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BARBARA STOLLBERG-RILINGER

MARIA THERESIA

~

Die Kaiserin in ihrer Zeit

Eine Biographie

C.H.BECK

ZUM BUCH

Eine «Weiberherrschaft» war im 18. Jahrhundert an sich nicht ungewöhnlich – ungewöhnlich aber war sehr wohl, dass Kaiserin Maria Theresia das Geschäft des Regierens als ihre persönliche Aufgabe derart ernst nahm und es mit äußerster Akribie betrieb. Damit unterschied sie sich von vielen europäischen Monarchen, die lieber ihren Neigungen frönten – der Kunst, der Liebe oder der Jagd – und ihre Amtsgeschäfte gern anderen überließen. Dass Maria Theresia nicht nur in dieser Hinsicht eine außergewöhnliche Frau war, zeigt Barbara Stollberg-Rilinger in ihrer eindrucksvollen, aus den Quellen erarbeiteten Biographie der großen Habsburgerin.

Maria Theresia verstand und praktizierte das Regieren als gleichermaßen strenges Regiment über ihre Familie, ihren Hof und ihre Länder – doch sie nahm sich selbst von dieser Strenge nicht aus. Gottesfurcht, Arbeit und konsequente körperliche und geistige Disziplin waren Maximen einer Lebensführung, deren strikte Einhaltung sie sich selbst, ihrer unmittelbaren Umgebung, aber auch ihren Untertanen abverlangte. All dies stand im Dienste der Erhaltung und Mehrung von Größe, Ruhm und Ehre der habsburgischen Dynastie.

Der Mythos Maria Theresia wird in dieser grandiosen Lebensbeschreibung gegen den Strich gebürstet. Die Kaiserin-Königin ist nicht die liebende Landesmutter, als die sie gemeinhin dargestellt wird, ihr Appartement in Schönbrunn war kein bürgerliches Wohnzimmer, und mit ihren Reformen schuf sie auch nicht den modernen Staat. Sie war vielmehr eine spätbarocke Herrscherin, die sich nur widerwillig und notgedrungen auf die neuen Tendenzen des aufklärerischen Jahrhunderts einließ. Der Alltag am Kaiserhof – von Sexualität, Schwangerschaft und Kindererziehung über Regierungsarbeit, Patronage und Diplomatie bis hin zur gnadenlos exerzierten Religionspolitik und zur Kriegführung aus der Ferne – wird in Barbara Stollberg-Rilingers faszinierendem Werk wieder lebendig.

ÜBER DIE AUTORIN

Barbara Stollberg-Rilinger lehrt als Professorin Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Münster. Für ihre wissenschaftlichen Verdienste wurde sie vielfach mit Preisen und Auszeichnungen geehrt, darunter der Leibniz-Preis (2005), der Historikerpreis (2013) und ein Fellowship am Wissenschaftskolleg zu Berlin (2015/16). Von derselben Autorin sind im Verlag C.H.Beck lieferbar: Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches (22013); Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Vom Ende des Mittelalters bis 1806 (52013).

Inhalt

I: PROLOG

Monumentale Geschichte

Männerphantasien

Ein außergewöhnlicher Normalfall

II: DIE ERBTOCHTER

Rituale und Reliquien

Theatrum Europaeum

Hinterbühne und Vorderbühne

Höfisches Curriculum

Dynastische Schachzüge

Die Hochzeit

Der höfische Kosmos

Die Logik der Gunst

Maklerin kaiserlicher Gnade

Der glücklose Ehemann

III: DER ERBFOLGEKRIEG

Herrscherwechsel

Treue und untreue Ungarn

Die Königin ist nackt

Krieg führen aus der Ferne

Krieg führen vor Ort

Pandurentheresl

IV: KAISERIN, KAISER UND REICH

Kaiserkrönung

Franz I. Stephan

Reichspolitik

Treue Klienten

V: REFORMEN

Der Staat als Maschine

Alte Gewohnheiten

Ein neues System

Ich bin nicht mehr dieselbe

Favoritenwechsel

Noch ein neues System

Reformbilanz

VI: KÖRPERPOLITIK

Schönheit

Liebe und Libertinage

Keuschheitsfeldzug

Gerüchte

Disziplinierung der Untertanen

Geburten

VII: DISTINKTIONEN UND FINESSEN

Audienzen

Untertanen am Hof

Distinktionen und Finessen

Der Herr der Zeichen

Höfischer Stundenplan

Arbeit am Charisma

Solennitäten und Divertissements

Ritter der Tafelrunde

VIII: SIEBEN JAHRE KRIEG

Revanche

Sieben Jahre Krieg

Reichskrieg – Religionskrieg

Medienkrieg – Informationskrieg

Desaströse Bilanz

IX: DAS KAPITAL DER DYNASTIE

Kleine Herrschaften

Erziehungsregeln

Opfer der Politik

Isabella von Parma

Noch ein Opfer

Gott und van Swieten

X: MUTTER UND SOHN

Der Tod in Innsbruck

Ein Kaiser ohne Land

Wie die Aufklärung an den Hof kam

Machtproben

Das Regentschafts-Dilemma

Die Aufteilung des «polnischen Kuchens»

XI: DIE RELIGION DER HERRSCHAFT

Verehren und verehrt werden

Vernünftige Religion

Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

Staatskirchenpolitik

Vampire, Wunderheiler und Kalendermacher

Freigeister und Modephilosophen

XII: DAS FREMDE IM EIGENEN

Einheit und Vielfalt

«Angst und Abscheu» – die Juden

«Unheilbar räudige Schafe» – die Geheimprotestanten

Unsere guten Türken

XIII: DIE UNTERTANEN

Unsere getreuen Unterthanen

Informationsflut

Fleiß und Disziplin

Neue Schulen

Iustitia et clementia

Widersetzlichkeit in Böhmen

Der letzte Krieg

XIV: DER HERBST DER MATRIARCHIN

Lebensüberdruss

Alter Ego Marie Christine

Mustersöhne, Musterstaaten

Widerspenstige Töchter

Carolina von Neapel

Amalia von Parma

Marie Antoinette

Maximilian

Daheimgebliebene

Schlechtes Wetter für eine weite Reise

XV: EPILOG

Herrschertugenden

Kontrollphantasien

Aus der Zeit gefallen

ANHANG

ANMERKUNGEN

I: Prolog

II: Die Erbtochter

III: Der Erbfolgekrieg

IV: Kaiserin, Kaiser und Reich

V: Reformen

VI: Körperpolitik

VII: Distinktionen und Finessen

VIII: Sieben Jahre Krieg

IX: Das Kapital der Dynastie

X: Mutter und Sohn

XI: Die Religion der Herrschaft

XII: Das Fremde im Eigenen

XIII: Die Untertanen

XIV: Der Herbst der Matriarchin

XV: Epilog

DANK

ABKÜRZUNGEN

QUELLEN UND LITERATUR

Ungedruckte Quellen

Österreichisches Staatsarchiv, Abt. Haus-, Hof- und Staatsarchiv

Österreichische Nationalbibliothek

Fürstlich Liechtensteinsches Domänenarchiv: VA 5-2-2

Gedruckte Quellen

Literatur (nach 1800)

GLOSSAR

GENEALOGISCHE TABELLEN

KARTE DER
HABSBURGISCHEN LÄNDER

BILDNACHWEIS

Tafelteil

Textteil

PERSONENREGISTER*

Abb. 1: Reliquiar mit einem Nagel vom Kreuz Christi, um 1650, aus der Kaiserlichen Schatzkammer Wien

Abb. 2:  Maria Theresia als kleines Kind mit Puppe.
Unbekannter Künstler, Klagenfurt, Elisabethinenkonvent

Abb. 3:  Öffentliche Tafel anlässlich der Hochzeit Maria Theresias mit
Franz Stephan von Lothringen 1736. Werkstatt Martin van Meytens
zugeschrieben. An der Tafel (von links): Erzherzoginnen Maria Anna
und Maria Magdalena (die Schwester Karls VI.), Kaiser Karl VI.,
Kaiserin Elisabeth Christine, Maria Theresia und Franz Stephan

Abb. 4:  Krönung Maria Theresias zum König von Ungarn
in Pressburg 1741. Aus der Serie von Zeremonialgemälden,
die Maria Theresia 1769–70 von Franz Moessmer und
Wenzel Pohl für die Ungarische Hofkanzlei malen ließ

Abb. 5:  Damencaroussel in der Winterreitschule am 2. Januar 1743.
Werkstatt Martin van Meytens, 1769/70

Abb. 6:  Kaiser Franz I. Stephan im Krönungsornat.
Wenzel Pohl, 1755

Abb. 7:  Joseph im Alter von drei Jahren als Thronfolger in
ungarischer Tracht. Werkstatt Martin van Meytens, 1744

Abb. 8:  Porträts Maria Theresias und Franz Stephans
auf Hollitscher Fayencen, Mitte 18. Jahrhundert

Abb. 9: Porträt Maria Theresias von Jean-Étienne Liotard, 1762

Abb. 10:  Wenzel Anton Graf Kaunitz-Rietberg im
spanischen Mantelkleid. Werkstatt Martin van Meytens, 1749/50

Abb. 11:  Maria Theresia nimmt Karl Friedrich Graf Hatzfeld in den
Sankt-Stephans-Orden auf, 1764. Werkstatt Martin van Meytens

Abb. 12:  Die Schlacht bei Hochkirch 1758. Johann Christian Brand,
nach 1769 (Ausschnitt)

Abb. 13:  Schützenscheibe mit Allegorie der Victoria, wahrscheinlich zur Erinnerung an den österreichischen Sieg über die Preußen in der Schlacht
von Hochkirch 1758, Freistadt/Oberösterreich. Mühlviertler Schlossmuseum

Abb. 14: Die Kaiserliche Familie. Werkstatt Martin van Meytens, nach 1754

Abb. 15:  Marie Antoinette, Ferdinand und Maximilian tanzen das Schäferballett ‹Il trionfo d’amore› anlässlich der zweiten Hochzeit
Josephs II. 1765. Werkstatt Martin van Meytens

Abb. 16:  Einzug Isabellas von Parma in Wien, 1760. Aus dem Zyklus der
Zeremonialbilder zur ersten Hochzeit Josephs II. Werkstatt Martin van Meytens

Abb. 17:  Franz I. Stephan auf dem Totenbett, 1765. Anonyme Zeichnung, angefertigt für Maria Theresias ‹Totenkabinett›. Dem Bild liegt eine Skizze zugrunde, die Maria Theresia unmittelbar nach dem Tod hatte
anfertigen lassen.

Abb. 18: Ketzersturz. Kanzel-Himmel im Dom zu Gurk/Kärnten nach einem Entwurf der Wiener Theaterarchitekten Giuseppe und Antonio Bibiena (1740/41). Über der Kanzel der Heilige Geist in einem goldenen Strahlenkranz, darunter die Allegorie der Kirche, flankiert von einem Putto links mit der päpstlichen Tiara und einem Putto rechts mit Kreuzlanze, der die Schlange der Ketzerei ersticht. Im Vordergrund links sitzt die Allegorie des Glaubens mit Kreuz, Kelch und verschleiertem Gesicht. Ein schwarz gekleideter protestantischer Prediger stürzt dramatisch kopfüber in die Tiefe, sein ketzerisches Buch mit ihm.

Abb. 19: Altarbild in der Theresienkirche der Nadelburg, unbekannter Künstler. Links die heilige Theresa von Avila, rechts Joseph II. und zwei Manufakturarbeiter

Abb. 20: Schloss Schönbrunn, Ehrenhof. Bernardo Bellotto, gen. Canaletto, 1759/60

Abb. 21:  Exercitia corporis. Aus: Philipp von Rottenberg/Carl von
Roettiers, Institutio archiducalis. Lehrtafel aus dem Unterrichtswerk
für Erzherzog Ferdinand, 1769

Abb. 22:  Porträt Maria Theresias im türkischen Kostüm.
Kopie, vermutlich nach Jean-Étienne Liotard, Martin van Meytens
zugeschrieben, undatiert

Abb. 23: Maria Theresia in ungarischer Krönungstracht als Herrin der Feldlager. Aus dem Gedenkalbum der eucharistischen Bruderschaft der Domkirche von Eger (1757). Aquarell auf Pergament

Abb. 24:  Maria Theresia als Witwe im Kreis ihrer erwachsenen Kinder.
Von links: Marie Christine, Albert von Sachsen-Teschen, Maximilian,
Marianne, Elisabeth, Joseph. Tempera von Heinrich Friedrich Füger, 1776

Abb. 25: Straßenszene in Wien. Freyung von Südosten. Bernardo Bellotto, gen. Canaletto, 1759/60

Abb. 26:  Joseph II. und Leopold in Rom, 1769. Doppelporträt
von Pompeo Batoni

Abb. 27: Schönbrunn, Gartenseite, Bergl-Zimmer

Abb. 28:  Selbstporträt der Erzherzogin Marie Christine am Spinnrad,
Mitte 18. Jahrhundert

Abb. 29:  Marie Antoinette. Elisabeth-Louise
Vigée-Lebrun, 1779

Abb. 30:  Maria Theresia und ihre Kinder in Laxenburg.
Unbekannter Künstler, 18. Jahrhundert

I

PROLOG

~

Abb. 1: Maria-Theresia-Monument an der Wiener Ringstraße. Skulpturen von Caspar Zumbusch nach dem Programm von Alfred von Arneth, 1888

Monumentale Geschichte

Die Geschichte Maria Theresias, so wie sie üblicherweise erzählt wird, klingt wie ein Märchen: Es war einmal eine wunderschöne Prinzessin und junge Mutter, die erbte ein heruntergekommenes Riesenreich und wurde von unzähligen Feinden überfallen. Sie überzeugte eine Horde wilder, aber edler Krieger, für sie zu kämpfen, und verteidigte mit deren Hilfe ihren angestammten Thron, «ungebeugten Muthes ankämpfend gegen die zahlreiche Schaar sie umringender beutegieriger Feinde, und aus diesem Streite zwar nicht ohne Verlust, jedoch […] immerhin glücklich hervorgehend».[1] Dreimal trat sie gegen den ruchlosesten aller Gegner an und verlor ihre reichste Provinz. Aber das Schicksal wendete diese Niederlagen für sie zum Guten, denn nur dank dieser schweren Prüfung gelang es ihr, die missgünstigen alten Ratgeber ihres Vaters zu entmachten und so ihr marodes Reich mit Hilfe kluger Männer in einen modernen Staat zu verwandeln. «Der Staat, welcher früher fast als unrettbar verloren galt, ging zuletzt als Sieger hervor aus dem Kampfe, der ihn mit Verderben bedroht hatte.»[2] Diese märchenhafte Geschichte drang vor bis in die letzten Winkel historischen Bildungsguts – in die populären Bildersammelalben der Werbeindustrie des 20. Jahrhunderts: «Die 23jährige zeigte sich vom ersten Tage ihrer Regierung an als die geborene Herrscherin. Aus dem Trümmerhaufen von Ländern, den sie übernahm, erwuchs unter ihren Händen ein wirklicher Staat.»[3]

Der Suggestionskraft dieser Heldenerzählung kann man sich schwer entziehen. Sie machte Maria Theresia im Laufe des 19. Jahrhunderts zu der Symbolgestalt österreichischer Staatlichkeit schlechthin.[4] Es fällt schwer sich vorzustellen, dass das nicht immer so war. Kurz nach 1800 schrieb ein Zeitgenosse: «Ich habe mich oft gewundert, wie es zuging, daß Maria Theresia, eine wirklich große Frau, so leicht vergessen werden konnte.»[5] In der Revolutionsepoche von 1789 bis 1848 hatte man mit ihr nicht mehr viel anzufangen gewusst. Ihr Sohn Joseph II. hatte sie als der Held der Stunde in der Publikumsgunst abgelöst – der nüchterne Rationalist, Verächter höfischer Pracht und vermeintliche Revolutionär, der selbst allerdings von der Revolution nicht mehr viel miterlebt hatte. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wendete sich erneut das Blatt, und zwar vollständig. Maria Theresia wurde zur nationalstaatlichen Ikone, zur «ideale[n] Verkörperung der Größe und Schönheit Österreichs».[6] Je mehr die Habsburgermonarchie an territorialer Ausdehnung verlor, desto großartiger und glanzvoller wurde das Bild Maria Theresias ausgemalt.

Dieses Bild ist – und zwar bis heute – geprägt von zwei ehrfurchtgebietenden Monumenten. Das eine ist das gigantische Denkmal am Wiener Burgring mit den Skulpturen von Caspar von Zumbusch, das 1888 von Kaiser Franz Joseph enthüllt wurde und alles bisher Dagewesene an Aufwand und Ausmaßen in den Schatten stellte.[7] Geschichtspolitisch flankiert wurde es von einem Gedenkbuch, das «für den Lesetisch jeder Familie der österreichisch-ungarischen Monarchie und deren Freunde und Verbündete», für Militär und Schule gedacht war.[8] Der Plan zu dem Monument war seit der Niederlage bei Königgrätz 1866 gereift. Ein klassisches Reiterstandbild, wie man es Joseph II. 1807 oder dem Prinzen Eugen 1865 gewidmet hatte, schien für Maria Theresia als Frau nicht schicklich; für sie musste man eine andere Bildformel finden, die von nicht geringerer imperialer Anmutung war. Die Lösung, die sich am Ende durchsetzte, erinnert an weibliche Allegorien der guten Regierung: Maria Theresia thront weit überlebensgroß majestätisch über ihren großen Männern, die in Gestalt von Reiterstandbildern, Statuen und Halbreliefs den massiven Sockel umgeben. In der linken Hand hält sie die Pragmatische Sanktion als eine Art Verfassungsurkunde der österreichischen Monarchie; mit der Rechten weist sie hinunter auf die Betrachter, das Volk. So, wie sie dort thront, flankiert von Tugendallegorien, erscheint sie weniger wie eine individuelle historische Person als vielmehr wie die majestätische Patronin und Mutter des Staates schlechthin, eine zweite Magna Mater Austriae, der historischen Realität weit entrückt. Für ihren Gatten Franz I. Stephan, den Kaiser des Römisch-deutschen Reiches, war in dem riesenhaften Ensemble kein Platz; an dieses längst untergegangene Reich wollte man nicht erinnert werden. Stattdessen ist Maria Theresia umgeben von lauter anderen «großen Männern, die Geschichte machten»: Feldherren, Ministern, Gelehrten und Künstlern.[9]

Das andere, mindestens ebenso wirkmächtige Monument Maria Theresias ist die zehnbändige Biographie des Staatsarchivdirektors und Akademiepräsidenten Alfred Ritter von Arneth, der auch das Programm des Ringstraßendenkmals entworfen hat. Ohne Arneths Riesenwerk, erschienen zwischen 1863 und 1879 und flankiert von einer großen Zahl grundlegender Quelleneditionen, ist die Renaissance Maria Theresias im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nicht denkbar. Bis heute ist sein Werk an Genauigkeit und Materialreichtum unübertroffen. Der Ritter von Arneth (1819–1897) ist der Inbegriff eines staatstragenden Gelehrten, wie sie die national-heroischen Geschichtsbilder des 19. und frühen 20. Jahrhunderts prägten. Er hatte 1848/49 als Vertreter des gesamtdeutschen Konstitutionalismus in der Frankfurter Paulskirche gesessen. Später wurde er Mitglied des niederösterreichischen Landtags, verlegte aber seine Aktivitäten in der zweiten Jahrhunderthälfte ganz weg vom Parlament und hin zu Archiv und Akademie, auf Geschichtsforschung und Geschichtspolitik, was ihm ein nahezu unangefochtenes Deutungsmonopol über die theresianische Zeit eingetragen hat.[10] Eine ähnlich tiefgreifende politische Wirkmacht hätte Arneth in keinem Parlament dieser Zeit erzielen können. Seine Biographie Maria Theresias ist zwar durchaus nicht frei von leisen kritischen Untertönen gegenüber der Protagonistin, aber insgesamt von dem gleichen Gestus der Heldenverehrung geprägt wie das Denkmal an der Ringstraße. «Das innerste Wesen der hohen Frau, ihre Anschauungsweise, ihre Meinungen und Ansichten recht zu ergründen, das ist wohl eine der schönsten Aufgaben, welche österreichische Geschichtsschreiber sich stellen können.» Antrieb seiner Quellenforschung war der «lebhafte Wunsch», so schrieb er, die «wahrhaften Schätze zum Ruhme der Kaiserinn selbst und ihres erlauchten Hauses, zur Ehre unseres Vaterlandes von vertrauenswerther Hand aus den Archiven erhoben und sie in einer des grossen Gegenstandes würdigen Weise zum Gemeingute gemacht zu sehen».[11]

Während die beiden Monumente entstanden, büßte die Habsburgermonarchie Schritt für Schritt ihre einstige Größe ein. 1859 verlor sie die Lombardei und 1866 Venetien an den neuen italienischen Nationalstaat; 1866 unterlag sie Preußen und verließ den Deutschen Bund, 1867 musste sie die faktische Unabhängigkeit Ungarns hinnehmen, und 1871 beendete die Gründung des deutschen Kaiserreiches alle großdeutschen Hoffnungen – von den nationalen Segregationsbewegungen auf dem Balkan und den tiefen wirtschaftlichen Umbrüchen des ausgehenden Jahrhunderts ganz zu schweigen. In diesen Veränderungsstürmen ging es darum, aus der Betrachtung heroisch überstandener Krisen der Vergangenheit Hoffnung und Orientierung für die Zukunft zu schöpfen. Die Majestät eines Denkmals erhebt ja nicht nur diejenigen, denen es gewidmet ist, sondern vor allem auch diejenigen, die es errichten. Beide Denkmäler Maria Theresias, das aus Papier und das aus Bronze, sind Prachtexemplare monumentalischer Geschichte im Sinne von Friedrich Nietzsches berühmter zweiter Unzeitgemäßer Betrachtung ‹Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben› (1874). Monumentalisch nennt Nietzsche eine Geschichtsschreibung, die die Vergangenheit in den Dienst von Hoffnungen und Erwartungen der Gegenwart stellt: «Geschichte als Mittel gegen die Resignation». Sie lehrt, «daß das Große, das einmal da war, jedenfalls einmal möglich war und deshalb auch wohl wieder einmal möglich sein wird». Allerdings muss eine solche Geschichtsschreibung die Unterschiede zwischen Vergangenheit und Gegenwart einebnen; «die Individualität des Vergangenen [muss] in eine allgemeine Form hineingezwängt und an allen scharfen Ecken und Linien zugunsten der Übereinstimmung zerbrochen werden.»[12]

Die monumentalische Geschichte des 19. Jahrhunderts steht zwischen uns und der historischen Gestalt Maria Theresias und versperrt uns die nüchterne Sicht auf sie. Denn zwischen ihrer Lebenszeit, dem Ancien Régime des 18. Jahrhunderts, und unserer Gegenwart haben sich so viele und so revolutionäre Veränderungen ereignet, dass es schwerfällt, hinter diese Veränderungen zurückzublicken. Es ist verführerisch, die eigenen politischen Identitätswünsche auf die majestätische Figur Maria Theresias zurückzuspiegeln und dort die eigene Gegenwart im Kern angelegt zu sehen. Was dabei leicht in Vergessenheit gerät, ist: Die politischen Gebilde, deren Oberhaupt Maria Theresia war, gibt es schon seit langem nicht mehr: weder das Heilige Römische Reich deutscher Nation mitsamt seiner alten Kaiserwürde noch das Länderkonglomerat des Allerhöchsten Erzhauses, dieser sonderbaren Monarchie ohne Namen, die allein durch die habsburgische Dynastie zusammengehalten wurde. Und auch die Nachfolgestaaten – das Kaisertum Österreich von 1804, die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn von 1867 ebenso wie das preußisch-deutsche Kaiserreich – sind dem Ersten Weltkrieg zum Opfer gefallen. Bei all diesen Umbrüchen handelte es sich nicht nur um ein Verschieben und Neu-Zuschneiden der Ländergrenzen, vielmehr veränderten die politischen Gebilde im Laufe des 19. und erst recht des 20. Jahrhunderts ihren Charakter von Grund auf. Diese mehrfachen tiefen Umbrüche wurden aber von vornherein begleitet und abgefedert durch Erzählungen und Symbole der Kontinuität, die es erleichterten, die trennenden Gräben zu übersehen. Denn ist nicht Wien noch immer die Hauptstadt Österreichs? Residiert das Staatsoberhaupt nicht noch immer in der Hofburg? Liegt es daher nicht nahe zu glauben, Maria Theresia und ihre Minister seien die Schöpfer des modernen Österreich gewesen?[13] Doch das ist eine optische Täuschung. So viele Nachfolgestaaten aus der alten Habsburgermonarchie im Laufe der Zeit hervorgingen, so viele unterschiedliche Erzählungen von Kontinuität – bzw. Diskontinuität – entstanden auch. Man kann außer einer österreichischen auch eine deutsche, eine ungarische, tschechische, slowakische, slowenische, serbische, rumänische, belgische oder italienische Geschichte Maria Theresias erzählen, und diese wiederum in monarchistischen, sozialistischen oder parlamentarisch-demokratischen Varianten, und in jeder dieser Erzählungen würde Maria Theresia eine je andere Rolle spielen.[14] Es ist nicht leicht, sich von solchen Kontinuitätskonstruktionen zu distanzieren, wie es die Absicht dieses Buches ist. Und selbst wenn man das tut, muss man sich bewusst bleiben, dass auch eine post-moderne, post-nationalistische Perspektive auf Maria Theresia, 300 Jahre nach ihrer Geburt, selbstverständlich eine unter vielen möglichen Perspektiven ist und keinen Anspruch auf objektive Gültigkeit erheben kann. Der Unterschied besteht nur darin, dass hier bewusst eine Perspektive der Fremdheit eingenommen wird. Anders als in Nietzsches monumentalischer Historie sollen die Gräben, die die Gegenwart vom 18. Jahrhundert trennen, gerade nicht eingeebnet und die scharfen Kanten der Figur gerade nicht abgeschliffen werden. Kurzum: Es soll keine falsche Vertrautheit mit Maria Theresia aufkommen: Man muss sich die Heldin vom Leibe halten.[15]

Männerphantasien

Was die hergebrachte Geschichte von Maria Theresia so märchenhaft erscheinen lässt, ist vor allem der Umstand, dass das gänzlich Unerwartete eintrat, und unerwartet erschien die wundersame Rettung der Monarchie nicht zuletzt deshalb, weil sie einer Frau zu verdanken war. So sahen es schon die zeitgenössischen Lobredner: Was konnten wir so vielen, so dringenden Gefahren entgegen setzen? Eine Frau, von der wir so viele Gegenwart des Geistes, so viele Unerschrockenheit, Muth, Standhaftigkeit […] nicht erwarteten, weil eine so schwere Bürde auch männlichen Schultern unerträglich schien.[16] Das vor allem machte die Faszinationskraft Maria Theresias aus: die erstaunliche Verbindung von männlichem Heldentum und weiblicher Tugend, ihre ‹mütterliche Majestät›.[17] Sie war bekanntlich nicht nur eine Herrscherin, sondern auch eine treue Gattin und sechzehnfache Mutter. Sensationelle Fruchtbarkeit, verbunden mit tatkräftiger Herrschaft, also gleichsam weibliche und männliche Vollkommenheit in einer Person, das ließ Maria Theresia als Ausnahmefigur erscheinen. Selbst unter den berühmten weiblichen Herrscherinnen der Weltgeschichte – Kleopatra, Elisabeth I. oder Katharina II. – erschien sie exzeptionell. Während bei den anderen die Herrschaft zu Lasten der Rolle als Gattin und Mutter ging – sie waren entweder unverheiratet oder unfruchtbar oder sexuell ausschweifend oder alles zusammen –, vereinte allein Maria Theresia weise Regentschaft, treue Gattenliebe, untadelige Sitten und blühende Fruchtbarkeit in einer Person. Sie erschien, mit anderen Worten, als Ausnahme selbst unter den Ausnahmen.[18]

Für das nach wie vor dynastisch geprägte 18. Jahrhundert war weibliche Regentschaft als solche allerdings noch keineswegs besonders ungewöhnlich. Weiberherrschaft galt zwar auch damals als etwas wenig Wünschenswertes, aber nicht als Widerspruch in sich; die Sphären des Öffentlichen und des Privaten, der Politik und der Familie waren noch nicht kategorial getrennt. So fanden zwar auch die Zeitgenossen Maria Theresias Herrschaft bereits bemerkenswert, weil sie als Angehörige des schwachen Geschlechts eine derartige Tatkraft an den Tag legte. Doch vollkommen abwegig erschien den Zeitgenossen ihre Regentschaft nicht: Sie sei eine Frau, und eine Mutter ihres Landes, wie ein Fürst ein Herr, und Vater seines Landes seyn kann, hieß es, und ihre Regierung beweise, dass die größte Kunst aller Künste, die Kunst Länder zu beherrschen, nicht über die Seele eines Frauenzimmers sey.[19] Außergewöhnlich war im 18. Jahrhundert weniger, dass eine Frau Herrschaft ausübte, außergewöhnlich war vielmehr, dass ein Monarch, ob Mann oder Frau, das Geschäft des Regierens als persönliche Aufgabe derart ernst nahm. Es gab viele Arten von Fürsten: Kunstmäzene, Frauenliebhaber, Kriegshelden, Jäger, Hausväter, Gelehrte, Philosophen; jeder Fürst konnte in der Gestaltung seines persönlichen Lebensalltags die jeweilige Vorliebe ausgiebig kultivieren. Nur die wenigsten machten das persönliche Regieren so zu ihrer Sache, wie Maria Theresia es tat. Sie entsprach in vieler Hinsicht den Kriterien eines pflichtbewussten Herrschers in bemerkenswert hohem Maße, mehr als die meisten anderen Fürsten ihrer Epoche.

Das pflegten schon die Zeitgenossen als Maria Theresias Männlichkeit der Seele zu preisen, ihre virilità d’anima.[20] Man nannte sie einen Grand-Homme,[21] im reizenden Körper einer Königinn ganz ein König, nach der herrlichsten, allumfassendsten Bedeutung dieses Wortes.[22] Spätere Historiker nahmen das auf und bezeichneten sie als einen «Mann voll Einsicht und Tatkraft».[23] Dass in einem weiblichen Körper eine männliche Seele wohnen könne, war ein alter Topos, der allerdings weniger dazu diente, die Frauen zu erhöhen, als die Männer zu beschämen. Männliche Tapferkeit oder Entschlossenheit, männlichen Mut oder Geist an einer Frau zu loben dient vor allem als indirekte Kritik an den Männern – übrigens bis zur Gegenwart, etwa wenn man Margaret Thatcher oder Angela Merkel als «einzigen Mann im Kabinett» bezeichnet.[24] In diesem Sinne hatte Friedrich II. über die Kaiserin geschrieben: Einmal haben die Habsburger einen Mann, und dann ist es eine Frau.[25] Umgekehrt spottete eine habsburgfreundliche Flugschrift im Erbfolgekrieg, Friedrich habe an einer Frau seinen Mann gefunden.[26] Wenn eine Frau der bessere Mann ist, dann stellt das den Männern ein vernichtendes Zeugnis aus. Der springende Punkt ist: Indem man eine heroische Ausnahmefrau wie Maria Theresia als «echten Mann» bezeichnet, tastet man die Geschlechterhierarchie nicht an, sondern bestärkt sie noch. Denn vorausgesetzt wird ja dabei, dass Männlichkeit ein Kompliment und das männliche Geschlecht das überlegene sei.

Im Laufe der Zeit wurde die Verbindung von Weiblichkeit und Herrschaft als solche zunehmend zu einer Provokation, zu einem Paradox, was sie im 17. und 18. Jahrhundert noch nicht gewesen war. Im Zeitalter des Rationalismus hatte man zwischen physischer Existenz und politischer Rolle durchaus unterscheiden können, im Sinne des Satzes «Die Vernunft hat kein Geschlecht».[27] Wenn man schrieb, Regentinnen […] hören auf, Frauen zu seyn, sobald sie den Thron besteigen,[28] so hieß das nicht, dass sie sich als Herrscher in Männer verwandelten, sondern dass ihr körperliches Geschlecht für die Regentschaft keine Rolle spielte. Auf diese Weise zwischen physischer und politischer Existenz zu unterscheiden kam im 19. Jahrhundert nicht mehr in Frage: Die Frauen erschienen vielmehr durch und durch von ihrer Körperlichkeit beherrscht. Für die Revolutionäre um 1800 war weibliche Herrschaft ein Verfallssymptom des dekadenten Ancien Régime, das Herrschaft an Geburt und nicht an Wahl und Leistung knüpfte. Die neue bürgerliche Geschlechterordnung schloss die Frauen in viel rigoroserer Weise von der Sphäre des Politischen und der Öffentlichkeit aus, als es in der Adelsgesellschaft des Ancien Régime je der Fall gewesen war. Die Historiker, deren Fach nun zur nationalen Legitimationswissenschaft aufstieg, betrachteten Frauen daher grundsätzlich nicht als ihr Thema. Für sie war der vornehmste Gegenstand der Geschichte die Politik – das Reich der Freiheit, des Fortschritts und zugleich das exklusive Reich des Mannes. Die Frau hingegen gehörte für sie dem Reich der Natur an: dem Reich der Notwendigkeit, des Kreatürlichen, des ewig gleichen Kreislaufs der Reproduktion. Der Mediävist Heinrich Finke brachte es 1913 mit unübertroffener Deutlichkeit auf den Punkt: «Weltgeschichte ist Menschheitsgeschichte, das heißt Geschichte des Mannes und seiner Entwicklung. Nur als Akzidens tritt die Frau und die Geschichte ihrer Entwicklung hinzu. Aufgezeichnet sind deshalb auch nur, oder vorzugsweise, die Taten des Mannes.»[29]

In dieses Weltbild ließ sich eine weibliche Herrscherin wie Maria Theresia am besten dadurch integrieren, dass man sie als die große Ausnahme behandelte, die die Regel bestätigt. Denn erst die Verletzung einer Regel sorgt ja dafür, dass die Regel als solche Kontur erhält; die Überschreitung einer Grenze macht die Grenze erst richtig sichtbar – vorausgesetzt, dass die Ausnahme eben eine Ausnahme bleibt. Normative Ordnungen leben von solchen Ausnahmen. Auch für weibliche Herrscherinnen wie Maria Theresia gilt, was über die Ausnahmefrauen in der Kunst gesagt worden ist, nämlich dass sie «nur unter der Bedingung institutionell anerkannt wurden, dass sie als Ausnahme beschreibbar waren oder die Ausnahme blieben».[30] Als Ausnahmefrau gefährdete Maria Theresia die hergebrachten Geschlechterrollen nicht, ganz im Gegenteil, sie erlaubte es den Historikern, in der Bewunderung ihrer Weiblichkeit, Schönheit, Fruchtbarkeit, Natürlichkeit, Anmut, Wärme und Hingabe geradezu zu schwelgen. «Der Zusammenklang von Frau und Regentin ist es, der Maria Theresia […] einen unvergleichlichen Reiz verleiht: daß sie ihr Lebenswerk vollbrachte, ohne das Geringste von ihrem weiblichen Wesen einzubüßen.»[31] «Alles an ihr ist naturtriebhaft, einem klugen, gar nicht reflektierenden und abstrahierenden Kopf und einem reichen Gemüt entsprungen und voll des Reizes für den Betrachter auch im Unlogischen und Unsystematischen.»[32] Maria Theresia, so befanden die Herren, regierte nicht nach abstraktem Räsonnement; Begriff und Reflexion waren ihr fremd; sie handelte naiv und intuitiv, besaß «mehr Bildung des Herzens als des Verstandes».[33] Ihr weibliches Wesen manifestierte sich in ihrem «praktischen, ganz auf das Konkrete ausgerichteten», «natürlichen Hausverstand», ihrem «Herzenstakt» und «weiblichen Charme», ihrer «gewinnende[n] Güte und ein[em] gewisse[n] Anlehnungsbedürfnis».[34] Immer war sie «die liebende, sorgende Mutter»; wie es sich für «ein Vorbild tiefster und echtester Weiblichkeit» gehört, ließ sie «ihren Verstand stets dem Herzen folgen», und was der weiblichen Geschlechterstereotype mehr sind. Die Zitate ließen sich endlos fortsetzen.[35] In einem panegyrischen Essay anlässlich ihres 200. Geburtstages 1917, der in dem offiziösen Gedächtnisband von 1980 wieder abgedruckt wurde, erhob Hugo von Hofmannsthal die Ausnahmegestalt Maria Theresia vollends in die Sphäre des Übernatürlichen, Einzigartigen und Unvergleichlichen und schwärmte von ihrer magischen Wirkung, ihrem Mysterium. Ihre Einzigartigkeit sah er darin, dass Mütterlichkeit und Herrschaft, die sich eigentlich ausschlössen, hier in eins fielen. Hofmannsthal nahm den Titel Magna Mater Austria wörtlich und schrieb Maria Theresia eine Art politischer Gebärfähigkeit zu: «Das dämonisch Mütterliche in ihr war das Entscheidende. Sie übertrug auf ein Stück Welt, das ihr anvertraut war, ohne Reflexion ihre Fähigkeit, einen Körper zu beseelen, ein Wesen in die Welt zu setzen, durch dessen Adern die Empfindung des Lebens und der Einheit fließt.»[36] Staatsbildung erschien als natürlicher Geburtsvorgang, der habsburgische Territorienkomplex als beseeltes Wesen, dem die mütterliche Herrscherin ebenso das Leben schenkt wie ihren sechzehn Kindern. Maria Theresias außergewöhnliche Verbindung von Weiblichkeit und Herrschaft machte sie aber auch für diejenigen attraktiv, die dazu neigten, die Geschlechterhierarchie in sexueller Hinsicht auf den Kopf zu stellen und der Frau den dominanten Part zuzuweisen. Es ist daher kaum überraschend, dass auch Leopold von Sacher-Masoch die Kaiserin zu seinem Idol erkor. Höchst angeregt von dem Porträt «Maria Theresia als Sultanin» (Farbtafel 22), imaginierte er sie sich als Heldin einer «erotischen Legende», als die «Schönste ihres Geschlechts», in der schon früh «die Herrschsucht mit wahrhaft dämonischer Energie» erwacht sei und die nicht nur den «von seinem Glück berauschte[n] Bräutigam», sondern auch den Staatskanzler Kaunitz dazu veranlasste, ihr «zu gehorchen wie ihre Sklaven».[37]

Maria Theresias pointierte Weiblichkeit verlangte nach einem männlichen Pendant. Was lag da näher, als den lebenslangen Konflikt zwischen ihr und dem ungefähr gleichaltrigen König von Preußen in Begriffen des Geschlechterverhältnisses zu beschreiben und auf diese Weise zum überzeitlich-allgemeinen, naturgegebenen Gegensatz zwischen Mann und Frau zu überhöhen. Dazu neigte vor allem die preußisch-kleindeutsche Geschichtsschreibung eines Ranke, Droysen oder Treitschke.[38] Das Begriffspaar männlich/weiblich diente als griffiger Code zur Ordnung der Welt und des Geschichtsverlaufs: männliches Preußen gegen weibliches Österreich, kühner Angriff gegen schwerfällige Verteidigung, Kräfte des Fortschritts gegen Kräfte der Beharrung, Protestantismus gegen Katholizismus, Norden gegen Süden, Zukunft gegen Vergangenheit, entschlossenes Handeln gegen unentschlossenes Schwanken, Homogenität gegen Heterogenität und so fort. Friedrich II. und Maria Theresia verhielten sich nach diesem Muster zueinander wie Verstand und Gefühl, Geist und Herz, Sterilität und Fruchtbarkeit, rationalistische Kälte und mütterliche Wärme, tragische Zerrissenheit und in sich ruhende Ganzheit. Die österreichische Kultur war so weiblich wie die preußische männlich. Kurzum: Alles fügte sich harmonisch zum ewigen Antagonismus von Mann und Frau.

Das Schema männlich/weiblich ließ sich flexibel an wechselnde politische Konjunkturen anpassen. Die beiden Geschlechter konnten je nach politischem Bedarf entweder als unvereinbare Gegensätze erscheinen – das war die preußisch-kleindeutsche Lesart. Oder sie konnten als zwei einander korrespondierende Pole dargestellt werden, die erst gemeinsam das Ganze des wahren Deutschtums ausmachen – das war die großdeutsche Lesart. In ihrer «monumentalen Größe» je andersartig, aber einander ebenbürtig, verwandelten sich Maria Theresia und Friedrich II. geradezu in das Traumpaar der großdeutschen Geschichte, dessen Romanze leider von einem widrigen Schicksal vereitelt worden war. Heinrich Kretschmayr leistete sich schon 1925 in der Reihe ‹Die deutschen Führer› das Gedankenspiel, was aus Deutschland Großartiges hätte werden können, wenn ihre Eltern sie miteinander verheiratet hätten, und nannte es tragisch, dass «Preußen nur gegen Deutschlands Einheit zum Staate werden konnte» und Deutschland, «indem Österreich und Preußen einander zu Höchstleistungen emportrieben und so in Ehren bestanden, diesen ihren Wettkampf mit der kaum heilbaren Zerreißung seiner Einheit hat bezahlen müssen».[39] Maria Theresia erschien nicht nur als die größte, sondern auch als «die deutscheste Frau der Zeit, vielleicht aller Zeit: offen, wahr, gemütvoll, tugendsam, eine vorbildliche Gattin und Mutter», so schwärmte der böhmisch-österreichische Schriftsteller Richard von Kralik 1916.[40] Und der deutsche Historiker Willy Andreas beschwor 1930 anlässlich der Gedächtnisausstellung in Schloss Schönbrunn die höhere Einheit des deutschen Volkes im Gegenüber von Maria Theresia und Friedrich II., Süden und Norden, Katholizismus und Protestantismus. Wie sich der Gegensatz zwischen Mann und Frau in der Ehe in höherer Harmonie auflöst, so machten sie beide gemeinsam die Vollkommenheit der Epoche aus: «Ihr historisches Dasein aber, als Ganzes genommen, macht einen Teil der allgemeinsten, vorwaltenden Epocheninhalte aus. Nicht zu Unrecht empfängt das Zeitalter von Friedrich dem Zweiten und Maria Theresia seinen Namen.»[41]

Nach dem Anschluss Österreichs 1938 hatte diese Geschichtsdeutung naheliegenderweise Hochkonjunktur. Als Heinrich Ritter von Srbik vier Jahre später das heiß ersehnte «großdeutsche Volksreich, geboren aus dem Willen der Nation und geschaffen durch die Tat eines genialen Deutschen» bejubelte, fand er, nun sei die Zeit endlich reif, Maria Theresia und Friedrich den Großen «in der stolzen Symphonie unseres Volksganzen zu vereinen». Ihre «entgegengesetzten Lebensprinzipien» und die widerstreitenden Bedürfnisse ihrer Staaten hätten zwar zu ihren Lebzeiten verhindert, dass sie «die innere Brücke zueinander» fanden. Das könne aber die Nachgeborenen nicht daran hindern, in den beiden «das stolze Besitztum des Gesamtvolks zu erblicken».[42] Für Srbik war Maria Theresia nun die ideale «Verkörperung des deutschen Frauentums»: «Deutsch war ihr Denken und Fühlen, deutsch ihr Humor, […] deutsch die Treue und Liebe zu ihrem leichtlebigen Gatten und zur Schar ihrer Kinder». Nach preußischem Vorbild hatte sie «einen wahren Staat geschaffen mit fester Obrigkeitsordnung und gediegener Verwaltung», der «dem Wesen nach ein deutscher» Staat war. Die von ihr erneuerte deutsche Kultur habe sich «über das Kulturgefälle der Monarchie nach dem ferneren Osten Mitteleuropas ergossen» und «den deutschen Volksboden» um Siebenbürgen und das Banat erweitert. Und, nicht zu vergessen: «Sie war eine instinktive Feindin des Judentums.» Kurzum: «Das Schaffen dieser völlig deutsch fühlenden, ihres Deutschtums bewußten Frau», in der auch «der alte deutsche Kaisergedanke […] noch immer ein stilles Leben» lebte, war nicht genug zu preisen.[43]

Nach dem Zweiten Weltkrieg verzichtete man auf österreichischer Seite lieber auf die Betonung der höheren Einheit der Gegensätze und zog es vor, sich wieder allein mit dem einen der beiden Pole, dem weiblich-theresianischen, zu identifizieren. So beschrieb der Schriftsteller Friedrich Heer in seinem Essay ‹Humanitas austriaca› 1958 die Kaiserin als Verkörperung eines spezifisch österreichischen Menschentums, das, «bedingt durch ein starkes Mitwirken des weiblichen Elements», gekennzeichnet sei durch Feindschaft gegen das ‹Abstrakte›, durch Leichtigkeit und Mitmenschlichkeit. Der österreichische Mensch an sich sei tolerant, die jahrhundertelange gewaltsame Rekatholisierungspolitik der Habsburger hingegen unösterreichisch. «Maria Theresia kämpft gegen den sehr einseitig willentlich orientierten Mann Friedrich II. und gegen eine Aufklärung, in der sie ein männisches willentliches, ideologisches, gewalttätiges Element wittert.»[44] Nun, da es galt, sich gegen das nationalsozialistische Deutschland abzusetzen, bewährte sich der alte Antagonismus zwischen Maria Theresia und Friedrich II.: Vertrauen, Liebe und Fürsorge hier, Misstrauen, Gewalttätigkeit und ideologische Verblendung dort. Die sexuelle Codierung des österreichisch-preußischen Gegensatzes trieb noch einmal farbige Blüten. Ein besonders schönes Beispiel dafür ist die Beschreibung Wiens durch den Publizisten Wilhelm Hausenstein, der die «These vom matriarchalischen Charakter des österreichischen Barockkaisertums» vertrat.[45] Der mütterlichen Fruchtbarkeit und Üppigkeit Maria Theresias entsprechen die Unfruchtbarkeit und Kargheit Friedrichs II. An der Topographie Wiens entfaltet er den Gedanken buchstäblich Schritt für Schritt, indem er sie von außen nach innen abschreitet. Wien ist das Zentrum der Habsburgermonarchie, das Zentrum der Stadt ist barock, und dieser Wiener Barock ist weiblich: «Metaphorisch würde sich sagen lassen, das Wiener Barock scheine einigermaßen auf jenen Mittelpunkt österreichischer Kultur hinzustreben, der Maria Theresia heißt. […] Gewiß, das Wiener Barock ist älter als Maria Theresia […], aber dennoch mutet die Geschichte Wiens wie eine Strömung an, die den Sinn, die Bestimmung hat, diesem mütterlichen Delta zuzumünden.» Im Gegensatz zu «männlich-barocken» Städten wie Rom oder Berlin habe Wien keine «mächtig einstoßende und ganz klar orientierende Via triumphalis», hier regiere «vielmehr ein tief eingewurzeltes Gesetz weicher, achsenloser Agglomeration». Im weiblich-barocken Wien verschwimmen gar die Geschlechterunterschiede, so dass «die Büsten von Männern und Frauen auf den ersten Anblick nicht immer zu unterscheiden sind»: Franz I. ist effeminiert, Maria Theresia hingegen tritt in gebieterisch-männlicher Haltung auf. «In diesem seltsamen Widerspiel spricht ein Stück der innersten Verfassung Wiens sich aus: das axiale Element (der Mann) scheint von der weiblichen Fülle und Gewalt überblendet, und alles sammelt sich um eine mütterliche Kernfigur in konzentrischen Kreisen». Der topographische Mittelpunkt des tief-weiblichen Wien ist die Hofburg, deren Mittelpunkt ist das weiß-goldene Paradeschlafzimmer, und dessen Mittelpunkt wiederum, auf den die ganze Schilderung zuläuft, ist das kaiserliche Ehebett (das bereits unter Kaiser Franz Joseph als museales Erinnerungsstück zum Gedenken an Maria Theresia präsentiert wurde). Die Phantasie des Autors überschlägt sich beim Anblick «des schweren und üppigen Prachtbettes der Kaiserin, des Ehebetts einer majestätischen Liebe»; es ist «das Ungewöhnlichste, das Besonderste der Wiener Hofburg», «die Wurzel des Wesens dieses ganzen Schlosses», «die Mitte des Lebens der Hofburg». Das Bett und sein Gegenstück, der eheliche Sarkophag in der Gruft, bilden gemeinsam das «Zentrum der Dynastie, Vollendung der österreichischen Geschichte»: «Haupt und Herz Wiens – in der Gestalt einer Frau!»

1945 war für die Maria-Theresia-Historiographie wie auch sonst für die deutsche und österreichische Geschichtswissenschaft kein tiefer Bruch. Die Historiker fanden aus der Untertanenperspektive nicht heraus und schrieben über Maria Theresia noch lange im hochgestimmten Ton der panegyrischen Festrede.[464748