Moses Mendelssohn

Ausgewählte Werke

Studienausgabe

Band II
Schriften zu Aufklärung und Judentum 1770–1786

Herausgegeben und eingeleitet
von
Christoph Schulte, Andreas Kennecke
und Graxyna Jurewicz

 

 

 

Impressum

 

 

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ISBN 978-3-650-24889-3

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Inhaltsverzeichnis

Die Lavater-Kontroverse (1769/1770)

Schreiben an den Herrn Diaconus Lavater zu Zürich (1770)

Antwort an den Herrn Moses Mendelssohn zu Berlin von Johann Casper Lavater (1770)

Was ihn zu diesem Schritte bewogen? (1770)

Brief an den Erbprinzen Carl von Braunschweig-Wolfenbüttel (1770)

Das jüdische Gebet Alenu (1777)

Proben rabbinischer Weisheit (1777)

Manasseh Ben Israel: Rettung der Juden Nebst einer Vorrede von Moses Mendelssohn (1782)

Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum (1783)

Ueber die Frage: was heißt aufklären? (1784)

Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes (1785)

An die Freunde Lessings (1786)

Weiterführende Literatur

Verzeichnis der Textbearbeiter

Abbildungsnachweis

Personenregister

Schreiben an den Herrn Diaconus Lavater zu Zürich

1770

 

 

 

 

 

Erstdruck: Schreiben an den Herrn Diaconus Lavater zu Zürich. von Moses Mendelssohn. Berlin und Stettin, bey Friedrich Nicolai 1770, 32 S. [hier: |]

JubA Bd. 7, S. 5–17. [hier: ||]

Das Schreiben an den Herrn Diaconus Lavater ist der Sache nach ein offener Brief Mendelssohns an Lavater, den Nicolai seiner Bedeutung wegen im eigenen Verlagshaus druckte. Anlaß dieses Schreibens war eine Widmung Lavaters, der seine deutsche Übersetzung von Charles Bonnets Buch Philosophische Untersuchung der Beweise für das Christenthum Mendelssohn zugeeignet hatte und 1769 sein Widmungsschreiben zusammen mit dieser Übersetzung zum Druck gebracht hatte. In Lavaters Widmung wird Mendelssohn aufgefordert, entweder Bonnets Beweise für das Christenthum öffentlich zu widerlegen oder zum Christentum überzutreten. Die Widmung lautet:

Verehrenswürdigster Herr!

Ich weiß die Hochachtung, die mir Ihre fürtreflichen Schriften und Ihr noch fürtreflicherer Charakter, eines Israeliten, in welchem kein Falsch ist, gegen Sie eingeflößt haben, nicht besser auszudrücken, und das Vergnügen, das ich vor einigen Jahren in Ihrem liebenswürdigen Umgange genossen, nicht besser zu vergelten, als wenn ich Ihnen die beßte philosophische Untersuchung der Beweise für das Christenthum, die mir bekannt ist, zueigne.

Ich kenne Ihre tiefen Einsichten, Ihre standhafte Wahrheitsliebe, Ihre unbestechliche Unpartheylichkeit, Ihre zärtliche Achtung für Philosophie überhaupt, und die Bonnetischen Schriften besonders: Und unvergeßlich ist mir jene sanfte Bescheidenheit, mit welcher Sie, bey aller Ihrer Entferntheit von dem Christenthum, dasselbe beurtheilen; und die philosophische Achtung, die Sie in einer der glücklichsten Stunden meines Lebens über den moralischen Charakter seines Stifters bezeugt haben; so unvergeßlich und dabey so wichtig, daß ich es wagen darf, Sie zu bitten, Sie vor dem GOtte der Wahrheit, Ihrem und meinem Schöpfer und Vater zu bitten und zu beschwören: Nicht, diese Schrift mit philosophischer Unpartheylichkeit zu lesen; denn das werden Sie gewiß, ohne mein Bitten, sonst thun: Sondern, dieselbe öffentlich zu widerlegen, wofern Sie die wesentlichen Argumentationen, womit die Thatsachen des Christenthums unterstützt sind, nicht richtig finden: Dafern Sie aber dieselben richtig finden, zu thun, was Klugheit, Wahrheitsliebe, Redlichkeit Sie thun heissen; – was Socrates gethan hätte, wenn er diese Schrift gelesen, und unwiderleglich gefunden hätte.

GOtt lasse noch viel Wahrheit und Tugend durch Sie ausgebreitet werden; lasse Sie alle das Gute erfahren, das Ihnen mein ganzes Herz anwünscht.

Zürich,
den 25sten des Augusts
1769.

Johann Caspar Lavater.

In seinem Schreiben an Lavater nun bringt Mendelssohn sein Befremden über diese öffentliche Aufforderung zur Taufe zum Ausdruck und wirft Lavater den Bruch der Vertraulichkeit und den Mißbrauch der in Mendelssohns Haus genossenen Gastfreundschaft vor. Dem aggressiven Versuch Lavaters, den Juden Mendelssohn in einen für Juden prekären, öffentlichen Disput über religiöse Wahrheiten des Christentums zu ziehen und ihn zu zwingen, entweder die Glaubenslehren des Christentums offen anzufechten oder aber sich taufen zu lassen, entzieht sich Mendelssohn: Er versichert Lavater, daß er die Grundsätze der eigenen jüdischen Religion von Jugend an im Lichte von Weltweisheit und Wissenschaften vernünftig geprüft habe und daß diese Prüfung zum Vorteil der jüdischen Religion ausgefallen sei. Zu Abfall oder Konversion zum Christentum besteht also für ihn überhaupt kein Grund. Mendelssohn weigert sich indessen grundsätzlich, seine Überzeugung von der Wahrheit der Religion seiner Väter gegenüber dem Christentum oder anderen Überzeugungen öffentlich darzustellen oder zu diskutieren. Dafür nennt er religiöse und philosophische Gründe: Erstens ist das Judentum keine missionarische Religion, da seine Gebote und Lehren von Gott nur dem jüdischen Volk gegeben wurden. Juden können gemäß der rabbinischen Tradition der Noachidischen Gebote mit tugendhaften Menschen aller Nationen und Religionen zusammenleben, ohne diese zum Judentum zu bekehren. Zweitens spricht philosophisch gegen öffentliche „Religionsstreitigkeiten“, daß in einem Gemeinwesen nur solche religiösen und sittlichen Irrthümer wie „Fanatismus, Menschenhaß, Verfolgungsgeist“ sowie „Leichtsinn, Ueppigkeit und Freygeisterey“ öffentlich bekämpft werden müssen, weil diese Irrtümer der natürlichen Religion und dem natürlichen Gesetz widersprechen und darum Ruhe, Zufriedenheit, Sittlichkeit und Glückseligkeit aller Menschen in ihrem Zusammenleben stören. Religiöse Irrtümer hingegen, welche die allgemeine Sittlichkeit und Ordnung nicht gefährden, können mit Stillschweigen übergangen werden. Überdies, fügt Mendelssohn hinzu, sei er als Jude „Mitglied eines unterdrückten Volks“, dessen bloßes Aufenthaltsrecht vom „Wohlwollen der herrschenden Nation“ abhängig und darum gefährdet sei und dem deswegen „Freyheiten, die jedem andern Menschenkinde nachgelassen werden“, versagt sind. Angesichts dieser für Juden bedrohlichen Machtverhältnisse habe er es sich zum Grundsatz gemacht, „Religionsstreitigkeiten mit der äußersten Sorgfalt zu vermeiden“.

∗ ∗ ∗

In der Schrift Antwort an den Herrn Moses Mendelssohn zu Berlin nahm Lavater 1770 sein Ansinnen einer öffentlichen Widerlegung von christlichen Glaubenslehren mit Bedauern zurück, nachdem zahlreiche Freunde, Publizisten und Spötter, aber auch Charles Bonnet selbst, seine Widmung kritisiert hatten. Dennoch unterläßt er es nicht, den Wunsch zu äußern: „Wolte Gott, daß Sie ein Christ wären!“

In seiner in derselben Schrift mitabgedruckten Replik Mendelssohns Nacherinnerung akzeptiert Mendelssohn sehr distanziert Lavaters Rücknahme als durchaus ehrenwert und macht an einem Beispiel eine Differenz zu Bonnet deutlich: Während Bonnet Wunder für „untrügliche Zeichen der Wahrheit“ im Christentum erkläre, gründet das Judentum auf der Offenbarung der göttlichen Gebote am Sinai und deren Wahrheit, also nicht auf (der Vernunft unbegreiflichen) Wundern, sondern auf einem Akt öffentlicher Gesetzgebung: „Nicht auf Wunderwerke also; auf die Gesetzgebung gründet sich unser Glaube an eine Offenbarung.“

Im weiteren Text der Nacherinnerung sieht Mendelssohn aufgrund der inzwischen judenfeindlich aufgeheizten öffentlichen Debatte um Lavaters Taufaufforderung seine eigene, prinzipielle Verweigerung öffentlicher Religionsstreitigkeiten bestätigt. Er exemplifiziert dies an den heftigen judenfeindlichen Attacken des Dr. Johann Balthasar Kölbele, der sich öffentlich in die Auseinandersetzung mit Lavater eingemischt und gleich in mehreren älteren Schriften auch Mendelssohn persönlich angegriffen und herabgewürdigt hatte. Mendelssohn verweigert Kölbele jegliche öffentliche Auseinandersetzung über dessen judenfeindliche Polemiken und verwahrt sich gegen dessen Versuch, diese zu erpressen. In Sachen des Judentums erklärt er Kölbele für schlechthin ignorant und überläßt dessen beleidigende Anwürfe der Verachtung des Publikums.

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Die nicht datierte Handschriftliche Notiz Mendelssohns entstand im Kontext des Lavater-Streits wohl 1769/70. Sie enthält nicht für die Publikation gedachte, persönliche Überlegungen Mendelssohns zur Motivation und den Absichten Lavaters, die diesen zur Veröffentlichung des Widmungsschreibens bewegt haben könnten. Sehr bündig faßt Mendelssohn für sich selbst in dieser Notiz einige Grundeinstellungen zu Christentum und Judentum sowie, voller Sarkasmus, antijudaistische Vorurteile seiner Zeit zusammen: Seine reflektierte und in vernünftiger Überlegung gegründete Entferntheit zum Christentum und dessen religiösen Lehren bei gleichzeitiger Hochachtung für den nur als Menschen betrachteten Jesus von Nazareth „als tugendhafter Mann“; ferner die Überzeugung, die göttlichen Gebote vom Sinai seien, wie schon Maimonides (11381204) geschrieben hatte, nur den Juden geoffenbart und nur für sie verbindlich; und nicht zuletzt die Gewißheit, daß die Juden entgegen aller antijüdischen theologischen „Widerlegungen“ ihrer Religion und entgegen aller Opportunität „verstockt“ an ihrer Religion festhalten und sich nicht bekehren werden, obwohl sie dadurch im Stand der Diskriminierung, Armut und Rechtlosigkeit bleiben.

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Der ebenfalls nur handschriftlich erhaltene und undatierte Brief Moses Mendelssohns an den Erbprinzen Carl von Braunschweig-Wolfenbüttel ist die Antwort auf ein Schreiben des an Fragen der Aufklärung interessierten Erbprinzen Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel (17351806), den Mendelssohn 1769 im Berliner Schloß und 1770 anläßlich seines Besuches bei seinem Freund Lessing in Wolfenbüttel getroffen hatte, wo Lessing seit 1769 Hofbibliothekar war. Der Erbprinz hatte Mendelssohn schriftlich gebeten, ihm seine Gründe gegen das Christentum und gegen die Konversion, welche Mendelssohn nicht im Rahmen eines publizistischen Religionsstreits gegen Lavater hatte öffentlich disputieren wollen, doch persönlich mitzuteilen. Mendelssohn reagiert, durchaus im Einklang mit seiner Verweigerung einer öffentlichen Kontroverse, mit einer persönlichen, nicht für die Öffentlichkeit gedachten Darstellung seiner Gründe an den Erbprinzen und bittet in dem vermutlich noch 1770 verfaßten Brief den Prinzen um Diskretion. In Art eines Lehrbriefs stellt Mendelssohn hier in für sein ganzes Werk einmaliger Detailliertheit jene zentralen christlichen Lehren vor, die er aufgrund von „Vernunft und Nachdenken“ mit Gründen ablehnt: die Trinitätslehre, die Menschwerdung Gottes in der Person Jesu Christi und die Lehre von einer Erlösung durch das Sohnesopfer am Kreuz, desgleichen Höllenstrafen, Erbsünden- und Teufelslehre und die Lehre von der Aufhebung des Mosaischen Gesetzes durch Christus.

Literatur:

Simon Rawidowicz: Einleitung. Zum Lavater-Mendelssohn-Streit, in: JubA Bd. 7, S. XI-LXXX; Dominique Bourel: Moses Mendelssohn. Begründer des modernen Judentums, Zürich 2007, S. 279–312; Christoph Schulte: Noachidische Gebote und Naturrecht, in: Richard Faber, Enno Rudolph (Hg.), Humanismus in Geschichte und Gegenwart, Tübingen 2002, S. 141–166.

 

 

 

Verehrungswerther Menschenfreund!

Sie haben für gut befunden, des Herrn Bonnets Untersuchung der Beweise für das Christenthum, die Sie aus dem Französischen übersetzt, mir zuzueignen, und in der Zuschrift mich vor den Augen des Publikums auf die allerfeyerlichste Weise zu beschwören: „diese Schrift zu widerlegen, wofern ich die wesentlichen Argumentationen, womit die Thatsachen des Christenthums unterstützt sind, nicht richtig finde; Dafern ich aber dieselbe richtig finde, zu thun, was Klugheit, Warheitsliebe und Redlichkeit mich thun heissen, – was ein Sokrates gethan hätte, wenn er diese Schrift gelesen, und unwiderleglich gefunden hätte;“ d. i. die Religion meiner Väter zu verlassen, und | mich zu derjenigen zu bekennen, die Hr. B. vertheidiget. Denn sicherlich, wenn ich auch sonst kriechend genug dächte, die Klugheit der Warheitsliebe und Redlichkeit das Gegengewicht halten zu lassen, so würde ich sie doch hier in diesem Falle alle drey in derselben Schale antreffen.

Ich bin völlig überzeugt, daß Ihre Handlungen aus einer reinen Quelle fließen, und kann Ihnen keine andere, als liebreiche, menschenfreundliche Absichten, zuschreiben. Ich würde keines rechtschaffenen Mannes Achtung würdig seyn, wenn ich die freundschaftliche Zuneigung, die Sie mir in Ihrer Zuschrift zu erkennen geben, nicht mit dankbarem Herzen erwiederte. Aber läugnen kann ich es nicht, dieser Schritt von Ihrer Seite hat mich ausserordentlich befremdet. Ich hätte alles eher erwartet, als von einem Lavater eine öffentliche Aufforderung. |

Da Sie Sich der vertraulichen Unterredung noch erinnern, die ich das Vergnügen gehabt, mit Ihnen und Ihren würdigen Freunden auf meiner Stube zu halten; so können sie unmöglich vergessen haben, wie oft ich das Gespräch von Religionssachen ab, und auf gleichgülti-||gere Materien zu lenken gesucht habe; wie sehr Sie und Ihre Freunde in mich dringen mußten, bevor ich es wagte, in einer Angelegenheit, die dem Herzen so wichtig ist, meine Gesinnung zu äussern. Wenn ich nicht irre; so sind Versicherungen vorhergegangen, daß von den Worten, die bey der Gelegenheit vorfallen würden, niemals öffentlich Gebrauch gemacht werden sollte. – Jedoch, ich will mich lieber irren, als Ihnen eine Uebertretung dieses Versprechens Schuld geben. – Wenn ich aber auf meiner Stube, unter einer geringen Anzahl würdiger Männer, von deren guten Gesinnungen ich Ursach hatte | versichert zu seyn, einer Erklärung so sorgfältig auszuweichen suchte; so war leicht zu erachten, daß eine öffentliche meiner Gemüthsart äusserst zuwider seyn würde, und daß ich in Verlegenheit gerathen mußte, wenn die Stimme, die mich dazu auffordert, mir nicht verächtlich seyn kann. Was hat Sie also bewegen können, mich wider meine Neigung, die Ihnen bekannt war, aus dem Haufen hervorzuziehen, und auf einen öffentlichen Kampfplatz zu führen, den ich so sehr gewünscht, nie betreten zu dürfen? – Und wenn Sie auch meine Zurückhaltung einer bloßen Furchtsamkeit oder Schüchternheit zugeschrieben haben, verdienet eine solche Schwachheit nicht die Nachsicht und die Verschonung eines jeden liebreichen Herzens?

Allein die Bedenklichkeit, mich in Religionsstreitigkeiten einzulassen, ist von meiner Seite nie | Furcht oder Blödigkeit gewesen. Ich darf sagen, daß ich meine Religion nicht erst seit gestern zu untersuchen angefangen. Die Pflicht, meine Meinungen und Handlungen zu prüfen, habe ich gar frühzeitig erkannt, und wenn ich, von früher Tugend an, meine Ruh- und Erholungsstunden der Weltweisheit und den schönen Wissenschaften gewiedmet habe; so ist es einzig und allein in der Absicht geschehen, mich zu dieser so nöthigen Prüfung vorzubereiten. Andere Bewegungsgründe konnte ich hierzu nicht gehabt haben. In der Lage, in welcher ich mich befand, durfte ich von den Wissenschaften nicht den mindesten zeitlichen Vortheil erwarten. Ich wußte gar wohl, daß für mich ein glückliches Fortkommen in der Welt auf diesem Wege nicht zu finden sey. Und Vergnügung? – O mein werthgeschätzter Menschenfreund! Der Stand, welcher meinen Glaubensbrüdern im bürgerlichen Leben angewiesen worden, | ist so weit von aller freyen Uebung der Geisteskräfte entfernt, daß man seine Zufriedenheit gewis nicht vermehret, wenn man die Rechte der Menschheit von ihrer wahren Seite kennen lernt. – Ich vermeide || auch über diesen Punkt eine nähere Erklärung. Wer die Verfassung kennet, in welcher wir uns befinden, und ein menschliches Herz hat, wird hier mehr empfinden, als ich sagen kann.

Wäre nach diesem vieljährigen Forschen die Entscheidung nicht völlig zum Vortheile meiner Religion ausgefallen; so hätte sie nothwendig durch eine öffentliche Handlung bekannt werden müssen. Ich begreiffe nicht, was mich an eine, dem Ansehen nach so überstrenge, so allgemein verachtete Religion fesseln könnte, wenn ich nicht im Herzen von ihrer Warheit überzeugt wäre. Das Resultat meiner Untersuchungen mochte seyn, welches man wollte, so bald ich die Religion meiner | Väter nicht für die wahre erkannte; so mußte ich sie verlassen. Wäre ich im Herzen von einer andern überführet; so wäre es die verworfenste Niederträchtigkeit, der innerlichen Ueberzeugung zum Trotz, die Warheit nicht bekennen zu wollen. Und was könnte mich zu dieser Niederträchtigkeit verführen? Ich habe schon bekannt, daß in diesem Falle Klugheit, Warheitsliebe und Redlichkeit mich denselben Weg führen würden.

Wäre ich gegen beide Religionen gleichgültig, und verlachte oder verachtete in meinem Sinne alle Offenbarung; so wüßte ich gar wohl, was die Klugheit räth, wenn das Gewissen schweiget. Was könnte mich abhalten? – Furcht für meine Glaubensgenossen? – Ihre weltliche Macht ist allzu geringe, als daß sie mir fürchterlich seyn könnte. – Eigensinn? Trägheit? Anhänglichkeit an gewohnte Begriffe? – Da ich den größ-|ten Theil meines Lebens der Untersuchung gewiedmet; so wird man mir Ueberlegung genug zutrauen, solchen Schwachheiten nicht die Früchte meiner Untersuchungen aufzuopfern.

Sie sehen also, daß ohne aufrichtige Ueberzeugung von meiner Religion, der Erfolg meiner Untersuchung sich in einer öffentlichen Thathandlung hätte zeigen müssen. Da sie mich aber in dem bestärkten, was meiner Väter ist; so konnte ich meinen Weg im Stillen fortwandeln, ohne der Welt von meiner Ueberzeugung Rechenschaft ablegen zu dürfen. Ich werde es nicht leugnen, daß ich bey meiner Religion menschliche Zusätze und Misbräuche wargenomnnen, die leider! ihren Glanz nur zu sehr verdunkeln. Welcher Freund der Warheit kann sich rühmen, seine Religion von schädlichen Menschensatzungen frey gefunden zu haben? Wir erkennen ihn alle, | diesen vergiftenden Hauch der Heucheley und des Aberglaubens, so viel unserer sind, die wir die Warheit suchen, und wünschen ihn, ohne Nachtheil || des Wahren und Guten, abwischen zu können. Allein von dem Wesentlichen meiner Religion bin ich so fest, so unwiderleglich versichert, als Sie, oder Hr. Bonnet nur immer von der Ihrigen seyn können, und ich bezeuge hiermit vor dem Gott der Warheit, Ihrem und meinem Schöpfer und Erhalter, bey dem Sie mich in Ihrer Zuschrift beschworen haben, daß ich bey meinen Grundsätzen bleiben werde, so lange meine ganze Seele nicht eine andere Natur annimmt. Die Entferntheit von Ihrer Religion, die ich Ihnen und Ihren Freunden zu erkennen gegeben, hat seit der Zeit nichts abgenommen, und die Hochachtung für den moralischen Charakter des Stifters? – Sie hätten die Bedingung nicht verschweigen sollen, die ich ausdrücklich hinzuge-|than habe; so hätte ich auch diese noch jetzo einräumen können. Man muß gewisse Untersuchungen irgend einmal in seinem Leben geendiget haben, um weiter zu gehen. Ich darf sagen, daß dieses in Absicht auf die Religion schon seit etlichen Jahren von mir geschehen ist. Ich habe gelesen, verglichen, nachgedacht, und Partey ergriffen.

Und gleichwohl hätte meinetwegen das Judenthum in jedem polemischen Lehrbuche zu Boden gestürzt, und in jeder Schulübung im Triumph aufgeführt werden mögen, ohne daß ich mich hierüber jemals in einen Streit eingelassen haben würde. Ohne den mindesten Widerspruch von meiner Seite, hätte jeder Kenner oder Halbkenner des Rabbinischen, aus Schartecken, die kein vernünftiger Jude liest noch kennet, sich und seinen Lesern den lächerlichsten Begriff vom Ju-|denthum machen mögen. Die verächtliche Meinung, die man von einem Juden hat, wünschte ich durch Tugend, und nicht durch Streitschriften widerlegen zu können. Meine Religion, meine Philosophie und mein Stand im bürgerlichen Leben geben mir die wichtigsten Gründe an die Hand, alle Religionsstreitigkeiten zu vermeiden, und in öffentlichen Schriften nur von denen Warheiten zu sprechen, die allen Religionen gleich wichtig seyn müssen.

Nach den Grundsätzen meiner Religion soll ich niemand, der nicht nach unserm Gesetze gebohren ist, zu bekehren suchen. Dieser Geist der Bekehrung, dessen Ursprung einige so gern der jüdischen Religion aufbürden möchten, ist derselben gleichwohl schnurstraks zuwider. Alle unsere Rabbinen lehren einmüthig, daß die schriftlichen und mündlichen Gesetze, in welchen unsere geof-|fenbarte Religion bestehet, nur für unsere Nation verbindlich seyen. Mose hat uns das Gesetz geboten, || es ist ein Erbtheil der Gemeinde Jacobs1. Alle übrigen Völker der Erde, glauben wir, seyen von Gott angewiesen worden, sich an das Gesetz der Natur und an die Religion der Patriarchen zu halten2. Die ihren Lebenswandel nach den Gesetzen dieser | Religion der Natur und der Vernunft einrichten, werden tugendhafte Männer von andern Nationen3 genennet, und diese sind Kinder der ewigen Seligkeit4. |

Unsere Rabbinen sind so weit von aller Bekehrungssucht entfernt, daß sie uns sogar vorschreiben, einen jeden, der sich von selbst anbietet, durch ernsthafte Gegenvorstellungen von seinem Vorsatze abzuführen. Wir sollen ihm zu bedenken geben, daß er sich durch diesen Schritt, ohne Noth, einer sehr beschwehrlichen Last unterziehe, daß er in seinem jetzigen Zustande nur die Pflichten der Noachiden zu beobachten habe, um selig zu werden; so bald er aber die Religion der Israe-|liten annehme; so unterzöge er sich freywillig allen strengen Ge-||setzen dieses Glaubens, und alsdenn müsse er sie beobachten, oder der Strafen gewärtig seyn, die der Gesetzgeber mit derselben Uebertretung verbunden hat. Endlich sollen wir ihm auch das Elend, die Bedrängniß, und die Verachtung getreulich vorstellen, in welcher die Nation gegenwärtig lebet, um ihn von einem vielleicht übereilten Schritte abzuhalten, den er in der Folge bedauern könnte5.

Die Religion meiner Väter will also nicht ausgebreitet sein. Wir sollen nicht Mißionen nach beiden Indien oder nach Grönland senden, um diesen entfernten Völkern unsere Religion zu predigen. Das letztere insbesondere, das nach | den Beschreibungen, die man von ihm hat, das Gesetz der Natur, leider! besser beobachtet, als wir, ist, nach unsern Religionslehren, ein beneidenswerthes Volk. Wer nach unserm Gesetze nicht gebohren ist, darf auch nicht nach unserm Gesetze leben. Uns allein halten wir für verbunden, diese Gesetze zu beobachten, und dieses kann unsern Nebenmenschen kein Aergernis geben. Man findet unsere Meinungen ungereimt? Es ist unnöthig, darüber Streit zu erregen. Wir handeln nach unserer Ueberzeugung, und andere mögen die Gültigkeit der Gesetze immer in Zweifel ziehen, die ihnen, nach unserm eigenen Geständnisse, nicht obliegen. Ob jene billig, verträglich, menschenfreundlich handeln, daß sie unsere Gesetze und Gebräuche so sehr verspotten, können wir ihrem eigenen Gewissen anheimstellen. So bald wir andere von unserer Meinung nicht überführen wollen; so ist das Streiten unnütz. |

Wenn unter meinen Zeitgenossen ein Confucius oder Solon lebte; so könnte ich, nach den Grundsätzen meiner Religion, den großen Mann lieben und bewundern, ohne auf den lächerlichen Gedanken zu kommen, einen Confucius oder Solon bekehren zu wollen. Bekehren? wozu? Da er nicht zu der Gemeine Jacobs gehöret; so verbinden ihn meine Religionsgesetze nicht, und über die Lehren wollten wir uns bald einverstehen. Ob ich glaubte, daß er seelig werden könnte? – O! mich dünkt, wer in diesem Leben die Menschen zur Tugend anführet, kann in jenem nicht verdammt werden, und ich habe kein ehrwürdiges Collegium zu fürchten, das mich dieser Meinung halber, wie die Sorbonne den rechtschaffenen Marmontel, in Anspruch nehmen könnte. ||

Ich habe das Glück, so manchen vortreflichen Mann, der nicht meines Glaubens ist, zum | Freunde zu haben. Wir lieben uns aufrichtig, ob wir gleich vermuthen, und voraussetzen, daß wir in Glaubenssachen ganz verschiedener Meinungen sind. Ich genieße die Wollust ihres Umganges, der mich bessert und ergötzt. Niemals hat mir mein Herz heimlich zugerufen: Schade für die schöne Seele! Wer da glaubet, daß ausserhalb seiner Kirche keine Seeligkeit zu finden sey, dem müssen dergleichen Seufzer gar oft in der Brust aufsteigen.

Es ist zwar die natürliche Verbindlichkeit eines jeden Sterblichen, Erkenntnis und Tugend unter seinen Nebenmenschen auszubreiten, und die Vorurtheile und Irrthümer derselben nach Vermögen zu vertilgen. In dieser Betrachtung, könnte man glauben, sey es die Schuldigkeit eines jeden Menschen, die Religionsmeinungen, die er für irrig hält, öffentlich zu bestreiten. | Allein nicht alle Vorurtheile sind von gleicher Schädlichkeit, und daher müssen auch nicht alle Vorurtheile, die wir bey unsern Nebenmenschen wahrzunehmen glauben, auf einerley Weise behandelt werden. Einige sind der Glückseeligkeit des menschlichen Geschlechts unmittelbar zuwider. Ihr Einfluß auf die Sitten der Menschen ist offenbar verderblich, und man hat auch nicht einmal einen zufälligen Nutzen von ihnen zu erwarten. Diese müssen von jedem Menschenfreunde geradezu angegriffen werden. Der gerade Weg auf sie loszugehen, ist unstreitig der beste, und jede Verzögerung durch Umwege unverantwortlich. Von dieser Art sind alle Irrthümer und Vorurtheile der Menschen, die ihre eigene oder ihrer Nebenmenschen Ruhe und Zufriedenheit stöhren, und jeden Keim des Wahren und Guten in dem Menschen tödten, bevor er zum Ausbruche kommen kann. Von der einen | Seite Fanatismus, Menschenhaß, Verfolgungsgeist, und von der andern Seite Leichtsinn, Ueppigkeit, und unsittliche Freygeisterey.

Zuweilen gehören aber die Meinungen meiner Nebenmenschen, die ich nach meiner Ueberzeugung für Irrthümer halte, zu den höhere theoretischen Grundsätzen, die von dem Praktischen zu weit entfernt sind, um unmittelbar schädlich zu seyn; sie machen aber, eben ihrer Allgemeinheit wegen, die Grundlage aus, auf welchem das Volk, welches sie heget, das System seiner Sittenlehre und Geselligkeit aufgeführt hat, und sind also zufälligerweise diesem Theile des menschlichen Geschlechts von großer Wichtigkeit geworden. Solche Lehrsätze öffentlich bestreiten, weil sie uns Vorurtheile dünken, heißt ohne das Gebäude zu unterstützen, den Grund durchwühlen, um zu unter-||suchen, ob er fest und sicher ist. Wer mehr für | das Wohl der Menschen, als für seinen eigenen Ruhm sorget, wird über Vorurtheile von dieser Art seine Meinung zurück halten, sich hüten, sie geradezu, und ohne die größeste Behutsamkeit anzugreifen, um nicht ein ihm verdächtiges Principium der Sittlichkeit umzustossen, bevor seine Nebenmenschen das Wahre angenommen, das er an die Stelle setzen will.

Ich kann also gar wohl bey meinen Mitbürgern Nationalvorurtheile und irrige Religionsmeinungen zu erkennen glauben, und dennoch verbunden seyn, zu schweigen, wenn diese Irrthümer weder die natürliche Religion, noch das natürliche Gesetz, unmittelbar zu Grunde richten, und vielmehr zufälligerweise mit der Beförderung des Guten verknüpft sind. Es ist wahr, die Sittlichkeit unserer Handlungen verdienet diesen Namen kaum, wenn sie auf Irrthum gegründet ist, | und die Beförderung des Guten muß allezeit von der Wahrheit, wenn sie erkannt wird, weit besser und sicherer erhalten werden können, als von dem Vorurtheil. Allein so lange sie nicht erkannt wird, so lange sie nicht national geworden ist, um auf den großen Haufen so mächtig wirken zu können, als das eingewurzelte Vorurtheil, muß dieses einem jeden Freunde der Tugend beynahe heilig seyn.

Man ist zu dieser Bescheidenheit um so viel mehr verbunden, wenn die Nation, welche nach unserer Meinung dergleichen Irrthümer heget, sich übrigens durch Tugend und Weisheit verehrenswerth gemacht hat, und eine Menge großer Männer unter sich zählet, die Wohlthäter des menschlichen Geschlechts genennt zu werden verdienen. Ein so edler Theil der Menschheit muß auch da, wo ihm etwas Menschliches begegnet, mit Ehr-|furcht verschont werden. Wes darf sich erkühnen, die Vortreflichkeiten einer so erhabenen Nation aus den Augen zu setzen, und sie da anzugreiffen, wo er eine Schwäche bemerkt zu haben glaubet?

Dieses sind die Bewegungsgründe, die mir meine Religion und meine Philosophie an die Hand geben, Religionsstreitigkeiten sorgfältig zu vermeiden. Setzen Sie die häußliche Verfassung hinzu, in welcher ich unter meinen Nebenmenschen lebe; so werden Sie mich vollkommen rechtfertigen. Ich bin ein Mitglied eines unterdrückten Volks, das von dem Wohlwollen der herrschenden Nation Schutz und Schirm erflehen muß, und solchen nicht allenthalben, und nirgend ohne gewisse Ein-||schränkungen erhält. Freyheiten, die jedem andern Menschenkinde nachgelassen werden, versagen sich meine Glaubensgenossen gerne, und sind | zufrieden, wenn sie geduldet und geschützt werden. Sie müssen es der Nation, die sie unter erträglichen Bedingungen aufnimmt, für keine geringe Wohlthat anrechnen, da ihnen in manchen Staaten so gar der Aufenthalt versagt wird. Ist es doch nach den Gesetzen Ihrer Vaterstadt, Ihrem beschnittenen Freunde nicht einmal vergönnt, Sie in Zürich zu besuchen? Welche Erkentlichkeit sind meine Glaubensbrüder also nicht der herrschenden Nation schuldig, die sie in der allgemeinen Menschenliebe mit einschließt, und sie ungehindert den Allmächtigen nach ihrer Väter Weise anbeten läßt! Sie genießen in dem Staate, in welchem ich lebe, hierin die anständigste Freyheit, und ihre Mitglieder sollten sich nicht scheuen, die Religion des herrschenden Theils zu bestreiten, das heißt, ihre Beschützer von der Seite anzufallen, die tugendhaften Menschen die empfindlichste seyn muß? |

Nach diesen Grundsätzen war ich entschlossen, jederzeit zu handeln, und ihnen zufolge, Religionsstreitigkeiten mit der äussersten Sorgfalt zu vermeiden, wenn nicht eine ausserordentliche Veranlassung mich nöthigen würde, meinen Vorsatz zu ändern. Privataufforderungen von verehrungswürdigen Männern, bin ich kühn genug gewesen, mit Stillschweigen zu übergehen, und die Zunöthigung kleiner Geister, die geglaubt haben, mich meiner Religion halber, öffentlich antasten zu dürfen, habe ich geglaubt verachten zu dürfen. Allein die feyerliche Beschwörung eines Lavaters nöthiget mich wenigstens, meine Gesinnungen öffentlich an den Tag zu legen, damit niemand ein zu weit getriebenes Stillschweigen für Verachtung oder Geständniß halten möge.

Ich habe die Bonnetsche von Ihnen übersetzte Schrift mit Aufmerksamkeit gelesen. Ob ich über-|zeugt worden sey, ist nach dem, was ich vorhin erklärt habe, wohl die Frage nicht mehr. Aber ich muß gestehen, auch in ihrer Art, als Vertheidigung der Christlichen Religion, hat sie mir den Werth nicht zu haben geschienen, den Sie darauf setzen. Ich kenne Herrn Bonnet aus andern Werken, als einen vortreflichen Schriftsteller, aber ich habe so manche Vertheidigung derselben Religion, ich will nicht sagen von Engländern, von unsern deutschen Landsleuten gelesen, die mir weit gründlicher und philosophischer geschienen, als diese Bonnetsche, die Sie mir zu meiner Bekehrung || empfehlen. Wenn ich nicht irre, so sind so gar die mehresten philosophischen Hypothesen dieses Schriftstellers auf deutschem Grund und Boden gewachsen, und der Verfasser des Essai de Psychologie selbst, dem Herr B. so treulich nachfolget, hat deutschen Weltweisen beynahe alles zu verdanken. Wo es auf philosophische Grundsätze | ankömmt, darf der Deutsche selten von seinen Nachbarn borgen.

Noch sind die allgemeinen Betrachtungen, die Hr. Bonnet vorausschicket, meiner Einsicht nach, der gründlichste Theil dieses Werks. Denn die Anwendung und der Gebrauch, den er davon zur Vertheidigung seiner Religion machet, hat mir so unstatthaft, so willkührlich geschienen, daß ich einen Bonnet beynahe ganz darinnen verkant habe. Es ist mir unangenehm, daß mein Urtheil von dem Ihrigen so sehr verschieden ausfallen muß. Mir kömmt es vor, als wenn die innere Ueberzeugung des Hr. B. und ein löblicher Eifer für seine Religion den Beweisgründen Gewicht zugelegt hätte, das ein anderer nicht darinn finden kann. Seine mehresten Schlußsätze scheinen mir so wenig aus den Vordersätzen zu folgen, daß ich mich getrauen wollte, welche Religion man will, mit | denselben Gründen zu vertheidigen. Dem Verfasser selbst ist dieses vielleicht nicht zur Last zu legen. Er kann nur für solche Leser geschrieben haben, die, wie er, überzeugt sind, und nur lesen, um sich in ihrem Glauben zu bestärken. Wenn Schriftsteller und Leser erst über das Resultat einig sind; so vertragen sie sich gar bald über die Gründe. Aber auf Sie, mein Herr! fällt billig meine Bewunderung, daß Sie diese Schrift für hinlänglich halten, einen Menschen zu überführen, der seinen Grundsätzen nach, vom Gegentheile eingenommen seyn muß. Sie können sich unmöglich in die Gedanken eines solchen versetzt haben, der die Ueberzeugung nicht mitbringet, sondern in diesem Werke erst suchen soll. Haben Sie aber dieses gethan, und glauben dennoch, wie Sie zu verstehen geben, daß ein Sokrates selbst die Beweisgründe des Hr. Bonnet unwiderleglich finden müsse; so ist einer von uns sicherlich ein merkwürdiges Beyspiel, | von der Gewalt der Vorurtheile und der Erziehung, selbst über solche, die mit aufrichtigem Herzen die Warheit suchen.

Ich habe Ihnen nunmehr die Gründe angezeigt, warum ich so sehr wünsche, niemals über Religionssachen zu streiten; ich habe Ihnen aber auch zu erkennen gegeben, daß ich gar wohl glaube, der Bonnetschen Schrift etwas entgegensetzen zu können. Wenn darauf gedrungen wird; so muß ich die Bedenklichkeiten aus den Augen setzen, und || mich entschließen, in Gegenbetrachtungen meine Gedanken über des Hrn. Bonnet Schrift und die von ihm vertheidigte Sache öffentlich bekannt zu machen. Ich hoffe aber, daß Sie mich dieses unangenehmen Schritts überheben, und lieber zugeben werden, daß ich in die friedsame Lage zurückkehre, die mir so natürlich ist. Wenn Sie Sich an meine Stelle setzen, und die Umstände | nicht aus Ihrem Gesichtspunkte, sondern aus dem Meinigen betrachten, so werden Sie meiner Neigung Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ich möchte nicht gerne in Versuchung kommen, aus den Schranken zu treten, die ich mir mit so gutem Vorbedachte selbst gesetzt habe.

Berlin, den 12. December 1769.

Ich bin mit der vollkommensten Hochachtung

          Ihr aufrichtiger Verehrer,

          Moses Mendelssohn.

 

 

 

   1 S. Talmud von den Synedrien, fol. 59. Majemonides von den Königen, Cap. 8. §. 10.

   2 Die sieben Hauptgebote der Noachiden, welche ungefähr die wesentlichen Gesetze des Naturrechts in sich fassen: 1) Enthaltung vom Götzendienste, 2) von Gotteslästerung, 3) von Blutvergiessen, 4) Blutschande und 5) fremdem Gute. Ferner 6) die Handhabung der Gerechtigkeit. Diese sollen schon dem Adam bekannt gemacht worden seyn, und endlich 7) das dem Noa bekannt gemachte Verbot von lebendigen Thieren zu essen. (Talmud vom Götzendienste fol. 64. Majemonides von den Königen, C. 8. §. 10.)

   3 Majemonides thut die Einschränkung hinzu, wenn sie diese nicht blos als Gesetze der Natur, sondern als von Gott ausserordentlich geoffenbarte Gesetze beobachten; allein dieser Zusatz hat keine Autorität in dem Talmud.

   4 Majemonides von der Buße C. 3. §. 5. von den Königen C. 8. §. 11. In einem Schreiben an Rabbi Hasdai Halevi bedienet sich dieser Lehrer folgender Ausdrücke: Was die übrigen Völker betrift, wisse, mein Lieber! daß Gott nur auf das Herz der Menschen siehet, und die Handlungen der Menschen nach ihrem Gewissen richtet; daher lehren unsere Weisen, daß die Tugendhaften von andern Nationen der ewigen Seeligkeit theilhaft werden, in so weit sie sich der Erkenntnis Gottes und der Ausübung der Tugend befleißigen. Menasche Ben Israel, in seinem Traktate Nischmath Chajim, führet entscheidende Stellen aus dem Talmud, dem Sohar und andern Lehrbüchern an, die diese Lehre ausser Zweifel setzen. Wir wollen keinem menschlichen Geschöpfe, sagt der Verfasser des Kosri, seinen wohlverdienten Lohn entziehen. Rabbi Jacob Hirschel, einer der gelehrtesten Rabbinen unserer Zeit, handelt hiervon ausführlich in verschiedenen von seinen Schriften.

   5 Majemonides von verbothenen Ehen Cap. 13. §. 14. C. 14. §. 1.

Antwort an den Herrn Moses Mendelssohn zu Berlin
von Johann Casper Lavater

Nebst einer Nacherinnerung von Moses Mendelssohn

1770

 

 

 

 

 

Erstdruck: Antwort an den Herrn Moses Mendelssohn zu Berlin, von Johann Casper Lavater. Nebst einer Nacherinnerung von Moses Mendelssohn. Berlin und Stettin, bey Friedrich Nicolai. 1770, 68 S. [hier: |]

JubA Bd. 7, S. 23–37. [hier: ||]

 

 

 

Verehrenswürdiger Herr!

Ich hatte mir die Freyheit genommen, Sie öffentlich aufzufordern, Herrn Bonnets Untersuchung der Beweise für das Christenthum entweder zu widerlegen, oder zu thun, was ein Sokrates gethan haben würde, wenn er das Wesentliche dieser Untersuchung unwiderleglich gefunden hätte.

Ich will es Ihnen nicht verhehlen, dieser Schritt, der Sie so sehr befremdet, ist beynahe allen meinen Freunden, und insonderheit den auswärtigen, vornehmlich aber dem Herrn Bonnet übereilt vorgekommen. Dieser letztere mißbilligte ihn sehr; aber es war zu späte. Die dringende Nähe der Messe machte es mir unmöglich, mich mit meinen auswärtigen Freunden hierüber zu berathschlagen. |

Sie können es wissen, theuerster Freund! (Sie geben mir das Recht, Sie so zu nennen) daß mir diese nachherigen Urtheile meiner Freunde nichts weniger, als gleichgültig gewesen sind; daß ich schon vor dem Empfange Ihres gütigen Schreibens geneigt war, Sie aus der Verlegenheit, in welche ich Sie gesetzt hatte, herauszuziehen.

Ich konnte freylich das geschehene darum noch nicht ganz bereuen, und glaube auch jetzo, nach dem Empfange Ihres Schreibens, und nach den so ungleichen Urtheilen des Publikums, noch nicht Ursache zu haben, es ohne Beding zu bereuen. Ich fange aber an, einzusehen, daß ich meine Absicht auf einem andern Wege vielleicht glücklicher erreicht, und ihnen zugleich diese Verlegenheit erspart haben könnte.

Meine Absicht war nicht, Ihnen ein Glaubensbekenntniß abzunöthigen. – Sie gieng nur dahin, der mir so angelegenen Sache des Chri-|stenthums, die ich vom Herrn Bonnet sehr wohl vertheidigt glaubte, einen meiner Meynung nach weit wichtigern Dienst, als || die Uebersetzung dieser Schrift war, zu erweisen, indem ich Sie zu bereden hoffte, eine Untersuchung derselben vorzunehmen: Eine Untersuchung, von der ich zum voraus glaubte, sie müßte viel dazu beytragen, die Wahrheit, oder das, was ich nach meiner Ueberzeugung für Wahrheit hielt, in das helleste Licht zu setzen. |

Jetzt sehe ich, daß ich diese Absicht, wenigstens für das Publikum, eher erreicht haben würde, wenn ich entweder in einem Privatschreiben Sie um Ihre Gedanken über Bonnets Philosophie, und die Anwendung derselben auf das Christenthum ersucht, oder, so ich ja Einen Schritt weiter gehen wollte, die Zuschrift durchaus so eingerichtet hätte, wie sie seyn müßte, wenn man die Schrift eines Philosophen einem andern Philosophen zur Prüfung vorlegen wollte.

Ihr gütiges Schreiben bestätigt das Urtheil meiner Freunde, und überführt mich völlig davon, daß ich gefehlt habe. – Sie lassen meiner guten Absicht Gerechtigkeit wiederfahren. Sie zeigen mir aber zugleich, was für Gründe ich nicht allein hätte anhören, was für andere auf Ihrer Seite ich hätte bedenken sollen: Gründe, die Sie berechtigen, weder anzunehmen, noch öffentlich zu widerlegen; Gründe, die zu sagen Sie gar nicht verbunden wären.

Ich muß es jetzt eben darum zu meiner Vertheidigung für unzulänglich halten, meine Gründe, die mich bewogen haben, diesen Schritt zu thun, hier weitläuftig anzuführen. Sie würden wohl überhaupt mein Verlangen, die Bonnetsche Schrift von Ihnen untersucht zu sehen, bey allen, die Sie als Philosophen kennen, rechtfertigen. Sie würden zeigen, daß jeder, der sich genau in meinem Standorte befunden hätte, wo nicht in Verbindlichkeit, doch in die stärkste | moralische Versuchung gekommen wäre, Ihnen diese Untersuchung nahe ans Herz zu legen. Aber das so dringende, das so unbedingte meiner Aufforderung würde um der von Ihnen angeführten Gründe willen, immer ein Fehler bleiben.

Freylich davon, mein edler Wahrheitsfreund, bin ich jetzt noch mehr, als jemals überzeugt, daß ich mich an den rechten Mann gewandt hätte, wenn nur meine Kühnheit nicht weiter gegangen wäre, als Ihnen diesen Theil der Bonnetschen Philosophie, als einem Weltweisen zur strengen gemeinnützigen Prüfung vorzulegen. || Ueber die Wichtigkeit der Anwendung der Philosophie auf die Offenbarung sind wir eins. Ihnen ist nichts wichtiger, als diese Anwendung. „Sie haben Ihre Religion nicht erst seit gestern zu untersuchen angefangen. Die Pflicht, sie zu prüfen, haben Sie gar frühzeitig erkannt; und, wenn Sie von früher Jugend an Ihre Ruhe |und Erhohlungsstunden der Weltweisheit und den schönen Wissenschaften gewidmet haben, so ist es einzig und allein in der Absicht geschehen, sich zu dieser so nöthigen Prüfung vorzubereiten.“ – – O mein verehrenswürdiger Freund! Sie beschreiben mir, wider Ihre Absicht, den Mann, an den ich am liebsten wünschte, mich wenden zu dürfen, um von seinen Untersuchungen Nutzen zu schöpfen, und ihm die meinen zur schärfsten Prüfung vorzulegen.

Allein, ich sollte billig nicht allein bedacht haben, daß die Untersuchung der Religion Ihnen eben so wichtig vorkommen müsse, als mir; ich sollte mich außerdem auch gefragt haben: Ob eben dieselbe Pflicht, welche die Untersuchung der Religion und das Bekenntniß derselben gebeut, auch in die Verbindlichkeit setze, sich in Religionsstreitigkeiten einzulassen? – Da hätte ich dann wenigstens einige von den Gründen mir vorstellen können, womit Sie mir zeigen, daß Sie hierzu | nicht verbunden seyn, und daß ich Sie nicht so feyerlich und unbedingt hätte auffordern sollen. Und wenn mir auch diese Ihre Gründe nicht sogleich eingeleuchtet hätten, so hätte mir doch schon das, daß wir über die Wichtigkeit der Untersuchung des Christenthums noch nicht übereingekommen waren, ein Abhaltungsgrund seyn sollen.

Ich nehme also meine unbedingte Aufforderung, als eine Sache, zu welcher ich nicht hinlänglich berechtiget war, zurück, und bitte Sie vor dem ganzen Publikum aufrichtig: Verzeihen Sie mir das allzudringende, das Fehlerhafte in meiner Zuschrift.

In der zuversichtlichen Erwartung, Sie werden meine aufrichtige Abbitte annehmen, wage ich es, Ihnen noch meine Gedanken über einige Punkte Ihres Schreibens offenherzig mitzutheilen, und den Wunsch, meines Herzens zu eröffnen.

Es würde mich sehr kränken, wenn Sie bloß aus Gefälligkeit, aus Menschenfreundlichkeit, den | Verdacht, als ob ich gegen ein Versprechen gehandelt hätte, unterdrückten.

So, wie ich unserer Unterredung gedachte; – – Können Sie, red-||liche Seele, das Publikum auch nur von Ferne vermuthen lassen, daß es Uebertretung eines Versprechens, daß es ein indiscreter, Ihnen nachtheiliger Gebrauch von dieser Unterredung sey? – – Können Sie mir einen solchen Mangel von aller Klugheit zutrauen, daß ich mich einem solchen Vorwurfe würde bloßgesetzt haben, wenn ich hätte denken können, ihn zu verdienen? – – Sehr würde es mich schmerzen, wenn Ihnen, wider meine Absicht, der geringste Verdruß dadurch veranlasset werden sollte; daß ich mich nicht genugsam in Ihre Umstände gesetzt hätte. Und in diesem Falle würde ich Gott bitten, daß Er alle Ihnen unangenehme Folgen meines Versehens von Ihnen abwenden möge. – – Da einmal diese Unterredung die erste Veranlassung mei-|ner Zuschrift war, so fand ich es in dem Augenblicke, da ich sie schrieb, sehr natürlich, sehr unschuldig, derselben überhaupt zu gedenken.

Aber, daß ich bey Erwähnung Ihrer Hochachtung für den moralischen Character des Stifters meiner Religion, die Bedingung verschwiegen habe, die Sie ausdrücklich hinzugethan? Das ist – – Nein, mein Freund, Unredlichkeit ist es gewiß nicht, – habe ich es merken lassen, daß diese Ihre Hochachtung unbedingt sey? Ich habe ja nicht einmal das Wort Hochachtung in meiner Zuschrift gebraucht. Ich redete nur von Achtung; nicht von religiöser; gar nicht! Denn das wäre nicht wahr gewesen; sondern nur von philosophischer Achtung; mit Vorbedacht ließ ich dieses Wort so wohl als das Wort moralischen auseinandersetzen. Gerade vorher gehen die Ausdrücke: Bey aller Ihrer Entferntheit von dem Christenthum. – Konnte nun der bil-|lige1 Leser nicht gleich merken, daß freylich Ihre Achtung nicht ohne Bedingung, daß sie gar sehr eingeschränkt, und nichts weniger, als religiös sey? – Deutlicher hätte ich mich ausdrücken können: Jetzt sehe ich, daß ich es wirklich hätte thun sollen; so sehr ich vielleicht auch zu besorgen gehabt hätte, daß Sie mich || alsdann des Nichthaltens meines Versprechens erinnert haben würden.

Ich würde mich meines Mißtrauens gegen das edelgesinnteste Herz schuldig machen, wenn ich glaubte, daß Sie nach einer solchen Erklärung diese Hinweglassung noch für vorsätzlich oder unmoralisch halten könnten. Wo ich nicht irre, | so war die Aeußerung Ihrer Achtung für den Stifter meiner Religion mit folgender großer Bedingung verknüpft: „Wenn Er sich die Ehre der Anbetung, die dem Einigen Jehovah gebührt, nicht angemaßt hätte!“ Setzen Sie es hinzu, wenn es eine andere ist.

Sie verwundern sich, mein verehrenswürdiger Herr, daß ich die Bonnetsche Schrift für hinlänglich gehalten habe, Sie zu überführen. – – Freylich könnte mich meine eigne Ueberzeugung von der Göttlichkeit meiner Religion in Abwägung der Beweise meines Verfassers blenden. Ich habe sie vielleicht stärker gefunden, als sie sind, vielleicht stärker, als Er, dieser bescheidene Philosoph sie selbst glaubt, (denn gewiß hat er dabey nicht die Überzeugung von Lesern Ihrer Religion eigentlich zur Absicht gehabt;) und, wenn ich auch wirklich einige Lücken oder schwächere Seiten darinne zu erblicken geglaubt hätte; konnten sie mir nicht von einer solchen Art zu | seyn scheinen, Sie als ein so geübter Philosoph dieselben leicht würden ergänzen, und dessen ungeachtet das Wesentliche seiner Schlüsse unwiderleglich finden können? Ich drang offenbar nur auf die Untersuchung der Thatbeweise für das Christenthum, so wie sie Herr Bonnet abgewogen hatte. Ich sagte kein Wort von der Lehre. Nur die Geschichte wollte ich vorerst von einem unparteyischen Philosophen untersucht wissen.

Das konnte ich mir freylich gar nicht vorstellen, und es ist mir itzt noch unerklärlich, wie Sie, bey Ihrer völligen Ueberzeugung von dem Wesentlichen Ihrer Religion, sich dennoch getrauen wollten, „mit denselben Gründen womit Bonnet das Christenthum beweiset, welche Religion man will, zu vertheidigen“ –

Sie sind ganz freymüthig: Lassen Sie es mich auch seyn. – In Ihrem die Bonnetsche Schrift so tief herabsetzenden Urtheile verkenne | ich den Philosophen Moses ein wenig. Ich kann mich irren; aber ich mag die Sache überlegen wie ich will; bey diesem so sehr absprechenden Tone, der offenbar weiter geht, als es die Absicht Ihres Schreibens zu erfordern, als es von der einen Seite bey || dem Bekenntnisse zu einer geoffenbarten Religion möglich zu seyn scheint, kann ich mir von der andern Seite wiederum einen Mann ohne große Vorurtheile für seine Religion nicht wol denken.

Sie bekennen sich zu der Religion Ihrer Väter; einer dem Ansehen nach überstrengen, allgemein-verachteten Religion. Sie sind von ganzem Herzen von ihrer Wahrheit überzeugt! – Zu einer geoffenbarten Religion? Sie sind weit davon entfernt, in Ihrem Sinne alle Offenbarung zu verlachen, oder zu verachten – und doch muß Ihre ganze Seele eine andre Natur annehmenhistorische GlaubwürdigkeitVerfolgerVerfechterThatsacheninnere moralische SchönheitMosesChristuszehn GeboteBergpredigtProphetenAposteljüdischenGlaubensbekenntnißEntferntheit von meiner Religion