Hans-Ulrich Thamer
DIE NSDAP
Von der Gründung bis zum Ende
des Dritten Reiches
C.H.Beck
Am 24. Februar 1920 erfolgte die Gründung der NSDAP. Dreizehn Jahre später, am 31. Januar 1933, notierte Joseph Goebbels am Tag nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler in sein Tagebuch: «Es ist soweit. Wir sitzen in der Wilhelmstraße. Hitler ist Reichskanzler. Wie im Märchen.» Dieses «Märchen» endete am 8. Mai 1945 mit dem Grauen von Abermillionen Toten, einem verwüsteten Europa und einem geteilten Deutschland. All das wird heute als ein «Vogelschiss» in der deutschen Geschichte abgetan. Da der Schoß noch fruchtbar scheint, aus dem die mörderische Geisteshaltung gekrochen kam, und in einer Zeit, in der das Unsägliche hierzulande wieder sagbar wird, ist es notwendig, den Werdegang und das Funktionieren der NSDAP von den Anfängen im Bierdunst Münchner Wirtshaus-Hinterzimmer bis zum blutigen Ende des «Dritten Reiches» wieder in Erinnerung zu rufen. Mobilisierungs- und Machtmechanismen, Indoktrination und Hass, Aggressivität und Kriegstreiberei, Verantwortungsträger in der NSDAP und jene, die einfach mitgemacht haben, werden in dieser konzisen und hochinformativen Darstellung von einem international renommierten Fachmann für die Geschichte des Nationalsozialismus beschrieben und analysiert.
Hans-Ulrich Thamer lehrte bis zu seiner Emeritierung als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Im Verlag C.H.Beck sind von ihm ferner lieferbar: Adolf Hitler. Biographie eines Diktators (2018); Die Völkerschlacht bei Leipzig. Europas Kampf gegen Napoleon (22013); Die Französische Revolution (52019).
1. Vom völkischen Debattierzirkel zur Führerpartei,
1919–1923
Gründungsgeschichten
Die Ausbreitung einer völkischen Bewegung
«Diktatorische Machtbefugnisse»
«Sturmabteilung» und Förderer
Putschismus
2. Führerbewegung im Wartestand, 1925–1930
Wiedergründung und neue Rivalitäten
Neue Wahlstrategie und neue Mitglieder
Die Organisation einer Glaubens- und Kampfbewegung
Die Inszenierung des Charismas
Die Finanzierung der Propaganda
3. «Hitler über Deutschland»
Machtanspruch und Machtkämpfe 1930–1933
«Erbitterungswahlen» 1930–1932
Politische Gewalt und Varianten der Machteroberung
Unruhe in der Partei und die Macht der Intrige
4. Die Eroberung der Macht
Die NSDAP 1933/34
«Parteirevolution von unten»
«Nationaler Aufbruch» und Gleichschaltungen
«Märzgefallene»
Das dynamische «Fundament der Diktatur»
Antisemitische Gewalt und vorläufige Ende der Revolution
5. Die Formierung der «Volksgemeinschaft»
«Daß ihr mich gefunden habt».
Die Parteitage – Aufmarsch und Radikalisierung
Wachstum und Wandel der Parteiorganisationen
Die «kleinen Hitlers».
Gauleiter, Ortsgruppenleiter und Blockwarte
Ordensburgen.
Die Indoktrination der neuen «Herrenmenschen»
Kontrolle und Verfolgung.
Die NSDAP und die Judenverfolgung
6. Krieg und Nationalsozialismus
Mobilmachung
«Menschenführung» und neue Aufgaben
Die «Volksgemeinschaft» als Kampfgemeinschaft
Volkssturm
7. Nachgeschichte
Entnazifizierung
«Kollektives Beschweigen» und öffentliches Reden
Ausgewählte Literatur
Register
Für Piet
Aus: München und der Nationalsozialismus. Katalog des NS-Dokumentationszentrums München, hrsg. von Winfried Nerdinger, München 22.015, S. 94.
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) |
5.310.000 |
Gliederungen |
|
Sturmabteilung (SA) |
1.329.448 |
Schutzstaffel (SS) |
235.526 |
Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps (NSKK) |
350.000 |
Hitler-Jugend (HJ) und Bund Deutscher Mädel (BDM) |
8.700.000 |
Nationalsozialistische Frauenschaft (NSF) |
1.400.000 |
Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund (NSDStB) |
27.700 |
Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund (NSDozB) |
15.000 |
Angeschlossene Verbände |
|
Deutsche Arbeiterfront (DAF) |
22.127.793 |
Nationalsozialistischer Deutscher Ärztebund (NSDÄB) |
30.000 |
Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund (NSRB) |
104.171 |
Nationalsozialistischer Lehrerbund (NSLB) |
300.000 |
Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) |
14.187.834 |
Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung (NSKOV) |
1.600.000 |
Reichsbund der Deutschen Beamten (RDB) |
1.700.000 |
Nationalsozialistischer Bund Deutscher Technik (NSBDT) |
140.000 |
Betreute Verbände |
|
Deutsches Frauenwerk (DFW) |
4.000.000 |
Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) |
3.613.000 |
Nationalsozialistischer Fliegerkorps (NSFK) |
230.000 |
Nationalsozialistischer Altherrenbund (NSAhb) |
75.000 |
Nationalsozialistischer Reichskolonialbund (RKolB) |
1.200.000 |
Nationalsozialistischer Reichskriegerbund (RKrB) |
2.307.250 |
Nationalsozialistischer Reichstreubund ehemaliger Berufssoldaten (RTrB) |
130.000 |
Quelle: Armin Nolzen, Die NSDAP, der Krieg und die deutsche Gesellschaft, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Bd. 9/I: Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Jörg Echternkamp, München: Deutsche Verlagsanstalt 2004, S. 99–193, S. 103
Es war eine merkwürdige Geburtsstunde einer politischen Bewegung, zu der die «Deutsche Arbeiterpartei» (DAP) zum 24. Februar 1920 eingeladen hatte. Der Propagandaredner der völkischen Splitterpartei, der Gefreite Adolf Hitler, verlas ein 25-Punkte-Programm einer Partei in Gründung, der «Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei» (NSDAP). Auf der Einladung zu der «Gründungsversammlung» tauchte weder der Name Hitlers auf, noch war von der Gründung der NSDAP die Rede, vermutlich weil die Umbenennung der Partei intern umstritten war. Hitler war zwar seit seinem Eintritt in die DAP Ende September 1919 rasch zu einem Starredner und Zugpferd der völkischen Splitterpartei aufgestiegen, aber der Vorstand der DAP hielt die Fäden noch in der Hand.
Hitler hatte lediglich den Vorsitz der mit rund 2000 Teilnehmern gut besuchten Versammlung übernommen; er hielt sich zunächst zurück und überließ dem Hauptredner, dem Mediziner Johannes Dingfelder, das Wort. Dann erst verlas Hitler das von Gottfried Feder und Anton Drexler erarbeitete, von ihm und von Drexler redigierte 25-Punkte-Parteiprogramm der NSDAP. Es gab einigen Beifall, aber auch laute Buhrufe und schließlich heftige Tumulte. Ein Jahr später machte Hitler die Erinnerung an diese Versammlung zum Gründungsereignis, um es danach jedes Jahr als feste Größe im Festkalender der NSDAP feierlich zu begehen.
Hitlers Erzählung von der Parteigründung, fünf Jahre danach in seiner Rechtfertigungs- und Bekenntnisschrift Mein Kampf veröffentlicht, bauschte seinen Auftritt zu einem Erweckungsvorgang einer völkischen «Freiheitsbewegung» auf. Er stellte diesen Abschnitt an das Ende des ersten Bandes seiner Schrift, auch um dem eigenen politischen Formierungsprozess eine Sinnerfüllung zu geben und sich als massenwirksamen Redner zu feiern. Nichts davon entsprach dem tatsächlichen Verlauf des Abends, so wie ihn die Münchner Zeitungen und auch ein Polizeibericht übereinstimmend wiedergaben. Hitlers angeblich so zielstrebiger Weg in die Politik, der am 24. Februar 1920 eine erste wichtige Stufe erreicht haben soll, war eine Erfindung, um seine politische Biographie zurechtzurücken und den eigenen Führungsanspruch zu begründen. Der «Führermythos», der bald darauf von seiner Münchner Clique wirkungsvoll propagiert wurde, wurde mit der Gründungslegende einer Führerpartei verknüpft, die sich inmitten der völkischen Bewegungen der frühen Zwanzigerjahre erst noch durchsetzen musste. Noch Wochen später tauchte in Aufrufen, Zeitungen und Flugblättern der alte Parteiname DAP auf. Selbst Hitler benutzte den neuen Namen nur zögerlich, vermutlich zum ersten Mal bei einer Rede in Rosenheim am 2. Mai 1920. Ein Jahr später war das anders. Selbststilisierungen und politische Inszenierungen gehörten zum Repertoire des politischen Newcomers Adolf Hitler, der seine mangelnde politische Erfahrung durch seine performativen Fähigkeiten, die er sich als Opernfreund und verhinderter Künstler angeeignet hatte, wettzumachen versuchte. Weder der Eintritt Hitlers in die DAP im September 1919 noch die Parteigründung der NSDAP am 24. Februar 1920 bedeuteten den alles auslösenden Startschuss, mit dem aus dem Debattierzirkel eine schlagkräftige Führerpartei wurde. Neben der auffälligen Aggressivität seiner Auftritte waren es günstige Umstände und hilfreiche Förderer, die der Splitterpartei zum Durchbruch verhalfen.
Hitlers Kontakte zur DAP und sein Weg in die Politik waren zögerlich und tastend verlaufen. Denn er hatte die ersten dreißig Jahre seines Lebens am Rande der Gesellschaft gelebt, und er fand erst in die Politik, nachdem Krieg und Revolution die alte Ordnung durcheinandergewirbelt hatten und dem Niemand eine Chance zu bieten schienen, in der Politik eine soziale Existenz zu finden. Selten zuvor war ein Politiker so wenig auf seine politische Laufbahn vorbereitet. Er besaß keinen Schulabschluss, hatte sich nie ernsthaft um eine Berufsausbildung gekümmert und auch den politischen Dingen keine sonderliche Aufmerksamkeit gewidmet. Seine schrittweise Politisierung begann erst nach dem Krieg und der Revolution 1918/19 mit seiner Verwendung als Redner in der Propagandaabteilung des Heeres. In seiner Rechtfertigungsschrift Mein Kampf wurde daraus ein konsequenter Weg einer eindeutigen Bewusstseinsbildung. Doch bereits sein angeblicher Entschluss: «Ich aber beschloss Politiker zu werden» fiel nicht, wie er behauptete, während des unmittelbaren Erlebnisses des militärischen Zusammenbruchs und der deutschen Revolution im November 1918 im Lazarett von Pasewalk, sondern, wenn überhaupt, in München im Herbst 1919. Sein «Beschluss» war nicht Ergebnis einer wohlerwogenen Entscheidung, sondern von Zufällen und von der Überlegung bestimmt, das fortzusetzen, was er konnte und was ihm endlich Anerkennung gebracht hatte: Reden und Agitieren.
Auch sein Besuch bei der Versammlung der DAP am 12. September 1919 war Teil eines militärischen Auftrags und nicht Folge eines eigenen Entschlusses. Hauptmann Karl Mayr, Chef seiner Propagandaabteilung und sein erster Förderer, wollte die kleine Partei unterstützen, zu der er bereits politische Kontakte hatte. Zusammen mit Hitler tauchten dort noch sieben weitere Kameraden auf, die alle zum Aufklärungskommando gehörten. Auch den Verlauf der Versammlung beschrieb Hitler nicht korrekt. Es gab keinen Zusammenstoß mit einem «Professor», der sich für eine Lostrennung Bayerns vom Reich ausgesprochen und den er daraufhin als Beweis für seine rhetorische Begabung niedergeschrien hatte. Sein politischer Weg begann nicht mit einem großen rhetorischen Auftritt. Diese Gründungslegende, mit der für viele Jahrzehnte fast jede Geschichte der NSDAP begann, beruht zu nicht geringen Teilen auf einer Erfindung Adolf Hitlers. Immerhin hatte der stellvertretende DAP-Vorsitzende Drexler den Gefreiten Adolf Hitler zur nächsten Versammlung seiner Partei eingeladen und ihm dabei seine Broschüre mit dem bezeichnenden Titel «Mein politisches Erwachen» in die Hand gedrückt.
Seine erste Rede für die DAP hatte er am 16. Oktober 1919 im Hofbräukeller gehalten, dem bekanntesten Bierkeller der Stadt. Sie war ein Erfolg. Von nun an trat der kommende Werbeobmann der DAP, der noch Angehöriger des Heeres war, regelmäßig als Redner auf und fand immer mehr Zuhörer. Im Januar 1920 hatte die DAP rund 200 Mitglieder, Männer und Frauen, sie wuchs im Laufe des Jahres 1920 auf rund 2000 Mitglieder. Der «Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund», ohne dessen Starthilfe Hitler und die DAP sich wohl kaum so rasch hätten entfalten können, hatte im Januar 1920 immerhin schon 7000 Zuhörer angelockt.
Die kleine DAP, mit der Hitler am 12. September 1919 in Berührung kam, war längst nicht mehr der hoffnungslose Hinterzimmerverein, als den Hitler sie beschrieb. Sie war nicht mehr eine Mischung aus Geheimbund und Stammtisch, sondern bereits in das völkische Netzwerk in München eingebunden. Den Anstoß zur Gründung der DAP hatte der Werkzeugschlosser Anton Drexler gegeben, der seit dem Frühjahr 1918 beharrlich das Ziel verfolgte, eine Partei zu gründen, die im Gegensatz zur internationalistischen sozialistischen Arbeiterbewegung eine nationale, antimarxistische und antisemitische Alternative bilden und die sozialen Gegensätze zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft überwinden sollte. Drexler hatte in Verbindung mit dem Sportjournalisten Karl Harrer nach dem Vorbild der radikalnationalistischen Thule-Gesellschaft, der beide angehörten, zunächst einen politischen Arbeiterzirkel geplant und dann eine politische Partei gegründet, die «politisch Obdachlose» unter Beamten, Kleinbürgern und Arbeitern vereinen sollte. Die Deutsche Arbeiterpartei wurde von der Thule-Gesellschaft weitgehend finanziert und auch organisatorisch gefördert. Während deren Sitzungen im vornehmen Hotel «Vier Jahreszeiten» stattfanden, hielt die DAP ihre Treffen zunächst in Hinterzimmern von Münchner Gaststätten ab. Ihre Mitglieder kamen aus dem Bürgertum und der Arbeiterschaft. Sie war eine von vielen völkischen Gruppen, die sich nach der Münchner Räterevolution gebildet hatten und den ubiquitären Ideologien des Antimarxismus und radikalen Nationalismus verpflichtet waren. Vor allem in der scharfen Agitation gegen den Versailler Friedensvertrag taten sich die völkisch-nationalistischen Gruppen hervor.
Auch die Erzählung von Hitlers Anfängen als angeblich «siebtes Mitglied» der DAP, die seit dem Erscheinen von Mein Kampf zur wirkungsvollen Parteilegende der NSDAP gehören sollte, ist von der neueren historischen Forschung widerlegt bzw. zurechtgerückt worden. Mit dem Einverständnis von Hauptmann Mayr war Hitler Anfang Oktober endgültig in die DAP eingetreten; mit ihm kamen noch weitere Propagandisten aus dem Umfeld Mayrs zur DAP. Ende Oktober 1919 hatte Hitler in der DAP offenbar so weit Fuß gefasst, dass auch der Reichswehr, der Geburtshelferin der völkisch-nationalistischen Zirkel, daran gelegen war, sich seiner Dienste weiter zu versichern. Umgekehrt konnte der Gefreite Hitler dadurch den Zeitpunkt seiner Entlassung aus der Armee noch etwas hinauszögern. Mayr vermittelte seinem Schützling vorübergehend eine Stelle als Hilfskraft des Bildungsoffiziers beim Schützenregiment 41, was Hitler bis zu seiner Entlassung im März 1920 noch einen gesicherten Unterschlupf bei der Armee und gleichzeitig genügend Zeit für seine Aktivitäten bei der DAP verschaffte. Ein wichtiger Neuzugang war auch Hermann Esser, der neben Hitler bald zu den wirkungsvollsten Rednern der DAP gehören sollte. Beide, Hitler und Esser, erhielten von Mayr für ihren Rednereinsatz noch zusätzlich Gelder aus einer schwarzen Kasse. Die Partei hatte zu diesem Zeitpunkt etwa 50 bis 60 Mitglieder. Als die DAP Anfang 1920 damit begann, eine Mitgliederkartei zu führen, erhielt Hitler einen Ausweis mit der Nummer 555 (freilich hatte man bei der Ausgabe der Karten erst mit der Nummer 501 begonnen). Das siebte Mitglied war er allenfalls im DAP-Ausschuss, dem er bald als «Werbeobmann» angehörte. Die Selbststilisierung als «siebtes Mitglied» war allemal wirkungsvoller als eine Erwähnung als Mitglied Nr. 55.
Die NSDAP versuchte nach ihrer eher unauffälligen Gründung die Gunst der Stunde zu nutzen und veranstaltete zwischen März 1920 und Januar 1921 insgesamt 46 große Versammlungen mit mehr als 60.000 Besuchern. Ferner führte sie wöchentliche Sprechabende im Parteilokal und zahlreiche Werbeveranstaltungen außerhalb Münchens durch. Meistens wurden radikalnationalistische Parolen verbreitet und antisemitische Ressentiments geschürt. Fast immer kam es während der Propagandaveranstaltungen zu Tumulten und Handgreiflichkeiten mit politischen Gegnern. Nicht die längst bekannten ideologischen Botschaften, die von Hitler und anderen Parteirednern vorgetragen wurden, machten die Anziehungskraft der NSDAP-Veranstaltungen aus, sondern die Aggressivität des Auftretens von Hitler, gelegentlich gewürzt mit ironischer Schärfe. Das machte ihn für ein Publikum attraktiv, das durch die Nachkriegswirren orientierungslos geworden war und meinte, hier die Rettung durch eine scheinbare Entschiedenheit und die nationalistischen Emotionen zu finden, die die neue Bewegung ansprach. Sie stellte sich vor allem als Kampfansage an die bestehenden Verhältnisse dar und predigte Hass, um Hass zu entfachen. Zudem konnte die NSDAP relativ ungestört agieren, denn sie genoss den wohlwollenden Schutz durch Polizei, vor allem durch den Münchner Polizeipräsidenten Ernst Pöhner, und die bayerische Landesregierung unter Gustav Ritter von Kahr, die vielen rechtsgerichteten Organisationen ein Schlupfloch bot. Das Münchner Polizeipräsidium, insbesondere der Leiter der Politischen Abteilung Wilhelm Frick, der 1933 Reichsinnenminister werden sollte, war vielfach hilfreich und hielt, wie Frick schon 1924 im «Hitler-Prozess» bekannte, seine «schützende Hand» über die NSDAP. Pöhner stellte Verbindungen zum noch immer einflussreichen Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes, Heinrich Claß, her und empfahl Hitler als «außerordentlich geschickten und tatkräftigen Verfechter unserer gemeinsamen Ideen». Kein Wunder, dass selbst die Reichswehr, die von der «vaterländischen Gesinnung» Hitlers überzeugt war, neben Münchner Förderern im Dezember 1920 durch finanzielle Unterstützungsleistungen aus einer schwarzen Kasse mit dazu beitrug, dass die NSDAP den Völkischen Beobachter kaufen konnte und damit ein zunächst noch bescheidenes, auf Zuschüsse angewiesenes Presseorgan in ihre Hände bekam, das bald auch außerhalb Münchens für die Partei Propaganda machen und zwei Jahre nach dem Kauf eine Auflage von 17.000 Exemplaren erreichen konnte.
Nicht nur in München wuchs die neu gegründete NSDAP von etwa 200 Mitgliedern zu Beginn des Jahres 1920 auf rund 2000 im Januar 1921. Sie dehnte sich auch außerhalb von München aus, obwohl Hitler darauf drängte, die Parteiaktivitäten auf München zu konzentrieren und mit der Gründung weiterer Ortsgruppen zurückhaltend zu sein. Der Zustrom an neuen Mitgliedern und bald auch an neuen Ortsgruppen war unmittelbare Folge der Propagandaauftritte in München, aber auch des Interesses von außen, oft vermittelt durch den deutschlandweit auftretenden Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund. Erste Ortsgruppen der NSDAP außerhalb Münchens bildeten sich im April 1920 in Rosenheim und Ende Mai in Stuttgart, wo Hitler schon Anfang Mai 1920 eine Rede auf Einladung des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes gehalten und mit Attacken auf die politischen Gegner nicht gespart hatte. Zur selben Zeit kam es in Dortmund zur Gründung einer NSDAP-Ortsgruppe, die sich am 5. Juni bei der Parteileitung in München anmeldete. Wenn ansonsten im Ruhrgebiet und noch länger auch in Berlin keine Ortsgruppen gegründet wurden, dann hatte das auch damit zu tun, dass hier andere völkische Gruppierungen mit teilweise phantasievollen Namen, wie etwa «Westfalentreubund», existierten, die vorerst das entsprechende Milieu an sich binden konnten.
Eine sehr viel längere Parteitradition, die bis in die Vorkriegsgeschichte zurückreichte, hatten die Nationalen Sozialisten in der habsburgischen Doppelmonarchie aufzuweisen; dafür waren in dem Rumpfstaat Österreich, wie er als Folge der Friedensverträge von 1919 gebildet wurde, die politischen Bedingungen für die bereits 1918 neu gebildete «Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei» (DNSAP) sehr viel komplizierter. Sie hatte ihre alten Kerngebiete in Böhmen und Mähren als Basis ihrer Wahlkämpfe verloren und konnte ihr Programm einer Vereinigung aller National-Sozialisten des deutschen Sprachgebietes nicht realisieren. Zwar hatten Drexler und Hitler noch im August 1920 eine Glückwunschadresse an den österreichischen DNSAP-Führer Walter Riehl geschickt, und im Oktober 1920 war Hitler zu mehreren Wahlkampfreden nach Österreich gereist, doch einige Monate später wollte er von solchen Kooperationsangeboten nichts mehr wissen.
Denn mittlerweile war die Frage der Ausdehnung der Partei und ihrer Fusion mit anderen völkisch-nationalistischen Gruppierungen zu einem Konfliktpunkt in der NSDAP-Führung geworden und wurde schließlich zum Auslöser für die erste größere Parteikrise im Juni 1921. Hitler hatte seine Position innerhalb der NSDAPDAPNSDAP