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Berthold Riese

DIE INKA

Herrscher in den Anden

Verlag C.H.Beck


Zum Buch

Überraschend leicht gelang es 1532 dem Spanier Francisco Pizarro, den Inka-Herrscher Ata Wallpa in der Schlacht von Cajamarca zu besiegen. Seinen Anfang hatte das Reich in den Anden um 1200 genommen, als die Angehörigen der Inka-Sippe ihrem Ahnherrn Manqu Khapaq als Kind des Sonnengottes eine unnahbare Stellung schufen. Die Schattenseiten dieses in seiner Verwaltung mustergültigen Königreichs waren unfähige Thronanwärter, königlicher Inzest, Machtkämpfe, die bis zum Mord eskalierten, und ein Bürgerkrieg, der den Eroberern in die Hände spielte. Nachfahren der Inka leben bis heute in Peru und Spanien.

Über den Autor

Berthold Riese war von 1983 bis 2009 Professor für Altamerikanistik und Ethnologie an der Freien Universität Berlin und der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität in Bonn. In der Reihe C.H.Beck Wissen ist von ihm erschienen: «Machu Pichu. Die geheimnisvolle Stadt der Inka» (22012), «Die Maya. Geschichte, Kultur, Religion» (72011).

Inhalt

Vorwort

I. Die Pizarros, Ata Wallpa und der Untergang Alt-Perus

II. Frühzeit und erste Herrscher

1. Legendärer Ursprung

2. Erste Herrscher in Qusqu

3. Totenkult

4. Heiratspolitik

5. Wira Qucha Inka

6. Die Bedeutung des Lamas

III. Aufstieg zur Macht

1. Das Reich am Abgrund

2. Pacha Kutiq, der Retter

3. Bruder-Schwester-Ehen

4. Tupaq Inka Yupanki

IV. Expansion und gescheiterte Reichsreform

1. Konsolidierung und Ausbreitung

2. Die geplante Reichsreform Waina Khapaqs

3. Bruderkrieg

V. Inka und Spanier

1. Die Spanier etablieren sich

2. Die letzten unabhängigen Inka

3. Reich und Dynastie im Rückblick

4. Versippung des Inka-Adels mit Spaniern

VI. Das moderne Bild von den Inka

1. Plünderer, Grabräuber und Archäologen

2. Chronisten und Historiker

3. Tourismus und Folklore

4. Politische Inszenierungen

Literatur

Glossar & Register

Bildnachweis

Verzeichnis der Karten

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Vorwort

Die Maya, Azteken und Inka bildeten die beeindruckendsten Hochkulturen Alt-Amerikas. Bis auf wenige Spuren sind sie bald nach der europäischen Entdeckung der «Neuen Welt» 1492 und der stürmisch verlaufenen Eroberung durch die Spanier verschwunden (Kapitel I & VI). In den Augen der Entdecker, Eroberer und späteren Kolonialbeamten ragte jedoch die Kultur der Inka als höchstentwickelte heraus. Daher galt es als besondere Ehre, ja Krönung einer Beamtenlaufbahn, Vizekönig in Lima, der Hauptstadt des spanischen Nachfolgestaates der Inka, zu werden, auch wenn man die vergleichbare Position bereits in Mexiko oder Panama innegehabt hatte. Der Reichtum an Gold und Silber, das wohlgeordnete Staatswesen mit vorzüglichen Straßen und die Ausdehnung des Inka-Reiches über 5000 Kilometer von Nord nach Süd entlang der majestätischen Kordillere gaben dafür den Ausschlag.

1998 hat die US-amerikanische Archäologin Catherine Julien in dieser Reihe ein Buch gleicher Thematik veröffentlicht, das 2001 in zweiter, überarbeiteter Auflage erschien, dann aber nach dem Tod der Verfasserin nicht mehr neu herausgegeben wurde. Daher habe ich den Auftrag des Verlages, die Inka und ihre Kultur mit neuen Schwerpunkten darzustellen, gerne übernommen. Mancher Leser wird dieses Büchlein vielleicht als Vorbereitung oder Begleitung einer Reise nach Südamerika zur Hand nehmen. Daher hielt ich es für angebracht, in Kapitel VI die Wirkung, die die Inka-Kultur auf die heutigen Gesellschaften, die touristische Entwicklung und Politik vor allem in Peru und Bolivien, weniger in Ecuador, ausgeübt hat, ebenfalls zu schildern.

Schwankende Schreibungen indianischer Namen für Personen und Sachen sind ein ständiger Verdruss beim Lesen. Glücklicherweise setzt sich für die Sprache der Inka, das Ketschua (oder Quechua), allmählich eine sprachwissenschaftlich korrekte, einheitliche Schreibung durch, der auch ich mich, wie schon in meinem vorangehenden Buch in dieser Reihe (Machu Picchu, 22.012), bediene. Die Dialektvarianten, wie sie heute im Tal von Cusco und im ländlichen Ayacucho gesprochen werden, waren dabei mein Maßstab, da sie der alt-inkaischen Sprachform des Ketschua wahrscheinlich am nächsten stehen. Um dem Leser den Abgleich mit stark abweichenden traditionellen Schreibungen zu erleichtern, sind im Register den standardisierten Leiteinträgen häufig gebrauchte andere Schreibungen beigegeben. Kolonialzeitliche und moderne Personen und Orte gebe ich allerdings in der jeweiligen offiziellen Schreibung wieder. So heißt die Inka-Hauptstadt in linguistisch korrekter Schreibung des gesprochenen Wortes «Qusqu». Das wurde in der Kolonialzeit zu «Cuzco» oder «Cusco» umgeschrieben und erscheint heute meist in einer der beiden letztgenannten Schreibvarianten.

Für erste fachliche Anregungen danke ich Hans Dietrich Disselhoff (†), für Unterstützung bei musealer Arbeit in der altperuanischen Sammlung des Hamburgischen Museums für Völkerkunde Wolfgang Haberland (†), für bibliographische Hilfestellungen dem Züricher Literaturwissenschaftler Martin Lienhard, den Hörern meiner Vorlesungen in Berlin und Bonn Norbert Behlke und Jürgen Heck, der damaligen DDR-Amerikanistin Ursula Thiemer-Sachse, dem peruanischen Archäologen und ehemaligen Botschafter Perus in Deutschland, Federico Kauffmann-Doig, und dem Felsbildforscher Matthias Strecker in La Paz.

Germering-Unterpfaffenhofen, im Frühjahr 2016

Berthold Riese

I. Die Pizarros, Ata Wallpa und der Untergang Alt-Perus

Die spanische Provinz Extremadura war im 15. und 16. Jahrhundert von karger Landwirtschaft geprägt, wo niemand mit bodenständiger Arbeit, Handel oder sonstigem wirtschaftlichen Fleiß reich werden konnte. Daher zog es schon kurz nach der Entdeckung der «Neuen Welt» durch Christoph Kolumbus 1492 viele ihrer Einwohner in die so verheißungsvoll geglaubten Länder Amerikas. Zu ihnen gehörten auch Francisco Pizarro und seine Brüder, Hernando, Gonzalo und Juan, sowie ihr Vetter Pedro Pizarro. Francisco war zwar nicht der Älteste, hatte aber als Einziger vorausgehende Amerika-Erfahrung und wurde daher ihr Anführer. Von 1502 bis 1509 hatte Pizarro, womit der Kürze halber fortan Francisco gemeint ist, als Siedler auf der Antillen-Insel Hispaniola gelebt. Dort hatte er indes nicht die erhofften Reichtümer gefunden, denn da die versklavte indianische Bevölkerung schon fast ganz von Seuchen dahingerafft worden war, hatten die Inseln ihre Attraktivität für eine landwirtschaftliche Nutzung verloren. Pizarro blieb deshalb nicht lange dort, sondern schloss sich mehreren Expeditionen an, die weiter nach Westen segelten und das amerikanische Festland an verschiedenen Punkten erreichten. In Panama, dem Ziel seiner letzten Expedition, wurde er 1519 sesshaft und kam in der kleinen Kolonie unter Ausnutzung seiner amtlichen Positionen als Bürgermeister und Richter zu beträchtlichem Reichtum. Aus diesem Grund konnte er zwischen 1524 und 1528 zwei kleine Entdeckungsreisen an die pazifische Küste Südamerikas ins heutige Ecuador und nördliche Peru selbst finanzieren. Zwar brachten sie ihm und seinen Genossen, unter ihnen auch sein späterer Rivale Diego de Almagro, keine Reichtümer ein, aber immerhin konkrete Hinweise auf das noch weiter südlich gelegene Inka-Reich, wo man Gold und andere Schätze erhoffte. Pizarro kehrte daher 1529 nach Spanien zurück und holte sich beim König in Toledo die Ernennung zum «Generalkapitän» auf Lebenszeit für diejenigen Gebiete, die er im noch unerforschten Südamerika südlich des Äquators zu erobern vorhatte. Bei dieser Gelegenheit besuchte er auch seine Familie in Trujillo. Seine Brüder und den Vetter Pedro beeindruckte er mit den Aussichten auf Reichtum so nachhaltig, dass sie sich ihm anschlossen. Zu dem Familienunternehmen stießen vermutlich auch Francisco de Orellana, der spätere Entdecker und erste Befahrer des Amazonas-Stroms, sowie noch mindestens zwei weitere Mitglieder der mit den Pizarros versippten Familie Orellana, Juan Pizarro de Orellana und Cristóbal Pizarro y Orellana. Damit überragte die damalige und heutige Kleinstadt Trujillo mit ihrem menschlichen Beitrag zur Eroberung Südamerikas alle anderen spanischen Städte.

Zu seiner entscheidenden dritten Expedition brach Pizarro 1531 wieder von Panama auf. Die Truppe, die nur etwa 200 Mann zählte, bekam aber 1532 beträchtlichen Zuwachs durch Kontingente, die Hernando de Soto aus Nicaragua mit 200 Mann und Diego de Almagro aus Zentralamerika mit ebenfalls 200 Mann beisteuerten. Die größte Verstärkung, über 500 Mann und 200 Pferde, kam jedoch 1534 aus Guatemala mit Pedro de Alvarado, der unter Cortés an der Eroberung Mexikos mitgewirkt hatte. Aufgrund von Nachrichten über südamerikanische Gold- und Smaragdbeute hatte sich nämlich in Mexiko und Zentralamerika das Peru-Fieber verbreitet und half so, die spanische Präsenz in Peru immer wieder zu vergrößern. Eigentlich hätte der Nachschub, den Alvarado mitbrachte, infolge seines Umfangs einen Wechsel in der Führerschaft des Gesamtunternehmens bewirken können. Pizarros Partner Almagro gelang es jedoch mit nicht sehr edlen Mitteln, Alvarado zum Verkauf seiner Truppen und Ausrüstung an Pizarro und ihn zu zwingen. So konnten sie einen unliebsamen Konkurrenten ausschalten, aber dennoch von seinem Nachschub profitieren.

Als sich Pizarro im September 1532 entschloss, die Küste zu verlassen und über das Hochland direkt ins Inka-Reich vorzudringen, herrschte dort Bürgerkrieg zwischen Waskar, dem unumstrittenen Herrn von Qusqu, der Hauptstadt des Reiches, und seinem Halbbruder Ata Wallpa, der über den Norden, vor allem das heutige Ecuador mit den großen Städten Kitu, Tumi Pampa und Kasa Marka, gebot.

Die spanischen Truppen erreichten Kasa Marka am 15. November 1532. Dort ließ Pizarro Ata Wallpa durch seine Hauptleute Hernando Pizarro und Hernando de Soto zu sich «einladen». Nachdem die Spanier den arglosen Inka in ihre Gewalt gebracht hatten, schlugen sie am folgenden Tag die entscheidende Schlacht gegen das untätig wartende, weil seines Führers beraubte Inka-Heer. Das Ergebnis waren mehrere tausend Tote auf Seiten der Inka, die Gefangennahme des Herrschers selbst und eines Großteils seines adligen Gefolges, während die Spanier anscheinend keine Verluste erlitten. Nur ein Chronist verzeichnet den Tod eines spanischen Negersklaven. Der Erfolg der zahlenmäßig unterlegenen Spanier kann zum Teil damit erklärt werden, dass sie als Berufssoldaten taktisch geschult waren und ihre Anführer strategisch planten. Ferner gaben vermutlich die Kanonen, Pferde und Eisenrüstungen den Ausschlag. Vor allem die Eisenhelme schützten vor indianischen Schleudersteinen und Keulenhieben. Aber auch die Reichweite ihrer Waffen und ihre Beweglichkeit machten die Spanier den indianischen Fußsoldaten, die vergleichsweise schlecht ausgebildet und bewaffnet waren, überlegen. Ata Wallpa musste erleben, wie sein Heer einfach abgeschlachtet wurde. Gleichzeitig gelang es zwar seinen Agenten in Qusqu, Waskar zu töten und dessen Sippe fast vollständig auszurotten, doch brachte ihm das keinen Vorteil mehr, da er selbst in die Hände der Spanier gefallen war.

Nach seiner Gefangennahme verhandelte Ata Wallpa mit Pizarro über Lösegeld und versprach dem Spanier, zwei Räume mit Gold und Silber füllen zu lassen. Die Sieger, die darauf erfreut eingingen, kassierten zwar nicht ganz so viel, wie Ata Wallpa versprochen oder sie selbst erwartet hatten, aber immerhin waren es nach offizieller Wägung 52.000 Mark Silber und 1.626.500 Pesos Gold, was in damaliger Münzwährung zwei Millionen Gold-Pesos entsprach und damit selbst dann noch eine unglaubliche Beute darstellte, wenn man die 20 % abzieht, die dem spanischen König zustanden. Allerdings hatten die Spanier nur bescheidenen Nutzen von diesem Edelmetallreichtum, denn was sollten sie sich in dem vom Krieg zerrütteten Land dafür kaufen? Außerdem setzte aufgrund der Edelmetallschwemme eine rasante Teuerung für spanische Waren ein. Kurz nach der Verteilung der Beute musste ein Mann für eine einfache Stoffhose 20 Pesos zahlen und für ein Pferd 1500. Damit hatte die gesamte Beute der Spanier nur einen Gegenwert von ca. 100.000 einfachen Stoffhosen oder etwa 1400 Pferden.

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Abb. 1: Ata Wallpa in spanischer Gefangenschaft

Obwohl die Inka das Lösegeld gezahlt hatten, hielten die Spanier Ata Wallpa noch acht Monate lang gefangen, wenn auch unter leidlichen Bedingungen. In dieser Zeit befreundete sich mancher Spanier, vor allem Francisco Pizarros Bruder Hernando, mit dem Gefangenen, so dass man sogar gemeinsam Schach spielte, was Ata Wallpa schnell lernte. «Der Kazike Atahualpa ist ein selten gescheiter, fähiger Kopf und sehr darauf aus, alles über uns zu erfahren und uns genau kennenzulernen. Er spielt sogar schon recht gut Schach», heißt es in einem Brief (zit. n. Engl & Engl 1975). Und der spanische Chronist Gonzalo Fernández de Oviedo y Valdés, Festungskommandant in Santo Domingo an der atlantischen Küste Kolumbiens, der mit vielen nach Zentralamerika zurückkehrenden Augenzeugen der Eroberung Perus sprach, berichtet:

Einer der Spanier, die in Cajamarca [Kasa Marka] waren, hatte eine Hauskatze dabei. Zufällig sah Ata Wallpa eines Tages, wie sie eine Maus fing. Daran hatte er so viel Freude, dass er den Eigentümer bat, sie ihm für 1000 Goldpesos zu überlassen. Von nun an brachte man dem Inka, wenn es ihn danach gelüstete, Mäuse, und er ließ die Katze auf sie los. Diese Jagd bereitete ihm großes Vergnügen, und er lachte auf dabei. (Zit. n. Engl & Engl 1975)

Nach diesen acht langen Monaten schien es jedoch offensichtlich opportun, Ata Wallpa zu beseitigen. Wegen der Ermordung seines Halbbruders Waskar ließ ihm Pizarro den Prozess machen, worauf das Urteil nur Hinrichtung lauten konnte. Ganz nebenbei sorgte Pizarro auch dafür, dass Ata Wallpas Schwester und legitime Ehefrau Azarpay, der er misstraute, erwürgt wurde. Eine Ehefrau des aus spanischer Gefangenschaft entflohenen Inka Manqu wurde von den Truppen seines Bruders Hernando gemartert und ebenfalls getötet (s.S. 98).

Alle Chroniken melden, dass Ata Wallpa sein Leben gefasst und in Würde beendete. Selbst unter den wenig zimperlichen spanischen Eroberern fand diese Willkürjustiz nicht einhelligen Beifall. So urteilt der spanische Beamte Gaspar de Espinosa in einem Bericht an seinen König:

Nach meinem Dafürhalten hätte es einer ganz gründlichen Untersuchung und Klärung bedurft, bevor man einen solchen Schuldspruch fällt und einen Menschen umbringt, der so viel Gutes getan und so reiche Schätze verschenkt oder uns auf solche hingewiesen hat, ohne dass bis zum heutigen Tag einem Spanier oder einer anderen Person das geringste Leid geschehen ist. (Zit. n. Engl & Engl 1975)

Nach der Hinrichtung Ata Wallpas rief Pizarro die Inka-Noblen in Kasa Marka zusammen und ließ sie einen Herrscher von seinen Gnaden wählen. Neuer Inka – so auch der Herrschertitel – wurde ein weiterer junger Sohn des vormaligen Inkas Waina Khapaq namens Tupaq Wallpa (großartiger Vogel). Nun erst wagten sich die Spanier nach Süden, um Qusqu, die Hauptstadt des Inka-Reiches, zu erobern. In Hatun Xauxa, einer weiteren Station, wurde ihnen erneut ein Kampf gegen ein Inka-Heer aufgezwungen. Hier fiel Tupaq Wallpa einem Giftmord oder einer Krankheit zum Opfer. Er diente also nur wenige Wochen als Marionetten-Inka.

Der weitere Weg führte die Spanier auf der nord-südlich verlaufenden Inka-Hochlandstraße auch über eine Hängebrücke, die die Schlucht des Apu Rimaq-Flusses fast 40 Meter über den tosenden Wassern überspannte. Diese Brücke, die von der ortsansässigen Bevölkerung immer wieder in traditioneller Weise aus geflochtenen Seilen erneuert wurde (s.S. 70, Abb. 5), ist nie spektakulär zusammengebrochen, wie es der US-amerikanische Romancier Thornton Wilder zum Schlüsselereignis seines Romans «Die Brücke von San Luis Rey» machte. Ganz im Gegenteil: Ihr Anblick flößte noch im 19. Jahrhundert dem Reiseschriftsteller Ephraim George Squier Ehrfurcht vor der Ingenieurskunst der Inka ein und jagte ihm zugleich Angstschauer über den Rücken, als er sie überqueren musste. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde sie ohne Unfall abgerissen.

Begleitend zum Hauptkontingent des spanischen Eroberungsheeres unter Francisco Pizarro wurden immer wieder kleinere Stoßtrupps und Erkundungseinheiten – häufig unter dem Kommando eines seiner Brüder – ausgesandt, die vor allem nach Schätzen forschen und durch Überraschungsangriffe möglichen Widerstand im Keim ersticken sollten. Während eines solchen Zuges plünderten und zerstörten Hernando Pizarro, Hernando de Soto und etwa 20 spanische Reiter das Heiligtum von Pacha Khamaq an der Pazifikküste. Ein andermal überfiel Hernando de Soto als alleiniger Anführer von 40 Mann drei Klöster der Sonnenjungfrauen in der Stadt Cajas, die knapp 50 Kilometer von der gerade gegründeten spanischen Küstenstadt San Miguel de Piura entfernt in den Bergen gelegen war. Er erlaubte seinen Soldaten, die dort keusch und in Klausur lebenden Frauen zu schänden.

Als Sonnenjungfrauen (Akllakuna, die Auserwählten) ließen die Inka unter den zehnjährigen Mädchen des Reiches von eigens dafür eingesetzten Beamten die anmutigsten und geistig regsten zusammenführen. Diese wurden im Folgenden von früher bereits ebenso ausgebildeten und daher erfahrenen Mamakuna (Müttern) in einem vierjährigen Noviziat unterrichtet, um danach staatliche und religiöse Aufgaben als Weberinnen, Köchinnen und Getränkebereiterinnen auszuüben. Es gab sie in Klöstern über das ganze Inka-Reich verteilt. Einige stiegen selbst in den Rang von Mamakuna auf. Andere verheiratete der Inka als besonderen Gunstbeweis mit lokalen Notabeln. Eine besonders bevorzugte Gruppe von Akllakuna tat in Qusqu Dienst. Aus ihnen wählte der Inka seine Konkubinen. Zur Zeit der spanischen Eroberung sollen dort 400 Akllakuna und Mamakuna gelebt haben, die vor allem Dienst im nahegelegenen Sonnentempel taten. In den von Hernando de Soto geschändeten drei Klosterkomplexen in Cajas waren es sogar 500, wie zwei Augenzeugen berichten.

Am 15. November 1533 zogen Pizarros Truppen schließlich ungehindert in Qusqu ein. Die entscheidenden Kämpfe hatten schon im Vorfeld siegreich für die Spanier geendet. Zuerst ließ Pizarro die Stadt, gemäß einem damals in Europa üblichen Kriegsbrauch, plündern und brandschatzen. Dann setzte er als nächsten Marionetten-Herrscher den noch jungen Manqu Inka Yupanki ein, auch er ein Bruder Ata Wallpas und Waskars, der sich jedoch im Laufe der vorangegangenen Kämpfe bereits den Spaniern ergeben hatte. Dieser neue «Inka-Herrscher» musste nun ganz offiziell dem spanischen König Loyalität schwören. Anschließend verbrachten Pizarro und er eine scheinbar idyllische Zeit miteinander. Sie gingen gemeinsam auf die jährliche Inka-Treibjagd, auf der vor allem die wild lebenden Kameliden Wikuña und Wañaku gefangen wurden, deren besonders weiches Fell der Inka sehr schätzte. Vermutlich handelte es sich bei diesem Verhalten um taktische Nachgiebigkeit, denn in seiner kurzen Zeit als Inka-Herrscher von spanischen Gnaden und vor allem nach seiner späteren Flucht aus spanischer Haft agierte Manqu als unabhängiger Herrscher und Heerführer stets geschickt und vorsichtig, hatte er doch eine unübersehbare Zahl von Gegnern, nicht nur unter den Spaniern, sondern auch unter den in verfeindete Fraktionen zerfallenen Inka. Wir werden ihn im Laufe der Entwicklung noch öfter als hartnäckigen, klugen und zeitweilig erfolgreichen Kollaborateur wie auch als Gegner der Spanier kennenlernen.

Damit schien die Eroberung Perus, wie man das Inka-Reich inzwischen nannte, schon mit dem Jahresende 1533 politisch und militärisch abgeschlossen zu sein, auch wenn die wenigen Spanier im ausgedehnten Land noch längst nicht alle Reichsteile besetzt hielten. Diese Ruhe trog allerdings, wie unten (S. 87) gezeigt werden soll.

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Abb. 2: Manqu Inka Yupankis Einsetzung

Francisco Pizarro, der glänzende Sieger über das Inka-Reich, seine Brüder Hernando, Gonzalo und Juan sowie der ebenfalls mit ihnen kämpfende Vetter Pedro genossen die Früchte ihrer Siege nicht lange. Im Zuge heftiger Auseinandersetzungen mit anderen Conquistadoren, vor allem Diego de Almagro und dessen Anhängern, wurde Francisco Pizarro am 26. Juni 1541 ermordet. Sein Bruder Gonzalo wollte den Tod Franciscos rächen und dabei zugleich die sich gerade etablierende vizekönigliche Verwaltung in die Knie zwingen, um selbst an die Macht zu kommen. Nach heftigen Kämpfen der Spanier miteinander wurde er 1548 von der königstreuen Partei unter dem ersten Vizekönig Blasco Núñez Vela besiegt, gefangen genommen und wegen Hochverrats am 10. April desselben Jahres in Cusco geköpft. Der jüngste Bruder Juan war schon 1536 im Kampf gegen die Cusco belagernden Inka Manqus gefallen. Ein Schleuderstein hatte ihn, der leichtsinnigerweise ohne Helm in den Kampf geritten war, am Kopf getroffen und ihm eine Verletzung zugefügt, der er nach 14 Tagen erlegen war. Von den vier Pizarro-Brüdern überlebte lediglich der älteste, brutalste und hochfahrendste, Hernando, die Eroberungskämpfe und den Bürgerkrieg. 1539 kehrte er als Überbringer des königlichen Anteils an der Beute nach Spanien zurück, wurde dort allerdings wegen der von ihm ohne ordentlichen Prozess befohlenen Hinrichtung Diego de Almagros zu lebenslanger Festungshaft verurteilt. Sein beträchtliches persönliches Vermögen erlaubte es ihm jedoch, die Haft in der Burg von La Mota bei Medina del Campo gut zu überstehen. So konnte er sich dort sogar eine Geliebte halten, die er allerdings 1552 zugunsten einer illegitimen Tochter seines Halbbruders Francisco, die im Vorjahr aus Peru gekommen war, verstieß. Francisca Pizarro y Yupanqui wurde seine Ehefrau, teilte neun Jahre lang die Festungshaft mit ihm und gebar ihm mehrere Kinder. 1561 kaufte Hernando Pizarro sich schließlich frei und starb 1578 hochbetagt in seiner Heimatstadt Trujillo, in einem Palast, den er sich nach seiner Haftentlassung dort am zentralen Platz hatte errichten lassen. Pedro Pizarro, Vetter der Pizarro-Brüder, der sich rechtzeitig der royalistischen Partei angeschlossen hatte, überlebte die Bürgerkriegswirren ebenfalls. 1555 wurde er im Süden Perus, in Arequipa, ansässig, hatte mit seiner Ehefrau zehn legitime Kinder sowie ein weiteres mit einer anderen Frau und verfasste 1571 eine Chronik der Eroberung. Er starb dort vermutlich erst dreißig Jahre später hochbetagt.