Über das Buch:
Vo Emma, Hannes, Linus und Sina haben eine Mission: Sie müssen Ava finden, die Tochter von Bankräuber Freddy. Sie hat keine Ahnung, dass ihr Vater im Gefängnis ist und sich so sehr über einen Besuch von ihr freuen würde! Kurzerhand gründen die vier Kinder eine Bande – eine, die für das Gute kämpft und sich sogar in die Geheimgänge unter der Stadt wagt.
Doch Freddy hat die Bank nicht allein überfallen und sein Ganoven-Kollege ist ihnen schon auf den Fersen …
Über den Autor:
Hans-Dietrich Nehring ist Pfarrer in Bayreuth, verheiratet und Vater von drei Kindern. Schon als kleiner Junge erfand er Geschichten, die sein Großvater für ihn aufschreiben musste. Heute liegen ihm die Kinder seiner Gemeinde besonders am Herzen. Für sie denkt er sich Geschichten aus.
Unter der Erde
Das Pfarrhaus von St. Georgen steht etwa fünfhundert Meter vom Gefängnis weg. Dazwischen liegen Häuser und Straßen. Die Guten stehen direkt vor der schweren Eingangstür. Jeder hat einen Fahrradhelm, etwas zu essen und ein Handy dabei – nur Sina hat noch keins. Emma hat an alles gedacht. Sie hat ein altes Handy aus einer Schublade geholt, ihre Nummer eingespeichert und es in einen Briefumschlag gesteckt. Darauf hat sie geschrieben: Freddy, ruf uns an, wir suchen deine Tochter! Das will sie ins Gefängnis legen und dann wieder fliehen. Sie ist wirklich eine gute Bandenführerin.
»Wie soll es denn da einen Geheimgang zum Gefängnis geben?«, fragt Hannes. »Da liegen doch lauter Häuser dazwischen! Das geht doch gar nicht!«
»Das ist es ja gerade«, erklärt Linus. »Die sind schon richtig alt! Man weiß bis heute nicht genau, wann und wofür sie gegraben wurden. Im Krieg hat es den Menschen total geholfen, dass ihre Keller miteinander verbunden waren. So hatten sie die Chance zu fliehen, falls eine Bombe auf ihr Haus fällt.«
Sina gefällt der Gedanke, dass eine Bombe auf ein Haus fallen könnte, überhaupt nicht.
»Und jetzt kann man unterirdisch von Keller zu Keller laufen!«
Hannes staunt: »Heißt das, wir laufen von Haus zu Haus, von einem Keller in den nächsten Keller, bis wir im Gefängnis sind?«
»Ja, aber die meisten Leute haben ihre Zugänge zugemacht. Vom Pfarrhaus von St. Georgen kann man aber rein!«
»Ich klingle mal«, sagt Emma und drückt den Knopf. Drinnen sind Schritte zu hören. Donnerschläge knallen und kommen näher. Die Tür öffnet sich. Vor ihnen steht ein riesiger Mann mit dunklen Augen und schwarzen Haaren. Er hat Hände so groß wie Bratpfannen. In der rechten hält er einen Handball.
Unwillkürlich weicht Emma einen Schritt zurück. »Wer ist das denn, ich dachte Farhad ist allein!«, fragt sie Linus leise.
Linus schüttelt dem Mann stolz die Hand. »Das ist Farhad. Er ist älter als wir. Ich habe nicht gesagt, dass er in meiner Mannschaft spielt, ich habe nur gesagt, dass er bei mir im Verein ist!«
»Hey, Linus, sind das deine Freunde?«
»Ja, das ist Emma, das Hannes und das ist meine Schwester Sina!«
»Was hat denn da so gedonnert?«, fragt Sina leise. »Ich habe Angst!«
»Ach, ich hab nur ein bisschen trainiert!« Farhad zeigt seinen Handball. »Ihr wollt doch in den Geheimgang, oder? Da müsst ihr da langgehen! Ich zeige es euch!«
Farhad dreht sich um, öffnet die Kellertür und steigt eine Treppe mit Steinstufen runter. Die Guten folgen ihm.
Ganz unten gibt es einen altmodischen Lichtschalter. Farhad dreht daran und eine alte Glühbirne leuchtet auf. In ihrem fahlen Licht sieht man ein schweres Eisengitter.
»Hier geht es rein!«, sagt Farhad. »Normalerweise ist hier abgeschlossen. Aber ich habe den Schlüssel.« Er nimmt den Schlüssel aus seiner Tasche und schließt die Gittertür auf. »Ich bleibe hier, da drinnen macht man sich nur schmutzig. Seid bitte um 18 Uhr wieder hier, dann kommt der Pfarrer zurück!«
Vorsichtig betreten die Guten den Geheimgang. Es wird ganz dunkel. Emma holt ihre Taschenlampe heraus. Vorsichtig geht sie voran. Plötzlich stoppt sie. »Setzt bitte alle eure Helme auf!«
Alle bleiben stehen und setzen ihre Helme auf.
»Jetzt geht es weiter!«
Das Licht ihrer Lampe fällt auf eine Tür. Vorsichtig drückt sie mit der Hand dagegen. Die Tür geht auf. Sie sehen in einen großen Kellerraum. Emma leuchtet hinein. Schatten hüpfen über die Wände. Dort ist eine Treppe, die nach oben führt.
»Da geht es bestimmt zum Nachbarhaus!«, murmelt Linus. Er schaut auf seine Karte.
»Ich will heim!«, flüstert Sina.
»Schau, da ist wieder eine Tür! Da gehen wir durch!« Mutig geht Emma voran. Hannes und Linus folgen.
»Wollen wir nicht umkehren?«, jammert Sina.
Linus ballt seine Fäuste. Immer nervt Sina mit ihrer Angst! Er dreht sich um und schreit: »Wenn du willst, dann geh doch allein heim! Ich geh weiter!«
»Du musst auf mich aufpassen!«
»Dann komm jetzt mit, wenn ich auf dich aufpassen soll!«
Schluchzend folgt Sina den drei großen Kindern. Sie fühlt sich unendlich klein. Emma hat inzwischen schon die nächste Tür geöffnet. Vor ihr liegt ein langer Gang. Vorsichtig tasten sie sich vorwärts. Die Taschenlampe wirft gruselige Schatten. Leise hallen ihre Schritte von den Wänden wider. Es sind vielleicht fünfzig Meter. Am Ende wird der Gang immer enger. Sie stoßen mit ihren Helmen an die Decke. Zum Glück tut das nicht weh!
»Wir kommen hier nie wieder raus!«, weint Sina schon wieder.
»Wenn du nicht gleich still bist, kommst du hier nicht mehr raus, weil ich dafür sorge!«, schimpft Linus wütend. Eigentlich hat er selber Angst.
Sina heult auf. Emma dreht sich um und schimpft: »Linus, was soll das? Du bist so doof! Vielleicht ist Sina erst sechs Jahre alt?«
Hannes nimmt Sina an die Hand. Sina drückt seine Hand erleichtert.
»Mädchen, typisch Mädchen«, flüstert Linus vor sich hin und schaut auf seinen Plan. »Die schwarze Tür da vorne ist offen. Da müssen wir bestimmt durch«, sagt er dann laut.
Emma geht weiter. Linus folgt ihr, den Abschluss bilden Hannes und Sina.
Sina dreht sich immer wieder um. War da nicht ein Geräusch? Ist da jemand?
Alle gehen durch die schwarze Tür. Als Sina durchgegangen ist, lässt sie die Hand von Hannes los und schließt die schwarze Tür. Das geht richtig schwer, aber sie will nicht, dass ihnen irgendjemand folgen kann. Das Schloss schnappt zu.
»Was machst du?«, schimpft Linus. »Vielleicht können wir die Tür nicht wieder aufmachen!« Er geht sofort zur Tür und findet keinen Griff. Er kann sie nicht öffnen. »Wir können nicht mehr zurück! Da ist kein Türdrücker!« Panik liegt in seiner Stimme.
Jetzt probiert es Hannes. Auch er kann die Tür nicht mehr öffnen.
»Wir sind hier unten gefangen!«, stöhnt Hannes.
Jetzt versucht es Emma. Die Tür bleibt zu.
»Auf der anderen Seite war ein Türdrücker«, flüstert Sina.
»Das nützt uns jetzt auch nichts!«, schimpft ihr Bruder.
»Wir gehen einfach weiter. Irgendwo kommen wir bestimmt raus!« Emma ist die Einzige, die ruhig bleibt.
Sie kommen an einer Treppe vorbei. Die Treppe endet an einer zugemauerten Wand.
»Wo sind wir nur?«, will Linus wissen. Er schaut auf seine Karte, aber die hilft ihm gerade auch nicht.
»Unter irgendwelchen Häusern«, antwortet Emma. Sie ist wirklich mutig. Sie leuchtet den Raum aus, der jetzt vor ihnen liegt. Das Licht ihrer Taschenlampe fällt auf einen großen Steinhaufen. Vor vielen Jahren ist dort die Decke eingestürzt. Emma leuchtet den Steinhaufen ab. Er geht bis zur Decke und rechts und links kommt man auch nicht vorbei. »Da kommen wir nicht durch!«, stellt sie fest. Jetzt bekommt sie es auch mit der Angst zu tun.
Sina setzt sich hin und sagt: »Ich bleibe jetzt hier sitzen und geh nirgendwo mehr hin!«
Hannes und Linus setzen sich dazu.
»Das war eine ganz doofe Idee, hier reinzugehen!«, schimpft Sina.
Emma setzt sich auch hin. Sie nimmt ihr Handy zur Hand. »Wir können jederzeit Hilfe rufen«, sagt sie beruhigend. Sie tippt auf dem Handy herum. Dann wird sie blass. »Kein Netz! Die Handys funktionieren hier unten nicht.«
Jetzt ist es eine Weile still. Man hört nur den Atem der Kinder.
Sina macht die Augen zu und träumt sich nach Hause. Sie stellt sich vor, dass sie auf ihrem Bett liegt. Es funktioniert nicht. Plötzlich raschelt etwas. Sina zuckt zusammen.
»Was ist das?« Hannes’ Herz klopft. Angestrengt schaut er in die Dunkelheit.
»Ich glaube, eine Ratte. Das kommt von dem Steinhaufen da!« Emma leuchtet in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen ist. Sie deutet auf die Steine, die ihnen den Weg versperren.
Da spürt Sina, wie etwas über ihre Füße läuft. Die Angst drückt ihr die Brust zusammen. Sie bekommt keine Luft mehr. Es ist, als wenn sie in einem Schraubstock eingeschnürt wäre. Leise fängt sie an zu beten.
»Betest du?«, will ihr Bruder wissen.
Sina nickt und betet weiter.
Alle vier Kinder werden ganz still. Jeder betet für sich. »Lieber Gott, hilf uns doch irgendwie hier raus!«