image

Gerhard Schreiber

DER
ZWEITE WELTKRIEG

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

image

Zum Buch

Der Zweite Weltkrieg bildet die entscheidende Zäsur der Weltgeschichte im 20. Jahrhundert. Dieses Buch bietet einen Überblick über die Ursachen, die Vorgeschichte und den Verlauf des Krieges von der Einverleibung der Mandschurei durch Japan 1931 bis zum Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki 1945. Es schildert aus konsequent globaler Sicht nicht nur die Kriegsziele der großen Mächte und ihre militärischen und politischen Strategien, sondern behandelt ebenso die schrecklichen Verbrechen, die im Kontext dieses Krieges möglich wurden: vom Genozid an den Juden, Sinti und Roma bis zu den bisher kaum berücksichtigten Greueltaten in Ostasien. Auf dem neuesten Forschungsstand führt dieses Buch in alle wichtigen Aspekte der Geschichte des Zweiten Weltkriegs ein.

Über den Autor

Gerhard Schreiber war viele Jahre Mitarbeiter am Militärischen Forschungsamt in Freiburg. Er hat zahlreiche Publikationen zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs vorgelegt und war Gutachter in Kriegsverbrecherprozessen in Deutschland und Italien. Bei Beck erschien von ihm „Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Täter – Opfer – Strafverfolgung“ (1996).

Meinem akademischen Lehrer
Klaus-Jürgen Müller
in dankbarer Verbundenheit

Inhalt

    I. 1918 – Hinterlassenschaft Weltkrieg?

   II. Der lange Weg in den Krieg

1. Warnende Vorzeichen

2. Das Schicksalsjahr 1938

3. Der Entschluss zur Aggression

4. Die Kriegsentfesselung

  III. Nebenkriege, die nichts entscheiden

1. Der polnische Krieg

2. Zwischenspiele in Skandinavien

3. Der Westfeldzug

  IV. Weichenstellungen für Hitlers Hauptkrieg

1. Deutschlands Wendung nach Osten

2. Großbritannien in der deutschen Strategie

3. Dreimächtepakt und Kontinentalblock

4. Japans Annäherung an den Krieg

5. Zur britisch-amerikanischen Militärallianz

6. Exkurs zum Bombenkrieg

7. Italiens Großmachtanspruch und die Realität des Kriegs im Mittelmeerraum

   V. Werden und Wesen des Weltkriegs

1. Der „Fall Barbarossa“

2. Verbrecherische Kriegführung und Völkermord

3. Weltpolitische Entscheidungen im zweiten Halbjahr 1941

4. Pearl Harbor – der Beginn des Weltkriegs

5. Japans Expansion in die strategische Sackgasse

6. Gräuel des Kriegs im Fernen Osten

7. Wechsel der militärischen Initiative in Europa und Afrika

  VI. Wege zum totalen Sieg

1. Die „zweite Front“ in Italien

2. Der „Große Krieg“ als strategische Einheit

3. Kriegsende in Europa

4. Finale im Fernen Osten

 VII. Das Erbe des Zweiten Weltkriegs

VIII. Nachwort

Literaturhinweise

Personenverzeichnis

I. 1918 – Hinterlassenschaft Weltkrieg?

Endete 1945 ein zweiter Dreißigjähriger Krieg? Zuweilen wird die Frage bejaht. Die Weltkriege und die Zwischenkriegszeit stellen sich aus solcher Sicht als ein Ganzes dar, und der Ausklang des „Großen Kriegs“ hätte demnach in sich geschlossen, was gut zwanzig Jahre später begann. Eine These, die im geschichtlichen Rückblick durchaus zu faszinieren vermag. Nur ist die behauptete ursächliche Vorbestimmtheit ahistorisch – unbeschadet der Tatsache, dass unter anderem gesellschaftliche, ideologische und politische Phänomene Verbindungspunkte zwischen 1914 und 1939 schufen, wie etwa der von Berlin, Rom und Tokyo vertretene Revisionismus. Er wandte sich gegen den Status quo, den die Sieger des Weltkriegs 1919/20 für Europa festgelegt, und welchen die an der Washingtoner Konferenz (12.11.21 bis 6.2.22) teilnehmenden Staaten durch mehrere Abkommen für den Fernen Osten vereinbart hatten.

Den Regierungen des geschlagenen, doch nicht substantiell geschwächten Deutschen Reichs lag in diesem Kontext bis 1933 vorrangig an der weitestgehenden Außerkraftsetzung des Versailler Friedensvertrags vom 28. Juni 1919. Für Angehörige der traditionellen Führungseliten, die mit dem großdeutschen Reichsmythos den Anspruch auf die Führung Europas aufrechterhielten, beschrieb all das freilich lediglich ein Nahziel.

Italien und Japan zählten zu den Siegern, gleichwohl enttäuschte sie der Frieden, beide wünschten umfangreiche Nachbesserungen. Gewiss, anders als Hitlers Deutschland, das die Staatenwelt umwälzende, globale machtpolitische Ziele verfolgte, strebten Rom sowie Tokyo nach regionaler Hegemonie, aber auch sie beinhaltete Unterdrückung und Ausbeutung.

Insgesamt gesehen formte sich seit Anfang der dreißiger Jahre eine krisenanfällige Weltordnung aus. Ihre konfliktäre Beschaffenheit offenbarte sich in Ostasien, im Mittelmeerraum und in Süd- sowie Osteuropa. Augenscheinlich blieben Kriege ein Mittel der Politik. Weder der Völkerbund noch der Briand-Kellogg-Kriegsächtungspakt vom 27. August 1928 änderten daran etwas. Andererseits steht fest, dass nach 1918 keine Regierung einen neuen Weltbrand herbeizuführen beabsichtigte. Um ihn zu verwirklichen, bedurfte es des fatalen 30. Januars 1933, an dem reaktionäre Kräfte Adolf Hitler mitsamt seinen Wahnideen in Deutschland an die Macht brachten. Das berührt noch einmal die eingangs gestellte Frage.

Die Politik des nationalsozialistischen Reichskanzlers war aus einem Guss, beseelt vom Willen zum Krieg. Mittelfristig zielte sie auf die Eroberung von Lebensraum im Osten und die Errichtung eines Kontinentalimperiums. Manches von dem, was der „Führer“ diesbezüglich sagte, mutet vertraut an. In Wahrheit ging es ihm jedoch um eine rassistische Neuordnung des Kontinents und einen Machtanspruch, der die Gewalt umfasste, zu bestimmen, wer überhaupt und wie in seinem Europa leben durfte. 6.850.000 Juden, Sinti, Roma und deutsche „Defektmenschen“ fielen jener Anmaßung zum Opfer.

Derartiges sprengte den Rahmen, in dem Kulturvölker ihre Kriegsziele herkömmlicherweise absteckten, und schließt es definitiv aus, den Zweiten Weltkrieg als Hinterlassenschaft des „Großen Kriegs“ einzuordnen. Hitlers und seiner Paladine eigentliches Wollen besaß in der – von entsetzlichen Ereignissen belasteten – Geschichte des christlichen Abendlands keine Tradition.

II. Der lange Weg in den Krieg

Die Staatenwelt erlaubte es Hitler, bis 1938 auf einer Erfolgswelle zu schwimmen, obwohl er ein Unrechtsregime errichtete, das ab 1933 Tausende von politischen Gefangenen in Konzentrationslager sperrte, die Juden ausgrenzte, entrechtete und enteignete sowie Hunderte von ihnen bis Ende 1938 ermordete. Ihm kam zugute, dass Regierungen die staatliche Souveränität prinzipiell anerkennen; wovon im Übrigen auch Benito Mussolini, der faschistische Regierungschef Italiens, und die radikalen japanischen Imperialisten profitierten.

Dennoch ist zu fragen, warum die Westmächte der militanten Expansion der Aggressoren erst so spät Widerstand entgegensetzten. Ausschlaggebend waren wohl Bedenken, die dem Volk verantwortliche Politiker hegen, wenn über den in der Regel moralisch bestreitbaren, politisch und militärisch risikoreichen, stets kostspieligen Einsatz letzter Mittel zu befinden ist. Außerdem erinnerten sich Briten und Franzosen an ihre 2.400.000 Gefallenen sowie 5.200.000 Verwundeten im Ersten Weltkrieg. Anders als Diktaturen, die beliebig handeln, sind demokratische Regierungen einem realpolitischen Imperativ verpflichtet: Zu tun ist, was im nationalen Interesse liegt.

1. Warnende Vorzeichen

Die sich in den meisten Ländern von 1929 bis 1933 auswirkende konjunkturelle und die danach noch fortdauernde strukturelle Krise der Weltwirtschaft brachten soziale sowie ökonomische Verwerfungen, förderten das Autarkiestreben und verführten zur arbeitsintensiven Aufrüstung.

Aus solchem Blickwinkel ist die 1931 beginnende japanische Besetzung der Mandschurei zu sehen. Ein Jahr später zählte die reiche chinesische Provinz, als Satellitenstaat Mandschukuo, zu Japans Machtbereich. Das rohstoffarme, dicht bevölkerte und exportabhängige Kaiserreich verfügte damit über Bodenschätze, Siedlungsraum und einen großen Absatzmarkt.

Washington, London und Paris wähnten ihre handelspolitischen und kolonialen Belange nicht bedroht, sie reagierten daher zurückhaltend. Hingegen schloss Generalsekretär Josef W. Stalin, der die Gefahr eines Zweifrontenkriegs mit den Revisionisten erkannte, am 25. Juli mit Warschau sowie am 29. November 1932 mit Paris Nichtangriffsverträge ab.

Der Völkerbund unternahm einen Schlichtungsversuch. Japan sollte, sofern es Chinas Oberhoheit in der Mandschurei akzeptierte, dort weitgehenden Einfluss behalten. Trotzdem lehnte Tokyo ab und trat, am 24. Februar des Angriffskriegs beschuldigt, am 27. März 1933 aus dem Völkerbund aus. Im Endeffekt blieb der Angreifer unbestraft.

Das Ergebnis dieser Herausforderung des Völkerbunds ermutigte Mussolini und Hitler. Letzterem ging es nach dem Regierungsantritt zunächst um die absolute Macht im Innern, die er ab August 1934 besaß, den ökonomischen Aufschwung, der sich zum Wirtschaftswunder zu entwickeln schien, und den Aufbau einer modernen, den anderen Mächten überlegenen kriegsfähigen Wehrmacht. Um das dritte Ziel nicht zu gefährden, steckte er außenpolitisch einen Kurs ab, der es gestattete, die schon in der Weimarer Republik begonnene geheime Aufrüstung solange fortzusetzen, bis die eigene militärische Stärke das Risiko von Sanktionen, das der Ausbau der Streitkräfte mit sich brachte, stark verringerte.

Dem entsprach die auswärtige Politik bis 1935, obwohl die Deutschen am 14. Oktober 1933 viel wagten: Sie verließen die Genfer Abrüstungskonferenz, deren Verlauf ihre Geheimrüstung in Gefahr brachte, und zogen aus dem Völkerbund aus. Da die Großmächte vor politischen Verwicklungen zurückschreckten, blieben Berlin nachteilige Folgen erspart.

Hitler, der grundsätzlich bilaterale Abmachungen vorzog, war somit nicht mehr in das System kollektiver Konfliktlösung eingebunden. Nach dem aufsehenerregenden Abschluss des Konkordats mit der Kurie (20.7.33) bedeutete der deutsch-polnische Nichtangriffsvertrag (26.1.34) erneut einen großen Erfolg. Der Pakt, der die Lage an der Ostgrenze entspannte, gehörte für den Diktator zur Vorbereitung des Kriegs gegen die Sowjetunion. Aber trotz des Übereinkommens mit Warschau geriet das Regime 1934 in außenpolitische Schwierigkeiten. Als Nazis am 25. Juli 1934 den österreichischen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ermordeten, drohte kurzzeitig sogar ein bewaffneter Konflikt mit dem ideologisch verwandten Italien.

Beruhigung hätte der 1. März 1935 bringen können, an dem das Saargebiet ins Reich zurückkehrte. Hitler nutzte das Ereignis jedoch nicht, um einzulenken, vielmehr beantwortete er das korrekte Verhalten des Völkerbunds bei der Volksabstimmung an der Saar (13.1.35) mit weiteren Vertragsverletzungen. Am 9. März wurde der Aufbau der Luftwaffe enttarnt, am 16. die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht bekanntgemacht. Es kam zu Reaktionen. Frankreichs Ministerpräsident Pierre-Etienne Flandin, Englands Premierminister James Ramsay MacDonald und Mussolini berieten (11. bis 14.4.35) in Stresa über Gegenmaßnahmen. Ihre Abschlusserklärung fiel eindeutig aus. Auch der Völkerbund verurteilte das deutsche Vorgehen. Im Mai unterschrieben Prag, Paris und Moskau Beistandsverträge. Zeichnete sich ein internationaler Abwehrblock ab, die von Hitler be- und gefürchtete „Einkreisung“?

Der Schein trog, denn London, das seine sich ankündigende Gefährdung durch Deutschlands See- und Luftrüstung begrenzen wollte, schloss am 18. Juni mit Berlin ein Flottenabkommen. Zwar sicherte dieses der Royal Navy auf absehbare Zeit eine beruhigende Überlegenheit, aber die Deutschen, die Großbritannien langfristig als Gegner anvisierten, störte das nicht weiter, schließlich konnten sie in den folgenden Jahren vertragstreu ein Rüstungsniveau erreichen, das es ihnen gestatten würde, bei Folgeverhandlungen ihre Seestreitkräfte als Druckmittel einzusetzen.

Mussolini wechselte ebenfalls den Kurs. Er wollte der seit ihrem Entstehen im 19. Jahrhundert instabilen italienischen Großmacht echte Stärke zuwachsen lassen: durch Expansion im mittelmeerischen Raum. Die Zielpunkte lagen im adriatisch-balkanischen Gebiet sowie in Nord- und Ostafrika, wo das Regime einen Krieg gegen das Völkerbundsmitglied Äthiopien vorbereitete. Trotzdem gaben die Franzosen im Januar 1935 grünes Licht für die Aggression. Die Engländer sperrten sich jedoch.

Erst jetzt näherte sich der „Duce“ dem „Führer“, der ihn ermutigte. Italiens Bindung in Afrika ermöglichte es nämlich, den deutschen Einfluss im anzuschließenden Österreich und im außenwirtschaftlich wichtigen Südosten, wo Berlin die Vormacht anstrebte, zu festigen. Ein langer afrikanischer Krieg diente also den eigenen Interessen, was Hitler bewog, beide Parteien insgeheim durch Waffenlieferungen zu unterstützen.

Ohne Kriegserklärung marschierten annähernd 500.000 Soldaten am 3. Oktober 1935 von Somalia und Eritrea aus in Äthiopien ein, das etwa 250.000 Mann zu mobilisieren vermochte. Es begann ein ungleicher Krieg, bei dem die Italiener rund 340 Tonnen Giftgas einsetzten. Sie beklagten 9000, die Äthiopier – mit Zivilisten – 275.000 Opfer. Am 5. Mai 1936 kapitulierte Addis Abeba, woraufhin Rom das „Impero“ proklamierte. Der Konsens zwischen dem faschistischen Regime und der italienischen Bevölkerung erreichte seinen historischen Höhepunkt.

Im äthiopischen Fall verhängte der Völkerbund im November 1935 Sanktionen. Dass sie Italien nicht in die Knie zwangen, verdankte Rom dem unterschiedslosen materiellen Profitstreben der Mächte. Und im Juli 1936 wurde jedem Land freigestellt, den in Ostafrika gewaltsam herbeigeführten Zustand anzuerkennen – eine politische sowie moralische Bankrotterklärung.

Die durch Mussolinis Krieg bewirkte internationale Lage ausnutzend, marschierte die Wehrmacht am 7. März 1936 ins entmilitarisierte Rheinland ein. Deutsche Kommissstiefel zertrampelten den am 1. Dezember 1925 unterzeichneten Vertrag von Locarno, der den Frieden sicherer gemacht und die Verständigung zwischen Paris und Berlin auf den Weg gebracht hatte. Hitlers Coup war gewagt, aber für den von ihm geplanten Krieg benötigte er das Rekruten- sowie Rüstungspotential des Ruhrgebiets und eine Verteidigungslinie direkt vor der Grenze zu Frankreich. Erneut ging seine Rechnung auf. London machte gute Miene zum bösen Spiel, und Paris, das gern etwas unternommen hätte, traute sich allein nicht. Die Verurteilung durch den Völkerbund? Ritual!

Deutschlands Propaganda feierte die Remilitarisierung des Rheinlands – bedeutsame Weichenstellung auf dem Weg in den Krieg – als Erringen der „Rüstungsfreiheit“. Mit einem Vierjahresplan (September 1936) beabsichtigte das NS-Regime, die Rüstung zu intensivieren und effizienter zu machen. Das tatsächlich Gewollte brachte eine Denkschrift Hitlers auf den Punkt: Binnen vier Jahren sollte die Wirtschaft kriegs- und die Wehrmacht einsatzfähig sein.

Der Spanische Bürgerkrieg, der am 17. Juli 1936 mit dem Umsturz nationalistischer Offiziere begann und am 28. März 1939 mit ihrem Sieg endete, stellte die Handlungsfähigkeit der Staatenwelt erneut auf die Probe. Aus ideologischen, militärischen, wirtschaftlichen und außenpolitischen Gründen unterstützten Berlin sowie Rom die Putschisten. Der Republik standen Moskau und die internationalen Brigaden bei, in denen Männer und Frauen aus 53 Nationen kämpften. Rund 500.000 Leben kostete der barbarische Krieg. Gefangene wurden massakriert, Frauen vergewaltigt und Männer entmannt. Es kam zu Exzessen und Erniedrigungen jeder Art – auch mit dem Segen der Kirche, falls es sich bei den Opfern um Kommunisten handelte.

Die spanische Tragödie bestärkte die Revisionisten in ihrer Geringschätzung der Demokratien. Hitler ging erstmals auf Distanz zu seinem früheren Wunschpartner. Am 25. Oktober 1936 wies er, bei der Unterzeichnung der deutsch-italienischen Protokolle, Außenminister Graf Galeazzo Ciano auf die Notwendigkeit eines antibritischen Offensivbündnisses hin. Ein Jahr später waren die Briten für ihn „Hassgegner“. Mussolini feierte die Vereinbarungen, die eine engere Kooperation begründeten und sein Land bündnispolitisch aufwerteten, am 1. November 1936 als Achse Berlin-Rom. Damals entstand zudem der ursprünglich gegen Moskau gerichtete, essentiell auf London zielende Antikominternpakt, den Berlin am 25. November 1936 mit Tokyo abschloss. Rom trat dem Abkommen am 6. November 1937 bei und fünf Wochen danach aus dem Völkerbund aus.

Als das weltpolitische Dreieck Berlin-Rom-Tokyo Gestalt annahm, tobte in Asien ein von Japan im Juli 1937 ausgelöster Krieg. Es ging um wirtschaftliche Großraumplanung, und China sollte dabei Tokyos „Neue Ordnung“ aufgezwungen werden. Im Frühjahr 1939 erstarrten die Fronten. Die Invasoren hielten zu jener Zeit 1.700.000 km2 in Nord- und Mittelchina besetzt, aber die Verteidiger entzogen sich geschickt der Vernichtung. Zudem verbündeten sich die Kommunisten Mao Tsetungs und die Nationalchinesen Chiang Kaisheks, obwohl zutiefst verfeindet, zur Abwehr der Aggressoren. Auch in der durch Flächenbombardierungen und Gräueltaten terrorisierten Bevölkerung – die Eroberer massakrierten allein in Nanking im Dezember 1937 rund 200.000 Chinesen – wuchs der Widerstand.

Alle Regierungen wussten um die Massentötungen von Kriegsgefangenen, die systematischen Vergewaltigungen und die vielen anderen Bestialitäten. Die Scheußlichkeit der Verbrechen entsetzte die Welt, aber keine Macht griff ein. Nur die Zeit arbeitete für China, denn die japanischen Falken manövrierten sich zunehmend ins weltpolitische Abseits.

2. Das Schicksalsjahr 1938

Hitler wiederum änderte 1938 seine Ostasienpolitik. Er opferte den wirtschaftlich wichtigen Chinahandel und anerkannte Tokyos Hegemonialstellung. Das passte zu der 1936 eingeleiteten bündnispolitischen Neuorientierung. Durch die verstärkte Zusammenarbeit mit Japan sollten die Westmächte und die Sowjetunion zur Zurückhaltung gegenüber dem Reich bewegt werden, das sich – im Windschatten der Kriege in Europa und Asien – anschickte, jenen zentraleuropäischen Machtkern zu schaffen, der als Vorstufe der Kontinentalherrschaft galt.

Dazu gehörte der am 13. März 1938 vollzogene Anschluss von Österreich. Er brachte Deutschland Produktionskapazitäten, Energiereserven, Rohstoffe, Facharbeiter sowie Gold und Devisen, wovon Wien 1938 fast doppelt soviel besaß wie Berlin. Geostrategische Positionsverbesserungen traten hinzu: direkter Zugang zum Südosten und Einkreisung der Tschechoslowakei.

Seit 1937 beurteilte Hitler dieses wehrwirtschaftlich bedeutende Land in erster Linie unter dem Aspekt eines Westkriegs, bei dem es eine Gefahr im Rücken der Wehrmacht darstellte. Am 30. Mai befahl er den Generälen, ab 1. Oktober 1938 für die „Zerschlagung“ der Tschechoslowakei bereit zu sein. Außenpolitische Isolierung und Destabilisierung im Innern sollten dafür die Voraussetzungen schaffen. Als Vehikel diente ihm die deutsche Minderheit, organisiert in der Sudetendeutschen Partei. Am Ende gelang es, eine Krise in Gang zu setzen und bis zur Kriegsgefahr zu steigern. Premierminister Arthur Neville Chamberlain traf sich daraufhin am 15. September mit Hitler auf dem Obersalzberg, um eine Lösung des sudetendeutschen Problems zu finden. Danach bewegten Briten und Franzosen die Tschechen dazu, Gebiete, in welchen der Anteil der Deutschen an der Bevölkerung mehr als die Hälfte betrug, an das Reich abzutreten. Das Treffen in Bad Godesberg (22. bis 24.9.) schien unter einem guten Stern zu stehen. Es endete hingegen mit einem Eklat. Hitler konfrontierte Chamberlain ultimativ mit neuen, unerfüllbaren Forderungen. Er wollte den Krieg! Eine Handvoll deutscher Offiziere sowie Diplomaten erkannte das und versuchte, ihn an seinem Vorhaben zu hindern – anlässlich der Sudetenkrise formierte sich erstmals ein nennenswerter, im Hinblick auf Motive und Zielsetzungen freilich sehr uneinheitlicher Widerstand.

Paris, London und Prag (letzteres schon am 23. September) leiteten Mobilmachungsmaßnahmen ein. Auf deutscher Seite bezogen sieben Angriffsdivisionen ihre Ausgangsstellungen. Europa stand am Rande der Katastrophe. Angesichts dieser Gefahr übernahm der „Duce“ als Strohmann deutsch-britischer Geheimdiplomatie die Vermittlerrolle. Engländer, Franzosen, Italiener und Deutsche trafen sich Ende September 1938 in München, um einen Ausweg zu suchen. Das gelang – zu Lasten der Tschechoslowakei! Die Resultate der Konferenz schwächten das Land wirtschaftlich, bewirkten seine innere Auflösung und machten es verteidigungsunfähig, weil der Festungsgürtel in den Sudetengebieten verloren ging. Dagegen erhielt das Dritte Reich ein weiteres Mal Industriekapazitäten, Rohstoffe, Energievorräte und Facharbeiter. Unter machtpolitischen und großraumwirtschaftlichen Aspekten fiel ins Gewicht, dass Berlin nach der Einverleibung Österreichs und des Sudetenlands eine wachsende Anziehungskraft auf südosteuropäische Länder ausübte.

Hitler hat der Ausgang des Treffens trotzdem enttäuscht. Er hätte eine kriegerische Lösung bevorzugt: Nicht zuletzt deshalb, weil er begriff, dass das Vorgehen der Appeasementpolitiker, die sich der Beschwichtigung ebenso bedienten wie der Abschreckung und inzwischen den Rüstungsvorsprung der Wehrmacht verkürzten, nicht unbedingt Schwäche ausdrückte.

Dass London und Paris das Schweigen der Waffen 1938 teuer erkauften, widerspricht dem nicht. Glaubte man doch, das Münchener Abkommen (30.9.38) hätte den Krieg verhindert und garantierte den Zustand, den gerade die Briten für die Wahrung ihrer Weltmachtstellung sowie die Sicherung des Empires benötigten. Deshalb erschien der Preis annehmbar. Appeasement war eben keine Spielart des Altruismus, sondern eine pragmatische Strategie im Dienste nationaler Interessen, die mit politischen und wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen auf die Herausforderung durch die Aggressoren antwortete. Sie bezweckte, diese in das Regelwerk internationaler Konfliktlösung einzubeziehen und so zu kontrollieren. Chamberlain glaubte, das erreicht zu haben. Was er nicht ahnte – Hitler hatte Mussolini noch vor Konferenzbeginn mitgeteilt, dass der Krieg gegen Briten und Franzosen unvermeidbar sei. Der Diktator unterstellte damals, dass ihm die britische Regierung, obwohl sie seit November 1937 einen Interessenausgleich anbot, weiterhin die freie Hand auf dem Kontinent verweigern würde. Demgemäß agierte er. Drei Wochen nach München erfolgte sein nächster Wortbruch.

Ab dem 21. Oktober planten die Militärs die „Erledigung der Resttschechei“ und die „Inbesitznahme des Memellandes“. Wiederum blieb ihnen der Kampf erspart. Litauen musste die ultimativen Forderungen erfüllen, deutsche Truppen marschierten am 23. März ins Memelgebiet ein. Gegenüber Prag bediente sich Berlin des slowakischen Separatismus. Am 15. März, einen Tag nach Bratislavas Souveränitätserklärung, wurde Staatspräsident Emil Hácha unter Androhung militärischer Gewalt genötigt, einen Diktatvertrag zu unterschreiben, der Böhmen und Mähren zum „Reichsprotektorat“ herabwürdigte. Deutschland griff erstmals nach Territorien, die jenseits seiner nationalstaatlichen Grenzen lagen. Vom Erfolg überwältigt schwärmte Hitler am 15. März auf der Prager Burg: „Ich lobe mich ja nicht, aber hier muß ich wirklich sagen, das habe ich elegant gemacht“. Das Verhalten der Regierungen in London und Paris schien ihm Recht zu geben. Zwar lehnten es beide ab, die Auflösung des tschechischen Staates als Fait accompli hinzunehmen, aber die Beziehungen zu Berlin brachen sie nicht ab, da Chamberlain und dem französischen Ministerpräsidenten Edouard Daladier noch immer daran lag, den Frieden so lange wie möglich zu erhalten. Der „Führer“ betrieb das genaue Gegenteil. Diesbezüglich zogen die Nazis großen Gewinn aus tschechischen Devisen- und Goldbeständen, Rohmaterialien, Rüstungsbetrieben sowie Nahrungsmitteln. Überdies erfuhr die Kriegsvorbereitung einen kräftigen Schub, da der Wehrmacht militärische Ausrüstung, leichte sowie schwere Waffen in riesigen Mengen in die Hände fielen; darüber hinaus erweiterte der Satellitenstaat Slowakei das Gebiet für den Aufmarsch gegen Polen.

3. Der Entschluss zur Aggression

Bei Hitlers Entscheidung, den Krieg 1939 zu entfesseln, wirkten mehrere Faktoren zusammen. Gesichert erscheint, dass der 50jährige „Führer“ aus einem subjektiven und einem objektiven Grund Zeitdruck empfand. Er meinte, keine hohe Lebenserwartung zu haben, und wusste, dass die verstärkt aufrüstenden Gegner den von der Wehrmacht mühsam gewonnenen Vorsprung aufholten. Ferner befand sich das Reich wirtschafts- und finanzpolitisch in einer prekären Lage. Auf keinen Fall ließen sich eine Konsumgüterherstellung, die den Erwartungen der Bevölkerung genügte, und eine der Kriegsplanung adäquate Rüstungsfertigung auf Dauer gleichzeitig aufrechterhalten.