytilene auf Lesbos ist von der Weißen Insel des Achilleus die Rede, der ein Herrscher Skythiens gewesen sein soll. Der ebenfalls von Lesbos stammende, dann aber in Sparta wirkende Alkman erwähnt in seinen Hymnen einige den Skythen benachbarte Stämme und den Namen Kolaxais, einen ihrer ersten mythischen Könige. Auch bei Sappho stoßen wir vereinzelt auf Mitteilungen über die Skythen.

Das Gedicht des Aristeas von Prokonnesos über die einäugigen Arimaspen ist eine der wichtigsten Quellen über den Ursprung der Skythen. Es erzählt von der Reise des Verfassers zu weit im Osten des Ural-Gebirges ansässigen Stämmen. Bedauerlicherweise sind nur kleine Fragmente dieses Gedichtes erhalten, die von späteren Autoren überliefert werden. Bei Herodot lesen wir, daß Aristeas 240 Jahre vor ihm lebte (IV 15), was ins 7. Jh. v. Chr. weist. Einen weiteren Hinweis liefert Aristeas selbst: So schreibt er, daß er bei der Rückkehr von der Reise seine Heimatstadt Prokonnesos nach dem Kimmeriereinfall in Trümmern vorfindet. Die Züge der Kimmerier nach Kleinasien dürfen jedoch nach Ausweis archäologischer Funde wie schriftlicher Nachrichten spätestens im frühen 7. Jh. v. Chr. erfolgt sein. Dies deckt sich mit der Nachricht Strabons, der zufolge die Kimmeriereinfälle nach Phrygien, Lydien, Mysien und Ionien «in der Zeit Homers» stattfanden (I 2,9; 3,21; III 2,12).

Aristeas erzählt, wie er zu den Issedonen gelangt und von diesen über die sagenhaften einäugigen Arimaspen, die Gold hütenden Greifen und die hinter letzteren wohnenden Hyperboreer erfährt. Unter Hinweis auf Aristeas teilt Herodot mit, daß alle diese Völker, mit Ausnahme der Hyperboreer, ständig Krieg mit ihren Nachbarn führten. Dabei hätten die Arimaspen die Issedonen, diese die Skythen und diese wiederum die «am Südmeer lebenden» Kimmerier vertrieben (IV 13,2). Die Hyperboreer bringt man gerne mit dem Nordmeer (Eismeer) als ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet in Verbindung, das Südmeer wird dagegen mit dem Schwarzen Meer gleichgesetzt, an dessen Nordküste in der Folgezeit die Kimmerier ansässig gewesen seien. Da die Überlieferung des Aristeas von ganz besonderer Bedeutung für die Völkerschaften östlich des Ural-Gebirges ist, werden wir an späterer Stelle noch einmal ausführlicher auf dessen Werk zurückzukommen haben (s.S. 25 ff.).

Die Vorstellung von im Osten lebenden, asiatischen Skythen ist seit alters geläufig. Eine besondere Rolle bei dieser Lokalisierung spielt dabei die Überlieferung des Hekataios von Milet. Nach den erhaltenen Fragmenten seiner Erdbeschreibung aus dem späten 6. bzw. frühen 5. Jh. v. Chr. sind der Kaukasus, das Kaukasusvorland und das Donaugebiet skythisch. Die Grenze zwischen Europa und Asien zieht er am Hypanis (Kuban). In seiner Beschreibung Asiens zählt er eine Reihe von Völkern auf, die im Raum zwischen Hyrkanischem (Kaspischem) Meer und Indien leben, und zwar von Westen nach Osten: Myker (am Araxes), Katanner und Hyrkanier (am Kaspischen Meer), dann die Parther, die Chorasmier, die Baktrier und die Gandarer in Nordindien. Daneben finden sich Hinweise dafür, daß Hekataios die östlichen Skythen als Nachbarn der Inder sieht. Andere Quellen erwähnen die östlichen Skythen im Umfeld von Baktrien und Nordindien; zwar sind diese überwiegend jüngeren Datums, nehmen aber wohl auf ältere Texte Bezug.

Als wichtigste Quelle über die Skythen gilt die Überlieferung Herodots von Halikarnassos (etwa 484–425 v. Chr.), mit dem die griechische Historiographie – wie auch die Geschichtsschreibung überhaupt – beginnt. An verschiedenen Stellen seines Werkes über die Perserkriege, besonders aber in Buch IV im Zusammenhang mit dem Feldzug des Dareios 515/514 v. Chr. nach Skythien, geht er auf die Geographie und die Grenzen dieses Landes, auf den Ursprung der Skythen sowie auf ihre Sitten und Religion ein. Deshalb werden wir im folgenden immer wieder auf ihn zurückkommen. Er beschreibt auch die weiter im Norden und Nordosten ansässigen Völkerschaften und attestiert ihnen eine den Skythen ähnliche Lebensweise, aber auch eine abweichende Sprache, weshalb er ihre Siedlungsräume nicht mehr zu ‹Skythien› im eigentlichen Sinn schlägt. Zudem gibt sein Werk Auskunft über die Frühgeschichte der Skythen, ihren Einfall in das Reich der Kimmerier, die sie nach Vorderasien verfolgen, sowie über ihre Züge im Nahen Osten, die sie gegen Ende des 7. und am Anfang des 6. Jh. v. Chr. bis vor die Tore Ägyptens führen.

Seine Überlieferung bietet viele Hinweise zum Verständnis der Beziehungen zwischen Griechen und Skythen. So erzählt Herodot (IV 33 ff.), daß noch zu seiner Zeit in Weizenstroh gefüllte Opfergaben der im fernen Nordosten vermuteten Hyperboreer alljährlich nach Delos, in das Heiligtum des Apollon und seiner Schwester Artemis, gebracht werden. Dabei ist der Weg dieser Gaben bemerkenswert: Angeblich bringen sie die Hyperboreer nur bis zu den Skythen, die sie dann aber nicht etwa an die griechischen Kolonien an der Nordschwarzmeerküste weitergeben, sondern an die Thraker, einen ihrer Nachbarstämme an der unteren Donau. Von den Thrakern gelangen diese Weihegaben dann bis an die Küste der Adria und weiter in das alte Heiligtum von Dodona in Epirus im heutigen Nordwestgriechenland, um von dort erst den Weg zunächst zu Lande und danach zu Wasser bis Delos zu finden. Herodot beschreibt hier offenbar einen sehr alten Kultweg, der in eine Zeit zurückzureichen scheint, als noch keine griechischen Pflanzstädte (Kolonien) an der nordpontischen Küste existierten. Dies wiederum würde bedeuten, daß die Tradition der Übersendung von Opfergaben aus der nordpontischen Steppe und aus möglicherweise sogar noch weiter entfernteren Gebieten bis nach Delos in die Zeit vor dem 7. Jh. v. Chr. zurückreicht, als sich die Griechen noch nicht an der Nordschwarzmeerküste niedergelassen hatten.

In der Folgezeit werden Skythien und die Skythen immer wieder von verschiedenen Geschichtsschreibern erwähnt, wenngleich diese Werke vielfach verloren oder nur in Bruchstücken überliefert sind und auch dadurch heute kaum mehr an die Bedeutung des Werkes Herodots für eine Rekonstruktion der skythischen Welt heranreichen. So blieb das Werk Skythisches von Hellanikos von Mytilene auf Lesbos, eines Zeitgenossen von Herodot und Thukydides, nur in spärlichen, wenngleich wichtigen Fragmenten erhalten. Hellanikos erwähnt nicht nur das europäische Skythien, sondern auch das jenseits des Dons, und er dehnt damit als erster den geographischen Raum, der mit diesem Begriff bezeichnet wird, weiter nach Osten aus. Außerdem schreibt er den Skythen die Erfindung des Eisens zu und idealisiert erstmals auch ihre Sitten und Gebräuche.

Eine wichtige Quelle für die Erforschung der skythischen Geschichte ist ferner das in vielerlei Hinsicht eigenständige Werk Über Luft, Wasser und Ortslagen des Hippokrates (460–377 v. Chr.). Darin erzählt er über Lebensweise und Aussehen der Kolcher, Skythen und Sauromaten und stellt einen Zusammenhang zwischen ihrem physischen Aussehen und der Natur ihrer jeweiligen Siedlungsgebiete her. Ferner liefert er etliche Details, die über die Angaben Herodots hinausgehen. Ausführlich und sehr anschaulich schildert er die Weidegründe der Skythen; die Sauromaten lokalisiert er bereits am rechten Ufer des Tanais (Don).

In den Tragödien der drei klassischen Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides finden sich immer wieder Hinweise auf die Skythen. Aischylos (525–456 v. Chr.) lokalisiert in seinem Gefesselten Prometheus die Skythen im Asovschen Gebiet. Den Kaukasus bezeichnet er als Skythischen Weg, d.h. als den Weg ihrer Kriegszüge, nicht aber als ihr Siedlungsgebiet. Sophokles (496–406 v. Chr.) verarbeitet die Argonautensage in seinen Tragödien, und Euripides (480–406 v. Chr.) behandelt in seiner Tragödie Iphigenie auf Tauris die Sitten und Gebräuche der auf der Krim ansässigen Taurer. In den Komödien des Aristophanes (450–385 v. Chr.) kommen verschiedentlich Bemerkungen über die skythische, mit Pfeil und Bogen bewaffnete Polizei in Athen vor. Auch Pindar (522–442 v. Chr.) und einige andere Schriftsteller des 5. Jh. v. Chr. vermitteln viele glaubwürdige Fakten – freilich auch so manche Legende – über die Skythen. Dies gilt auch für Thukydides (470–400 v. Chr.) – eine der zentralen Persönlichkeiten der griechischen Historiographie –, wenngleich er sich den Skythen und Skythien nicht so ausführlich widmet wie Herodot. So vergleicht er z.B. die militärische Stärke der Odrysen mit jener der Skythen. Ausführlich schildert er ferner die Kriege um jene Teile der Schwarzmeerküste, die u.a. für den Transport des aus dem Nordschwarzmeerraum importierten Getreides eine entscheidende Rolle spielten.

In den folgenden Jahren bis zu den Kriegen der Makedonenkönige Philipp und Alexander ist ein deutlicher Rückgang im Informationsfluß über die Skythen zu bemerken. Der Historiker und Ethnograph Ephoros (405–330 v. Chr.)ist bedauerlicherweise nur aus Fragmenten bei späteren Schriftstellern, so z.B. bei Strabon, überliefert. Obwohl er die Skythen idealisiert, sind seine Beschreibungen ihres Territoriums und sein Vergleich ihrer Sitten mit jenen der Sauromaten aufschlußreich. In einem Werk, das irrtümlich Skylax von Karyanda (Pseudo-Skylax), dem Hofgeographen Dareios’ I. (6./5. Jh. v. Chr.), zugeschrieben wird, werden die Küsten des Schwarzen Meeres ausführlich beschrieben, wobei auch hier gesagt wird, daß die Sauromaten rechts des Tanais (Don) leben. Theopompos (4. Jh. v. Chr.)schildert in einer Abhandlung über die Kriege des Makedonenkönigs Philipp II. auch dessen Kampf mit Atheas, der Skythien geeint haben soll, und teilt dabei viele Einzelheiten über die Skythen mit, auf die sich etliche spätere griechische und römische Geschichtsschreiber stützen. In den Werken von Lysias, Isokrates, Aischines oder Demosthenes aus dem späten 5. und 4. Jh. v. Chr. wird das Schwarze Meer oft erwähnt, aber meist in Verbindung mit den Getreideimporten aus dem Bosporanischen Reich, während von den Skythen stets nur beiläufig die Rede ist. Berücksichtigen wir die Tatsache, daß genau in jener Zeit auch etliche griechische Objekte, darunter z.B. attische Keramik und Amphoren, in die Gräber von Angehörigen der skythischen Oberschicht gelangen, so dürfte ein guter Teil dieses Getreides wohl aus Skythien stammen.