Ernst Baltrusch
Caesar und Pompeius
3. Auflage
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3., bibliographisch aktualisierte Auflage 2011
© 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
1. Auflage 2004
Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.
Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,
KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart
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ISBN 978-3-534-24354-9
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-534-71931-0
eBook (epub): 978-3-534-71932-7
Geschichte kompakt
Vorwort
I. Die Römische Republik und ihre Krise bis 78
1. Die Verfassung der Römischen Republik
2. Die Krise der Römischen Republik bis Sulla
3. Lucius Cornelius Sulla (138– 78)
II. Pompeius und die Auflösung der sullanischen Ordnung (78– 63)
1. Die Probleme der Zeit
2. Gnaeus Pompeius: Herkunft, Jugend, politisches Profil
3. Die großen Krisen der siebziger Jahre: Lepidus, Sertorius, Spartacus
4. Das Jahr 70: Das Konsulat von Crassus und Pompeius
5. Die außenpolitische Lage
6. Die außerordentlichen Imperien des Pompeius und ihre historische Bedeutung
7. Pompeius und die Neuordnung des Ostens
III. Caesars Eintritt in die Geschichte
1. Die Lage im Jahre 63: Cicero, Catilina und die Rückkehr-Erwartung des Pompeius
2. Gaius Julius Caesar
3. Der Triumph des Pompeius
4. Das Erste Triumvirat des Jahres 60
5. Caesars Konsulat im Jahre 59
IV. Expansion und paralysierte Republik: Die fünfziger Jahre
1. Grundsätzliches zu dem Jahrzehnt 59– 50
2. Die Eroberung Galliens
3. Die Lage in Rom
4. Die Erneuerung des Triumvirates 56
5. Die Entfremdung: Die Jahre 54– 50
V. Der Bürgerkrieg 49– 45
1. Der Bruch zwischen Caesar und Pompeius: Dezember 50 bis 11. Januar 49
2. Die Preisgabe Italiens durch Pompeius
3. Pharsalos
4. Caesar und Kleopatra
5. Caesars endgültiger Erfolg
VI. Der Staat des Diktators Caesar
1. Rückkehr aus Spanien
2. Ehrungen und Vergöttlichung
3. Die Verfassung
4. Sozialpolitik und Fürsorge
5. Caesar und die Reichspolitik
6. Caesars Zukunftspläne: Der Krieg gegen die Parther
VII. Die Iden des März 44: Befreiung oder Mord?
1. War Caesar ein Tyrann?
2. Der Bericht des Nikolaus von Damaskus über die Motive der Verschwörer
3. Zahl, Zusammensetzung und soziale Basis der Verschwörer
4. Die Häupter der Verschwörung
5. Die Ermordung Caesars an den Iden des März
6. Das Nachspiel
7. Vergangenheitsbewältigung in Rom nach dem Sturz des Diktators
8. Die moderne Bewertung der Iden des März
VIII. Die historische Bedeutung von Pompeius und Caesar sowie das Urteil der Zeitgenossen und der Nachwelt
1. Pompeius
2. Caesar
Auswahlbibliographie
Personen- und Sachregister
Geschichte kompakt
Herausgegeben von Kai Brodersen, Martin Kintzinger, Uwe Puschner, Volker Reinhardt
Herausgeber für den Bereich Antike: Kai Brodersen
Beratung für den Bereich Antike:
Ernst Baltrusch, Peter Funke, Charlotte Schubert, Aloys Winterling
In der Geschichte, wie auch sonst, dürfen Ursachen nicht postuliert werden, man muss sie suchen. (Marc Bloch)
Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden.
Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte.
Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissenstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden.
Kai Brodersen
Martin Kintzinger
Uwe Puschner
Volker Reinhardt
Die „Krise der Römischen Republik von 133 bis 31 v. Chr.” ist ein faszinierendes Schlüsselthema des Geschichtsstudiums. Es hat alles, was Geschichte spannend, lebendig und gegenwärtig macht: Eine Weltmacht kämpft mit den Problemen ihrer Verfasstheit (oder für Modernisten: steht vor einem strukturellen Paradigmenwechsel); so wie bisher kann man nicht weitermachen, alle Bereiche des öffentlichen Lebens stehen zur Disposition. Der Erhalt des Weltreiches kann nur durch weitreichende politische und militärische Veränderungen gesichert werden, die traditionelle Sozialpolitik steht auf dem Prüfstand, fremde Bevölkerungsgruppen müssen integriert werden, Schutz und Sicherheit der Menschen im Reich werden durch die alte Ordnung nicht mehr gewährleistet, das bedeutet: Rom brauchte Strukturreformen, und das besonders nach dem gescheiterten Versuch Sullas, den Besitzstand des Senates und seiner führenden Schicht, der Nobilität, zu bewahren. Und: An allen Konflikten dürfen wir teilhaben, denn die Quellenlage ist so günstig wie für kaum eine andere Epoche der Alten Geschichte. Daher ist die Krise der Römischen Republik auch ein Forschungsfeld ersten Ranges, auf dem sich innovative Methoden und Fragestellungen bewährt haben. Caesar und Pompeius waren die Persönlichkeiten, in denen sich die Widersprüchlichkeit dieser Epoche verdichtete. Sie waren alles in einem: Freunde und Feinde, Handelnde und Getriebene, Reformer und Konservative, Monarchen und Republikaner. Ihre Biographien geben den Rahmen ab für die Präsentation der wichtigsten Problemfelder der Krise der Republik unmittelbar vor ihrem Zusammenbruch. Die vorliegende Darstellung kann ohne Vorkenntnisse gelesen werden, ist fakten- und problemorientiert, lässt die Quellen zu Wort kommen und diskutiert antike Strukturdebatten ebenso wie moderne Forschungstheorien. Und zwischen den Zeilen wird man den Zeitgeist entdecken, der wie heute in der globalisierten Welt veraltete Begriffe wie „Gerechtigkeit”, „Demokratie” oder „Freiheit” umdefiniert, um angeblich zwingend notwendige Entscheidungen durchsetzen zu können; auch Caesar hat schließlich einen „erweiterten” Freiheitsbegriff für die Begründung seiner Diktatur, ein dehnbares Völkerrecht für seine Expansion in Gallien geltend gemacht.
Mein Dank geht an die, welche mich wirklich unterstützt haben. Besonders nennen möchte ich meine Hilfskraft Frau Anke Schumacher, die intensiv den Text gelesen und kommentiert, das Register erstellt sowie die Zeichnungen angefertigt hat. Meine Frau Dagmar-Beate hat meine Versuche lesbar gemacht, gekürzt, wo ich redundant war, angemerkt, wo ich deutlicher werden musste: Tantae erga me benevolentiae tuae, mi Dagmar, tamque sincerae gratias ago debeoque plurimas. Und für kulturelle Erfrischung bei der Niederschrift hat meine Tochter Anna-Victoria gesorgt, deren Klavierspiel inzwischen (für mich) schwindelerregende Höhen erreicht. Der WBG und ihren Lektoren, zuerst Frau Dr. Martina Erdmann, dann Frau Nicole Strobel und jetzt Herrn Dr. Harald Baulig, danke ich für die Aufnahme in die Reihe „Geschichte kompakt”, die überaus gute Zusammenarbeit und das professionelle Lektorat. Es bleibt zu hoffen, dass die auch dank ihres umsichtigen Herausgebers Prof. Dr. Kai Brodersen so gut gestartete Reihe „Geschichte kompakt – Antike” dazu beitragen kann, dass die Alte Geschichte auch künftig auf den Lehrplänen der Schulen steht und an den Universitäten im Rahmen des Geschichtsstudiums den ihr gebührenden Rang einnimmt.
Berlin, im Januar 2004
Ernst Baltrusch
133
Volkstribunat des Tiberius Gracchus
123 / 2
Volkstribunat des Gaius Gracchus
104 – 100
Marius fortlaufend Konsul; Heeresreform
91 – 89
Bundesgenossenkrieg und Ausweitung des römischen Bürgerrechts auf ganz Italien
88
1. Marsch Sullas auf Rom
87 – 85
1. Mithridatischer Krieg
83
2. Marsch auf Rom
82 – 79
Lucius Cornelius Sulla Diktator
Die Geschichte der Römischen Republik ist eine Erfolgsgeschichte. Der Überlieferung nach beginnt sie im Jahre 509 v. Chr., als der letzte König Tarquinius Superbus vertrieben wurde und der Adel die Herrschaft übernahm. In den ersten 150 Jahren hatte sie sich in zahlreichen äußeren Kriegen gegen Nachbarn und bei der Bewältigung innerer Spannungen zu bewähren, aber seit der Mitte des 4. Jahrhunderts konnten Kräfte für eine einzigartige Expansion freigesetzt werden. Zuerst wurde Italien erobert (bis 272 v. Chr.), dann der westliche Mittelmeerraum durch den Sieg über Karthago (264 – 241 v. Chr. und 218 – 202 v. Chr.) und fast nahtlos schließlich auch der hellenistische Osten (200 – 146 v. Chr.). Und anders als das riesige Reich Alexanders des Großen (336 – 323 v. Chr.), das sogleich nach dem Tode des Makedonenkönigs zerfiel, blieb Roms Herrschaft über mehr als ein halbes Jahrtausend stabil. Die Gründe für diese Siegesserie und die Stabilität des Römischen Reiches waren vielfältig. Die Römer selbst suchten die Gründe in den vorbildlichen Sitten der führenden Männer, ihrer Einfachheit, asketischen Lebensweise, Unbestechlichkeit und in der Geschlossenheit des Adels, der Nobilität.
E
Nobilität
Dies ist der spezifisch römische Begriff für den (Amts-)Adel seit 366 v. Chr., also seit dem Zeitpunkt, als auch die Plebejer neben den Patriziern das höchste Staatsamt, das Konsulat, bekleiden durften. Ein nobilis ist „kenntlich“, „berühmt“ aufgrund seiner durch ein Amt dokumentierten Leistung. Kanonisch ist für das 1. Jahrhundert v. Chr. die Definition des Althistorikers Matthias Gelzer aus dem Jahre 1912: Zur Nobilität gehörten danach die Nachkommen derjenigen, die das Konsulat bekleidet hatten. Der Zugang zu den höchsten Staatsämtern stand theoretisch jedem römischen Bürger offen, aber in der politischen Praxis wachte der Adel eifersüchtig darüber, dass ihn nicht zu viele Nichtadlige erreichten. Für Aufsteiger wie Marius oder Cicero benutzte man den Begriff „neuer Mann“ (homo novus).
Ursprung der Republik
Der Dichter Ennius schrieb um 200 v. Chr.: „Moribus antiquis res stat Romana virisque“ („Die Römische Sache steht auf alten Sitten und Männern“), was am besten das Selbstverständnis des republikanischen Römers zum Ausdruck bringt (Cicero, de re publica 5,1). Außenstehende wie der griechische Historiker Polybios, der seit 167 v. Chr. selbst als Geisel in Rom lebte und dort eine Weltgeschichte schrieb, führten den Erfolg auf die römisch-republikanische Verfassung zurück. Sie sei nicht eine Demokratie, Aristokratie oder Monarchie, sondern eine Mischverfassung. Diese Verfassung hatte sich seit dem Ende der Königsherrschaft nach großen inneren Auseinandersetzungen zwischen dem Geburtsadel (Patriziern) und der Bauernschaft (Plebejern), den so genannten „Ständekämpfen“, herausgebildet. Die Pfeiler dieser Verfassung waren der Senat, die Volksversammlung und die Magistrate.
Senat
Der Senat war der Mittelpunkt der Ordnung; in ihm saßen die 300 Männer mit dem höchsten gesellschaftlichen Ansehen. Deshalb war ihr Ratschluss (senatus consultum) nahezu verbindlich für alle anderen Institutionen, obwohl er eigentlich ein Ratschlag, kein Gesetz war. In den Senat gelangte man nach römischem Verständnis durch Leistung, nämlich durch die Bekleidung politischer Ämter.
Volksversammlungen
An den Volksversammlungen konnte jeder freigeborene, mindestens 18- jährige, männliche römische Bürger teilnehmen. Mit der Expansion vergrößerte sich natürlich auch die Bürgerzahl, die waffenfähige und bürgerliche männliche Bevölkerung betrug mehr als 300 000. Die Volksversammlungen, die je nach Versammlungsart auf dem Marsfeld außerhalb Roms (seit dem Mittelalter und heute das städtische Zentrum) oder auf dem forum Romanum einberufen wurden, hatten wichtige Kompetenzen: In ihnen wurden die höchsten Beamten gewählt, über Krieg und Frieden entschieden und wichtige Gesetze erlassen. Doch war Rom keine Demokratie, wie wir sie heute verstehen. Das Volk war stimmberechtigt, konnte aber keine Anträge stellen oder öffentlich diskutieren. Gleichwohl war es mehr als bloßes „Stimmvieh“. In der modernen Forschung wird momentan über den demokratischen Charakter der Römischen Republik diskutiert.
Gesamtvolk
Das Gesamtvolk versammelte sich nach drei Einteilungskategorien; daneben gab es noch die Versammlung der Plebejer (concilium plebis). Die wichtigste der drei Volksversammlungen waren die Zenturiatskomitien (comitia centuriata). Hier war das Stimmrecht nicht für jeden Bürger gleich, sondern gebunden an das Vermögen, nach dem man auf die einzelnen der insgesamt 193 Zenturien verteilt wurde. Ihr Ursprung geht auf die Zeit der Ständekämpfe zurück: Die militärische Gliederung der Volksversammlung nach „Hundertschaften“ (centuriae) stärkte das politische Gewicht der Schicht, die auch die Hauptlast im Kampf zu tragen hatte, der Plebejer. Wichtig war daneben die regionale Gliederung des Volkes in den Tributkomitien (comitia tributa), in denen wichtige Gesetze beschlossen wurden. Es gab seit dem 3. Jahrhundert 35 Bezirke (tribus), auf die jeweils die Neubürger verteilt wurden. Jeder Bezirk hatte wie jede Zenturie bei Abstimmungen eine Stimme unabhängig von der Zahl ihrer eingeschriebenen Mitglieder. Diese variierte zum Teil erheblich: In den städtischen Bezirken waren weit mehr Bürger registriert als in den ländlichen, wo der Adel saß. Eine dritte Versammlungsform (comitia curiata) war ein Relikt aus der patrizischen Zeit und hatte keine politische, sondern nur noch sakrale Bedeutung.
Magistrate
Die unbesoldeten Magistrate schließlich standen theoretisch allen römischen Bürgern offen, doch in der politischen Wirklichkeit waren Aufsteiger selten. Das höchste politische und militärische Amt war das Konsulat, das angesehenste die Zensur. Charakteristisch für römische Verhältnisse war, dass alle Ämter zeitlich befristet (in der Regel auf ein Jahr, Annuitätsprinzip) und kollegial (Kollegialitätsprinzip) besetzt waren; so wurde verhindert, dass einzelne Personen sich über ein Amt zu großen Einfluss verschaffen konnten. Denn die Machtbefugnisse insbesondere der Konsuln waren beträchtlich. Sie besaßen, ebenso wie die Praetoren, ein imperium (von imperare: befehlen), worunter die Römer eine nahezu unumschränkte Befehlsgewalt verstanden. Imperiumsinhaber konnten Soldaten ausheben und Truppen befehligen. Infolge der römischen Expansion benötigte man eine immer größere Anzahl von Imperiumsinhabern, sodass die Zahl der Praetoren seit dem 2. Jahrhundert erhöht, die Amtszeit oft und schließlich regulär verlängert wurde (ein Praetor wird nach seiner regulären städtischen Amtszeit von einem Jahr zum Propraetor in den Provinzen). Darüber hinaus war man in der späten Republik auch gezwungen, „außerordentliche“, also nicht an ein bestimmtes Amt gebundene Imperien einzurichten (imperia extraordinaria).
Dem Konsulat nachgeordnet waren weitere Ämter: die Praetur als Gerichtsamt, die Aedilität als eine Art Aufsichtsamt, die Quaestur als Finanzamt. Für die Ämter wurden seit dem 2. Jahrhundert gesetzlich Mindestalter vorgeschrieben; das Konsulat durfte man erst mit 43 Jahren und nachdem man zuvor Quaestor, Aedil und Praetor gewesen war, bekleiden. Etwas außerhalb der regulären Ämterlaufbahn (cursus honorum) stand das Volkstribunat, das aber in der Krise der Römischen Republik eine herausragende Rolle spielte.
Volkstribunat
Die Entstehung des Volkstribunates fällt in die Zeit der frühen Sozialkämpfe der Patrizier gegen die Plebejer. Das Amt wurde geschaffen, um der Plebs ein Organ zu geben, das ihre Forderungen gegenüber der ordentlichen Staatsgewalt, die allein in patrizischen Händen lag, vertreten und durchsetzen konnte. Es war eine „Institution des Widerspruchs“ (Bleicken), das heißt die Volkstribunen hatten in erster Linie die Plebejer vor der Übermacht der patrizischen Beamten zu schützen (ius auxilii) und die ordentliche Staatsgewalt zu behindern (intercessio), wenn sie plebejische Interessen verletzte. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, mussten sie „unverletzlich“ in einem sakralen Sinne sein (sacrosancti). Dieser revolutionäre Kern des Amtes konnte in den innenpolitisch ruhigen Zeiten nach dem Hannibalkrieg (218 – 202 v. Chr.) wohl kontrolliert werden, doch als die Geschlossenheit der Oberschicht brüchig wurde, kam er wieder zum Vorschein. Tiberius Gracchus hat das Amt bewusst in diesem Sinne interpretiert und für seine Veränderungspläne genutzt (Plutarch, Tib. Gracchus 15).
fides
Dieser institutionelle Rahmen, der in langen Jahrhunderten gewachsen und auf den Stadtstaat Rom zugeschnitten war, setzte Überschaubarkeit und geordnete gesellschaftliche Verhältnisse voraus. Nobilität und Plebs waren in der clientela miteinander verbunden (s. S. 139). Dabei handelte es sich um ein gegenseitiges Bindungsverhältnis, das durch ein Treueband, die fides, abgesichert wurde. Diese fides war nicht juristisch normiert, sondern verpflichtete beide Seiten gleichsam moralisch: Die Bauern hatten als Klienten ihre Patrone nach den eigenen Möglichkeiten zu unterstützen – zum Beispiel in der Politik, vor Gericht oder in der Öffentlichkeit. Die Patrone wiederum hatten sich um das Wohlergehen ihrer Klienten zu kümmern – in Zeiten materieller Not oder vor Gericht. So war das Klientelwesen die eigentliche Klammer des römischen Gemeinwesens, denn auch Frauen, ja selbst Sklaven, in den Institutionen nicht vertreten, waren auf diese Weise fest integriert. Funktionsfähig war das aber nur, wenn der agrarische Charakter des Staates erhalten sowie der Herrschaftsraum und die Zahl der Bürger überschaubar blieben. Beides war nach dem Aufstieg Roms zur Weltmacht nicht mehr der Fall.
Dieser Aufstieg war in der Tat atemberaubend gewesen. Innerhalb von kaum mehr als hundert Jahren war seit der Mitte des 3. Jahrhunderts der gesamte Mittelmeerraum erobert worden. Um 100 v. Chr. waren bereits Hispania ulterior und citerior, Africa, Asia, Macedonica, Gallia Narbonensis, Sardinien und Korsika sowie Sizilien zu römischen provinciae geworden.
E
provincia
Der Begriff provincia entstammt dem römischen Amtsrecht und bezeichnet zunächst allgemein den Amtsbereich der römischen Oberbeamten, denen später die Oberaufsicht über das weit entlegene Gebiet übertragen wurde. Zuerst erhielten die Praetoren diese Aufgabe, später die Promagistrate, das heißtProkonsuln oder Propraetoren (wörtlich „an Stelle eines Konsuls beziehungsweise Praetors“). Allmählich wurde der Begriff auch auf das Herrschaftsgebiet selbst übertragen..
lex agraria des T. Gracchus
Die Krise der Römischen Republik begann 133 v. Chr. mit einem unverfänglichen Ackergesetz. Ein Zuviel an Konflikten hatte sich in den Jahrzehnten zuvor angestaut, war verdrängt oder unzureichend gelöst worden. Sie alle lassen sich auf die Ausdehnung des römischen Staates zurückführen, das heißt auf die Auswirkungen seines großen Erfolges. Schlagwortartig zusammengefasst, spricht die Forschung von einer Agrarkrise, einer Heeres- und Wehrkrise, der Desintegration der Oberschicht, dem Bundesgenossenproblem, der Problematik der Reichsverwaltung, dem Sklavenproblem, einer Versorgungskrise, der Krise im Bindungswesen. So bedurfte es nur eines Funkens, um das Pulverfass zur Explosion zu bringen. Tiberius Sempronius Gracchus, nobilis aus einer der einflussreichsten Familien Roms und ehrgeizig genug, um selbst eine glänzende politische Karriere zu machen, war der Initiator des Ackergesetzes (lex agraria). Niemand solle, so bestimmte es, mehr als 500 Morgen (125 ha) an Staatsland (ager publicus) besitzen; seien Söhne vorhanden, können je Kind weitere 250 Morgen geltend gemacht werden, wohl maximal 1000 Morgen. Alles darüber hinaus in privater Hand befindliche Staatsland sei abzugeben und durch eine Dreimännerkommission in Parzellen zu je 30 Morgen aufzuteilen und an Neusiedler mit der Maßgabe, nicht zu verkaufen, abzugeben (s. Quelle).
Q
Der ager publicus
(Appian, bella civilia 1,7)
Als die Römer nach und nach Italien im Krieg unterwarfen, nahmen sie jedes Mal einen Teil des eroberten Landes für sich und gründeten Städte darauf oder wählten für die schon vorhandenen Gemeinden aus ihren Reihen Siedler aus. Diese Städte sollten, so war ihre Absicht, Festungen ersetzen, von dem jeweils erbeuteten Lande aber verteilten sie den bebauten Teil sogleich an die Siedler oder verkauften oder verpachteten ihn; das Land aber, das infolge des Krieges unbebaut war – und das war bei weitem der überwiegende Teil –, nahm man sich nicht die Zeit, zu verteilen, vielmehr sprachen sie es durch eine Bekanntmachung einstweilen demjenigen zu, der bereit war, es zu bearbeiten gegen eine bestimmte Abgabe vom jährlichen Ertrag, eines Zehntels der Getreideernte, eines Fünftels der Baumfrüchte; auch für die, die das Land nur zur Weide benutzten, war eine Abgabe von größerem oder kleinerem Vieh festgesetzt. […] Die Reichen rissen den größten Teil dieses nicht verteilten Bodens an sich und kamen mit der Zeit zu der festen Überzeugung, niemand werde ihnen das wieder wegnehmen. […] So bebauten sie bald große Landgebiete an Stelle einzelner Plätze, die sie mit gekauften Landarbeitern und Hirten bewirtschafteten, um zu vermeiden, dass freie Bauern von der Landarbeit für den Kriegsdienst abgezogen würden.
Das Ackergesetz war ein nützliches und verträgliches Gesetz, denn es beließ das Privateigentum der Grundbesitzenden ungeschmälert und verteilte doch Land an bedürftige Römer. Tiberius griff einen Missstand auf, der sich seit etwa fünfzig Jahren abzuzeichnen begann und zunehmend nicht nur soziale, sondern auch militärische Folgen hatte. Das freie Bauerntum war in Gefahr, weil sich der Landbesitz immer stärker in den Händen weniger konzentrierte. Das war nicht nur für den Einzelnen, sondern gerade auch für den Gesamtstaat verderblich, da das römische Milizwesen auf einer möglichst breiten Streuung von Landbesitz beruhte. Es bestand eine Wehrpflicht für römische Bürger, wenn Kriege gegen äußere Feinde beschlossen wurden. Doch musste jeder Soldat seine eigene Rüstung finanzieren, sodass das Vermögen ein wichtiges Kriterium für die Einberufung und die Zuordnung zu einem Truppenteil war. Ritter als Kämpfer zu Pferde mussten besonders begütert sein, aber auch Schwerbewaffnete mussten für ihre Rüstung viel ausgeben. Der expansive römische Staat konnte sich keine Besitzlosen leisten, wollte er militärisch handlungsfähig bleiben. Die „Proletarisierung“ des römischen Bauern erwuchs nun ausgerechnet aus jenen Erfolgen, die den römischen Staat so groß gemacht hatten. Viel Geld floss nach Rom, das auch in Land investiert wurde – von den Senatoren nämlich, die durch ein altes Gesetz von 218 v. Chr., die lex Claudia de nave senatorum, geradezu auf den Landbau als Erwerbsquelle für Mitglieder des Senates verpflichtet worden waren; Handels- und Geldgeschäfte sollten in den Händen anderer liegen.
E
lex Claudia de nave senatorum
Die lex Claudia de nave senatorum ist eines der folgenreichsten Gesetze der Römischen Republik überhaupt gewesen. Sie bestimmte, „… dass kein Senator oder Sohn eines Senators ein Seeschiff von mehr als 300 Amphoren (Fassungsvermögen) besitzen dürfe. Diese Größe hielt man für genügend, um damit Früchte aus den Landgütern abzutransportieren. Jede Art von Gewinnstreben hielt man bei Senatoren für nicht geziemend.“ (Livius 21, 63, 3 f.) Das Gesetz verbot also Senatoren den Handel, soweit er in keiner Beziehung zur Landwirtschaft stand. Im Zentrum des Gesetzes standen politische Erwägungen, nämlich die Nobilität über eine wirtschaftliche Konformität an die traditionellen, agrarischen Werte zu binden und sie damit von den Veränderungen, die sich am Ende des 3. Jahrhunderts durch Roms außenpolitische Erfolge abzeichneten, abzuschirmen. Das Gesetz forderte ein Festhalten am mos maiorum. Dieser Begriff, mit „Sitte der Vorfahren“ ganz unzureichend übersetzt, wurde seit dem 2. Jahrhundert immer mehr zur Umschreibung eines nahezu unerreichbaren Ideals benutzt.
Viele Bauern mussten ihr Land verkaufen, weil sie kriegsbedingt oft für lange Zeit fern von zu Hause als Soldaten Dienst taten und also ihren Hof nicht bestellen konnten. In der Hoffnung, von den Wahlkampfausgaben römischer Amtsbewerber profitieren zu können, zogen sie mit ihren Familien nach Rom, wo sie das stadtrömische Proletariat, die plebs urbana bildeten. Staatlicherseits wurde für sie nicht gesorgt, es gab kein soziales Netz im modernen Sinne. Insofern war die Krise der Römischen Republik auch eine Versorgungskrise der städtischen Bevölkerung in Rom.
Für die Proletarier, die Besitzlosen, hatte Tiberius Gracchus sein Gesetz eingebracht. Das Volk von Rom unterstützte seine Politik, doch hatte er die Mehrheit des Senates gegen sich. Viele Senatoren hatten nämlich ihr Geld in Staatsland angelegt und hatten dieses kultiviert. Sie betrachteten es als ihr Eigentum und lehnten deshalb die Enteignung trotz einer angebotenen Entschädigung ab. Hätte sich Tiberius an die Spielregeln römisch-republikanischer Politik gehalten, hätte er sein Gesetz zurückgezogen. Doch gerade das tat er nicht, sondern er hielt hartnäckig daran fest, überging den Senat und ein Veto seines Amtskollegen Gaius Octavius – in der Tat ein unerhörter Vorgang, der ihm den Vorwurf einbrachte, er strebe nach der Königsherrschaft. Zwar wurde das Gesetz in der Volksversammlung angenommen, aber der Preis war hoch.
Optimaten und Popularen
Der bisherige Konsens innerhalb der gesellschaftlichen Führungsschicht war zerbrochen: Fortan gab es im Senat die Popularen, die sich mit Tiberius identifizierten, und die konservativen Optimaten, die ihn verdammten. Die begriffliche Scheidung zwischen den beiden Gruppierungen entstammte der konservativen Mehrheit, die sich als die „Besten“, optimates, verstand. Sie hielt an der traditionell politisch bestimmenden Funktion des Senates fest. Ihren Gegnern warf sie Demagogie vor und nannte sie entsprechend populares (von populus: Volk), weil sie politische Entscheidungen mitunter ohne oder sogar gegen den Senat durchzusetzen versuchten. Die politischen Akteure beider Gruppen entstammten der Nobilität. Allein durch deren Spaltung jedoch wurde die Bedeutung der Volksversammlung gestärkt. Caesar wird später als Popular Karriere machen. Es handelt sich bei den Optimaten und Popularen jedoch nicht um politische Parteien modernen Zuschnitts.
Politik des C. Gracchus
Die Volksversammlung erhielt nun ein eigenes, sich vom Senat emanzipierendes Gewicht, während der Senat seine beherrschende Stellung im Staat bedroht sah. Tiberius Gracchus wurde schließlich von seinen senatorischen Gegnern ermordet, doch zehn Jahre später setzte Gaius Gracchus die Politik seines Bruders fort. 123 und 122 begnügte er sich als Volkstribun nicht mehr mit einem Ackergesetz, er zielte vielmehr mit seiner Politik auf den gesamten Staat. Ohne seine Radikalität sind Pompeius und Caesar nicht denkbar. Das Mittel, dessen Gaius Gracchus sich ausgiebig bediente, war das Volksgesetz. Erstmalig versuchte ein Politiker, die republikanische Verfassung neu zu gestalten. Eine antisenatorische Zielrichtung ist unverkennbar. Der Ritterstand wurde mit politischen Aufgaben betraut und war seitdem nicht mehr aus der politischen Szenerie wegzudenken. Ritter waren reich und in der, den Senatoren seit 218 ja verbotenen, Wirtschaft tätig. Jetzt erhielten sie richterliche Kompetenzen, die ihnen Macht auch über Senatoren gaben; als Steuerpächter in den Provinzen wurden sie gestärkt. Durch ein Getreidegesetz leistete Gaius Gracchus einen Beitrag zur Versorgung der stadtrömischen Bevölkerung, indem jedem römischen Bürger monatlich eine Ration verbilligten Getreides zugestanden wurde. Der Ansiedlung landloser Proletarier diente ein Kolonisationsprojekt, der Rechtssicherheit römischer Bürger vor magistratischer Willkür das Provokationsgesetz (s. S. 42). Die Bundesgenossen in Italien beabsichtigte Gaius durch Beteiligung am Bürgerrecht stärker zu integrieren, die Provinzen des Reiches sollten nach einem genau festgelegten Modus auf die römischen Statthalter verteilt werden, Auspressung der Untertanen sollte strenger verfolgt werden. Alles in allem reglementierte Gaius Gracchus weite Teile der republikanischen Ordnung. Unsere Quellen bekunden ihm Respekt ob seiner geistigen und rhetorischen Fähigkeiten, erschaudern aber vor der Radikalität, mit der er den römischen Staat auf den Kopf stellen wollte. Sie unterstellten ihm den Wunsch nach Rache für seinen ermordeten Bruder, Hass auf den Senat oder das Streben nach der Königswürde. Wie weit persönliche Motive für sein Handeln verantwortlich zu machen sind, wissen wir nicht; aber seine Initiativen waren gewiss auch sachlich legitimiert und griffen die tatsächlich bestehenden Missstände auf: Willkür, Korruption, Habgier, Überheblichkeit, fehlende Herrschaftskontrolle, Ausbeutung der Provinzen, Benachteiligung der Bundesgenossen, soziale Ungerechtigkeiten.
Die Zeit war freilich noch nicht reif für eine Neuordnung des Staates. Es gelang den Optimaten mit demagogischen Gegenkonzepten, Gaius Gracchus zu isolieren. Mit Versprechungen schlugen sie einen Keil zwischen Gaius und das Volk, das vor allem die Bürgerrechtsverleihungen an die Bundesgenossen ablehnte; man teilte nicht gerne die kostbaren Privilegien mit so vielen anderen. Die Auseinandersetzung eskalierte daraufhin, der Senat erklärte unter dem Konsul Lucius Opimius den Staatsnotstand (senatus consultum ultimum). Gaius Gracchus gab sich den Tod, seine Anhänger fielen einer „Säuberung“ zum Opfer.
E
Staatsnotstand
Als Staatsnotstand sahen es die Römer an, wenn der Senat seinen „letzten Beschluss“ fassen musste, das senatus consultum ultimum. Damit beauftragte das Gremium seine höchsten Beamten, die Konsuln, „sie sollten Sorge tragen, dass der Staat keinen Schaden nehme“. Sodann konnten sie Gewalt gegen die Unruhestifter anwenden, denen die Möglichkeit genommen wurde, an das Volk zu appellieren. In gewisser Hinsicht war dies also eine zeitbeschränkte Diktatur. Es fehlte freilich ein gesamtgesellschaftlicher Konsens über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens. Gegen Gaius Gracchus wurde dieser Beschluss zum ersten Mal gefasst.
Marius
Die Gewalt also begann heimisch in Rom zu werden. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Die Voraussetzung dafür schuf ein Aufsteiger oder, wie man in Rom sagte, ein homo novus aus Arpinum (ca. 100 km südöstlich von Rom) mit Namen Gaius Marius (geboren wohl 157). Er war 107 und dann wieder von 104 bis 100 in Folge Konsul; das war verfassungswidrig. Doch danach fragte man im Angesicht der großen Gefahren nicht. In Afrika widersetzte sich ein Klientelfürst namens Jugurtha römischen Befehlen und verwickelte das träge Rom in einen Krieg.
Beängstigender noch war die Gefahr aus dem Norden. Die germanischen Stämme der Kimbern, Teutonen und Ambronen wanderten, vom heutigen Schleswig-Holstein kommend, nach Süden, besiegten römische Heere, kamen bedenklich nahe an Italien heran und weckten angstvolle Reminiszenzen an die Gallierkatastrophe von 387, als Rom mit Ausnahme des Kapitolshügels besetzt worden war. Marius löste die ihm gestellte Aufgabe: Er besiegte zuerst Jugurtha 107 – 105, dann die Kimbern und Teutonen 102 / 01 und bestätigte damit die Richtigkeit der römischen Entscheidung, ihn zum faktischen Alleinherrscher auf Zeit zu machen. Historisch ist Marius damit der Wegbereiter des Pompeius und des Caesar.
Heeresreform
Kurzfristig noch gravierender für die Verfassung der Römischen Republik sollte sich die so genannte Heeresreform des Marius erweisen; das Attribut „so genannt“ verdeutlicht, dass gar keine Reform im eigentlichen Sinne beabsichtigt war. Es sollte lediglich in einer konkreten Gefahrensituation Abhilfe geschaffen werden. Marius hatte nämlich zusätzlich zum regulären Aufgebot auch die Proletarier, die nichts als sich selbst (capite censi) und ihre Kinder (proles, davon proletarii) besaßen, in sein Heer aufgenommen. Deren Ausbildung, Bewaffnung und Taktik wurden von Marius auf die neuen Herausforderungen zugeschnitten. Der Person des Feldherrn fielen damit einerseits auch staatliche Aufgaben zu, wie die Versorgung seiner Kämpfer, die sich als Lohn für den Kriegsdienst eine finanziell oder durch Grundbesitz abgesicherte Existenz erhofften. Andererseits konnte der Feldherr auf seine Soldaten bauen – als eine Art Klientel, die ihn in den Volksversammlungen unterstützte oder gar, wie es sich wenig später zeigen sollte, für ihren Heerführer gegen die eigene Stadt marschierte. Die Bindung zwischen Feldherr und seinen Soldaten entsprach dem Patronatswesen der römischen Gesellschaft, aber sie sprengte in ihrer Konsequenz die römische Verfassung, wie wir bei unseren Protagonisten Caesar und Pompeius noch musterhaft werden sehen können. Denn diese sollten von Marius dreierlei lernen, zum einen dass Außenpolitik vorzüglich geeignet sein konnte, innenpolitische Machtstellungen aufzubauen; zum zweiten dass Kontinuität in der Führung besser Bedrohungen beseitigen und überhaupt Probleme lösen konnte als ein jährlicher Wechsel im höchsten Amt und das Prinzip der Kollegialität, und zum dritten dass Soldaten aus machtpolitischer Perspektive bessere Klienten als Bauern und Bürger waren.
Bürgerrecht und Bundesgenossensystem
Es sollte für die Römische Republik noch schlimmer kommen – ganz Italien wollte mit aller Macht das römische Bürgerrecht! Dies war ein Reflex auf die vielen gemeinsam mit Rom errungenen Erfolge und nicht mehr als recht und billig: Man wollte die Früchte dieser Erfolge ebenso genießen wie die Römer. Diskutiert wurde darüber schon seit Jahrzehnten, doch hatte sich Rom bislang beharrlich geweigert, die socii (Bundesgenossen) mit dem römischen oder auch nur dem latinischen Bürgerrecht auszuzeichnen. Das römische Bundesgenossensystem in Italien war zu dieser Zeit in drei Teile geteilt: 1. die Römer (cives Romani), 2. das nomen Latinum und 3. die socii. Das war insgesamt sehr differenziert und eigentlich gerade darum so erfolgreich gewesen. Es war im Wesentlichen während des 4. und zu Beginn des 3. Jahrhunderts entstanden, als Rom allmählich Italien vereinnahmte, ohne es in den eigenen Bürgerverband zu integrieren. Diese Differenzierung schützte Rom und garantierte gleichzeitig den Italikern Selbstverwaltung. Jetzt aber, als Rom am Ende des 2. Jahrhunderts die Welt beherrschte, wollten alle Italiker das römische Bürgerrecht besitzen. Doch das ging den meisten Römern zu weit, und zwar aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Ausweitung des Bürgerrechts
Die Befürchtungen gingen insbesondere dahin, dass die politisch berechtigte Bevölkerung sich vervielfachen würde, die Überschaubarkeit und damit die Kontrollmöglichkeiten des stadtrömischen Adels über die Klienten dahin wären, die ökonomischen Privilegien des Bürgerrechts bei Landverteilungen oder Getreideausgaben geteilt werden müssten – so trafen sich in der Ablehnung Adel und Plebs, Arm und Reich. Es kam schließlich im Jahre 91 zu einem gewaltigen Krieg zwischen den Italikern und Rom, in dem die Bundesgenossen alles auf eine Karte setzten: entweder Integration in den römischen Staat oder Schaffung einer neuen Hauptstadt, für die man auch schon einen Namen, Italia nämlich, bereit hatte. Die Römer waren klug genug, recht bald, doch nicht ohne ein unfassbares Blutvergießen, nachzugeben; gesetzlich (eines dieser Gesetze hat der Vater des Gnaeus Pompeius eingebracht) sicherten sie im Jahre 90 denjenigen Bundesgenossen, welche die Waffen niederlegten, das Bürgerrecht zu (lex Iulia); ein Jahr später war Italien bis zum Fluss Po Bürgergebiet mit nunmehr einer Million Bürgern, das Gebiet jenseits des Po erhielt als Vorstufe für das Bürgerrecht das latinische Recht. Diese Integration hatte gravierende Folgen. Rom war jetzt kein Stadtstaat mehr, es war Territorialstaat geworden.
All das war zu viel für die Römische Republik, sie verkraftete die neuen Entwicklungen nicht. Die Politiker Roms wussten um die Schwierigkeiten, jedoch hatten sie nur eine schwache Vorstellung davon, wie man die Krise in den Griff bekommen konnte. War es gar, wie es der Althistoriker Christian Meier im Jahre 1966 formuliert hat, eine „Krise ohne Alternative“? Das ist noch heute eine viel diskutierte und umstrittene Frage. Jedenfalls kurierten die politischen Kräfte in Rom an den Symptomen herum und erließen gegen die neuen Entwicklungen ein Gesetz nach dem anderen: gegen den Speiseluxus, gegen den Ämterehrgeiz, gegen die Präsenz von Fremden, Philosophen oder Rhetoren, gegen Bestechung und Erpressung von Geldern und so weiter. Auf diese Weise hoffte man, die frühere Stabilität wiederzugewinnen. Das Vorgehen war alles andere als systematisch, und die Gesetze wurden auch kaum eingehalten. Es war schließlich ein Optimat, der eine Lösung der Krise ins Auge fasste und konsequent neue Wege beschritt, um das Alte, die Senatsherrschaft, zu retten.
Lucius Cornelius Sulla wurde wohl im Jahre 138 geboren und entstammte den Cornelii, einem alten patrizischen Geschlecht. Seine Familie war jedoch verarmt und seit langem politisch bedeutungslos (Sallust, de bello Iugurthino 95). Unsere Quellen zeichnen kein positives Bild von ihm. Er war alles zugleich: Ehrgeizig und müßiger Lebemann, innovativ und am Alten hängend, grausam, aber auch nachgiebig verkörperte er offenbar die Widersprüche seiner Zeit in seiner Person. Sein politischer Aufstieg wurde am Anfang von Marius, seinem späteren Widersacher, gefördert. Sulla hatte in seiner Amtszeit als Quaestor und dem damaligen Konsul Marius zugeordnet, Jugurtha, den afrikanischen Aufrührer, im Jahre 105 gefangen nehmen können und damit erheblich an Ruhm und Selbstwertgefühl seines ambitionierten „Chefs“ gekratzt. Seine in der Folgezeit absolvierte und nicht immer geradlinig vorangehende politische Laufbahn sowie seine Erfolge als Feldherr im Bundesgenossenkrieg führten den fast Fünfzigjährigen 88 in das Konsulat, Gipfel- und Zielpunkt jeder aristokratischen Karriere. Doch erst jetzt beginnt Sullas eigentliche Geschichte und verbunden damit auch ein neues Stadium in der Krise der Römischen Republik.
Krieg gegen Mithridates
Das Jahr 88 war von zwei Themen in der römischen Öffentlichkeit beherrscht: Sollte den italienischen Neubürgern ein gleichberechtigtes Stimmrecht gewährt werden? Und: Wer sollte mit der Kriegführung gegen Mithridates VI. betraut werden? Dieser Krieg stand unmittelbar bevor, denn Mithridates, ein König aus dem Pontosgebiet mit Expansionsgelüsten auf Kosten Roms, hatte im so genannten „Blutbefehl von Ephesos“ an die 80 000 in der Provinz Asia lebende Römer und Italiker an einem einzigen Tag töten lassen. Wie schon vorher bei den Kimbern und Teutonen war einmal mehr die Außenpolitik der Hebel für innenpolitische Machtspiele. Der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus, ein Popular und Marius-Anhänger, hatte eine Reihe von Gesetzesanträgen in der Volksversammlung eingebracht, mit denen die Neubürger auf alle Bezirke (tribus) gleichmäßig verteilt und dadurch politisch gleichberechtigt in den römischen Staat integriert werden sollten. Als der Konsul Sulla Widerstand leistete und schließlich nach bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf dem Forum fliehen musste, schob Sulpicius gleich einen weiteren Antrag hinterher: Nicht der Konsul Sulla sollte wie vorgesehen den Krieg gegen Mithridates führen, sondern Sullas persönlicher Feind und politischer Gegner, der Popular par excellence Marius, der zu dieser Zeit bereits ein Greis war. Was für uns eher periphere Bedeutung zu haben scheint, war für die Betroffenen – Feldherr und Soldaten – eine existentielle Angelegenheit. Jetzt zeigte sich zum ersten Mal die zerstörerische Wirkung der marianischen Heeresreform. Für Sulla nämlich standen durch diesen Beschluss der Volksversammlung die Früchte seiner politischen Karriere auf dem Spiel, die materiellen wie die immateriellen; er hätte sagen können, was Caesar vierzig Jahre später gesagt hat: Der Volkstribun Sulpicius und seine Clique beraubten ihn seiner dignitas (Würde). Der Krieg gegen Mithridates war für den römischen Politiker nämlich wie ein Lotteriegewinn. Er war keineswegs existentiell bedrohlich, stellte Beute und finanziellen Gewinn in Aussicht und bot die für jeden römischen Aristokraten verlockende Perspektive, sich unsterblich zu machen und seine auctoritas zu steigern. Sullas Soldaten – darunter viele besitzlose proletarii
Erster „Marsch auf Rom“
hostis
Frieden von Dardanos
Q
Die Folgen der sullanischen Politik
(Sallust, de coniuratione Catilinae 11)
Nachdem aber Lucius Sulla mit Waffengewalt den Staat an sich gerissen hatte und nach guten Anfängen ein schlimmes Ende gezeitigt hatte, da rafften alle, schleppten beiseite, der eine wünschte ein Haus, Ackerland der andere, die Sieger kannten weder Maß noch Beherrschung, begingen scheußliche und grausame Taten gegen die Mitbürger. Hierzu kam noch, dass Lucius Sulla das Heer, das er in Asien geführt hatte, um es sich dadurch treu zu machen, wider die Art der Vorfahren üppig und allzu großzügig gehalten hatte. Liebliche und genussreiche Gegenden hatten während der Ruhezeit leicht den trotzigen Sinn der Soldaten verweichlicht. Dort gewöhnte sich zum ersten Male das Heer des römischen Volkes an, zu lieben, zu trinken, Statuen, Gemälde, ziselierte Gefäße zu bewundern, sie auf eigene Faust oder offiziell zu rauben, die Heiligtümer zu plündern, Heiliges und Nichtheiliges, alles zu besudeln. Nun, diese Soldaten ließen, als sie den Sieg errungen hatten, den Besiegten nichts übrig. Zumal Glück sogar die Herzen von Weisen schwach macht, geschweige denn, dass diese bei ihrer verdorbenen Art ihren Sieg maßvoll ausgenutzt hätten.
mos maiorum
Bürgerkrieg
Maßnahmen Sullas
dictator legibus scribundis et rei publicae constituendaeDiktatur
E
Diktatur
Der Diktator war der Notstandsbeamte mit umfassenden Vollmachten. Er wurde nicht gewählt, sondern vom Konsul auf Rat des Senates hin ernannt. Er blieb sechs Monate im Amt, hatte keinen Kollegen und stützte sich auf einen ihm untergeordneten Helfer, den magister equitum („Befehlshaber der Reiterei“). Seine Aufgabe war in früher Zeit militärisch definiert: dictator rei gerundae causa, zuletzt im 2. Punischen Krieg gegen Hannibal. Sulla (und an ihn anschließend auch Caesar) deutete die Diktatur um: Die Notlage, die es zu heilen galt, war jetzt innenpolitischer Natur, und so wurde das Amt auch offiziell definiert: dictator rei publicae constituendae causa (zur Ordnung des Staates). Der Missbrauch dieses Amtes durch Caesar, der damit über Sulla hinausgehend seine Alleinherrschaft auf Lebenszeit sicherte, führte nach dessen Ermordung 44 zur dauerhaften Abschaffung der Diktatur. Seitdem hat der Begriff eine negative Prägung.
ludi Victoriae
Proscriptionen
Karl Christ proscribere
„Belohnung der Anhänger“
Reorganisation des Staates
quaestiones perpetuaeSicilia, Sardinia/Corsica, Hispania Citerior, Hispania Ulterior, Macedonia/Achaia, Africa, Asia, Gallia Narbonensis, Cilicia
leges Corneliae
Baupolitik
res publica constitutaforum Romanum curia, curia Cornelia
Bewertung Sullas
mos maiorumleges
wie