Toxikologie für alle

Wann ist ein Stoff gefährlich?

Helmut Greim

und

Heidrun Greim

Vorwort

Wir werden immer wieder über die öffentlichen Medien, aber auch von Bundesbehörden wie dem Umweltbundesamt (UBA) oder dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) mit Informationen konfrontiert, dass in der Atemluft, in Nahrungsmitteln, Getränken oder im Trinkwasser bestimmte Chemikalien nachgewiesen worden sind. Damit geht man davon aus, dass ein gesundheitliches Problem vorliegt, oder es wird der Hinweis, dass die gefundenen Konzentrationen nicht gesundheitsgefährlich sind, als Verharmlosung empfunden. Wer allerdings mit den Grundprinzipien der Toxikologie vertraut ist, fragt nach der Menge bzw. der Konzentration der Chemikalie in der Luft, in dem Nahrungsmittel oder in dem Getränk, vergleicht dies mit gültigen Grenzwerten oder aus Tierversuchen abgeleiteten unwirksamen Konzentrationen und kann daraus abschätzen, ob tatsächlich eine Gesundheitsgefährdung vorliegt.

Das wichtigste Grundprinzip der Toxikologie ist, dass nicht allein das Vorhandensein einer Chemikalie eine Gefahr für die Gesundheit darstellt; vielmehr hängt es von der Konzentration ab, ob die gefundene Menge im fraglichen Produkt, in der Atemluft oder im Trinkwasser gesundheitsgefährlich ist. Dieser Grundsatz ist jedem Toxikologen gegenwärtig, in allen Lehrbüchern ausführlich dargestellt, sodass die Situation leicht anhand dieser Informationen eingeschätzt werden kann.

Da die Empfindlichkeit der üblichen Messverfahren heute so groß ist, dass fast jede beliebige Chemikalie überall nachgewiesen werden kann, ist es umso wichtiger, dass man die gesundheitliche Relevanz der nachgewiesenen Menge beurteilen kann. Dies ist auch für den Nichtfachmann relativ einfach, wenn er die Grundprinzipien der Toxikologie und damit einer gesundheitlichen Bewertung kennt.

Angemerkt sei, dass eine solche Bewertung nicht dazu dient, Substanzen, die für eine bestimmte Verwendung nicht vorgesehen oder zugelassen sind, dann aber doch nachgewiesen werden, zu entlasten. Dies gilt genauso für Berichte über Substanzen in Nahrungsmitteln, die die vorgegebenen Grenzwerte überschreiten. Für solche Fälle soll jedoch beschrieben werden, wie die Gesundheitsgefährlichkeit zu bewerten ist, ohne das Vorkommen der Substanzen oder die Überschreitung von Grenzwerten dadurch gutzuheißen.

Ein in der Öffentlichkeit breit diskutiertes Beispiel ist das Fipronil, das in Legehennenbetrieben verbotenerweise zur Bekämpfung von Parasiten eingesetzt worden war, dadurch von den Hühnern unter anderem mit dem Futter aufgenommen wurde und damit in die Eier gelangt war. Das BfR hatte darauf hingewiesen, dass die Verwendung illegal, die gefundenen Fipronilkonzentrationen in den Eiern aber nicht gesundheitsgefährlich seien. Dennoch wurden Millionen von Eiern vernichtet, was eigentlich ein Widerspruch ist.

Wir nennen das Buch bewusst Toxikologie für alle. Wann ist ein Stoff gefährlich?, denn es gibt großvolumige Lehrbücher, die für Mediziner und Naturwissenschaftler in der Forschung und Lehre oder in der Industrie, aber auch in Behörden gedacht sind und damit für einen Nichtfachmann in Anbetracht der Fülle an Informationen schwer zu verstehen sind. In diesem Buch werden daher die Grundprinzipien der Toxikologie nachvollziehbar dargestellt, damit man auch als Laie abschätzen kann, ob eine mögliche Gesundheitsgefährdung vorliegt.

Nach einem allgemeinen Teil, der die Grundprinzipien der Toxikologie erläutert, werden im speziellen Teil Beispiele für die Bewertung akuter und chronischer Einwirkungen von Chemikalien dargestellt und schließlich einige Beispiele für in der Öffentlichkeit kritisch diskutierte und damit als „umstritten” bezeichnete Problemfälle wie Glyphosat oder Dieselmotorabgase erläutert. Wir benutzen in diesem Buch die Bezeichnung Substanzen, was nicht nur synthetisch hergestellte Chemikalien, sondern auch Verbrennungsprodukte wie Dioxine und natürliche Chemikalien wie Pflanzeninhaltsstoffe beinhaltet.

Die von den Fachleuten verwendeten Begriffe werden soweit möglich durch die in der Umgangssprache verwendeten Bezeichnungen ersetzt und sind auch im Glossar erläutert. Begriffe, die immer wieder vorkommen, werden jedoch hier zum besseren Verständnis erklärt.

Substanz: Sammelbegriff für körpereigene (endogene) Chemikalien und Fremdstoffe.

Chemikalie: natürlich vorkommende oder synthetisch hergestellte Substanz (teilweise identisch, z. B. Ascorbinsäure oder Vanillin).

Fremdstoff: Sammelbegriff für natürliche oder vom Menschen hergestellte Chemikalien/Substanzen, die natürlicherweise nicht im Körper vorkommen.

Metabolismus, Stoffwechsel: die enzymatische Veränderung einer Substanz im Körper.

Biotransformation: zumeist für den Metabolismus von Fremdstoffen verwendet.

Zur besseren Lesbarkeit wird anstelle von Sternchen, Großbuchstaben im Wortinnern oder bei männlichen und weiblichen Personengruppen wie Verbraucher/Verbraucherin, Mediziner/Medizinerin, Arbeiter/Arbeiterin stets nur die grammatikalische männliche Form angegeben.

Die Teile A und B beruhen auf dem Lehrbuch ,,Das Toxikologiebuch” von H. Greim, 978-3-527-33973-0, Wiley-VCH, 2017. Die Bewertungsbeispiele im Teil C stützen sich in großem Umfang auf die Publikationen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), siehe https://www.bfr.bund.de/de/start.html.

München, im August 2021

Helmut Greim, Heidrun Greim

Teil A
Allgemeiner Teil

Einleitung

Die Toxikologie befasst sich mit den Wirkungen von Chemikalien in Luft, Boden, Nahrungsmitteln und Wasser auf den Menschen. Die wichtigste Aufgabe hierbei ist die Bewertung, inwieweit die häufig relativ niedrigen Mengen, denen die Bevölkerung ausgesetzt ist und das meist über einen längeren Zeitraum, mit einer Gefährdung der Gesundheit verbunden ist, auch unter Berücksichtigung eines möglichen Zusammenwirkens verschiedener Stoffe.

Zur Vermeidung gesundheitlicher Schäden werden Grenzwerte festgelegt sowie Minimierungsmaßnahmen für die Belastung von Luft, Boden, Grund- und Trinkwasser sowie Nahrungsmitteln entwickelt. Beispielhaft sind die Emissionsbegrenzungen von Anlagen zur Verbrennung von Hausmüll oder Sondermüll, Abgasen aus Verbrennungsmotoren oder die Regulierung von Rückständen von Pflanzenschutzmitteln in Nahrungsmitteln. Wenn in den öffentlichen Medien von Bundesbehörden wie dem Umweltbundesamt oder dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) berichtet wird, dass in bestimmten Nahrungsmitteln, Getränken oder Trinkwasser Chemikalien nachgewiesen worden sind, wird zumeist auch mitgeteilt, welche Konzentrationen vorliegen und ob damit eine Gefährdung der Gesundheit verbunden ist.

Da die Empfindlichkeit der üblichen Messverfahren heute so groß ist, dass man praktisch jede beliebige Chemikalie überall nachweisen kann, ist es umso wichtiger zu verstehen, anhand welcher Kriterien eine mögliche Gesundheitsgefährlichkeit der nachgewiesenen Menge beurteilt wird. Dabei gilt nach wie vor das von Paracelsus (1493–1541) formulierte Grundprinzip aller toxikologischen Bewertungen:

,,Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist“ (lat. Sola dosis facit venenum: Nur die Dosis macht das Gift).

Dieser Satz von Paracelsus aus dem 16. Jahrhundert beinhaltet das wichtigste Grundprinzip in der Toxikologie. Er besagt, dass Wirkungen und ihre Intensität abhängig von der Dosis sind, und dass mit toxischen Wirkungen nur dann zu rechnen ist, wenn die Chemikalien oder ihre Umsetzungsprodukte im Körper in ausreichender Menge und über einen ausreichenden Zeitraum in den für die Toxizität empfindlichen Zielorganen vorliegen. So ist ein Tropfen Bier sicherlich ohne Wirkung, während nach einem Liter durchaus mit einer Wirkung zu rechnen ist. Um dies beurteilen zu können, müssen die folgenden Informationen vorliegen:

  • • die toxischen Wirkungen und die zugrunde liegenden Mechanismen (gefährliche Stoffeigenschaften, engl. hazard identification),
  • • der Expositionsweg, über den die Chemikalie in den Körper gelangt,
  • • die Toxikokinetik, d. h. die Aufnahme, Verteilung, Ausscheidung und mögliche Umformungen im Stoffwechsel,
  • • die Dosis-Wirkungs-Beziehung,
  • • die Konzentrationen in Luft, Wasser, Nahrungsmitteln, Gebrauchsgegenständen,
  • • die Empfindlichkeit der exponierten Personen.

Daraus werden die folgenden Daten ermittelt, um die Gefährdung der Bevölkerung oder einzelner Personen zu bestimmen (Ermittlung des Risikos) und Vorsorgemaßnahmen wie die Festsetzung von Grenzwerten zu erarbeiten. Dazu sind erforderlich:

  • • Dosis-Wirkungs-Beziehung mit der Information, bei welcher Expositionshöhe die Wirkungen auftreten bzw. nicht vorhanden sind.
  • • Expositionsabschätzung, d. h. Konzentration des Stoffes in den Expositionswegen wie Luft, Trinkwasser oder Nahrungsmitteln (äußere Exposition) und die dadurch aufgenommene Menge einer Chemikalie (innere Exposition), die durch Nachweis ihrer Konzentrationen im Blut oder Urin weiter abgesichert werden kann.
  • • Risikobeschreibung, bei der die Informationen über die gefährlichen Stoffeigenschaften, die Dosis-Wirkungs-Beziehung und die Expositionshöhe in Beziehung gesetzt werden, auch unter Berücksichtigung empfindlicher Personengruppen (engl. risk assessment).
  • • Ableitung von Vorsorgemaßnahmen wie Festsetzung von Grenzwerten.

Die genannten Punkte werden im Folgenden näher erläutert. In Teil C, Tab. 25.1 sind die wichtigsten Institutionen aufgelistet, die sich mit der Bewertung von Chemikalien befassen, toxikologische Informationen zusammengestellt und veröffentlicht haben, die damit allgemein verfügbar sind.

Teil B
Organe und Organsysteme

Um die toxikologische Wirkung von Fremdstoffen im Körper zu verstehen, ist die Kenntnis der Funktionen einiger Organe bzw. Organsysteme Voraussetzung. In diesem Kapitel werden daher die Organe beschrieben,

Dazu zählen

  1. 1. der Magen-Darm-Trakt,
  2. 2. der Respirationstrakt, d. h. die Lunge und die Atemwege,
  3. 3. die Haut,
  4. 4. die Leber als wichtigstes Stoffwechselorgan,
  5. 5. die Niere und die ableitenden Harnwege, über die viele Stoffwechselprodukte ausgeschieden werden.

Außerdem werden auch kurz die Organe beschrieben, die häufig Ziel toxischer Wirkungen sind:

  1. 6. das zentrale und das periphere Nervensystem,
  2. 7. die Reproduktionsorgane,
  3. 8. das Blut und das Knochenmark,
  4. 9. das Immunsystem,
  5. 10. das Herz- und Kreislaufsystem,
  6. 11. das endokrine System.

Teil C
Spezieller Teil

1
Toxische Wirkungen (gefährliche Stoffeigenschaften)

Abhängig von Reaktivität, Löslichkeit, Verweildauer im Körper und Ausscheidung können Chemikalien oder ihre Metaboliten (Abbauprodukte im Organismus) eine Vielzahl toxischer Wirkungen auslösen. Lokale Wirkungen wie Haut- oder Schleimhautreizung sind zu erwarten, wenn eine reizende Substanz, z. B. eine Säure, mit der Haut oder der Schleimhaut des Auges, des Magen-Darm-Traktes oder der Atemwege in Kontakt kommt. Viele Stoffe wirken jedoch systemisch, das bedeutet, erst nach der Aufnahme in den Organismus (Resorption), wenn sie aus dem Magen-Darm-Trakt, aus der Atemluft oder durch die Haut in den Körper gelangen, sich im Körper verteilen und damit das Zielorgan der toxischen Wirkung erreichen.

Unabhängig von der Anwendung oder dem Vorkommen eines Stoffes sind für die Ermittlung der gefährlichen Stoffeigenschaften (engl. hazard) möglichst viele der aufgelisteten Informationen aus Erfahrungen beim Menschen, aus Tierversuchen oder aus In-vitro-Daten (Untersuchungen im Reagenzglas) erforderlich. Diese sind:

Für die meisten der dafür notwendigen Untersuchungen gibt es Empfehlungen für deren Durchführung, wie sie z. B. in den OECD-Guidelines festgelegt sind (siehe https://www.oecd.org/env/ehs/testing/oecdguidelinesforthetestingofchemicals.htm). Damit wird erreicht, dass die Studien die erforderliche Qualität haben und auch miteinander verglichen werden können.

In allen Fällen ist die Dosis-Wirkungs-Beziehung zu ermitteln, um die Steilheit der Dosis-Wirkungs-Kurve, die Dosis ohne schädliche (adverse) Wirkung (engl. no observed adverse effect level, NOAEL) und die niedrigste Dosis mit schädlicher (adverser) Wirkung (engl. lowest observed adverse effect level, LOAEL) zu bestimmen und natürlich auch die toxischen Wirkungen zu erfassen.

1.1 Akute Toxizität, subchronische und chronische Toxizität

Der Umfang der experimentellen Untersuchungen zur Toxizität einer Substanz richtet sich nach der vorgegebenen Fragestellung. Wenn es darauf ankommt, bei der Entwicklung von Chemikalien, z. B. von Arzneimitteln oder Pflanzenschutzmitteln, gefährliche und somit für die vorgesehene Verwendung unbrauchbare Substanzen zu identifizieren und von der Weiterentwicklung auszuschließen, sind wenige orientierende Versuche, wie die Bestimmung der akuten Toxizität oder die Überprüfung auf genotoxische Wirkungen, ausreichend. Dies trifft ebenso zu für die orientierende Überprüfung der Toxizität von Verunreinigungen, die bei einem Syntheseverfahren anfallen, oder wenn Prioritäten für weitergehende Untersuchungen mehrerer Chemikalien gesetzt werden sollen. In diesen Fällen ist es sinnvoll, sowohl die Untersuchungen der akuten Toxizität als auch der Genotoxizität an dafür geeigneten In-vitro-Testsystemen vorzunehmen.

Zur Ermittlung der akuten Toxizität werden die letale (tödliche) Dosis nach einmaliger oraler oder dermaler Applikation durch Verabreichung ansteigender Dosen bei einzelnen Tieren bestimmt. Die Tiere werden anschließend für ein bis zwei Wochen beobachtet, um sofortige oder verzögerte Wirkungen zu erfassen.

Die Ermittlung der sog. LD50, d. h. der Dosis, bei der die Hälfte der Versuchstiere sterben, dient einerseits dazu, die toxische Dosis einer Chemikalie und die dabei auftretenden Symptome zu ermitteln, andererseits einen Anhaltspunkt zu erhalten, bis zu welchem Dosisbereich Untersuchungen mit wiederholter Dosierung durchgeführt werden können.

Diese über unterschiedliche Zeiträume verlaufenden Untersuchungen werden zumeist an Ratten und Mäusen durchgeführt, je nach Fragestellung auch an Hunden oder Rhesusaffen. Dabei wird die zu untersuchende Substanz täglich im Futter, im Trinkwasser oder mit einer Schlundsonde appliziert, auf die Haut aufgetragen (dermal) oder über die Atemluft eingeatmet (Inhalationsversuch). Als Versuchsdauer üblich sind 28 Tage (subakut), 90 Tage (subchronisch) oder bei Untersuchungen auf mögliche krebserzeugende Wirkung (Kanzerogenitätsversuche) an Nagetieren zwei Jahre (chronisch) mit und ohne Nachbeobachtungszeit. Während des Versuches werden alle Veränderungen der Tiere dokumentiert, bei Versuchsende die Tiere getötet und alle Organe makroskopisch (d. h. mit dem bloßen Auge) und histopathologisch (d. h. mit dem Mikroskop) untersucht. Dazu kommen je nach Fragestellung biochemische und wirkungsmechanistische oder bestimmte Untersuchungen, wenn z. B. der Verdacht besteht, dass es zu toxischen Wirkungen auf das Nervensystem kommen kann.

Die Versuche werden so durchgeführt, dass neben einer Kontrollgruppe, die unter den gleichen Bedingungen wie die Versuchsgruppen gehalten wird und nur das Lösungsmittel oder Futter ohne Beimischung erhält, mindestens drei Gruppen mit mindestens je fünf Tieren mit der Testsubstanz in drei unterschiedlich hohen Dosierungen behandelt werden. Dabei soll die niedrigste Dosis ohne Wirkung bleiben und damit den NOAEL ergeben, die mittlere Dosis den LOAEL und die höchste Dosis die maximal tolerierte Dosis (engl. maximal tolerated dose, MTD). Diese Dosis soll bei den Versuchstieren am Versuchsende leichte toxische Wirkungen zeigen, z. B. eine Verminderung des Körpergewichts um 10% im Vergleich zur Kontrollgruppe.

Die MTD soll zeigen, dass ausreichend hoch dosiert worden ist und die verwendeten Versuchstiere geeignet sind, eine toxische Wirkung nachzuweisen. Das Problem mit der MTD ist jedoch, dass es sich häufig um eine so hohe Dosierung handelt, die weit über der möglichen Exposition des Menschen liegt. Sie kann zur Sättigung von Enzymen und damit zu Störungen der Entgiftung oder der DNA-Reparatur (bei Stoffen, die auf das Erbmaterial der Zelle wirken) führen, die bei niedrigerer Exposition nicht gegeben sind. Daher ist die Prüfung, ob die bei der MTD auftretenden Befunde für den Menschen eine Bedeutung haben, eine besondere Herausforderung.

Die Versuche werden zumeist von zertifizierten Untersuchungslabors durchgeführt und müssen den international vorgeschriebenen Versuchsbedingungen z. B. den OECD-Prüfrichtlinien (OECD-Guidelines) entsprechen.

1.2 Haut- und Schleimhautreizung und Fototoxizität

Diese Studien, die zumeist an Kaninchen durchgeführt werden, erfassen haut-, augen- und schleimhautreizende einschließlich nekrotische (zelltötende) Wirkungen. Sie werden jedoch zunehmend durch Alternativverfahren ohne Tierversuche ersetzt. Tests auf Fototoxizität werden durchgeführt, wenn die Substanz UV-Licht im Bereich von 290 bis 400 nm (Nanometer) absorbiert. Auch für diese Tests sind Alternativverfahren ausgearbeitet und im Hinblick auf ihre Verlässlichkeit überprüft worden.

1.3 Sensibilisierung und Fotosensibilisierung

Diese Untersuchungen werden an Meerschweinchen (Bühler- und Maximierungstest) oder an Mäusen mit dem local lymph node assay (LLNA) durchgeführt, indem mehrere Injektionen einer Substanz in das Ohr von Mäusen vorgenommen werden. Der Nachteil des LLNA ist, dass er für die Abschätzung der Stärke einer sensibilisierenden Eigenschaft für den Menschen nur bedingt geeignet ist. Er wird aber als Nachweis einer sensibilisierenden Eigenschaft einer Substanz akzeptiert und kann zum Vergleich der Wirkungsstärken der verschiedenen getesteten Substanzen herangezogen werden. Aufgrund dieser Einschränkungen wird für die endgültige Klärung einer sensibilisierenden Wirkung in der Regel ein Patch-Test beim Menschen durchgeführt. Zunehmend werden auch Verfahren zum Nachweis von Antikörpern gegen die sensibilisierende Substanz eingesetzt.

Fotosensibilisierung wird geprüft, indem wie bei der Prüfung auf Fototoxizität die Haut mit UV-Licht bestrahlt wird.

1.4 Genotoxizität (in vitro und in vivo)

Zur Prüfung auf Genotoxizität werden zunächst in vitro, d. h. im Reagenzglas, ein Mutationstest an Bakterien (zumeist Salmonellen) und ein Zytogenetiktest an Zellen von Säugetieren durchgeführt. Die Mutationstests geben Aufschluss über eine direkte Reaktion bzw. Veränderung an der Erbsubstanz der Zelle (DNA). Die Zytogenetiktests wie der Mikronukleustest erlauben Hinweise auf aneugene und klastogene Wirkungen, also Wirkungen auf die Chromosomen. Ergeben die Tests an Bakterien und Säugetierzellen keine Hinweise auf eine Wirkung (sind negativ) und liegen aufgrund der chemischen Struktur der jeweiligen Substanz keine Hinweise auf Genotoxizität vor, kann davon ausgegangen werden, dass die Substanz nicht genotoxisch ist. Das ist insofern von großer Bedeutung, weil für nicht genotoxische Substanzen Grenzwerte abgeleitet werden können, die eine Gesundheitsgefährdung ausschließen. Bei positiven Tests in vitro und in Zweifelsfällen werden die Ergebnisse durch entsprechende Versuche an Tieren (in vivo) überprüft.

Das Verbot, Tierversuche mit Inhaltsstoffen von Kosmetika durchzuführen, ist daher problematisch, da diese für die Klärung einer möglichen Genotoxizität erforderlichen Untersuchungen nicht mehr erlaubt sind.

1.5 Kanzerogenität

Das Studiendesign der Kanzerogenitätstests entspricht dem der chronischen Studien mit einer Kontroll- und drei Dosisgruppen, aber mit je 50 männlichen und weiblichen Tieren, zumeist Ratten oder Mäuse, pro Dosis, wobei wiederum die niedrigste Dosis ohne Wirkung bleiben und damit den NOAEL ergeben soll, die mittlere Dosis den LOAEL und die höchste Dosis die maximal tolerierte Dosis (MTD) mit leichten toxischen Effekten. Für weitergehende Untersuchungen, z. B. zur Klärung des Wirkmechanismus, werden zusätzliche Tiere eingesetzt, die innerhalb der Versuchsdauer von zwei Jahren für zusätzliche Untersuchungen auf biochemische Veränderungen oder für spezielle Fragestellungen, z. B. ob die Substanz selbst oder ihre Metaboliten die Wirkung verursachen, verwendet werden. Sinnvoll ist es, Tierstämme einzusetzen, für die sog. historische Kontrolldaten aus früheren Versuchen vorliegen, weil die Tumorinzidenzen der Kontrolltiere je nach Stamm sehr unterschiedlich sein können. Dies ist dann von Vorteil, wenn die Daten der Kontrollgruppe des spezifischen Versuchs höher oder niedriger als erwartet sind, weil dann ein zusätzlicher Vergleich mit den historischen Kontrolldaten hilfreich sein kann. Da es generell schwierig ist, aus den sog. Dosis-Findungs-Studien, d. h. Studien bis zu 90 Tagen, die MTD für die Zweijahresstudie abzuschätzen, kann es bei der höchsten Dosierung zu erheblichen toxischen Organschäden und vorzeitigem Tod der Tiere oder aber auch zum Ausbleiben jeglicher Wirkung kommen. Wenn die Tumoren nur bei hoher Dosierung, die zu starker Toxizität führen, auftreten, ist zu diskutieren, ob die Ergebnisse für den Menschen eine Bedeutung haben, z. B. wenn die bei der MTD verwendete Dosis sehr weit über einer möglichen Exposition des Menschen liegt.

1.6 Reproduktionstoxizität

Diese Untersuchungen sollen die Wirkung der Testsubstanz auf die männliche und weibliche Fruchtbarkeit (Fertilität) und die prä- und postnatale Entwicklung der Nachkommen und während der Stillzeit prüfen. Da die erforderlichen Tierzahlen für Ein- oder Mehrgenerationsstudien, das sind Untersuchungen, in denen eine oder mehrere Generationen an Nachkommen auf die Wirkungen von Chemikalien untersucht werden, sehr hoch sind, wird zunehmend versucht, die erforderlichen Daten anhand von sog. Screening-Tests wie dem Test entsprechend der OECD-Prüfrichtlinie 421 zu erarbeiten oder sie mit Tests zur Ermittlung der chronischen Toxizität zu verbinden.

Screening-Tests haben den Vorteil, dass sie schneller und mit einer geringeren Anzahl an Tieren Ergebnisse liefern und Stoffe, die die Reproduktion schädigen, erkannt und nur in Zweifelsfällen eingehendere Untersuchungen durchgeführt werden.

So wird beim Test nach OECD-Guideline 421 die Fertilität bei männlichen und weiblichen Tieren erfasst sowie Wirkungen, die während der Tragzeit bei den Würfen auftreten. Der Test nach OECD-Guideline 422 umfasst Untersuchungen zur Fertilität und fötalen Entwicklung im Rahmen eines üblichen 28-Tage-Versuchs.

2
Aufnahme, Verteilung, Ausscheidung und mögliche Umformungen im Stoffwechsel

Chemikalien können durch Hautkontakt (dermal), Inhalation mit der Atemluft (inhalativ) oder über Nahrung und Trinkwasser (oral) in den Organismus gelangen. Nach ihrer Aufnahme in den Körper (Resorption), können sie sich im Organismus verteilen, metabolisiert (Umbau zu wasserlöslichen und damit über die Nieren, Galle oder Lunge ausscheidbaren oder toxischen Folgeprodukten) und wieder ausgeschieden werden (engl. absorption, distribution, metabolism and excretion, ADME). Dieses als Toxikokinetik bezeichnetes Verhalten einer Substanz ist für die Interpretation der Versuchstierdaten und ihrer Bedeutung für den Menschen besonders wichtig, da Unterschiede zwischen den verschiedenen Tierversuchsarten (Spezies) und dem Menschen in der Toxikokinetik vorliegen können und es damit zu unterschiedlichen, d. h. speziesabhängigen Wirkungen kommen kann. Wie die sehr vereinfachte Abb. 2.1 zeigt, kann eine Substanz über den Magen-Darm-Trakt, die Haut

Abb. 2.1 Vereinfachte Darstellung für Aufnahme, Verteilung und Ausscheidung von Stoffen (aus Kapitel Einführung von H. Greim, in Das Toxikologiebuch, 978-3-527-33973-0, Wiley-VCH, 2017).

oder die Lunge aufgenommen werden, wobei der in einer bestimmten Zeit aufgenommene Anteil der Substanz, die Resorptionsrate, von der Wasserlöslichkeit, der Molekülgröße und der Stabilität der Substanz sowie der Expositionsdauer abhängt.

Nach oraler Exposition wird eine Substanz, wenn sie nicht schon von den Mikroorganismen im Darm oder in den Epithelzellen der Darmwand metabolisiert wird, aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert und über die Pfortader zur Leber transportiert. Dort erfolgt je nach den strukturellen Eigenschaften im sog. First-Pass-Effekt durch sog. Phase-I- und Phase-II-Enzyme eine metabolische Aktivierung oder Inaktivierung. Phase-I-Enzyme reagieren in einem ersten Schritt mit den Substanzen und formen sie zu wasserlöslichen Verbindungen um. In einem zweiten Schritt werden diese durch Phase-II-Enzyme mit Glucuronsäure, Sulfat oder Glutathion verknüpft (konjugiert). Diese Reaktionen dienen eigentlich der Entgiftung und der Ausscheidung der Substanzen, wobei allerdings auch gefährlichere Stoffe als die Ausgangssubstanz gebildet werden können (metabolische Aktivierung oder Giftung). Größere Metaboliten wie Glucuronide mit einem Molekulargewicht von mehr als 500 können über die Gallenwege in den Darm gelangen, werden entweder ausgeschieden oder nach Spaltung des Glucuronids wieder resorbiert (enterohepatische Zirkulation). Aus der Leber treten die Substanzen oder ihre Metaboliten in das Blut über und verteilen sich über den großen Blutkreislauf im Organismus. Wasserlösliche Substanzen werden über die Nieren ausgeschieden, lipophile im Fett abgelagert oder in den Organen je nach Kapazität metabolisiert. Reaktive Metaboliten werden mit Organkomponenten reagieren.

Soweit bei der Aufnahme über die Lunge oder die Haut keine Metabolisierung stattfindet, gelangen inhalierte oder dermal aufgenommene Substanzen ohne den First-Pass-Effekt direkt in das Blut und werden über den Blutkreislauf verteilt, reagieren mit Organkomponenten und werden dabei je nach physiologischer Bedeutung der Interaktion inaktiviert oder aktiviert und lösen Toxizität aus. Wegen der hohen Perfusionsrate, d. h. der hohen Durchblutungsrate der Leber, gelangt ein Teil der inhalativ oder dermal aufgenommenen Substanzen in die Leber und wird dort metabolisiert.

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Dosis und Dosis-Wirkungs-Beziehung

Einsetzen und Intensität einer toxischen Wirkung sind abhängig von der Dosis, wie es schon von Paracelsus Anfang des 16. Jahrhunderts formuliert worden ist.

Die Dosis wird in der Toxikologie zumeist als Menge pro Kilogramm Körpergewicht und Tag angegeben. Man unterscheidet dabei die Menge, die zur Exposition kommt, von der tatsächlich vom Organismus aufgenommenen Menge. Je nach Expositionsweg kann Letztere sehr unterschiedlich sein, da sie von der Resorptionsrate abhängt. So wird in der Atemluft enthaltenes Cadmium zu etwa 50% aufgenommen, das in der Nahrung vorhandene zu weniger als 10%.

Ein weiterer mit der Dosis zusammenhängender Begriff ist die sog. target dose, d. h. die pro Zeiteinheit im kritischen Organ des exponierten Organismus vorhandene Menge eines Stoffes bzw. seiner toxischen Metaboliten.

Die Dosis-Wirkungs-Beziehung beschreibt die Stärke der biologischen Wirkung eines Stoffes in Abhängigkeit von der Exposition. Dem Verlauf der Dosis-Wirkungs-Beziehung entsprechend treten bei sehr niedriger Dosis keine Wirkungen auf, von einer bestimmten Dosis ab beginnen die Wirkungen, die dann dosisabhängig zunehmen und schließlich einen Maximalwert erreichen. Dies bedeutet, dass unterhalb einer bestimmten Dosis keine toxischen Wirkungen auftreten und oberhalb der Maximaldosis die Wirkungen nicht mehr zunehmen. Die Dosis knapp unterhalb der Wirkungsschwelle wird als Dosis ohne erkennbare schädliche Wirkung (engl. no observable adverse effect level, NOAEL, bei Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt bzw. engl. no observable adverse effect concentration, NOAEC, bei Exposition des Atemtraktes) bezeichnet. Dieser für eine toxikologische Bewertung eines Stoffes sehr wichtige Wert wird im Tierversuch bestimmt oder aus Erfahrungen beim Menschen abgeleitet.

Ein weiteres Verfahren ist die Ableitung der Benchmark-Dosis (BMD). Im Gegensatz zum NOAEL oder der NOAEC, die ja nur eine Konzentration der Dosis-Wirkungs-Beziehung definieren, werden zur Berechnung einer BMD mittels statistischer Verfahren alle Werte der Dosis-Wirkungs-Beziehung von einer und – soweit vorhanden – auch von mehreren Untersuchungen berücksichtigt. Damit wird eine Konzentration ermittelt, die mit einer bestimmten (meist relativ geringen) Wirkung verbunden ist, z. B. die Erhöhung des Lebergewichts um 10%, eine 10%ige Erhöhung des Krebsrisikos oder ein 10%iger Abfall des Körpergewichtes. Im Falle der 10%igen Veränderung wird diese Dosis als BMD10 bezeichnet, bei 1 oder

Abb. 3.1 S-förmiger Verlauf der Dosis-Wirkungs-Kurve. Wichtige Informationen sind die Steilheit der Kurve und der no observable adverse effect level (NOAEL) für die Ableitung eines Grenzwertes, wie weit eine zu bewertende Exposition von diesem Wert entfernt ist (aus Kapitel Einführung von H. Greim, in Das Toxikologiebuch, 978-3-527-33973-0, Wiley-VCH, 2017).

5%iger Veränderung entsprechend BMD01 bzw. BMD05. Um die Sicherheit der mathematischen Schätzung zu beschreiben, wird in der Regel ein Vertrauensbereich angegeben. Die untere Grenze dieses Vertrauensbereichs wird als BMDL (von engl. benchmark dose lower confidence limit oder lower bound) bezeichnet. Da eine Dosis-Wirkungs-Beziehung vorhanden sein muss, sind die Mindestvoraussetzungen für eine Berechnung der BMD mindestens zwei Dosierungen mit unterschiedlicher Wirkungsstärke. Ist diese Information nicht gegeben, kann bei krebserzeugender Wirkung die Ableitung der sog. TD25 empfohlen werden. TD25 bedeutet die Konzentration, bei der bei 25% der Versuchstiere Tumoren aufgetreten sind.

Der NOAEL/die NOAEC, die BMD oder die TD25 dienen als Ausgangspunkt (engl. point of departure, POD), um unter Verwendung von Sicherheitsfaktoren die tolerierbare Exposition der Allgemeinbevölkerung oder der Beschäftigten am Arbeitsplatz zu bestimmen.

Die Dosis-Wirkungs-Beziehung kann unterschiedlich steil verlaufen, stellt sich aber immer in einer s-förmigen Kurve dar (Abb. 3.1). Je nach Steilheit der Kurve und dem Ausmaß der toxischen Wirkungen bei einer bestimmten Dosis kann eine Verdoppelung der Dosis unterschiedliche Folgen haben: Bei sehr flach verlaufenden Dosis-Wirkungs-Kurven kommt es bei einer Verdopplung der Dosis zu einer geringen Wirkungsverstärkung, bei einer steil verlaufenden Kurve kann sich die Wirkung mehr als verdoppeln. Auf der anderen Seite bedeutet das aber auch, dass keine Wirkung bei einer 100-fachen Dosiserhöhung zu erwarten ist, wenn die Exposition 1000-fach unter der Wirkungsschwelle liegt.

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Konzentrationen in Luft, Wasser oder Nahrungsmitteln

Chemikalien, natürliche wie Pflanzeninhaltsstoffe oder industriell hergestellte, sind in unterschiedlichen Konzentrationen in unserer Umwelt vorhanden. Ihr Nachweis ist oft nur eine Frage der Empfindlichkeit der Analytik. Grundvoraussetzung ist die Kenntnis der Konzentration in den verschiedenen Kompartimenten wie Nahrung oder Atemluft. Weiterhin sind Informationen zur Häufigkeit der Exposition und ihrer jeweiligen Dauer erforderlich. Am einfachsten ist eine Abschätzung der Exposition am Arbeitsplatz, wenn sowohl Expositionshöhe, Dauer (8 Stunden pro Tag, 40 Stunden pro Woche bei 40 Arbeitsjahren) und Expositionsweg (inhalativ und dermal) bekannt sind bzw. leicht ermittelt werden können. Schwieriger ist die Expositionsabschätzung für die Bevölkerung, mit ihren möglicherweise empfindlicheren Untergruppen wie Kindern oder Schwangeren, die oral über die Nahrung, dermal oder inhalativ in Innenräumen oder in der Außenluft und über unterschiedliche Zeiträume exponiert sein können. Zumeist liegen nur Informationen zur Konzentration der Substanzen in der Luft, in einzelnen Nahrungsmitteln oder im Trinkwasser vor, anhand derer dann die Exposition unter Berücksichtigung der eingeatmeten Mengen oder der Menge der aufgenommen verunreinigten Nahrungsmittel abgeschätzt werden muss.

Kinder sind wie Erwachsene über die Nahrung, Atemluft aber auch dermal exponiert. Dazu kommen Spielsachen, die über Mund- oder Hautkontakt zur Exposition beitragen wie auch der sog. Hand-zu-Mund-Kontakt gegenüber Hausstaub beim Krabbeln oder In-den-Mundstecken von Gegenständen und Erde beim Spielen im Freien. Wegen der vielen zu berücksichtigenden Parameter sind präzise Angaben zur Exposition kaum möglich, sodass zumeist vom ungünstigsten Fall ausgegangen wird und damit die Exposition häufig überschätzt wird. Präzise Daten zur Freisetzung von Schadstoffen aus Spielzeug oder Gegenständen, mit denen z. B. Kleinkinder in Kontakt kommen, lassen sich durch sog. Migrationsstudien ermitteln. Dabei wird die Freisetzung der Substanzen aus dem untersuchten Material pro Zeiteinheit und Oberfläche ermittelt. Indem man davon ausgeht, dass ein Kind den Gegenstand täglich 1 h lang in den Mund steckt, lässt sich zumindest die äußere Exposition bestimmen und unter Berücksichtigung der Resorptionsraten auch die tatsächlich in den Körper gelangte Menge (innere Exposition) abschätzen. Präzise Angaben bekommt man allerdings nur durch den Nachweis der Substanzen im Blut oder Urin, d. h. durch sog. Biomonitoring-Verfahren, die eine Abschätzung der inneren Exposition erlauben.

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Äußere und innere Exposition

Die Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Exposition ist insofern wichtig, als die äußere Exposition nur die Konzentration der Substanzen in der Nahrung oder Luft angibt, dies aber keine präzise Aussage über die tatsächliche Belastung des Menschen erlaubt. So wurde vermutet, dass Krabbelkinder in Wohnungen, in denen der Hausstaub hoch mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) belastet war, durch Hand-zu-Mund-Kontakt und Verschlucken des Staubes hoch belastet sein müssten. Die Bestimmung der PAK im Urin der Kinder im Rahmen einer sog. Biomonitoring-Studie hat jedoch ergeben, dass die Konzentrationen im Vergleich zu anderen, unbelasteten Kindern nicht erhöht waren. Diese Diskrepanz lässt sich mit einer Überschätzung der verschluckten Staubmenge, der Häufigkeit des Kontaktes und der geringen Resorption der PAK aus dem Magen-Darm-Trakt erklären.

Damit ist das sog. Biomonitoring, d. h. der Nachweis einer Substanz oder ihrer Metaboliten im Organismus, im Urin oder in der ausgeatmeten Luft, das verlässlichste Verfahren, um die tatsächliche Exposition einer Person oder einer Bevölkerungsgruppe zu ermitteln. Denn das Biomonitoring hat die folgenden Vorteile:

Voraussetzung für eine Risikoabschätzung, d. h. für die Bewertung, ob die ermittelten Konzentrationen ein gesundheitliches Risiko darstellen, ist, dass auch für die innere Exposition die Dosis-Wirkungs-Beziehung bekannt ist und ein NOAEL abgeleitet werden kann.

Für eine Risikoabschätzung einer Substanz muss immer die gesamte Exposition ermittelt werden, d. h. die Exposition über die verschiedenen Aufnahmewege und alle Quellen (engl. aggregate exposure).

Cumulative Exposure bezeichnet dagegen die gesamte Wirkung ähnlich wirkender toxischer Stoffe wie die gleichzeitige Anwesenheit von Ozon, NOx und anderen oxidierenden Substanzen in der Atemluft, die zu Reizwirkungen bzw. oxidativem Stress führen können.

Noch schwieriger wird es, wenn Gemische vorliegen und die additive Wirkung der einzelnen Komponenten abzuschätzen ist (siehe Teil A, Kap. 8).