image

Ernst Baltrusch

H E R O D E S

König im Heiligen Land

Eine Biographie

C.H.Beck

Zum Buch

Hätte es bereits in der Antike eine Boulevardpresse gegeben – der Hof des Herodes wäre nie aus den Schlagzeilen gekommen. Herodes ließ Mitglieder aus dem engsten Familienkreis hinrichten, darunter seine Ehefrau Mariamme, mindestens drei seiner Söhne, seine Schwiegermutter Alexandra und seinen Schwager Joseph. Und vielleicht war es gerade die Brutalität im Umgang mit seinen Söhnen, die es seinen Gegnern im nachhinein ermöglichte, ihm jene Untat anzudichten, die Herodes für alle Zeiten einen Platz unter den finstersten Gestalten der Weltliteratur sichern sollte: den Kindermord von Bethlehem. Dieses Gruselstück, von dem der Evangelist Matthäus spricht, hat aber, gottlob, nie stattgefunden. Das ändert jedoch nichts daran, daß Herodes zu Lebzeiten und über seinen Tod hinaus unter einer „schlechten Presse“ zu leiden hatte. Dabei war er ein unbestreitbar erfolgreicher Herrscher – sowohl im Hinblick auf seine persönlichen Erfolge als auch im Hinblick darauf, was er für sein Volk erreicht hat. Am Ende seiner Regierungszeit konnte er sich eine geglückte Friedenspolitik, Städtegründungen, Tempelbau, die Sicherung jüdischer Diaspora-Gemeinden im Imperium Romanum, ja sogar eine echte Sozialpolitik zugute halten. Vieles von dem, was ihm gelang, war ihm jedoch nur möglich, weil er es verstand, sich mit dem mächtigsten Mann seiner Zeit – dem römischen Kaiser Augustus – gut zu stellen. Das wiederum trug ihm bei den Juden den Vorwurf ein, ein Freund der Römer und damit der verhaßten Besatzungsmacht zu sein. So schwankt, von der Parteien Gunst und Haß verzerrt, auch sein Charakterbild in der Geschichte. Ob ihm der jüdische Historiker Flavius Josephus das schmückende Beiwort der Große mit Recht hat zukommen lassen, läßt sich besser beurteilen, wenn man die differenzierte, faktenreiche und anregende Biographie Ernst Baltruschs gelesen hat.

Über den Autor

Ernst Baltrusch lehrt als Professor für Alte Geschichte an der Freien Universität Berlin. Die Erforschung der Geschichte und Kultur der Juden in der Antike bildet einen seiner Arbeitsschwerpunkte. Im Verlag C.H.Beck ist von demselben Autor ferner lieferbar: Sparta. Geschichte – Gesellschaft – Kultur (42010).

Für Dagmar und Anna-Victoria

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Vorspann/Praeludium

Erster Teil: Das Leben des Herodes

I.   «Sie werden die Herrschaft einem Idumäer, also einem Halbjuden geben»: Herodes als Idumäer

  1. Der syro-palästinische Raum

  2. Heimat und Herkunft des Herodes

  3. Der Vater: Antipater

  4. Der Sohn: Die Anfänge des Herodes

  5. Antipaters Ermordung 42 v. Chr.

  6. Die Unruhen in Judäa und die Ernennung des Herodes zum Tetrarchen

II.  «Kunstreiter der Bürgerkriege»? Herodes als Römer

  1. Einleitung: Probleme einer Herrschaft von Roms Gnaden

  2. Die römische Einsetzung des Herodes im Jahre 40 v. Chr.

  3. Der Kampf um Jerusalem: Herodes gegen Antigonos 40 bis 37 v. Chr.

  4. Das Imperium Romanum

  5. Rom, Judäa und die Diaspora

  6. Rom und Herodes

a) Herodes und Antonius: 40 bis 30 v. Chr

b) Herodes und Augustus: 30 bis 4 v. Chr.

III. «Besser das Schwein als der Sohn des Herodes sein»: Herodes als Jude

  1. Das Judentum und seine Gruppen

  2. Herodes bei den Juden

  3. Herodes ein Jude?

  4. Herodes und die Hasmonäer

  5. Herodes und das Hohepriesteramt

  6. Der Jerusalemer Tempel

  7. Herodes und die Torah

  8. Patronale Fürsorge

  9. Festungen

10. Die Herrschaftspolitik

11. Herodes und die jüdische Diaspora

12. Krisenzeit 12 bis 4 v. Chr.

IV. Agonothet der Olympischen Spiele: Herodes als Hellenist

  1. Wie regiert man «hellenistisch»?

  2. Hofhaltung

  3. Armee

  4. Administration

  5. Euergesie

  6. Weitere «Hellenismen»

  7. Konkurrenz und «internationale» Beziehungen

a) Herodes und die Nabatäer

b) Zenodorus, Archelaos, Eurykles und andere Fürsten

V.  «In seiner eigenen Familie mehr als unglücklich»: Herodes als «Familienvater»

  1. Bedeutung von «Familie» für die Herrschaft eines Königs

  2. Das familiäre «Kreissystem»

  3. Der idumäische Kreis

  4. Der reichspolitische Kreis der Familie: Die zehn Ehefrauen

  5. Der Kreis der entfernten Verwandten

VI. Identitäten im Widerstreit: Das kurze Jahrzehnt des Scheiterns 12 bis 4 v. Chr.

  1. Voraussetzungen

  2. Die Protagonisten am Hof

  3. Die Entwicklung am Hof bis 7 v. Chr.

  4. Der Prozeß von Berytos und die Hinrichtung der Söhne Alexander und Aristobul

  5. Der gescheiterte Neuanfang 7 v. Chr

  6. Der Prozeß gegen Antipater 6 bis 4 v. Chr.

Abspann/Coda

Zweiter Teil: Das Erbe des Herodes

I.   «Innerhalb von 100 Jahren ist das Geschlecht des Herodes bis auf wenige ausgelöscht worden»: Die Dynastie

II.  «… und ließ in Bethlehem und seiner ganzen Umgebung alle Knaben im Alter von zwei Jahren und darunter töten»: Herodes und Jesus

III. «Denn ich bin Herodes, mächtig genug zu unterwerfen, was in der Welt ist, den Himmel, die Erde, das Meer»: Die Rezeption des Herodes – Streiflichter

Anmerkungen

Literatur

Zeittafel

Bild- und Kartennachweis

Personen- und Ortsregister

VORWORT

Das vorliegende Buch über Herodes wurde im Rahmen und mit Unterstützung des Berliner Exzellenzclusters Topoi geschrieben, dessen zentrale Fragestellung nach dem Zusammenhang von Raum und Wissen in den Gesellschaften des Altertums sich besonders gut anhand der Herrschaft des Herodes diskutieren läßt. Topoi unterstützte das Projekt nicht nur durch die Finanzierung eines Freisemesters und einer halben Hilfskraftstelle, sondern auch durch vielfältige Anregungen, die insbesondere die altorientalisch-althistorische Forschergruppe in «Research Area B II 1» über Herrschaftsstrategien im östlichen Mittelmeerraum boten; von den drei Berliner Tagungen zum Thema und intensiven Diskussionen in dieser Gruppe, mit Eva Cancik-Kirschbaum, Dominik Bonatz und Jörg Klinger, konnte ich sehr profitieren. Dafür bin ich Topoi dankbar. Mein besonderer Dank gilt insbesondere jenen, die die Entstehung des Buches begleitet und gefördert haben: Julia Wilker (jetzt University of Pennsylvania) mit ihrer Kompetenz und ihrem außerordentlichen Fachwissen über alles, was mit den Herodianern zu tun hat, und Christian Wendt (FU Berlin) mit seinem kundigen und unkonventionellen Blick auf Herrschaftsstrukturen in der griechischen und römischen Antike haben in engagierten und humorvollen Gesprächen mitgeholfen, meine Sicht der Dinge zu entwickeln. Alina Soroceanu war mir eine beständige Hilfe insbesondere bei der Suche nach der christlichen Sicht auf den «Kindermörder zu Bethlehem». Meine Hilfskräfte, David Holstein und Hans Kopp, haben mir jede erdenkliche Hilfe bei der Literaturbeschaffung und bei der Endbearbeitung des Buches zukommen lassen; Hans Kopp hat zudem bei der Bildauswahl geholfen und das Register erstellt: Für diese beneficia sei ihnen allen herzlichst gedankt. Dem Verlag C.H.Beck danke ich für die Aufnahme des Buches in das Verlagsprogramm, Stefan von der Lahr für die kompetente und gleichzeitig freundschaftliche Betreuung des Projektes, Andrea Morgan für all ihre Hinweise und Hilfen bei der Durchführung. Mein innigster Dank aber gilt meiner Familie: Meiner Frau Dagmar, die einmal mehr aus ihrer frühmittelalterlichen Blickrichtung heraus viele Fragen des herodianischen Königtums mit mir erörterte, meine römisch geprägten Deutungen relativierte und unablässig meine Entwürfe las, korrigierte und mehr, als ich hier sagen kann, dazu beitrug, daß das Buch so geworden ist, wie es jetzt ist; meiner Tochter Anna-Victoria, die inzwischen Studentin für Kirchenmusik und Klavier in Freiburg ist und deren erfolgreiches Wirken als Organistin den Vater nicht nur mit einem inneren Wohlgefühl, sondern auch mit einer unmittelbaren Freude an Orgelkonzerten in Kirchen und Konzertsälen erfüllt, die von Zeit zu Zeit den «Herodes» buchstäblich durchatmen ließen. Ihnen beiden sei deshalb in Liebe dieses Buch gewidmet.

Berlin, im Mai 2012

Ernst Baltrusch

Einleitung

Herodes, der von 73 bis 4 v. Chr. lebte, herrschte als König im Heiligen Land.[1] Wer kennt nicht den «Kindermörder von Bethlehem» aus der Weihnachtsgeschichte, dem Jesus nur knapp entkommen sein soll und der in der Stunde seines Todes befohlen hatte, unzählige politische Gefangene hinrichten zu lassen? Wenigstens ihretwegen sollte das Reich bei seinem Tod in Tränen zerfließen. Das Interesse an blutrünstigen Geschichten könnte manchen Leser zu einer Biographie über Herodes greifen lassen – aber es kann nicht die Begründung dafür sein, mehr als 2000 Jahre nach des Königs Tod eine neue Biographie über diesen zu schreiben. Welche neue Erkenntnis könnte es aber rechtfertigen, sich mit einem «Unhold» wie Herodes zu beschäftigen? Kann das Interesse an dieser schillernden Persönlichkeit über ein allgemein historisches hinausgehen? Diese Frage ist zu bejahen, wenn man das Königtum des Herodes als Teil des Imperium Romanum untersucht, seine Herrschaft in die imperiale Strategie Roms einbettet und damit die Frage in globalgeschichtlicher Perspektive erweitert: Wie konnte das «System» Imperium Romanum, das immer größer wurde und die unterschiedlichsten Regionen und Völkerschaften zu integrieren hatte, dauerhaft funktionieren? Um die Zeitenwende reichte das Imperium von den Stämmen des keltischen Westens und germanischen Nordens bis hin zu den griechischen Stadtstaaten und orientalischen Hochkulturen; es einte Gesellschaften, deren politische und kulturelle, religiöse und wirtschaftliche Vorprägungen unterschiedlicher nicht sein konnten. Wie konnte es gelingen, dieses Konglomerat über mehrere Jahrhunderte zusammenzuhalten – hatte das Imperium Romanum doch Bestand von etwa 200 v. Chr. bis 500 n. Chr. und war mithin das stabilste aller Imperien der Geschichte? Dies allein stellt eine historische Leistung dar, aus der man in heutiger Zeit Lehren ziehen kann. Das zum Römischen Reich gehörende Königtum des Herodes war nicht nur ein Imperium «im Kleinen» mit einer Vielzahl von Ethnien und Religionen, sondern es hatte darüber hinaus im Konzept der römischen Reichsregierung eine wichtige Funktion. An der Politik des Herodes können historisch immer wiederkehrende Fragen studiert werden: Wie verhalten sich «Raum» und «Herrschaft»? Wie können Regionen mit begrenzter Staatlichkeit, d.h. geringer institutioneller Ausstattung, beherrscht werden? Wie können kulturell, religiös und sozial vorgeprägte Räume möglichst konfliktarm umgestaltet werden, so daß sie «beherrschbar» werden? Welche Rolle spielen Grenzen und Grenzbefestigungen für die Herrschaftssicherung – oder anders gewendet: Wie kann Herrschaft auch ohne ausgebaute Grenzen gesichert werden? Welche Kompetenzen befähigen einen Einzelnen zur Herrschaft? Nach welchen Kriterien kann «Herrschaft» delegiert, übertragen werden, wenn keine demokratischen Wahlen möglich sind? Und schließlich: Welche Faktoren waren für Erfolg bzw. Mißerfolg von Herrschaft entscheidend? Wie ist dabei das Verhältnis von nicht berechenbaren Faktoren wie Hungersnöten, kriegerischen Einfällen, Kaiserwechseln etc. einerseits und systemimmanenten Faktoren wie einer finanziellen bzw. politischen Überlastung oder Veränderungen der innenpolitischen Balance andererseits? Die Politik des Herodes, sein Geschick, sein Erfolg bzw. sein Scheitern bieten auch dem heutigen Leser und Politiker reiches Anschauungsmaterial darüber, wie globale und regionale Politik umgesetzt werden kann.

Von den Erfolgen des Herodes ist nur wenig in Erinnerung geblieben, sein Name weckt heute zumeist negative Assoziationen: Allen voran den unwiderruflich mit Herodes verbundenen Kindermord zu Bethlehem, der ihn für die Christen aller Zeiten zum Inbegriff eines tollwütigen Tyrannen gemacht hat. Nicht viel freundlicher gestaltet sich sein Bild bei den Juden, denn er mißachtete und übertrat scheinbar ihre Gesetze, verfolgte brutal oppositionelle Gruppierungen und preßte seine Untertanen bis aufs Blut aus. In neuzeitlichen Theaterstücken wie «Herodes und Mariamne» von Friedrich Hebbel lebt eine weitere Facette seines Un-Wesens fort, nämlich sein unmenschlich anmutender Umgang mit seinen engsten Familienangehörigen. Selbst wohlmeinende Kommentatoren verstören die Grausamkeiten des Herodes gegenüber seiner Frau Mariamme, die er doch angeblich so sehr geliebt haben soll, gegenüber seinen Söhnen, denen er nachgerade wahnhaft mißtraute, und anderen Verwandten. Auch die Römer, eigentlich seine «Arbeitgeber» und selbst gewiß nicht zimperlich in der Wahl ihrer Machtmittel, schien es vor der Grausamkeit des von ihnen unterstützten und geförderten Aufsteigers und Erfolgsmenschen zu grausen: «Es ist besser, das Schwein des Herodes als sein Sohn zu sein», soll Kaiser Augustus über den Umgang des Königs mit seinen Söhnen und in Anspielung auf das Schweinefleisch-Verbot der Juden gesagt haben. Beschäftigt man sich jedoch genauer mit Herodes, entdeckt man auch andere Facetten: die große Ausdehnung seines Reiches, die erfolgreiche militärische Sicherung des jüdischen Gebietes vor äußeren Einfällen, die prunkvolle Erneuerung des Jerusalemer Tempels, die für den Handel nützliche und prachtvolle Errichtung der Hafenstadt Caesarea, die bauliche Ausstattung vieler und nicht nur jüdischer Städte, die finanzielle Unterstützung der Olympischen Spiele und die Existenzsicherung zahlreicher jüdischer Diaspora-Gemeinden im Römischen Reich. Taten und Person des Herodes scheinen gar zu widersprüchlich, als daß sie für viele antike und moderne Kommentatoren allein mit reiner Ruhmsucht oder gar aus einer paranoiden Persönlichkeitsstruktur zu erklären wären.

Herodes war ein Mann mit vielen Gesichtern: Sein Name (abgeleitet von heros: Held) ist griechisch,[2] seine Herkunft war idumäisch (Vater) und nabatäisch (Mutter), seine Religionszugehörigkeit jüdisch, sein Herrschaftsgebiet war Palästina, und sein Bürgerrecht war römisch. Er lebte und wirkte in einer für den weiteren Verlauf der Weltgeschichte wichtigen Umbruchzeit, ja der «Zeitenwende» schlechthin: Das Imperium Romanum mutierte damals von einer Republik zu einer Monarchie, das Judentum wurde in dieses Imperium Romanum integriert, und mit der Geburt Jesu begann die Geschichte der bis heute zahlenmäßig größten Weltreligion, des Christentums. Herodes hatte erheblichen Anteil an diesen Entwicklungen; er regierte sein Reich gleichsam an der Schnittstelle der jüdischen, der römischen und der christlichen Geschichte.[3] Er war das Kind einer neuen Zeit, ohne deren Errungenschaften er nicht das hätte werden können, was er wurde. Er baute im Rahmen seiner Möglichkeiten mit an der neuen Form von Monarchie, wie sie Augustus eingerichtet hatte, die (wenn auch gewiß nicht in unserem Sinne) «demokratische» Elemente aufwies; er arbeitete auch daran, daß die jüdischen Gemeinden in dem (neuen) Imperium Romanum ihren Platz finden konnten, und er war – freilich ungewollt – an der Geburtsstunde des Christentums maßgeblich beteiligt. In Herodes und seiner Regierung verdichtet sich diese Umbruchzeit; so wurde er eine historisch bedeutende Persönlichkeit.[4]

Eine «Biographie» im Wortsinne, also das Schreiben eines (am Zeitpfeil orientierten) Lebens, ist nicht das alleinige Ziel des Autors. Die Bedeutung des Herodes kann sich erst dann zeigen, wenn man seine Herrschaft in die römische und in die jüdische Geschichte einbettet, denn für beide «Geschichten» konnte er Erfolge vorweisen, auch wenn er letztlich scheiterte, verhaßt war und die eigene Familie seinen Tod herbeisehnte.[5] Um die Regierung des Herodes in ihrer ganzen Bedeutung zu ermessen, werde ich ihrer Einbettung in die römische und jüdische Welt ausführlich Rechnung tragen. Das Konzept des Buches geht daher von den «Identitäten» des Königs als Leitidee und nicht von der Chronologie seiner Regierung aus. Diese Identitäten bestimmten das politische und private Wirken des Herodes;[6] als Idumäer, Jude, Römer, Hellenist und auch als «Familienvater» versuchte er sein fragiles politisches Mandat zu festigen, indem er verschiedene Bevölkerungsgruppen seines Reiches an sich band. Um die vielen Konfliktebenen und Widersprüche im Leben und Wirken des Herodes deutlicher herauszuarbeiten, scheint es nicht zielführend, eine stur an der Chronologie seines Lebens ausgerichtete Biographie zu schreiben. Um den Leser aber mit der chronologischen Rahmenhandlung vertraut zu machen, geht dem Werk ein «Vorspann» voraus, den zu kennen für die weiteren fünf «Bühnenakte» unerläßlich ist.

Die Quellenlage zu Herodes ist für antike Verhältnisse sehr gut. Es gibt in reichem Maße dokumentarisches Material wie Inschriften, Münzen und materielle Hinterlassenschaften. Vor allem aber können wir auf Texte zurückgreifen, die Herodes von ganz verschiedenen Blickrichtungen her erfassen. So wird auf den König eingegangen in den Evangelien (Matthäus, Lukas), bei heidnischen Autoren wie Tacitus oder Cassius Dio, und in jüdischen religiösen Texten wie dem Talmud. Aber nur zwei literarische Quellen ermöglichen es, auf ihrer Basis wirklich eine Biographie zu schreiben – und zwar die beiden Hauptwerke des jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus. Auf ihn ist deshalb an dieser Stelle etwas genauer einzugehen.

Josephus wurde 37 oder 38 n. Chr. als Sohn des jüdischen Priesters Matthias geboren, von mütterlicher Seite führte er sich sogar auf eine hasmonäische, also hohepriesterlich-königliche Herkunft zurück.[7] Diese autobiographische Angabe hat großen Einfluß darauf, wie wir Josephus als Quelle zu nutzen haben, denn Herodes hatte mit dem Geschlecht der Hasmonäer – seinen Vorgängern in der Königsherrschaft – große Auseinandersetzungen zu bestehen. Josephus leugnet nicht, daß er in diesen Auseinandersetzungen parteiisch, also gegen Herodes eingestellt ist.[8] Seine theologische Ausbildung war hervorragend, seine Kenntnisse über die jüdischen Religionsparteien – Sadduzäer, Pharisäer, Essener – hatte er durch eigene Anschauung gewonnen, denn er war lange Zeit auf der Suche nach der für ihn richtigen «Philosophie». Im Alter von 19 Jahren schloß er sich schließlich den Pharisäern an.[9] Rom lernte Josephus im Alter von 26 Jahren kennen, denn er reiste in öffentlichem Auftrag in die Hauptstadt des Imperium Romanum, um sich für die Befreiung einiger mit ihm befreundeter Priester einzusetzen, die vom römischen Statthalter Judäas, Felix, gefangengenommen und nach Rom geschickt worden waren. Mit Unterstützung der Kaiserin Poppaea erreichte er sein Ziel.[10] Bald darauf brach der Jüdische Krieg aus (66). Obwohl Gegner des Aufstandes gegen die römische Herrschaft, schloß sich Josephus den Aufständischen an und wurde Oberbefehlshaber in Galiläa, wo er den Widerstand gegen die Römer organisierte.[11] Doch fiel bereits 67 die von ihm gehaltene Festung Jotapata, und Josephus wurde von den Römern gefangengenommen.[12] Es sicherte ihm als Gefangenen der Römer eine respektvolle Behandlung, daß er dem Belagerer, dem römischen Feldherrn Vespasian, voraussagte, daß dieser Kaiser werden würde.[13] Als sich die Prophezeiung zwei Jahre später bewahrheitete, brachte sie Josephus die Freilassung.[14] Als Vespasians Sohn Titus die militärische Führung des Krieges übernahm, wurde Josephus einer seiner Berater.[15] Während der Belagerung Jerusalems versuchte er immer wieder, die Juden zur Aufgabe des Kampfes zu überreden, um dadurch den Tempel zu retten – aber vergeblich. Nach dem Krieg ging Josephus mit Titus nach Rom, erhielt das römische Bürgerrecht und konnte dort mit finanzieller Unterstützung durch die kaiserliche Familie, die Flavier, seine literarische Arbeit aufnehmen.[16] Das römische Bürgerrecht sicherte ihm die Zugehörigkeit zur gens Flavia und damit den Gentilnamen Flavius.[17] So stand Josephus in guten Beziehungen zu den flavischen Kaisern Vespasian, Titus und Domitian und konnte das Vertrauen der Kaiser allen Verleumdungsversuchen zum Trotz bewahren.[18] Sein Todesdatum ist unbekannt; er dürfte nach dem Jahr 100 gestorben sein.[19] In Rom wurde er offenbar mit einer Statue geehrt.[20]

Josephus hat vier Werke hinterlassen: 1. «Der jüdische Krieg» in sieben Büchern, geschrieben zwischen 75 und 79; 2. «Die jüdischen Altertümer» von den Anfängen bis zum Jahr 66 n. Chr. in 20 Büchern, vollendet im letzten Regierungsjahr Domitians 93/94; 3. «Gegen Apion» in zwei Büchern, eine Verteidigung der jüdischen Religion gegen antijüdische Tendenzen der hellenistischen Gesellschaft; 4. «Das Leben des Josephus», eine autobiographische Behandlung seines Wirkens in Galiläa, geschrieben in den Jahren 94 bis 99. In seinen Werken schreibt Josephus ausführlich über Herodes, nämlich im «Jüdischen Krieg» in mehr als zwei Dritteln des ersten Buches und in den «Altertümern» in vier Büchern, nämlich von 14,156 bis 17,205.

Das Leben des Josephus spielte zwischen Jerusalem und Rom, und dieser Spagat spiegelt sich auch in seinen Werken.[21] Beide waren und blieben «Heimat» für Josephus, beiden fühlte er sich verpflichtet. Politische Krisen führte er auf Fehlleistungen einzelner Personen (römischer Präfekten) oder Gruppen («Räuber») zurück, nicht aber auf einen grundsätzlichen Gegensatz von Judentum und Imperium Romanum. Dieses historiographische Konzept ist vor dem Hintergrund der Zeit verständlich. Josephus schrieb unmittelbar nach dem grausamen Krieg zwischen seinen beiden «Heimaten», der jüdischen und der römischen, und wollte den Zeitgenossen historisch erklären, daß es für eine tiefe Feindschaft zwischen ihnen eigentlich keinen Grund gab. Seine Geschichtsschreibung ist also eine Art Vergangenheitsbewältigung, und so muß man auch das lesen, was Josephus über Herodes schreibt. Dennoch ist das von Josephus Berichtete nicht ein bloßes «Konstrukt» oder gar Erfindung. Schriftgegründete Gesellschaften verhindern zumeist die freie Konstruktion von Geschichte, weil sie über schriftliche Dokumente und Texte von Autoren verfügen, die ebenfalls die Geschichte oder Teile von ihr aufgeschrieben haben und dadurch Kontrolle über das Mitgeteilte ausüben (selbst wenn diese Dokumente heute verloren sind).[22] Flavius Josephus, der an Herodes «erinnernde» Historiker, hat natürlich seine vier Werke unter dem Eindruck seiner eigenen Gegenwart verfaßt, aber seine Glaubwürdigkeit, was die berichteten Handlungen und Fakten angeht, steht außer Zweifel und ist – auch im Hinblick auf die Herrschaft des Herodes – durch andere Quellen vielfach überprüfbar und zu belegen. Einen der wichtigsten Kontrolltexte liefert Josephus gleich selbst: Es handelt sich um die Mitteilungen des Hofhistoriographen des Herodes, Nikolaos von Damaskus (ca. 64 v. Chr. bis nach 4 n. Chr.). Dieser war Berater des Königs Herodes, selbst aber wohl nicht jüdischer Herkunft. In seinen Werken – darunter eine Universalgeschichte in 144 Büchern, die bis zum Tod des Herodes reichte – beschrieb er diesen ausführlich und sehr positiv.[23] Josephus kritisiert deshalb an Nikolaos, daß er die Geschichte des Herodes zu einseitig präsentiert habe, stützt sich aber selbst in weiten Teilen auf dessen Berichte. Des weiteren gibt es zu Herodes Parallelquellen in großer Zahl (wie oben erwähnt), so daß wir nicht allein von Josephus abhängig sind und die Möglichkeit der historischen Rekonstruktion durchaus gegeben ist.

Zu Herodes haben in den vergangenen 100 Jahren viele Althistoriker und Archäologen, Judaisten und Theologen publiziert, oft cum ira et studio.[24] Die erste Biographie, die höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügte und auch heute noch unverzichtbar ist, erschien 1913 in der «Realencyklopädie der classischen Altertumswissenschaften» und stammt von dem Althistoriker Walter Otto (1878–1941). Seitdem sind zahlreiche Herodes-Biographien erschienen, die ganz unterschiedliche Herodes-Bilder präsentieren – die umfangreichste 1969 von Abraham Schalit, einem israelischen Historiker (1898–1979). Diese profitiert zwar von der judaistischen Kompetenz ihres Autors, doch ist sie weitschweifig (fast 900 Seiten!), und ihre mitunter waghalsigen Thesen mußten revidiert werden; zudem ist die Forschung zum römischen Herrschaftssystem seit damals erheblich vorangekommen, so daß das Buch inzwischen überholt ist. Schalit sah Herodes als einen Herrscher, der geradezu missionarisch seinen jüdischen Untertanen die göttliche Sendung Roms vermitteln wollte. Diese These konnte sich zwar nicht durchsetzen, aber Schalits Buch wurde zum maßgeblichen Referenzwerk aller folgenden Herodes-Arbeiten. Dennoch fallen die Urteile über Herodes und seine Politik sehr unterschiedlich aus, und selbst Schalit bleibt ambivalent; obwohl er eine «angeborene Mordgier» bei Herodes konstatiert, setzt er ihn trotzdem mit König David gleich.[25] Damit ist der Rahmen für die Urteile jüngerer Historiker abgesteckt. Die einen sehen in Herodes einen verruchten Tyrannen,[26] andere den verleumdeten Friedensbringer.[27] Die meisten Forscher zeichnen ein Bild, das von ihrem jeweils eigenen fachlichen Zugang geprägt ist: Archäologen betonen die Großartigkeit der herodianischen Baupolitik,[28] Althistoriker beurteilen den König, von seiner Herrschaftspolitik ausgehend, entweder als «Freund der Römer»[29] oder als «hellenistischen König»[30], Judaisten versuchen, sein Verhältnis zur Religion, wie es sich im Umgang mit den jüdischen Untertanen seines Reiches zeigte, zu ergründen und neuerdings auch psychologisch zu erklären.[31] So bilden die Herodes-Urteile die (im Wortsinne) «Standpunkte» ihrer Autoren ab, die jeweilige Fachdisziplin trägt das ihre zu den Herodesbildern bei. Die unterschiedlichen Bewertungen, die der König im Laufe des letzten Jahrhunderts erfahren hat, sind zudem zeitgebunden, ebenso wie es sich bei den Urteilen über andere historische Persönlichkeiten auch verhält. Wie Alexander der Große im 20. Jahrhundert als Gewaltherrscher, reiner Kriegsmann und Weltversöhner verdammt oder gefeiert wurde,[32] so abhängig ist auch das Urteil über Herodes von dem jeweiligen nationalen und zeitlichen Umfeld seiner Biographen.

Eine einigermaßen unvoreingenommene Bewertung der Herrschaft des Herodes kann also nur erfolgen, wenn man die Maßstäbe der antiken Zeitgenossen anlegt. Denn daß Herodes nicht modernen Vorstellungen von einem guten, gar idealen Herrscher entsprechen kann, ist trivial. Als Mensch wie als Politiker ist uns Herodes fremd. Seine Herrschaft war eine Monarchie, kein «Verfassungsstaat», Gewaltenteilung gab es nicht; hinzu kommt, daß es die Idee der Menschenrechte in der Antike nicht gab. Die Todesstrafe war üblich, ebenso unumstritten war die Folter, um Geständnisse zu erpressen; Gewalt wurde als legitimes Mittel der Politik gesehen, und Sklaverei war ein nie in Zweifel gezogenes Institut des «Völkergemeinrechts». So kann dieser Mann, der vier Jahrzehnte herrschte, nach unseren heutigen Kriterien schwerlich ein «feiner Kerl» gewesen sein. Auf der anderen Seite schlagen aber Leistungen des Königs zu Buche, die auch in der Antike als solche anerkannt waren, z.B. die Erhaltung des Friedens und der Stabilität, soziale Fürsorge für die Untertanen oder die Gewährung von Rechtssicherheit. Die Kategorien, nach denen Politiker und politische Ordnungen beurteilt werden, haben sich von der Antike bis heute verändert. Es gab zwar schon eine epochenspezifische Demokratie, aber man findet unter den «Intellektuellen» der Antike nur wenige, die von den Vorzügen einer demokratischen Ordnung wirklich überzeugt waren. Dagegen war die Monarchie nicht nur weit verbreitet, sondern selbst für viele Republikaner im Idealfall, d.h. unter einem guten König, die beste aller Staatsformen. «Moralisch» integer und unbestechlich sollten zwar auch antike Politiker sein, aber man verstand darunter eher Tugenden wie Mannhaftigkeit, Traditionsbindung oder Unnachgiebigkeit dem popularen Zeitgeist gegenüber, während man allzu große Nähe zwischen Politikern und Lobbyisten, Wirtschaftsleuten oder Bankern nicht als verwerflich ansah. Wenn man also Herodes mit unseren heutigen Maßstäben kritisieren oder loben wollte, würde man seinem Wirken nicht gerecht werden können. Er stand, um es mit einem Wort des Althistorikers Christian Meier zu sagen, nicht über den Verhältnissen seiner Zeit, sondern in den Verhältnissen. Als eine tief in seiner Region und seiner Zeit verankerte Persönlichkeit hat Herodes gleichwohl neue Wege in der Politik beschritten.

Vorspann/Praeludium

Die hier vorliegende Biographie des Herodes ist, anders als viele andere Lebensbeschreibungen, nicht chronologisch aufgebaut. Deshalb gibt dieser «Vorspann» dem Leser zunächst eine kurze biographische Einführung, um eine allgemeine Orientierung über das Leben und Wirken des Herodes zu ermöglichen; daran schließt sich eine kurze Erläuterung zum Aufbau des Buches an.

Die größten griechischen Philosophen lehrten, daß der Anfang mehr als die Hälfte vom Ganzen ist.[1] Bei Herodes trifft dieses philosophische Diktum in besonderer Weise zu. Denn nicht nur wurde (wie bei jedem Menschen) seine Persönlichkeit, sondern auch seine Stellung als König, sein politisches Wirken davon geprägt, aus welcher Familie und Weltgegend er kam und wie er aufwuchs. Man überschreitet auch nicht die Grenze zur wissenschaftlichen Unredlichkeit, wenn man sagt, daß sich ex eventu betrachtet viele der Widersprüche des jüdischen Königs Herodes aus den Erfahrungen einer Kindheit als Politikersohn in der (im heutigen Sinne) «Provinz», d.h. in einer als rückständig und am Rande gelegenen Region begreifen lassen. Jüdisch oder nichtjüdisch, hoch oder niedrig, weltlich oder religiös, römisch oder hellenistisch, machtvoller Potentat oder «Roms Pudel» – diese (und weitere) Gegensätze, die sich so geheimnisvoll unerklärlich in der Person des Herodes zu vereinen scheinen, gehen vor allem auf die spezifischen Verhältnisse seiner Kindheit im Idumäa der 70er und 60er Jahre des 1. Jahrhunderts v. Chr. zurück, und sie spiegeln die prägende «Schule» der großväterlichen und väterlichen Karrieren in der hasmonäischen Vorgängerdynastie wider. Was wir von dieser Kindheit und Jugend wissen, mag zu wenig sein für die Erstellung psychologischer Gutachten, aber es ist durchaus ausreichend für eine historische Betrachtung.

Der Aufstieg und die Herrschaft des Herodes in Palästina vollzogen sich in einer Zeit des Umbruchs und des Übergangs in der damaligen Welt. Diese Welt war römisch dominiert. Die Römische Republik erstreckte sich vom Atlantik bis an den Euphrat, von der Donau bis Nordafrika. Sie befand sich allerdings seit 133 v. Chr., insbesondere aber seit den 80er Jahren des 1. Jahrhunderts v. Chr., in einer tiefen strukturellen Krise. Reformen, die nötig waren, wurden nur zögerlich in Gang gesetzt; es kam zu Bürgerkriegen, Diktaturen und schließlich zur Errichtung einer Monarchie, des Prinzipats des Augustus (27 v. Chr.). In dieser Krisenzeit konnte sich Herodes als Herrscher in Palästina etablieren und allmählich zu einer für das ganze östliche Römische Reich wichtigen Persönlichkeit entwickeln.

Als Herodes 73 v. Chr. als zweiter Sohn von Antipater und Kypros in Idumäa geboren wurde, war er Untertan des jüdischen Königreiches der Hasmonäer. Der rasante Aufstieg dieses Reiches seit 142 v. Chr. war nur möglich geworden, weil zum einen die ehemals mächtigen hellenistischen Nachfolgereiche Alexanders des Großen, das Seleukidenreich und das Ptolemäerreich, massiv schwächelten und zum anderen die neue Weltmacht Rom mit den Hasmonäern seit 161 v. Chr. verbündet war. Aber dann geriet auch Rom in die oben erwähnte schwere innere Krise, in der es außenpolitisch an Durchsetzungskraft verlor. Darunter litt das ganze Imperium Romanum, besonders aber der syro-palästinische Raum, bis unter Augustus nach 31 v. Chr. wieder Ruhe einkehrte. Es waren keineswegs nur die unmittelbaren Auswirkungen der römischen Bürgerkriege, die in dem halben Jahrhundert seit den 80er Jahren die Welt immer wieder erschütterten, wie plötzliche Tributerhöhungen, Durchzug von Truppen oder Plünderungen. Fast ebenso bedrückend muß die allgemeine politische Verunsicherung überhaupt gewesen sein. Welchen Handlungsspielraum hatten in dieser Situation die Städte und Reiche im Osten? Konnte man sich aus dem innerrömischen Machtkampf heraushalten? Wenn nicht: Welchen der Bürgerkriegsgegner sollte man unterstützen? War Neutralität möglich? Was würde geschehen, wenn man auf den Falschen, also den Unterliegenden setzte? Im Hasmonäerreich wirkten diese Unsicherheiten auf die einzelnen Akteure ganz verschieden – auf die hellenistischen Poleis an der Mittelmeerküste anders als auf die jüdischen religiösen Gruppen, und wieder anders auf die politischen Eliten. Wer allerdings politisch und religiös am wenigsten gebunden war, konnte gerade in dieser ungeordneten Weltlage Karriere machen, so wie es Antipater, dem Vater des Herodes, und später auch Herodes selbst gelungen ist.

Als Pompeius 63 Syrien und Palästina, das «Land der Philister»[2], dem Imperium Romanum einverleibte, nutzte Antipater die Gelegenheit, um sich als Sachwalter römischer Interessen den Römern anzudienen. Er schuf damit die Voraussetzungen für die Herrschaft seines Sohnes Herodes. Dieser bekleidete im Alter von 26, im Jahr 47, als die Welt schon auf Caesars Kommando hörte, sein erstes öffentliches Amt, nämlich das des Strategen in Galiläa. Wenige Jahre später wurde Herodes in einer wieder völlig veränderten Welt – Caesar war 44 ermordet worden, das Zweite Triumvirat (Octavian, Antonius, Lepidus) hatte 43 seine Arbeit aufgenommen, die Caesar-Mörder waren bei Philippi 42 besiegt worden – in Rom zum König ernannt, zunächst freilich zum König ohne Land, denn die Parther hatten im Verein mit dem Hasmonäer Antigonos Palästina besetzt. So mußte sich Herodes sein Königtum mit römischer Hilfe selbst von den Parthern zurückerobern. Das gelang im Jahre 37, und von diesem Zeitpunkt herrschte Herodes über ein stetig wachsendes Reich, das die Regionen Idumäa, Judäa, Samaria, Galiläa, Peräa (jenseits des Jordan) umfaßte und im Norden die Gaulanitis, Trachonitis und Batanea. Und dieses Königtum behielt er bis zu seinem (natürlichen) Lebensende im Jahre 4 v. Chr. Herodes war als König in Palästina immer auch ein Funktionsträger des Imperium Romanum, das selbst seit 27 v. Chr. nach über 100jähriger Krise eine neue Ordnung, den Prinzipat des Augustus, erhielt. Der offizielle römische Titel des Herodes war seit 40 rex amicus et socius, «befreundeter und verbündeter König», und ein «römischer König» war und blieb er bis an sein Lebensende; er besaß auch das römische Bürgerrecht.

Die Herrschaft des Herodes von 40 bis 4 v. Chr. kann man in drei große Phasen einteilen: erstens das Jahrzehnt des Zweiten römischen Triumvirats, als Marcus Antonius den Osten des Imperium Romanum regierte, also von 40 bis 30 v. Chr. Diese Phase endete mit der Niederlage des Antonius gegen Octavian in der Schlacht von Actium 31 sowie der Einnahme Alexandrias durch Octavian (Augustus) im Jahre 30. Eine zweite prosperierende, nahezu zwei Jahrzehnte währende Phase schloß sich an, als Herodes sich für Rom und Jerusalem nahezu unverzichtbar machen konnte und zum «dritten Mann» im Reich aufstieg, von 30 bis 12 v. Chr. Die letzte, dritte Phase der Herrschaft war durch Krisen gekennzeichnet, deren Symptome sich an allen Ecken und Enden zeigten; die Beziehungen zu den Juden, den Römern und v.a. am Hofe verschlechterten sich rapide. Diese Phase dauerte von 12 bis 4 v. Chr.

Für Herodes war sein Anfang als neuer König unter der Herrschaft des Triumvirn Antonius nicht leicht, und erst, als Augustus den Prinzipat etabliert hatte, stellte sich auch für Herodes der Erfolg seiner Königsherrschaft ein. Seine Leistungen in diesen Jahren bis 12 v. Chr. können sich sehen lassen: Stadtgründungen wie Caesarea an der Mittelmeerküste und Sebaste in Samaria, das gewaltige und kostspielige Tempelbauprojekt in Jerusalem, die Sicherung des Landes durch Festungsbau, die Anerkennung unter den benachbarten hellenistischen Reichen und Städten, die Versorgung seiner Untertanen, Ruhe und Ordnung im eigenen Land, Erfolge auch gegen Konkurrenten wie die Nabatäer. Alle diese sichtbaren Erfolge sicherten dem König die Zustimmung seiner Untertanen und machten ihn zum geachteten Partner Roms und der Nachbarn. Ganz anders aber war seine familiäre Situation. Um sich mit den Hasmonäern zu verbinden, heiratete er 37 Mariamme, die Enkelin des Hohepriesters Hyrkan II. Aus politischen Gründen kamen aber noch viele weitere Ehefrauen und entsprechend viele Kinder dazu, was seine Familienverhältnisse sehr schwierig machte. Als er versuchte, seine Nachfolge klar zu regeln – Alexander und Aristobul, die Söhne seiner zweiten Frau Mariamme, sollten das Reich nach seinem Tode regieren –, brach dieses sorgfältig ausbalancierte System zusammen – und an der Nachfolgefrage entschied sich das Schicksal des Herodes. Drei Söhne ließ er zwischen 7 und 4 v. Chr. hinrichten, um schließlich sein Reich auf drei weitere zu verteilen. Er starb im März des Jahres 4 krank, entkräftet und verbittert.

Die Geschichte des Herodes birgt viele Rätsel: Sie ist keine reine Erfolgsgeschichte,[3] wie die kurze biographische Skizze zeigt, aber auch nicht die Geschichte eines blutrünstigen Tyrannen, dem man zu Recht den Kindermord zu Bethlehem unterschieben konnte,[4] sie ist nicht die Geschichte eines römischen Lakaien, der die Gesetze der Juden bedenkenlos für römische Interessen überschritt, und sie ist auch nicht die Geschichte eines hellenistischen Königs, der nur die Realität römischer Herrschaft nicht ändern konnte. Er war ebensowenig allein ein König der Juden wie ein König der Idumäer, der Griechen, Syrer, Ituräer und anderer Völker, und selbst wenn man seine Stellung zutreffend als «Verbündeter und Freund der Römer» bezeichnet, urteilt man, wenn man ihn darauf reduziert, nicht richtig. Es fällt darüber hinaus schwer, sein Reich zu benennen und durch klare Grenzen zu definieren. Man muß sich mit eher vagen Umschreibungen begnügen wie «Reich des Herodes» oder Klientelkönigtum, denn es war weder ein geographisch noch ethnisch noch kulturell noch religiös noch politisch einheitlicher Raum, den er beherrschte. In gleicher Weise läßt die Person Herodes viele verschiedene Deutungen zu, obwohl wir nur eine einzige umfassende Quelle zu seinem Leben und Wirken besitzen: Flavius Josephus. Diese Quelle hat es allerdings buchstäblich in sich. Sie legt einen Schwerpunkt auf Berichte aus der Familie und läßt uns doch ganz im Stich, wenn wir z.B. wissen wollen, ob Herodes wirklich «geliebt» hat. Die Passagen, in denen sich der Autor Flavius Josephus selbst zu Herodes’ Charakter äußert, sprechen von Ehrliebe, Herrschsucht, Grausamkeit, Mißtrauen, Haß gegen seine Angehörigen, auch von einer an Wahnsinn grenzenden Liebe zu seiner zweiten Frau, der Hasmonäerin Mariamme. Aber dürfen wir diese Urteile übernehmen? Auch hier hat die moderne Literatur verschiedene Herodes-Bilder gezeichnet; ein warmherziger, liebender, fürsorglicher Herodes war freilich nicht darunter. Abraham Schalit z.B., der bedeutende Biograph, vermeinte zu erkennen, daß «die Grausamkeit des Herodes als Mensch gewiß ihre Wurzeln in einer angeborenen Mordgier hatte»,[5] und Aryeh Kasher führte auf 500 Seiten den «Nachweis», daß Herodes krank gewesen sei und alle Symptome einer paranoiden Persönlichkeitsstörung in sich vereinigt habe.[6]

Diesem «Mysterium» also gilt es auf den Grund zu gehen, und dabei soll ein anderer Weg beschritten werden als sonst bei einer Biographie üblich. Chronologisch geordnet läßt sich nämlich nur schwer ein Zugang zu Herodes finden. Zu dominant wäre in diesem Fall das Vorbild des Josephus, selbst dann, wenn man seine Darstellung sehr kritisch beurteilt. Man wird unwillkürlich verleitet, seiner Sicht (im Wortsinn) zu folgen, sei es teilweise, sei es komplett, und sie mit anderen Quellen zu verbinden, oder aber sich an seinem Bericht kritisch und widerlegend abzuarbeiten. An Josephus als Hauptquelle kommt natürlich kein Biograph des Herodes vorbei, aber man muß und kann sich einer besonderen Methodik bedienen. Denn die Herangehensweise des jüdischen Geschichtsschreibers ist strikt dichotomisch: Erfolge und positive Bewertung in der äußeren Politik, Mißerfolge und negative Bewertung im Innern (wobei der Begriff des «Innern» sich bei Josephus auf die Familie, den Hof und Judäa bezieht). Beide Komplexe, der äußere und der innere, stehen nebeneinander, bisweilen ganz unverbunden,[7] und verschieben sich zunehmend hin zu den Mißerfolgen in der Familie. So entsteht suggestiv der Eindruck zweier im Grunde unverbundener Herodes-Bilder. Dieser Suggestion konnten sich moderne Forscher nur schwer entziehen – Abraham Schalit etwa gliedert sein monumentales Werk in zwei große Komplexe, die Josephus vorgab: Sein eindrucksvolles Herrschaftssystem und seine gescheiterte Juden- und Familienpolitik.

Herodes mußte, als er 40 v. Chr. zum König ernannt wurde, seine Herrschaft gleichsam aus dem Nichts aufbauen. Diese Situation ist wie eine «Stunde Null» für den Historiker: Der Raum eines noch kaum vorhandenen Reiches mußte erst gewonnen, die Kontrolle dieses Raumes organisiert und stabilisiert werden, und das alles von einem Mann, der von Rom, also von außen, mit dieser Aufgabe betraut worden war. Wenn man diesen erfolgreichen Prozeß der Herrschaftsgewinnung und -stabilisierung des Herodes untersucht, muß man ihn auf der Grundlage seiner Handlungen «erklären». Nur durch diese Handlungen konnte der neue König stabile, seine Herrschaft unterstützende Beziehungen zu Ethnien, Religionen und einzelnen Personen aufbauen.[8] Da Herodes keinerlei traditionale, charismatische oder rationale Berechtigung (die Ernennung durch Rom war aus regionaler Perspektive eine schwache Rechtfertigung) in sein ihm übertragenes Reich mitbrachte, entwickelte er ein System von «Identitäten», die er selbst in seinem ganzen Reich oder in Teilen seines Reiches annahm und die die politische Neugestaltung des Raumes bestimmten: Seine Herkunft war idumäisch, seine Religion war das Judentum, sein Bürgerrecht war römisch, seine Sozialisation war hellenistisch, und die institutionelle Grundlage seiner Herrschaft war sein Hof, d.h. seine Familie. Diese Identitäten des Herodes begründen auch die Systematik der folgenden Kapitel. Aus dieser Vorgehensweise ergeben sich vier Vorteile: Denn die Identitäten erklären, erstens, wie der König seine Herrschaft gewann und stabilisierte; sie ermöglichen, zweitens, eine Interpretation aller von Josephus und den Parallelquellen übermittelten Praktiken, Rituale, Gesten, Handlungen im sich herausbildenden herodianischen System; sie erklären, drittens, aber auch die Widersprüche, die das politische Handeln des Herodes oft unerklärlich machten, und ermöglichen, viertens, einen neuen, methodisch abgesicherten, nicht spekulativen Zugriff auf die «Geisteskrankheit» am Ende seines Lebens, ohne eine psychiatrische Diagnose stellen zu müssen (was überhaupt nicht möglich ist).

Die folgenden fünf Kapitel gehen also den «Identitäten» des Herodes nach; sie sind demnach systematisch angelegt, um die Politik des Königs erklären zu können. Das sechste Kapitel beschreibt dann die krisengeschüttelten letzten Jahre der Königsherrschaft, in denen diese Identitäten sich nicht mehr im Gleichgewicht befanden und in einen Widerstreit untereinander gerieten. Dies machte sich vor allem bei Hof in der Familie bemerkbar, deren Kontrolle dem alt gewordenen König – er war mit seinen 60 Jahren inzwischen zum senex geworden – zunehmend entglitt. Am Ende brach das so ausgeklügelte System zusammen; der König starb im März 4 v. Chr. in seinem 70. Lebensjahr und hinterließ ein Reich, das nicht, wie er es erhofft haben mochte, stabil auf die herodianische Familie hin umgestaltet war, sondern zerstritten und sich in einem Zerfallsprozeß befand.

Erster Teil

DAS LEBEN DES HERODES

image

Abb. 1 Der palästinische Raum zur Zeit des Herodes

I. «Sie werden die Herrschaft einem Idumäer, also einem Halbjuden geben»:[1]

Herodes als Idumäer

1. Der syro-palästinische Raum

Herodes stand, als er 4 v. Chr. starb, «im 70. Lebensjahr» – so schreibt Flavius Josephus.[1a] Er wurde demnach im Jahre 73 v. Chr. geboren, wahrscheinlich in Marisa (einer Stadt etwa 35 km südwestlich von Jerusalem), als Sohn des idumäischen Politikers Antipater und der nabatäischen Adligen Kypros; als zweitältestes Kind dieser Ehe hatte er noch drei Brüder und eine Schwester. Da die Region Idumäa im Süden Judäas den Juden, aber auch der hellenistischen Welt als rand- und rückständige «Provinz» galt, gab es nicht viele Aufstiegsmöglichkeiten für ehrgeizige Familien. Als Ausgangspunkt einer politischen Karriere lag es für Herodes deshalb nahe, sein Augenmerk auf Jerusalem, die Hauptstadt des Hasmonäerreiches, zu dem seit einem halben Jahrhundert auch Idumäa gehörte, zu lenken.

Die Region, um die es in diesem Buch geht und in die die Herrschaft des Herodes eingebettet war, stellte nie eine Einheit dar, weder in ethnischer noch politischer noch wirtschaftlicher Hinsicht. Die Ursache dafür liegt in den geopolitischen Voraussetzungen, die bis in die Gegenwart hinein für die Politik in dieser Region bestimmend sind und mit erklären können, warum hier selten wirklicher Friede einkehrt. Wir sprechen von einem Gebiet, das sich heute zwischen der Türkei und Ägypten ca. 700 km in nord-südlicher sowie zwischen dem Irak und dem Mittelmeer ca. 300 km in ost-westlicher Richtung ausdehnt und die Staaten Israel mit den palästinischen Gebieten, Jordanien, Libanon und Syrien umfaßt. In der Nachfolge venezianischer Kaufleute bezeichnet man diese Region auch als Levante (italienisch für «Land der aufgehenden Sonne»). Sie ist der westliche Ausläufer des sogenannten «fruchtbaren Halbmondes» (ein von dem Amerikaner James Henry Breasted [1865–1935] geprägter Begriff), der sich von der südlichen Türkei über den Irak nach Iran im Osten und weiter nach Ägypten im Süden erstreckt. Dieses Gebiet, zu dem am Rande auch Idumäa, die Ursprungsregion der Herodianer, gehört, ist von einer großen geographischen und klimatischen Vielfalt, deren Eigenheiten schon die antiken Geographen wie Strabo und Ptolemaios für bestimmte Charaktermerkmale der dort lebenden Völker verantwortlich machten. Ein nach Süden breiter werdender fruchtbarer, aber insgesamt sehr schmaler Küstenstreifen wird durch Gebirge und Höhenrücken von dem syrischen Hinterland abgetrennt. Seine Enge bestimmte die Lebensweise seiner Bewohner; hier konnte man sich im wesentlichen nur auf den Handel hin orientieren. Und von der Enge dieser Region ist auch die politische Geographie maßgeblich bestimmt worden, denn die an der Küste angelegten Städte, zunächst im Norden die phönizischen wie Byblos, Sidon und Tyros, im südlichen Gebiet Joppe, Askalon und Gaza, später auch griechische Neugründungen wie Ptolemais oder unter Herodes Caesarea, waren nach Westen orientierte Handelsstädte mit einem starken «Mittelstand» von Händlern, Handwerkern, Kaufleuten; sie waren zudem stadtstaatlich organisiert und expansiv, schickten Kolonisten in den Mittelmeerraum hinaus (Tyros gründete z.B. Karthago) und setzten sich immer deutlich von den jenseits der Bergketten liegenden östlichen Regionen ab. Diese waren agrarisch ausgerichtet, dementsprechend andersartig war ihre Sozialstruktur. Historisch betrachtet war die Levante bzw. der syro-palästinische Raum seit der Bronzezeit im Blickpunkt der Großmächte, sie war die Landbrücke zwischen den ersten Großreichen im mesopotamischen Raum und Ägypten und blieb als solche ein Zankapfel zwischen den Mächten. Auch die Eroberung Palästinas durch Alexander den Großen 332 v. Chr. hatte daran nichts geändert, denn schon bald nach dessen Tod im Jahre 323 stritten sich die Nachfolgereiche, das ptolemäische in Ägypten und das seleukidische in Syrien, unablässig in mehreren sogenannten Syrischen Kriegen um die Kontrolle der Region. Erst Rom vermochte es, Ruhe einkehren zu lassen, als es ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. die Geschicke der Region für etwa ein halbes Jahrtausend alleine bestimmte. Diese geopolitische Komplexität bestimmte ebenso wie die ethnische Vielfalt auf relativ engem Raum und die Tatsache, daß die Region aufgrund ihres Landbrückencharakters stets umstritten war, auch die Herrschaftszeit des Herodes und bewirkte letztlich das Scheitern dieses Königs. Man kann deshalb seine Herrschaft nur aus der Geschichte und der geographisch-ethnischen Vielfalt heraus verstehen.[2]

345