Eine Biographie
Verlag C.H.Beck
Der Kaiser Caligula (37–41 n. Chr.) gilt als Musterfall des römischen Cäsarenwahnsinns: Er trieb Inzest mit seinen Schwestern, wollte sein Pferd zum Konsul machen und plante, seinen Herrschaftssitz von Rom nach Alexandria zu verlegen. Er verfolgte die römischen Senatoren grausam und ohne Anlaß, ja er wollte schließlich als Gott von ihnen verehrt werden. So behaupten es zumindest die antiken Quellen. Ihr denunziatorischer, von nachweisbaren Falschaussagen geprägter Charakter ist zwar längst erkannt, ihrer Suggestion war jedoch auch die moderne Forschung immer wieder erlegen.
Der Autor beschreibt das kurze, ereignisreiche Leben dieses Kaisers in neuer Deutung. Die Herrschaft Caligulas, so wird gezeigt, war durch eine dramatische Konfliktgeschichte geprägt, in deren Verlauf senatorische Verschwörungen und die kaiserlichen Reaktionen darauf die Ereignisse eskalieren ließen. Der junge Kaiser nutzte mit zynischer Konsequenz den Opportunismus und die Auflösungserscheinungen der alten Oberschicht zur Durchsetzung einer offenen Alleinherrschaft und setzte die senatorische Gesellschaft nie zuvor erlebten traumatischen Erfahrungen von Angst, Machtlosigkeit und Selbstzerstörung aus.
Nach der Ermordung Caligulas durch eine Palastverschwörung verarbeiteten die Vertreter der gedemütigten Aristokratie mit «frischem Haß» (Tacitus) das Erlebte. Die Konstruktion eines «wahnsinnigen» Kaisers eignete sich zu dessen nachträglicher Entwertung ebenso wie zur Rechtfertigung der eigenen Beteiligung an dem, was vorgefallen war.
Aloys Winterling, geb. 1956, ist nach Professuren in Bielefeld, Freiburg/Brsg. und Basel/Schweiz seit 2009 an der Humboldt-Universität Berlin tätig. Seine Forschungsinteressen gelten den Besonderheiten des Verhältnisses von Politik und Gesellschaft sowie den Wechselwirkungen zwischen kulturellen und Persönlichkeitsstrukturen in der griechisch-römischen Antike. Er hat Untersuchungen zu Hof und Monarchie in der frühen Neuzeit und in der römischen Kaiserzeit, zur aristokratischen Kommunikation im kaiserzeitlichen Rom sowie zur Krise der griechischen Polis im 4. Jahrhundert v. Chr. vorgelegt.
Ein wahnsinniger Kaiser?
I. Kindheit und Jugend
1. Das Erbe des Augustus
2. Die politische Familie
3. Kindheit als «Soldatenstiefelchen»
4. Die Zustände im Alten Rom unter Tiberius
5. Gefährliche Jugend
6. Capri und der Weg zum Thron
II. Zwei Jahre Prinzeps
1. Der junge Augustus
2. Krankheit und Konsolidierung
3. Im Genuß der Herrschaft
4. Der Tod Drusillas
5. Das Reich
III. Die Eskalation der Konflikte
1. Die Verschwörung der Konsulare
2. Die Stunde der Wahrheit
3. Die große Verschwörung und der Zug in den Norden
4. Die Neugestaltung der kaiserlichen Rolle
5. Der Ritt übers Meer
IV. Fünf Monate Monarchie
1. Die Unterwerfung der Aristokratie
2. Die Entehrung der Aristokratie
3. Der Kaiser als «Gott»
4. Die Stabilität der Herrschaft
5. Alternative Alexandria?
V. Mord auf dem Palatin
Die Erfindung des wahnsinnigen Kaisers
Nachwort
Nachwort zur Neuausgabe
Anhang
Anmerkungen
Verzeichnis der Abkürzungen
Nachweis der Abbildungen
Literaturverzeichnis
Register
Stammbaum des Caligula
Caligula – der Mann, der von 37 bis 41 n. Chr. römischer Kaiser war, gilt als monströse Entartung eines tyrannischen Herrschers: Er trank in Essig aufgelöste Perlen und aß mit Gold belegte Speisen. Er zwang vornehme Frauen und Männer zum Sex, betrieb ein Bordell in seinem Palast, ja er schändete sogar seine eigenen Schwestern. In sinnloser Grausamkeit quälte er vor allem die römischen Senatoren. Folterungen und Hinrichtungen waren an der Tagesordnung. Er ließ zwei Konsuln ihrer Ämter entheben, weil sie vergessen hatten, seinen Geburtstag zu feiern. Er hielt sich für ein übermenschliches Wesen und zwang seine Zeitgenossen, ihn als Gott zu verehren. Er wollte sein Pferd zum Konsul machen und plante, das Zentrum des Reiches von Rom nach Alexandria zu verlegen.
Sein Biograph Sueton, dem wir die meisten dieser Informationen verdanken, und die übrigen antiken Berichterstatter haben auch eine Erklärung für sein Verhalten: Er war wahnsinnig. Der Philosoph Seneca, ein Zeitgenosse, der ihn persönlich kannte, schreibt Caligula «Irrsinn» zu und hält ihn für eine «Bestie». Ein anderer Zeitgenosse, Philo von Alexandrien, der als Leiter einer Gesandtschaft in Kontakt mit ihm trat, spricht von seinem «verwirrten Geist». Der Ältere Plinius und Flavius Iosephus, zwei Autoren, die einige Jahrzehnte später schrieben, erwähnen sein «unsinniges Verhalten» und berichten über seinen «Wahn». Anfang des zweiten Jahrhunderts spricht Tacitus, der berühmteste Historiker der römischen Kaiserzeit, dessen Berichte über die Regierungszeit Caligulas selbst verlorengegangen sind, von dem «verwirrten Verstand» des Kaisers. Sueton, der die Lebensbeschreibung Caligulas ein knappes Jahrhundert nach dessen Tod schrieb, hält ihn für «geisteskrank», und auch Cassius Dio, der Anfang des dritten Jahrhunderts eine umfangreiche Römische Geschichte verfaßte, glaubt, der Kaiser habe «den Verstand verloren».
Kein Wunder, daß auch die moderne Forschung diesen Utreilen gefolgt ist: «Cäsarenwahnsinn» – so lautet die gängige Erklärung. Ludwig Quidde, der den Begriff Ende des 19. Jahrhunderts berühmt gemacht hat, charakterisiert diese «Krankheit» mit den Worten: «Größenwahn, gesteigert bis zur Selbstvergötterung, Mißachtung jeder gesetzlichen Schranke und aller Rechte fremder Individualitäten, ziel- und sinnlose brutale Grausamkeit.» Während sich diese Elemente «auch bei anderen Geisteskranken» fänden, bestehe das Besondere des wahnsinnigen Cäsaren darin, «daß die Herrscherstellung den Keimen solcher Anlagen einen besonders fruchtbaren Boden bereitet und sie zu einer sonst kaum möglichen ungehinderten Entwicklung kommen läßt.» Quiddes kurze biographische Skizze des Caligula zeichnet sich allerdings durch eine Doppelbödigkeit, durch eine Differenz von Gesagtem und Gemeintem aus: Sie war für die Zeitgenossen so eindeutig auf den regierenden – zweifellos nicht wahnsinnigen – deutschen Kaiser Wilhelm II. gemünzt, daß sie in kurzer Zeit 30 Auflagen erzielte, ihrem Autor aber drei Monate Haft und das Ende seiner akademischen Karriere einbrachte. Seinem Urteil über Caligula hat dies keinen Abbruch getan. Noch der Verfasser einer Biographie aus dem Jahre 1991 hält den Kaiser für «crazy», und in einem 1996 erschienenen Forschungsüberblick wird ihm «imperial madness» zuerkannt.
Auf die Leser dieser Biographie des Caligula scheint also einiges zuzukommen. In der Tat. Die Dinge liegen allerdings erheblich komplizierter, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Schon im 19. Jahrhundert wurde nämlich festgestellt, daß die antiken Berichte über diesen Kaiser keineswegs so eindeutig sind, wie sie zu sein vorgeben. Zum Beispiel Caligulas Sex: Bei der Behauptung, der Kaiser habe Inzest mit seinen drei Schwestern getrieben, handelt es sich um eine Falschinformation, die erstmals ein Jahrhundert nach seinem Tod bei Sueton auftaucht. Der Nachweis ist leicht zu führen: Die beiden mit dem aristokratischen Milieu Roms vertrauten und gut informierten Zeitgenossen Seneca und Philo, die den Kaiser mit Haßtiraden überziehen und die sich die Mitteilung dieses Sachverhaltes daher kaum hätten entgehen lassen, wissen offensichtlich nichts davon. Das gleiche gilt für Tacitus. Er würdigt in seiner Geschichte der frühen Kaiserzeit ausführlich das lasterhafte Leben der Jüngeren Agrippina, der Schwester Caligulas und Gattin des späteren Kaisers Claudius. Er traut ihr sogar einen Inzestversuch mit ihrem eigenen Sohn, dem Kaiser Nero zu. Ein Inzest Agrippinas mit ihrem Bruder, der sehr gut dazu gepaßt hätte, ist ihm jedoch unbekannt geblieben. Die Geschichte ist also irgendwann nach dem Tod Caligulas erfunden worden.
Ein anderes Beispiel: Mitte des Jahres 39 fand eine breit angelegte Verschwörung gegen Caligula statt, an der ein wichtiger Militärkommandant in Germanien, die Schwestern des Kaisers, sein engster senatorischer Vertrauter, die amtierenden römischen Konsuln und weite Kreise der römischen Aristokratie beteiligt waren. Es handelte sich um eine das Leben des Kaisers gefährdende, hochdramatische Angelegenheit, die eine grundsätzliche Änderung seines Verhaltens gegenüber seinen senatorischen Standesgenossen zur Folge hatte. Die frühen Quellen schweigen vollständig darüber. Auch Sueton erwähnt die Verschwörung in seiner Caligula-Biographie mit keinem Wort, schildert nur wirr erscheinende Reaktionen des Kaisers. Aus zwei nebenbei gemachten Erwähnungen in seinen Biographien der Kaiser Claudius und Vespasian geht jedoch hervor, daß ihm die Ereignisse, die überdies inschriftlich belegt sind, bestens bekannt waren.
Die Beispiele lassen sich, wie noch zu sehen sein wird, leicht vermehren. Sie laufen auf folgenden Befund hinaus: Die aus der Antike überlieferten Berichte über Caligula verfolgen das deutlich erkennbare Ziel, den Kaiser als ein sinnlos handelndes Ungeheuer darzustellen. Sie geben nachweisbar falsche Informationen, die dieses Bild stützen sollen. Sie unterschlagen Informationen, die diesem Bild widersprechen könnten. Sie reißen die Handlungen des Kaisers aus ihrem Zusammenhang, so daß ihr ursprünglicher Sinn nicht mehr oder nur noch unter großen Schwierigkeiten erkennbar ist. Sie geben Beurteilungen seines Verhaltens ab, die häufig den von ihnen selbst präsentierten Mitteilungen widersprechen.
Schließlich der Wahnsinn: Seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. gab es in der Antike wissenschaftliche Erörterungen und Erklärungsversuche psychopathologischer Phänomene. Zur Zeit des Kaisers Tiberius, Caligulas Vorgänger, schrieb der römische Autor Cornelius Celsus darüber in seinen Büchern De medicina. Er charakterisiert «Wahnsinn» (insania) als eine Krankheit, die sich durch unsinniges Verhalten oder unverständliches Reden zeige. Er schildert Patienten, bei denen Wahnvorstellungen auftreten, der Verstand aber nicht gestört ist, und solche, bei denen der Verstand selbst wahnhaft verwirrt ist. Später schreibende Mediziner, die dieselbe Unterscheidung benutzen, führen als Beispiel für ersteres einen Kranken namens Theophilos an, der – obwohl er ansonsten korrekt reden und urteilen konnte – glaubte, daß Flötenspieler um ihn herum Tag und Nacht dauernd musizierten, Geräusche machten und ihn anschauten. So schrie er durchs ganze Haus und befahl, sie hinauszuwerfen. Als Beispiel einer Störung des Verstandes selbst wird ein Patient geschildert, der unter der Vorstellung litt, keinen Kopf zu haben. Er meinte, ein enthaupteter Tyrann zu sein.
Auch im römischen Recht wurde das Problem behandelt. In einer Reihe von Texten, die Tötungsdelikte, Majestätsverbrechen, Injurien oder Sachbeschädigung betreffen, werden «Wahnsinnige» (furiosi, insani) für schuldunfähig erklärt: «Denn welche Schuld soll bei dem sein, der nicht bei Verstand ist?», fragt der Rechtsgelehrte Pegasus (Dig. 9, 2, 5, 2).* Ja, es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß bei Verbrechen, die ein Wahnsinniger begeht, nicht er selbst, sondern die zu bestrafen sind, die es unterlassen haben, auf ihn aufzupassen.
Wie soll man sich das vorstellen? Ein römischer Kaiser, der sich unsinnig verhält, der unverständlich redet, dessen Wahrnehmung der Realität gestört ist und der in diesem Zustand alle möglichen Verbrechen begeht, ohne daß ihn jemand daran hindert? Wenn es so gewesen wäre, würde der Vorwurf des Wahnsinns auf die Gesellschaft zurückfallen, die ihn umgab: auf die römische Aristokratie vor allem, das heißt auf den Senat, der seine Entscheidungen umsetzte, auf die Magistrate in Rom, die seine Anweisungen befolgten, auf die Heerführer und Statthalter im Reich, die seinen Befehlen gehorchten; aber auch auf die Funktionäre der Finanzverwaltung, die in seinem Auftrag riesige Ressourcen umverteilten, auf die Personen, die ihn täglich umgaben und ihn in seinen Entscheidungen berieten; schließlich auf das Volk von Rom, das ihm in Zirkus und Theater zujubelte. Wenn Caligula wahnsinnig war, warum hat man ihn dann nicht stillschweigend beiseite genommen und in ärztliche Obhut gegeben – so wie man das mit psychisch kranken Herrschern in der späteren europäischen Geschichte gemacht hat?
Längst nicht alle modernen Autoren gehen davon aus, daß Caligula wahnsinnig war. Angesichts der erkennbar denunziatorischen Tendenz der antiken Quellen hat eine Reihe von Forschern – hervorzuheben sind die Namen Willrich, Gelzer, Balsdon und Barrett – versucht zu klären, was denn tatsächlich unter seiner Herrschaft vorgefallen ist. Große Fortschritte sind dabei in vielen Detailfragen erzielt worden: Durch quellenkritische Vergleiche zeitlich paralleler sowie früherer mit späteren Überlieferungen hat man – wie beim Inzestvorwurf – falsche Informationen ausschließen können. Mitteilungen der antiken Autoren, die ihrer eigenen Aussageabsicht widersprechen, die ihnen gewissermaßen aus Versehen unterlaufen sind oder die sie aufgrund allgemeiner Bekanntheit nicht verschweigen konnten, hat man dagegen als glaubwürdig herausstellen können. Schließlich kann man anhand der gesamten Überlieferung ein Kontextwissen erarbeiten, eine Theorie von Politik, Gesellschaft, Religion und Mentalitäten jener Zeit, die es ermöglicht, plausible von nicht plausiblen Quellenberichten zu unterscheiden. Zum Teil ist in der modernen Forschung auch über das Ziel hinausgeschossen worden, indem aus dem unmoralischen wahnsinnigen ein rational handelnder guter Herrscher geworden ist. Vor allem aber eine Frage ist offengeblieben: Wie ist der abgrundtiefe Haß auf Caligula, der in den Berichten über ihn zum Ausdruck kommt, seinerseits zu erklären?
Fast alle Quellenberichte lassen sich auf Mitglieder der aristokratischen Gesellschaft Roms zurückführen. Sie stammen von Senatoren und vornehmen Rittern, die in unmittelbarem Kontakt mit dem Kaiser standen. Auch ihre falschen Aussagen über Caligula beinhalten damit eine historische Wahrheit: Der römischen Aristokratie müssen unter seiner Herrschaft so ungeheuerliche Dinge zugestoßen sein, daß man ihm posthum die höchste denkbare Stigmatisierung zuteil werden ließ: Er wurde als Monster und Wahnsinniger beschimpft und damit gleichsam aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen.
* Die wörtlichen Zitate aus den antiken Quellen werden in Anlehnung an die gängigen deutschen Übersetzungen wiedergegeben; die Abkürzungen der Autorennamen und Werktitel sind auf S. 195 aufgelöst.
Am 31. August des Jahres 12 n. Chr. wurde Gaius Caesar Germanicus als Sohn des Germanicus und der Älteren Agrippina geboren. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt erwarten, daß er im Alter von nur 24 Jahren am 18. März 37 – bekannt unter dem Spitznamen Caligula – römischer Kaiser werden würde: Herrscher über ein Reich, das nahezu die gesamte antike Welt von Syrien bis zur Kanalküste, von Nordafrika bis zum Donauraum, von Spanien bis Kleinasien umfaßte. Auch wird niemand geahnt haben, was sich in den zweieinhalb Jahrzehnten bis zu seinem Herrschaftsantritt an Intrigen und Morden, an Prozessen und Hinrichtungen im Zentrum dieses Reiches, in Rom ereignen sollte. Kaum vorstellbar schließlich dürfte es für die Zeitgenossen des Jahres 12 gewesen sein, wie dieser Gaius am Ende seine Herrschaft ausüben würde.
Noch regierte sein Urgroßvater Augustus, und über die wichtigste Leistung seiner langen Alleinherrschaft (31 v. Chr. – 14 n. Chr.) waren sich die aristokratischen Zeitgenossen – bei aller unter der Hand geäußerten Kritik an ihm – einig: Er hatte in Rom eine fast hundert Jahre dauernde Periode gewaltsamer politischer Auseinandersetzungen und Bürgerkriege, die den gesamten Mittelmeerraum in Mitleidenschaft gezogen hatten und die sich in der Rückschau als Prozeß der Monopolisierung von politischer Gewalt beschreiben lassen, beendet und Frieden geschaffen. Zwar hatte er damit die alte, über Jahrhunderte überaus erfolgreiche kollektive Herrschaft der Aristokratie, die die römische Republik gekennzeichnet hatte, beendet und durch eine offensichtlich unumgänglich gewordene Alleinherrschaft ersetzt. Aber er hatte, und dies wurde ihm von vielen seiner Standesgenossen zugute gehalten, seine im Bürgerkrieg gegen Marcus Antonius usurpierte, auf militärischer Gewalt basierende Sonderstellung nicht in die Form einer Monarchie überführt, sondern mit dem Begriff «Prinzipat» bezeichnet, der ihn lediglich als einen der Ersten unter den Bürgern erscheinen ließ. Zugleich hatte er die alten politischen Institutionen und Verfahren der Republik wiederbelebt: Der Senat tagte und beriet, die Magistrate in Rom und die Statthalter in den Provinzen handelten, das Volk versammelte sich, wählte und entschied – und man tat in wichtigen Fragen ausschließlich das, was der Kaiser wollte. Dieser wiederum, dessen unbeschränkte Verfügung über die militärischen Gewaltmittel durch die stetige Präsenz seiner Leibgarde, der Elitetruppe der Prätorianer, jedermann deutlich vor Augen stand, ließ sich seine Sonderstellung in Rom und in den Provinzen in den Formen des traditionellen Rechts bestätigen – und dokumentierte damit, daß er der alten republikanischen Institutionen, die er entmachtet hatte, zur Rechtfertigung seiner Gewalt bedurfte. Damit war eine merkwürdige Situation entstanden, die allen Beteiligten hohes kommunikatives Geschick abverlangte: Die Senatoren hatten so zu handeln, als besäßen sie eine Macht, die sie nicht mehr hatten. Der Kaiser hatte seine Macht so auszuüben, daß es schien, als ob er sie nicht besitze.
Wie kam es zu dieser widersprüchlichen, historisch einmaligen Verbindung von Republik und Monarchie? Ein gesellschaftlicher und ein politischer Grund lassen sich benennen. Wie bei allen vormodernen Hochkulturen handelte es sich auch im antiken Rom um eine stratifizierte Gesellschaft, die nach der Differenz adlig/nichtadlig gegliedert war. Die Ausübung von Herrschaft, sei es im militärischen, sei es im städtischen Bereich, war damit von jeher auf Mitglieder der Oberschicht beschränkt geblieben. Trotz seiner Einbeziehung in politische Entscheidungsprozesse zur Zeit der Republik dokumentierte gerade das einfache römische Volk eindrucksvoll diesen Sachverhalt: Obwohl die regelmäßig stattfindenden Wahlen formal frei waren, wurden fast ausschließlich Mitglieder immer derselben Adelsfamilien in politische Ämter und damit in die militärischen Führungspositionen gewählt. Nur ihnen war man bereit zu gehorchen. Jeder Kaiser sah sich mit diesem Sachverhalt konfrontiert. Zum Kommando der Legionen im Reich wie zur Übernahme ziviler Funktionen in Rom bedurfte er der führenden Vertreter der adligen Oberschicht. Diese aber war identisch mit den etwa 600 Personen, die die politische Institution Senat bildeten und damit den Kern der römischen Aristokratie ausmachten.
Ein zweiter Grund war banaler, aber kaum weniger wirksam. Er betraf die Lebensgefahr, in der alle Beteiligten schwebten. Die Bürgerkriege der späten Republik hatten gezeigt, wozu militärische Gewalthaber gegenüber ihren aristokratischen Standesgenossen in der Lage waren. Seit Sulla hatte es immer wieder Proskriptionen gegeben, in deren Rahmen politische und persönliche Gegner ohne weiteres schlichtweg physisch liquidiert wurden. Umgekehrt hatte sich auch in Rom gezeigt, daß sich auf Bajonetten schlecht sitzen läßt. Das Schicksal des allmächtigen Diktators Caesar, Augustus’ Adoptivvater, hatte dokumentiert, daß die traditionelle Abwehr der gesamten Aristokratie gegen alle Formen der Monarchie auch vom Kreis der engsten Gefolgschaft des Gewalthabers ausgehen konnte. Verschwörung und Mord, stets legitimierbar als Beseitigung des Tyrannen, waren das Damoklesschwert, das fortan in Rom über jedem Kaiser schwebte und, wie die nächsten Jahrhunderte zeigen würden, nicht wenige treffen sollte.
Die paradoxe Etablierung einer Alleinherrschaft durch die Wiederherstellung der alten Republik war Augustus’ Antwort auf diese Situation. Seine besondere Leistung bestand darin, gezeigt zu haben, daß so etwas möglich war. Diese Leistung sollte sich jedoch zugleich als ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft erweisen. Seine Einlösung prägte die Zeit nach seinem Tod im Jahre 14 und damit die Lebenswelt, in der sein Urenkel Caligula aufwuchs. Vor allem zwei zentrale Probleme traten schnell zutage: die persönliche Überforderung möglicher Nachfolger in der schwierigen Kaiserrolle und – schon zu Augustus’ Lebzeiten zu beobachten – die Politisierung der kaiserlichen Familie.
Die Regierungspraxis des Augustus hatte ein hohes Maß an Selbstverleugnung der eigenen Stellung einerseits, an geschickter Handhabung von Macht andererseits vorausgesetzt. Seit mehreren hundert Jahren hatte sich in Rom ein Gesellschaftssystem etabliert, das auf der unmittelbaren Kopplung von politischer Macht und sozialem Rang basierte. Die Mitglieder der Aristokratie, deren Lebensziel – wie in anderen vormodernen Adelsgesellschaften auch – im Erringen von Ehre und Ruhm bestand, waren traditionell auf die Ausübung politischer Funktionen, auf die jährlich wechselnde Bekleidung magistratischer Ämter verwiesen. Der Erfolg in dieser Hinsicht bestimmte den Rang des einzelnen in der Hierarchie der aristokratischen Gesellschaft, und diese Stellung trat im täglichen Leben in vielfältigen Formen in Erscheinung – in der Reihenfolge, in der im Senat die Stimmen abgegeben wurden, in Ehrenplätzen bei städtischen Theateraufführungen, in der Größe des Gefolges, das sich einem erfolgreichen adligen Politiker anschloß, das ihn morgens in seinem Haus besuchte und bei seinen Gängen auf das Forum begleitete, schließlich in der Führung seines Haushaltes, in der Lage und Größe des Gebäudes, das er bewohnte, und in der materiellen Pracht, die dort, vor allem bei abendlichen Gastmählern, entfaltet wurde.
Eine Erfolgsbedingung des Augustus war der persönliche Verzicht auf das aristokratische Bestreben, die eingenommene Machtposition auch gesellschaftlich in Erscheinung treten zu lassen. Er benahm sich im täglichen Leben wie ein normaler Senator, pflegte Freundschaftsbeziehungen zu anderen Aristokraten, als seien sie seinesgleichen, vermied es, mit großem Gefolge in der städtischen Öffentlichkeit aufzutreten, und bewohnte ein Haus auf dem Palatin, von dem berichtet wird, daß es kaum dem Luxus normaler Aristokraten entsprach. Bei diesem Ehrverzicht handelte es sich offensichtlich um eine bewußte Strategie, um die Akzeptanz seiner Stellung innerhalb der aristokratischen Oberschicht zu sichern. Augustus durchbrach dabei den Horizont adliger Mentalität und war damit vor allem deshalb erfolgreich, weil seine Standesgenossen in ihm verharrten. Es handelte sich somit um eine außergewöhnliche Leistung des ersten Kaisers, die zu erbringen, wie die weitere Geschichte zeigen sollte, nicht viele seiner Nachfolger willens oder in der Lage waren.
Der Ehrverzicht war verbunden mit einer Herrschaftsausübung, die gegenüber der Senatsaristokratie auf Befehle gänzlich verzichtete, die jedoch hinreichend durchblicken ließ, was den Wünschen des Kaisers jeweils entsprach. Aufgrund seiner allen überlegenen Machtposition führte dies zu einer Art selbstläufigem, durchweg opportunistischen, manchmal auch vorauseilenden Gehorsam der Senatoren, aber, und das war entscheidend, die traditionellen Formen des Umgangs wurden auch hier gewahrt. So reichte es, wenn der Kaiser renitenten Aristokraten seine persönliche Freundschaft aufkündigte und sein Haus verbot. Die Folge waren sofortige Anzeigen und Gerichtsverfahren seitens umtriebiger Standesgenossen, die den «Feinden» des Kaisers das politisch-gesellschaftliche, meist auch das physische Ende bereiteten. Die Regierungskunst des Augustus gegenüber der Aristokratie bestand darin, solche Ernstfälle – trotz einer ganzen Reihe von erfolglos verlaufenen Verschwörungen gegen ihn – auf seltene Ausnahmen zu beschränken.
Alles in allem basierte der Lebenserfolg des Augustus somit nicht so sehr auf einer klugen Sachpolitik, auf der Sicherung des Reiches und seiner Infrastruktur oder auf der Verschönerung Roms und der Versorgung seiner Bürger mit Getreide, als vielmehr auf seiner persönlichen Fähigkeit, paradoxen Verhaltensanforderungen in der aristokratischen Kommunikation gerecht zu werden: Herrscher zu sein, ohne zu befehlen, Machthaber zu sein, ohne als solcher in Erscheinung zu treten. Am Ende seines Lebens, so wird berichtet, habe er seine engsten Vertrauten zu sich kommen lassen und – nach zynischen Kommentaren über seine Zeit – um Applaus gebeten, wie er einem Schauspieler zukomme, der von der Bühne abtritt. Schon bei seinem Nachfolger sollte sich zeigen, daß solch schauspielerische Fähigkeiten innerhalb der römischen Aristokratie wenig verbreitet waren.
Da Augustus im verfassungsrechtlichen Sinn keine Monarchie eingeführt, sondern sich statt dessen von den republikanischen Institutionen ein Bündel von auf seine Person zugeschnittenen Sondervollmachten hatte bestätigen lassen, war die Frage seiner Nachfolge in rechtlicher Hinsicht offengeblieben. Der für Erbmonarchien typische Satz «Der König ist tot, es lebe der König!» galt im kaiserzeitlichen Rom nicht, vielmehr starb, wie es Theodor Mommsen klassisch formuliert hat, «von Rechts wegen der Principat mit dem Princeps». Es hatte sich nach dem Tod eines jeden Kaisers zunächst zu erweisen, wer der politisch Mächtigste war und als solcher vom Militär zum neuen Kaiser ausgerufen und vom Senat bestätigt wurde. Dies konnte im Ernstfall bedeuten, daß – wie nach dem Tod Neros im Jahre 68 oder dem des Commodus im Jahre 192 – ein neuer Bürgerkrieg ausbrach, bis geklärt war, wer die Stellung erfolgreich beanspruchen konnte. Im Normalfall lief es darauf hinaus, daß die Kaiser Vorsorge für den Fall ihres Ablebens trafen. Entscheidend aber war, daß sie bei ihrer Wahl eines Nachfolgers prinzipiell frei waren: Wer neuer Kaiser würde, war zunächst eine offene Frage.
Üblicherweise übertrugen sich im antiken Rom nicht nur das Familienvermögen, sondern auch die als «Freundschaft» bezeichneten Nahbeziehungen innerhalb der aristokratischen Gesellschaft sowie das politische Prestige, das der einzelne beim Volk von Rom und bei den römischen Soldaten des Reiches besaß, vom Vater auf den Sohn. Hatte der Kaiser einen Sohn oder adoptierte er einen, so war dieser daher automatisch zum Nachfolger prädestiniert. Auch Frauen, vor allem Kaiserinnen oder kaiserliche Töchter, konnten eine für die Nachfolge bestimmende Rolle spielen, wenn sie einen Sohn mit in die Ehe oder einen kaiserlichen Enkel zur Welt brachten. Die Folge war, daß die kaiserlichen Verwandtschaftsbeziehungen eine eminent politische Bedeutung bekamen, die die Position des aktuellen Kaisers nicht nur stützen, sondern auch destabilisieren konnten.
Augustus selbst besaß keinen Sohn, nur eine Tochter aus einer früheren Ehe mit Namen Iulia. Seine Frau Livia hatte ihrerseits zwei Söhne mit in die Ehe gebracht, Tiberius, den späteren Kaiser, und Drusus (I) den Älteren. Augustus wählte nun den naheliegenden Weg, die als Nachfolger vorgesehenen Personen – zunächst seinen Neffen Marcellus, dann, nach dessen frühem Tod, Marcus Agrippa, seinen wichtigsten Feldherrn und Mitarbeiter – jeweils mit seiner Tochter Iulia zu verheiraten. Als Agrippa 12 v. Chr. starb, wurden zwei von Augustus adoptierte Enkel aus dieser Ehe, Gaius und Lucius, zu Thronfolgekandidaten. Auch diese überlebte er jedoch, so daß schließlich sein Stiefsohn Tiberius ins Auge gefaßt wurde, der wiederum Iulia zu ehelichen hatte und dann tatsächlich sein Nachfolger wurde.
Nun hatte die augusteische Familienpolitik aber noch andere Thronaspiranten hervorgebracht: Seinen zweiten, 9 v. Chr. verstorbenen Stiefsohn Drusus hatte Augustus mit seiner Nichte Antonia (II) Minor verheiratet. Die beiden aus dieser Ehe hervorgegangenen Söhne, Claudius, der spätere Kaiser, und Germanicus waren somit Großneffen des Kaisers. Während ersterer aufgrund körperlicher Behinderung zunächst unbeachtet blieb, war Germanicus mit der Älteren Agrippina, einer Enkelin des Augustus aus der Ehe von Iulia und Agrippa verheiratet worden. Aus deren Verbindung waren nun unter anderem drei Söhne, ein Nero – der nicht mit dem späteren Kaiser identisch ist –, ein Drusus (III) und: Caligula hervorgegangen. Sie alle waren beim Tod des Augustus noch im Kindesalter, kumulierten aber im Gegensatz zu Tiberius augusteisches Familienprestige, indem sie Urenkel und Großgroßneffen des ersten Kaisers waren. Augustus’ «Lösung» dieses Problems bestand darin, daß Tiberius den Germanicus adoptieren und damit den Urenkeln den Weg zum Kaisertum öffnen mußte. Völlig offen blieb dabei, was mit Tiberius’ eigenem Sohn, dem Jüngeren Drusus (II), und dessen Nachkommen passieren sollte. Offensichtlich wurde versucht, das Problem durch erneute Ehebeziehungen zwischen den verschiedenen Zweigen der Kaiserfamilie zu mildern. So heiratete der Jüngere Drusus eine Großnichte des Augustus (Livilla), deren Tochter wiederum einen Sohn des Germanicus (Nero). Schließlich gab es noch einen weiteren Enkel des Augustus aus der Ehe von Iulia und Agrippa mit Namen Agrippa Postumus, der aus unklaren Gründen in Ungnade gefallen war. Er wurde im Jahre 14 ermordet, ob noch auf Augustus’ eigene Initiative oder auf die der Livia oder des Tiberius blieb ebenfalls unklar.
Die komplizierten Familienverhältnisse, die nicht nur modernen Prosopographen, sondern auch schon Zeitgenossen Übersichtsprobleme bereitet haben dürften, indizieren ein zentrales Problem, das unmittelbar aus der augusteischen Prinzipatskonstruktion resultierte. Durch den Verzicht auf eine Erbmonarchie und eine damit verbundene rechtliche Klärung der Nachfolgefrage entwickelte sich das aus Verwandtschaftsbeziehungen zum Kaiser entstehende politische Prestige zu einem nur schwer kontrollierbaren Faktor. Rivalitäten innerhalb der kaiserlichen Familie konnten entstehen, und diese wiederum eigneten sich ideal als Anknüpfungspunkt für aristokratische Parteiungen um mögliche Thronfolger und schließlich: für Verschwörungen. Augustus’ eigene Tochter Iulia machte den Anfang. Im Jahre 2 v. Chr. wurde sie wegen ihrer Beziehungen zu Iullus Antonius, dem Sohn des Triumvirn Marcus Antonius, des letzten Rivalen des Augustus im Bürgerkrieg, und anderen jüngeren Aristokraten aus Rom verbannt. Ob es um Ehebruch ging, wie ihr offiziell vorgeworfen wurde, oder um eine politische Verschwörung, wie man vermutete, ist letztlich irrelevant. Wenn die Kaisertochter, die schon durch drei Ehen präsumtiven Nachfolgern Kaiserformat verliehen hatte, eine enge Beziehung zu einem hohen Adligen knüpfte, war dies per se ein dramatisches, den Kaiser bedrohendes Politikum, egal welches ihr eigenes Motiv dabei war.
Ähnliche Ereignisse sollten sich in den nächsten Jahrzehnten noch vielfach wiederholen. Sie führten dazu, daß von der weitverzweigten Verwandtschaft des Augustus beim Tode des Kaisers Nero, im Jahre 68, aufgrund von tatsächlichen oder vermeintlichen Verschwörungen und deren Folgen niemand mehr übrig war. Dieser vollständige Exitus der kaiserlichen Familie läßt sich kaum in moralischen Kategorien beurteilen. Er resultierte aus der politischen Relevanz jener Verwandtschaftsbeziehungen und ihrer potentiellen Lebensgefährlichkeit für alle Beteiligten.
Seine ersten sieben Lebensjahre verbrachte Caligula in Germanien, Rom, Griechenland und dem Orient. Sein Vater Germanicus, der durch die augusteischen Adoptionsregelungen in einen Prinzenstatus gerückt war und der sich, wie die antiken Quellen vielfach berichten, aufgrund seiner stattlichen Erscheinung und seiner Leutseligkeit größter Beliebtheit und Popularität bei allen Gruppen der Bevölkerung erfreute, war seit dem Jahre 13 Befehlshaber der römischen Legionen am Rhein. Ihm kam dort die Aufgabe zu, Krieg gegen die rechtsrheinischen Germanenstämme zu führen, die den Römern wenige Jahre zuvor im Teutoburger Wald eine empfindliche Niederlage zugefügt hatten. Seine Ehefrau Agrippina folgte ihm nach, und wenig später wurde auch der kleine Sohn hinterhergeschickt, der so in einem Legionslager seine frühe Kindheit verbrachte. Agrippina, die sich gelegentlich auch energisch in militärische Angelegenheiten einmischte, soll es gewesen sein, die den kleinen Gaius in eine Art Miniuniform der römischen Legionäre steckte, um so den einfachen Soldaten zu schmeicheln und ihre Zuneigung zu gewinnen. Nach den Soldatenstiefelchen, die das Kind trug, bekam es seinen Spitznamen Caligula, der ihm sein Leben lang anhing.
Agrippina hatte die Reaktion der Soldaten richtig eingeschätzt. Der Kleine wurde der Liebling des Legionslagers. Bei einer gefährlichen Meuterei der Rheinarmeen, die nach dem Tod des Augustus ausbrach und in deren Verlauf die Soldaten Germanicus gegen dessen Willen zum Kaiser auszurufen versuchten, soll er sogar eine entscheidende Rolle gespielt haben. Als der Feldherr wegen der unsicheren Lage Frau und Kind mit ihrem Gefolge aus dem Lager entfernen und nach Trier schicken wollte, sollen die Soldaten, beschämt über die Folge ihrer Meuterei, eine Umkehr vollzogen haben. Eine andere Quelle berichtet, sie hätten Caligula als Geisel genommen, um so seine Entfernung zu verhindern.
Im Frühsommer des Jahres 17 erfolgte die Rückkehr nach Rom, wo Germanicus für seine Feldzüge gegen die Germanen mit einem Triumph geehrt wurde. Ein solcher Festzug für siegreiche Feldherrn war traditionell das Ziel jedes aristokratischen Lebenslaufes, das nur wenige erreichen konnten und das den Ruhm ihrer Familien beträchtlich erhöhte. Der Triumph des Germanicus soll mit außergewöhnlichem Pomp veranstaltet worden sein. Es wurden Beutestücke, Gefangene und Nachbildungen der Berge, Flüsse und Schlachtfelder mitgeführt, um die Taten des beliebten Feldherrn dem stadtrömischen Publikum anschaulich vor Augen zu führen. Caligula, knapp fünf Jahre alt, und seine mittlerweile vier Geschwister standen mitten im Zentrum des prachtvollen Geschehens, bei dem die Weltstadt den militärischen Erfolg im Norden feierte und den Germanicus ehrte: «Es fesselte die Zuschauer», berichtet Tacitus in den Annalen, «die herausragende Gestalt des Feldherrn selbst und der mit seinen fünf Kindern besetzte Wagen.» (Tac. ann. 2, 41, 3)
Nur wenige Monate dauerte der Aufenthalt in Rom. Schon im Herbst desselben Jahres wurde Germanicus die Aufgabe übertragen, die Verhältnisse im orientalischen Teil des römischen Reiches neu zu ordnen. Wieder begleiteten ihn seine Frau Agrippina und auch Caligula, während die übrigen Geschwister in Rom zurückblieben. Die Fahrt gestaltete sich als eine Art Mischung aus Bildungs- und Herrscherreise. Germanicus, von dem neben militärischem Draufgängertum auch profunde Kenntnisse der griechischen und römischen Tradition und hohe literarische Bildung berichtet werden – er soll selbst griechische Komödien verfaßt haben –, besichtigte den Schauplatz der Seeschlacht bei Actium, wo Augustus, damals noch Oktavian genannt, den Marcus Antonius, Germanicus’ Großvater, besiegt hatte. Dann ging es weiter nach Athen, auf die Inseln Euböa und Lesbos, wo Agrippina ein weiteres Kind, Livilla, zur Welt brachte. Über das nordwestliche Kleinasien fuhr man nach Byzanz und zum Schwarzen Meer, dann zurück in die Ägäis, machte einen Abstecher nach Troja und reiste schließlich über Rhodos und weitere Stationen nach Syrien. Überall wurden dem potentiellen Thronfolger, seiner Frau und seinem kleinen Sohn größte Ehrungen zuteil. Wie wir aus erhaltenen Inschriften und Münzen wissen, nutzten einige Städte die Gelegenheit, Germanicus und Agrippina als Götter zu bezeichnen, eine Art der Herrscherverehrung, die im griechischen Osten eine lange Tradition hatte. Noch zwanzig Jahre später erinnerte die Stadt Assos an der kleinasiatischen Küste den mittlerweile zum Kaiser erhobenen Caligula daran, daß er hier zusammen mit seinem Vater zum erstenmal den Boden der Provinz Asia betreten habe.
Von Syrien aus ging es nach Armenien, das unter römischem Einfluß stand und wo ein neuer König inthronisiert wurde. Nach der Reorganisation der Verwaltung vor allem in Kappadokien und Kommagene fuhr die Familie in die berühmte antike Weltstadt Alexandria. Hier hatten die ptolemäischen Könige in prachtvollen Palästen residiert, aber auch Caesar und Antonius mit der Königin Kleopatra zusammengelebt. Die Alexandriner, deren Stadt im Bürgerkrieg gewissermaßen den Gegenpol zu Rom gebildet hatte, feierten Germanicus mit großen Festlichkeiten. Nach einer Fahrt nilaufwärts mit der Besichtigung von Memphis und den Pyramiden ging es zurück nach Syrien.
Hier nahm die Reise ein plötzliches und tragisches Ende. Germanicus erkrankte und starb am 10. Oktober des Jahres 19 im Alter von 33 Jahren. Er selbst hatte noch den Statthalter von Syrien, Cn. Calpurnius Piso, mit dem eine offene Feindschaft ausgebrochen war, beschuldigt, ihn vergiftet zu haben, und damit ein Gerücht in die Welt gesetzt, das bald auch den Kaiser Tiberius betraf: Dieser habe den Mord an seinem Adoptivsohn, der ihm durch die Beliebtheit bei Volk und Soldaten zum Rivalen geworden sei, selbst initiiert.
Vorläufig ein letztes Mal stand Caligula, mittlerweile siebenjährig, im Zentrum außerordentlicher Ereignisse, die nun allerdings trauriger Natur waren. Als Agrippina zusammen mit ihm und Livilla die Urne mit den sterblichen Überresten des Germanicus nach Italien überführte, empfing sie schon in Brindisi eine gewaltige trauernde Menschenmenge. Zwei Kohorten der Prätorianer übernahmen das Geleit. Drusus, der Sohn des Tiberius, Claudius, der Bruder des Germanicus, die vier in Rom verbliebenen Kinder sowie die Konsuln, der Senat und Teile des stadtrömischen Volkes zogen dem Trauerzug bis zur Stadt Tarracina entgegen und geleiteten ihn weiter nach Rom. Dort wurden die sterblichen Überreste des Germanicus unter großer Anteilnahme der gesamten Bevölkerung im Mausoleum des Augustus beigesetzt.
Der Tod des Vaters bedeutete nicht nur in familiärer Hinsicht einen gravierenden Einschnitt im Leben des Caligula. Die ersten sieben Jahre hatte er in herausgehobener Position in einem ausschließlich monarchisch geprägten Milieu verbracht: Monarchisch war die Rolle, die ein römischer Feldherr im Krieg ausübte, monarchengleich war die Stellung eines römischen Statthalters in der Provinz. Im Legionslager am Rhein, beim Triumphzug in Rom und bei der Reise durch den Osten des Reiches – stets war er von seinen Eltern einer Öffentlichkeit präsentiert worden, die ihre Verehrung für den herausragenden Prinzen Germanicus auf seinen kleinen Sohn übertrug. Die allgemeine Beliebtheit, die dem «Soldatenstiefelchen» damit zufiel, zeigte sich noch 18 Jahre später in der Begeisterung, mit der die gesamte Bevölkerung auf seine Thronerhebung reagierte. In den dazwischenliegenden Jahren wurde der junge Caligula jedoch mit Erfahrungen ganz anderer Art konfrontiert. Der Verehrung an der Seite eines zukünftigen Kaisers folgte eine lange Phase von lebensbedrohenden Anfeindungen und Gefährdungen, denen seine Familie und er selbst ausgesetzt waren und denen Mutter und Brüder zum Opfer fielen.
Nicht nur für die persönlichen Erfahrungen des jungen Caligula, sondern auch für die Entwicklung der kaiserlichen Position als solcher und damit für die Art, wie Caligula selbst sie später bekleiden sollte, war die Herrschaft des Tiberius (14–37) von zentraler Bedeutung. Bei aller Schwierigkeit, Person und Handlungen des zweiten römischen Kaisers angemessen zu charakterisieren, ein Urteil ist unabweisbar: Der komplexen kaiserlichen Rolle, die ihm sein Stief- und Adoptivvater Augustus hinterlassen hatte, war er kommunikativ nicht gewachsen. Vereinfacht könnte man sagen, daß das, was Augustus schauspielerisch betrieben hatte, von Tiberius ernst genommen wurde. Hatte jener seine Macht gegenüber der Aristokratie ausgeübt, indem er so tat, als besäße er sie nicht, so besaß dieser die Macht, aber übte sie nicht aus. Hatten die Senatoren unter Augustus so tun können, als übten sie Macht aus, die sie nicht besaßen, so besaßen sie unter Tiberius Macht, die sie nicht ausüben konnten.
Natürlich hatte sich der neue Kaiser als erstes das Gewaltmonopol gesichert, Leibgarde und Legionen waren auf ihn vereidigt worden. Gelegentlich ließ er auch vor dem versammelten Senat die Prätorianerkohorten exerzieren, eine höchst anschauliche Demonstration seiner Machtposition. Er mißbilligte jedoch die selbstverständliche, schon unter Augustus deutlich erkennbare Folge dieser Situation, daß nämlich die aristokratischen Akteure, deren jeweilige Lebenschancen in hohem Maße von kaiserlicher Förderung abhängig waren, ihr Handeln opportunistisch an seinen Wünschen orientierten. Statt dessen machte er ernst mit der wiederhergestellten Republik. Er ließ den Senat häufig über Sachverhalte beraten, die reale Machtfragen betrafen, ließ seine eigene Position dazu jedoch im Unklaren – und war verbittert mit entsprechenden Folgen für die