4703_Die_erste_Rebellion_epub.jpg



Historische Anmerkungen zum vorliegenden Roman


Seit dem Einmarsch der mexikanischen Armee unter General Martin Perfecto de Cos spitzte sich die Situation in Texas dramatisch zu. Es gab immer wieder Zusammen­stöße zwischen den Soldaten, die schließlich in den Kämpfen bei Gonzales und Goliad einen dramatischen Höhepunkt erreichten und gleichzeitig auch den Willen der texanischen Siedler und Kolonisten nach Unabhängigkeit von Mexiko stärkten.

An diesen Kämpfen und Auseinandersetzungen waren auch viele Männer beteiligt, die Texas Ranger waren. Innerhalb dieser Truppe gab es immer noch keine Struktur. Es waren meistens Freiwillige, die die Not der Siedler und die Bedrohung durch die mexikanischen Invasoren erkannten und aus eigenem Antrieb die Initiative zum Kampf ergriffen. Das änderte sich erst Anfang Oktober, als beschlossen wurde, ein Rangerkorps ins Leben zu rufen und somit eine gewisse Präsenz nach außen zu demonstrieren, insbesondere was den Schutz vieler Siedler und kleinerer Ortschaften anging. So wurden beispielsweise in der Zeit zwischen dem 17. Oktober und 19. November vier Zuständigkeitsbereiche beschlossen, in denen zukünftig Ranger unter genau festgelegten Bedingungen operieren sollten. Es gab eine klare Struktur der Befehlsgewalt. Heute würde man dieses Muster wahrscheinlich Organigramm nennen.

Die Ereignisse in der Bucht von Copano, als Captain Isaac Watts Burton und seine Männer drei Frachtschiffe der Mexikaner kaperten, sind historisch. Ich habe mir aus dramaturgischen Gründen erlaubt, ein paar fiktive Elemente mit einzubauen. Burton und seine Männer waren die Ersten, die eine solche riskante Aktion umsetzten, und deshalb nannte man sie auch Horse Marines.

Vom geschichtlichen Standpunkt betrachtet, befinden wir uns am Vorabend des Beginns der texanischen Unabhängigkeit, und alle in diesem Roman geschilderten Ereignisse verstärkten noch die Tendenz einer Abspaltung von Mexiko. Ich werde darauf noch in späteren Bänden eingehen, natürlich auch auf die Schlacht von Alamo, die noch heute als Symbol des Ringens um die texanische Unabhängigkeit gilt und in zahlreichen Romanen sowie Filmen verewigt worden ist. Es ist und bleibt ein untrennbarer Teil der Geschichte von Texas und darf deshalb hier auch nicht unerwähnt bleiben.

Im nächsten Band meiner Serie TEXAS RANGER werde ich den Handlungsschauplatz wechseln und wieder auf die Probleme der Siedler und Farmer eingehen, die einer wachsenden Bedrohung durch verschiedene Indianerstämme ausgesetzt waren. Parker’s Fort wird hier eine entscheidende Rolle spielen, aber ebenso die Kämpfe in San Antonio de Bexar im Dezember 1835.

Der Kampf um Texas und die weitere Aufstellung und Organisation der Texas Ranger geht dann in eine entscheidende Phase. Es gibt noch sehr viel zu erzählen.


Augsburg, im Mai 2022

Alfred Wallon


Texas Ranger



In dieser Reihe bisher erschienen

4701 Alfred Wallon Tod am Rio Blanco

4702 Alfred Wallon Canoma muss sterben

4703 Alfred Wallon Die erste Rebellion

4704 Alfred Wallon Kampf ohne Gnade


Alfred Wallon


Die erste Rebellion






Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen 
und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.
Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.
Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.

© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Landkarte: Archiv Dietmar Kuegler mit freundlicher Genehmigung
Illustration: suricoma/123RF.com
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-363-6




Prolog


Gegenwart

20. September 1835

Mittags gegen 12:00 Uhr


Sam Sheridan blickte aus dem Fenster der Cantina und bemerkte die aufgeregten Rufe der Menschen auf den Straßen. Gleichzeitig hörte er Hufschläge, die von unterhalb der Straße kamen. Der blonde Texas Ranger erkannte einen Reitertrupp. Sheridan zählte zehn Männer, die nach Gonzales kamen und ihre Pferde auf der gegenüberliegenden Straßenseite zügelten.

„Wird da jemand gefeiert?“, fragte Sheridan und drehte sich zu Major William Oldham um, der mit drei anderen Rangern an der Theke stand.

„Keine Ahnung“, antwortete Oldham. „Aber wir sollten uns das mal ansehen. Vielleicht ist ja in der Zwischenzeit etwas geschehen, von dem wir noch nichts wissen. Würde mich aber auch nicht wundern.“

Sheridan seufzte bei diesen Worten. Seit der feigen Ermordung des Caddo-Häuptlings Canoma, dessen Sohn und weiteren Vertrauten waren gut drei Monate vergangen, und dies hatte zu weiteren Konflikten zwischen den texanischen Siedlern und einigen Indianerstämmen geführt. Die Caddo-Indianer hatten blutige Rache für die Ermordung ihres Häuptlings geschworen und sich nun mit den Tonkawa verbündet. Die erste Aktion hatte ihren traurigen Höhepunkt darin gefunden, als ein Trupp ­Freiwilliger in eine Falle gelockt worden war. Die Caddo und Tonkawa hatten sie alle getötet, unter ihnen auch einen Mann namens Mitch Delaney, der an der Ermordung Canomas beteiligt gewesen war.

Er folgte Major Oldham und dessen Männern hinaus auf die Straße, wo die Neuankömmlinge mindestens so begeistert in Empfang genommen wurden wie Stephen Austin nach seiner Entlassung aus der mexikanischen Gefangenschaft.

„Das ist ja Captain Burton!“, rief Oldham sichtlich überrascht. „Mit dem hätte ich nun wirklich nicht gerechnet.“ Während die letzten Worte über seine Lippen kamen, zeichnete sich ein Grinsen auf seinen bärtigen Gesichtszügen ab. Er hob die rechte Hand und winkte zu den Männern hinüber, die bereits abgesessen waren. Einer von ihnen schaute in Oldhams Richtung und schien den Major jetzt erkannt zu haben.

„Wer ist das, Major?“, fragte Sheridan. „Sie kennen ihn gut, oder?“

„Wir sind alte Freunde, auch wenn wir uns schon ein knappes Jahr nicht mehr gesehen haben“, lautete ­Oldhams Antwort. „Sagt Ihnen der Name Burton nichts? Haben Sie noch niemals von ihm und seinen Horse ­Marines gehört?“

Sheridan grübelte einen kurzen Moment nach. Dann wusste er, worauf Oldham hinauswollte.

„Captain Isaac Watts Burton?“, fragte er noch einmal nach. „Der Mann, der drei mexikanische Schiffe gekapert hat?“

„Genau der“, bestätigte ihm Oldham. „Dass er nach Gonzales gekommen ist, muss etwas zu bedeuten haben. Nun, ich denke, wir werden das gleich erfahren. He, Isaac!“, rief er dem näher kommenden Texas-Ranger-Captain zu. „Was treibt dich denn nach Gonzales? Hier gibt es doch gar keine Schiffe!“

Sheridan wusste, worauf Oldham hinauswollte. Er hatte von dieser tollkühnen Aktion natürlich auch gehört, war aber dem Mann, der diesen riskanten Job damals durchgeführt hatte, noch nie persönlich begegnet. Nun, dazu würde sich bestimmt gleich eine Gelegenheit ergeben. Aber zunächst begrüßten sich Oldham und Burton wirklich wie zwei Freunde, die sich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen hatten. Sie umarmten sich gegen­seitig, schlugen sich auf die Schultern und konnten diese Freude kaum verbergen.

„Ist das Bier da drin gut?“, fragte Burton und schaute auch kurz zu Sheridan. „Oder sollten wir lieber Tequila trinken, mein Freund?“

„Am besten probieren wir beides aus“, schlug ihm Oldham schmunzelnd vor. „Einige meiner Leute kennst du ja vielleicht noch. Aber vermutlich diesen Mann hier noch nicht. Isaac, das hier ist Sam ­Sheridan. Er ist noch nicht lange in Texas, aber man kann auf ihn zählen.“

„Das klingt gut“, meinte Burton, ging direkt auf ­Sheridan zu und streckte die rechte Hand zum Gruß aus. Sheridan ergriff sie und erwiderte den festen Händedruck mit einem freundlichen Lächeln.

„Ich habe von Ihrer Aktion in der Bucht von Copano schon einiges gehört, Captain“, sagte er zu ihm. „Das muss ja wirklich ein Himmelfahrtskommando gewesen sein.“

„Wenn ich ehrlich bin, Mister Sheridan: Ich hatte gar keine Zeit, darüber lang und breit nachzudenken. Meine Männer und ich hatten einen Job zu erledigen, und das haben wir auch gemacht. Ohne Blutvergießen, das war mir besonders wichtig. Wissen Sie was?“, schlug er jetzt vor. „Ich sehe Ihnen an, dass Sie noch nicht alles wissen. Ich lade Sie und die anderen Männer zu einem Drink ein. Was halten Sie davon?“

„Da sage ich natürlich nicht nein“, antwortete ­Sheridan, dem die gewählte Ausdrucksweise Burtons sofort aufgefallen war.

„Und das gilt erst recht für mich und alle anderen“, fügte Oldham hinzu. „Und wie es der Zufall will, spüre ich gerade, dass sich meine Kehle verdammt trocken anfühlt. Das müssen wir dringend ändern.“

„Worauf warten wir dann noch?“, fügte Burton hinzu. „Gehen wir rein und trinken was zusammen. Und hinterher reden wir dann in Ruhe über die neuesten Entwicklungen.“

Oldham runzelte die Stirn, als er das hörte.

„Wenn du das sagst, dann klingt das irgendwie nach Verdruss“, meinte er. „Ist doch so, oder?“

„Lass uns erst mal reingehen und was trinken“, antwortete Burton. „Bei einem Glas Bier oder einem Tequila redet es sich leichter.“

Burton ging voraus, Oldham folgte ihm, und Sheridan schloss sich den beiden mit den anderen Männern an. Auch Burtons Männer betraten jetzt die Cantina und ließen sich an den Tischen nieder.

„Wollen Sie wissen, was in der Bucht von Copano geschehen ist, Mister Sheridan?“, wandte sich Burton an den blonden Mann, der erst seit Kurzem bei den Texas Rangern war. „Ich sehe Ihnen an, dass Sie neugierig sind.“

„Es wird viel von dieser Aktion erzählt“, meinte Sheridan. „Aber nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

„Aber nein“, sagte Burton und wartete ab, bis man ihm ein Glas Bier gebracht hatte. Er hob es hoch, nahm einen Schluck und schien zufrieden zu sein. So sehr, dass er gleich noch einen weiteren Schluck trank und dann ­Sheridan, Oldham und dessen Leute anschaute. Seine eigenen Männer hörten nicht hin, denn sie waren ja selbst mit dabei gewesen.

„Also, das war so ...“, begann Burton schließlich und gab dem Keeper hinter der Theke ein Zeichen, ihm ein zweites Glas zu bringen. „Wir hatten klare Order, das Frachtschiff zu kapern, und zwar so schnell wie möglich. Und wir hatten mehr Glück, als wir jemals vermutet hätten.“ Dann erzählte er Sheridan, Oldham und dessen Leuten, was damals passiert war.



Kapitel 1: Eine riskante Aktion


Vergangenheit

2. Juni 1835

In der Nähe der Bucht von Copano

Kurz nach Mitternacht


Ein wissendes Lächeln zeichnete sich in den Gesichtszügen von Captain Isaac Watts Burton ab, während er das Fernrohr absetzte und zu den Lambert-Brüdern schaute.

„Sie hatten recht“, sagte er und reichte das Fernrohr an Nicholas Lambert, den ältesten der beiden Brüder. „Ich denke, wir sollten noch in dieser Nacht handeln, bevor die Ladung des Schiffes gelöscht wird. Wahrscheinlich wird am kommenden Morgen die mexikanische Armee anrücken, um alles in Empfang zu nehmen. Bis dahin müssen wir die Aktion hinter uns gebracht haben.“

„Auf unsere Hilfe können Sie jederzeit zählen, ­Captain“, versicherte ihm Walter Lambert, während sein Bruder immer noch das Schiff in der Bucht beobachtete. Es war die WATCHMAN, ein mexikanischer Frachter, der Waffen, Ausrüstungsgegenstände und auch Vorräte für die Soldaten des Generals Martin Perfecto des Cos an Bord hatte.

„Ich denke, den Job erledigen meine Männer und ich schon, Mister Lambert“, antwortete Burton und wies mit dem Daumen hinter sich, wo sich dreißig weitere Texas Ranger in den Hügeln hinter der Bucht postiert hatten und nur noch auf einen geeigneten Zeitpunkt ­warteten, um die geplante Aktion durchzuführen. „Ich danke Ihnen und Ihrem Bruder, dass Sie uns rechtzeitig über die Ankunft des Schiffes informiert haben. Ohne Sie beide wären wir vermutlich nicht rechtzeitig vor Ort gewesen. Wir sind seit einer knappen Woche unterwegs mit unserer Truppe“, fuhr Burton fort und strich sich dabei über den grauen Vollbart. „Es war klar, dass wir irgendwann heraus­finden werden, was die Mexikaner planen. Aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass dieser verfluchte Santa Anna seine Absichten so offen umsetzt. Er hat ­Stephen Austin getäuscht und ihm alles Mögliche versprochen. Jetzt zeigt dieser Hundesohn sein wahres Gesicht. Aber wir werden ihm zeigen, dass er mit uns Texanern so etwas nicht machen kann.“

„Es sieht wohl alles nach Krieg aus“, meinte Nicholas Lambert, nachdem er dem Captain dessen Fernrohr wieder zurückgegeben hatte. „Spätestens im nächsten Jahr, oder?“

„Wenn das überhaupt noch so lange dauert“, fügte Burton seufzend hinzu. „Sie haben ja alle mitbekommen, was in der Zwischenzeit geschehen ist. General de Cos und seine Leute führen sich auf, als wären sie die neuen Herren des Landes. Sie gehen offen gegen die Siedler vor und nehmen auch Tote in Kauf. Das ist nicht das, was Santa Anna Stephen Austin versprochen hat, als die ersten Siedler in die neue Kolonie Texas kamen.“

„Aber es war wohl absehbar, dass Santa Anna einen solchen Zustrom, wie er in den letzten Wochen und Monaten stattgefunden hat, nicht dulden wird“, meinte Walter Lambert. „Es war genau die richtige Entscheidung, einen Freiwilligentrupp aufzustellen, und ich bin stolz darauf, dazuzugehören, Sir.“

Die letzten Worte hatte er fast mit feierlicher Stimme gesprochen. Er war stolz darauf, ein Teil der Truppe zu sein, die sich selbst den Namen Texas Ranger gegeben hatte. Eigentlich waren diese Trupps von Freiwilligen aufgestellt worden, um etwas gegen die stetig wachsenden Indianerunruhen zu unternehmen. Aber mittlerweile waren die texanischen Siedler durch den Vormarsch der mexikanischen Truppen zwischen zwei Mühlsteine geraten und mussten gegen zwei Feinde kämpfen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Jedoch hatten sie eins gemeinsam: Sie wollten den Untergang der Kolonie Texas. Die Mexikaner sahen darin eine Bedrohung ihrer politischen Hoheit, und für die Indianerstämme ging es schlichtweg darum, dass man ihnen das Land wegnahm und sie immer weiter zurücktrieb.

„Wie ich gehört habe, bestehen konkrete Pläne, ein Ranger-Bataillon aufzustellen, Mister Lambert“, sagte Burton. „Wahrscheinlich noch in diesem Herbst. Auf diese Weise sind wir noch schlagkräftiger, wenn die Kolonie auch offiziell diese Trupps ausrüstet und bezahlt. Wie eine eigene Armee, nur ohne Uniform.“

„Das wäre sehr vernünftig“, stimmte nun auch ­Nicholas Lambert zu. „Mein Bruder und sind auf jeden Fall mit dabei.“

„Das werden andere Leute entscheiden“, meinte ­Burton. „Und bis dahin gibt es noch jede Menge zu tun. Stehen die vier Boote bereit, von denen Sie gesprochen haben?“

„Natürlich, Sir“, versicherte ihm Walter Lambert mit einem eifrigen Nicken. „Sie können jederzeit loslegen.“

„Das werden wir auch tun“, fügte Captain Burton mit einem grimmigen Lächeln hinzu. „Dann wollen wir erst einmal unser Bestes tun, um die Besatzung der ­WATCHMAN ein wenig zu verunsichern. Sie beide halten sich jetzt im Hintergrund und überlassen alles andere mir und meinen Leuten. Ist das klar?“

Man konnte den beiden Brüdern ansehen, dass sie nicht gerade glücklich darüber waren, die geplante Aktion nur als Zuschauer zu verfolgen. Aber die Rollen waren von Anfang an klar verteilt gewesen: Nicholas und Walter Lambert hatten die Aufgabe gehabt, alle notwendigen Vorbereitungen zu treffen, und genau das hatten sie auch getan. Den Rest würden Captain Burton und seine Ranger erledigen.

Es war eine wolkenlose Vollmondnacht. Das silberne Licht des Mondes spiegelte sich auf den Wellen der Bucht von Copano und ließ die in den Hügeln verborgenen Männer alles gut erkennen. Es war ein friedliches, fast schon idyllisches Bild, das sich Burton und seinen Rangern bot.

„Beobachten Sie die Lage weiter!“, befahl Burton den beiden Männern und wandte sich dann rasch ab, um zurück zu seinen Männern zu gehen, die schon ungeduldig darauf warteten, welche Neuigkeiten er ihnen überbrachte.

Nolan Morris war einer der Ersten, die ihre Deckung verließen und auf Captain Burton zukamen. Morris war ein breitschultriger Mann, der bis vor einem Jahr am Colorado River noch eine kleine Farm besessen und bewirtschaftet hatte. Er hatte sich schon öfters mit marodierenden Kriegerbanden verschiedener Stämme herumschlagen müssen, aber er hatte sie letztendlich immer vertreiben können. Gegen die Soldaten des Generals de Cos hatte er jedoch den Kürzeren ziehen müssen. Während seine Farm von den mexikanischen Soldaten in Brand gesteckt worden war, hatte er gerade noch entkommen können. Seit diesem Zeitpunkt verfolgte ihn ein unbändiger Hass auf die Mexikaner, und ihm war fast jedes Mittel recht, um diese längst fällige Rechnung irgendwann begleichen zu können. Heute Nacht war dieser Zeitpunkt gekommen!

„Alles ruhig“, sagte Captain Burton zu ihm. „Sind Sie bereit, Mister Morris?“

„Worauf Sie sich verlassen können, Captain“, sagte Morris. Er präsentierte sich stolz in einer mexikanischen Uniform, die Burton und seine Leute vor einigen Tagen organisiert hatten. Von Weitem, und somit ganz sicher ebenfalls von Bord des Frachters WATCHMAN, würde man ihn ohne Zweifel für einen mexikanischen Soldaten halten. Und genau darauf kam es auch an, wenn Captain Burtons Plan auch funktionieren sollte.

„Gut, dann legen Sie los, Mister Morris“, sagte ­Burton zu ihm. „Ich drücke Ihnen die Daumen, dass es klappt.“

„Das hoffe ich auch“, meinte Morris. „Fisher und Bodeen, ihr kommt mit!“, rief er zwei anderen Rangern zu. „Aber haltet euch etwas im Hintergrund. Man soll euch nur ganz undeutlich sehen.“

Einer der beiden Ranger, es war Jed Bodeen, hatte zwei Flaggen in den Nationalfarben von Mexiko bei sich, die die Männer ebenfalls vorher organisiert hatten. Zu einem guten Plan gehörte auch immer eine gute Logistik. Das war einer von Burtons Grundsätzen, und die bisherige Praxis hatte ihn gelehrt, wie wichtig das war.

Morris trat nun einige Schritte nach vorn. Fisher und Bodeen bleiben bei den Büschen stehen, während Morris beide Arme ausstreckte und dann mit den beiden Flaggen versuchte, auf sich aufmerksam zu machen. Das Licht des Mondes sorgte dafür, dass man ihn vom Schiff eigentlich sehen musste.

Burton wurde ein wenig nervös, als er von seiner Deckung aus sah, wie sehr sich Morris abmühte, aber trotzdem immer noch nichts geschah. Hatten die denn gar keine Posten während der Nacht aufgestellt? Das konnte doch eigentlich gar nicht sein, denn ein Schiff wie die WATCHMAN, das solch eine wichtige Ladung transportierte, durfte man doch nicht unbewacht lassen!

„Es tut sich was, Captain!“, rief Morris auf einmal. „Die Dinge geraten in Bewegung!“

„Machen Sie weiter, Mister Morris“, forderte Burton den Ranger auf.

„Aber sicher doch, Sir“, meinte Morris und fuhr in seinen Bewegungen fort. Nur wenige Minuten später geschah dann das, worauf der Captain und seine Männer gehofft hatten, und Morris war der Erste, der es bemerkte.

„Sie lassen ein Boot zu Wasser, Captain“, berichtete Morris mit unverhohlenem Triumph in der Stimme. „Wahrscheinlich wollen sie herausfinden, was das alles zu bedeuten hat.“

„Gut so“, sagte Burton. „Machen Sie einfach weiter. Wir kümmern uns um die Leute, sobald sie mit dem Boot an Land gekommen sind.“

„Da wäre ich liebend gerne mit dabei, Sir“, sagte ­Morris mit einer Spur Enttäuschung in der Stimme.

„Sie haben hier eine ganz wichtige Aufgabe zu erfüllen“, wies ihn Burton nochmals darauf hin. „Wenn das Boot den Strand erreicht hat, kommen Sie nach. Keine Sorge, wir werden Sie brauchen bei dem, was in dieser Nacht noch geschieht.“

„Danke, Sir“, meinte Morris und fuhr mit kreisenden Armbewegungen fort, beide Flaggen zu schwingen. ­Morris hatte keinerlei Ahnung von bestimmten Flaggensignalen, aber es hatte zumindest ausgereicht, um die Männer an Bord der WATCHMAN so stark zu verunsichern, dass sie jetzt beschlossen hatten, nach dem Rechten zu sehen. Genau das hatte er sich erhofft, und nun wurde seine Vorfreude noch größer, als er sah, wie eine Gruppe von fünf Männern ins zu Wasser gelassene Boot stieg und dann in Richtung Strand ruderte.

Morris beobachtete, dass einer der Männer keine Anstalten machte, nach den Rudern zu greifen. Stattdessen rief er seinen Männern etwas zu und ­gestikulierte dabei wild mit der rechten Hand. Das musste wohl der Kapitän der WATCHMAN sein. Also hatte er sich gleich dazu entschlossen, mit an Land zu kommen, um sich höchstpersönlich davon zu überzeugen, warum der mexikanische Soldat da oben auf dem Hügel auf einmal versucht hatte, mit den Flaggen irgendwelche Signale zu übermitteln.



Kapitän Jorge Munoz blickte argwöhnisch hinauf zu der Stelle, wo der Soldat stand. Er runzelte die Stirn, weil er nicht genau erkennen konnte, was der Soldat eigentlich signalisieren wollte.

„Ausgerechnet so ein Hohlkopf kann noch nicht einmal richtige Nachrichten übermitteln“, murmelte er vor sich hin. „Dem werde ich ordentlich die Leviten lesen.“ Und zu seinen Ruderern im Boot sagte er deutlich lauter: „Beeilt euch, verdammt noch mal, ihr faulen Hunde!“

Seine Laune war alles andere als gut, weil ihn der Decksmaat zu dieser späten Stunde aus seinem Schlaf gerissen und den Vorfall gemeldet hatte. Zuerst hatte ihn Kapitän Munoz angeschnauzt, was ihm denn überhaupt einfiele, ihn zu dieser unchristlichen Stunde zu wecken. Aber als er dann den Grund erfahren hatte, zog er es vor, sich höchstpersönlich um die Sache zu kümmern und, wenn irgendwie möglich, zu einem schnellen und sicheren Abschluss zu bringen.

Kapitän Munoz war sich seiner Verantwortung durchaus bewusst, denn von dieser Aktion durfte niemand etwas erfahren. Vor allen Dingen nicht die texanischen Siedler, die im Moment jede Menge Ärger mit General de Cos und dessen Soldaten hatten und sich sogar schon einige Kämpfe mit ihnen geliefert hatten.

Wenn die wüssten, dass wir die mexikanischen Truppen mit unserer Ladung unterstützen, dann würden sie uns die Hölle heißmachen, dachte Munoz, während sich das Boot mit seinen Männern langsam dem Strand näherte. Nach wie vor war alles still. Nichts wies darauf hin, dass es irgendwelche Probleme geben würde. Und wenn doch, dann würde ihn der Soldat davon sicher in Kenntnis setzen.

Während er das dachte, schaute er hinauf zu dem Hügel, wo der mexikanische Soldat eben noch gestanden hatte. Aber Munoz konnte ihn jetzt nicht mehr erkennen. Ob das etwas zu bedeuten hatte? Dann redete er sich aber ein, dass es keinen Grund zur Besorgnis gab, und wartete auf den Moment, in dem das Boot endlich den Strand erreichte.

„Folgt mir!“, rief Munoz seinen Leuten zu. Dann sah er plötzlich zwischen den Büschen den Soldaten in der Uniform. Er winkte Munoz und seinen Leuten ebenfalls nervös zu. Dann machte er wieder kehrt, bevor ihn der Kapitän stoppen konnte.

„Was für ein Narr ist das denn?“, seufzte er und ging nun als Erster los, um den Soldaten noch einzuholen. Seine Männer folgten ihm zu den Büschen, und nur wenige Sekunden später erlebten sie eine unangenehme Überraschung. Denn aus den Büschen traten bewaffnete Männer hervor!



„Buenas Noches“, sagte Captain Burton mit einem Grinsen, das jedoch seine Augen nicht erreichte. „Nehmen Sie die Hände hoch, aber ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf!“

„Also das ist doch ...“, sagte Munoz, weil er angesichts dieser überraschenden Kehrtwende völlig überfordert war. „Was soll dieser Unsinn?“

„Dieser Unsinn ist eine Vorsichtsmaßnahme“, fiel ihm Burton ins Wort. „Sind Sie der Kapitän dieses Schiffes?“

„Si“, sagte dieser wütend. „Ich bin Kapitän Jorge Munoz. Nehmen Sie sofort die Waffen runter, sonst werde ich diesen Vorfall General de Cos persönlich melden!“

„Das sollen Sie sogar, Kapitän Munoz“, lautete Burtons Antwort. „Aber den Zeitpunkt dafür bestimmen nicht Sie, sondern ich und meine Männer. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?“ Mit seiner Pistole zielte er wie zufällig auf den Bauch des Kapitäns. „Ich möchte noch erwähnen, dass meine Leute den ausdrücklichen Befehl haben, jeden sofort niederzuschießen, der jetzt nicht gehorcht.“

Die Blicke der anderen Texas Ranger verhießen nichts Gutes. Zweifelsohne würden die Männer schießen, aber nicht um jeden Preis. Burton hoffte, dass der Kapitän und seine Männer den Ernst der Lage erkannt hatten, sodass es nicht nötig war, Gewalt anzuwenden. Offensichtlich reichte diese Drohung aus, die Männer so weit einzuschüchtern, dass sie sich widerstandslos gefangen nehmen ließen.

„Sie sind verrückt!“, konnte Kapitän Munoz dennoch seine Wut nicht unterdrücken. „Was glauben Sie, was Ihnen blüht, wenn die Soldaten Sie erwischen? Man wird keine großen Fragen stellen, sondern Sie standrechtlich erschießen, weil ...“

„Schweigen Sie!“, fiel ihm Burton ins Wort. „Wir wissen genau, was wir tun. Vorwärts jetzt!“

Da erkannte der Kapitän der WATCHMAN, dass seine Gegner fest entschlossen waren, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Er und seine Leute wurden von den Männern mit vorgehaltenen Waffen weiter hinauf in die Hügel gebracht. Wenige Minuten später gab Burton den Befehl zum Anhalten. Zwischenzeitlich waren noch weitere Männer aus ihrem Versteck gekommen. Burton musste grinsen, während er den erstaunten und zugleich fassungslosen Blick des Kapitäns registrierte, als dieser den Mann in der Soldatenuniform aus den Büschen kommen sah. Er trug zwar eine mexikanische Uniform, aber er war dennoch kein Landsmann von ihm.

„Das ist Nolan Morris“, sagte Burton. „Ich muss mich dafür entschuldigen, dass seine Flaggensignale sehr zu wünschen übrig lassen. Aber wir haben ja erreicht, was wir wollten, und Sie hierher gelockt.“

„Ich sage es noch einmal“, sagte Munoz mit gepresster Stimme. „Lassen Sie uns frei, und ich verspreche Ihnen, dass ich ein gutes Wort für Sie und Ihre Männer einlegen werde, wenn man Ihnen den Prozess macht.“

Raues Gelächter erklang in der Runde, als die Männer das vernahmen. Auch Burton war amüsiert über den fast schon verzweifelten Versuch des mexikanischen Kapitäns. Deshalb beschloss er, ihn noch weiter zu demütigen, und ergriff wieder das Wort.

„Mein Name ist Isaac Watts Burton“, nannte er nun seinen Namen. „Ich bin Captain einer Einheit von Texas Rangern. Sie wissen, was das bedeutet?“

„Rebellen seid ihr!“, keuchte Munoz. „Nichts als dreckige Rebellen. General de Cos wird euch alle jagen, und dann ...“

Burton trat urplötzlich einen Schritt nach vorn und versetzte dem Mexikaner mit der linken Hand einen Schlag ins Gesicht, der Munoz lauf aufstöhnen ließ.

„Sie haben uns gar nichts zu sagen, Kapitän Munoz!“, wies ihn Burton zurecht. „Wir sind keine Rebellen, sondern Männer, die für die Freiheit von Texas kämpfen. Ich weiß, dass Sie das vermutlich nicht verstehen, aber das spielt auch gar keine Rolle mehr. Wenn ich Sie um Ihren Hut und Mantel bitten darf, Kapitän ...?“