VIIVorwort

„Patientenrechte am Ende des Lebens“ ist wahrlich kein ganz normaler Rechtsratgeber. Als durch das „Kemptener Urteil“ des Bundesgerichtshofs im September 1994 (Anhang III Nr. 4) die vom Grundgesetz vorgegebene Rechtslage zum Beenden leidensverlängernder ärztlicher Behandlung „als Recht erkannt“ wurde, begannen wir, die Durchsetzung eines Sterbens nach dem Patientenwillen als anwaltliche Mandate zu übernehmen, bis heute fast 400 Mal.

Da wir seit Jahrzehnten im Medizinrecht arbeiten, ist es für uns „das kleine Einmaleins“: Jede medizinische Behandlung, auch wenn sie das Leben verlängert, bedarf zu ihrer Rechtfertigung zweier Säulen, der Indikation und des Patientenwillens. Daraus entwickelten wir eine klare Vorgabe für das Prozedere in solchen „Sterbemandaten“, aber auch für alle Schulungen von Hausärzten, Palliativärzten, Hospiz-Mitarbeitern und für die Vorlesungen für Medizin- und Jurastudenten. Anfangs entwickelten und „pflegten“ wir ein Skriptum, aus dem dann dieses Buch entstand.

Als dieser Rechtsratgeber 2004 erstmals erschien, war er für viele eine Provokation. Jetzt werde auch das Sterben verrechtlicht, war noch der geringste Vorwurf. Hatte sich mancher Arzt doch in einem vermeintlich rechtsfreien Raum so wohl gefühlt. So mussten wir die von den Menschenrechten der Verfassung geprägte und daher längst existente Rechtslage ausführlich erklären, also das Gegenteil von Verrechtlichung. Danach folgten in immer engerer Schlagzahl höchstrichterliche Entscheidungen im Betreuungs- und Strafrecht, das Patientenverfügungsgesetz 2009 und das Patientenrechtegesetz 2013. Unsere eigenen rechtlichen Argumentationen konnten wir mehr und mehr durch die Verweise auf die Rechtsprechung und die Gesetzgebung ersetzen.

Die Grundrechte bestimmen das Medizinrecht. Dem Patienten gibt das Grundrecht der Selbstbestimmung nach Artikel 2 unserer Verfassung das Recht, jede indizierte ärztliche Behandlung zu verbieten, auch wenn sie sein Leben verlängern oder gar seine Heilung herbeiführen VIIIkann. Behandlungsverbote kann der Patient ebenso aktuell erklären wie vorsorgend in einer Patientenverfügung. Ein Arzt oder ein Pflegeheim, die gegen Indikation oder Patientenwillen eine lebensverlängernde Behandlung durchführen, begehen eine rechtswidrige Körperverletzung. Mit einer rechtswidrigen Köperverletzung macht man sich nach deutschem Recht haft- und strafbar. Denn der Staat schuldet effektiven Grundrechtsschutz durch Sanktionierung von Grundrechtsverletzungen wie rechtswidriger Leidensverlängerung. Über die Strafbarkeit ist höchstrichterlich längst entschieden (BGH 2010). Über die Haftung wird das Bundesverfassungsgericht voraussichtlich im Jahr 2021 seine Entscheidung verkünden.

Palliativmedizin kann Symptome lindern, aber es gibt zum Tode führende Erkrankungen, die mit extremen körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen einhergehen. Für einige Menschen stellt für solche Verläufe der Suizid eine beruhigende Option dar. Dass ihnen unsere Verfassung diesen Weg als Grundrecht garantiert, bestätigten 2017 das Bundesverwaltungsgericht und 2020 das Bundesverfassungsgericht. Das Recht, sein Lebensende nach eigener Vorstellung von Würde zu gestalten, garantiert die Verfassung gleichermaßen für die Patientenverfügung wie für die Selbsttötung. Dass dies „unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung“ gilt, ist für die Patientenverfügung schon seit 2009 in § 1901a Abs. 3 BGB verankert. Für den Suizid hat es nun das Bundesverfassungsgericht genauso ausgesprochen. Man muss also nicht erst krank, schwer krank oder gar lebensbedrohlich krank sein, um durch die Ablehnung ärztlicher Behandlung oder durch Suizid, ggf. mit Suizidhilfe, selbstbestimmt und nach eigener Vorstellung von Würde sein Lebensende zuzulassen bzw. herbeizuführen.

Das Bundesverfassungsgericht hat folglich am 26.2.2020 die Strafnorm des § 217 StGB, das „Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ ersatzlos für verfassungswidrig und nichtig erklärt, ein Lehrstück zum Verfassungsrecht in seinen Auswirkungen auf das Medizinrecht am Lebensende.

Das System ist nun wieder in sich geschlossen. Vier Jahre lang musste unsere 6. Auflage umfangreich auf diese verfassungswidrige Situation IXeingehen. § 217 StGB bedrohte Pflegekräfte, Hospizhelfer, Ärzte oder Anwälte, wenn sie freiverantwortliche Menschen zum Suizidwunsch ergebnisoffen beraten, Hilfe und Begleitung zusagen und dann auch leisten wollten. Das ist jetzt Vergangenheit! Mit unseren Verfassungsbeschwerden konnten wir die Interessen von Palliativmedizinern erfolgreich durchsetzen und so zugleich einen Beitrag zur Stärkung der Patientenrechte leisten! Heute können Ärzte wieder nach ihrem Gewissen entscheiden, ob sie neben allen palliativmedizinischen Angeboten auch freiverantwortliche Menschen begleiten, die selbst ihrem Leben ein vorzeitiges Ende setzen. Die wiedergewonnene Freiheit nimmt allen Berufen rund um den letzten Lebensweg und vor allen den betroffenen Patienten eine schwere Last vom Herzen!

München, im August 2020

Wolfgang Putz

Beate Steldinger

Tanja Unger

XXIAbkürzungsverzeichnis

a.a.O.

am angegebenen Ort

Abs. 

Absatz

ACP 

Advance Care Planning = Gesundheit im Voraus Planen (GVP)

ALS 

Amyotrophe Lateralsklerose

Anm. 

Anmerkung

Art. 

Artikel

BÄK 

Bundesärztekammer

Beschl. 

Beschluss

BGB 

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl. 

Bundesgesetzblatt

BGH 

Bundesgerichtshof

BGHSt 

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BGHZ 

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BVerwG 

Bundesverwaltungsgericht

BVerfG 

Bundesverfassungsgericht

CO2 

Kohlendioxyd

DÄBl. 

Deutsches Ärzteblatt

et al. 

und andere

GG 

Grundgesetz

GVP 

Gesundheit im Voraus Planen = ACP (Advance Care Planning)

Hrsg. 

Herausgeber

LG 

Landgericht

MdB 

Mitglied des Bundestags

MedR 

„MedizinRecht“ (Zeitschrift)

NJW 

Neue Juristische Wochenschrift

NStZ 

Neue Zeitschrift für Strafrecht

OLG 

Oberlandesgericht

OP 

Operation

PEG 

Perkutane endoskopische Gastrostomie

XXIIS. 

Satz

sog. 

so genannt

StGB 

Strafgesetzbuch

StPO 

Strafprozessordnung

v. 

vom

ZIS 

Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik

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literaturverzeichnis

Hinweis

Die von den Autoren herausgegebenen Formulare für Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Organspende – zusammen mit einer kurzen Anleitung zum Ausfüllen –, die mit denen des bayerischen Justizministeriums (Anhang V Nr. 1 und 7) inhaltlich weitestgehend identisch sind, können in der Kanzlei für Medizinrecht Putz-Sessel-Steldinger, München, unter der Telefonnummer 089/65 20 07 oder über E-Mail kanzlei@putz-medizinrecht.de bestellt bzw. auf www.putz-medizinrecht.de heruntergeladen werden.

11. Kapitel

Einführung

Denn der Arzt muss dafür sorgen, dass das Heilbare nicht unheilbar werde;

er muss wissen, wie man die Entwicklung zur Unheilbarkeit verhindern kann.

Im Unheilbaren aber muss er sich auskennen, damit er nicht nutzlos quäle.

So schrieb vor ca. 2400 Jahren Hippokrates, der „Urvater“ aller Ärzte.

I. Sterben einst und jetzt und in Zukunft

Aus seiner Beobachtung über das Aussehen eines sterbenden Menschen sollte der Arzt in der Antike eine Prognose über den Zustand des Patienten stellen können und sein ärztliches Verhalten danach richten. Für den antiken Arzt war es der Höhepunkt seiner Kunst und zugleich seine schwerste Aufgabe, die Unheilbarkeit zu erkennen und damit das Ende seiner Kunst und Zuständigkeit anzuerkennen. Ihm war es deshalb geboten, den Kranken am Sterbebett zu verlassen, wenn seine Kunst sich als vergebens erwies.

Der Gesichtsausdruck eines Sterbenden, den der Arzt erkennen soll, und wie ihn Hippokrates beschrieben hat, wird noch heute nach ihm „Facies hippokrata“ genannt: spitze Nase, hohle Augen, eingesunkene Schläfen, die Ohren kalt und zusammengezogen, die Ohrläppchen abstehend, die Haut im Gesicht hart, gespannt und trocken. Die Farbe des ganzen Gesichtes grünlich oder grau.

Mittelalterliche Sterbeszenen zeigen den Arzt, das Uringlas betrachtend, sich zur Tür wendend, während der Tod durch eine andere 2Tür eintritt. Am Bett des Sterbenden leisten Angehörige und Priester dem Sterbenden in seiner letzten Stunde Beistand.

Der Tod war vertraut: Man erlebte mit, wie Familienangehörige starben, wie Verbrecher oder Ketzer hingerichtet wurden, wie die Alten starben.

In den folgenden Jahrhunderten bemühte man sich, das Sterben mehr biologisch zu erforschen. So veröffentlichte im Jahr 1800 der Pariser Arzt Bichat eine biologische Sterbenslehre. Er definierte das Leben als ein Gefüge von Zellen, Gewebe und Organen, die dem Tod widerstehen. Er unterschied „animalisches“ und „organisches“ Leben: Das Gehirn – Empfindungs- und Bewegungsvermögen – war dem animalischen Leben zugeordnet, zum organischen Leben gehörten Atmung und Kreislauf.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts herrschte vor allem die Angst vor dem Scheintod, also die Angst, noch lebend begraben zu werden. In unterschiedlichen Verordnungen wurden Wiederbelebungsmaßnahmen vorgeschrieben. Durch den Reiz von Tabakrauch, durch Sauerstoffbeatmung mit Blasebalg und durch elektrische Stromstöße in die Herzgegend sollte der Patient wieder zum Leben erweckt werden. Ärzte, nicht mehr Angehörige oder Priester, mussten nun den Tod bestätigen. Anzeichen des Todes waren Herz- und Atemstillstand, Leichenstarre und Totenflecken. Um sicher zu sein, dass kein Scheintoter beerdigt wurde, wurde die Leiche drei Tage in beheizten und bewachten Leichenhäusern aufbewahrt.

An die Stelle des Problems der Scheintoten des 18. Jahrhunderts ist das des Schein-Lebenden unseres Jahrhunderts getreten (Fritz Hartmann, Grenzen ärztlichen Vermögens am Lebensende in Sterben und Tod in Europa, hrsg. von U. Becker, 1998).

1968 wurde von einem Komitee der Universität Harvard die Definition des Hirntod s erarbeitet und international vereinbart. Sie war die Reaktion auf den zunehmenden Fortschritt in der Intensivmedizin und in der Entwicklung immer neuer Reanimationstechniken, mit denen Menschen wiederbelebt werden konnten, die nicht mehr selbständig atmeten oder deren Herz nicht mehr schlug. Das Herz- und 3Kreislaufversagen hatte bis dahin als sicheres Zeichen des Todes gegolten. Mit den neuen Möglichkeiten, Schwerstkranke und Schwerstverletzte „unendlich“ lange künstlich am Leben zu erhalten, war es gelungen, den Sterbevorgang aufzuhalten, obwohl es keine Aussicht mehr auf eine Rückkehr in ein mit Bewusstsein ausgestattetes Leben ohne (intensiv)medizinische Unterstützung gab.

Seitdem wird vor allem in Europa und den USA der Tod eines Menschen mit dem Tod des gesamten Gehirns gleichgesetzt. Der Hirntod wird definiert als unumkehrbarer Ausfall seiner gesamten Funktion einschließlich des Hirnstammes, ungeachtet der künstlichen Aufrechterhaltung der Herz-Kreislauf-Funktion. Er wird diagnostiziert nach einem genau vorgegebenen Verlauf, dem sich eine mehrstündige Beobachtungszeit anschließt. Es darf keinerlei Hirnaktivität mehr feststellbar sein, auch keine hirnabhängige Körpertätigkeit wie Reflexe oder spontane Atmung.

Diese Definition des Hirntods ist in Zusammenhang mit der ersten Herztransplantation im Jahr 1967 zu sehen. Technischer Fortschritt und gesellschaftspolitische Richtlinien haben hier ineinander gegriffen (Jaqueline Häusler, Wann ist der Mensch tot? In „Last minute“/Ein Buch zu Sterben und Tod, hrsg. von Stapferhaus/Lenzburg): Der Verstorbene muss rechtlich hinreichend tot und medizinisch noch hinreichend lebendig sein, damit seine Organe oder sein Gewebe für eine Transplantation geeignet sind. Dies gewährleisten die Hirntodkriterien, die für die Transplantationsmedizin übernommen wurden.

Damit wurde der „Herztod“ der vergangenen Jahrhunderte durch den „Hirntod“ abgelöst. Diese gänzlich „auf den Kopf (ab)gestellte“ Definition des Todes spiegelt auch unser heutiges Menschenbild wider, das durch Vernunft und Bewusstsein geprägt ist.

Vor Jahrhunderten hat man sich gefragt, ob der Kopf eines durch die Guillotine hingerichteten Menschen noch wahrnehmen kann und Empfindungen hat. Heute ist es schwer begreiflich, dass ein Mensch, der den Gehirntod bereits gestorben ist, wirklich tot sein soll, obwohl sein Herz mit intensivmedizinischer Hilfe noch schlagen kann, er noch warm und durchblutet ist, ausscheidet und ungeordnete Muskelbewegungen macht.

4Und was ist mit den Schwerstkranken, den Koma patienten, deren Herz noch schlägt, deren Kreislauf und Atmung noch funktionieren, die aber ohne Bewusstsein sind, weil ihr Großhirn unwiederbringlich zerstört ist?

Wer bestimmt eigentlich den Beginn und die Umstände des Sterbens?

In Würde sterben“ hieß im Mittelalter, sich im Vertrauen auf Gott und ein Leben im Himmel gefasst in sein Schicksal zu ergeben. Über den Zeitpunkt des Todes entschied Gott, über die Umstände des Todes sollte der Mensch entscheiden. Dazu setzte der Sterbende sein Testament auf, ließ es von den umstehenden Freunden und Verwandten bestätigen. Er verfügte auch, was zu geschehen hatte, wenn er nicht mehr sprechen konnte, wenn er zu schwach für Gesten war oder wenn er das Bewusstsein verloren hatte.

Heute hat der rasante medizinisch-technische Fortschritt uns in die Lage versetzt, den Todeszeitpunkt um Jahre hinauszuschieben. Manchmal hat dies den Patienten ein längeres und ein besseres Leben beschert. Manchmal hat dies aber auch ihr Siechtum um Jahre hinausgezögert und ihr Leid nicht verringert, sondern nur verlängert. Deshalb schreiben heute Patienten ihre eigene Broschüre, in der sie nicht nur das „Wie“, sondern auch das „Wann“ ihres Sterbens festlegen.

Die Euphorie im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts über die Fähigkeit, immer mehr Krankheiten heilen zu können und immer mehr Menschen retten zu können, verstellte mehr und mehr den Blick für ein natürliches Lebensende. Die so genannte „Apparatemedizin“, die in Intensivstationen „Leben um jeden Preis verlängerte“, wurde zum Schlagwort. In den siebziger Jahren wurde erstmals diskutiert „Darf die Medizin alles, was sie kann?“ Und langsam kam die Erkenntnis, dass man auch fragen musste, ob der einzelne Patient eigentlich immer das wollte, was man ihm angedeihen ließ.

Immer wieder stellen wir Ärzten und Pflegern, aber auch beteiligten Juristen oder Betreuern und Angehörigen die Frage: Wie verläuft eigentlich ein natürlicher Sterbevorgang eines betagten Menschen? Erstaunlicherweise fehlt diese Kenntnis nicht nur den meisten 5Laien, sondern auch vielen Ärzten: Das Essen wird plötzlich nicht mehr vollständig aufgegessen oder bleibt unangetastet. Das Füttern und die Gabe von Getränken wird mühselig, der Appetit lässt nach, die Schlafphasen auch am Tage werden länger. Gerade erfahrenen Pflegekräften in Alten- und Pflegeheimen ist diese plötzliche Veränderung von alten Menschen vertraut: Der Mensch ist „des Lebens müde“. In allen Zeiten gebot der Respekt vor der Würde und der Selbstbestimmung des alten Menschen, in diesen Prozess nicht mehr gegen seinen Willen einzugreifen.

Medizinisch betrachtet kommt es infolge des Flüssigkeitsmangels zu einer verringerten Nierenfunktion oder zu einem totalen Nierenversagen und damit auch zu einer Anreicherung von harnpflichtigen Stoffen im Blut, eine zunehmende Hämokonzentration. Der Mensch kommt in ein so genanntes „terminales Nierenversagen“ und verstirbt an einer Urämie, die ihn gnädigerweise schließlich völlig bewusstlos macht.

Es gab natürlich auch in der „guten alten Zeit“ den plötzlichen Tod und die Krankheit, die zum Tode führt, es gab die Altersdemenz und Koma fälle. Doch diese Prozesse endeten stets mit einem natürlichen Versterben, wenn eine Ernährung und Versorgung mit Flüssigkeit nicht mehr möglich waren. In England gilt auch heute noch das Prinzip „spoon to the mouth“, also „Löffel zum Mund“: Der Patient lebt so lange, wie er die notwendige Nahrung und Flüssigkeit auf natürlichem Wege unter eigener Mitwirkung, also durch Essen im Wege des Fütterns oder durch Trinken unter Mithilfe des Pflegepersonals, zu sich nehmen kann. Wenn dies nicht mehr möglich ist, lässt man den natürlichen Sterbeprozess zu und weder früher noch heute käme man in England auf den Gedanken, dass hier ein Mensch grausam verhungern oder verdursten müsste.

Als Mitte der siebziger Jahre viele Menschen mehr Angst vor der qualvollen Verlängerung ihres Sterbens durch die Apparatemedizin in hoch technisierten Krankenhäusern hatten als vor dem Sterben selbst, kam die Idee der Patientenverfügung en auf. Man wollte für einen natürlichen Tod und gegen Lebensverlängerung um jeden Preis vorsorgen. Die ersten Texte waren noch unbeholfen, ungeübt, sehr allgemein und häufig sehr realitätsfremd formuliert. So verankerte 6der Kölner Amtsrichter Uhlenbrock in seiner Formulierung einer Patientenverfügung auch den völlig realitätsfernen Hinweis, dass keine „Hemikorporektomie“ (Körperenthälftung) gewünscht werde. Die Ärzte machten sich nicht zuletzt wegen solcher oder ähnlicher Formulierungen über die Texte der damals noch als „Patiententestamente“ bezeichneten Urkunden lustig. Man fühlte sich aus ärztlicher Sicht bestätigt, dass die laienhaften Verfasser (insbesondere die von den Ärzten so wenig geliebten Juristen) keine Ahnung von der medizinischen Praxis hatten. Folglich fanden die „Patiententestamente“ auch aus diesem Grund bei Ärzten geringe Akzeptanz.

In jene Zeit fiel die Gründung des ersten Hospiz es in England durch Ciceley Saunders. Später wurde eine erste ähnliche Einrichtung, eine Palliativstation an der Universitätsklinik in Köln, Vorläufer des späteren Mildred-Scheel-Hauses, gegründet. Die Bevölkerung bewegten hingegen weniger diese Einrichtungen, die ein Sterben in Würde zum Ziel hatten, sondern die negativen Eindrücke der damaligen medizinischen Entwicklung.

II. Die PEG – eine Erfindung, die die Welt veränderte

Im Jahr 1984 gab es dann in der Medizin eine Erfindung, die weitgehend unbeachtet blieb, weil sie scheinbar banal und wenig spektakulär war: die so genannte PEG, die perkutane, endoskopische Gastrostomie. Zum Zwecke der künstlichen Ernährung eines Menschen hatte man eine Magensonde entwickelt, die in einer kleinen Operation in Narkose durch die Bauchdecke eingeführt wird.

Die Bedeutung dieser Erfindung ist bis heute noch immer nicht in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen. Wann immer Medien aller Art über das Thema Sterben, Vorsorge und Sterbehilfe berichten, werden die Texte mit Bildern aus Intensivstationen unterlegt oder umrahmt. Damit werden immer noch die Ängste vor der so genannten Apparatemedizin geschürt und unterhalten. Anders als die angebliche Lebensverlängerung um jeden Preis per Apparatemedizin 7auf Intensivstationen kam die PEG schon im Jahr 2000 tatsächlich jährlich ca. 140.000-mal zur Anwendung. Sie ist zu einer Selbstverständlichkeit in der Alten- und Krankenpflege geworden. Ohne die PEG gäbe es auch kein sich über viele Jahre hinziehendes Dauerkoma.

Der längste uns bekannte Fall betrug im Jahr 2011 32 Jahre. Eine damals junge Frau erlitt eine Hirnblutung. Die Ärzte in einem Klinikum schlugen dem Ehemann vor, aufgrund der infausten (aussichtslosen) Prognose die künstliche Ernährung einzustellen und seine Frau sterben zu lassen. Der Ehemann konnte sich hierzu nicht durchringen. Die Frau war im Jahr 2011 fast 50 Jahre alt und kann im Prinzip bis zum Alterstod künstlich weiter am Leben erhalten werden.

Wenn ein im gesunden Leben stehender Mensch durch einen Unfall, eine Hirnblutung oder ähnliche Vorgänge plötzlich in einen komatösen Zustand kommt, in welchem er sich nicht selbst ernähren kann, ist die Verwendung einer PEG ohne jeden Zweifel sinnvoll. Es handelt sich um eine akute Maßnahme zu einem Zeitpunkt, in dem die künftige Entwicklung der Krankheit und die Prognose noch nicht abzusehen und einzuschätzen sind. Auch nach einer Operation im Halsbereich ist die vorübergehende Ernährung durch PEG während des Heilungsprozesses sinnvoll und notwendig. In Pflegeheimen kommen jedoch vielfach Patienten automatisch an die PEG, wenn ein langsamer Abbau ihrer Fähigkeiten in zunehmendem Maße eine eigene Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit unmöglich macht. Es ist heute in vielen Einrichtungen der Pflege üblich, Patienten, bevor sie zu stark abnehmen, austrocknen und zum „Heimskandal“ werden, in ein Krankenhaus einzuweisen, damit sie dort erst „bewässert“ und sodann mit einer PEG versehen werden. Anders werden sie oft gar nicht zurückgenommen.

Der Krankenhausarzt überprüft die Indikation für die PEG meistens nicht, denn dies sollte schon der Haus- oder Heimarzt getan haben. In vielen Fällen haben wir erlebt, dass eben gerade nicht geprüft wurde, ob die Indikation für eine weitere künstliche Lebenserhaltung, sei es durch künstliche Beatmung oder sei es durch künstliche Ernährung, gegeben ist (dazu eingehend im 2. Kapitel I). Der Hausarzt 8wiederum entscheidet oft im Sinne des Pflegeheims, weil er zumindest in Zukunft nicht zahlreiche Patienten im Heim verlieren will. Die Heime empfehlen nämlich regelmäßig die mit ihnen zusammenarbeitenden Ärzte an die Angehörigen neu aufgenommener Patienten weiter.

Die PEG tut nicht weh und stört nicht. Der Patient bemerkt sie nicht und reißt sie sich deshalb nicht heraus, wie ehedem die durch die Nase geführten Magensonden, die den Patienten in der Nase und im Nasen-Rachen-Raum Schmerzen und Entzündungen verursachten und lästig waren. Manche Patienten hatten auch mit dem Herausreißen der alten Magensonden versucht, ihren Willen zu bekunden, nicht künstlich ernährt zu werden.

Viele Ärzte und viele Pflegekräfte, Alten- und Pflegeheim e, waren deshalb von der Perfektion, mit der nun Leben beliebig lange erhalten und verlängert werden kann, unreflektiert begeistert. Ein zusätzlicher Effekt bestärkt den positiven Eindruck augenscheinlich: Gerade, wenn man die Entscheidung über den Einsatz der PEG lange hinausgeschoben hat, kommt es jetzt bei perfekter Versorgung mit allen notwendigen Stoffen wie etwa Mineralien, Vitaminen und Spurenelementen sowie mit einer garantierten, hohen Flüssigkeitszufuhr geradezu zu einem „Aufblühen“ des Patienten. Die PEG rechtfertigt sich durch ein für jedermann sichtbares, positives „Behandlungsergebnis“.

Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass es auch mit der Sondenernährung Schwierigkeiten gibt: Ärzte, die keine ausreichende Kenntnis über die richtige individuelle Zusammensetzung der Sondennahrung haben, Patienten, die mit Allergien und Durchfällen auf die Inhaltsstoffe reagieren, und Heime, die deshalb extra professionelle Ernährung sspezialisten einstellen müssen. Es gibt gut geführte Heime, die darüber mittlerweile Studien erstellen lassen.

Andererseits darf aber auch nicht übersehen werden, dass mitunter zu Unrecht auf die Versorgung mit einer PEG verzichtet wird, obwohl diese medizinisch und nach dem Interesse und dem (ggf. mutmaßlichen) Willen des Patienten geboten wäre, um einen letzten Lebensabschnitt noch lebenswert zu gestalten. Hintergrund 9solcher unvertretbaren Unterlassungen ist die irrige Ansicht, eine einmal begonnene Versorgung mittels der PEG sei unumkehrbar. Diese Meinung wird von vielen Ärzten nicht nur gegenüber den Angehörigen, sondern auch gegenüber dem Pflegepersonal vertreten, wenn sie nicht ohnehin schon vom Pflegepersonal „verinnerlicht“ wurde. Das Vorenthalten einer notwendigen Sondenernährung für einen Patienten, der dies noch wünscht, davon einen medizinischen Nutzen hätte und dies als eine Wohltat empfinden würde, ist Folge der allgemeinen Unwissenheit und Unsicherheit im Umgang mit der PEG.

Umgekehrt beginnt für viele Menschen das „ewige Leben an der Sonde“, während ihre Krankheit, Behinderung, ihre Demenz oder ihr sonstiger körperlicher Verfall kaum beeinflussbar fortschreiten. Der natürliche Sterbevorgang, ein synchrones Verlöschen von Körper, Geist und Seele, wird damit verhindert!

In den letzten Jahren erleben wir aber auch eine gegenteilige Entwicklung. Immer mehr werden sich Ärzte und Pflegeheime bewusst, dass auch der Beginn oder die längerfristige Fortsetzung einer künstlichen Ernährung einer sorgfältigen Indikationsstellung bedarf. Ebenso wird frühzeitig bei solchen Verläufen nach dem Patientenwillen geforscht. Immer mehr Heime weisen uns darauf hin, dass bei ihnen nur noch wenige Bewohner mit PEG-Sonden versorgt sind. Dies beruhe auf dem Bewusstseinswandel der im Hause tätigen Ärzte und der Pflege in den letzten zehn Jahren.

III. Wirtschaftliche Interessen rund um den Tod

1. Kranken- und Pflegeversicherung

Neben der Erfindung der PEG hat die Einführung der Pflegeversicherung zu einer veränderten Situation bei Krankheit, Alter und Pflegebedürftigkeit geführt: Früher gab es für alle im Zusammenhang mit einer Krankheit anfallenden Kosten die privaten oder gesetzlichen Krankenversicherungen. Diese übernahmen auch die Pflegekosten, solange der Patient in einem Krankenhaus lag. Die Liegezeiten im Krankenhaus waren noch nicht so eng bemessen, 10wie dies heute der Fall ist. Pflegekosten belasteten damals die Patienten oder die Angehörigen also erst ab dem Zeitpunkt der Entlassung nach Hause oder in ein Pflegeheim. Heute erhält der Patient nur die Leistungen der Akutmedizin oder der Rehabilitation unter streng vorgegebenen Verweildauern von der gesetzlichen oder privaten Krankenkasse. Sobald Pflegebedürftigkeit eintritt, wird in ein Pflegeheim verlegt.

Selbst relativ absehbare Sterbeprozesse werden nach den teils gesetzlichen, teils wirtschaftlichen Vorgaben der Verwaltungen der Krankenhäuser alsbald in die eigene häusliche Umgebung oder in ein Pflegeheim entlassen oder überwiesen (vgl. Fall 1).

Es dürfen auch weitere möglicherweise widerstreitende finanzielle Interessen beim Tod eines Menschen nicht unbeachtet bleiben:

2. Interessen von Angehörigen

Zum einen könnten Angehörige als potentielle Erben ein finanzielles Interesse am Tod des Patienten haben. Häufig handelt es sich dabei um die Kinder, die als Bevollmächtigte oder vom Betreuungsgericht bestellte rechtliche Betreuer auch den mutmaßlichen Willen des Patienten in die Entscheidungen der Ärzte einzubringen haben. Sie stellen also häufig auch die Weichen für Leben oder Tod und damit für einen früher oder später eintretenden Erbfall. Die zeitliche Vorverlegung des Todes bei einem durch die PEG ernährten potentiellen Erblasser kann viele Jahre betragen. Bei der Prüfung des mutmaßlichen Willens ist stets auch nach den finanziellen Hintergründen zu fragen. Besteht ein Interesse an der „Vorverlegung“ des Erbfalles? Würde die Lebensverlängerung das Erbe aufbrauchen? Selbstverständlich ist das finanzielle Interesse der Erben auch ein Gesichtspunkt, der bei der Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens zu berücksichtigen ist. Wenn aber ein Angehöriger ein beträchtliches Erbe nach dem Tod des Patienten antreten würde, so kann dies allein niemals ein Grund sein, den umfassend dargelegten und unter Beweis gestellten, vorausgeäußerten oder aktuellen mutmaßlichen Willen nicht zu befolgen.

113. Interessen der Ärzte, Heime, Pflegekräfte

Auf der anderen Seite stehen die finanziellen Interessen von Ärzten, Pflegeeinrichtungen, Apotheken, Herstellern von Medizintechnik, Sondennahrung und Pflegeheimausstattung sowie von berufsmäßigen Betreuern und Verfahrenspfleger n. Man kann beispielhaft folgende Rechnung aufmachen:

Ein komatöser Patient in einem durchschnittlichen Pflegeheim gehört ohne Zweifel zu den weniger pflege- und damit weniger kostenintensiven Heimbewohnern, nicht selten bei höchster Pflegestufe. Er muss nicht „gefüttert“ werden und benötigt weder eine Bibliothek, ein Restaurant, einen Gymnastikraum noch sonstige Gemeinschaftseinrichtungen. Er macht keinen Gebrauch von den zahlreichen kostenfreien und damit im Monatspreis enthaltenen gesellschaftlichen Angeboten zur Unterhaltung der Heimbewohner. Er verlässt sein Zimmer nicht oder jedenfalls nicht in solcher Weise, dass dies kalkulatorisch nennenswerte Kosten erzeugt (Reinigung, Beschädigungen usw.).

Ein Pflegeplatz kann mit ca. 4.500 Euro und mehr im Monat angesetzt werden. Zu diesen Heimkosten kommen zusätzlich die Kosten der Sondennahrung sowie die Arzt- und Arzneimittelkosten.

So kommt man leicht auf einen Betrag von ca. 10.000 Euro und mehr pro Patient pro Monat. Hinzu kommen die Kosten der vom Gericht bestellten Betreuer. In der Praxis wird immer wieder berichtet, dass Betreuer, die diese Aufgabe für viele Patienten gleichzeitig und berufsmäßig übernommen haben, praktisch ausnahmslos ablehnen, ihren Betreuten durch Einstellung der Nahrung sterben zu lassen. Viele Betreuer werden so lange aus dem Vermögen des Betreuten bezahlt, bis es unter anderem auch aus diesem Grund verbraucht ist, und der Patient im Koma auch noch zum Sozialhilfeempfänger wird.

Die Weigerung eines Pflegeheims, einen Menschen sterben zu lassen, wird oft mit einer „ethischen Grundorientierung“ begründet, ist aber manchmal nur vorgeschoben, und in Wahrheit liegen finanzielle Motive zugrunde: Pflegeheime, die zu einem guten Teil ihre Belegung der PEG verdanken, verdienen gut an Komakranken.

12IV. Vier Fälle aus der Praxis

Zur Veranschaulichung der gesamten Thematik stellen wir nun vier „ganz normale“ Fälle aus der Praxis vor, um die typischen Sterbesituationen, in denen es zu rechtlichen Auseinandersetzungen über das Procedere kommt, besser verständlich zu machen:

FALL 1: Arno P. ist im hohen Alter „plötzlich“ krebskrank geworden. Von den Beeinträchtigungen der ersten schweren Operation erholt er sich nicht mehr gut. Es folgen mehrere Zyklen Chemotherapie. Erst nach der letzten Anwendung wird den Söhnen auf dem Flur des Krankenhauses eröffnet, dem Vater sei nun nicht mehr zu helfen. Er müsse das Krankenhaus so bald wie möglich verlassen. Nachdem er austherapiert sei und seine weitere Behandlung auch keine stationäre Versorgung in einem Krankenhaus nötig mache, solle die Familie sich nun schnell nach einem Pflegeplatz umsehen oder den Patienten nach Hause nehmen. Die Söhne leben mit ihren Familien in verschiedenen Orten. Keine Familie hat die Möglichkeit, den Vater bzw. Großvater nach Hause zu nehmen. Kein Pflegeheim übernimmt innerhalb von einer Woche den Patienten. Man erfährt schließlich, dass die Gemeinden Einrichtungen der so genannten „Interimspflege “ vorhalten, wo (z.T. in alten baulichen Einrichtungen, die man auf Dauer niemandem mehr zumuten will) vorübergehend in Zimmern mit vielen Betten eine Art „Zwischenlagerung“ der alten Menschen stattfindet, bis ein Pflegeplatz gefunden ist. Es gibt mittlerweile auch Pflegeheime, die sich selbst als eine Einrichtung der Interimspflege verstehen und auch für diesen Zeitraum den Patienten eine behagliche Umgebung bieten wollen. Im Fall von Arno P. bittet die Familie das Krankenhaus, noch etwas Zeit zu gewähren, bis ein menschenwürdiger Platz zum Sterben gefunden sei. Diese Bitte ist nicht ohne Weiteres zu erfüllen, weil die Krankenhäuser von der Krankenversicherung bezahlt werden und keine ausschließlich pflegerischen Leistungen erbringen dürfen, da diese von der Pflegeversicherung bezahlt und von einer Pflegeeinrichtung erbracht werden müssen. In diesem Fall gewährt das Krankenhaus kulanterweise noch ein paar Tage Aufschub. Arno P. verstirbt in der Klinik zwei Tage, bevor er in ein Interims-Pflegeheim verlegt worden wäre.

13FALL 2: Hanna S. (78) liegt nach einer Notoperation bei fortgeschrittenem Darmkrebs im Krankenhaus. Sie ist bei vollem Bewusstsein. Im Hinblick auf ihre Krebserkrankung hat sie bereits eine Patientenverfügung gemacht und eine Vorsorgevollmacht an ihre Familienmitglieder erteilt. Sie verweigert gegenüber den Ärzten weitere operative Eingriffe, welche die Ärzte für unerlässlich halten. Ihr Bewusstseinszustand ist wechselhaft. In Phasen der vollen Orientierung äußert sie ausdrücklich auf entsprechende Anfrage gegenüber den Angehörigen und gegenüber den Ärzten erneut das absolute Verbot einer weiteren Operation oder einer weiteren Chemotherapie. Die Ärzte halten den Willen der Patientin für unbeachtlich, weil diese noch nicht in der Sterbephase sei. Sie bezeichnen es als unverantwortlich, mögliche Lebensverlängerung zu unterlassen. Weil eine Einigung mit den bevollmächtigten Angehörigen als den rechtlichen Vertreter n der Patientin über die weitere Behandlung nicht erzielt werden kann, wird die Patientin unter schriftlichem und mündlichem Protest der behandelnden Ärzte auf die Palliativstation eines anderen Krankenhauses verlegt, wo sie ihrem Willen entsprechend behandelt wird und später in Frieden sterben kann.

FALL 3: Frau Edith P. (88) leidet seit 20 Jahren an der Parkinson-Krankheit (Schüttellähmung) und der Alzheimerkrankheit. Mittlerweile ist sie immer häufiger in bewusstlosem Zustand und wird sich deswegen künftig nicht mehr selbst ernähren können. Sie hat spastische Kontrakturen (krampfartige Muskelzusammenziehungen) der Arme, Hände und Beine. Wegen zunehmender Verschlechterung wird sie in eine neurologische Klinik verlegt. Diese hält grundsätzlich die Ernährung über eine PEG für zwingend notwendig. Eine Ernährung durch Füttern ist ohne jeden Zweifel langfristig nicht mehr ausreichend und möglich. Die neurologische Klinik will die PEG legen lassen und die diversen körperlichen Gebrechen der Patientin, zu denen nun unter anderem auch noch ein chronischer Harnwegsinfekt und ein ständig drohendes Nierenversagen kommen, nur noch „reduziert“ bekämpfen. Der Sohn und Betreuer, ebenso die anderen Angehörigen, wollen dies verhindern. Sie wollen eine Rückverlegung in das Pflegeheim erreichen, wo die Mutter weiterhin nur über den Mund versorgt werden soll, womit ihr Tod in absehbarer Zeit eintreten würde.

Der mutmaßliche Wille von Frau P. wird sorgfältig ermittelt. Schon vor Jahren hatte sie einen Suizidversuch unternommen, der wesentlich 14durch die als entsetzlich empfundene Beeinträchtigung der Krankheit und durch die Aussichtslosigkeit auf eine Besserung, mit absehbarem Übergang in ein Siechtum motiviert war. Ferner hat die Patientin in gesunden Tagen sehr genau geäußert, dass sie in derartigen Situationen, wie sie sie nun erleben muss, nicht künstlich am Leben erhalten werden möchte. Ihrem vorausgeäußerten Willen entsprechend dürfte die neurologische Klinik keine PEG legen, sondern müsste der Patientin das Sterben ermöglichen. Die Klinik verweigert diesen Wunsch und besteht auf einer PEG.

Deshalb wird mit dem Pflegeheim in einer ausführlichen Besprechung, an der der behandelnde Arzt, der Verwaltungsleiter, die beteiligten Pflegekräfte und wir als Rechtsanwälte der Patientin teilnehmen, das weitere Procedere festgelegt. Die Patientin soll zurück in das Pflegeheim verlegt werden und die in der neurologischen Klinik gelegte Nasensonde soll entfernt werden. Die weitere Versorgung soll so lange wie möglich durch Füttern geschehen. Wenn nicht genügend Flüssigkeit zugeführt werden kann und wenn die Patientin darunter leiden würde, soll eine Kochsalzlösung gegeben werden. Es besteht Einigkeit, dass selbstverständlich die Pflege weiterhin optimal durchgeführt wird, um sämtliche Missempfindungen, insbesondere Aufliegegeschwüre (Dekubitus) zu verhindern. Wenn das Füttern nicht mehr möglich sei, sei auch der Zeitpunkt gekommen, die Patientin sterben zu lassen. Eine entsprechende Erklärung wird durch den Betreuer und die restlichen Familienangehörigen verfasst: Diese Erklärung enthält ausdrücklich die Feststellung des (mutmaßlichen) Willens anhand von eindeutigen Bekundungen der Patientin aus ihren gesunden Tagen, ferner die definitive Absage an jede Magensonde, an Wiederbelebungsmaßnahmen oder etwa an die Behandlung einer Lungenentzündung. Die Erklärung wird im Zimmer der Patientin so bereitgehalten, dass sie vom Pflegepersonal einem gegebenenfalls eintretenden Notarzt vorgelegt werden kann. Es wird vereinbart, Durstgefühl, Schmerzen und Angst mit Medikamenten und durch Mundpflege zu bekämpfen. Mit einer Spritze ohne Kanüle wird immer wieder Flüssigkeit bzw. ein Wasser-Bananen-Gemisch in den Mund eingebracht.

Die Patientin macht vor allem anfangs einen angespannten unruhigen Eindruck, scheint im Traum zu weinen und zu flehen. Die Parkinson-Anfälle sind so stark, dass das gesamte Bett wackelt. Der Arzt erhöht die Dosis eines angsthemmenden Mittels, woraufhin sich eine Besserung einstellt. Die Patientin scheint eindeutig ihre Umwelt wahrzunehmen, auf Ansprache Reflexe zu zeigen, kann aber in keiner Weise auch nur 15ansatzweise bewusste Äußerungen von sich geben oder in sonstiger Weise signalisieren, was sie möchte. Die Flüssigkeitszufuhr wird zunehmend reduziert. Vorübergehend kommt es zu einer gewissen Besserung. Die Patientin nimmt sogar wieder Brei vom Löffel zu sich. Die Flüssigkeit wird sogar wieder erhöht. Nach insgesamt zwei Monaten kann die Patientin in Frieden einschlafen.