Kurt Flasch
Warum ich kein Christ bin
Bericht und Argumentation
C.H.Beck
© Verlag C.H.Beck oHG, München 2013
Umschlaggestaltung: Anzinger/Wüschner/Rasp, München
ISBN Buch 978 3 406 65284 4
ISBN eBook 978 3 406 65285 1
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ISBN 978-3-406-65285-1
Erstes Vatikanisches Konzil. Dogmatische Konstitution Dei Filius, De fide c. 4, in: Heinrich Denzinger – Peter Hünermann, Enchiridion symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et moribus, Freiburg 402005, S. 819 Nr. 3019. Dort c. 2 S. 813 Nr. 3004 wird definiert, die natürliche Erkenntnis Gottes sei gewiß (certa). In c. 3 Nr. 3009 heißt es, äußere facta böten im höchsten Maße sichere Beweise der göttlichen Offenbarung, nämlich die biblischen Wunder und Weissagungen: divinae revelationis signa sunt certissima.
Kurt Flasch, Über die Brücke. Mainzer Kindheit 1930–1949. Frankfurt/M. 2001.
Die Stelle Römer 9,5 wirft philologische Probleme auf. ‹Gott›, das ist im Neuen Testament der Vater. Jesus wird im untergeordneten Sinn als Gott bezeichnet: Johannesevangelium 1,1; 1,18 und 20,28; 1. Johannesbrief 5,20 und vielleicht Titusbrief 2,12. Dazu Walter Bauer, Wörterbuch zum Neuen Testament, Berlin 61988, Sp. 725.
1 Könige 17,17; etwas Ähnliches gelang seinem Schüler, 2 Könige 4,32.
Apostelgeschichte 9,36 und 20,9. Markus 6,7 und Matthäus 10,8 berichten, Jesus habe die Apostel ausgesandt, um Kranke zu heilen, Tote zu erwecken und Dämonen auszutreiben.
Augustinus, De consensu evangelistarum 3, 7, 28–31.
Augustinus, Contra epistolam fundamenti 4 CSEL 25 Zycha p. 196.
Es versteht sich, daß diese Kritik sich nicht auf sprachphilosophische und systemtheoretische Analysen von ‹Sinn› bezieht, sondern auf seine theologische Abzweckung wie in den angeführten Beispielen.
Augustinus, De vera religione 7, 13, Corpus Christianorum 32, ed. Daur p. 196, 20–23.
Thomas von Aquino, Quaestiones disputatae de veritate, Quaestio I art. 10, Opera omnia, Band 22, Rom 1970, S. 31: Veritas consistit in adaequatione rei et intellectus.
Thomas von Aquino, Quaestiones disputatae de veritate, Quaestio 1 art. 2, Opera omnia, Band 22, Rom 1970, S. 9 b: Res ergo naturalis, inter duos intellectus constituta, secundum adaequationem ad utrumque vera dicitur.
Thomas von Aquino, Quaestiones disputatae de veritate, Quaestio 1, art. 1, Opera omnia, Editio Leonina, Band 22, Rom 1970, S. 5 b: Omnis autem cognitio perficitur per assimilationem cognoscentis ad rem cognitam, ita quod assimilatio dicta est causa cognitionis, sicut visus per hoc quod disponitur secundum speciem coloris cognoscit colorem.
Zur linguistischen Seite s. schon Bernhard Duhm, Das Buch Jesaia, Göttingen 1914, S. 52.
Die Stelle bei Justin, Erste Apologie 54, 2, Apologiae pro Christianis, ed. M. Marcocich, Berlin 1994, S. 108. Der heutige Stand der Forschung bei Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Band 1, Düsseldorf und Zürich 52002, S. 152.
Thomas von Aquino, Summa contra Gentiles III 101, Editio Leonina III p. 313: proprie miracula dicenda sunt quae divinitus fiunt praeter ordinem communiter observatum in rebus.
I. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Zweyte vermehrte Auflage, Königsberg bei Friedrich Nicolovius 1794, S. 118. – Das Wort ‹statuieren› bedeutete in Kants Zeit: annehmen, behaupten; wir kennen das Wort noch in der Wendung ‹ein Exempel statuieren›.
Der lateinische Text der Verurteilung von 1277 und meine deutsche Übersetzung finden sich in: Kurt Flasch, Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277, Mainz 1989, bes. S. 182 und 214.
Thomas von Aquino, Summa contra Gentiles III 100, Editio Leonina III p. 311 b: Neque est contra naturam si Deus in rebus naturalibus aliquid operetur aliter quam consuetus cursus naturae habet. Hinc est quod Augustinus dicit …
Ich schreibe: ‹vermutlich›, denn nicht alle dem Paulus zugeschriebene Briefe sind von ihm verfaßt, in vermutlich sicheren Paulusbriefen ist mit späteren Einfügungen zu rechnen.
Bei Henecke-Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen. I. Evangelien, Tübingen 31959, Nr. 8, S. 122.
Bossuet, Défense de la tradition et des saints pères, Œuvres complètes, Band 4, Paris 1867.
Jürgen Becker, Auferstehung Jesu Christi, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Band 1 Tübingen 41998, Sp. 922.
In Sth I 105, 8 gibt Thomas wieder eine andere Abstufung der Wunder.
Augustinus, Contra epistulam Fundamenti 4, CSEL 25, Wien 1891 p. 196.
Wer heute über die Ausbreitung des Christentums in der Antike spricht, begeht einen methodischen Fehler, wenn er sich dafür einen Lieblingsgrund ausdenkt statt die historischen Forschungen zu nutzen, die es dazu längst gibt. Vgl. Johannes Geffken, Der Ausgang des griechisch-römischen Heidentums, Heidelberg 1920; Paul Veyne, Quand notre monde est devenu chrétien (312–394), Paris 2007. (dt.: Als unsere Welt christlich wurde, München 2008).
‹Gott ist tot› steht bei Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 3. Buch, Nr. 108; Kritische Studienausgabe, München 1980, Band 3, Seite 467, 3. Buch Nr. 125: Der tolle Mensch, S. 480–482; 5. Buch Nr. 343 S. 573–574. Dazu: Martin Heidegger, Nietzsches Wort «Gott ist tot», in: Holzwege, Frankfurt/M. 1950, S. 193–247.
Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft. 5. Buch: Wir Furchtlosen. Aphorismus 343, Kritische Studienausgabe Band 3, S. 573.
Jahweh befiehlt auch sonst Genozide: 2 Mose 32,27; 4 Mose 32; Josua 7,24–25; Josua 10 und 11; 2 Samuel 12,29–31.
Ich zitiere, wenn nicht anders vermerkt, die Hebräische Bibel nach der sog. Einheitsübersetzung der Neuen Jerusalemer Bibel, abgekürzt NJB, Freiburg/Br. 81985.
Zum historischen Problem: Rudolf Smend, Bibel, Theologie, Universität, Göttingen 1997, besonders S. 5–20; ders., Sinai, in: Christoph Markschies – Hubert Wolf (Hg.), Erinnerungsorte des Christentums, München 2010, S. 128–149. Informativ auch: Philipp R. Davis, In Search of ‹Ancient Israel›, Sheffield 1992; Jan Christian Gertz (Hg.), Grundinformation Altes Testament, Göttingen 42010, besonders S. 291–292.
Thomas L. Thompson, The Mythic Past – Biblical Archeology and the Myth of Israel, London 1999; Shlomo Sand, Die Erfindung des jüdischen Volkes. Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand, zuerst hebräisch 2008, deutsch Berlin 2010.
Thomas von Aquino, De spiritualibus creaturis, a. 8: Invenitur enim in speciebus rerum una abundare super aliam, sicut et in speciebus numerorum, ut dicitur in VIII Metaph. In istis autem inferioribus, quae sunt generabilia et corruptibilia, et infima pars universi, et minus participant de ordine, invenitur non omnia diversa habere ordinem per se; sed quaedam habent ordinem per accidens tantum, sicut individua unius speciei. In superiori autem parte universi, scilicet in corporibus caelestibus, non invenitur ordo per accidens, sed solum per se; cum omnia corpora caelestia ab invicem specie differant, nec sint in eis plura individua unius speciei, sed unus tantum sol et una luna, et sic de aliis.
Gerhard v. Rad, Genesis, Göttingen 1949, S. 60. Von da an zitiert als: Rad.
Wilhelm Vischer, Das Christuszeugnis des Alten Testaments, München 1935, S. 80, zustimmend zitiert bei Rad S. 75.
So auch die Augsburger Confessio: Tota dissensio est de paucis quibusdam abusibus, in: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 61967, S. 83.
Wichtige Quellen: Petrus Lombardus, 3 Sent 20, 1, 3; Thomas von Aquino ScG 4, 55 und Sth III 46–49; Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 61967, dort Protest der Apologie der Augsburger Konfession S. 148 gegen scholastische Abschwächungen der Erbsünde Augustins; dazu Luther, Schmalkaldische Artikel, Teil 3, 1–1 o in: Bekenntnisschriften S. 433–435; Catechismus Romanus ex decreto concilii Tridentini, lat.-dt., 2 Bände, Regensburg 41905.
Apologie der Augsburger Konfession, in: Bekenntnisschriften, S. 146.
Johannes Herrmann, in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Band 3, Stuttgart 1938, S. 310f.
Paulus, Römerbrief 3,25: hilastêrion, lat. piaculum, Versöhnungsmittel, Lösegeld. Ähnlich Hebräerbrief 2,17 und 1 Joh. 2,2 und 4,10. Vgl. den Artikel hilasmos in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Band 3, Stuttgart 1938, S. 311–324. Informativ auch Walter Bauer, Wörterbuch zum Neuen Testament, Berlin 61988, Sp. 762–763.
Ich stelle hier zusammen, wie im Neuen Testament die ‹Erlösung› benannt wird. Sie heißt dort:
Lytrôsis, apolytrôsis, von lyein – lösen, bezahlen, redemptio, Erlösung; lytron, premium redemptionis, Kaufpreis, Lösepreis; lat. redimere, bedeutet: Loskaufen, einen Gefangenen auslösen. Als ginge es darum, die Gunst eines Mächtigen mit Geld zurückzuerkaufen, indem man einen Preis zahlt. Durch Zahlung die Gunst eines Herren wiedergewinnen, durch Lösegeld einen Schaden abwenden. Ein anderer Vorstellungskreis ist ‹Genugtuung›: Griechisch katallax, lat. reconcilatio, Versöhnung, katallage heißt Austausch, katalassein bedeutet: ausgleichen; hilasmos, lat. Propitiatio, placatio, Besänftigung des Zornes Gottes, Versöhnung, Wiedergewinnung der Gunst Gottes; cheirographon, Schuldbrief, der zerrissen wird Kolosser 2,12; paradidonai, tradere, preisgeben, hingeben. Gott gibt seinen Sohn dahin.
Die Bibelstellen dazu finden sich leicht unter den genannten Stichwörtern in: Gerhard Kittel, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933ff.
Markus 10,45, häufiger bei Paulus: 1 Timotheus 2,6; Titus 2,14. So wurden wir gerettet vor dem Zorn Gottes: 1 Thessalonicher 1,10; Römerbrief 5,9 und 7,25. Früh kommt die Wendung auf, Christus sei gestorben für uns, 1 Thessalonicher 5,10. Er habe sich hingegeben für unsere Sünden, Galater 1,4. Sein Blut wurde vergossen für die vielen, Paulus, Römerbrief 5,6–8; 14,15; 1 Korinther 1,13. Daß es nicht heißt «für alle», versteht sich.
Paulus, Römerbrief 3,24–25; 6,18–19; 8,32; Galaterbrief 1,4 und 2,20.
Wichtige Entwicklungsschritte: Irenäus (Adversus haereses, besonders 5,1,1 und 5,21,3) bis hin zu Anselms Cur Deus homo? und Abaelards Römerbriefkommentar.
Das Kreuz als Mausefalle, die den Teufel fängt, bei Augustin, Sermo 130, 2 Pl 38, 726: Ad pretium nostrum tetendit muscipulam (die Mausefalle) crucem suam. Sermo 134, 5, 6 PL 38, 745: Quid ergo ad horam exultasti, quia invenisti in Christo carnem mortalem? Muscipula tua (deine Mausefalle) erat: unde laetatus es, inde captus es. Augustin gebrauchte die Metapher der Mausefalle öfter. Auch Papst Gregor liebte sie, Moralia 33, 14–31 und 17, 46.
Paulus, Römerbrief 12,1. Er sah seinen apostolischen Dienst als Opfer, Römerbrief 15, 16; 2. Korintherbrief 12,7–8.
Johannes 15,18–20. Aber auch unter den Brüdern gibt es viele Antichristen, 1. Johannesbrief 2,18–21; 4,1–6.
Augustinus, De libero arbitrio, ed. W. M. Green, 10, 29, 105–112, CORPUS CHRISTIANORUM, Series Latina, Band 29, Turnhout 1970, S. 293–294.
Ich folge in der Ablehnung einer universalistischen, inklusivistischen Deutung der Passage dem wohl besten gegenwärtigen Matthäuskommentar: Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Band 3, Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament, Zürich – Neunkirchen-Vluyn 1997, der auf den Seiten 516–561 eine besonnen-abwägende Interpretation entwickelt, wenn er auch zum Schluß die historisch-philologische Analyse verläßt und zum Auslegungsprinzip Augustins zurückkehrt, in der Bibelauslegung sei alles wahr, was die Liebe fördere.
Die Hebräische Bibel gibt den Text an mehreren Stellen mit Variationen wieder, z.B. Exodus 20,2–18 und 34,10–26. Ich folge zunächst der Fassung Deuteronomium 5,6–22, deutsch nach NJB S. 223. Zur Interpretation vgl. Julius Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 61905; ders., Israelitische und jüdische Geschichte, Berlin 61907; Martin Noth, Das zweite Buch Mose. Exodus, übersetzt und erklärt. Das Alte Testament Deutsch. Neues Göttinger Bibelwerk, Teilband 5, Göttingen 71984, S. 122–135; Gerhard von Rad, Das fünfte Buch Mose. Deuteronomium. Neues Göttinger Bibelwerk, Teilband 8, Göttingen 41983, S. 40–44; Norbert Lohfink, Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur, 5 Bände, Stuttgart 1990–2005; Eckhart Otto, Das Deuteronomium. Theologie und Rechtsform in Juda und Assyrien, Berlin 1999; ders., Das Gesetz des Mose, Darmstadt 2007. Zur Unauffindbarkeit des Berges Sinai informativ: Rudolf Smend, Sinai, in: Christoph Markschies – Hubert Wolf (Hg.), Erinnerungsorte des Christentums, München 2010, S. 128–159.
G. von Rad, Das fünfte Buch Mose, S. 43.
So Jan Christian Gertz, Grundinformation Altes Testament, Göttingen 32009, S. 232.
Exodus 19,13–17 und 20,18–19; Deuteronomium 5,23–26.
Thomas von Aquino, Sth I–II 100, 11: Sed praecepta moralia ex ipso dictamine rationis naturalis efficaciam habent, etiamsi numquam in lege statuantur.
Matthäus 5,1–7,29 mit kleinerer Parallele in Lukas 6,20–49.
Ich benutze den griechischen Text nach Nestle-Aland 271993 und verdanke viel Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Band 1, Evangelisch-katholischer Kommentar, Düsseldorf – Neunkirchen-Vluyn 52002. Deutsche Übersetzung nach NJB, mit kleinen Veränderungen.
Das ist Matthäus 5,3–12 und Lukas 6,20–21 zusammengesehen.
Erst Lukas 6,22–23 entspricht wieder Matthäus 5,9–12.
Leviticus 18,22–23 und 20,12.
Paulus, 1 Korinther 6,9.
Paulus, Römerbrief 1,26–27; 1 Timotheus 1,8–11.
Thomas von Aquino, Sth II–II 154, 12 et ad 1, vgl. 154, 11.
Quellen zum Thema bei Gerald Bonner, s.v. concupiscentia, in: Augustinus-Lexikon, Band 1, Basel 1986–1994, Sp. 1113–1122.
Tertullian, De anima 4, 1 und 7, 1, 1.
Origenes, De principiis 1,1,7 und 3, 1, 13.
Cassiodor, De anima, CCSL 96, Turnhout 1973.
Gregor der Große, Dialogi, IV, 7, lateinisch-französisch in den Sources chrétiennes Band 265, Paris 1980, S. 43.
Jesus über die Hölle: Markus 3,29 und 9,43–48, bei Matthäus 3,12; 5,22–30; 18,8 und 25,41–46; Johannes 15,6.
Belege: Markus 9,1; Matthäus 10,23; 16,28; 24,34, 26,64. Dasselbe bei Paulus: 1 Thess, 4,15–17.
Thomas von Aquino, Sth I 102, 1: Thomas stellt sich die Frage, ob das Paradies ein physischer Ort, eine körperliche Landschaft sei, ein locus corporeus. Er kennt die alte Tradition einer symbolischen Auslegung; er zitiert zwei Texte Augustins, in denen Augustin gegen die Tradition des Origenes angeht und die bildliche Deutung nur dann zuläßt, wenn die massiv-realistische Deutung zuvor akzeptiert worden ist: Augustinus, De Genesi ad litteram 8, 1 CSEL 28 Zycha 229 und De civitate Dei 13, 21. Der Bericht vom Paradies, sagt Augustin, sei nicht von der bildlichen Art des Hohen Lieds, sondern handle durchaus von Dingen, die geschehen sind, sed omnino gestarum est sicut in Regnorum libris. Wer die realistische Deutung zurückweise und nur die allegorische zulasse, tue das, wie er nicht an die Wunder glauben wolle, ib. p. 229–232.
Thomas bestätigt dies und fährt fort: Ea enim quae de paradiso in Scriptura dicuntur per modum narrationis historicae proponuntur. In omnibus autem quae sic Scriptura tradit, est pro fundamento tenenda veritas historiae et desuper spirituales expositiones fabricandae.
Thomas nimmt den historischen Charakter der Paradieseserzählung als Exempel, um eine Regel aller Schriftauslegungen daraus abzuleiten: Es gebe in der Bibel durchaus Texte, die nur allegorisch zu lesen sind, wie das Hohe Lied. Aber wenn die Bibel eine Geschichte erzähle, sei zuerst der historische Sinn festzuhalten. Er sei das Fundament, auf dem dann geistliche Auslegungen aufgebaut werden können.
Thomas erwähnt, daß Geographen nach dem Ort des Paradieses gesucht und ihn nicht gefunden haben: Aliqui diligentissime inquisierunt omnia loca terrae habitabilis (arg. 3). Er findet dafür die Erklärung, es gebe diesen Ort, aber er sei geographisch so abgelegen, durch Berge oder Meere von den bekannten Gegenden abgetrennt, so daß Geographen ihn nicht entdecken konnten, I 102, 1 ad 3.
Übersetzung der Neuen Jerusalemer Bibel, Freiburg 81985.
Hölderlin, Sämtliche Gedichte, hg. von Joachim Schmidt, Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch, Band 4, Frankfurt/M. 2005, S. 442 Nr. 64.
Heute fragen sich viele Menschen, ob sie noch Christen sind. Andere wollen es wieder werden und suchen nach Wegen. Kurt Flasch erzählt – ausgehend von seiner Herkunft aus einer liberal-katholischen, kulturell und politisch engagierten Familie –, wie er ins Zweifeln am Christentum gekommen ist. Er bespricht die Hauptpunkte der christlichen Lehre in ihrer katholischen wie evangelischen Form und wendet sich an jeden Gläubigen und an jeden Ungläubigen, der seine Gründe prüfen will, warum er Christ ist.
Kurt Flasch ist Fachmann für antike und mittelalterliche Philosophie. Er hat sich ein Leben lang mit den Quellen zu dieser Zeit und deshalb auch mit dem Christentum befasst. Er erläutert argumentierend in persönlich gefärbter Darstellung, warum er kein Christ ist. Die Kritik gilt der christlichen Lehre, nicht dem Zustand der Kirchen.
Das Buch ist keine Autobiographie und keine Kampfschrift. Es bemüht sich um historische Gerechtigkeit, benennt die christlichen Überzeugungen genau und mit geschichtlichem Verständnis, bringt aber an Details nur das, was nötig ist, um zu einem sachlichen Urteil zu kommen. Flasch prüft aus den Quellen heraus die katholischen und evangelischen Varianten der christlichen Lehren und begründet, warum er von ihnen keinen weiteren Gebrauch machen wird. Fromme wie Unfromme können daraus Nutzen ziehen.
Kurt Flasch, geb. 1930, gilt als der bedeutendste deutsche Historiker mittelalterlicher Philosophie. Er wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. 2000 mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa, 2009 mit dem Hannah-Arendt-Preis, 2010 mit dem Lessing-Preis für Kritik sowie mit dem Essay-Preis Tractatus und 2012 mit dem Joseph-Breitbach-Preis. Bei C.H.Beck sind von ihm zuletzt erschienen: Meister Eckhart. Philosoph des Christentums (³2011), Was ist Gott? Das Buch der 24 Philosophen (²2013) und seine Übersetzung von Boethius’ Trost der Philosophie (52013).
1) Ich bin kein Christ mehr. Hier möchte ich erklären, warum. Ich werde oft nach meinen Gründen gefragt; heute will ich darauf antworten, so kurz und klar wie möglich. Um es vorwegzunehmen: Mein Auszug hat wenig mit dem Zustand der Kirchen und viel mit ihrem Anspruch auf Wahrheit zu tun. Es geht hier nicht um Kirchenkritik, sondern um die Gründe, warum ich keine kirchliche Lehre teile.
2) Am 6. März 1927 hielt Bertrand Russell seinen berühmt gewordenen Vortrag: Why I am not a Christian. Es war ein Text von exemplarischer Klarheit und Kürze; er umfaßte 12 Seiten im Druck. Er verbindet in klassischer Einfachheit persönliche Reflexion mit theoretischer Argumentation. Nach 85 Jahren greife ich dieses Thema noch einmal auf; es hat an Aktualität hinzugewonnen. Ich untersuche es nach meinen Erfahrungen und mit neuen Argumenten. Hätte ich Russells Formel um jeden Preis vermeiden wollen, hätte ich stilistische Ziererei erzeugt.
3) Wikipedia nennt von meinen etwa 40 Vorlesungen an der Ruhr-Universität Bochum nur diese einzige: Warum ich kein Christ bin. Sie stellt es so dar, als habe es sich um einen zweistündigen Abschiedsvortrag gehandelt, aber es war eine vielstündige zweisemestrige Vorlesung. Die Angabe erzeugte einen Rattenschwanz von Anfragen. Immer wieder wollte jemand wissen, wo mein Text zu kaufen wäre. Ich konnte nicht alle Anfragen einzeln beantworten. Ich bitte dafür um Nachsicht und gebe hier eine Kurzfassung meiner Gründe. Sie richtet sich nicht zuerst an Fachtheologen, sondern an jeden, der sich seines Glaubens gewiß oder ungewiß ist. Ich berichte und argumentiere. Ich erzähle ein wenig von meinem Leben, denn ich beschreibe mein privates Nachdenken und begründe meine persönliche Entscheidung. Der Hauptton liegt auf den Argumenten, die den Abschied zur Folge hatten. Ich verfolge sie nur soweit, wie sie dem allgemein-interessierten Leser dienlich sind.
Ich will den Fachjargon vermeiden, besonders dort, wo ich von Augustin und von mittelalterlichen Autoren spreche, aber auch beim Beschreiben des Schöpfungsberichts und anderer Bibelstellen.
Ich lade meine Leser ein, sich darüber ein Urteil zu bilden. Übrigens gibt es auch Christen, die eine Debatte darüber besser finden als die konventionelle Selbstverständlichkeit, wir seien alle Christen.
4) Kann man vernünftigerweise Christ sein oder bleiben? Dies sorgfältig zu erörtern, liegt, scheint mir, im allgemeinen Interesse. Es gibt viele Zweifler; die Zeit homogenen Volksglaubens ist in Europa vorbei. Es hagelt Kirchenkritik, aber die kirchlichen Lehren erfreuen sich großer Schonung. Viele reduzieren sie auf Nächstenliebe und lassen alles, was darüber hinausgeht, auf sich beruhen. Gerade darüber, also über die Wahrheit des christlichen Glaubens, möchte ich Unterhaltungen anregen. Es geht nicht um ‹Religion› im allgemeinen, sondern um christliche Ansprüche hier und heute. Sie fordern öffentlich politischen und gesellschaftlichen Einfluß, zum Beispiel auf die Gesetzgebung des Bundestags, auf die Gesundheits-, die Schul- und Medienpolitik. Schon deshalb sind sie in Ruhe zu prüfen.
Ich grabe, wo ich stehe. Ich rede nicht vom Buddhismus und nicht vom Islam. Über diese höre ich mir nur Leute an, die Dokumente dieser Religionen in der Originalsprache studieren. Ich rede vom katholischen und protestantischen Christentum in Europa. Ich untersuche seine Wahrheitschancen in der Gegenwart und blicke, wo nötig, auf die Vergangenheit, aus der es kommt.
Mainz, 12. März 2013 Kurt Flasch
Ich, mit 83 Jahren, gehe mit kräftigen Schritten aufs Ende meines Lebens zu. Ich nutze die Gelegenheit, hier Bilanz zu ziehen über meine Erfahrungen. Zu ihnen gehört die christliche Religion. Sie war nicht das einzige Thema meines Lebens, noch nicht einmal sein Hauptinhalt. Politik und Philosophie, Geschichte und Literatur waren genausowichtig. Aber ich kam in wechselnden Formen immer wieder auf sie zurück und fasse kurz mein Resultat zusammen.
Ich habe sie früh unter den denkbar günstigen Bedingungen kennengelernt, nicht zur Zeit ihres Triumphs, sondern in einer kleinen Gruppe, die litt und verfolgt wurde. Ein Onkel von mir steht im Verzeichnis der katholischen Märtyrer des 20. Jahrhunderts. Später konnte ich ihre größten intellektuellen und künstlerischen Hervorbringungen in Ruhe und Unabhängigkeit studieren. Ich habe ihr Kleingedrucktes gelesen und mit Kardinal Joseph Ratzinger im Großen Amphitheater der Sorbonne über ihre Wahrheit diskutiert. Das Ergebnis war nicht Haß, sondern ruhige, sogar heitere Distanz. Ich bin kein Christ mehr. Hier möchte ich erklären, warum.
Es geht mir, wie gesagt, um die christliche Lehre. Aber schon höre ich den Einwand, das Christentum sei nicht in erster Linie Lehre, sondern Leben. Wo es wirklich Leben ist, werde ich es nicht kritisieren. Aber es ist inzwischen 2000 Jahre alt. Es hatte lange die Macht und konnte zeigen, was es bewirkt. Es ergriff jede Gelegenheit zu erklären, worum es ihm geht. Gleichwohl halten viele Mitmenschen sich für Christen, kümmern sich aber wenig oder gar nicht darum, was das Christentum über sich sagt. Das hat gute Gründe; es ist ihnen nicht vorzuwerfen, daß christliche Lehren das Leben kaum noch erreichen. Aber den Spott Fichtes haben sie verdient, nicht wenige Christen redeten sich und anderen ein, «sie glaubten etwas, wenn man bloß nichts dagegen hat, und es ruhig an seinen Ort gestellt sein läßt.» Die christlichen Kirchen selbst haben sich in ihren drei Hauptformen – östliche Orthodoxie, römischer Katholizismus und protestantische Kirchen – unendlich oft selbst dargestellt. Sie haben Glaubensformeln und Konzilsbeschlüsse, Bekenntnisschriften, Lebensregeln und Rituale geschaffen; Synoden und Lehrämter haben die Lehre des Christentums verbindlich festgelegt. Bis ins 20. Jahrhundert hinein besaß es zudem die Liebenswürdigkeit, der Klarheit halber hinzuzufügen, wer seiner Lehre widerspreche, sei für immer verdammt. Es gebrauchte die Formel der Verwerfung so oft, daß es für sie eine eigene Abkürzung erfand. In älteren theologischen Büchern liest man dann nur a. s., anathema sit, er sei verdammt. Es gab auf die Fragen: «Was wollt ihr denn? Was glaubt ihr?» Antworten im Übermaß.
Die Auskünfte fallen nicht übereinstimmend aus. Der christliche Glaube hat eine Geschichte voller Streit und Divergenzen. Wer heute fragt, was Christen glauben, bekommt hundert Antworten. Aber sie zeigen Gemeinsamkeiten. Und die holen sich die verschiedenen Gruppen aus der fernen Vergangenheit, aus Büchern, die um das Jahr 100 entstanden sind, auch aus Beschlüssen von Kirchenversammlungen des 4. und 5. Jahrhunderts und von Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts. Sie verleugnen das gelegentlich. Sie wollen jünger aussehen als sie sind. Kleine Gruppen brechen Einzelteile aus dem alten Gebäude heraus. Aber sie sagen, sie böten das ‹ursprüngliche› Christentum; auch sie beziehen das christliche ‹Leben› auf ‹Tradition›.
Die Kirchenoberen, die wir am meisten sehen, treten museal auf. Das ist kein Zufall. Sie denken ungefähr so, wie sie sich zeigen – mit Titelpomp wie ‹Seine Heiligkeit›, altertümelnd und exotisch, mit Gewändern und Wortungetümen wie ‹Superintendent›. Das repräsentative kirchliche Leben pflegt seine sklerotisierte Form. Wir sehen mit Vorliebe ältere Herren in urtümlicher Kleidung und hören eine altmodische Sprache. Einige von ihnen fühlen den Druck, die museale Tonart abzulegen. Der eine oder andere Theologe liefert aktualisierte Abschwächungen. Ein frommer Pater spricht Mut zu; er verlegt sich auf Seelenpflege; Lutheraner weichen gern in die Umwelt aus. Aber die Ausbruchsversuche bleiben wie mit Fußfesseln ans Vergangene gebunden. Wer das Christentum der Gegenwart kennenlernen will, kommt um seine altertümelnden Selbstauslegungen nicht herum. Ich bestreite nicht, daß es irgendwo christliches Leben gibt. Mit Papstbegräbnissen und Reformationsjubiläen wird es niemand verwechseln. Auseinandersetzungsfähig sind die historisch vorliegenden Selbstfestlegungen. Daher muß, wer heute über das Christentum nachdenkt, sich oft an alten Bestandstücken orientieren, am besten an dem Glaubensbekenntnis, das Katholiken wie Protestanten feierlich ablegen.
Es liegt nicht an mir, daß das Christentum alt aussieht. Seine Anfänge liegen 2000 Jahre zurück. Natürlich hat es nicht schon deswegen unrecht, weil es antik ist. Die Geometrie ist noch älter. Die griechische Philosophie ebenso. Auch sie hat ihre Traditionslast.
Auch von dieser muß hier die Rede sein, denn Philosophie und Geschichtsforschung haben meine Kinderzweifel am christlichen Glauben großgezogen. Nicht, als hätte ich eine vorhandene antichristliche Philosophie übernommen. Die Infektion geschah subtiler: Philosophen stärkten die in mir aufkeimende Überzeugung, ich sei für meine Ansichten verantwortlich, ich sollte und dürfe sie überprüfen und bewerten. Geschichtsforscher und Gräzisten zeigten mir, wie man genau liest; Philosophen lehrten mich, auch die christlichen Dokumente nach Für und Wider zu durchdenken. Sie machten mir Mut zur Revision von Überzeugungen. Sie schlugen die Zweifel nieder, ob ich, der ich schwankte, es mir überhaupt erlauben dürfe, die feierlichsten Sätze selbständig zu untersuchen. Sie zeigten mir: Gläubige stellen sich genau wie Ungläubige unvermeidlich als urteilendes Ich der Tradition gegenüber. Auch wer sie übernimmt, selbst wer lehrt, kein Erdenwurm dürfe sich beurteilend über Gottes Wort stellen, richtet über sie; er erklärt sie für übernehmenswert und weist andere Traditionen zurück. Nicht christentumsfeindliche philosophische Thesen, die im Umlauf waren, erzeugten die Reibung, sondern ich erzeugte sie selbst. Ich sah mich ermutigt, Weltauslegungen eigenwillig-distanziert zu untersuchen. Nichts, was mir wichtig war, sollte als selbstverständlich gelten, zunächst – die Verbrecher waren noch an der Macht – nichts Politisches, dann nichts vom Schulstoff, nichts aus allen wilden Lektüren und zuletzt nicht die christliche Religion, die mir dazu verholfen hat, mich als ein Ich zu begreifen, das für Wahrheit und Unwahrheit zuständig ist.
Zufälle der Geburt, der Geschichte und der Umgebung, von denen ich erzählen muß, halfen mit; sie machten mein Leben und Denken zu einem individuellen Beispiel für das heutige Verhältnis von Philosophie und Religion. Dies vereinfacht darzustellen ist das Ziel dieses Buches. Ich verschweige nicht die individuelle Konstellation. Sie zu wiederholen ist weder möglich noch wünschenswert. Jeder Leser kann prüfen, was davon er in seine Überlegungen einführt oder abweist. Auf den Zusammenhang von Individualität und Wahrheit komme ich zurück; einleitend gebe ich diese Überlegung Goethes in Dichtung und Wahrheit zu bedenken:
Der Mensch mag seine höhere Bestimmung auf Erden oder im Himmel, in der Gegenwart oder in der Zukunft suchen, so bleibt er doch innerlich einem ewigen Schwanken, von außen einer immer störenden Einwirkung ausgesetzt, bis er ein für allemal den Entschluß faßt, zu erklären, das Rechte sei das, was ihm gemäß ist.
Nicht, als handle es sich beim Sprechen für den christlichen Glauben nur um rein individuelle Seelenaffären. Einiges läßt sich objektiv sagen, sowohl vom Christentum wie von der Philosophie. Um mit der Philosophie zu beginnen: Es läßt sich überprüfbar belegen, daß und wie sie früh in Konflikt trat mit der Götterwelt der Hellenen. Daß sie ihren Bildungsvorrang gegen Dichtung und Religion polemisierend durchsetzte, oft mit rohen Worten:
Heraklit wollte, Homer sollte ausgepeitscht werden. Denn Homers viele, rivalisierende Götter täuschten über die eine, göttlich-naturhafte Realität. Die Griechen müßten umerzogen werden. Die Götter Homers und Hesiods, sagten die frühen Philosophen, seien Erfindungen von Menschen.
Platon kritisierte diese Götter. Seine Philosophie sollte das korrupte Leben Athens korrigieren, das private wie das öffentliche. Sie sollte das richtige Leben durchsetzen, auch gegen volkstümliche Religionsvorstellungen. Notfalls, indem sie diese uminterpretierte. Manche von ihnen enthalten wahre Ahnungen wie die Sprüche des Orakels, aber das Übermaß der Korruption, das zur Hinrichtung des gerechtesten Menschen geführt hat, beweist, daß es an der Zeit ist, begründende Rechenschaft zu geben von lebensleitenden Überzeugungen.
Sokrates hat gezeigt, wie das aussieht: Ein Einzelner sieht sich verantwortlich für das, was er denkt und sagt. Er nimmt sich nicht mehr nur als Produkt seiner Verhältnisse; er stellt sich ihnen gegenüber. Nichts, was lebensbestimmend wichtig ist, steht ihm unbefragt fest, außer, daß er dies alles prüfen muß. Keineswegs will er alles prüfen, wohl aber alles, was allgemein als gut gilt. Diese Prüfung regt einige junge Leute an zu Enthusiasmus, erzeugt aber auch Haß. Sokrates zeigt, wie unsicher die bestehenden Meinungen über das richtige Leben sind; er sucht nach neuen. Diesen Eigensinn nimmt man ihm übel. Er trägt die Kosten des Verfahrens, bis zum Tod.
Der Konflikt bestand schon in vorsokratischer Zeit. Das belegt Heraklits Fragment B 42. Anaxagoras erklärte, Helios, die Sonne, sei kein Gott, sondern ein Haufen glühender Steine. Er griff die herrschende Religion an, um den neuen Anspruch des Wissens gegen die Tradition durchzusetzen. Die Frommen reagierten mit dem Prozess wegen Gottlosigkeit.
Auch Xenophanes sprach distanziert von der Volksreligion. Er relativierte: Die Äthiopier behaupten, ihre Götter seien schwarz und stumpfnasig, die Thraker, sie seien blauäugig und rothaarig (B 16). Oder er argumentierte: Wenn Ochsen, Pferde und Löwen Hände hätten und malen könnten, dann würden die Pferde pferdeähnliche, die Ochsen ochsenähnliche und die Löwen löwenähnliche Götter malen (B 15).
Der Kampf tobte früh. Und mit scharfen Worten. Gerade weil es Gemeinsames gab zwischen Philosophie und Religion. Beide gaben große Themen vor. Sie erzählten, was am Anfang war. Sie nannten Ursprünge und teilten Zeiten ein. Sie gliederten sie nach Epochen: Goldenes Zeitalter, vor dem Fall, nach dem Fall. Dichter, die über die Götter nachdachten, theologêsantes, waren die ersten Philosophierenden. Sie haben Geschichten erzählt, mythoi, und gaben zu denken. Mit solchen Worten berief Aristoteles sich am Anfang seiner Metaphysik auf sie. Sie waren der Anfang, den Philosophen zu achten und zu verlassen hatten. Die Ganzalten gaben Bilder vor, regten an zum Denken über den Kosmos, seinen Ursprung und seine Zukunft, aber das waren für Aristoteles unbeholfene Anfänge.
Die alten Religionen gaben Völkern eine kulturelle Form, sicherten ihre Lebensart, halfen Zusammenbrüche zu überleben. Kein Wunder, daß sie verteidigt wurden. Oft mit Klauen und Zähnen. Daher hebe ich noch einmal die Gemeinsamkeit mit den Philosophen hervor: zunächst die gemeinsame alte Herkunft. Die griechische Religion war älter als die Philosophie. Beide redeten von umfassenden Themen: sie berührten Ethik und Heilkunst, Magie und Naturerklärung; beide beanspruchten private und politische Lebensleitung. Beide traten oft in Konkurrenz. Im Laufe der Neuzeit mußten sie beide bestimmte Kompetenzen abtreten; sie wurden zu Randgebieten, zu Ressorts für Spezielles. So entstand die geschichtliche Situation, vor der heute Religiöse wie Irreligiöse stehen.
Es geht mir um die realgeschichtliche und intellektuelle Situation, in der heute Religion und Religionskritik stehen. Mein Thema ist nicht die Religion im allgemeinen, weder ihr Wesen noch ihre Zukunft. Beides weiß ich nicht. Ich zweifle, ob andere beides oder auch nur eins von beiden wissen. Viele reden heute von der Zukunft des Glaubens; ich kenne sie nicht und rede daher nicht davon. Zwar komme auch ich nicht ohne allgemeine Annahmen über Religionen aus. Das war nicht einmal bei meinen ersten Einleitungsworten der Fall, aber sie waren vorläufig, mehr experimentell formuliert. Sie kommen auf den Prüfstand. Und es geht nicht um meine Ausgangsformeln, nicht um den allgemeinen Begriff von Religion, sondern ums Christentum, weil es die einzige Religion ist, die ich umfassend aus den Quellen und als Realität in der heutigen Welt kenne. Ich will wissen, ob ich Gründe habe, sie als wahr anzuerkennen oder nicht. Ich äußere mich zwar zum Konzept von Wahrheit, das dabei mitspielt, aber nicht zum allgemeinen Begriff von Religion.
Dieser Einschränkung liegt folgende Beobachtung zugrunde: Wer erst einen allgemeinen Begriff der Religion entwickelt und dann übergeht zur Bewertung einer einzelnen, z.B. des Christentums, arbeitet aus zwei oder drei historischen Religionen gemeinsame Merkmale heraus. Er entwickelt sie z.B. anhand ihrer Ethik oder beschreibt ihre Sprache. In der Regel kennt er nur eine oder zwei Religionen gründlich; dann beruhen solche ‹Wesensbeschreibungen› der Religion auf fragwürdig-bruchstückhaften Tatsachenannahmen, oft auf schwachen Sprachkenntnissen. Die so gewonnene Definition von Religion enthält oft verborgen eine begünstigende oder eine distanzierende Religionsbeschreibung; wer sie dann aufs Christentum anwendet, erhält leicht das erwünschte Resultat. Ich traue bei historischen Gegenständen solchen generellen Phänomenbeschreibungen nicht. Sie fingieren Neutralität.
Was ‹Wahrheit› in meinen Sätzen bedeutet, das kann und muß ich theoretisch begründen; aber was beispielsweise der Islam ist und wie eine vorfabrizierte Religionsdefinition auf ihn paßt, das fordert langes Studium, das selbst Islamwissenschaftlern nicht durchweg gelingt, teils weil sie von ihren westlichen Vorannahmen nicht loskommen, teils weil sie das Selbstverständnis nur einzelner Gruppen für das Islamische halten, teils weil sie die Entstehung des Islam nicht als ihre Forschungsaufgabe sehen. Dies würde syrische, aramäische und vermutlich noch andere Sprachkenntnisse sowie archäologische und numismatische Studien voraussetzen. Also beschränke ich mich aufs Christentum. Dieses hat bekanntlich allein schon viele, teils sich widersprechende Formen. Darauf komme ich bald zu sprechen.
Zuvor noch ein kurzes Wort zur Art meiner Untersuchung: Sie dient meiner Selbstverständigung und bleibt philosophisch, auch wo sie theologische Themen berührt. Da das Christentum ein historischer Gegenstand ist, nehme ich alles Historische genau. Ich gehe von den gegenwärtigen Präsentationen des Christentums auf die alten Glaubensbekenntnisse und teilweise auch auf die Bibel zurück. Es soll das Bild einer geschichtlichen Bewegung entstehen, nicht das einer abstrakten, mir entgegenstehenden These. Ich argumentiere überprüfbar, philologisch, ohne mich in die Einzelheiten zu vertiefen, die bei Spezialuntersuchungen nötig sind. Aber ohne Details geht es nicht. Das philosophische Denken wird nicht gründlicher, wenn es sich keine präzisen Wahrnehmungen verschafft. Wahrnehmungen muß man sich verschaffen; die Objekte fallen nicht in uns hinein. Gewiß gibt es Leute, die sich zu viele Wahrnehmungen verschaffen, die nur sammeln und wenig denken. Ich versuche Philosophie mit Historie zu verbinden; also über Wahrheit nachzudenken, ohne wichtige Texte der Bibel oder Entwicklungen im Denken Augustins oder Luthers zu übersehen. Ich will die Quellen des christlichen Denkens genau lesen und fragen, wo heute für mich einlösbare Wahrheitschancen liegen. Ich will als Philosoph aus Interesse an Wahrheit historisch exakt über das Christentum als geschichtlich vorgegebene Serie von Komplexen sprechen. Wer historisch arbeitet, legt nicht seine Herzensangelegenheiten in die Dokumente der christlichen Religion. Skepsis verdienen philosophierende Autoren, die erst das Christentum verändern, verbessern, also reformieren wollen, um es dann von ganzem Herzen zu bejahen. Sie sagen, das Kirchenchristentum verstehe seine eigene Intention nicht recht. Diese müsse man ihm klarmachen, und dann werde es zur Religion der Zukunft, deren Stunde jetzt schlage. Meist wollen sie ihm das buchstäbliche Selbstverständnis abgewöhnen. Sie hätten es gern freier, bildlicher, und menschlicher; sie halten nur das von ihnen ausgedachte Christentum für das wahre. Solche Philosophen, die auch Theologen sein können, wollen eigentlich eine andere Kirche gründen. Aber das ist nicht die Aufgabe von Philosophen; das gelingt außerdem nicht.
Ein Beispiel solcher Wohlgesinnter ist Gianni Vattimo. Er liebt seine katholische Kirche und will sich nicht von ihr trennen. Nur soll sie anders über Frauen und Homosexuelle denken als sie es tut. Vattimo verlangt noch mehr von ihr: Sie soll den ‹Objektivimus› ihres Wahrheitskonzepts aufgeben und eine neue Auslegung ihrer Botschaft erlauben. Sie soll ihre Dogmen metaphorisch deuten.
Es sieht nicht danach aus, als wolle die römische Kirche Vattimos Wünsche erfüllen. Sie waren schon 1965 illusionär. Die Frage ist, ob sie das überhaupt könnte, wenn sie es selbst wollte. Vattimo kommt mir vor wie ein freundlicher und sensibler junger Mann, der aus Familientradition in einen Anglerverein geraten ist – es gibt übrigens in Deutschland noch Fischerzünfte, in die man hineingeboren wird und in die kein Fremder kommt –, der aber dann seine Sympathie für Fische entdeckt und vorschlägt, der Anglerverein soll sich in Zukunft mit dem Häkeln von Tischdeckchen statt mit dem Töten von Fischen befassen. Ich bewundere die seelische Feinheit solcher junger Männer, aber Erfolgsaussichten versprechen kann man ihnen nicht. Ihr Herzenswunsch beweist noch keine besondere philosophische Qualifikation. Philosophisch kohärent wäre, den Anglerverein zu verlassen, ohne ihn zu verfluchen, denn er zeigt nur das übliche Beharrungsvermögen, dem alte Vereine ihren Fortbestand verdanken.
«Wenn man’s so hört,
möcht’s leidlich scheinen,
Steht aber doch immer schief darum;
Denn du hast kein Christentum.»
Margarete zu Faust, Goethe, Faust I,
Marthens Garten, Vers 346ff.
Wer sagt, er sei kein Christ, muß wohl hinzusagen, was er unter ‹Christsein› versteht. Das ist gar nicht so leicht. Denn es gibt nicht das Christentum, sondern Christentümer. Zum Glück brauche ich nicht zu entscheiden, wer das Recht hat, sich ‹Christ› zu nennen. Der Titel scheint begehrt und sein Besitz umstritten zu sein. Ich möchte nur sagen, in welchem Sinn von Christsein ich keiner bin.
Das Wort ‹Christ› läßt sich verschieden auslegen. Mancher Mann gilt schon als ‹Christ›, weil er keine Schecks fälscht und seine Frau nicht schlägt. Andere verstehen unter einem ‹Christen› einen Menschen, der sich um seine Nächsten sorgt. Das ist schon besser, reicht aber nicht. Es gibt eine Palette von weiterführenden Bestimmungen, ich gehe von der einfachen zur vollständigeren.
Mancher nennt sich ‹Christ› und verbindet damit die Minimalvorstellung, Gott meine es gut mit ihm oder überhaupt mit den Menschen. Frage ich ihn, was das mit Christus zu tun habe, fügt er vielleicht hinzu, Christus habe die Botschaft gebracht, daß Gott nicht zornig sei und keine blutigen Opfer verlange; Gott sei gütig, sogar die Liebe selbst. Ein Christ wäre demnach ein metaphysischer Optimist; sein Glaube bestünde darin, daß er auf die Güte Gottes baut.
Ein zweiter Typus von Christ vertraut auf Gott und erhofft nach dem Tod ein besseres Leben in einer gerechteren Welt. Er fügt seinem Glauben die Jenseitshoffnung hinzu und das Motiv der Gerechtigkeit, wenn nicht für dieses Leben, dann doch fürs Jenseits. Auf Befragen antwortet er vielleicht, er nenne sich ‹Christ›, denn Christus habe ihm den Zugang zu Gott eröffnet.
In dritter Version sagt ein Christ: Er glaube der Bibel. Er nehme an, Gott habe die Welt erschaffen. Vielleicht nicht in sechs Tagen, aber immerhin habe er dem Menschen eine hohe Stelle zugedacht. Er behaupte nicht, die Geschichten von Adam und Eva erzählten den faktischen Anfang der Menschheitsgeschichte; er verstehe sie ‹bildlich›. Er wisse nicht, ob die Menschheit von einem einzigen Paar abstamme. Fragt man, was diese Ansicht mit Christus zu tun hat, dann antwortet er vielleicht, Christus habe dies bestätigt und uns gelehrt, zum Schöpfergott ‹Vater› zu sagen. Ihm verdankten wir ein vertrautes, ein vertrauliches Verhältnis zum Schöpfer.
Eine vierte, nun schon sehr besondere Gruppe gibt Gründe an, warum sie mit Recht glaube. Sie verteidigt ihre Orthodoxie, ihre Rechtgläubigkeit. Heute sagt sie es nicht mehr so laut, aber sie denkt, Muslime glaubten leichtfertig, Christen glaubten mit guten Gründen. Für die Glaubwürdigkeit dieses christlichen Glaubens weiß sie sich im Besitz sicherer philosophischer und historischer Beweise. Diese dienten als rationale Hinführung zum Glauben. Sie nennt sie praeambula fidei. Darunter versteht sie zwei Gruppen von Beweisen, die das Christentum glaubwürdig machten: Die erste Gruppe bildeten die philosophischen Argumente, mit denen die natürliche, allgemeinmenschliche Vernunft beweise, daß Gott ist und daß die Seele den Tod übersteht. Die zweite Gruppe beweise historisch, daß Gott sich de facto in Christus offenbart hat.
Nicht nur Katholiken stützten den christlichen Glauben durch philosophische Argumente für Theismus und Seelenunsterblichkeit. Das taten auch Muslime, sobald sie mit der griechischen Philosophie vertraut wurden. Auch Protestanten betrieben bis etwa 1800 ‹natürliche Theologie›, die sich auf rationale Einsichten berief. Ich erinnere nur an Leibniz, gestorben 1716. Auch Kant brach nicht in letzter Konsequenz mit dieser Tradition. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde sie zunehmend zum Sondergut der römischen Katholiken. Das Erste Vatikanische Konzil behauptete sie als verbindliche christliche Lehre und dekretierte, die rechte Vernunft beweise die Grundlagen des Glaubens, cum recta ratio fidei fundamenta demonstret.[1] Diese Position stützte sich sowohl auf Philosophie wie auf Geschichtsforschung. Sie rechtfertigte den Glauben mit philosophischen und historischen Argumenten.
Die fünfte Ansicht ist der soeben genannten entgegengesetzt. Diese Christenart verlangt für ihren Glauben keine Beweise; sie beruft sich auf ihr Herz und ihr Gefühl. Sie nimmt an, es gebe keine sicheren Beweise zugunsten der Glaubensentscheidung, der Christ wage den Sprung des Glaubens.
Diese Theorie entstand als Ablehnung der Religionsphilosophie des deutschen Idealismus und verbreitete sich im Lauf des 20. Jahrhunderts besonders unter protestantischen Theologen. Der Gott der Philosophen war bei ihnen in Verruf geraten; die Metaphysik der unsterblichen Seele galt als überholt; sie haben im November 1918 mit Wilhelm II