Heike Achner
Ärzte in der Antike
Umschlagabbildung: Medizinische Instrumente aus Pompeji.
Archäologisches Nationalmuseum, Neapel. Foto: akg-images/Nimatallah (vgl. Abb. 27)
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© 2009 by Verlag Philipp von Zabern, Mainz am Rhein
ISBN: 978-3-8053-4130-1
Gestaltung: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau
Lektorat: Andrea Rottloff, Gersthofen
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.
Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten.
EINFÜHRUNG
GRIECHENLAND
Asklepiosmedizin – Heilung im Schlaf
Die Philosophenärzte – Wer bin ich? Wie soll ich leben?
Räucherungen – der Atem der Götter
Knidos und Kos – die Rivalen
Das Corpus Hippocraticum – Schriften (nicht nur) von Hippokrates
Gesundheitspflege – vorbeugen statt heilen
Moderne Gesundheitspflege – Was gibt es Neues seit der Antike ?
Alexandria – die Weltstadt
Sektionen – Ethos gegen Forschergeist
ETRUSKER
ROM
Die Ausbildung der Ärzte – jeder, wie er will
Ärzteschulen in Rom – viele Ärzte, viele Theorien
Bäderwesen und Heilbäder – Hygiene, Heilung und soziales Leben
Viersäftelehre/Humoralpathologie – von Blut, Schleim und Galle
Ausleitungsverfahren gestern und heute – das Übel der Säfte
Spezialisten in der Antike – geldgierige Scharlatane oder hoch spezialisierte Fachärzte ?
Arztgräber – Ärzte für die Ewigkeit
Phytotherapie – Heilen mit Kräutern
Phytotherapie heute
Militärärzte – Krieger und Heiler
Das Instrumentarium – modernes Design
VON ABTREIBUNG BIS ZAHNHEILKUNDE
Abtreibung und Empfängnisverhütung – das Ungeborene hat keinen Rechtsschutz
Aphrodisiaka – die Kräuter und Gewürze der Aphrodite
Ärztinnen – ebenbürtige Kolleginnen
„Drecksapotheke“ – ekelerregend und gesundheitsschädlich
Epilepsie – die heilige (?) Krankheit
Geburt und Kinderkrankheiten – Freuden und Sorgen
Geschlechtskrankheiten – in der Antike (k)ein Thema
Nichtärztliche Heilkundige – Trainer, Masseure und Hebammen
Öffentliches Gesundheits- und Ärztewesen – privilegierte Ärzte
Seuchen im Altertum – eine Strafe der Götter?
Starstich – eine Nadel gegen den grauen Star
Tierheilkunde – Veterinär, ein Beruf mit Zukunft
Trepanation – Hirnoperation in der Antike
Zahnheilkunde – ein schmerzvolles Thema
TRADITIONELLE EUROPÄISCHE MEDIZIN
ANHANG
Weiterführende Literatur
Abbildungsnachweis
Adresse der Autorin
[Informationen zum Buch]
Krankheit, Leiden und Tod bestimmten auch in der griechisch-römischen Antike den Alltag der Menschen. Wie in allen Kulturen gab es Heilkundige, aber die Medizin als eigenständige Wissenschaft bildete sich erst nach und nach heraus. Nebeneinander existierten die Tempelmedizin des Asklepioskultes mit ihren glanzvollen Heiligtümern, die häufig von Aberglauben und Magie geprägte Volksmedizin und die wissenschaftliche Medizin, durchdrungen von philosophischem Gedankengut. Zur Zeitenwende hin entwickelte sich zunehmend ein Spezialistentum und die unterschiedlichsten medizinischen Strömungen formten sich aus.
In diesem Buch geht es um Ärzte und Ärztinnen sowie um medizinisch gebildete Laien mit ihren unterschiedlichen Lebenswegen und um die Medizin ihrer Zeit. Manchmal erscheint uns diese Medizin merkwürdig fremd, ab und an auch grausam, und dann wieder so vertraut und bekannt, dass man nicht glauben mag, dass inzwischen zwei Jahrtausende vergangen sind. Selbst die ethischen und moralischen Grundsätze vieler antiker Ärzte lassen uns heute staunen. Dieses Buch sei diesen hervorragenden Medizinern gewidmet, die durch ihre Heilkunst, ihren wachen Verstand und ihr Mitleid vielen ihrer Zeitgenossen das Leben ein bisschen einfacher gemacht und ihr Leiden verringert haben.
Machaon – der Kriegerarzt
Machaon war ein Sohn des berühmten Arztes und thessalischen Königs Asklepios. Mit seinem Bruder Podaleirios diente der Prinz als Arzt und Krieger im Heer der Griechen vor Troja. Homer berichtet, wie der junge Heerführer eine Pfeilwunde des Menelaos behandelte. Er entfernte die Pfeilspitze, saugte die Wunde aus und legte ein Heilmittel auf die Verletzung. Das waren die vorrangigen Aufgaben eines Arztes in homerischer Zeit (8. Jh. v. Chr.) – Entfernung von Fremdkörpern, Säuberung der Wunde, Blutstillung, Verbände anlegen und Schmerzlinderung. Von magischen Praktiken ist nichts überliefert, sie scheinen keine Rolle gespielt zu haben. Als die Pest im Lager der Griechen ausbrach, waren keine Ärzte involviert. Die Pest sandte der erzürnte Apollon, sie war also gottgesandt. Die Menschen waren der Gnade der Götter hilflos ausgeliefert. Auch innere Erkrankungen gehörten nicht zum Behandlungsspektrum der homerischen Ärzte, sie waren ausschließlich Wundärzte. Allerdings scheint es Hinweise zu geben, dass Machaons heilkundiger Bruder Podaleirios ein guter Diagnostiker innerer Erkrankungen gewesen ist. Er war es auch, der den Wahnsinn des Ajax zuerst erkannte. Diese Textstellen sind jedoch umstritten.
Die anatomischen Kenntnisse dieser Zeit stammten in erster Linie aus Beobachtungen, die man an Verwundeten machte. Die Beschreibungen der Verletzungen bei Homer sind detailliert und kenntnisreich. So berichtet der Dichter von einer Hirnverletzung, die sich ein Krieger im Kampf zuzog: Idomeneus traf mit seiner Lanze den Mund des Erymas. Die Spitze der Lanze drang bis zum Gehirn vor und durchbrach dabei die Knochen, die das Gehirn schützen. Alle Zähne lösten sich, und das Blut drang in die Augen. Auch aus dem Mund und den Nasenöffnungen trat Blut heraus. Oder auch die Beschreibung der Verwundung des Aeneas (Abb. 4): Ein zackiger Stein traf den Helden unterhalb der Flanke, und zwar an jener Stelle, die als Gelenkpfanne bezeichnet wird, wo der Oberschenkel in den Hüftknochen eingepasst ist. Der Knochen war gebrochen, die beiden Sehnen durchtrennt, und der raue Stein zerfetzte die Haut. Er wurde ohnmächtig.
Sicher war es nicht allgemein üblich, dass Ärzte auch Kämpfer waren. Aber Machaon war königlichen Geblüts und ein Heerführer. Für ihn, wie auch für seinen Bruder Podaleirios war das Kämpfen selbstverständlich. Es ist die Zeit, in der Ärzte meist aus adligem Haus stammten.
Auch untereinander versorgten die Krieger ihre Wunden. Von Achilleus (Abb. 1) wissen wir, dass er die Heilkunst ebenfalls bei Cheiron, dem sanftmütigen, weisen Kentauren erlernt hatte, wie viele der griechischen Helden und wie auch Machaons Vater Asklepios. Und auch Achilleus’ Freund und Gefährte Patroklos war in der Heilkunde bewandert.
Ärzte genossen hohes Ansehen. Als Machaon in der Schlacht an der rechten Schulter verwundet wurde, waren die Griechenfürsten höchst besorgt um ihn, denn wie ein Vers des Homer sagt: „Ein heilender Mann wiegt viele andere auf“.
Im Verlauf des 6. Jhs. v. Chr. breitete sich der Kult um den Heilgott Asklepios allmählich aus. Im 4. Jh. v. Chr. war er bereits im gesamten Mittelmeerraum mit Ausläufern in das gallisch-germanische Gebiet vertreten. Vermutlich ging der Kult von Epidauros (Abb. 2) aus, dem ältesten und berühmtesten uns bekannten Asklepios-Heiligtum. Angeblich wurde Asklepios hier geboren.
Aufgrund einer verheerenden Seuche bat Rom im Jahr 293 v. Chr. im Heiligtum von Epidauros um Hilfe. Die Priester gaben den römischen Gesandten eine der heiligen Aesculap-Nattern mit. Kaum in Rom angekommen, glitt die Schlange in den Tiber und ließ sich auf der Tiberinsel nieder. Hier entstand das erste römische Asklepiosheiligtum. Man gab der Insel die Form eines Schiffes und nannte den neuen Gott Aesculapius. In der Kaiserzeit wurde die Insel mehr und mehr zu einer Anlaufstelle für die Ärmsten der Armen. Arbeitsunfähige Sklaven wurden hier in solchen Massen ausgesetzt, dass Kaiser Claudius (reg. 41–54 n. Chr.) sich gezwungen sah, ein Gesetz zu erlassen, wonach jeder Sklave, der auf der Tiberinsel ausgesetzt wurde, frei war. Die begüterteren Römer mieden im Allgemeinen das Heiligtum auf der Insel und zogen die griechischen Heiltempel vor.
Abb. 1: Achilleus verbindet den Arm seines verwundeten Freundes Patroklos vor Troja. Innenbild einer Trinkschale des griechischen Töpfers Sosias, aus Vulci, um 500 v. Chr. Dies ist eine der ältesten Darstellungen der griechischen Wundheilkunde. Patroklos war vor Troja auch als Heiler tätig. Hier benötigt er allerdings selbst Hilfe. Die griechischen und trojanischen Helden verarzteten sich oft gegenseitig. Staatliche Museen zu Berlin – Antikensammlung.
Abb. 2: Epidauros, Tempel des Asklepios. Epidauros war mit seinem Asklepios-Heiligtum einer der bedeutendsten und ältesten Kurorte der Antike. Die erste Kultstätte, zunächst noch für den Asklepios-Vater Apollon, stammt aus dem 7. Jh. v. Chr.
Doch wie kann man sich die Heilkunde in den Tempeln des Asklepios vorstellen? Es gab dort keine Ärzte im eigentlichen Sinn, sondern lediglich Priester des Heilgottes. Jeder Heilungssuchende war willkommen, auch diejenigen, die als unheilbar galten und bei denen die Ärzte eine Behandlung abgelehnt hatten. Es galt nur das Gebot, dass Sterbende und Gebärende sich dem Heiligtum fernzuhalten hatten.
Die Tempel standen in den meisten Fällen an Orten, die als besonders gesund galten und über Quellen mit frischem und heilsamem Wasser verfügten. So finden wir die Heiligtümer häufig auf Anhöhen in einiger Entfernung von größeren Ansiedlungen oder Städten. Nur selten wurden die Heiltempel innerhalb der Stadtbezirke angelegt. Der Tempel auf der Tiberinsel scheint der erste dieser Art gewesen zu sein. In der gesunden, erholsamen Umgebung des Tempels blieben die Heilungssuchenden oft mehrere Wochen, manchmal Monate. Daher gab es extra für die Kranken eingerichtete Gasthäuser nahe des Heiligtums. In Epidauros umfasste das Gasthaus zwei Stockwerke mit 160 Räumen, man war also für einen großen Ansturm an Kranken mit ihren Angehörigen gewappnet. Aber es gab natürlich auch die Wohnhäuser der Priester, Verwaltungsbeamten und Diener. Auch für die Zerstreuung war gesorgt. Die großen Heiligtümer wie Epidauros und Pergamon verfügten über Bibliotheken, Sportplätze, Thermenanlagen und sogar Theater.
Asklepios – der Arzt, den Zeus tötete
Zum ersten Mal begegnet uns Asklepios (Abb. 3) bei Homer. Während des trojanischen Krieges dienten die Helden Machaon und Podaleirios als Krieger und Ärzte im griechischen Heer. Sie waren Söhne des thessalischen Königs Asklepios, der sie die Heilkunst gelehrt hatte. Erst in späteren Jahrhunderten wurde aus dem König ein Gott.
Und so berichtet die Sage: Apollon entbrannte in Liebe zu der thessalischen Königstochter Koronis, oder zumindest, sagen wir, begehrte er sie. Nun, jedenfalls empfing sie von dem Gott ein Kind. Doch Koronis war bereits in Ischys, einen Sterblichen, verliebt. Als sie Ischys’ Frau werden wollte, wurde der eifersüchtige Apollon sehr zornig. Er schickte seine ihm stets verbundene Schwester Artemis, die die hochschwangere Königstochter tötete. Der Scheiterhaufen loderte schon, als es Apollon in den Sinn kam, zumindest sein ungeborenes Kind zu retten. Er schnitt den toten Leib seiner ehemaligen Geliebten auf, holte das Kind, einen Knaben, heraus und brachte ihn zu dem Kentauren Cheiron, der ihn aufzog.
Viele Helden haben bei Cheiron, dem weisen, wissensreichen Kentauren ihre Erziehung erhalten, so zum Beispiel auch Achilleus und Jason. Cheiron lehrte den jungen Asklepios die Heilkunde, und der junge Mann brachte es zu meisterlichem Können. Durch sein göttliches Blut konnte er sogar hoffnungslose Fälle heilen. Seine Heilkunst bewirkte, dass die Zahl der Toten in der Unterwelt drastisch abnahm. Als er dann noch einen Toten zum Leben erweckte, reichte es Hades, dem Gott der Unterwelt. Er erhob bei Zeus, dem Göttervater, Anklage. Zeus hatte Verständnis für die Sorge seines Bruders Hades, fackelte nicht lange und tötete Asklepios mit einem Blitzstrahl.
Nach seinem Tod wurde Asklepios in den Götterhimmel erhoben. Wie Herakles gehört er zu der jüngeren Göttergeneration. Sein bekanntestes Attribut ist die Schlange, die sich um seinen Wanderstab oder seinen Thron windet. Die Schlange stellt im griechischen Raum ein uraltes Heilssymbol dar, allein schon ihre Berührung kann heilen. In späterer Zeit wird die sich um den Stab windende Schlange das Symbol für Medizin und Pharmazie. Gelegentlich wird Asklepios auch durch einen Hund begleitet, über dessen Ursprung noch gerätselt wird. Da auch altorientalische Heilgötter häufig mit einem Hund abgebildet werden, könnte dort die Herkunft vermutet werden. Fast immer wird der Gott als kräftige Gestalt mit väterlich-gütigem Gesichtsausdruck, Bart, Mantel und Stab dargestellt.
In klassischer und hellenistischer Zeit bekommt Asklepios eine Familie. Seine Söhne Machaon und Podaleirios kennen wir schon aus der Ilias. Dazu kommen seine Töchter Hygieia, die personifizierte Gesundheit, und Panakaia, die Allheilende. Diese beiden Namen werden im hippokratischen Eid genannt. Im 1. oder 2. Jh. n. Chr. tritt der letzte Sohn mit Namen Telesphoros, „der zum guten Ende bringt“, zu der Familie. Meist steht er in Kindgestalt und in einen Kapuzenmantel gehüllt zu Füßen seines Vaters.
Neben der Verehrung des Heilgottes Asklepios gewinnt der Kult um seine Tochter Hygieia und seinen Sohn Telesphoros in den folgenden Jahrhunderten an Bedeutung.
In der Spätantike ist es manchmal schwierig, die Darstellungen des Asklepios von denen Jesu Christi zu unterscheiden. Der barmherzige, den Sterblichen zugewandte Gott, der in seinen Tempeln die Lahmen gehend und die Blinden sehend macht, ist dem christlichen Gottessohn in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich und wird auf beinahe gleiche Art dargestellt.
Vor Betreten des Heiligtums fand eine rituelle Reinigung statt. Dazu waren Brunnenbauten angelegt worden. Nach der rituellen Waschung brachte der Patient ein Opfer dar. Meist gab es einen langgestreckten Altar, auf dem Kuchen geopfert wurde. Danach schritt der Heilungssuchende weiter, um sein Hauptopfer darzubringen. Der Hahn war dem Gott heilig und daher ein beliebtes Opfer, aber auch andere Tiere waren willkommen. Das Fleisch der Opfertiere musste an Ort und Stelle verspeist werden, daher gab es große Räumlichkeiten mit Speisebetten und Tafeln. Allerdings fand das Essen erst nach der Inkubation (dem Heilschlaf) statt. Für manche Heiligtümer ist eine mehrtägige Fastenzeit für die Patienten vor Betreten des heiligen Bezirkes belegt.
Mit Waschungen, Opfern und Gebeten stimmten sich die Heilungssuchenden auf das Betreten des Allerheiligsten ein. Nun wurden sie von den Priestern zu ihren Schlafstätten im Abaton, im Zentrum des Tempels, geführt. Sie kleideten sich in weiße Gewänder, legten all ihren Schmuck und ihre Schuhe ab und ließen ihr Haar offen. Den Kopf bekränzte ein Kranz aus Ölbaumzweigen. Dann legten sie sich zum Schlafen nieder. Im Schlaf erschien der Gott, manchmal zusammen mit einer seiner heilkundigen Töchter und oft in Begleitung der Schlange oder selbst in Schlangengestalt. Er führte entweder sofort die Heilung durch Handauflegen oder schmerzlose Operation herbei, oder er zeigte den Weg auf, wie Heilung erlangt werden konnte. Im günstigsten Fall war der Patient nach dem Schlaf geheilt. Er verließ das Heiligtum, opferte Asklepios und bezahlte die Priester auf angemessene Art und Weise. Doch häufig dauerte die Heilung länger und wurde zu etwas, was wir heute als Kur bezeichnen würden. In den Tempeln mischte sich die Medizin der Antike mit rituellen Handlungen, was anscheinend zu nicht unbedeutenden Heilerfolgen führte. Die Priester halfen dabei, die Worte des Gottes zu verstehen und die Träume zu deuten. Meist waren es Anweisungen für die Einnahme bestimmter Kräuter, für sportliche Betätigungen und heiße und kalte Bäder.
Es gibt eine Vielzahl von Heilungsberichten, die von glücklichen, gesundeten Menschen oder von den Priestern auf kleine Täfelchen geschrieben oder in Wände gemeißelt wurden. Drei seien hier stellvertretend genannt:
„Gorgias aus Herakleia, Eiterung. Dieser war in einer Schlacht durch einen Pfeil in der Lunge verwundet worden und war während anderthalb Jahren so voll Eiter, dass er 67 Becken mit dem Eiter füllen konnte. Als er drin (im Tempel) schlief, hatte er ein Gesicht: Ihm träumte, der Gott nehme ihm die Pfeilspitze aus der Lunge. Als der Tag anbrach, kam er gesund heraus und trug die Pfeilspitze in seinen Händen.“
Abb. 3: Asklepios aus Munychia. Oberkörper einer großen Marmorstatue (H. 100 cm). Griechisch-hellenistisch, 3. Jh. v. Chr., gefunden 1888 in Piräus. Leider fehlt das Attribut des Gottes, sein mit Schlangen umwundener Stab. Der Gott wird seit dem 4. Jh. v. Chr. mit dem Stab dargestellt, die Schlange selbst begleitet Asklepios jedoch bereits früher. Archäologisches Nationalmuseum, Athen.
„Euphanes von Epidauros, ein Knabe. Dieser litt an Steinen und schlief drin. Da träumte ihm, der Gott trete zu ihm und sage: Was wirst du mir geben, falls ich dich gesund mache? Er habe geantwortet: Zehn Astralgalen (Würfel). Da habe der Gott gelacht und gesagt, er werde ihn befreien. Als der Tag anbrach, kam er gesund heraus.“
„Ich, Marcus Iulius Apellas, aus Mylasa in Karien, wurde vom Gott hergeholt, weil ich oft krank wurde und an Verdauungsstörungen litt … Als ich ins Heiligtum kam, befahl er mir, für zwei Tage, während welcher Regen fiel, den Kopf zu verhüllen, Käse und Brot zu essen, Sellerie mit Salat, allein ohne fremde Hilfe zu baden, mich im Schnelllauf zu trainieren, von einer Zitrone die Schale, in Wasser eingeweicht, einzunehmen, im Bad bei den Akoai mich an der Wand zu reiben, im oberen Umgang zu spazieren, die Schaukel zu benutzen, mich mit Sandbrei einzuschmieren, barfuß zu gehen, bevor ich im Bad ins warme Wasser steige, mich mit Wein zu übergießen, mich allein zu waschen und eine attische Drachme dem Bademeister zu geben, dem Asklepios, der Epione und den Eleusinischen Göttinnen zusammen zu opfern, Milch mit Honig einzunehmen … Er befahl mir auch, dies aufzuzeichnen. Dankerfüllt und gesund reise ich ab.“
Traumdeutung
1. Träume über die eigene Person und Kleidung
Wenn jemand sich selbst im Traum sieht und alles an ihm ist in der richtigen Weise seiner Natur entsprechend beschaffen und weder zu groß noch zu klein, so ist das ein gutes Zeichen für die Gesundheit. Auch weiße Kleidung und das beste Schuhwerk aus dem eigenen Bestand anzuhaben ist gut. Wenn aber die Glieder zu groß oder zu klein erscheinen, ist das kein gutes Zeichen. Man muss es durch die Diät (= Lebensweise) entweder wachsen lassen oder vermindern. Schwarze Kleidung deutet auf Krankheit und Gefahr. Dann muss man die Diät weich und feucht halten. Neue Kleidung aber deutet auf Veränderungen.
2. Träume von Toten
Die Toten rein in weißen Kleider zu sehen und etwas Reines von ihnen zu empfangen, ist ein gutes Zeichen. Es bedeutet Gesundheit des Körpers und dessen, was er aufnimmt. Denn von den Toten kommt die Nahrung, das Wachsen und der Samen. Wenn das alles rein in den Körper eingeht, bedeutet es Gesundheit. Wenn aber jemand sie umgekehrt nackt oder in schwarzen Kleidern oder nicht rein sieht oder, wie sie aus dem Haus etwas nehmen oder wegtragen, ist es nicht gut. Das bedeutet Krankheit, denn dann ist das, was in den Körper eingeht, schädlich. Dann muss man mit Rundläufen und Spaziergängen reinigen und nach Erbrechen milde und leichte Nahrung in allmählicher Steigerung zuführen.
(Corpus Hippocraticum, Die Regelung der Lebensweisen. Buch 4: Über die Träume)
Durch die Verbindung der Medizin mit der vorsokratischen Naturphilosophie wurde der Heilkunde ein wissenschaftliches Fundament gegeben. Die ionische Naturphilosophie versuchte, die Welt ohne magische oder mythologische Denkmodelle zu erklären. Und auch Krankheiten sahen die Gelehrten nicht mehr als gottgegeben an, sondern deuteten sie rein wissenschaftlich. Diese Zeit ist gekennzeichnet durch das leidenschaftliche Streben nach Erkenntnis. Die meisten Philosophen waren gleichzeitig auch Heilkundige, Biologen, Zoologen, Physiker, Mathematiker und Astronomen. Und sie schrieben gern. Die Schriften der großen Philosophen überdauerten die Zeiten.
Die Philosophie wurde zur Grundlage aller medizinischen Theorien und Methoden. Besonders deutlich wird die wechselseitige Beeinflussung bei den philosophisch-naturwissenschaftlichen Systemen des Platon und Aristoteles. Bei Hippokrates (s. S. 22) wird die wissenschaftlich geprägte Medizin deutlich sichtbar. Auch die Ärzteschulen, die sich in hellenistischer Zeit entwickelten, lehrten Medizin auf der Grundlage verschiedener philosophischer Strömungen. Ein griechischer Arzt war gleichzeitig auch immer ein Philosoph. Das blieb sehr lange so.
Der berühmte Arzt Galen von Pergamon (1. Jh. n. Chr.) (s. S. 61), der sich ganz der hippokratischen Tradition verschrieben hatte, verlangte, dass ein Arzt nur so genannt werden dürfte, wenn er auch eine philosophische Ausbildung besaß. Daraus lässt sich schließen, dass sich in römischer Zeit eine Ärzteschaft entwickelt hatte, die zwar Medizin, aber nicht mehr Philosophie studiert hatte.
Demokedes von Kroton – der Abenteurer
Demokedes wurde um 500 v. Chr. in Kroton, einer achäischen Kolonie in Süditalien, als Sohn eines Arztes geboren. Wie wissen einiges über sein Leben, was wir in erster Linie dem Geschichtsschreiber Herodot verdanken, der über ihn als den besten Arzt seiner Zeit berichtete.
Demokedes kam nicht gut mit seinem jähzornigen Vater aus und verließ, so bald er seine Ausbildung beendet hatte, Kroton und ließ sich in Aigina nieder. Hier machte er rasch Karriere, die Stadt Aigina ernannte ihn zum öffentlichen Arzt und bezahlte ihm das recht stattliche Gehalt von einem Talent Silber. Rasch wurde er jedoch durch Athen abgeworben und konnte alsbald dem großzügigen Angebot des Tyrannen Polykrates von Samos nicht widerstehen. Dort soll er bereits zwei Talente (zwischen 26 und 37 kg Silber) im Jahr verdient haben. Am Hof des Herrschers ging es ihm gut, aber Polykrates wurde unglücklicherweise 522 v. Chr. ermordet, und Demokedes geriet in Gefangenschaft des Perserkönigs Dareios I. Eine Zeit lang lebte er unerkannt als elender Sklave in Sardis. Eines Tages fiel jedoch der Großkönig beim Jagen vom Pferd und verrenkte sich den Fußknöchel. Sofort waren die ägyptischen Ärzte seines Gefolges zur Stelle, versuchten das Fußgelenk des Herrschers wieder einzurenken und legten ihm solch straffe Verbände an, dass Dareios unter unerträglichen Schmerzen litt und sieben Nächte nicht schlafen konnte. Ein Mann seines Gefolges machte ihn auf den gefangenen griechischen Arzt aufmerksam. In Ketten, angetan mit schmutziger, zerrissener Kleidung wurde ihm der Sklave vorgestellt. Demokedes weigerte sich zunächst, den Großkönig zu behandeln, denn er befürchtete, dann niemals wieder in Freiheit entlassen zu werden, aber Dareios drohte ihm mit Folter und Tod, sodass er schließlich notgedrungen zustimmte.
Zunächst befreite er den Herrscher von den straffen Verbänden und legte heilsame, schmerzlindernde Kräuterumschläge an. Dareios konnte wieder schlafen und genas innerhalb kurzer Zeit. Sein Fuß, den er schon fast aufgeben hatte, gewann die volle Funktionsfähigkeit zurück. Zum Dank schenkte der König Demokedes zwei goldene Fußfesseln, eine wenig subtile Art, dem Arzt klarzumachen, dass er noch immer ein Sklave war. Die Frauen des Herrschers waren dem Griechen so dankbar für die Heilung ihres Herrn, dass sie ihm Gefäße randvoll mit Gold schenkten, die Demokedes reich machten und ihm die Möglichkeit gaben, ein prunkvolles Haus in Susa zu kaufen. Noch immer Sklave, wenn auch mit erheblich mehr Freiheiten, wurde er Leibarzt Dareios’ I. Nur seiner beredten Fürsprache war es zu verdanken, dass die unglücklichen ägyptischen Ärzte dem Zorn des Großkönigs entkamen, der bereits ihre Hinrichtung durch Pfählen, oder alternativ durch Kreuzigung, befohlen hatte.
Als Leibarzt war Demokedes Tischgenosse des Herrschers und hatte Zugang zu dessen Harem. Atossa, eine der Lieblingsfrauen des Dareios, erkrankte an einem Geschwür in der Brust und vertraute sich dem griechischen Arzt an. Es gelang ihm, sie zu heilen und er gewann sie zur treuen Freundin. Mit ihrer Hilfe schaffte er es, Dareios zu einem Feldzug gegen Hellas zu überreden und wurde auf Atossas Fürsprache hin mit einigen persischen Kriegern, die auf ihn aufpassen sollten, als Kundschafter ausgewählt. In Tarent in Unteritalien bat er König Aristophiles um Hilfe, der die persischen Spione gefangen setzte.
Endlich frei, reiste Demokedes zurück in seine Heimatstadt Kroton, ließ sich dort als Arzt nieder und heiratete die Tochter des berühmten Olympioniken Milon. Aber die persischen Kundschafter wollten so schnell nicht aufgeben, sie fürchteten den Zorn ihres Herrn. Kaum wieder in Freiheit, reisten sie nach Kroton und ergriffen ihren flüchtigen Gefangenen. Sie hatten nicht mit dem Zorn der Krotoniaten gerechnet, die ihren Arzt befreiten und die Perser aus ihrer Stadt prügelten. Allerdings ließ ihnen Demokedes noch eine Nachricht für den Großkönig ausrichten. Er wusste, dass Dareios ein begeisterter Anhänger des erfolgreichen Ringkämpfers Milon war, und ließ ihm mitteilen, dass er die Tochter des Olympioniken geheiratet habe und ein sehr angesehener Arzt in seiner Heimat sei. Die Zeit der Abenteuer war vorüber. Bis zu seinem Tod lebte Demokedes friedlich in seiner Heimatstadt Kroton.
Leider erfahren wir nichts über die Arzneimittel und Heilmethoden, die Demokedes angewandt hat, weder bei der Fußverletzung des Großkönigs noch bei dem Brustgeschwür seiner Lieblingsfrau. Da er aber ein überaus erfolgreicher und angesehener Arzt gewesen ist, müssen seine Kenntnisse über Krankheiten und Heilmittel umfassend gewesen sein.
Das Erscheinungsbild des Arztes – Vorschrift aus dem Corpus Hippocraticum (Autor unbekannt)
Das Auftreten des Arztes denke ich mir so: Dem Aussehen nach wird er gut von Farbe und wohlgenährt sein, soweit es seine Natur zulässt. Denn beim Volk stehen die Ärzte, die nicht in diesem Sinne in gutem körperlichen Zustand sind, in dem Ansehen, dass sie auch für andere nicht gut sorgen können. Ferner soll seine Aufmachung reinlich sein; er trage anständige Kleidung und brauche wohlriechende Salben. Denn alles dieses empfinden die Kranken angenehm, und darauf muss man achten. Sein Charakter sei besonnen, was sich nicht nur in seiner Verschwiegenheit, sondern auch in seiner durchaus geordneten Lebensführung zeigen soll; denn das ist besonders vorteilhaft für ein gutes Ansehen. Er verhalte sich wie ein Ehrenmann. Als solcher sei er allen Menschen gegenüber zugleich ernst und freundlich; denn allzu beflissenes Entgegenkommen wird verachtet, auch wenn es ganz nützlich ist. Er sei nicht zu freigiebig mit seiner Person; denn dasselbe sieht man an denselben Personen nur dann gern, wenn sie sich rar machen. Seine Miene sei nachdenklich ohne Strenge; denn ein allzu selbstbewusster Mensch erweckt den Eindruck, menschenfeindlich zu sein. Wer aber immer gleich zum Lachen geneigt und allzu vergnügt ist, wird für einen unfeinen Menschen gehalten; davor muss man sich nicht am wenigsten hüten. In jedem Umgang mit Menschen zeigt er sich als ein rechtlicher Mann, denn in vielen Fällen muss ihm Rechtlichkeit zur Seite stehen. Die Kranken haben ja recht enge Beziehungen zum Arzt; denn sie geben sich den Ärzten in die Hand, und diese kommen zu jeder Zeit mit Frauen, Mädchen und dem wertvollsten Besitz in Berührung. All dem gegenüber muss man Selbstbeherrschung üben. So sollen sein Charakter und seine körperliche Beschaffenheit sein.
Empedokles von Akragas – Wunderheiler und Seuchenarzt
Empedokles wurde etwa um 500 v. Chr. in der reichen Handelsstadt Agrigent auf Sizilien geboren. Wie alle Ärzte seiner Zeit war er gleichzeitig ein gelehrter Philosoph und Naturforscher. Er stammte aus einer Adelsfamilie, angeblich hatte man ihm sogar die Königswürde angetragen, aber ihm lag das Wohl des Volkes am Herzen. Mit Sendungsbewusstsein, missionarischem Eifer und unter Einsatz seines nicht geringen Vermögens versuchte er, die Gesetze der Stadt zugunsten demokratischer Vorstellungen zu verändern. Sehr erfolgreich war er damit nicht. Den Großen der Stadt wurde es irgendwann zu viel, und sie vertrieben den einflussreichen, leidenschaftlichen Unruhestifter. Empedokles war zu dieser Zeit nicht mehr jung. Die Sage berichtet, dass er sich in den Krater des Ätna gestürzt habe, um seinem Leben ein Ende zu bereiten. Das muss etwa um 430 v. Chr. gewesen sein. Vermutlich ist er aber, weniger spektakulär, auf das griechische Festland ausgewandert.
Für uns besonders interessant ist sein Leben als Wanderarzt. Von Empedokles werden sagenhafte und mystische Begebenheiten berichtet. So soll er Stürme besänftigt, Wassermassen aufgehalten und dem Tod Einhalt geboten haben. Plinius berichtet über den Arzt, dass er während einer verheerenden Seuche Kranke durch magische Ausräucherungen geheilt habe. Überhaupt scheint er sich häufig in Seuchengebieten aufgehalten zu haben. Er ließ Süßwasserkanäle anlegen, verseuchtes, fauliges Wasser ableiten, Sümpfe trockenlegen und schüttete ganze Täler auf, um die Klimabedingungen zu verbessern. In Selinunt wurde er beinahe wie ein Gott verehrt, weil er durch das Umleiten zweier Flüsse die Stadt vor Seuchen und Krankheiten rettete.
Empedokles gilt als Begründer der Vier-Elemente-Lehre. Seiner Theorie nach ist die Welt aus den vier Elementen Wasser, Erde, Luft und Feuer aufgebaut. Diese vier Elemente bestehen wiederum aus kleinsten Teilchen, die in sich gleichartig sind. Alle Dinge bestehen aus verschiedenen Mischungen dieser Teilchen, auch der menschliche Körper. Ein Ungleichgewicht der Elemente im Körper führt zu Krankheit.
Seine Porenlehre besagt, dass alle sichtbaren Objekte Poren verschiedener Größe besitzen. Zudem gehen von allen sichtbaren Körpern unsichtbare „Ausflüsse“ aus, die wiederum in ihnen entsprechende Poren einzudringen vermögen, womit er auch die Sinneswahrnehmungen erklärt. Sitz des Denkens und der sinnlichen Wahrnehmung war für Empedokles das Herz. Er erkannte, dass es sowohl eine Atmung durch die Nase als auch durch die Haut gibt, auch wenn seine Erklärung dazu aus heutiger Sicht falsch ist.
Da er ein Anhänger der Lehre der Seelenwanderung war, lehnte er das Schlachten von Tieren leidenschaftlich ab. Er nannte es ein „scheußliches Morden“. Andererseits sezierte er viele menschliche Embryos und Föten und machte detaillierte Aussagen zur Zeugung und zur Entwicklung des Kindes im Mutterleib .
Empedokles war ein großer Arzt und Naturforscher, aber sein Erfolg stieg ihm zu Kopf. Er hüllte sich in teuerste Purpurgewänder, sah sich selbst als einen Bezwinger der Natur, ja, sogar als unsterblichen Gott bezeichnete er sich. Vielleicht stürzte er sich ja wirklich am Ende seines Lebens in den Vulkan. Welch besseren Abgang konnte ein von den Göttern Geliebter haben?
Abb. 4: Ein Arzt behandelt den verwundeten Aeneas. Wandmalerei aus der Casa de Sirico, Pompeji, 1. Jh. n. Chr. Der Chirurg Iapyx operiert mit der Zange einen Pfeil aus dem Bein des Aeneas. Seine Mutter, die Göttin Venus, und Aeneas’ weinender Sohn Ascanius flankieren ihn. Ascanius wurde der erste Herrscher von Alba Longa in Latium. Museo Nazionale Archeologico, Neapel.