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Ewald Weber

Der Fisch, der lieber
eine Alge wäre

Das erstaunliche Zusammenleben
von Tieren und Pflanzen

 

 

 

 

 

 

 

 

C.H.Beck

Zum Buch

Eine Naturkunde für Tier- und Pflanzenfreunde

Tiere und Pflanzen – das ist weit mehr als eine Geschichte von Fressen und Gefressenwerden. Ihre Beziehungen gehören zum Faszinierendsten in der Natur. Häufig bilden sie Lebensgemeinschaften, in denen alle Beteiligten aufeinander angewiesen sind.

Der Biologe Ewald Weber gibt dafür viele erstaunliche Beispiele. Sein unterhaltsam geschriebenes Buch ist zugleich ein engagiertes Plädoyer dafür, die Vielfalt des Lebensnetzes zu bewahren.

Der Große Fetzenfisch, Titelheld dieses Buches, ist mit seinen blattartigen Hautauswüchsen perfekt getarnt. Er ahmt nicht nur Pflanzenteile nach, sondern sieht gänzlich wie eine Pflanze aus. Gewöhnlich verharren die Tiere im Algenwald. Wechselt ein Fetzenfisch dennoch einmal seinen Platz, gleitet ein Tang durchs Wasser, geheimnisvoll und scheinbar ohne Flossenbewegungen.

Über den Autor

Ewald Weber, geb. 1960 in der Schweiz, lehrt Biologie an der Universität Potsdam. Er promovierte an der Universität Basel und forschte anschließend mehrere Jahre in Kalifornien (USA). Im Verlag C.H.Beck ist von ihm lieferbar: Das kleine Buch der botanischen Wunder (2012).

Für Simona und Matthias

Inhalt

Vorwort

  1 Die Natur, eine einzige Beziehungskiste

Unausstehlich

Glücklich verheiratet

Lebensnotwendig

Wenn jeder an sich denkt

Die Wissenschaft der Beziehungen

Die Mischung macht’s

Leben bedeutet Veränderung

  2 Blüten und Bestäuber: Wer tanzt mit wem?

Bestäuberdienst

Der Vater der Blütenbiologie

Planet der Insekten

Blütenmodelle

Wer tanzt mit wem?

Schlaue Bienen

Leuchtfeuer

Andere Länder, andere Sitten

  3 Aufbruch zu neuen Plätzen

Früchte, Samen und ein großes Problem

Vogelbeeren

Fische im Baum

Asthöhle mit gelber Blume

Geisterfrüchte

Früchte telemetrieren

Die Fernfahrer

  4 Gallenbildner, Minierer und die richtige Chemie

Mechanisch, chemisch und biologisch

Galläpfel und Schlafäpfel

Meister der Feinmechanik

Vielfalt an Berufen

Das Geheimnis des Klees

Die Senföl-Bombe

Funktionswechsel

Biologische und mechanische Lösungen

Wenn Pflanzen einander warnen

  5 Von Elefanten, Giganten und anderen Vierbeinern

Viel Schlaf oder viel Fraß

Giraffen und ihre Akazien

Die kleinen Helfer

Tierische Neunzigtonner

Wenn Tiere ausfallen

Wie halten Pflanzen große Fresser fern?

Duldsame Gräser

  6 Die Magie der Koevolution

Evolution, ganz leicht

Evolution im Tandem

Evolution als Single oder als Paar?

Als die Pflanzen bunt wurden

  7 Raubpflanzen

Fliegenpapier, Klappfallen, Fallgruben, Staubsauger

Noch viel zu entdecken

Neue Rollenverteilung

Ein Leben zwischen Tentakeln

Vergleichende Morphologie

  8 Diebe, Heiratsschwindler und Tarnkappen

Fälschungen

Blüten nicht für jeden Geschmack

Künstliche Blattläuse

Perfekt aussehen ist nicht von Vorteil

Mit Tipp-Ex den Kaladien auf der Spur

Im Tarnanzug

Todesgefahr in der Blüte

Seenadeln und Fetzenfische

Ist die Natur perfekt?

  9 Im Dienste des Menschen

Drogen, Heilmittel, Gewürze, Pestizide

Bestäuberdienst

Natürliche Feinde sind stets willkommen

Was verbindet den Klettverschluss mit Stacheldraht?

Vielfalt für unsere Zukunft

10 Löcher im Netz

Wenn der Raps blüht

Weggespritzt und intensiviert

Leere Wälder

Störenfriede im System

Gemeinsam in den Artentod

11 Die Rettung der Vulkanpalme

Eine spektakuläre Rettung

Wenn Wildpferd und Wisent wieder übers Land ziehen

Projekt Isabela

Lebensräume aufwerten und vernetzen

Wie baut man einen neuen Regenwald?

Nachgedanke: Naturschutz ist Beziehungspflege

Anhang

Quellen

Bildnachweis

Verzeichnis der Pflanzen- und Tierarten

Vorwort

Das Leben auf unserem Planeten ist von überbordender Fülle. Niemand weiß, wie viele verschiedene Arten an Pflanzen, Pilzen, Mikroben und Tieren tatsächlich existieren. Alles Leben konzentriert sich auf eine hauchdünne Schicht auf der Erdoberfläche. Zwar ragen manche Bäume über hundert Meter in den Himmel, Menschen sowie manche Vögel steigen bis auf zehn Kilometer empor, und gewisse Organismen leben in mehreren Kilometern unter der Meeresoberfläche. Doch der größte Teil des Lebens bildet nicht mehr als einen dünnen Film – vergleichbar mit dem Moos auf einem dicken Baumstamm.

Doch was sich in diesem Film alles abwickelt! Artenreichtum ist nur ein Aspekt dessen, was wir als Natur bezeichnen. Erst das Zusammenleben, das gegenseitige Beeinflussen, die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Arten gestalten die Natur und formen sie so, wie wir sie erleben. Die Beziehungen sind dabei selbst vielfältiger Natur und reichen von Win-win-Situationen bis zur schamlosen Ausnutzung. Manche Beziehungen sind lose und unbeständig, während andere eisernen Ketten gleichen.

Das vorliegende Buch handelt von ökologischen Beziehungen zwischen Pflanzen und Tieren. Wenn die Vertreter zweier so unterschiedlicher Lebensmodelle aufeinandertreffen, kommt es zu den erstaunlichsten und oft genug bizarren Erscheinungen. Mehr noch, da Leben nicht konstant bleibt und alle Arten einem steten Wandel unterzogen sind, haben sich Pflanzen an Tiere angepasst und umgekehrt. Das Ergebnis sind verblüffende, unerwartete und skurrile Organismen. Eine der Triebfedern der Evolution, die zu dem überbordenden Leben geführt hat, sind die Beziehungen zwischen den Arten.

Ohne die Hilfe und Auskünfte zahlreicher Kolleginnen und Kollegen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Ich danke Ian Baldwin, Hendrik Breitkopf, Sherwin Carlquist, Curtis Daehler, Donald Drake, Jörg Fürstenow, Günther Gerlach, Detlef Grösser, Dennis Hansen, Bill Hansson, Thilo Heinken, Johann Heinze, Hariet Hinz, Andrea Holzschuh, Daniel Janzen, Jasmin Joshi, Alexander Kocyan, Gertrud Lohaus, Klaus Lunau, Jörg Müller, Peter Nitschke, Todd Palmer, Thomas Pendergast, Steve Perlman, Ulf Soltau, Johannes Stökl, Dagmar Voigt, Seana Walsh, Petra Wester und Waltraut Zimmermann für wertvolle Anregungen und Informationen.

Ferner danke ich Johann Heinze, Jörg Müller und Michael Burkart für das kritische Durchsehen einiger Kapitel sowie für ihre Hinweise und Anregungen. Cornelia und Sinuhe Hahn wiesen mich auf einige besondere Quellen von Fotomaterial hin.

Schließlich danke ich Stefan Bollmann und Angelika von der Lahr für ihre Begleitung während des Projektes und Stefan Bollmann für das sorgfältige Redigieren des Manuskripts.

 

Potsdam, Sommer 2015

Ewald Weber

1

Die Natur, eine einzige Beziehungskiste

Es war einmal ein kleines Nagetier, das zählten die Zoologen zu den Zieseln. Es lebte in der Umgebung von Wien und zeichnete sich durch eine ganz besondere Vorliebe aus. Es interessierte sich nämlich für Mohnblüten. Flink huschte es auf der Wiese umher und suchte die grünen Stängel mit den roten Schirmen auf. Als es eines schönen Tages wieder zu einer Mohnblume trippelte, sich aufrichtete und mit einer Vorderpfote den Stängel festhielt, wurde es von einem geduldigen Naturfotografen beobachtet und abgelichtet, ohne dass es das bemerkt hätte. Seither ist die Begegnung zwischen dem possierlichen Tierchen und dem Mohn verewigt.

Die gelungene Fotografie des Ziesels, für die sich der Wiener Naturfotograf Leopold Kanzler drei Tage auf die Lauer gelegt hatte, zeigt ein Wirbeltier, das mit einer Blütenpflanze in Wechselwirkung tritt. Man weiß nicht so recht, worauf diese Wechselwirkung hinausläuft, was der Ziesel mit der Mohnblüte vorhat. Wird er daran riechen, den Pollen sammeln oder schauen, ob sich ein Käfer in der Blüte versteckt?

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1 Der Europäische Ziesel ist ein Nagetier, das im südöstlichen Europa lebt.

Was auch immer geschehen mag, die Begegnungen der Arten und ihr Umgang miteinander sind so vielfältig wie die Arten selbst. In diesem Buch geht es um solche zwischenartlichen Beziehungen, die anderer Natur sind als etwa die Beziehungen von Wölfen untereinander, also zwischen Artgenossen. Auf uns selbst übertragen, wären nicht unsere zwischenmenschlichen Beziehungen das Thema, sondern der Umgang mit anderen Arten, angefangen vom Kraulen eines Hundes bis zum Pflücken einer Blume und dem Zubereiten eines Schweineschnitzels.

Lassen Sie mich zunächst ein wenig bei dem Begriff «Art» verweilen. Was genau ist eine Art? Der Ziesel und der Mohn – genauer, Europäischer Ziesel und Klatsch-Mohn – sind zwei eindeutig voneinander unterscheidbare Arten, die zudem zwei vollkommen unterschiedlichen Reichen angehören, dem Tier- und dem Pflanzenreich. In anderen Fällen wird die Unterscheidung bereits schwieriger, wenn es etwa darum geht, den Klatsch-Mohn vom Saat-Mohn zu trennen. Selbst heute noch haben Biologen die größten Schwierigkeiten, den Begriff «Art» genau zu definieren. Schuld daran sind Wesen wie das Maultier, bekanntlich ein Mischling aus Pferd und Esel. Oder das Tigon, ein Mischling zwischen Tiger und Löwe; das Kunstwort ergibt sich aus den beiden englischen Wörtern «tiger» und «lion». Die beiden Großkatzen gehören doch eindeutig zwei voneinander unterscheidbaren Arten an, oder? Man braucht sich ja bloß das Fell anzusehen. Arten aber sollten sich nicht kreuzen können, das widerspricht dem Konzept einer Art. Selbst wenn es in diesen Fällen der Mensch ist, der Maultier und Tigon durch Kreuzung kreiert hat – Mischlinge entstehen auch in der Natur ständig.

Eine Art ist etwas Abstraktes, eine künstliche Zuordnung von Lebewesen in ein Klassifikationssystem, das Biologen entwickelt haben. Sie stecken die Lebewesen in verschiedene Schubladen und bestimmen, zu welcher Art sie gehören. In der Natur gibt es aber nur Individuen. Wenn ich aus dem Fenster blicke, sehe ich ein Roggenfeld mit Tausenden von ähnlich aussehenden Grashalmen, Roggen eben, zweifellos eine bestimmte Art von Gräsern. Ein paar Eiben und Kiefern stellen zwei weitere Arten dar, und die Amsel, die jeden Morgen singt, gehört zur Art mit dem wissenschaftlichen Namen Turdus merula. Alles eindeutig voneinander unterscheidbare Arten. Das Problem besteht darin, dass die Individuen sehr vieler Arten mitunter so unterschiedlich sind, dass wir nicht mehr sicher sind, ob wir sie nicht zwei oder mehreren Arten zuordnen sollen. Zudem sind in der Natur Übergangsformen zwischen manchen Arten vorhanden, was die Abgrenzung ebenfalls nicht einfacher macht. Der Wundklee macht es vor. Wundklee, der am Strand vorkommt, sieht anders aus als Wundklee, der im Gebirge wächst, aber beide gehören zur Art «Wundklee», weil die Gestalt eben doch ähnlich ist.

Von solchen schwierigen Fällen einmal abgesehen, ist klar, was eine Art ist: alle Individuen eines Tieres, einer Pflanze oder eines anderen Organismus, die denselben Aufbau haben und sich untereinander paaren und vermehren können. «Alles, was sich schart und paart, gehört zu einer Art», so steht es auf einem Schaukasten im Naturkundemuseum Berlin. All die vielen Tiere und Pflanzen, die in Bestimmungsbüchern abgebildet sind, stellen Arten dar.

Die Arten sind die Elemente der belebten Natur auf unserem Planeten, und ihre Anzahl ist enorm. Die Spitzenposition nehmen dabei mit einer Million bekannter Arten die Insekten ein, aber selbst bei den Blütenpflanzen sind es an die 300.000 Arten. In einem Lebensraum wie einem Wald oder einer Wiese leben Hunderte von Arten auf engstem Raum zusammen: Pflanzen, Insekten, Spinnen, Säugetiere, Vögel, Pilze, Fadenwürmer und Mikroben. Da muss es zwangsläufig zu ganz unterschiedlichen Beziehungen zwischen den Arten kommen. Tatsächlich machen die Elemente selbst noch keine Natur aus. Erst durch die Beziehungsnetze zwischen den Arten wird die Natur zu dem, was sie ist. Vernetzt leben ist keine Erfindung des Menschen. So wie ein Schachspiel erst durch die Züge der Schachfiguren entsteht, ist auch in der Natur das Wechselspiel zwischen den unzähligen Arten von größter Bedeutung. Und eine wichtige Ursache für die Entstehung neuer Arten.

Wie bei uns Menschen gehen sich gewisse Arten aus dem Wege, weil sie einander nicht ausstehen können, andere finden zueinander, helfen einander oder schließen gar einen Bund fürs Leben. Wiederum andere leben auf Kosten anderer, nutzen sie schamlos aus oder verdrängen sie ganz einfach und jagen sie vom Platz. Am besten lernen Sie die Vielfalt der Beziehungen kennen, wenn ich Ihnen ein paar besonders auffällige Beispiele vorstelle.

Unausstehlich

Manchmal ist es ganz gut, wenn nicht immer alles peinlich sauber gehalten wird und ein Quäntchen Unordnung herrscht. So wie im Labor des schottischen Bakteriologen Alexander Fleming (1881–1955), wo Flaschen, Dosen und Gerät nicht immer steril und hermetisch wie heutzutage verschlossen waren. Fleming – auf Fotografien trägt er stets eine Fliege – arbeitete mit Staphylokokken, weitverbreiteten Bakterien, die etwa eitrige Wunden verursachen. Er kultivierte sie in Petrischalen, diesen flachen Glasschalen mit Deckel, die für ein mikrobiologisches Labor unentbehrlich sind. Sie werden sterilisiert und unter sterilen Bedingungen mit einem Nährmedium versehen, das anschließend mit Bakterienstämmen beimpft wird. So lassen sich Reinkulturen eines ganz bestimmten Bakteriums züchten. Die Bakterien vermehren sich und bilden auf dem Nährboden typische Kolonien wie runde Tupfer, oder die Oberfläche des Nährmediums trübt sich von den vielen Einzellern. Zu Kontaminationen mit anderen Mikroorganismen kann es trotz aller Vorsicht immer wieder kommen; die Labore der 1930er Jahre waren sicher nicht so modern eingerichtet wie die heutigen. Da braucht es nicht viel, und einige der allgegenwärtigen Pilzsporen gelangen unbeabsichtigt in eine Petrischale. Dies bemerkte auch Fleming am 28. September 1928, als er eine der Schalen hochhielt. Ein Schimmelpilz hatte sich gebildet und zeigte sich als runder Fleck wie bei einem angeschimmelten Stück Brot. Zum Glück warf der Wissenschaftler die Petrischale nicht verächtlich weg, sondern betrachtete sie aufmerksam. Merkwürdig, um den Schimmelpilz herum gediehen keine Bakterien, obwohl ansonsten der Nährboden durch die Bakterienkolonien ganz trüb war. Eine klare und bakterienfreie Zone, eine kreisrunde Aurora umgab den Pilz, in der Bakterien offensichtlich nicht wachsen konnten. Was war wohl der Grund? Der Pilz, Fleming erkannte ihn als eine Art von Penicillium, sonderte offenbar einen keimtötenden Stoff ab.

Es sollten noch ein paar Jahre verstreichen, bis aus diesem Stoff das Penicillin entwickelt wurde – das erste weltweit angewandte Antibiotikum. Für die Medizin stellte das Präparat einen Segen dar, denn jetzt konnten Wundstarrkrampf und andere bakterielle Erkrankungen geheilt werden.

Der Schimmelpilz sondert die antibiotische Verbindung freilich nicht für uns Menschen ab. Fleming selbst sagte einmal, man habe ihn «bezichtigt, das Penicillin erfunden zu haben. Erfinden ließ sich das Penicillin von keinem Menschen, denn es wurde vor undenklichen Zeiten von einem gewissen Schimmelpilz hervorgebracht.» Die Substanz ist für den Pilz eine Schutzvorrichtung, um ungehindert wachsen zu können. Er bildet eine giftige Zone um sich herum, einen Kreis, der von Bakterien nicht betreten werden darf.

Erstaunlich ist, dass auch manche Pflanzen sich mit solch einer Schutzzone umgeben, indem sie hemmende Stoffe aussondern. Nur richten sich diese nicht gegen Bakterien, sondern gegen andere Pflanzen. Das Phänomen wurde schon vor Tausenden von Jahren beim Anbau von Getreide und anderen Kulturpflanzen beobachtet. Ständiger Anbau gewisser Feldfrüchte führt zu einer Ermüdung des Bodens, sodass der Ertrag bei weiterem Anbau derselben Pflanze sinkt – eine Folge der Ansammlung von Hemmstoffen im Boden. Auch dass Stoffabsonderungen mancher Pflanzen das Wachstum anderer Pflanzen unterdrücken können, ist in alten Schriften festgehalten. So steht in einem indischen Buch aus dem 12. Jahrhundert, der Vrikshayurveda, dass Kokospalmen nicht wachsen könnten, wenn sie mit Wasser gegossen werden, mit dem zuvor Reis gewaschen wurde. Tatsächlich sondern Reis und andere Gräser Substanzen ab, die das Wachstum anderer Pflanzen hemmen.

Selbst wenn das Phänomen schon seit Beginn der Landwirtschaft bekannt war, sollte es erst im 19. Jahrhundert richtig erforscht werden. Der österreichische Botaniker und Universitätsprofessor Hans Molisch (1856–1937) hat schließlich den Begriff «Allelopathie» für diese zwischenpflanzliche Beziehung geprägt. Als Sohn eines Gärtners hatte er ausgiebig Gelegenheit zu beobachten, wovon das Pflanzenwachstum beeinflusst wird und dass sich gewisse Pflanzenarten nicht mögen.

Allelopathie hat immer noch etwas Mysteriöses an sich, weil in vielen Fällen nicht bekannt ist, welche Stoffe die Hemmung bewirken. Auch ist der Nachweis einer allelopathischen Wirkung schwierig, denn Pflanzen bedrängen sich gegenseitig auch durch Konkurrenz um Wasser, Nährstoffe, Licht und Raum. Daher ist der Nachweis unerlässlich, dass eine chemische Substanz im Spiel ist und hemmend wirkt. In Indien wird besonders intensiv zur Allelopathie geforscht, da man sich diese Wirkungen auch bei der Unkrautbekämpfung zunutze machen möchte, indem Extrakte von allelopathisch wirksamen Pflanzen versprüht werden.

Ob Pilz oder Pflanze, Hemmstoffe halten andere Arten auf Distanz, um selbst gedeihen zu können. Wie anders aber ist die Beziehung zwischen zwei Arten, die zueinandergefunden haben und sich gegenseitig helfen!

Glücklich verheiratet

Hier können Sie erfahren, was Sie mit Flechten und Röhrenwürmern gemeinsam haben. Sie kennen Flechten, diese trockenen Gebilde auf Felsen, Ästen oder zwischen dem Moos auf dem Waldboden? Eine Flechte ist schon ein ganz besonderer Organismus. Doch bei genauerer Betrachtung stimmt bereits diese Aussage nicht, handelt es sich doch um ein Doppelwesen. Als Erster hatte der deutsche Naturwissenschaftler Anton de Bary (1831–1888) die Flechten genauer erforscht. Der Sohn eines angesehenen Arztes in Frankfurt am Main wurde ebenfalls Mediziner, beschäftigte sich aber auch intensiv mit Botanik und Mykologie oder Pilzkunde. Mit 24 Jahren bekam er eine Professur an der Universität Freiburg im Breisgau. 1878 hielt er anlässlich der 51. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte einen Vortrag über seine Arbeiten zur Biologie von Flechten, worin er seine Beobachtungen beschrieb. Dabei schlug er den Begriff «Symbiose» vor und lieferte die Definition gleich mit: Eine Symbiose sei das Zusammenleben ungleicher Organismen.

Eine Flechte ist geradezu ein Paradebeispiel einer Symbiose. De Bary erkannte, dass der Organismus einer Flechte aus zwei sehr unterschiedlichen Arten besteht, einem Pilz und einer Alge. Also hatten sie mit Moosen nichts zu tun, wie es bis zum 18. Jahrhundert noch in den Kräuterbüchern stand. Alge und Pilz sind aber so innig miteinander verflochten, dass sie gleichsam einen neuen Organismus bilden, den Flechtenkörper, der gänzlich anders aussieht als der Pilz oder die Alge alleine.

Von der innigen Beziehung profitieren beide Partner, und darin liegt das Geheimnis einer Symbiose. Diese gegenseitige Unterstützung hatte de Bary offensichtlich noch nicht erkannt. Die Alge in einer Flechte ist für die Fotosynthese zuständig, sie fängt also Sonnenlicht ein und bildet organische Verbindungen. Der Pilz kann davon leben und trägt seinerseits zur Beschaffung von Wasser und Nährsalzen bei; zudem schützt er die Algen vor zu starkem Licht. Durch das Zusammenschließen bekommt die Flechte eine gänzlich neue Eigenschaft: Sie kann extreme Standorte besiedeln, die weder der Pilz noch die Alge alleine meistern könnte. Die Krusten von Flechten auf nacktem Fels im Hochgebirge zeugen davon. An einem Ort ohne Humus der prallen Sonne, Hitze und Kälte ausgesetzt, können sich nur die langsam wachsenden Flechten halten.

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2 Flechten sind fähig, Fels zu besiedeln. Manche Flechten sondern zudem Stoffe ab, die andere Organismen wie Moose im Wachstum hemmen.

Symbiosen sind in der Natur überaus häufig anzutreffen. Neben Pflanzen sind an ihnen ebenfalls auch Pilze, Wirbellose, Wirbeltiere und viele Bakterienstämme beteiligt. Manche Pflanzen wie Leguminosen, zu denen Bohnen, Erbsen oder Lupinen zählen, besitzen auffallende Knöllchen an den Wurzeln. Darin leben bestimmte Bakterien, die eine einmalige Fähigkeit besitzen. Sie können nämlich den elementaren Stickstoff in der Luft chemisch binden und ihn so in Form wasserlöslicher Salze den Pflanzen verfügbar machen. Bauern kennen den Effekt schon seit Langem und pflanzen Leguminosen wie Klee oder Luzerne als Gründüngung, um den Boden fruchtbarer zu machen. Die meisten Pflanzenarten leben zudem in Symbiose mit Pilzen, die sich mit den Wurzeln verflechten und ein riesiges Netz im Boden aufspannen, das die verschiedensten Pflanzen miteinander verbindet.

Manche Tiere existieren überhaupt nur dank symbiontischer Beziehungen zu anderen Organismen. Dies wird nirgendwo deutlicher als in jenen Ecken unseres Planeten, die mehrere Kilometer unter der Meeresoberfläche liegen, also dort, wohin niemals Sonnenlicht dringt.

Für die Wissenschaftler an Bord des Forschungsschiffes Knorr der amerikanischen Woods Hole Oceanographic Institution muss das, was sich auf den Fotos zeigte, mehr als spektakulär gewesen sein. Das war 1977, man erforschte Heißwasserquellen in rund 2500 Meter Tiefe vor den Galápagosinseln. Dazu ließ man ein Gerät in die Tiefe, das mit Kameras und Messinstrumenten bestückt war. Damals mussten die Forscher einen Film in die Kamera einlegen, die Digitaltechnik war noch nicht ausgereift. Die Fotos sorgten für die Überraschung. Niemand rechnete damit, dass sich hier unten Leben befand, und schon gar nicht in solch einer üppigen Form. Aber an den Stellen, wo das warme Wasser austritt, zeigten sich Krabben, Muscheln und riesige Bartwürmer, und allesamt zuhauf. Wovon nur lebten diese Tiere dort unten in vollkommener Abgeschiedenheit und ewiger Dunkelheit? Mittels des Tauchbootes Alvin holten sich die Wissenschaftler Wasserproben, Sedimentproben und ein paar der Tiere an Bord, um die merkwürdigen Lebewesen näher untersuchen zu können.

Die über einen Meter lang werdenden Bartwürmer mit dem wissenschaftlichen Namen Riftia pachyptila haben keinen Darm, keinen Mund und keinen After. Sie fressen also nicht, aber von was ernähren sie sich dann? Anstelle des Darmes füllt ein bestimmtes Organ den Körper aus, das «Trophosom» genannt wird und die Hälfte des Körpergewichtes ausmacht. Darin entdeckten die Forscher Unmengen lebender Bakterien, die das Tier offensichtlich ernährten. Aber von was lebten die Bakterien? Als die Wissenschaftler den ersten Behälter mit Wasser aus der Tiefe öffneten, erfüllte ein Gestank nach faulen Eiern das Labor, und schnell wurden die Luken geöffnet. Schwefelwasserstoff! Das musste des Rätsels Lösung sein: Die Bakterien sind offensichtlich Schwefelbakterien, die ihre Energie zum Aufbau organischer Substanz aus Schwefelwasserstoff beziehen. Das Gas ist in dem Wasser gelöst, das aus den Quellen austritt.

Nur dank dieser Symbiose können die Röhrenwürmer in der Tiefe leben. Mit ihrem Blutgefäßsystem versorgen sie die Bakterien mit Sauerstoff, Kohlendioxid und Schwefelwasserstoff aus dem Wasser; die Bakterien hingegen bauen organische Substanz auf, von dem sich das Tier ernährt. So leben die Tiere – alle Tiere hier unten leben von den Bakterien – in vollkommener Isolation vom Rest der Welt. Man sagt oft, dass die Organismenwelt der Tiefseequellen ein eigenes Ökosystem darstellt, das unabhängig von allem anderen existiert. Das ist aber nicht ganz richtig, denn der Sauerstoff, der sich im Meerwasser befindet, stammt vom Leben auf dem fernen Land sowie von den Algen in den oberen Meeresschichten und an den Küsten.

Bakterien und Tiere sind oft miteinander vergesellschaftet. Sie selbst tragen ständig eine Symbiose in sich herum, denn in Ihrem Darm leben ebenfalls Bakterien. Diese helfen bei der Verdauung. Bei pflanzenfressenden Tieren wie Pferden oder Kühen sind sie besonders wichtig, um die Zellulose der pflanzlichen Nahrung abzubauen.

Symbiosen zwischen Pflanzen und Tieren zeigen sich etwa an felsigen Küsten, wo Blumentiere oder Seeanemonen ihre Tentakel in der Strömung wiegen. Die grünliche bis bräunliche Färbung vieler Arten rührt von einzelligen Algen her, die symbiontisch in den Tieren leben, Fotosynthese betreiben und von der Seeanemone versorgt werden. Auch viele Korallen nehmen die Hilfe von Algenzellen in Anspruch.

Symbiosen verleihen den Partnern riesige Vorteile, was sicher der Grund dafür ist, dass sie sich bei ganz verschiedenen Organismengruppen herausgebildet haben. Höchst interessant ist: Ändern sich die äußeren Bedingungen, können gewisse Symbiosen abrupt von einem friedlichen Zusammenleben zum beiderseitigen Vorteil in eine einseitige und unfreundliche Übernahme umkippen, oder einer der Partner wird kurzerhand abgestoßen. Manche Flechten zeigen ein solches Verhalten, wenn sie auf nährstoffreichem und feuchtem Substrat wachsen, also ideale Bedingungen vorfinden. Da kann es passieren, dass sich die Alge kurzerhand aus dem Verband löst und den Pilz überwuchert oder umgekehrt. Korallen hingegen stoßen ihre Algenzellen aus, wenn es ihnen nicht gut geht, etwa bei zu warmem Wasser. Das führt zur Korallenbleiche und schließlich zum Absterben ganzer Korallenriffe.

Die nächste Beziehung ist die offenkundigste, am weitesten verbreitete und für jedes tierische Lebewesen unabkömmlich. Sie hat damit zu tun, dass die Natur zu einem guten Teil nach dem Prinzip «Fressen und gefressen werden» funktioniert.

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3 Anemonenfische leben in Symbiose mit Seeanemonen. Beide Partner schützen sich gegenseitig vor Raubfischen.

Lebensnotwendig

Das Geschäft der aktiven Nahrungsaufnahme mittels geeigneter Werkzeuge nennen Biologen «Prädation». Dieses Geschäft betreiben auch wir, etwa wenn wir im Garten eines feinen Restaurants mit Blick auf das Meer und in angenehmer Gesellschaft tote Pflanzen- und Fischteile verspeisen. Oder an einem Imbissstand eine Currywurst verzehren.

Mit der Prädation verhält es sich wie mit der Kommunikation: Die Variationsbreite ist schier unendlich, von Rauchzeichen bis E-Mail. Im Mittelpunkt der Prädation steht die Aufnahme von Nahrung und damit Energie. Diese geht weit über das Benutzen von Zähnen hinaus. Eine Schnecke, die mit ihrer Raspelzunge den Kohl bearbeitet, betreibt genauso Prädation wie ein Vogel, der einen Fisch verschlingt. Die Techniken der Nahrungsaufnahme im Tierreich sind mitunter verblüffend. Manche Meerestiere saugen ihre Beute einfach ein; ein Bartenwal etwa nimmt ein Maul voll Wasser und presst es durch seine Barten nach außen, um Kleinkrebse wie den Krill herauszufiltern.

Entsprechend unterschiedlich sehen auch die Speisekarten aus. Alle tierischen Organismen lassen sich jedoch drei Typen zuordnen: pflanzenfressende Tiere oder Herbivoren, tierfressende Tiere oder Karnivoren und die sogenannten Omnivoren oder Allesfresser, zu denen zoologisch betrachtet auch wir Menschen zählen. Bei den Pflanzen verhält es sich freilich anders: Sie brauchen keine Organismen zu verdauen, weil sie selbst organische Substanz aufbauen können. Sie müssen lediglich Wasser, Kohlendioxid und Nährsalze aufnehmen. Das Sonnenlicht lässt dann in den Blättern Zucker entstehen, aus dem Zellulose und Holz gebildet werden. Auch viele Bakterien sind fähig, aus einfachen Stoffen der unbelebten Natur organische Stoffe zu bilden.

Die Aufteilung der größeren Lebewesen in Pflanzen, Herbivoren und Karnivoren ist ein allgegenwärtiges Prinzip der Natur; nur so können ein Lebensraum und seine Artengemeinschaft überhaupt existieren. Allerdings spielt eine weitere Gruppe von Organismen eine ebenso wichtige Rolle. Die Destruenten oder Zersetzer sorgen dafür, dass tote Lebewesen abgebaut werden. Zu ihnen zählen Aasfresser genauso wie Pilze, die einen toten Baumstamm oder das Herbstlaub auf dem Boden zersetzen, darüber hinaus unzählige Mikroorganismen und Kleinstlebewesen. Gäbe es auf der Welt keine Zersetzer – unvorstellbar!

Die Pflanzen stehen stets am Beginn der Nahrungskette, sie wandeln Sonnenenergie in Biomasse um, die den Pflanzenfressern und schließlich den Tierfressern zur Verfügung steht. Durch Tod und Abbau werden die Stoffe dem Kreislauf wieder zugeführt. So entsteht ein stabiles System, ein Ökosystem, das Jahrmillionen lang existieren kann. In der lichtlosen Tiefsee hingegen stehen Bakterien am Anfang der Nahrungskette.

Ein Sonderfall der Prädation ist Parasitismus. Ein Parasit wie der Blutegel lebt von seinem Wirt, ohne ihn zu töten. Es wäre gar nicht im Interesse eines parasitär lebenden Tieres, wenn seine lebende Speisekammer ausfallen würde. Dann würde er zusammen mit seinem Wirt zugrunde gehen. Für die meisten Menschen sind Parasiten Tiere, denen man nicht gerade mit Sympathie begegnet: Stechmücken, Bremsen, Zecken, Bandwürmer, Leberegel, Vampirfledermäuse und dergleichen. Aber die Palette der Parasiten ist weitaus vielfältiger; sie finden sich in fast allen Tierstämmen. Bei den eben aufgezählten Beispielen sind Wirt und Parasit Tiere. Parasitismus zwischen Pflanzen und Tieren hingegen ist weitaus seltener. Blattläuse gelten als Pflanzenparasiten, die aus ihren Wirtspflanzen den Saft saugen, ohne in zerstörerischer Weise Blattwerk zu zerschneiden. Eine Pflanze, die auf Tieren lebt, ist hingegen nicht bekannt.

Wie stets in der Natur sind die Übergänge fließend. Nicht immer kann zwischen allgemeiner Prädation und Parasitismus entschieden werden. Eine Giraffe etwa, die einen Akazienzweig anknabbert, lässt den Baum nicht absterben. Ist das dennoch Parasitismus? Lebensvorgänge lassen sich nicht immer eindeutig einordnen, dazu ist die Natur viel zu komplex.

Eine parasitische Lebensweise haben auch Pflanzen erfunden: die Mistel etwa, die vom Baumast Saft abzweigt und für sich selbst nutzt. Parasitische Pflanzen wie der Teufelszwirn, eine Schlingpflanze, können in einem Feld richtig wüten und einen hohen Ertragsausfall bewirken; daran zeigt sich der Erfolg der hoch spezialisierten Pflanze.

Wenn jeder an sich denkt

Nehmen Sie zwei Blumentöpfe. In den einen setzen Sie eine Tulpenzwiebel, in den anderen ebenfalls eine Tulpenzwiebel und drei bis vier Knollen von Dahlien. Sie gießen regelmäßig und beobachten, wie die Stängel und Blätter heranwachsen. Dabei werden Sie bemerken, dass die Tulpe im Topf mit den Dahlien kleiner bleibt als die Einzeltulpe im anderen Topf, obwohl Sie alle Zwiebeln gleichzeitig gesetzt haben. Was hier stattfindet, ist Konkurrenz. Die Tulpe und die Dahlien nehmen sich gegenseitig Wasser, Nährstoffe und Raum zur Entfaltung weg. Das Ergebnis ist ein vermindertes Wachstum, verglichen mit der Einzeltulpe. Sie hat den gesamten Topf mitsamt dem Erdballen ganz für sich alleine und muss die Bestandteile nicht mit Nachbarn teilen.

Konkurrenz ist in der Natur allgegenwärtig, und es sind nicht nur die Pflanzen, die um Ressourcen konkurrieren. Vögel streiten um die Beeren eines früchtetragenden Baumes, Aasgeier versuchen, möglichst viel in den eigenen Schnabel zu bekommen und den Artgenossen möglichst wenig übrig zu lassen. Konkurrenz herrscht sowohl zwischen verschiedenen Arten als auch oft genug zwischen den Mitgliedern einer Art. Konkurriert wird nicht nur um Nahrung oder – im Falle von Pflanzen – um Licht und Wasser, sondern etwa auch um die besten Schlafplätze.

Die Wissenschaft der Beziehungen

Wir haben gesehen, dass die Beziehungen zwischen Arten ziemlich verschiedenartig sein können. Sie reichen von freundlich und helfend bis zu eigennützig und todbringend. Diese Beziehungen oder Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten von Lebewesen gehören mit zum Faszinierendsten in der Geschichte des Lebens. Dazu zählt nicht nur, wie sie funktionieren, sondern auch, wie sie sich im Laufe der Zeit entwickelt und wie sich die Arten durch das Wechselspiel verändert haben.

Bisher habe ich Ihnen lediglich vier Beziehungen geschildert, nämlich Symbiose, Prädation, Parasitismus und Konkurrenz. Biologen kennen aber noch weitere Formen zwischenartlicher Beziehungen und ordnen sie bestimmten Kategorien zu; Ordnung ist schließlich das halbe Leben. So sind Symbiosen ein Sonderfall des sogenannten Mutualismus; damit ist ein Beziehungsgefüge gemeint, bei dem beide beteiligte Partner profitieren. Beispiele bekannter mutualistischer Beziehungen sind die Bestäubung von Blütenpflanzen und die Verbreitung von Samen jeweils durch Tiere. Beide Formen werden uns noch ausführlich beschäftigen. Und schließlich gibt es noch die vielen Lebewesen, die von anderen profitieren, ohne ihnen zu nutzen oder zu schaden, etwa Mitesser oder, biologisch ausgedrückt, Kommensalen. Ein Beispiel dafür sind Seepocken, die sich auf dem Gehäuse einer Meeresschnecke festgesetzt haben. Die kleinen Krebstiere stören die Schnecke kaum, kommen aber dank ihrer mobilen Unterlage herum und finden leichter Nahrung. Oder die weißen Vögel, die im südwestlichen Europa oft auf Kühen sitzen. Diese Kuhreiher sind ein klassisches Beispiel für Kommensalismus. Den Kühen sind sie vollkommen gleichgültig, die Vögel aber profitieren von der Fresstätigkeit der Tiere, denn die grasenden Mäuler scheuchen jede Menge Insekten und andere kleine Tiere auf, die von den Vögeln verschlungen werden.

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4 Blüten dienen oft als Nachtlager für Insekten, wie diese Zungenstendel, eine Orchidee.

All die verschiedenen Beziehungen zwischen Arten unterscheiden sich letztendlich darin, wie oft sich zwei oder mehr Arten begegnen, ob sie ständig oder nur gelegentlich miteinander zu tun haben und ob zwischen ihnen ein Geben und Nehmen herrscht, ein Stehlen oder einfach nur Benutzen oder Tolerieren. Für das Leben ist das von größter Bedeutung, denn je nach Typ der Beziehung fließen Stoffe und Energie von einer Art zur anderen; beim Fressen ist der Energiefluss einseitig, bei der Symbiose findet ein beidseitiger Austausch statt.

Wer die Beziehungen zwischen verschiedenen Arten untersucht, beschäftigt sich mit Ökologie in ihrer reinsten Form. Der Begriff «Ökologie» wird allzu oft mit Umweltschutz verwechselt, meint aber eigentlich einen Forschungszweig der Lebenswissenschaften, genauso wie Biochemie oder Molekularbiologie. Die Ökologie ist eine junge Wissenschaft, die erst während des 19. Jahrhunderts aufkam. Einer ihrer Begründer war der deutsche Zoologe Ernst Haeckel (1834–1919), der mit Ökologie erstmals 1866 «Die Lehre von den Beziehungen der Organismen zu ihrer Umwelt» bezeichnet hat. Haeckel wurde in Potsdam geboren und entwickelte schon früh ein Interesse für die Natur. Als Schüler war er ein ausgezeichneter Pflanzenkenner, doch wurde aus ihm ein Zoologieprofessor an der Universität Jena. Haeckel erforschte vor allem das Leben von niederen Meerestieren wie den mikroskopisch kleinen Radiolarien, aber auch Seesternen, Schwämmen oder Polypen. Er war ein begnadeter Zeichner, der die Formenvielfalt seiner Studienobjekte in Tausenden Aquarellen festhielt. Sein Werk «Kunstformen der Natur» wird auch heute noch bewundert.

In den Anfängen der Ökologie standen zunächst die Lebensbedingungen im Vordergrund, die durch nichtbiologische Vorgänge bestimmt werden, etwa die Bodenverhältnisse, das lokale Klima, die Neigung des Geländes oder die Temperatur und der Salzgehalt des Meeres. All diese Bedingungen beeinflussen pflanzliches und tierisches Leben. Dass sich verschiedene Arten auch gegenseitig beeinflussen können, wurde den Ökologen erst im Laufe der Zeit richtig klar. Zur Umwelt einer Tanne gehören eben nicht nur Boden, Luft und Wasser, sondern auch all die anderen Organismen, die ihren Lebensraum teilen.

Die Mischung macht’s

Welche Bedeutung zwischenartliche Einflüsse auf eine Lebensgemeinschaft haben können, zeigt ein aufschlussreiches Experiment des amerikanischen Zoologen Robert Paine. Mit 82 Jahren ist er immer noch aktiv und erklärt voller Begeisterung den Studenten das marine Leben einer Felsküste. In den frühen Sechzigerjahren machte er einen interessanten Versuch, der das Verständnis des Zusammenlebens verschiedener Arten revolutionieren sollte. Ihn interessierte die Frage, wie es denn möglich ist, dass auf engstem Raum verschiedene Arten zusammenleben können und eine beständige Lebensgemeinschaft bilden. Diese Frage ist auch heute noch eine der wichtigsten in der ökologischen Forschung. Warum leben in einem Regenwald Tausende verschiedener Arten gemeinsam auf engstem Raum? Warum nehmen nicht einige wenige Arten überhand und verdrängen die anderen? Wie wird das Gleichgewicht über Jahrtausende oder gar Jahrmillionen aufrechterhalten?

Eine geeignete Stelle für seinen Versuch fand Paine im Juni 1963 an der steilen Felsküste der Makah Bay im US-Bundesstaat Washington. Eine malerische Umgebung, einzelne Felsblöcke stehen im Wasser, mit Fichten bewachsen, die Küstenfelsen stürzen jäh in die tosende See ab. Die Gezeitenunterschiede betragen hier zwei bis drei Meter, sodass in regelmäßigen Abständen Muschelbänke und Seepocken trockenliegen. In der Spritzzone dieses Küstenabschnittes teilen sich ein paar wenige Arten den Lebensraum. Da ist ein Seestern von einem halben Meter Durchmesser, violett bis rötlich gefärbt, der sich von anderen Tieren ernährt, vor allem von einer Miesmuschel. Zwei Arten von Seepocken klammern sich an den Fels und überziehen ihn mit einem weißlichen Band. Vier Algenarten und ein paar marine Schnecken leben ebenfalls hier. Sie alle bilden ein mehr oder weniger in sich abgeschlossenes Ökosystem.

Paine beschloss, mit kühner Hand in dieses System einzugreifen. Er suchte sich ein zugängliches Stück Fels und steckte eine Versuchsfläche von etwa acht Meter Länge und zwei Meter Höhe ab. Innerhalb seiner Probefläche entfernte er alle Seesterne und sorgte dafür, dass keine neuen Tiere die Fläche betraten. Eine angrenzende Kontrollfläche ähnlicher Größe beließ er, wie sie war. Das Entfernen der tellergroßen Seesterne erwies sich als schwieriges Unterfangen. Die Tiere klammerten sich so fest an den Fels, dass er sie nicht losreißen konnte. Er musste einen Hebel ansetzen, um sie loszuwuchten. Die Tiere brachte er sofort ins Meer, schließlich wollte er keine unnötigen Opfer verschulden.

Paine zählte in regelmäßigen Abständen die Anzahl der Tiere jeder Art und die Häufigkeit der Algen. Was in dem Stück Felsküste geschah, überraschte selbst ihn: Schon nach wenigen Monaten ohne Seesterne kam es zu deutlichen Verschiebungen der Häufigkeiten der übrigen Arten. Die Miesmuscheln nahmen zu, während Algen und die anderen Tierarten – Seepocken und Schnecken – zunehmend verschwanden. Das System wurde artenärmer. Paine schreibt in seinem Artikel aus dem Jahre 1966: «Das Entfernen des Seesterns bewirkte eine drastische Abnahme der Artenvielfalt, wie das Auszählen der Arten in den Versuchsflächen zeigt; von den vormals 15 Arten blieben nur acht.»

Das Entfernen nur einer einzigen Tierart veränderte das Ökosystem auf dramatische Art und Weise. Warum? Intuitiv würden Sie vielleicht vermuten, dass die Seesterne als räuberische Wesen das System artenarm halten. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Die Fresstätigkeit der Seesterne sorgt für Platz auf dem Felsen: Miesmuscheln, Seepocken und Algen sind festsitzende Organismen und brauchen eine Standfläche. Der Seestern sorgt dafür, dass es immer mal wieder neue Standflächen gibt, auf denen sich die Larven der anderen Tiere oder die Algen niederlassen können. Dadurch ist es möglich, dass insgesamt mehr Arten zusammenleben können, als wenn der Seestern fehlt.

Für Ökologen stellt die Untersuchung von Paine eine bahnbrechende Arbeit dar. Viele weitere Studien sollten zeigen, welche Bedeutung die Beziehungen zwischen Arten haben. Denn es sind nicht nur die äußeren Lebensbedingungen wie Temperatur oder Salzgehalt des Meerwassers, die bestimmen, welche Arten sich gemeinsam einen Lebensraum teilen. Eine maßgebliche Rolle dafür spielen eben auch die ökologischen Beziehungen zwischen den Arten.

Damit bin ich bereits beim Begriff «Ökosystem» angelangt. Ein deutscher Mittelgebirgswald beherbergt ganz andere Pflanzen- und Tierarten als eine Dünenlandschaft an der Küste. Die beiden Lebensräume unterscheiden sich so stark voneinander, dass sie zwei Ökosysteme darstellen. So teilt sich die gesamte Erdoberfläche in die unterschiedlichsten Ökosysteme auf; sie reichen von Wüsten bis zu Hochgebirgen. Alle Arten, die zusammen in einem Gebiet vorkommen, bilden eine Lebensgemeinschaft. Gemeinsam mit dem Raum einschließlich Boden, Steinen, lokalem Klima und anderen Besonderheiten bildet diese Lebensgemeinschaft ein Ökosystem.

Die Arten von Meerestieren des Küstenabschnittes, den Paine so genau untersuchte, leben sicher schon Tausende von Jahren miteinander. Wenn Arten ständig miteinander zu tun haben, kann es geschehen, dass sie sich verändern. Wenn etwa eine bestimmte Pflanzenart und ein bestimmtes Insekt Jahrmillionen miteinander in Wechselwirkung treten, passen sie sich gegenseitig an. Hier spielt eine der wichtigsten Eigenschaften des Lebens eine Rolle: die Evolution.

Leben bedeutet Veränderung

«Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn, außer man betrachtet es im Lichte der Evolution.» Dieser oft zitierte Satz stammt von dem ukrainisch-amerikanischen Zoologen und Genetiker Theodosius Dobzhansky (1900–1975). 1927 wanderten er und seine Frau in die USA aus. Dobzhansky beschäftigte sich in seiner Forschung mit der Genetik jener kleinen Fliegen, die im Sommer so manche in Rage versetzen, weil sie flugs da sind, sobald auch nur eine Aprikose oder Erdbeere herumliegt. Die Taufliege, Drosophila melanogaster mit wissenschaftlichem Namen, ist zu einem der beliebtesten Labortierchen molekularbiologischer und genetischer Forschungslabors geworden.

Das Verdienst Dobzhanskys bestand darin, dass er die Vererbungslehre Mendels mit Darwins Evolutionstheorie vereinte. Von Genetik wusste Charles Darwin (1809–1882) nichts, weil er die Arbeiten seines Zeitgenossen Gregor Mendel (1822–1884) nicht kannte. Das mag daran liegen, dass Mendel als Priester in der Augustiner-Abtei St. Thomas in Alt Brünn lebte und arbeitete; seine Arbeiten fanden zu Lebzeiten in der Fachwelt kaum Beachtung. Mendel experimentierte mit Erbsen und zeigte auf, wie sich Eigenschaften von einer Generation zur nächsten weitervererben. Dazu kreuzte er Erbsen unterschiedlicher Blütenfarben und Samenformen miteinander und untersuchte, wie die neuen Pflanzen aussahen und wie sich die verschiedenen Merkmale verhalten. Zwischen 1856 und 1863 kultivierte er schätzungsweise 28.000 Erbsenpflanzen im Klostergarten. Seine Bemühungen führten zu den Mendel’schen Regeln, die das Grundgerüst der Vererbungslehre darstellen.

Zusammen mit dem deutschamerikanischen Biologen und Evolutionsforscher Ernst Mayr (1904–2005) zeigte Dobzhansky die Mechanismen der Evolution auf. Jetzt verstand man, wie Anpassung geschieht, wie sich vorteilhafte Eigenschaften im Bestand eines Tieres oder einer Pflanze durchsetzen und die Art sich dadurch allmählich verändern kann.

Tatsächlich ist jedes Lebewesen, egal ob ein prächtiger Schmetterling aus dem Tropenwald oder eine unscheinbare Alge im Polarmeer, das Ergebnis von Anpassung und Evolution. Jeder Organismus spiegelt seine eigene, ganz besondere Vergangenheit wider. Währenddessen war die Art ganz verschiedenen Einflüssen ausgesetzt und stellte sich darauf ein. Der geheimnisvolle Vorgang der Evolution ist dabei nicht etwas, das in der Vergangenheit stattfand und dessen Ergebnis wir heute in Form vollendeter Arten sehen. Nein, Evolution begleitet das Leben, solange es existiert. Eine Art verändert sich ständig, passt sich neuen Bedingungen an und reagiert auf die Anwesenheit anderer Arten. Leben bedeutet Evolution. Indessen sind die Vorgänge meist so langsam, dass wir kaum Zeuge davon werden können. So kommen wir zu dem Eindruck einer vermeintlich vollendeten und unveränderlichen Natur.

Dass sich Arten gegenseitig in der Evolution beeinflussen, ist leicht zu erkennen. Bäume bilden Dornen, um hungrige Tiere abzuwehren, Raubtiere besitzen Reißzähne, um Beute schlagen zu können, Pflanzen reichern Gift in ihren Organen an, um Pflanzenfresser fernzuhalten. Die gegenseitige Beeinflussung von Pflanzen und Tieren ist dabei besonders faszinierend. Da prallen zwei grundverschiedene Formen des Lebens aufeinander. Daraus entstanden die kuriosesten Beziehungen und Gestalten.

Was hat nun der Ziesel mit der Mohnblüte vor? Leopold Kanzler, der Fotograf, erzählte mir dazu Folgendes: «Im östlichen Flachland Österreichs, dem Wiener Becken und dem Seewinkel im Burgenland, gibt es die letzten Zieselkolonien, die von Jahr zu Jahr weniger werden. Intensive landwirtschaftliche Nutzung und das Verbauen von Brachlandschaften sind die Hauptursachen für den Bestandsrückgang. Für mich war es nun höchste Zeit, diese putzigen Tiere zu fotografieren. Im Marchfeld, östlich von Wien, entdeckte ich eine brauchbare Kolonie auf einem Sportplatz. Um ansprechende Bilder zu machen, ist neben dem Umfeld (Blumen) gutes Licht und viel Geduld erforderlich. Immer wieder beobachtete ich die Ziesel, wie sie zu den Mohnblumen am Rand der Wiese liefen, um an ihnen zu naschen. Drei Tage lag ich an einer für mich geeigneten Stelle, um den kleinen Mohnblumenpflücker zu fotografieren – ein immenser Aufwand, der sich allerdings gelohnt hat!»

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Blüten und Bestäuber: Wer tanzt mit wem?

Um zu verstehen, was beim Bestäuben geschieht, müssen wir zuerst die Funktionsweise einer Blüte untersuchen. Der Klatsch-Mohn eignet sich hervorragend dazu, weil er so große Blüten hat und Sie die Einzelteile leicht erkennen können. Vier rote Kronblätter machen den Schauapparat aus, dünn wie Seidenpapier. Zahllose purpurne Stiele unterschiedlicher Länge entspringen am Grunde der Blüte, am Ende eines jeden Stieles baumelt ein paketförmiges Gebilde in der Luft. Das sind die Staubbeutel, die den Blütenstaub oder Pollen enthalten. Auffällig ist zudem das dicke Fass in der Mitte. Ein flacher Kegel bildet den Deckel, durch violette Rippen verstärkt. Dieses grüne Fass heißt Fruchtknoten und enthält das Wichtigste und Geheimnisvollste einer Blüte. Im Querschnitt sieht er mit seinen Kammern wie eine aufgeschnittene Zitrone aus. Drücken Sie ihn etwas zusammen, so treten winzige weißliche Kügelchen hervor. Aus ihnen wird einmal die Mohnsaat, aus der sich so herrlich mundende Mohnkuchen fabrizieren lassen.