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Heinz-Dieter Heimann

DIE HABSBURGER

Dynastie und Kaiserreiche

C.H.Beck


Zum Buch

Die Anfänge der Habsburger-Familie reichen ein Jahrtausend zurück. Doch im 11. Jahrhundert wäre es wohl keinem Angehörigen dieses Grafengeschlechts auch in seinen kühnsten Träumen eingefallen, dass dereinst seine Nachfahren ein Weltreich beherrschen würden. Wie sich der einzigartige Aufstieg dieser Familie vollzog, deren Erfolge nicht zuletzt auf einer geschickten Haus- und Heiratspolitik gründeten, wird in dem vorliegenden Band informativ und allgemeinverständlich erzählt. Dabei werden höchst unterschiedliche Herrscherpersönlichkeiten wie Kaiser Friedrich III. und Karl V. ebenso vorgestellt wie Maria Theresia und die legendäre Sisi. Mit der Geschichte der Dynastie verbunden, werden zugleich Hauptereignisse der europäischen Geschichte während der langen Herrschaftsperiode der Habsburger wie etwa die Reformation, der Wiener Kongress und der Untergang der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie in ihren Grundzügen vermittelt.

Über den Autor

Heinz-Dieter Heimann lehrte als Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Potsdam. Seine Hauptarbeitsgebiete sind deutsche und europäische Verfassungs- und Kulturgeschichte.

Inhalt

Vorwort

Vorwort zur 5. Auflage

Vorwort zur 6. Auflage

I. Die Habsburger im Maßstab europäischer Dynastien

II. Königliche Dynastie: Aufstieg immittelalterlichen Heiligen Römischen Reich

1. Herkunft und Stammburg

2. Rudolf I.: Königsherrschaft und österreichischer Besitz

3. Erzherzogtum und Haus Österreich um 1400

III. Kaiserliche Dynastie: Hausmacht und Weltreich um 1500

1. Dynastien, Reich und Europa an der Schwelle zur Neuzeit

2. Friedrich III.: Österreich als Programm

3. Maximilian I.: Burgund, Spanien, Italien und Ungarn

4. Karl V.: Erster und letzter Weltkaiser

IV. Geteilte Großdynastie: Familienraison und Staatsmacht in der Frühen Neuzeit

1. Die Linien Österreich und Spanien im 16. und 17. Jahrhundert

2. Österreich und das Reich: Große Kriege und das Werden der Donaumonarchie

3. Habsburgischer Glanz, barockes Wien und spanisches Zeremoniell

4. Staatsheiraten und das Erbe Maria Theresias

5. Das Haus Habsburg-Lothringen zwischen Staatsreform und Ende des Alten Reiches (1803/1806)

V. Überdehnte Dynastie: Vielvölkerreich und Doppelmonarchieim 19./20. Jahrhundert

1. Erbkaisertum und Wiener Kongress

2. Franz I. und Ferdinand I.: Repräsentanten des Stillstands

3. Franz Joseph I.: Symbol der Donaumonarchie

4. Karl I.: Abdankung, Exil und Ende der Monarchie 1918/1921

Nachwort

Zeittafel

Habsburgische Herrscher und österreichisch-spanische Linien (in Auswahl)

Haus Habsburg

Haus Habsburg-Lothringen

Literatur

1. Dynastiegeschichte, übergreifend

2. Politik- und Kulturgeschichte, übergreifend

3. Haus- und epochenspezifische Literatur

Mittelalter

Frühe Neuzeit

19./20. Jahrhundert

Abbildungsnachweis

Register

Für Gabi

Vorwort

Die Habsburger – ihr Name wurde zum Programm. Er steht für Kaisertum und Altes Reich, Österreich und Donaumonarchie, Autorität und Übernationalität. Leicht verbindet man mit solchen Vorstellungen auch «sprechende» Namen der Dynastie, wie Kaiser Maximilian, «der letzte Ritter», Kaiser Karl V., «in dessen Reich die Sonne nicht unterging», oder Maria Theresia, die legendäre Landesmutter mit dem Silbertaler, und «Sisi», die uns heute mehr denn je in Filmen und Musicals begegnet. Beinahe wie selbstverständlich rufen wir so eine zweifellos außergewöhnliche Geschichte einer einzigen Dynastie auf, die vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert währte. Sie erscheint als eine fast ‹unendliche Geschichte› und eine nahezu allgegenwärtige, denn die Spuren der Dynastie gehören zur Signatur eines ganzen Kontinents, des «alten» Europa. Man begegnet ihr von Madeira bis Galizien und von Belgien bis Dalmatien.

Die Habsburger stehen in einem kaleidoskopartigen, facettenreichen Zentrum der europäischen, monarchisch geprägten Adelsgeschichte, in der sie im jahrhundertelang behaupteten Kaisertum die übrigen Königsdynastien überragten und übernational einen vielgliedrigen Länderverband zusammenführten und lenkten. Die Geschichte dieser Dynastie ist die ihrer Integrationsleistung, sei es für das Alte Reich, sei es für die Donaumonarchie; daraus erklärt sich der Untertitel dieses Buches.

Wie wurde aus der Grafenfamilie eine Königsdynastie? Welches ‹staatliche› Regelwerk verband sie und das mittelalterliche Heilige Römische Reich? Ermöglichten die sprichwörtlich bekannten glücklichen Ehen oder doch eher die Kriege und Koalitionen ihren Aufstieg zur europäischen Großmacht? Wie konnte diese Familie als Dynastie so viele Jahrhunderte überdauern? Und warum begleitet uns die Geschichte der im Ersten Weltkrieg untergegangenen Habsburger Monarchie in der Diskussion über eine angemessene politische Ordnung des modernen Europa bis heute?

Eingebettet in den politischen, verfassungs- und kulturgeschichtlichen Wandel des «alten» Europa, wurde derartigen Fragen für diese Darstellung auf der Grundlage der zeitgenössischen Forschungsliteratur nachgegangen. Im Ergebnis liegt eine kompakte und zugleich aus verschiedenen Perspektiven erarbeitete Geschichte der Habsburger über fast 800 Jahre vor. Dafür findet sich aufs Ganze gesehen hier – überspitzt gesagt – kein «royalistisches» Bild der Vergangenheit. Im Mittelpunkt der Darstellung steht die Dynastie, weil sie einerseits machtvoll die Verfassungsentwicklung des Reiches prägte, andererseits selbst als Katalysator für Staatenbildungen wirkte. Freilich veränderte sie sich auch selbst während dieses Jahrhunderte andauernden Prozesses vom Hochmittelalter bis zum Ende des Alten Reiches (1803/1806) und erst recht wiederum bis zum Untergang der Donaumonarchie 1918, als sie endgültig ihre traditionsreiche und traditionsverbundene Rolle verlor. So ist also eine kleine Familiengeschichte entstanden, die den Gang der Ereignisse mal aus der Binnenperspektive der Familie, mal von außen verfolgt; die dabei vorgenommenen Gewichtungen, Wertungen und Perspektivenwechsel sind nicht zuletzt dem vorgegebenen knappen Umfang des Büchleins geschuldet, der deutliche Akzentsetzungen auch dort verlangte, wo man gerne ausführlicher argumentiert hätte.

Der Weg der Habsburger führt aus kleinterritorialen Verhältnissen der Grafen von Habsburg am Oberrhein über das römisch-deutsche Königtum nach Österreich, nach Böhmen, Ungarn und Italien, dann nach Burgund und Spanien, von wo aus sich der gesamte Mittelmeerraum erschließt, und – zumal unter den spanischen Habsburgern – weiter in die transatlantische Welt. Die Habsburger sind mehr als nur Repräsentanten der großmächtigen österreichisch-ungarischen Donaumonarchie gewesen. Vielfältig zeigt sich diese Familie als Mittelpunkt eines Länderkonglomerats, in dem die Dynastie im Zentrum von Netzwerken verschiedener kultureller Bezüge und Einflüsse steht, insbesondere burgundischer und spanischer. In ihren Reichen überschnitten sich die Kulturkreise des Orients und des Okzidents: Vielheit in Einheit traf aufeinander ebenso wie Regionales in Übernationalem. Die Habsburger Monarchie ging mit dem Ende des Ersten Weltkrieges unter. Ihren Spuren aber begegnet man bis heute noch in vielen Teilen Europas. Geschichte und Mythos der Habsburger bleiben wohl stets Teil der Gegenwart.

Die Aktualität der dem Mittelalter und der Neuzeit angehörenden Geschichte dieser Dynastie und ihrer Reiche sowie das Vertrauen darauf, sie dem kritischen Anspruch eines weiten Lesepublikums einsichtig zu machen, bestimmten von Anfang an die Anforderungen an den Inhalt und die Art der Darstellung. Dies leisten zu können heißt zunächst, ungezählten Vorgängern, die die Geschichte der Habsburger und ihrer Reiche erarbeiteten, zu danken. Darüber hinaus bin ich Herrn Dr. Stefan von der Lahr verpflichtet. Ich danke für seine sorgfältige Durchsicht des Manuskripts, die hervorragende Zusammenarbeit zwischen Autor und Lektor, vor allem aber für seine Initiative, diesen Titel für die Reihe C.H.Beck Wissen zu schreiben.

Den Lesern danke ich für die freundliche Aufnahme und für das Interesse an diesen Kapiteln einer Geschichte Alteuropas und seiner Gegenwart. Für die zweite Auflage konnte der Text im Wesentlichen belassen werden, einzelne Fehler sind korrigiert worden. Erweitert wurden die Hinweise im Literaturverzeichnis.

Potsdam, Pfingsten 2003

Heinz-Dieter Heimann

Vorwort zur 5. Auflage

Den zahlreichen Leserinnen und Lesern dieser Geschichte der Habsburger danke ich für ihr anhaltendes Interesse, ihrem Zuspruch vor allem verdankt sich auch die nun fünfte Auflage des Titels. Nach erneuter Durchsicht der Kapitel und mit einem überarbeiteten Literaturverzeichnis, das insbesondere jüngste familien- und kulturhistorische Forschungen aufnimmt, liegt damit ein geschätztes und bewährtes sowie aktualisiertes Bändchen vor. So wird dieser Titel in Zukunft auch als E-Book einen weiteren Leserkreis ansprechen.

Dem Verlag C.H.Beck danke ich für seine neuerlich verantwortungsvolle Betreuung.

Paderborn, im Juni 2016

Heinz-Dieter Heimann

Vorwort zur 6. Auflage

Gern wiederhole ich meinen Dank an alle bisherigen Leserinnern und Leser. Mit der vorliegenden 6. Auflage wurde der Band auf die neue Rechtschreibung umgestellt, der Umschlag des Bandes modernisiert und im Literaturverzeichnis einzelne Titel aktualisiert.

Dem Verlag C.H.Beck danke ich für neuerlich angenehme Zusammenarbeit.

Paderborn, im März 2020

Heinz-Dieter Heimann

I. Die Habsburger im Maßstab europäischer Dynastien

Dynastien überall – noch heute erscheint Europa nicht zuletzt als ein Europa der Monarchien. In Großbritannien, Dänemark, Norwegen, Schweden, Belgien und in den Niederlanden, seit 1975 auch wieder in Spanien, sind die Monarchien Teil der demokratischen Verfassungsformen maßgeblicher europäischer Staaten. Königshäuser, Adelsfamilien mit königlicher Macht und monarchischer Tradition gehören seit dem Mittelalter zur Geschichte der europäischen Reiche und Staaten. Sie erweisen sich damit als verfassungshistorische Phänomene von erstaunlicher Wandlungsfähigkeit, deren Endzeit nicht absehbar ist. Die Bedeutung der Dynastien, insbesondere für die ältere europäische Geschichte, liegt damit auf der Hand; sie zeigen sich als staatsbildende Faktoren mit historisch unterschiedlichen Reichweiten.

Die Habsburger nehmen im Kreis der europäischen Dynastien einen besonderen Rang ein, auch wenn ihre Mitglieder heute keine Krone mehr tragen: 1918 verlor die habsburgische Dynastie ihre Herrschaft in Österreich-Ungarn. Nahezu gleichzeitig mit ihnen mussten die Hohenzollern und Romanows ebenfalls ihre Herrschaft aufgeben. Das Ende dreier Kaiser im Deutschen Reich, in Russland und in Österreich-Ungarn markiert in der europäischen Geschichte unverkennbar eine Zäsur. Überhaupt sah kein Jahrhundert zuvor so viele Könige stürzen wie das 20. Jahrhundert. Erst in dieser Zeit wurden im Gefolge zweier Weltkriege vielfach jene älteren Staatsformen ersetzt, die an den geburtsständischen Vorrang, das Gottesgnadentum und die absolute Monarchie gebunden waren. Kaum ein anderer Sachverhalt zeigt den Epochenbruch so deutlich. Für die Habsburger ist dieses Epochenende auf den 11. November 1918 zu datieren, als der österreichische Kaiser Karl I. auf jeden Anteil an den Regierungsgeschäften verzichtete. Der folgende Tag gilt als Gründungstag der Österreichischen Republik. Am 23. Mai 1919 verließ die ehemalige Kaiserfamilie auf Wunsch der neuen österreichischen Regierung das Land, nachdem die Nationalversammlung am 3. April im sogenannten Habsburggesetz die Aufhebung aller Herrschaftsrechte und sonstigen Vorrechte des Hauses Habsburg-Lothringen in Deutschösterreich für alle Zeiten beschlossen hatte. Als Könige von Ungarn verloren die Habsburger per Gesetz der ungarischen Nationalversammlung vom 6. November 1921 den Thron. Mit dem Untergang der ehemals großmächtigen Donaumonarchie löste sich auch die bisherige kaiserliche Familie auf. Deren eher privat- als staatsrechtliches Verhältnis zur Republik Österreich blieb noch bis ins letzte Viertel des 20. Jahrhunderts belastet.

Die Habsburger hatten über Generationen hinweg eine multinationale Herrschaft über verschiedene europäische Länder errichtet und ein Großreich geschaffen, das von der Dynastie zusammengeführt und zusammengehalten wurde. Sie regierten als Kaiser und Könige trotz vieler Krisen, innerer und äußerer Konflikte ihr Reich beinahe 700 Jahre lang; ihre Herrschaft begann im Mittelalter und endete im 20. Jahrhundert. Die dynastische Kontinuität ist der augenfälligste Ausweis ihrer Exklusivität als Adelsfamilie. Aus dieser Kontinuität folgte die dauerhafte Bindung der Familie an das König- und Kaisertum, das der Dynastie einen besonderen Rang im Kreis der europäischen Dynastien verlieh.

Die Geschichte der Königsfamilie beginnt in der Nachfolge der berühmten Staufer-Dynastie im Mittelalter. 1273 erlangte mit Rudolf I. erstmals ein Mitglied dieses Grafengeschlechts die Königskrone im Heiligen Römischen Reich. 1282 erreichten die Habsburger die Herrschaft im damaligen Herzogtum Österreich, die sie dort kontinuierlich bis 1918 ausübten. Seit 1438 bis zur Aufhebung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation 1803/1806, in der Forschung auch das Alte Reich genannt, stellte die Habsburger Dynastie fast ununterbrochen durch die Jahrhunderte den Kaiser.

Dem Kaisertum des Alten Reiches folgte das österreichische Erbkaisertum. Noch vor Niederlegung der römischen Kaiserkrone nahm Kaiser Franz II. 1804 für seine unmittelbaren Herrschaftsgebiete den Titel Kaiser von Österreich an; aus Franz II. wurde Franz I. Noch einmal konnten die Habsburger in der politischen Neuordnung Europas und der deutschen Fürstenstaaten des frühen 19. Jahrhunderts ihren Vorrang behaupten. Denn mit der Habsburger Dynastie verbanden sich die Kontinuität der traditionell aristokratischen Ordnung und das fortdauernde besondere Verhältnis zwischen Österreich und den Nachfolgestaaten des Alten Reiches im Deutschen Bund bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. In der dann begründeten Doppelmonarchie Österreich-Ungarn bildete vornehmlich die Dynastie die integrative Klammer zweier Staaten, weshalb keine andere Großmacht in Europa bis dahin so mit dem Herrscherhaus identifiziert wurde. Hier trug – so heißt es 1913 in der ÖSTERREICHISCHEN RUNDSCHAU – nicht wie anderwärts der Staat die Dynastie, sondern die Dynastie den Staat.

In der Statistik europäischer Dynastien und Monarchien behaupteten die Habsburger im Vergleich mit den Bourbonen in Frankreich oder mit den Stuarts in England am längsten die Königswürde. In der 370-jährigen, vom 15. Jahrhundert beinahe bis ins frühe 19. Jahrhundert fortwährenden Regentschaft stellten die Habsburger 21 deutsche Könige und römische Kaiser; und damit fast so viele wie alle anderen Dynastien zusammen, die im Alten Reich je die Königswürde erlangt hatten. Addiert man schließlich die Phasen der Regentschaft im Reich und in Österreich von 1282 bis 1918, so ergibt sich eine bald 700-jährige Herrschaft der habsburgischen Dynastie. Zudem unterstreichen ihre Regentschaften als böhmische (erstmals 1438), ungarische (erstmals 1526), spanische (erstmals 1516) und lombardische (erstmals 1815) Könige – neben anderen und auch gescheiterten Regentschaften ihrer Nebenlinien – die europäische Vielfältigkeit bei gleichzeitiger Einheit der Dynastie. In Begründung und Gestaltung verstanden sich die Habsburger ausdrücklich als «Haus Österreich», was in verschiedenen europäischen Sprachen Eingang fand, in Spanien etwa als «Casa de Austria». Ihre supranationale Vernetzung machte die Habsburger am Ende des Mittelalters zur europäischen «Großdynastie» (P. Moraw).

Familienname und Herrschaftsdauer verweisen auf das auffälligste Merkmal jeder Adelsherrschaft: ihre genealogische Dauer. Folglich ist auch die Gewährleistung geregelter Erbnachfolge das Hauptanliegen jeder Dynastie. Die Habsburger waren darin letztlich sehr erfolgreich. Selbst existentielle Krisen zu Beginn des 18. Jahrhunderts überstand die Dynastie. Hinzu kam, dass die Habsburger ihren eigentlich wenig prestigeträchtigen Familiennamen ablösten durch Identifizierung mit ihrer Herrschaft als Haus Österreich und unter dieser Vorgabe trotz wiederholt eingerichteter Teilungen den Vorrang des Gesamthauses respektierten.

Durchschnittlich regierte ein habsburgischer Herrscher mehr als 26 Jahre, was angesichts der demographischen Gesamtentwicklung bemerkenswert ist. Einen Spitzenplatz in dieser Statistik nimmt mit 68 Regierungsjahren der österreichische Kaiser Franz Joseph I. (1848–1916) ein. Ihm folgen Kaiser Friedrich III. (1440–1493) und schließlich Kaiser Leopold I. (1658–1705). Kurze Regentschaften sind eher selten: König Albrecht II. regierte gerade einmal zwei Jahre (1438–1439), ebenso Kaiser Leopold II. (1790–1792). Die beeindruckende Kontinuität der Familie hatte freilich auch ihre Schwächen. Gemessen an den Erbfolgeregelungen des europäischen Hochadels, starb das Haus Habsburg eigentlich in männlicher Linie mit Kaiser Karl VI. 1740 aus. Was nicht sein durfte, führte zur sogenannten Pragmatischen Sanction, einer staatsrechtlichen Bestimmung, nach der die weibliche Erbfolge die dynastische Fortdauer sichern sollte. Das Haus Habsburg-Lothringen wurde begründet. Die Pragmatische Sanction war bis ins frühe 20. Jahrhundert für die österreichischen Länder wichtigstes Grundgesetz und Teil der Staatsverfassungen.

Solcher Kontinuität der Dynastie stehen immer wieder Angriffe auf Leib und Leben ihrer Mitglieder gegenüber. König Albrecht I. wurde am 1. Mai 1308 in Königsfelden bei Bruck an der Aar von seinem Neffen wegen des vorenthaltenen Erbes ermordet. Im Zuge der Französischen Revolution wurde 1793 die französische Königin Marie-Antoinette, Tochter Kaiser Franz I. Stephans und Maria Theresias, nach einem förmlichen Verfahren zum Tode verurteilt und guillotiniert. Am 19. Juni 1867 wurde Kaiser Maximilian I. im fernen Mexiko von Revolutionstruppen hingerichtet. Der vermutlich depressive Erzherzog Rudolf schied am 30. Januar 1889 in Mayerling zusammen mit Mary Freiin von Vetserar aus dem Leben – Mord und Selbstmord. Am 10. September 1898 verübte ein italienischer Anarchist ein Attentat auf die Kaiserin Elisabeth, «Sisi», die an den Folgen der Stichwunde innerlich verblutete. Am 28. Juni 1914 schließlich wurden Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie-Josephine in Sarajewo ermordet. Dieses Attentat wurde zum Anlass für den Ersten Weltkrieg und forderte die Habsburger Monarchie um den greisen Kaiser Franz Joseph in dynastischer Hinsicht heraus. Solche Anschläge lassen die bisweilen sogar gewaltbereite Ablehnung des Kaiserhauses in seinen verschiedenen Herrschaftsgebieten erkennen – auch wenn solch blutiger Antipathie auf der anderen Seite durchaus Sympathien gegenüberstanden, die das Kaiserhaus gleichfalls erfuhr: Die Pressefotos von der Beisetzung Kaiser Franz Joseph I. am 30. November 1916 sind dafür nur ein letzter Beweis.

Will man die Statistik der Dynastien im europäischen Vergleich weiter bemühen, so stellt man fest, dass von König Rudolf I. im 13. Jahrhundert an bis zu den am Anfang des 20. Jahrhunderts geborenen Habsburgern gerechnet, ca. 400 Personen, männliche und weibliche sowie angeheiratete, das Erwachsenenalter erreichten. Weniger als 10 % von ihnen waren Könige und Kaiser, und nur wenig mehr als 10 % von ihnen regierten als Landesfürsten. Aber die Geschichte der Familie ist auch mehr als nur die Geschichte ihrer Regenten. Verschiedene Teilungen der Familie in einzelne Linien im 14., 16. und 19. Jahrhundert gehören dazu. Sekundo- und Tertiogenituren wurden eingerichtet, Herrschaften der zweiten und dritten Kinder der Familie, die zum Ende hin quasi souverän und unabhängig vom Kaiser in Wien regieren konnten. Das Gesamthaus veränderte sich zuletzt zu einem Konglomerat von in unterschiedlicher Weise miteinander verbundenen Familien, die nicht erst nach 1918 teilweise andere Wege gingen als die Familie des ehemaligen Kaisers. Im Familienstatut von 1839, das dem Kaiser traditionell die absolute Macht über alle Familienmitglieder zuwies, wurde noch einmal versucht, die inzwischen weitläufige Dynastie rechtlich zusammenzuhalten. So wurden zum Beispiel die Mitglieder der vormals selbständigen Linie Habsburg-Lothringen-Toskana nach ihrer Vertreibung aus der Toskana wieder als Erzherzöge von Österreich anerkannt und damit auch dem kaiserlichen Statut unterstellt.

Die Dynastie büßte so erkennbar von Italien über Ungarn bis Belgien als traditioneller staatsbildender Faktor im Zeichen nationalstaatlicher Bewegungen ihre bisherige Funktion und Bedeutung ein. Sie selbst blieb vom Wandel der Gesellschaft, ihrer Verbürgerlichung, nicht unberührt. Das traditionelle adelig-dynastische Leitbild verlor für ihre Mitglieder seine disziplinierende Bindewirkung. Neben dem Beschwören dynastischer Identität und scheinbar unveränderlichem Vorrang der Institution Habsburg, wie sie Kaiser Franz Joseph (1848–1916) behauptete und wie sie vielen Söhnen der Dynastie zumal über militärische Führungsfunktionen anerzogen wurde, verschärften sich in dieser Zeit interne Rivalitäten, woraufhin einzelne Mitglieder für sich ein außerdynastisches Leben suchten, das teilweise zeitgenössischen Abenteuerromanen abgeschaut sein könnte. Man findet Habsburger, die oftmals unter bewusster Ablehnung ihre adeligen Herkunft teils in bürgerlichen Handwerksberufen, teils als Künstler und Spekulanten arbeiteten, teils auch als Revoluzzer und Vagabunden auf fernen Kontinenten ihr Glück suchten. Auf Grund der in dieser Zeit hingenommenen verschiedenen Ehegemeinschaften außerhalb des traditionellen Hausrechts und des Kinderreichtums der Gesamtfamilie blieben die Habsburger auch nach dem Wegfall des Primats der kaiserlichen Familienstatuten mit dem Ende der Monarchie 1918 im weiteren 20. Jahrhundert ein politisch einflussreiches Adelsgeschlecht bzw. eine vielgliedrige bürgerliche Familie.

Gleichwohl, über die Jahrhunderte bieten die Habsburger ein Musterbeispiel einer erfolgreichen dynastischen Familienstrategie. Schaut man in die Genealogien des europäischen Hochadels vom Mittelalter bis zum Ende des Alten Reiches, so kann man – etwas übertrieben – sagen, dass Europa von einer einzigen großen Familie beherrscht wurde, die freilich in verschiedene Linien aufgeteilt war: Auf beinahe jedem europäischen Königsthron finden sich Habsburgerinnen oder Habsburger. Keine andere Dynastie in Europa hat so viele Kronen gesammelt wie dieses Geschlecht. Damit gehört ihre Allgegenwart zum bestimmenden Merkmal der Familie.

Die Omnipräsenz und Dauerhaftigkeit hatten eine weitere Besonderheit zur Folge: Dynastien bilden aus ihrer Macht und ihrer spezifischen Legitimation heraus komplexe Reiche und Staaten, so dass sich danach Epochen gliedern, Verfassungstypen und Baustile benennen lassen. Die Habsburger haben als ihr Integrationsmoment und als Ausweis ihrer Identifikation mit der Herrschaft das Haus Österreich und das Kaisertum ausgestaltet. Beides führte politisch zu einem einzigartigen Herrschaftsmythos, der wiederum ihre Kontinuität bekräftigte. Dieser Mythos lebt bis heute, und man begegnet ihm an vielen Orten Europas, und nicht nur in Wien, Prag, Madrid oder Brüssel.

Die Geschichte der Habsburger Dynastie ist nicht auf einen nationalen Rahmen allein zu begrenzen. Gerade darin unterscheidet sie sich von anderen europäischen Dynastien und Monarchien. Die scheinbar unauflösliche Verknüpfung von deutscher und österreichischer Geschichte in Gestalt zweier Kaiserreiche macht dies ebenso deutlich wie eine Herrschaft, die über Jahrhunderte vielen Völkern eine Einheit gab, die notgedrungen nicht national geprägt war. Übernationalität und Nationalitätenfeindlichkeit zeichneten zumeist ihr Regiment aus, bemessen und geprägt von dem Anspruch des Kaisertums im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Daraus und aufgrund der konsequenten Bindung an den Katholizismus entwickelten die Habsburger ihr ausgeprägtes Sendungsbewusstsein. Der Glaube an die Auserwähltheit der Dynastie, wie er in ihrer jahrhundertelangen Herrschaft sichtbar wurde, ließ dann für die Habsburger die Selbstvergewisserung ihrer Abkunft zum kulturellen, rechtlichen und politischen Gebot für sie werden und sie eine spezifische Legitimation gewinnen. Daraus wiederum resultierten ihre politischen Programme, und daraus entwickelten die Habsburger umfassende Kulturoffensiven, die in burgundischer und humanistischer, dann in barocker und absolutistischer Formensprache Macht und Mythos stützten.

Mehr noch als kaiserliche Bildprogramme oder ein sogenannter landestypischer Habitus, der freilich mancherlei aus Sentimentalität entstandene Loyalitäten hervorbrachte, nährte der Begräbnis- und Ahnenkult den Mythos. Vielleicht noch mehr als ihre Ehen und ihre imponierenden Residenzen bestimmte das Totengedächtnis ihren Mythos. Der Tod der Mächtigen wurde in einzigartiger Weise zur Sache der Dynastie. Ihre Begräbnisstätten – angefangen beim Speyrer, Prager und Wiener Dom über das Innsbrucker und Grazer Mausoleum, das Kloster San Lorenzo de Real de el Escorial bei Madrid, die Lothringer Kapelle in der Basilika von Florenz bis zum burgundischen Kloster Muri – sind dynastiebezogene religiöse Monumente herrschaftsbewusster Sepulkralkultur. Das Zentrum der Familie und Herrschaft verbindenden Memorialkultur wurde die Gruft der Wiener Kapuzinerkirche. Mit diesem Ort verbindet sich ein legendenreicher Begräbnisritus, in dem das habsburgische Gesamthaus als Monarchia Austriaca