Christoph Marx
MUGABE
Ein afrikanischer Tyrann
C.H.Beck
Diktatoren des 20. Jahrhunderts
Herausgegeben von Thomas Schlemmer, Andreas Wirsching und Hans Woller
Robert Mugabe ist der ewige Diktator. Seit 1980 regiert er Simbabwe, das sich unter seiner Herrschaft von der Schweiz Afrikas in ein Armenhaus verwandelte. Die Korruption blüht, die Opposition wird unterdrückt. Sehr viel Blut klebt an seinen Händen. Während Mugabe im Westen als Prototyp des afrikanischen Despoten gilt, wird er in Afrika trotz seiner jahrzehntelangen Gewaltherrschaft über Simbabwe und der Zerstörung des Landes immer noch erstaunlich positiv gesehen. Doch auch in Europa wurde Mugabe lange als Befreier gepriesen. Die Vorstellung, er sei ein gefallener Revolutionär, hält sich hartnäckig. Christoph Marx zeichnet nun ein neues Bild dieses ebenso intelligenten wie skrupellosen Diktators und zeigt, dass es dem vermeintlichen Hoffnungsträger von einst von Anfang nur darum ging, seine alles überschattende Machtgier zu stillen. So entsteht das Porträt eines skrupellosen Gewaltherrschers, der Simbabwe ins Elend stürzte.
Christoph Marx ist Professor für Außereuropäische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen.
Einleitung
KUTAMA, 21. FEBRUAR 1924 :Der junge Einzelgänger
FORT HARE, 13. MÄRZ 1951 :Student und Lehrer
ACCRA, 8. DEZEMBER 1958 :Lehrzeit in Ghana
SALISBURY, 20. JULI 1960 :Eintritt in die Politik
SALISBURY, HOCHSICHERHEITSGEFÄNGNIS, 1. NOVEMBER 1974 :Putsch hinter Gittern
CHIMOIO, 31. AUGUST 1977 :Kriegführung aus dem Büro
SALISBURY/HARARE, 18. APRIL 1980 :Unabhängigkeit und Machtsicherung
WASHINGTON, 16. DEZEMBER 1991 :Gescheiterter Strukturwandel eines Kommandostaats
HARARE, 11. AUGUST 1997 :Die Zerstörung Simbabwes
HARARE, 29. MÄRZ 2008 :Hoffnungslosigkeit als Erbe
Anhang
Anmerkungen
Einleitung
Der junge Einzelgänger
Student und Lehrer
Lehrzeit in Ghana
Eintritt in die Politik
Putsch hinter Gittern
Kriegführung aus dem Büro
Unabhängigkeit und Machtsicherung
Gescheiterter Strukturwandel eines Kommandostaats
Die Zerstörung Simbabwes
Hoffnungslosigkeit als Erbe
Bildnachweis
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Online-Literatur ohne Autorenname:
mit Autorenname:
Register
Karten
Wolfgang Reinhard zum 80. Geburtstag
Als am Abend des 4. März 1980 die weißen Bewohner der Kolonie Rhodesien ihre Fernsehapparate anschalteten, erwarteten sie nichts Gutes. Am Morgen hatte die Wahlkommission die Ergebnisse der ersten demokratischen Wahlen verkündet, und ihr Albtraum war Wirklichkeit geworden: Der als Kommunist und Terrorist verhasste Robert Mugabe und seine bewaffnete Unabhängigkeitsbewegung hatten die Wahlen haushoch gewonnen. Doch nun erschien kein radikaler Hitzkopf, sondern ein eher unscheinbarer Mann auf dem Bildschirm, der in wohlgesetzten, ruhigen Worten zur Versöhnung aufrief und ihnen eine gemeinsame friedliche Zukunft mit der afrikanischen Mehrheit versprach. Viele Weiße konnten es kaum glauben, dass dies derselbe Mugabe sein sollte, der kurz zuvor von der bevorstehenden Vertreibung der Weißen geschäumt und ihnen mit der Enteignung ihres Landbesitzes gedroht hatte. Am nächsten Morgen stornierten viele ihre Hausverkäufe und entschlossen sich zum Bleiben. Der neue Optimismus steckte an, auch im Westen wurde der dämonisierte Terrorist zum Hoffnungsträger. Nicht nur die Solidaritätsbewegung, sondern selbst Diplomaten und konservative Politiker wollten nur zu gern daran glauben. Simbabwe, wie der neue Staat hieß, musste ein Erfolgsmodell werden! Der Traum zerplatzte für viele erst 20 Jahre später, als Mugabe mit brutaler Repression gegen die Opposition in seinem Land vorging und mit einiger Verspätung die Weißen doch noch vertrieb. Wie ließ sich dieser erneute Wandel erklären? Oder war es gar kein Wandel?
Kaum ein afrikanischer Politiker polarisiert so sehr wie Robert Mugabe. Während er im Westen weithin als Diktator eingeschätzt wird, findet er in Afrika trotz seiner Gewaltherrschaft und der Zerstörung seines Landes eine erstaunlich positive Resonanz. Dies ist seiner geschickten antiimperialistischen Rhetorik zu verdanken, die in vielen afrikanischen Ländern gut ankommt. Doch auch im Westen sind viele Wissenschaftler, Journalisten und Politiker erst nach den illegalen und gewaltsamen Farmbesetzungen, die im Jahr 2000 begannen, zu ihrer negativen Einschätzung gelangt, denn lange wurde Mugabe als «Befreier» gepriesen.
Simbabwe war 90 Jahre lang unter dem Namen «Rhodesien» eine von weißen, hauptsächlich britischen Siedlern dominierte Kolonie, in der die afrikanische Mehrheitsbevölkerung ausgegrenzt und diskriminiert wurde. 1965 hatte sich das Siedlerregime unter dem Farmer und Politiker Ian Smith von der Kolonialmacht Großbritannien losgesagt, um zu verhindern, dass diese das Land unter schwarzer Mehrheitsherrschaft in die Unabhängigkeit entließ. Mugabe hatte sich 1976 erfolgreich an die Spitze eines Guerillakriegs gesetzt, durch den die weiße Minderheit schließlich zur Machtübergabe am Verhandlungstisch gezwungen wurde. Zur Überraschung vieler Weißer, auch westlicher Diplomaten, gab sich Mugabe nach der Unabhängigkeit 1980 versöhnlich und pragmatisch, was seinen Ruf als Hoffnungsträger begründete. Gegenüber der eigenen Bevölkerung bezog er sich beständig auf den «Befreiungskampf», um seine fortgesetzte Herrschaft zu legitimieren.
Die meisten Biographen betonen Mugabes Wandel vom Reformer oder gar Revolutionär der 1970er und 1980er Jahre zum Tyrannen, zu dem er erst nach 2000 geworden sei, als er bereits 76 Jahre alt war. Doch wie soll ein solcher Persönlichkeitswandel im fortgeschrittenen Alter plausibel erklärt werden? Es bleiben nur vulgärpsychologische Deutungen, die meist auf seine Vergreisung Bezug nehmen. In der Forschung wie in den Medien wurde viel gemutmaßt, wie der «Befreier» Mugabe sich zu einem korrupten Präsidenten entwickeln konnte. Dies ist nur dann ein Rätsel, wenn man davon ausgeht, dass er jemals andere Prioritäten als seinen Machterhalt hatte.[1] Tatsächlich kam es zu der Einschätzung, Mugabe habe sich grundlegend geändert, weil man die Anzeichen seiner Gewaltherrschaft übersehen oder heruntergespielt hat. Sein angeblicher Wandel vom Hoffnungsträger und engagierten Sozialpolitiker zum Diktator ist ein Wahrnehmungsfehler bei den vielen, die in den 1980er Jahren wegschauten, als er das ungeheuerliche Verbrechen des Gukurahundi initiierte. Bei diesem brutalen Militäreinsatz gegen die Ndebele-Bevölkerung des Landes wurden 20.000 Bürgerinnen und Bürger Simbabwes ermordet, die sich nichts hatten zuschulden kommen lassen.
Schon zeitgenössische Beobachter übersahen in den 1970er Jahren das faschistische Vokabular in Mugabes Reden, als der «Marxist-Leninist» seine politischen Gegner als «Ungeziefer» denunzierte und sich öffentlich in Gewaltphantasien erging. Bereits in seinen Anfangsjahren als Premierminister ab 1980 ließ der «Hoffnungsträger» politische Gegner foltern und hieß solche Praktiken in aller Öffentlichkeit gut. Er und andere Politiker legten sich frühzeitig gewaltbereite Privatarmeen aus arbeitslosen Jugendlichen zu, die sie als Stoßtrupps unter anderem gegen Rivalen in den eigenen Reihen einsetzten.
Diese Biographie bietet eine Neueinschätzung der Karriere Mugabes, weil sie nachweist, dass sein Aufstieg und seine Regierungszeit von Kontinuität und nicht von einem tiefgreifenden Wandel bestimmt sind. Der Politiker Mugabe wuchs in eine Gewaltkultur hinein, die andere in den späten 1950er Jahren begründet hatten. Er musste sich ihr anpassen, wollte er politisch überleben. Mugabe interessierte sich erst für Politik, als er schon Mitte dreißig war und im Lehrerberuf seine Erfüllung gefunden hatte. Eine politische Karriere schien ihm trotz seiner früh sichtbaren intellektuellen Begabung nicht in die Wiege gelegt zu sein. Darum muss man die Zeit seiner politischen Anfänge als zweite Sozialisation sehen, durch die der schüchterne Bücherwurm und Einzelgänger zum machtgierigen Politiker wurde. Bald erlangte er eine bemerkenswerte Virtuosität im Einsatz von Gewalt; nach 2000 prahlte der Mann mit sieben Universitätsabschlüssen, er habe «degrees in violence». Trotzdem blieb er ein Schreibtischtäter, er hat in dem Unabhängigkeitskrieg, den er als Politiker anführte, nie selbst gekämpft. Vom fernen Maputo aus zog er die Fäden, doch den Gefahren des Guerillakriegs setzte er sich nicht aus.
Mugabe hat die Verhältnisse in Simbabwe mehr als jeder andere geprägt. Seit 1980 als Premierminister und ab 1987 als Präsident verfügte er über eine ungeheure Machtfülle, die er in erster Linie dazu einsetzte, sie zu erhalten. Dazu war ihm jedes Mittel recht, wie die gewaltsamen Säuberungen in seiner Partei, der Zimbabwe African National Union (ZANU), während des Unabhängigkeitskrieges, Gukurahundi, die Zerstörung von Gesellschaft und Wirtschaft Simbabwes und der gezielte Einsatz von Hungersnot als politische Waffe belegen.[2]
Zweifellos ist politischer Opportunismus eine Konstante in Mugabes Werdegang. Er hat ideologische Bekenntnisse aufgegeben und seine politische Richtung mehrfach geändert: In den 1970er und 1980er Jahren bekannte er sich zum Marxismus-Leninismus, dann machte er eine Kehrtwende und akzeptierte 1991 ein neoliberales Strukturanpassungsprogramm des Internationalen Währungsfonds. Im ersten Jahrzehnt seiner Amtszeit baute er den Sozialstaat aus, förderte das Gesundheits- und Bildungswesen, nur um nach einer Niederlage in einem Verfassungsreferendum im Jahr 2000 und angesichts einer erstarkenden Opposition alles bis dahin Erreichte wieder zu zerstören und das Land in einen Abgrund an Armut, Repression und Gewalt zu reißen.
Doch Mugabe ist mehr als der Tyrann Simbabwes, denn er hat Techniken des Machterwerbs und Machterhalts mit besonderer Virtuosität gehandhabt, wie sie auf dem afrikanischen Kontinent – und nicht nur hier – vielfach zur Anwendung kamen: Dazu gehört das Changieren zwischen Nationalismus und ethnischen Identitäten ebenso wie der Aufbau eines Patronagestaats, dessen Klientelnetze über politische Bosse der Regierungspartei laufen und beim Präsidenten als dem Großpatron zusammenkommen. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen ist es Mugabe trotz seiner katastrophalen Politik bisher gelungen, die Armee ruhig und auf seiner Seite zu halten. Dies ist der gemeinsamen Bezugnahme auf den Unabhängigkeitskrieg gegen das weiße Siedlerregime ebenso zu verdanken wie einer systematischen Korrumpierung der Militärführung.
Mugabe ist ein Exemplum für postkoloniale Machttechniken, wie sie vielerorts für autoritäre Regime und Diktaturen kennzeichnend waren und sind – Kenia unter Jomo Kenyatta und Daniel arap Moi wies zahlreiche Parallelen zu Simbabwe auf,[3] aber auch jenseits von Afrika, etwa in Syrien oder im Irak des Saddam Hussein, fanden sich ähnliche Strukturen. Auch dort bauten kleine Cliquen, meist gemeinsamer regionaler und ethnischer Herkunft, Machtapparate auf, die erstaunlich stabil waren, weil viele an Glanz, Macht und Reichtum der neuen Eliten teilhaben konnten und davon profitierten.
Blickt man auf Mugabes Lebensweg, so wird darin die Geschichte des Kolonialismus sichtbar, seine Gewaltherrschaft ist dessen unmittelbare Fortsetzung. Mugabes Diktatur spiegelt die ähnlich repressive Herrschaft der weißen Siedler, die Kontinuitäten vom autoritären Siedlerpremier Ian Smith zu Robert Mugabe sind unübersehbar. Tatsächlich ist Mugabes Herrschaft ein Wiedergänger, Folge einer Vergangenheit, die nicht vergehen kann, weil sie intellektuell und emotional nie verarbeitet wurde, weil die Gewalt der Siedler mit der Gewalt schwarzer Nationalisten beantwortet wurde, weil der rassistische Triumphalismus der Weißen vom Triumphalismus des «Befreiungskampfes» abgelöst wurde.
Mit der Unabhängigkeit wurden in Simbabwe neben dem Land selbst zahlreiche Städte und Ortschaften umbenannt. Hier werden die jeweils zum Zeitpunkt der Erzählung offiziellen Bezeichnungen benutzt, bis 1980 schreibe ich entsprechend über Rhodesien, wie das Land damals offiziell hieß, und erst danach über Simbabwe. Es geht dabei um historisch angemessene Bezeichnungen, eine politische Stellungnahme ist keineswegs impliziert. Einzig der besseren Lesbarkeit halber verwende ich das generische Maskulinum. Ich danke den Herausgebern dieser Reihe, Thomas Schlemmer, Andreas Wirsching und Hans Woller, für die Zusammenarbeit und für ihre Koordinationsleistung, die verschiedenen Biographien zu einer Buchreihe zu gestalten. Sebastian Ullrich und Laura Pöhler vom Verlag C.H.Beck verdanke ich wertvolle Hinweise. Dieses Buch erscheint in dem Jahr, in dem der bedeutende Historiker und Beck-Autor Wolfgang Reinhard seinen 80. Geburtstag feiert. Ich widme es ihm aus langer Verbundenheit und Freundschaft, die sich mittlerweile über ein Vierteljahrhundert erstreckt.
KUTAMA, 21. FEBRUAR 1924
Robert Gabriel Mugabe wurde in der Nähe des kleinen Dorfes Kutama im südlichen Zentralafrika geboren, in dem er seine Kindheit und Jugend verbrachte. Das Land, in dem er 1924 das Licht der Welt erblickte, war erst 1890 unter dem Namen «Südrhodesien» eine britische Kolonie geworden. Die europäischen Kolonialmächte, die zuvor nur Küstengebiete kontrolliert hatten, teilten den afrikanischen Kontinent in den 1880er Jahren in rasantem Tempo untereinander auf. Mugabes Heimatland besaß aufgrund der kolonialen Grenzziehungen keinen Zugang zum Meer. Im Osten teilte es eine lange Grenze mit der portugiesischen Kolonie Mosambik, im Norden trennte der größte Fluss der Region, der mächtige Sambesi, das Land von einer anderen britischen Besitzung, dem heutigen Sambia. Im Süden grenzte der Limpopo-Fluss Rhodesien von Südafrika ab, und im Westen lag Bechuanaland, das mit der Entkolonialisierung 1966 den Namen «Botswana» annahm und sich zu großen Teilen in die Kalahari-Wüste erstreckt. Rhodesien war Teil des Hochlandes, das auf der Ostseite des Kontinents von Südafrika bis nach Äthiopien reicht.
Das Plateau von Rhodesien hat wegen seiner durchschnittlichen Höhe von etwa 1200 Metern über dem Meeresspiegel ein angenehmes Klima. Es besteht aus einer von kleineren Flüssen durchzogenen, sanft gewellten Hochebene. Granitkuppen durchbrechen an vielen Stellen diese weite Landschaft. Sie bilden bizarre Felsformationen und eignen sich wegen ihrer Spalten und Höhlen als Rückzugs- und Schutzräume, die Mugabes Guerillakämpfer nutzen sollten. Das Hochplateau fällt in einem Steilabbruch nach Osten zur Küstenebene ab. Die Niederschläge schwanken im Jahreskreislauf, aber die Wasserversorgung insgesamt ist prekär, weil im Durchschnitt jedes dritte Jahr zu wenig Regen fällt. Die Regenzeit dauert in Rhodesien von November bis etwa März, während die Wintermonate niederschlagsfrei sind.
In diesem prekären Klima war es sinnvoll, sich nicht auf eine Wirtschaftsform allein zu verlassen, etwa nur auf den Ackerbau. Als Mugabe geboren wurde, betrieben die Bewohner des Landes bereits seit Jahrhunderten eine gemischte Wirtschaft aus Anbau und Viehzucht. So konnten sie Dürreperioden überbrücken, wenn die Ernte unzureichend war oder ganz ausfiel, zumal man die Tierherden im Notfall auf entferntere, besser bewässerte Weiden treiben konnte. Die Wirtschaft war arbeitsteilig organisiert: Während die Männer für alles zuständig waren, was die Rinderzucht betraf, oblag den Frauen der größte Teil des Anbaus. Auf dieser Form der Arbeitsteilung gründete die Kultur der afrikanischen Bevölkerung. Rinder waren ein Besitz, der viel Prestige verlieh; wer viele gut genährte, schöne Tiere sein eigen nannte, konnte dadurch sozialen Einfluss erwerben. Rinder waren nicht einfach Fleisch- und Milchlieferanten, sondern ein Gut, das mehr als den reinen Gebrauchswert besaß. Wenn ein Mann heiraten wollte, musste er der Familie seiner künftigen Frau Rinder übergeben. Dies war kein Tauschhandel, wie es viele Europäer missverstanden, der Mann «bezahlte» nicht für seine Frau mit Rindern, sondern der Eheschluss und die Gegengabe der Rinder besiegelten ein Bündnis der Familien. Überhaupt dienten Heiraten oft dazu, Familienallianzen zu bilden oder Streitigkeiten endgültig beizulegen. Obwohl die Macht zwischen den Geschlechtern sehr ungleich zugunsten der Männer verteilt war, waren die Frauen nie ganz einflusslos. Dies lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass sie Getreide produzierten. Aus einem Teil des Getreides brauten sie Bier, das den Ahnen geopfert wurde. Meist gab es in der Nähe der Siedlung einen abgegrenzten Hain, in dem Kalebassen mit Bier als Gabe für die Ahnen aufgestellt wurden. Da auf die jährliche Regenzeit kein Verlass war, legte die Bevölkerung Getreidespeicher an, die je nach Gegend entweder aus Lehm gemauert waren oder aus mit einer Art Zement ausgekleideten großen Erdlöchern bestanden, in denen das Getreide jahrelang trocken und sicher vor Mäusen, Insekten und Schlangen aufbewahrt werden konnte.
Rhodesiens Bewohner gehörten bis Mitte des 19. Jahrhunderts der Bantu-Sprachfamilie an, deren Sprecher den riesigen Raum südlich des Äquators besiedelten. Für die Bewohner der Region zwischen Sambesi und Limpopo setzte sich erst in den Jahrzehnten vor der Kolonialzeit die Bezeichnung «Shona» durch oder, mit der für die Bantu-Sprachen typischen Pluralvorsilbe «Ma», «Mashona». Die Shona unterteilten sich in verschiedene Gruppen, von denen die drei größten die Karanga im Süden des Landes, die Manyika im Osten und die Zezuru im Zentrum waren. Kutama, wo Robert Mugabe seine Kindheit und Jugend verbrachte, liegt in der Mitte des Landes, Mugabe gehörte zu den Zezuru. Doch ungeachtet der dialektalen Unterschiede bildeten die Shona eine kulturelle Einheit.
Im Westen des Landes siedelten die erst im 19. Jahrhundert aus Südafrika eingewanderten Ndebele. Während die Shona heute etwa 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen, stellen die Ndebele ungefähr 13 Prozent. Die übrigen 7 Prozent gehören verschiedenen Minderheiten an, die in den Grenzregionen und in den anderen Ökozonen der Flusstäler leben. Dazu zählen auch Weiße, bis zum Zweiten Weltkrieg ganze 3 Prozent der Gesamtbevölkerung Rhodesiens. Als Mugabe geboren wurde, regierten sie das Land seit drei Jahrzehnten und dominierten es wirtschaftlich.
Kutama lag im sogenannten Native Reserve Zvimba, einem Gebiet, das die schwarze Bevölkerung landwirtschaftlich nutzen durfte. Kutama heißt so viel wie «Wandern» oder «Migrieren». Der Ort wurde nach einem traditionellen Oberhaupt benannt, der vor dem Ersten Weltkrieg zum Christentum konvertierte und die Jesuiten einlud, dort eine Missionsstation zu gründen. Eine neugotische Kirche beherrschte das Bild des Ortes, der mehr als 10 Kilometer von der nächsten Bahnstation entfernt lag.[1] Außer den Missionaren gab es keine Weißen in dieser Gegend.
In der Nähe von Kutama gebar Bona Mugabe am 21. Februar 1924 ihr drittes Kind – wie die beiden älteren ein Sohn – und nannte ihn Robert. Die junge Mutter war auf der katholischen Missionsstation Chishawasha aufgewachsen.[2] Sie war eine fromme Katholikin wie ihr Mann, Gabriel Matibili, der von Beruf Schreiner war und als ein besonders guter Handwerker galt. Eigentlich hieß Matibili mit Vornamen Masuzyo, doch ein weißer Kolonialbeamter verpasste ihm, weil er diesen Namen nicht aussprechen konnte, den Vornamen Gabriel. Matibili hatte einige Zeit in Mutoko im Osten der Kolonie gearbeitet, bevor er in die Kleinstadt Norton im Zentrum weiterzog. Dort lernte er Bona kennen, die er 1918 heiratete und mit der er mehr als zehn Jahre zusammenlebte. Sie hatten insgesamt sechs gemeinsame Kinder.
Wie viele andere Bewohner Rhodesiens stammte Matibili aus Nyasaland, dem heutigen Malawi. Von seinem eigenen Vater, Roberts Großvater, ist nur bekannt, dass er Chatunga hieß und im äußersten Norden dieser kleinen britischen Kolonie lebte, wo er zur ethnischen Gruppe der Tumbuka gezählt wurde. Nyasaland war das Armenhaus des südlichen Zentralafrika und in seiner von Norden nach Süden lang gestreckten Form ein typisches Produkt willkürlicher Grenzziehung durch die Kolonialmächte. Im Vergleich zu seinen Nachbarn war es dicht besiedelt, im Hinblick auf seine geringe Wirtschaftskraft geradezu überbevölkert, weswegen es ein Arbeitskräftereservoir darstellte. Viele männliche Bewohner zog es zu den Goldminen Südafrikas, wo man vergleichsweise gut verdienen konnte. Doch zahlreiche Wanderarbeiter erreichten ihr Ziel nicht, sondern ließen sich dauerhaft in Rhodesien nieder. Die Männer aus Nyasaland waren als billige Arbeitskräfte in Bergbau, Handwerk, Landwirtschaft und selbst in den Haushalten begehrt, zumal die Kolonialregierung von Rhodesien die Urbanisierung der eigenen schwarzen Bevölkerung verhindern wollte. In der Hauptstadt Salisbury stellten Zuwanderer aus Nyasaland lange die Mehrheit der schwarzen Bevölkerung. Gabriel Matabili war also keine Ausnahme, und er integrierte sich wie viele seiner Landsleute. Diese waren bei den Shona-Frauen beliebt, denn, wie der Journalist Nathan Shamuyarira feststellte, «am Zahltag geben sie ihren Frauen die ganze Geldbörse […] Mashona-Männer würden sowohl das Geld als auch die Frau als ihr Eigentum betrachten.»[3]
Obwohl Robert später den Namen Mugabe, einen Shona-Namen, annahm, blieb er stets mit einem Makel behaftet, da sein leiblicher Vater aus dem Ausland stammte. Ihm fehlte die patrilineare Abstammung, der Anschluss an die über seinen Vater verlaufende Kette männlicher Ahnen, die für die Verortung in der Shona-Gesellschaft essenziell wichtig ist. Diese Zugehörigkeit wird noch überhöht durch das Totem, ein Tiersymbol, vergleichbar einem Familienwappen, das diese Zugehörigkeit repräsentiert. Der spätere Präsident Simbabwes war darum ein «Mann ohne Totem», ein Vorwurf, den er nach 2000 selbst in abfälliger Weise gegen Einwanderer erheben sollte. Das konnte er deswegen gefahrlos tun, weil seine eigene Herkunft lange kaum bekannt war. Erst 2014 sprach Mugabe anlässlich der Beerdigung seiner jüngsten Schwester Bridgette öffentlich über seine Familiengeschichte.[4]
Gabriel und Bona Matibili verliehen ihrem Sohn Robert den christlichen Vornamen des Vaters als zweiten Vornamen. Solche Benennungen nach Vorfahren waren zwar gebräuchlich, dennoch war diese Namensgebung insofern ungewöhnlich, als afrikanische Kinder häufig einen christlich-europäischen und einen afrikanischen Vornamen erhielten. Möglicherweise wollten die Eltern durch zwei christliche Vornamen ihr religiöses Bekenntnis demonstrieren, vielleicht lässt sich daran auch eine besondere Verehrung der frommen Katholiken für die Erzengel ablesen, denn Roberts ältere Brüder hießen Michael (1919–1934) und Raphael (1922). Zwei Jahre nach Robert gebar Bona einen vierten Sohn, Donato (1926–2010), es folgten noch zwei jüngere Töchter, Sabina (1934–2010) und Bridgette (1935–2014).
Die Welt, die Robert in seinen ersten Lebensjahren kennenlernte, beschränkte sich auf das kleine Dorf und seine Familie. Trotzdem wurde er in eine koloniale Welt hineingeboren. Die Region, in der er lebte, hatte schon früh Kontakte mit Europäern gehabt, jedoch ohne dass diese eine unmittelbare Herrschaft ausgeübt hätten. Die Portugiesen erreichten als erste Europäer im 16. Jahrhundert auf dem Seeweg das südliche Afrika und bauten bald Handelsbeziehungen zu den Shona auf. Diese waren schon Jahrhunderte zuvor über den Goldhandel mit muslimischen Kaufleuten an der Küste und über diese mit den Handelsräumen des Indischen Ozeans in Kontakt gekommen. Die Shona transportierten das von ihnen geförderte Gold durch die Tiefebene des heutigen Mosambik in die Küstenstädte und tauschten das Edelmetall gegen begehrte Waren ein, die vor allem der Prachtentfaltung ihrer Herrscher dienten: wertvolle Stoffe, Porzellan, Kunstgegenstände und Glasperlen zur Schmuckherstellung. Um die Distinktion augenfällig werden zu lassen, ließen sie sich Gebäudekomplexe aus quaderförmigen Granitsteinen errichten, die sich in dem Gebiet durch natürliche Verwitterung der Granitkuppen in großer Menge fanden. Das größte dieser Gebäude, Great Zimbabwe, war Zentrum einer Siedlung von schätzungsweise 20.000 Einwohnern und Hauptstadt eines Reiches. Diese Herrschersitze hießen bei der lokalen Bevölkerung dzimba za mabwe, Häuser aus Stein, woraus der Name «Simbabwe» gebildet wurde, der dem nachkolonialen Staat den Namen und die Erinnerung an eine große Vergangenheit verlieh.
Die politische Einheit, in der die Shona normalerweise zusammenlebten, war das chiefdom, das Häuptlingstum. Ein Chief, der aus einer privilegierten Familie stammte und über ein Erbcharisma verfügte, das ihn mit besonderen spirituellen Kräften ausstattete und seine Macht begründete, verstand sich als väterliches Oberhaupt der Menschen, die zu ihm kamen, damit er Rechtsstreitigkeiten schlichtete, und denen er Land zur Nutznießung zuwies. Ein Chief war kein Grundherr wie im Europa des Mittelalters und der frühen Neuzeit, sondern seine Macht beruhte auf der Loyalität der Menschen und der Kontrolle, die er über sie ausübte. Da die Region des späteren Rhodesien bis ins 19. Jahrhundert vergleichsweise dünn besiedelt war, war Land keine knappe Ressource, sehr wohl aber die Menschen, so dass die Chiefs um deren Loyalität wetteifern mussten. Darum gehörten Großzügigkeit und Freigiebigkeit zu den Tugenden eines Chiefs, der sich aber gleichzeitig bemühte, durch Prachtentfaltung den Eindruck seines Erbcharismas noch zu steigern. In der Geschichte der Shona kam es mehrfach dazu, dass einzelne Chiefs oder ihre Dynastien ihre Macht über weniger glückliche oder geschickte Konkurrenten ausdehnten und auf diese Weise durch Krieg und Eroberung, durch Einfluss und diplomatische Klugheit größere Reiche schufen. Solche Herrscher trugen in der Sprache der Shona den Titel «Mambo», während westliche Historiker sie als Könige bezeichnen, um ihren erhöhten Status herauszustreichen. Ihre Reiche waren von erstaunlicher Stabilität, einige überdauerten mehrere Jahrhunderte.
Als das Reich von Great Zimbabwe, dessen Blütezeit etwa zwischen 1200 und 1470 lag, seine Macht eingebüßt hatte, ging seine dominierende Stellung an zwei Nachfolgereiche über, die nebeneinander existierten. Über Torwa, das im Südwesten des Landes, weit entfernt von der Küste, lag, ist nur wenig bekannt. Für die Portugiesen, die sich seit dem 16. Jahrhundert an der Küste festsetzten und über ihre Kontakte berichteten, war das Mwene-Mutapa-Reich im Nordosten bedeutsamer, denn es wurde ihr wichtigster Handelspartner. Seit der ersten Reise Vasco da Gamas um die Südspitze Afrikas nach Indien hatten die Portugiesen die Route mit Stützpunkten entlang der Küsten abgesichert. Dabei waren sie besonders am Mündungsgebiet des Sambesi interessiert, wo der lukrative Goldhandel florierte. Von den Portugiesen stammen die meisten Quellen über die Shona-Reiche, wobei der Name des Mwene-Mutapa-Reiches in ihrer Schreibweise zum «Reich des Monomotapa» mutierte. Die Portugiesen versuchten verschiedentlich, es militärisch zu unterwerfen und eine direkte Kontrolle über die Goldförderung zu etablieren.[5] Ersteres gelang ihnen teilweise, immerhin brachten sie das Reich ab dem 17. Jahrhundert in ein Abhängigkeitsverhältnis, ohne es aber jemals militärisch zu dominieren. Letzteres, die Kontrolle über das Gold, erreichten sie nie. Im späten 17. Jahrhundert revoltierte der Oberbefehlshaber der Armee des mittlerweile stark geschwächten Mwene-Mutapa-Reiches gegen die Portugiesen. Er gründete seine eigene Dynastie der Changamire Rozvi und drängte die Portugiesen endgültig in die Tiefebene an der Ostküste ab. Sie sollten fortan keinen Einfluss mehr auf dem Hochland ausüben. Die heutige Grenze zwischen Mosambik und Simbabwe geht auf diese Ereignisse im 17. und 18. Jahrhundert zurück.[6]
Rozvi, das letzte große Reich der Shona, wurde im frühen 19. Jahrhundert von kriegerischen Einwanderergruppen aus dem heutigen Südafrika überrannt und gewaltsam beseitigt. Die Ursache für mehrere Invasionen waren politische Zentralisierungsprozesse südlich des Limpopo, die durch die Expansion der Kapkolonie und den Zugang zu Waffen und Waren ausgelöst wurden. Als bedeutsam für die südafrikanische Entwicklung erwies sich der Aufstieg des Zulu-Königreiches zur wichtigsten Militärmacht, der sekundäre Reichsbildungen und die Abwanderung ganzer Bevölkerungsgruppen auslöste, von denen sich einige nach Norden über den Limpopo begaben und aufgrund ihrer militärischen Organisation den Rozvi überlegen waren. Die letzte dieser Gruppen waren die von der südafrikanischen Ostküste stammenden Ndebele unter Führung ihres Königs Mzilikazi. Dieser etablierte im Südwesten des heutigen Simbabwe ein Königreich, das nach der Zerstörung des Rozvi-Reichs die lokale Bevölkerung unterwarf und zu erheblichen Teilen kulturell assimilierte. Meist übernahmen die Unterlegenen die prestigeträchtigere Kultur der Sieger, doch adaptierten umgekehrt auch die Ndebele lokale Bräuche.[7] Die östlichen und nördlichen Teile des heutigen Staates Simbabwe blieben unabhängig oder gerieten allenfalls in eine mehr oder weniger lockere Tributpflicht und Abhängigkeit von den Ndebele. Bei den nicht unterworfenen Shona im größten Teil der Region gab es Mitte des 19. Jahrhunderts kein größeres Reich mehr, aber zahlreiche, teilweise durchaus mächtige Chiefdoms, die bis zur Ankunft der Weißen unabhängig agierten.
Mzilikazi, der mit seinem Volk mehrere Jahrzehnte lang unterwegs gewesen war, war einer der bedeutendsten Politiker der Region im 19. Jahrhundert. Als er hochbetagt im Jahr 1868 starb, hinterließ er ein stabiles Reich mit einer Armee, die neben derjenigen der Zulu das mächtigste afrikanische Heer im südlichen Afrika war. Nach mehrmonatigen Auseinandersetzungen um die Nachfolge wurde sein Sohn Lobengula zum neuen König ausgerufen und damit zur wichtigsten politischen Persönlichkeit nördlich des Limpopo-Flusses.
Nur ein Jahr vor dem Tod Mzilikazis waren im heutigen Südafrika Diamanten entdeckt worden, die Einwanderer aus vielen Ländern anlockten. Die Diamantvorkommen waren so reichhaltig, dass die Märkte mit den Edelsteinen überschwemmt wurden, weshalb die Preise sanken und die weitere Produktion unrentabel machten. Daraus resultierte ein Monopolisierungsprozess, denn wer die gesamte Produktion kontrollierte, konnte den Markt künstlich verknappen und die Preise stabilisieren. Aus dem Verdrängungswettbewerb ging schließlich der aus England stammende Pastorensohn Cecil Rhodes als Triumphator hervor. Seinen neu gewonnenen Reichtum nutzte er als Sprungbrett für eine politische Karriere, die ihn 1890 auf den Sessel des Premierministers der britischen Kapkolonie führte.
Als 1886 in Südafrika die größten Goldvorkommen der Welt entdeckt wurden und die neue Bergbaumetropole Johannesburg wie ein Pilz aus dem Boden schoss, weckte dies Begehrlichkeiten bei den Briten. Denn nun verschob sich das Machtgleichgewicht in der ganzen Region zugunsten des Transvaal, der bis dahin als wirtschaftlich unbedeutend gegolten hatte und von nur einigen tausend weißen Siedlern ursprünglich niederländischer Herkunft, den sogenannten Buren (Bauern), beherrscht wurde. Fast über Nacht wurde ihre unabhängige Republik zur Schlüsselregion, doch richtete sich die Aufmerksamkeit mancher Weißer auch verstärkt auf das Land nördlich des Limpopo. Schließlich hatten die Portugiesen in ihren Chroniken über den Goldhandel berichtet, den sie mit den Shona über viele Jahrzehnte betrieben hatten. Alle möglichen Legenden rankten sich um diese Goldvorkommen und eine Stadt im Landesinneren, Great Zimbabwe, die noch kein Europäer zu sehen bekommen hatte. Weil Rhodes seine ökonomische Macht in den Diamantgebieten Südafrikas erst festigen musste, waren ihm die lukrativsten Goldabbaustätten entgangen, die seine Rivalen unter sich aufgeteilt hatten. Er spekulierte darauf, dass es im Norden ebenfalls reiche Vorkommen geben könnte, wofür er in den portugiesischen Berichten deutliche Hinweise zu finden glaubte. Wenn er sich dieser Region bemächtigte – so seine Vorstellung –, hätte er mit einem Schlag seine Rivalen ausgestochen und seine Vorherrschaft vom Diamantenbergbau auf den Goldabbau ausgedehnt. Als gewiefter Propagandist in eigener Sache malte er die Vision eines El Dorado im Land der Shona und Ndebele aus.
Rhodes wurde nur 51 Jahre alt, doch während seines kurzen Lebens entwickelte er hochfliegende Pläne, die er mit geschickter Propaganda einer staunenden und begeisterten Öffentlichkeit verkaufte und mit großer Energie umsetzte. Auf eigene Kosten trieb der Privatunternehmer die Expansion des britischen Weltreiches voran, zur Ehre der britischen Nation und im Bewusstsein ihrer zivilisatorischen Sendung in der Welt. Seine sorgsam gepflegten Beziehungen zum britischen Establishment ermöglichten es ihm, einen ebenso gewagten wie visionären Plan in die Tat umzusetzen, mit dem er die Macht des Empire in die Gebiete nördlich des Limpopo ausdehnte.
Rhodes wollte den Transvaal mit britischem Territorium umgeben als ersten Schritt zu seiner faktischen Einverleibung in den britischen Einflussbereich. Noch dringlicher erschien dieses Vorgehen, weil die Deutschen sich seit 1884 an der Westküste festgesetzt und allmählich ein riesiges, aber dünn besiedeltes Territorium angeeignet hatten, das heutige Namibia. Selbst wenn sie dort militärisch in den ersten Jahren außer ein paar Soldaten nicht viel zu bieten hatten, so stand nun doch einer der mächtigsten europäischen Staaten in der unmittelbaren Nähe der Kapkolonie. Ein Bündnis der Deutschen mit den Buren des Transvaal war angesichts der vielfach beschworenen Freundschaft der beiden «stammverwandten» Völker nicht ausgeschlossen, ja es war im schlimmsten Fall sogar eine weitere territoriale Ausdehnung bis hin zu einem Zusammenschluss vorstellbar, der jede britische Expansion von der Kapkolonie nach Norden auf Dauer hätte unterbinden und die Kapkolonie selbst in die Abhängigkeit von Deutschland drängen können. Rhodes gelang es, das Gebiet westlich des Transvaal teilweise der Kapkolonie zuzuschlagen, teilweise von Großbritannien als Protektorat (Bechuanaland, das spätere Botswana) übernehmen zu lassen. So blieb das Land der Shona und Ndebele weiter nördlich eine der wenigen Regionen des Kontinents, auf die noch keine europäische Kolonialmacht wirksam Anspruch erhoben hatte.
Diese Umstände erleichterten es Rhodes, die Zustimmung der Londoner Regierung zur Gründung einer Aktiengesellschaft zu gewinnen. Unter dem Namen British South Africa Company (BSAC) wurden ihr 1889 in einer königlichen Charta territoriale Hoheitsrechte übertragen, die sie in den erst noch in Besitz zu nehmenden Gebieten nördlich des Transvaal im Auftrag und unter der nominellen Aufsicht der britischen Regierung ausüben durfte. Damit verbunden waren weitreichende Rechte an der Ausbeutung von Bodenschätzen, Zugang zu Farmland, Ausübung von Herrschaft über die lokale afrikanische Bevölkerung und das Recht, Krieg zu führen. Der Regierung in London war Rhodes’ Angebot höchst willkommen, da es die britischen Steuerzahler nichts kosten würde. Die Kompanie war ein in der neueren Geschichte bisweilen anzutreffendes Amalgam aus Aktiengesellschaft und krimineller Vereinigung, wobei sich beide Aspekte wechselseitig verstärkten. Denn Misserfolge ließen die Aktienkurse einbrechen, von denen die Handlungsfähigkeit der Kompanie abhing, wodurch die Hemmschwelle zu ungesetzlichem Handeln deutlich sank.
Rhodes sandte seine Emissäre, meist enge Vertraute aus seinem homosexuellen Freundeskreis, zu der Schlüsselperson seiner Pläne, dem Ndebele-König Lobengula. Tatsächlich gelang es ihnen, das Misstrauen des Königs allmählich zu überwinden und ihn zu überreden, ein Schriftstück zu unterzeichnen, das er als Analphabet nicht lesen konnte. Bald sollte er herausfinden, dass er mit dem Vertrag, mit dem er meinte, begrenzte Konzessionen an Einzelpersonen verliehen zu haben, in Wirklichkeit sein gesamtes Land an die BSAC übertragen hatte.[8] 1890 marschierte eine Truppe bewaffneter weißer Abenteurer im Auftrag der BSAC über den Limpopo und zog östlich am Ndebele-Reich vorbei nach Norden, wo sie am Fuß eines Hügels das Fort Salisbury errichtete, aus dem die gleichnamige Hauptstadt der neuen Kolonie entstand. Die sogenannte Pionierkolonne bestand zum überwiegenden Teil aus weißen Südafrikanern, die durch die vollmundigen Versprechungen Rhodes’ angelockt worden waren. Die BSAC suchte und fand schon 1893 einen Vorwand, das Ndebele-Reich mit Krieg zu überziehen, den sie aufgrund ihrer modernen Bewaffnung gewann. Lobengula konnte zwar fliehen, doch starb er kurze Zeit später unter ungeklärten Umständen. Da Rhodes verhinderte, dass die Ndebele einen Nachfolger als König ausrufen konnten, war die Monarchie damit faktisch abgeschafft.
Mit dem Gebiet zwischen Limpopo und Sambesi war Rhodes’ Landgier noch nicht befriedigt, denn er eignete sich ein ähnlich großes Gebiet nördlich des Sambesi an. Nach einigen Jahren wurden beide Gebiete ihrem Gründer zu Ehren «Rhodesien» getauft. Das Land der Shona und Ndebele hieß nun Südrhodesien, das Gebiet nördlich des Sambesi, das heutige Sambia, wurde zu Nordrhodesien und erhielt eine vom Süden getrennte Verwaltung. Südrhodesien kam unter die unmittelbare Kontrolle der BSAC. Diese setzte einen Administrator ein, der nur einer lockeren und ineffizienten Aufsicht des britischen Kolonialministeriums unterstand. Tatsächlich war er weisungsabhängig von der BSAC, also letztlich von Rhodes selbst. Diese komplizierte Rechtslage, die keine klaren Zuständigkeiten kannte, war ein Freibrief für die gierigen Gesellen, die für Rhodes arbeiteten und jetzt den Lohn für ihre Mühen einstreichen wollten.
Die Kompanie hauste wie eine Räuberbande: Sie beschlagnahmte in großem Stil das Vieh der Afrikaner und verdrängte diese nach und nach vom fruchtbarsten Land. Es stellte sich nämlich nur zu rasch heraus, dass Rhodes’ Vorstellungen, in dem Gebiet gebe es riesige Goldvorkommen, nur Träume waren. Das meiste Gold war bereits in den Jahrhunderten zuvor von den Afrikanern abgebaut worden, und die Vorkommen, die tiefer unter der Erde lagen, erwiesen sich als nicht annähernd so ergiebig wie diejenigen bei Johannesburg. Für Rhodes ergab sich daraus ein großes Problem, weil nun die Aktienkurse seiner Kompanie an der Londoner Börse einzubrechen drohten. Um dies abzuwenden, riss er das Ruder herum und entwickelte aus einer intendierten Bergbaukolonie eine Siedlerkolonie für Farmer, die er mit dem Versprechen großzügiger Landzuwendungen anlockte. Ohne die lokale Bevölkerung um ihr Einverständnis zu fragen, machten sich weiße Landbesitzer breit, die die Afrikaner wie Leibeigene behandelten, schnell zur Gewalt griffen und ihnen bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu verstehen gaben, dass sie sie für Barbaren hielten. Schon in der Frühzeit der Kolonie wurde die Saat für eine Kultur der Gewalt gelegt, denn die Herrschaft der BSAC lief auf eine Ausplünderung des Landes, auf die Ausbeutung und Unterwerfung seiner Bevölkerung sowie die Missachtung von Ehre und Ansehen der Chiefs hinaus. Die Afrikaner, für die diese Enteignung überraschend kam, waren indes nicht gewillt, sich dergleichen gefallen zu lassen. Sie warteten auf eine Gelegenheit zur Gegenwehr, die sich nur zu bald eröffnete.
In der Bergbaustadt Johannesburg war die Unzufriedenheit der Bergbaumagnaten mit der ineffizienten burischen Regierung, die ihnen zudem das Wahlrecht vorenthielt, gestiegen. Rhodes dachte sich einen ebenso abenteuerlichen wie illegalen Plan aus, um letztlich doch noch die Kontrolle über das Territorium zu erringen. Er wollte einen «Aufstand» der englischsprachigen Bevölkerung in der Bergbaumetropole inszenieren. Den Aufständischen sollte brüderliche Hilfe zuteilwerden in Gestalt einer mehrere hundert Mann starken, gut bewaffneten Polizeitruppe aus Südrhodesien, die unter dem Befehl von Rhodes’ Intimus Leander Starr Jameson die Grenze zum Transvaal überschreiten und das Land für Großbritannien in Besitz nehmen sollte. Allerdings bekam die burische Regierung des Transvaal frühzeitig Wind von diesem Vorhaben und ließ Jameson und seine Truppe in eine Falle laufen. Der Administrator von Südrhodesien wurde mit fast der gesamten Polizei des Landes von den Buren zur Kapitulation gezwungen und inhaftiert. Die Shona und Ndebele nutzten die Gunst der Stunde, um die lästige Herrschaft der Weißen abzuschütteln. Im Jahr 1896 begann eine breite Erhebung der Bevölkerung gegen die Briten, die später zum ersten Freiheitskrieg, dem Chimurenga (Aufstand) in der Shona-Sprache, stilisiert wurde. In Wirklichkeit handelte es sich jedoch nicht um einen nationalen Unabhängigkeitskrieg, weil es in Südrhodesien zu dieser Zeit keine Vorstellung davon gab, was eine Nation ist. Tatsächlich beteiligten sich nicht alle Chiefdoms der Shona an dem Aufstand, sondern sie folgten jeweils ihren Partikularinteressen.
Die Briten wurden völlig überrumpelt und brauchten Wochen, um eine effiziente Gegenoffensive starten zu können, die sie mit äußerster Brutalität und Härte führten. Während Rhodes selbst in die Ndebele-Hauptstadt Bulawayo reiste und mit den Chiefs der Ndebele erfolgreich verhandelte, um sie zur Einstellung der Kämpfe zu bewegen, war es für die Briten im Rest des Landes schwerer, die Oberhand zu gewinnen, da sie es hier nicht mit einer zentralisierten Macht zu tun hatten, sondern jedes Chiefdom einzeln unterwerfen mussten. Dabei leisteten sie aber ganze Arbeit und entfesselten einen Terror unter der Bevölkerung, der das Klima in der Kolonie auf Jahrzehnte vergiften sollte. Die Soldaten brannten Dörfer nieder, massakrierten die Zivilbevölkerung, zerstörten Vieh- und Getreidebestände, ließen Chiefs hinrichten, kurz: Sie verhielten sich so, wie es ein zivilisierter Shona-Krieger nie getan hätte, da er genaue Vorstellungen davon hatte, was in einem Krieg erlaubt war und was nicht.[9] Die Siedler pflegten ihrerseits rassistische Klischees von den barbarischen Afrikanern, so dass sich nach dem Aufstand und seiner Niederschlagung auf beiden Seiten Argwohn und Misstrauen einwurzelten.
Zwar gewann die BSAC mit viel Mühe den Krieg, doch bedeutete der Chimurenga für sie ein Fiasko. Zudem beendete Jamesons Transvaal-Abenteuer Rhodes’ politische Karriere vorzeitig, da er als Premierminister der Kapkolonie zurücktreten musste. Die britische Regierung sah sich nun doch veranlasst, einzugreifen und der weiteren Herrschaft der Kompanie wenigstens gewisse Grenzen zu setzen. Sie erließ eine neue Charta, die den Schutz der einheimischen Bevölkerung betonte. Das Native Affairs Department, die für die Mehrheit der Bevölkerung zuständige Abteilung der Kolonialverwaltung, stand nicht mehr unter der direkten Kontrolle der BSAC. Das waren indes papierne Maßnahmen, die in der Realität nicht allzu viel bedeuteten, wie Generationen schwarzer Politiker lernen mussten, die sich vergeblich an die imperiale Machtzentrale in London wandten, um diskriminierende Gesetze und Maßnahmen zu verhindern.
Wichtiger für die weitere Entwicklung der Kolonie war die von der britischen Regierung verfügte zeitliche Begrenzung der BSACBSAC