Stefan Buijsman
Espresso mit Archimedes
Unglaubliche Geschichten aus der
Welt der Mathematik
Aus dem Niederländischen
von Bärbel Jänicke
C.H.Beck
Die Buijsman-Formel:
Mathematik + Buijsman – Rechnen = Heureka!
Vor Tausenden von Jahren waren die Einwohner von Mesopotamien Pioniere bei der Verwendung von Zahlen. Seitdem kann nichts und niemand die Mathematik aufhalten. Mittlerweile steckt sie in allem und jedem, von Suchmaschinen bis zum Tempomat, von Espressomaschinen bis zu Fahrplänen. Da ist es von Vorteil, die Ideen hinter den überall verbreiteten mathematischen Anwendungen und Berechnungen zu kennen. Espresso mit Archimedes, verfasst von einem jungen holländischen Mathe-Genie, ist der unangestrengte Mathe-Crashkurs auf der Höhe unserer Zeit. Das Buch beantwortet Fragen wie: Können schon Babys rechnen? Zählt Mathematik einfach alles zusammen? Kann jeder Integralrechnung kapieren? Wie findet Google, was wir suchen? Wie kriegen wir unsere Ungewissheit in den Griff? Kann Mathematik uns bei der Behandlung von Krebs helfen? Leichtfüßig zieht Stefan Buijsman Verbindungen zwischen Mathematik, Philosophie, Psychologie und Geschichte und erklärt dabei fast mühelos die unglaubliche Welt der Mathematik.
Stefan Buijsman, geb. 1995, hat mit nur 18 Jahren einen Master in Mathematik an der Universität Leiden gemacht. Für die anschließende Promotion benötigte er schlappe 18 Monate. Wenn er nicht gerade Bücher schreibt, beschäftigt er sich mit der Philosophie der Mathematik.
Einleitung
Mathematik in der Welt, in der wir leben
Empfehlungen von Netflix
Mathematik ist überall
Fern unserer Welt?
Die Mathematik als eine einzige große Erzählung
Der Nutzen der Schönheit
Ein Leben ohne Zahlen
Auf einer Insel, fern der Pirahãs
Ohne zu messen!
Mit kleinen Mengen hantieren
Ich weiß es nicht genau! Große Mengen und das Gehirn
Figuren erkennen, das kann selbst ein Küken
Gewinnen wir etwas durch Mathematik?
Mathematik vor langer, langer Zeit
Angenehmer kann man die Steuer nicht machen, aber einfacher
Schularbeiten in Mesopotamien
Brot, Bier und Zahlen in Ägypten
Die Griechen als reine Theoretiker
Die Nerds aus China
Stetige Veränderung
Newton versus Leibniz
Immer kleinere Schritte
Schritte zusammenzählen
Etwas Unbeständigeres gibt es nicht: das Wetter
Integrale und Differenziale in Bauwerken,Strategieplänen und der Physik
Alle ran an die Integrale?
Zugriff auf Ungewissheit
Spiele in der Mathematik
Münzen verteilen
Zweimal Thomas
Was heißt hier Spielchen? Mathematik aus der Praxis
Mehr Daten!
Was John Snow schon wusste
Nicolas Cage und Schwimmbäder
Stimmt das nun wirklich?Verzerre die Welt mit Statistik!
Was tun, wenn man nicht jeden befragen will?
In Gedanken spazieren gehen
Einbahnstraßen
Googles Spaziergänge durch das Internet
Sich mit einem Graphen Filme anschauen
Krebs effektiv behandeln – dank Mathematik
Facebook, Freundschaften und künstliche Intelligenz
Graphen im Hintergrund
Der Nutzen der Mathematik
Kleine Fehler in der Mathematik
Ist das alles Zufall?
Mathematik hilft
Auch im Alltag
Literatur
Bildnachweis
Fußnoten
Drehen wir die Zeit einmal kurz zurück. Mit glasigem Blick schaue ich meinen Mathematiklehrer an. Auf einem Smartboard steht eine Reihe von Formeln. Daneben ist eine Grafik mit einer hügelförmigen Linie zu sehen, die von einigen geraden Linien tangiert wird. Wie allen, die in der gymnasialen Oberstufe Mathematikunterricht haben, bleibt mir nichts anderes übrig, als zu lernen, wie die Formeln und Grafiken funktionieren. Warum? In meinem Fall, weil ich Astronomie studieren will. Was ich in diesem Moment noch nicht weiß, ist, dass ich dafür viel zu ungeduldig bin. Aber mal angenommen, ich hätte das schon gewusst. Und ich hätte außerdem schon gewusst, dass ich in meinem jetzigen Beruf kaum etwas rechnen muss. Dann hätte ich bei Google die Frage eingetippt: Wofür ist Mathematik gut?
Eines der ersten (niederländischen) Ergebnisse, die bei Google auftauchen, ist ein Artikel aus einer niederländischen Zeitung über den Satz des Pythagoras und das Aufteilen von Pizzas. Das ist wunderbar konkret, doch es beleuchtet nur einen kleinen Teil des Nutzens von Mathematik. Denn ohne Mathematik hätte ich bei Google erst gar nicht nach einer Antwort auf meine Frage suchen können. Oder ich wäre bei einem Artikel gelandet, der so gut wie nichts mit meiner Frage zu tun gehabt hätte. Eine Suchmaschine wie Google funktioniert nämlich nur dank des klugen Einsatzes von Mathematik. Dabei denke ich nicht nur daran, dass Computer mit Einsen und Nullen arbeiten, sondern auch daran, dass die Art, in der Google darüber entscheidet, welche Antwort auf meine Frage relevant ist, auf einer ganzen Menge Mathematik beruht. Bevor die Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page 1998 diese Art zu entscheiden austüftelten, hatte das Topresultat bei der Eingabe von «Bill Clinton» im Suchfeld aus einem Foto von ihm und dem neuesten Clinton-Witz bestanden. Wer auf Yahoo nach «Yahoo» suchen ließ, fand die Website selbst nicht einmal unter den Top Ten der Ergebnisse! Heutzutage passiert das nicht mehr, und das haben wir der Mathematik zu verdanken.
Dennoch haben heute noch viele das gleiche Gefühl, das ich damals in der Oberstufe hatte, vor einer Tafel voller mathematischer Formeln, von denen man nicht allzu viel kapiert und denen man im Alltag wohl nie wieder begegnen wird. Kein Wunder, dass Mathematik vielen Menschen unverständlich und nutzlos erscheint. Doch das Gegenteil ist wahr: Mathematik spielt in unserer modernen Gesellschaft durchaus eine wichtige Rolle. Und für den, der hinter die Formeln blickt, ist sie auch leichter zu begreifen, als man gemeinhin annimmt. Die Art und Weise, wie Google Informationen für uns auswählt, zeigt uns, wie Mathematik unseren Alltag, sowohl im positiven wie im negativen Sinne, beeinflusst. Digitale Dienste wie Google, Facebook und Twitter haben die Nebenwirkung, dass sie bereits bestehende Auffassungen bestärken können. Gegenwärtig tauchen ständig Fake News auf, die sich nur mühsam eindämmen lassen. Zum Teil liegt das daran, wie diese Dienste arbeiten. Wir können damit nur umgehen, wenn wir begreifen, wie es dazu kommt, dass gerade derartige Internetdienste unsere Meinungen bestärken, und warum sich die Form, in der das geschieht, nicht ohne Weiteres verändern lässt.
In diesem Buch möchte ich deutlich machen, wie nützlich Mathematik ist. Nun, da ich diese Mathematik besser begreife, richtet es sich in gewisser Weise an mein jüngeres Ich. Zugleich richtet es sich aber auch an alle, die so wie ich damals glauben, dass mathematische Berechnungen bloß lästig sind und es nur gut ist, wenn man davon verschont bleibt. Seit ich als Philosoph der Mathematik arbeite und viel darüber nachdenke, wie Mathematik funktioniert und wie wir Mathematik erlernen, weiß ich, wie ungeheuer relevant Mathematik ist, ob man nun von Berufs wegen Berechnungen anstellen muss oder nicht. In der Mathematik geht es um viel mehr als um Formeln, daher werden Sie in diesem Buch auch kaum welche finden. Formeln sind praktisch, wenn man etwas Spezielles berechnen möchte, sie lenken aber oft von den Gedanken ab, die hinter der Mathematik stehen.
Um zu zeigen, dass Mathematik relevanter und verständlicher ist, als viele meinen, gehe ich in diesem Buch auf eine Anzahl von Teilbereichen der Mathematik und deren grundlegende Ideen ein. Für einige Zweige der Mathematik gibt es überraschend viele Anwendungsmöglichkeiten, die jeder leicht verstehen kann, jedenfalls wenn man mal von den entsprechenden Formeln absieht. So etwa für die Graphentheorie: Eine Suchmaschine wie Google nutzt sie, um Suchergebnisse zu ordnen, sie wird aber auch verwendet, um zu prognostizieren, wie ein Krebspatient auf eine Behandlung anspricht, und eingesetzt, um Verkehrsströme in einer Großstadt zu untersuchen.
Gleiches gilt für die anderen Teilgebiete der modernen Mathematik, die in diesem Buch zur Sprache kommen: die Statistik sowie die Integral- und die Differenzialrechnung. Die Ideen, die sich hinter ihnen verbergen, sind oft verblüffend einfach, und sie sind oft viel nützlicher, als der Schulunterricht erahnen lässt. Der Statistik begegnen wir fast tagtäglich: etwa in den Nachrichten in Form von Zahlen zur Kriminalität, Wirtschaft, Politik und vielem anderen mehr. Oft ist bei diesen Zahlen nicht klar, was genau man davon halten soll oder wie sie zustande kommen. Nicht umsonst wurde schon vor hundert Jahren vor irreführenden Statistiken gewarnt, und diese Warnung hat seither noch an Bedeutung gewonnen.
Die Rolle der Differenziale und Integrale gleicht mehr derjenigen der Graphentheorie: Sie sind nützlich, weil sie vielseitige Anwendungsmöglichkeiten bieten, ohne dass wir dies bemerken. Seit der industriellen Revolution wurden sie unter anderem dazu eingesetzt, die Effizienz von Dampfmaschinen zu steigern, selbständig fahrende Autos zu konstruieren und Wolkenkratzer zu bauen. Wenn es ein Gebiet der Mathematik gibt, das die Geschichte verändert hat, dann wohl dieses.
Doch bevor ich ausführlich auf die zahlreichen modernen Anwendungen der Mathematik eingehe, sollten wir zu ihren allerersten Anfängen zurückkehren. Dazu müssen wir nicht nach komplizierten historischen Berechnungen oder nach antiken Gelehrten suchen, sondern tauchen in die Geschichte des Menschen selbst ein. Jeder Mensch verfügt von Geburt an über eine ganze Reihe mathematischer Fähigkeiten; daher könnten wir auch ohne Mathematikunterricht überleben. Wie die Geschichte zeigt, genügen diese angeborenen Fähigkeiten den Menschen aber nicht mehr, sobald sie in größeren Gruppen zusammenleben. Soziale Gruppen werden irgendwann schlichtweg zu groß, um ohne Mathematik bestehen zu können, und wenden sich daher der Arithmetik und Geometrie zu. Einigen Kulturen gelingt es auch heute noch, ohne irgendeine Form von Mathematik auszukommen, aber dabei handelt es sich immer um kleine Gemeinschaften, die beispielsweise keine Städte errichten. Für soziale Angelegenheiten wie die Organisation einer Gemeinschaft, für Sicherheit, den Bau von Häusern, das Regeln der Lebensmittelversorgung und Ähnliches ist mathematische Abstraktion unerlässlich. Mathematik vereinfacht praktische Probleme und macht damit die Welt, in der wir leben, handhabbarer.
Die Frage nach dem Nutzen der Mathematik bezieht sich nicht nur auf die Mathematik in der Praxis, sie ist in erster Linie eine philosophische Frage. Daher beginnt und endet dieses Buch mit einem Ausflug in die Philosophie. Philosophen der Mathematik wie ich selbst beschäftigen sich schon seit Jahrhunderten mit der Frage, was Mathematik ist und wie sie sich anwenden lässt – ohne sich allzu sehr um Berechnungen und Formeln zu scheren. Zu einem Teil sind das noch offene Fragen, auch wenn wir innerhalb der Philosophie mittlerweile so weit fortgeschritten sind, dass wir angeben können, welche Form die richtige Antwort aufweisen müsste.
Dennoch wird – wie in den meisten philosophischen Fragen – jeder letztlich selbst entscheiden müssen, wie er über Mathematik denkt und welche Antwort auf diese philosophischen Fragen ihn am meisten anspricht. Auch ob er mit der Art und Weise, in der Mathematik gegenwärtig angewandt wird, glücklich ist, muss jeder selbst entscheiden. Wiegen die Vorteile von Facebook beispielsweise seine Nachteile auf? Die Antwort auf diese Frage überlasse ich Ihnen. Unterdessen versuche ich darzulegen, welche Rolle die Mathematik bei solchen Anwendungen spielt; warum Facebook die uns allen mittlerweile bekannten Nachteile hat und woran es liegt, dass sich diese Nachteile nicht mit einer simplen Veränderung der zugrunde liegenden mathematischen Idee aus der Welt schaffen lassen.
Jedes Mal, wenn Sie den Weg nicht kennen und Google Maps verwenden, vertrauen Sie auf ein kleines Stück Mathematik. Sie öffnen die App, um Ihren Zielort einzugeben und die Route zu suchen, und wenige Sekunden später erscheint auf dem Display Ihres Smartphones eine Reihe von Routenvorschlägen. Das gelingt Google nur, weil es Mathematik klug zu nutzen weiß.
Angenommen, man könnte Google dazu bewegen, die Route mit Hilfe menschlicher Mitarbeiter zu berechnen, die im Kartenlesen extrem gut wären. Jedes Mal, wenn jemand eine Route suchte, machten sie sich an die Arbeit. Das würde nicht nur sehr lange dauern, sondern wäre auch sehr ineffizient. Die Mitarbeiter müssten zum Beispiel für Leute, die sich nicht merken können, wie lange es dauert, von zu Hause zu ihren Freunden zu fahren, regelmäßig dieselben Routen berechnen. Am besten würde Google seine Mitarbeiter vorab alle möglichen Routen ermitteln lassen und sie für den Fall, dass sie mal jemand benötigen würde, speichern.
Hätte man damit etwas gewonnen? Die Wahrscheinlichkeit, dass andere genau dieselbe Route benötigen wie man selbst, ist nicht besonders groß, es sei denn, man wohnt in einem Studentenwohnheim und sucht den Weg zu einem bestimmten Universitätsgebäude. Meine Nachbarn besuchen zum Beispiel nie meine Freunde, während ich ständig vergesse, wie ich genau dorthin komme, und sie suchen auch nicht den Weg zu meinem Verlag, während ich mich immer mal wieder frage, wie lange ich dafür wohl brauche. Sofern Google nicht vorhersagen könnte, wohin meine Fahrten gehen, bräuchte man regelmäßig jemanden für die Berechnung einer neuen Route. Das Problem dabei ist: Wie gut diese Mitarbeiter mit der Karte auch umgehen könnten, das würde sich ein ganzes Weilchen hinziehen.
Daher überlassen wir das Kartenlesen der Mathematik. Ein Computer berechnet, wie wir fahren müssen, auch wenn er das bestimmt nicht so macht, wie es Menschen tun. Die Mathematik, die ein Computer verwendet, erkennt keine Straßen auf einem Satellitenfoto und kann die Distanzen auf einer Karte auch nicht mit Hilfe des Kartenmaßstabs ablesen. Stattdessen sehen Navigationssysteme die Welt als eine Ansammlung von Knotenpunkten, die durch Linien miteinander verbunden sind. Das hört sich vielleicht seltsam an, aber auch Menschen bedienen sich einer solchen Abstraktion: etwa für die Darstellung von S-Bahn-Plänen. Zur Illustration sehen Sie auf Seite 16 eine vereinfachte Darstellung des S-Bahn-Plans von Berlin.
Für die Mathematik, die hinter Google Maps steckt, wäre es ideal, wenn ein Nutzer nur mit der S-Bahn fahren müsste, denn dieser Plan ist schon in der richtigen Weise strukturiert. Der Computer könnte dann so tun, als würde er selbst auf den Linien zwischen den Punkten hin- und herfahren, wie ein kleiner Zug. Das einzige Problem besteht darin, dass Computer keinen Überblick über das gesamte Streckennetz haben. Wenn Sie selbst eine Fahrt mit diesem S-Bahn-Plan festlegen müssten, zum Beispiel vom Anhalter Bahnhof (etwas unterhalb der Mitte des Plans) bis nach Strausberg Nord (ganz rechts, in der Mitte), hätten Sie sich schnell entschieden. Nach Strausberg Nord fährt die Linie S 5, und die kreuzt die Linien der S 1, S 2, S 25, S 26, an denen der Anhalter Bahnhof liegt, nur an der Station Friedrichstraße. Die schnellste und einfachste Route ist also wahrscheinlich: vom Anhalter Bahnhof mit der S 1, S 2, S 25 oder S 26 drei Stationen bis zur Friedrichstraße fahren und dann in die Linie 5 nach Strausberg Nord umsteigen.
Ein Computer muss einen umständlicheren Weg wählen, um nach Strausberg Nord zu gelangen. Die Mathematik hinter Google Maps bietet keine Übersicht, sie kann nicht sofort erkennen, wie der Anhalter Bahnhof zu Strausberg Nord liegt. Der fiktive Zug muss aufs Geratewohl herumfahren, bis er irgendwann am richtigen Ziel ankommt. Der Computer muss außerdem wissen, wie lange die S-Bahn braucht, um von einem Punkt zum anderen zu fahren. Jeder weiß, dass die Längen der auf einem S-Bahn-Plan abgebildeten Linien kein guter Indikator für die reale Wegstrecke und die benötigte Zeit zwischen zwei Stationen ist. Auf unserer Berliner Strecke braucht man zum Beispiel länger, um von Neuenhagen bis nach Fredersdorf zu kommen als von der Warschauer Brücke bis zum Ostkreuz, obwohl die Längen der Linien den gegenteiligen Eindruck erwecken.
Die Lösung für dieses Messproblem besteht darin, neben jede Linie im Netzwerk eine Zahl zu setzen, die angibt, wie viel Zeit die S-Bahn braucht, um diese Strecke zurückzulegen. Mit diesen Zahlen macht sich der Computer an die Arbeit. Die einfachsten Navigationssysteme fahren alle optionalen Strecken ab. Wobei die nächste Option, die der Computer jeweils wählt, immer die kürzeste noch nicht befahrene Route ist. Das klingt vielleicht etwas abstrakt, aber in der Praxis lässt sich das leicht nachvollziehen. Der Computer beginnt am Anhalter Bahnhof und schaut, welche Station von dort aus die nächstgelegene ist. Die Station Yorckstraße ist nur zwei Minuten Fahrzeit entfernt, also könnte das die erste Option sein. Fährt der Computer danach auf derselben Linie weiter Richtung Südkreuz oder Julius-Leber-Brücke? Nein, er macht einen zweiten Versuch in Richtung Potsdamer Platz. Die Strecke Anhalter Bahnhof–Potsdamer Platz ist kürzer als die zwischen Anhalter Bahnhof und Südkreuz oder Julius-Leber-Brücke. Erst danach bewegt sich der Computer zwei Stationen vom Anhalter Bahnhof fort.
Wenn man in dieser Weise verfährt, dauert es eine ganze Weile, bevor der Computer endlich in Strausberg Nord ankommt, der Station, die etwa 70 Minuten Fahrzeit und 25 Stationen vom Anhalter Bahnhof entfernt liegt. Der Computer ist auf seiner Rundfahrt bis dahin auch schon im südlicher gelegenen Erkner gewesen, denn dazu brauchte er nur 56 Minuten, und auch schon im nördlicher gelegenen Ahrensfelde, wohin ihn der Weg schon nach 50 Minuten führte. Schließlich kommt der Computer aber in Strausberg Nord an. Und wenn er Strausberg Nord einmal gefunden hat, weiß er mit Sicherheit, dass die Route, die er berechnet hat, die kürzeste ist. Das klingt alles andere als effizient, der menschliche Überblick und das Gespür für die richtige Richtung wirken viel praktischer. Dennoch ist der Computer schneller als wir, und das allein deshalb, weil er pro Sekunde viel mehr Routen berechnen kann.
Google Maps arbeitet ganz ähnlich. Die Punkte innerhalb des Systems sind nun keine S-Bahn-Stationen, sondern Orte, an denen sich Straßen kreuzen. Eine Autobahnabfahrt ist ebenso ein Punkt wie ein Kreisverkehr mitten in der Stadt. Mathematisch betrachtet, ist der Unterschied zwischen einer Autobahn oder einer Seitenstraße unerheblich, er wird sich später von selbst in der Fahrzeit niederschlagen, die in Google Maps wie im S-Bahn-Plan neben jeder Linie steht. Da man auf einer Seitenstraße bei Weitem nicht so schnell fahren darf wie auf der Autobahn und daher für die gleiche Strecke viel mehr Fahrzeit benötigt, steht in dem System neben der Linie für die Seitenstraße eine viel höhere Zahl. Die Zahlen können auch dafür genutzt werden, die Fahrzeit anzupassen, wenn irgendwo ein Stau ist. Das Einzige, was Google dann tun muss, ist, die Zahl neben diesem Straßenabschnitt von den üblichen 10 Minuten auf 20 Minuten zu erhöhen: wegen des Staus ergeben sich 10 Minuten mehr Fahrzeit. Wenn man die Route dann neu berechnet, wird die Verzögerung automatisch in die Berechnung mit aufgenommen, und es kann sein, dass man nun über eine Seitenstraße am Stau vorbeigeführt wird, weil eine Route, die zuvor ungünstiger erschien, nun schneller zu sein verspricht.
Über kurze Distanzen funktioniert diese Methode sogar ausgezeichnet. Doch sobald man über weite Distanzen reisen will, läuft die Mathematik aus dem Ruder. Stellen Sie sich vor, Sie wollen von New York nach Chicago reisen, dann würde Google zunächst alle Strecken von New York aus durchrechnen, für die man weniger als zwölf Stunden braucht – so lange dauert es nämlich, wenn man die Strecke mit dem Auto fährt.
Computer können fix rechnen, aber eine so große Zahl von Berechnungen innerhalb kürzester Zeit durchzuführen, das schafft selbst ein moderner Computer nicht. Deshalb verwendet Google Maps, soweit wir wissen (die genaue Methode ist nicht öffentlich bekannt), eine Reihe mathematischer Tricks, um weniger rechnen zu müssen. Auf sie gehe ich im siebten Kapitel genauer ein.
Wie wir gesehen haben, stecken die Empfehlungen für Reiserouten voller Mathematik. Diese Mathematik ist nicht unbedingt klüger als wir. Die verzweifelte Suche nach dem Ziel, die ein Computer unternimmt, ist oftmals alles andere als effizient. Die Mathematik trägt also gar nicht so viel zur Vereinfachung des Problems bei; ein Computer muss letztlich mehr Arbeit investieren als ein Mensch. Dennoch vereinfacht die Verwendung von Mathematik und Computern die Situation: Da ein Computer pro Sekunde wahnsinnig viele Berechnungen durchführen kann, lässt sich die richtige Route erheblich schneller finden.
Nachdem Google für Sie eruiert hat, welche S-Bahn-Route Sie nehmen müssen, scrollen Sie auf dem Bahnsteig durch die neuen Filme und Serien auf Netflix. Neben jedem Film steht eine grüne Prozentzahl, die angibt, wie gut dieser Film zu denen passt, die Sie sich normalerweise anschauen. Manchmal liegt Netflix damit völlig falsch, und der Film, den Sie eigentlich großartig finden müssten, ist ziemlich enttäuschend. Aber wenn Sie diese Prozentzahlen zur Abwechslung mal nicht außer Acht ließen, ergäbe sich daraus ein recht zutreffendes Bild Ihres Film- und Seriengeschmacks. Je mehr Filme Sie sich ansehen, desto stärker verändert sich das Bild, das zudem vollkommen automatisch erstellt wird. Es gibt also irgendwo ein Computerprogramm, das, ohne sich auch nur im Geringsten mit Filmen und Serien auszukennen, weiß, was zu Ihnen passt und was nicht.
Netflix arbeitet dabei natürlich mit den ihm verfügbaren Daten. Es gibt ungeheuer viele Menschen, die sich Filme und Serien über Netflix anschauen, und das alles wird registriert. Netflix weiß, welche Serien und Filme Sie sich ansehen. Sehr vereinfacht gesagt bedeutet das, dass Netflix auch weiß, welche Kategorie von Serien und Filmen Sie bevorzugen: ausschließlich Dokumentarfilme über das Erstellen von Kursbüchern oder Horrorfilme oder irgendetwas anderes. Außerdem sortiert Netflix alle Filme, die auf seiner Website stehen, in Kategorien ein. Bringt man beides nun zusammen, hat man prompt eine Empfehlung. Wenn Sie sich vor allem Horrorfilme ansehen, möchten Sie bestimmt einen Horrorfilm sehen, den Sie noch nicht kennen. So schwierig kann das doch nicht sein, oder?
Die Schwierigkeit liegt zum Teil darin, was Netflix darüber hinaus noch tut. Für alle möglichen anderen Filme und Serien, die nicht unter die Kategorie Horrorfilme fallen, gibt Netflix ebenfalls eine Bewertung in Form eines Prozentsatzes ab. Dieser Prozentsatz gibt Auskunft darüber, wie gut der Film zu dem passt, was Sie sich normalerweise anschauen. Netflix entscheidet also auch darüber, in welchem Maße ein Abenteuerfilm mit einer Reihe Horrorfilme übereinstimmt. Wenn der Abenteuerfilm mehr Spannungselemente enthält, passt der beispielsweise besser zu Ihrem normalen Sehverhalten als ein Film, in dem kaum etwas Aufregendes passiert. Solche Details erfährt man oft von Freunden, wenn man sie um einen Filmtipp bittet. Doch auch diesen Service bietet Netflix, selbst wenn es damit längst nicht das Niveau der Tipps echter Cineasten erreicht.
Noch schwieriger gestaltet sich das Ganze, wenn Sie vielleicht nur eine gewisse Art von Horrorfilmen schauen, beispielsweise nur Filme, in denen nicht zu viel Blut fließt. Dann werden zahlreiche blutrünstige Horrorfilme als Empfehlungen viel weniger zu Ihnen passen als ein etwas spannenderer Abenteuerfilm. Wenn man sich nur am Genre orientiert, erhält man nicht immer die besten Empfehlungen, denn was wirklich zählt, ist die Story des Films. Doch davon versteht der Computer noch nichts; eigentlich müsste Netflix dafür Mitarbeiter einstellen, die alle Filme und Serien, die jeder einzelne Nutzer schaut, unter die Lupe nehmen, um anschließend zu sagen, was sich darin inhaltlich gleicht. Bei Abermillionen von Nutzern ist das natürlich nicht möglich. Die Empfehlungen müssen von einem Computer generiert werden.
Die Idee hinter diesem Trick ist eigentlich ganz einfach: Eine gute Empfehlung zeichnet sich dadurch aus, dass sie dem ähnlich ist, was einem gefällt. In der ganzen Welt schauen Menschen via Netflix Serien und Filme, die sie gut finden und die daher zu anderen Serien und Filmen passen, die sie früher gesehen haben. Zwei Filme sind einander ähnlich, wenn sich viele Nutzer einen dieser Filme ansehen, nachdem sie sich zuvor den anderen Film angesehen haben. Wenn es sehr viele Nutzer gibt, die sich nach Iron Man auch Iron Man 2 angesehen haben, werden sich diese Filme wohl sehr ähnlich sein, daher ist Iron Man 2 wohl eine gute Empfehlung für die Nutzer, die zuvor Iron Man gesehen haben. Je mehr Menschen Netflix nutzen, desto genauer ist die Vorhersage für Filme und Serien aus seinem Angebot. Das Computerprogramm schlägt Filme und Serien vor, die viele andere gesehen haben und hierbei ungefähr die gleichen Vorlieben hatten wie Sie.
Das ist eine Lösung, die ein Problem in sich birgt. Netflix hat Millionen von Nutzern, die alle eine Menge Filme und Serien gesehen haben. Mit dem Trick, den Netflix anwendet, lässt sich das Problem, eine Empfehlung auszusprechen, durch eine simple Rechenaufgabe lösen: Man registriert, wie viele Nutzer, die dieselben Filme und Serien gesehen haben, den empfohlenen Titel gesehen haben. Das Problem steckt in der Umsetzung, die ich hier in vereinfachter Form wiedergebe (auch wenn die konkreten Details nicht öffentlich bekannt sind). Selbst die Nutzer, die bis auf einen Film oder eine Serie dasselbe geschaut haben wie Sie, müssen mitgezählt werden. Und was ist, wenn Sie sich nicht nur Horrorfilme anschauen, sondern auch Dokumentarfilme mögen? Dann bleiben plötzlich viel weniger Leute übrig, die genau dieselben Titel ausgewählt haben wie Sie. Je weniger Nutzer, desto unpräziser die Empfehlung. In der Praxis gestaltet sich die einfache Idee schon bald um einiges komplizierter.
Daher ist es hilfreich, das gesamte Angebot wie in einer Karte wiederzugeben, die Ähnlichkeiten mit der Streckenkarte der S-Bahn hat, den wir vorhin gesehen haben. Jeder Film oder jede Serie ist durch einen Punkt dargestellt, er symbolisiert gewissermaßen einen Bahnhof in der Netflixwelt. Von jedem Bahnhof aus kann man zu jedem anderen reisen, dafür muss man sich nur zwei verschiedene Filme oder Serien auf der Website von Netflix anschauen.
Um mit dieser Karte rechnen zu können, muss man auch hier Zahlen hinzufügen. In diesem Fall handelt es sich dabei natürlich nicht um die Fahrzeiten von einer S-Bahn-Station zur nächsten, sondern um die Anzahl der Nutzer, die beide Filme oder Serien gesehen haben. Oder anders gesagt, es wird gezählt, wie viele von einer Station zu einer anderen gehüpft sind. Das sieht beispielsweise wie in folgendem Schaubild aus, in dem die (fiktiven) Zahlen angeben, wie viele Leute jeweils beide Filme gesehen haben.
Bei diesem Schema stellt sich die Frage, welche Prozentsätze diesen Filmen zuzuordnen sind. Dabei gibt ein solcher Prozentsatz an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Film oder eine Serie zu Ihnen passt. Stellen Sie sich vor, Sie hätten auf Netflix nur Iron Man gesehen. Der Computer soll nun vorhersagen, wie gut Ihnen Iron Man 2 und Blue Planet gefallen würden. Der Abbildung nach muss Iron Man 2 einen sehr hohen Prozentsatz erhalten. Denn schließlich passt ein Film besonders gut zu Ihnen, wenn viele Nutzer mit Ihrem Filmgeschmack auch diesen anderen Film gesehen haben. Blue Planet muss dagegen eine schlechtere Bewertung erhalten, denn nur wenige Nutzer haben sich sowohl Blue Planet als auch Iron Man angesehen. Außerdem gibt es wenige Nutzer, die sowohl Iron Man 2 (der dem Computer zufolge gut zu Ihnen passt) als auch Blue Planet gesehen haben. Noch ein Grund mehr also, Blue Planet schlechter zu bewerten.
Letztendlich verwendet ein Computer seine eigenen Voraussagen, beispielsweise darüber, wie gut Ihnen Iron Man 2 gefallen würde, um die Voraussagen für andere Filme und Serien zu verbessern. Mit drei Filmen lässt sich das gut überblicken, doch versuchen Sie das einmal mit Tausenden von Filmen und Serien. Im Prinzip kann man das herausfinden; mit genügend Zeit und Raum lässt sich schließlich auch jede Route, die man fahren will, ohne Mathematik zusammenstellen. Aber dank der Mathematik, und vor allem dank der Graphen, die im siebten Kapitel zur Sprache kommen, ist es eben nicht nur im Prinzip möglich. Es ist praktisch durchführbar, wenn man über einen entsprechend leistungsfähigen Computer verfügt. Die mathematische Version dieses Puzzles ermöglicht es Netflix, rein automatisch vorherzusagen, ob ein Film oder eine Serie Sie ansprechen wird.
Mathematik begegnet uns jeden Tag an allen möglichen Orten. Das meine ich natürlich nicht buchstäblich. Selbst ich muss an einem gewöhnlichen Tag nichts berechnen, obwohl ich für meine Arbeit über Mathematik nachdenke. Trotzdem spielt Mathematik im Hintergrund eine wichtige Rolle. Ohne Mathematik gäbe es kein Google Maps, das Ihnen den Weg zeigt. Netflix könnte Ihnen zwar aufs Geratewohl Filme und Serien vorschlagen, hätte aber viel weniger treffsichere Empfehlungen. Die Suchmaschine von Google würde kaum funktionieren. Kurzum: Dienste, die wir tagtäglich nutzen, sind nur möglich, weil sie hinter den Kulissen Mathematik verwenden.
Netflix, Google und Navigationssysteme sind Beispiele für Dienste, die von ein und demselben Zweig der Mathematik abhängen – von der Graphentheorie. Doch das ist nicht das einzige bedeutsame Terrain der Mathematik. Ihr Smartphone macht Sie beispielsweise ständig auf Zeitungsartikel aufmerksam, in denen sich Statistiken finden, beispielsweise Wahlumfragen, die die politischen Tendenzen eines ganzen Landes skizzieren. Was aber soll man von diesen Statistiken halten? Schließlich liegen sie doch oft genug daneben. Denken Sie nur an die amerikanischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016. Den Umfragen zufolge hätte Hillary Clinton gewinnen müssen. Statistiken können also leicht in die Irre führen, sogar wenn keine Absicht dahintersteckt. Für den, der nicht weiß, was dabei alles falsch gemacht werden kann, ist eine solche Statistik nahezu nutzlos. Was uns die Umfragen mitteilen, ist ja interessant, doch wie können wir ihnen noch vertrauen, wenn sie möglicherweise so sehr danebenliegen?
Sie schauen kurz von Ihrem Smartphone auf, um einen Espresso zu bestellen. Der wird mit einer dieser großen Kaffeemaschinen aus rostfreiem Stahl aufgebrüht, die Wasser erhitzen, bis es genau die richtige Temperatur für Espresso hat. Wenn es ein Luxusmodell ist, spielt sich dabei noch mehr ab. Der Apparat registriert, wie schnell sich das Wasser erwärmt, und berechnet anhand der verfügbaren Daten, ob es noch weiter erhitzt werden oder sich etwas abkühlen muss, bis die perfekte Temperatur erreicht ist, um den Kaffee zu brühen. Sie bemerken es zwar nicht, aber vor Ihren Augen werden die Formeln, über die mein Mathematiklehrer früher dozierte, genutzt, um Ihnen eine Tasse Kaffee zu kochen.
In der Zwischenzeit lesen Sie die neuesten politischen Nachrichten. Das Kabinett hat einige Reformen vorgeschlagen. Ob es wohl eine gute Idee war, an den bisherigen Bestimmungen herumzudoktern? Um möglichst objektiv urteilen zu können, sehen Sie sich die Prognosen zu den neuen Plänen an. Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Berechnungen veröffentlicht. Ob etwas letztlich eine gute oder schlechte Idee ist, kann von derart vielen Dingen abhängen, dass es sich kaum nachverfolgen lässt. Die eine Berechnung, die besagt, dass Sie aufgrund der Reformen letztlich mehr Geld in der Tasche haben, fokussiert alle Faktoren auf den einzigen Punkt, der für Sie momentan relevant ist. Auch dazu ist eine Menge Mathematik nötig.
So gesehen hat die Mathematik ungeheuer viel Einfluss auf Ihr Leben. Auch wenn Sie selbst nichts berechnen, sind Sie doch von allen möglichen Berechnungen abhängig. Die Informationen, die wir nutzen, um Entscheidungen zu treffen, sind das Ergebnis der mathematischen Arbeit anderer. Selbst welche Information wir letztlich zu sehen bekommen, hängt von einer Berechnung irgendwo auf einem Computer von Google, Facebook oder einer anderen Website ab, die Informationen filtert. Auch die Technologie in unserem Lebensumfeld nutzt immer mehr Mathematik. Der luxuriöse Kaffeeautomat im Café um die Ecke, der Autopilot im Flugzeug, mit dem wir in die Ferien fliegen, und der Computer, von dem wir tagtäglich bei unserer Arbeit abhängig sind: Sie alle hängen am Tropf der Mathematik. Heute, da Mathematik sich in immer mehr Bereichen findet, wird es auch immer wichtiger, etwas von Mathematik zu verstehen und zu durchschauen, wie sie unser Leben beeinflusst.
Darum, dass es sinnvoll ist, heute etwas von Mathematik zu verstehen, geht es im Großteil dieses Buches. Doch was ist Mathematik eigentlich und wie funktioniert sie? Das ist eine originär philosophische Frage, die auf Platon und Sokrates zurückgeht. Schon diese Philosophen fragten sich, worum es in der Mathematik geht und wie wir etwas darüber lernen können. Abgesehen davon – kommt es uns, wenn wir etwas länger darüber nachdenken, nicht höchst sonderbar vor, dass sich die Mathematik so gut anwenden lässt, obwohl sie doch so extrem abstrakt ist? Wie lässt es sich erklären, dass Mathematik trotz allem so nützlich ist? Für eine Antwort darauf bedarf es ein wenig Philosophie.
Eine Gruppe Gefangener sitzt festgekettet an einer Wand. Ihre Köpfe sind so eingeklemmt, dass sie nur geradeaus auf eine andere fensterlose Wand starren können. Die Gefangenen sind sogar schon ihr Leben lang an diese Mauer gekettet und halten daher die Schatten, die sie auf der gegenüberliegenden Wand sehen, für reale Dinge. Sie glauben selbst, sie könnten diese festhalten, wenn sie nur nahe genug an sie herankämen. Dabei wissen die Gefangen nicht einmal, dass es außer diesen Schatten an der Wand auch noch andere Dinge gibt. Ihre Welt besteht ausschließlich aus Schattenbildern.