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Michael Lüders

Iran: Der falsche Krieg

Wie der Westen
seine Zukunft verspielt

 

 

 

Verlag C.H.Beck

Zum Buch

Es scheint alles so klar und einfach zu sein: Auf keinen Fall dürfen die fanatischen Mullahs in Teheran in den Besitz der Atombombe gelangen. Lenken sie nicht ein, müssen sie eben die Konsequenzen tragen. Bis hin zum Krieg. Welche Beweise aber gibt es, dass der Iran tatsächlich nach Atomwaffen strebt? Und geht es in diesem Konflikt allein um die Bombe? 2003 führten die USA ihre "Koalition der Willigen" in einen Krieg mit dem Irak. Doch von den Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins fehlt bis heute jede Spur. 2012 droht ein Angriff auf den Iran - aus ähnlichen Gründen. Läuft der Westen Gefahr, innerhalb weniger Jahre zum zweiten Mal den falschen Krieg zu führen? Michael Lüders erklärt, warum Teheran im Fadenkreuz liegt und stellt scheinbare Gewissheiten infrage. Dabei erzählt er die Geschichte Irans seit dem Sturz von Premier Mossadegh durch einen britisch-amerikanischen Putsch 1953. Er zeichnet ein lebendiges Bild der Islamischen Republik und beschreibt die machtpolitischen Verhältnisse zwischen Mittelmeer und Indien. Das Buch zeigt, wie gefährlich ein Angriff auf den Iran wäre. Er würde nicht allein die Hardliner um Präsident Ahmadinedschad stärken und die Opposition schwächen. Sondern auch, so die These, die gesamte Region in Brand setzen und wie ein Bumerang auf den Westen zurückschlagen. Ein mutiges Plädoyer gegen einen Krieg, der dieses Jahrhundert prägen könnte wie der Erste Weltkrieg das vorige.

Über den Autor

Michael Lüders, Autor und Berater, war lange Jahre Nahost-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT. Mit seinen anschaulichen Erklärungen über die Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten ist er bei allen großen Fernseh- und Radiostationen im deutschsprachigen Raum ein häufiger Gast. Bei C.H.Beck liegt von ihm vor: Tage des Zorns. Die arabische Revolution verändert die Welt (2011).

Inhalt

 

Vorwort

Im Fadenkreuz. Der Countdown läuft

Der Iran: Eine Innenansicht der Macht

Krieg um die Bombe?
Wie der Schwanz mit dem Hund wedelt

Nach dem Angriff – die Krisenregion zwischen Mittelmeer und Indien

Israel und wir.
Plädoyer für einen anderen Blick

Anhang
Die moderne Geschichte Irans. Zeittafel
Weiterführende Literatur

 

«Zwei Dinge sind unendlich. Die menschliche Dummheit und das Universum. Bei letzterem bin ich mir allerdings nicht so sicher.»

Albert Einstein

Vorwort

Nur ein Wunder scheint den Irankrieg noch verhindern zu können. Umso erstaunlicher, dass dieser seit langem abzusehende Waffengang kaum auf Widerspruch stößt. Es scheint ja auch alles so klar und einfach zu sein: Auf keinen Fall dürfen die fanatischen Mullahs in Teheran in den Besitz der Atombombe gelangen. Lenken sie bei den Atomverhandlungen nicht ein, müssen sie eben die Konsequenzen tragen.

Und hier bereits beginnen die Probleme. In diesem Konflikt geht es nur vordergründig um das iranische Atomprogramm. Die eigentlichen Motive liegen tiefer und werden in den folgenden Kapiteln benannt. Bemerkenswert ist, dass zur Begründung des Irankrieges fast wortgleich dieselben Argumente herangezogen werden, die bereits der Rechtfertigung des Irakkrieges dienten. Das allein sollte Anlass für Misstrauen und Skepsis sein. Dessen ungeachtet reden die meisten Politiker und Meinungsmacher in Deutschland einem Irankrieg leichtfertig das Wort, betrachten ihn als unabänderlich oder setzen sich damit gar nicht erst auseinander. Offenbar fehlt ihnen jede Vorstellung von den Folgen: Für die Region, die Weltwirtschaft, für uns in Deutschland und Europa. Da der Krieg gegen den Iran vor allem Israels Krieg ist, fällt es zusätzlich schwer, ihn zu kritisieren, gerade in Deutschland. Mehr noch, mit großer Wahrscheinlichkeit wird sich die Bundesregierung im Ernstfall auf Seiten Israels stellen. Mit allen Konsequenzen, die sich daraus für die hiesige Bevölkerung ergeben, einschließlich iranischer Terroranschläge als Mittel der Vergeltung.

Die Befürworter des Irankrieges behaupten, er werde ein oder zwei, höchstens drei Wochen dauern. Unter der Wucht der Luftangriffe würde das iranische Atomprogramm zerstört, das verhasste Regime in sich zusammenfallen. Die Demokratiebewegung werde daraufhin die Macht in Teheran übernehmen – Ende gut, alles gut.

Das Gegenteil ist richtig. Der Irankrieg wäre eine Katastrophe, seine Folgen könnten dieses Jahrhundert prägen wie der Erste Weltkrieg das vorige geprägt hat. Dessen Blutspur endete erst 1989, mit dem Fall der Berliner Mauer. Den Iran anzugreifen bedeutet, den Nahen und Mittleren Osten in Brand zu setzen. Abgesehen von all dem Leid, das dadurch verursacht würde, überdehnt der Westen damit seine Kräfte, politisch und wirtschaftlich. Mit allen Konsequenzen auch für die Grundlagen unserer gesellschaftlichen Ordnung, von Freiheit und Demokratie. Das zu erwartende Chaos ist beängstigend. Gelingt es nicht, den Lauf der Dinge aufzuhalten, zahlen wir alle einen furchtbaren Preis.

Die Anregung zum vorliegenden Buch verdankt sich nicht zuletzt einer Fernsehdiskussion im Nachrichten- und Dokumentationssender «Phoenix». Es ging um die Frage, ob es zum Irankrieg komme. Der israelische Teilnehmer beklagte, dass Israel die Last aufgebürdet werde, die Welt vom Übel zu erlösen, die Exiliranerin hielt Verhandlungen mit Teheran für Zeitverschwendung und «Appeasement», der US-Journalist hatte das Trauma der Geiselnahme amerikanischer Diplomaten im Zuge der iranischen Revolution 1979 noch immer nicht überwunden. Als Vierter in der Runde mochte ich mich diesem Reigen aus Selbstmitleid und Kurzsichtigkeit nicht anschließen. Stattdessen führte ich Argumente an, warum der Krieg gegen den Iran keine gute Idee sei.

In den nachfolgenden Tagen erhielt ich mehr als 150 Emails. Der einhellige Tenor der Zuschriften lautete: Danke für Ihren Mut Klartext zu reden. Offenbar hatte ich einen Nerv getroffen. Viele Menschen verspüren ein großes Unbehagen angesichts des drohenden Irankrieges, wissen aber nicht wohin mit ihren Sorgen, Ängsten und Fragen. Die Politik ist die falsche Adresse, und namentlich die Printmedien versäumen ihre Pflicht, sachlich zu informieren. Die Berichterstattung folgt überwiegend der Überzeugung: Wir im Westen sind «die Guten», im Iran dagegen sitzen «die Bösen», die Israels Existenz bedrohen.

Diesen Mainstream bedient das vorliegende Buch nicht. Warum nicht, erschließt sich bereits nach der Lektüre der ersten Seiten.

Im Fadenkreuz. Der Countdown läuft

Es wäre der dritte Krieg in wenigen Jahren, den westliche Staaten in den Mittleren Osten tragen. Mit wechselnden Akteuren, doch stets unter maßgeblicher Beteiligung der USA. Erst nach Afghanistan, dann in den Irak, schließlich in den Iran. Eine naheliegende, doch in den Medien oder der Politik nur selten zu vernehmende Frage sei an den Anfang gestellt: Woher nehmen wir eigentlich die Hybris, die Völker der Region nacheinander mit Gewalt zu überziehen, im Falle Iraks mit hunderttausenden Toten, ohne uns, die Regierung Schröder/Fischer mit ihrem Nein zum Irakkrieg ausgenommen, nennenswert mit Selbstzweifeln aufzuhalten? Ohne uns mit den möglichen Folgen unseres Tuns auseinanderzusetzen? Glauben die Propagandisten des Irankrieges ernsthaft, wir könnten ungestraft und ohne Gegenreaktionen in Ländern der islamischen Welt militärisch intervenieren, eines nach dem anderen? Wie würden eigentlich wir Europäer reagieren, wenn China, Indien oder gar der Iran in kurzer Abfolge drei europäische Staaten angreifen und/oder besetzen würde? Natürlich ebenfalls unter Berufung auf höhere Werte? Beispielsweise der Sorge um das europäische Währungs- und Finanzsystem, den drohenden Staatsbankrott in Griechenland oder anderswo, was es mit Blick auf die Weltwirtschaft, das Wohl und Wehe von Milliarden Menschen, um jeden Preis zu verhindern gelte?

Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer. Der gegen den Irak unter Saddam Hussein 2003 wurde zunächst begründet mit irakischen «Massenvernichtungswaffen», die aus Sicht der Kriegsbefürworter auch Europa bedrohten. Dass es diese nicht gab, war hinlänglich bekannt, aller gegenteiligen Inszenierungen zum Trotz. Erinnert sei an den Auftritt des damaligen US-Außenministers Colin Powell im Februar 2003, kurz vor Kriegsbeginn, als er dem UN-Sicherheitsrat Satellitenfotos von Lastwagen mit angeblichen mobilen Biowaffen-Labors im Irak präsentierte. Nachdem der Schwindel aufgeflogen war, füllte ein weiteres Argument die Bresche, vor allem unter Washingtons Neokonservativen. Demzufolge war der Sturz Saddam Husseins die Voraussetzung für die «Demokratisierung» des Landes, die auf die gesamte Region positiv ausstrahlen und gleichsam, wie von magischer Hand, auch den sogenannten Nahostkonflikt mehr oder weniger en passant lösen würde – verlören doch Hamas und Hisbollah ihre Unterstützung durch den vermeintlich obersten Terror-Sponsor.

Der Krieg in Afghanistan zum Sturz der Taliban begann als Vergeltungsaktion für die Terroranschläge des 11. September 2001. Washington zufolge wird er 2014 offiziell enden, bestehende US-Militärbasen, vor allem die in Bagram, einem zweiten Guantanamo, sollen allerdings beibehalten werden. Die Taliban, die ehemaligen Gastgeber Osama bin Ladens und von Al-Kaida, sind weder nachhaltig geschwächt, geschweige denn besiegt worden. Ganz im Gegenteil, Vertreter der USA und der Taliban führen 2012 im Golfemirat Katar Geheimgespräche über die Zukunft Afghanistans. Um ein paar Hundert Al-Kaida-Kämpfer im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan zu töten oder zu vertreiben, werden die USA und die Nato/Isaf rund 13 Jahre Krieg geführt haben, sind mindestens 20.000 Menschen gestorben. Der offiziellen deutschen Lesart zufolge, die zumindest für die ersten Kriegsjahre galt, um dort «Brunnen zu bohren und den Mädchen den Schulbesuch zu ermöglichen». Eine Art humanistisch motivierter Entwicklungshilfe unter militärischem Geleitschutz. Unabhängig davon, dass unsere Freiheit auch am Hindukusch verteidigt werde, wie der damalige SPD-Verteidigungsminister Peter Struck ebenso griffig wie inhaltsleer formulierte.

Gemeinsam ist beiden Kriegen, dem in Afghanistan und dem im Irak, dass sie mit einem Desaster für jene endeten oder im Begriff stehen zu enden, die glaubten, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Die Kosten der Kriege im Irak (mehr als eine Billion Dollar) und in Afghanistan (500 Milliarden Dollar für die Zeit von 2001 bis 2011, beide Angaben gelten allein für die Vereinigten Staaten) haben zum wirtschaftlichen und politischen Niedergang der USA als alleiniger Weltmacht nicht unerheblich beigetragen. Geostrategischer Nutznießer westlicher Verblendung ist ausgerechnet der Iran, der im Irak das Machtvakuum nach dem Sturz Saddam Husseins zu füllen verstand.

Jeder verantwortungsbewusste Unternehmer würde nach Fehlinvestitionen solchen Ausmaßes die Finger von vergleichbaren Abenteuern lassen. Doch gelten mit Blick auf den Iran offenbar nicht die Gesetze der Logik. Vielmehr der atavistisch anmutende Rückgriff auf ideologische und politische Überzeugungen, Behauptungen, Fehleinschätzungen, die einem Countdown zur Katastrophe gleichkommen.

Vordergründig geht es in der Causa Iran um die Frage, ob das Land nach der Atombombe greift. Tatsächlich aber sind vor allem die USA und Israel, in ihrem Windschatten auch die Europäer, bemüht, die Regionalmacht Iran, den einzigen Staat neben Syrien im weiten Raum zwischen Marokko und Indonesien, dessen Politik nicht pro-westlich ausgerichtet ist, in die Schranken zu weisen.

Jedem Krieg geht bekanntlich die Dämonisierung des Gegners voraus. Dieser Gegner gilt wahlweise als Bedrohung des Friedens, der Sicherheit, bestehender Werte allgemein. Vorzugsweise wird seinem Handeln Legitimität wie Rationalität abgesprochen. Verhandlungslösungen erscheinen demzufolge als naive Friedensträumerei, als «Appeasement», oder schlichtweg als Zeitverschwendung. Auch vor propagandistischen Erfindungen schrecken jene, die Krieg zu führen entschlossen sind, nicht zurück, siehe Colin Powell vor den Vereinten Nationen. Erinnert sei auch an den Tonkin-Zwischenfall im August 1964, bei dem angeblich ein US-Kriegsschiff von nordvietnamesischen Schnellbooten beschossen wurde. Diese bewusste Falschinformation diente Präsident Johnson als Vorwand, den Vietnamkrieg massiv auszuweiten.

Rauchende Colts?

Die Dämonisierung der Islamischen Republik Iran in westlichen Medien und der Politik folgt bis in einzelne Formulierungen hinein jener des Irak vor zehn Jahren. Besagte «Massenvernichtungswaffen» spielen dabei ebenso eine Rolle wie der Verweis auf die Unmenschlichkeit des Regimes, auf dessen totalitäre Strukturen, sein völkermordendes Potential und seine fehlende Bereitschaft mit der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA zu kooperieren, womit sich dann der Kreis schließt. Tatsächlich war der Irak unter Saddam Hussein eine menschenverachtende Diktatur. Auch die Islamische Republik trägt despotische Züge. Doch wird Unfreiheit bis hin zum Massenmord im Kontext westlicher Machtpolitik dann und nur dann zur Waffe geschmiedet, wenn der betreffende Staat eigene Interessen herausfordert oder bedroht. Im Falle Irans kommen den Kriegsbefürwortern zudem islamophobe Ängste in der hiesigen Öffentlichkeit entgegen, die von den Mullahs, die schon rein optisch selten als Sympathieträger taugen, zusätzlich bedient werden. Und spätestens seit den anti-israelischen Ausfällen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad und seiner wiederholten Holocaust-Leugnung hat der Feind nicht nur einen Namen, sondern auch ein erfreulich unansehnliches Gesicht.

Der Countdown zum Krieg begann mit dem im November 2011 veröffentlichten Iran-Report der in Wien ansässigen IAEA. Dieser Report führt an keiner Stelle den Nachweis, dass der Iran an einer Atombombe baut. Stattdessen wirft er Teheran vor, nicht alle Details seines Atomprogramms offengelegt oder rechtzeitig an die IAEA-Zentrale weitergeleitet zu haben. Resümierend heißt es: «Alle diese Informationen zusammengenommen geben Anlass zu wachsender Besorgnis, dass das iranische Nuklearprogramm eine militärische Dimension haben könnte.»

Ein rauchender Colt sieht anders aus. Ist aber der Siedepunkt öffentlicher Erregung erst einmal überschritten, spielen Fakten kaum noch eine Rolle. Seine Themenseite zum Iran-Konflikt überschrieb etwa «Spiegel Online» im Februar 2012 folgendermaßen: «Die Lage ist angespannt wie selten zuvor: Nach einem alarmierenden Bericht der IAEA über das iranische Atomprogramm verschärfen die USA und Europa ihre Sanktionen gegen Iran.»

So macht man Politik. Mit Hilfe gutwilliger Medien, die ihrerseits die Welt in gut und böse unterteilen. Manipulationen auf höchster Ebene erscheinen da fast schon entbehrlich. Einem Bericht der «New York Times» vom 6. November 2011 zufolge wurde der IAEA-Direktor Yukiya Amano einige Tage vor der Präsentation des Iran-Reports ins Weiße Haus zitiert. Offenbar war man dort unzufrieden mit der ursprünglich eingereichten Fassung und sah Abstimmungsbedarf – obwohl der Japaner der Wunschkandidat Washingtons in dieser Position ist. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Mohammed El-Baradei, einem Ägypter, der das Amt von 1997 bis 2009 innehatte und sich wiederholt gegen die US-Regierung stellte, in Sachen Irak wie auch Iran. Am 19. April 2011 veröffentlichte «Spiegel Online» ein Interview mit El-Baradei. Auf die Frage, ob er von den USA und den Europäern mit Blick auf deren Anschuldigungen über das iranische Atomprogramm getäuscht worden sei, antwortete der ehemalige IAEA-Chef: «Die Amerikaner wie auch die Europäer haben uns wichtige Dokumente und Informationen vorenthalten. Sie waren nicht an Kompromissen mit der Regierung in Teheran interessiert, sie wollten den Regimewechsel – egal wie.»

Im November 2010 veröffentlichte die britische Zeitung «The Guardian» eine Diplomaten-Depesche, die ihr von WikiLeaks zugespielt worden war. Nach einem Treffen mit Amano kurz vor dessen Wahl zum IAEA-Direktor kabelte der US-Botschafter in Wien demzufolge nach Washington: «Er steht in allen strategischen Schlüsselfragen solide auf Seiten der USA, von der personellen Besetzung von Führungspositionen bis zum Umgang mit Irans mutmaßlichem Atomwaffenprogramm.»

Im November 2011 schrieb der Enthüllungsjournalist Seymour Hersh in der Zeitschrift «The New Yorker», die Berufung Amanos sei von Washington mit Nachdruck gefördert worden, weil er als «politisch zuverlässig» gelte. Den Recherchen Hershs zufolge ist der IAEA-Report «substanzlos» und basiert auf keinerlei gesicherten Informationen. Zahlreiche IAEA-Experten hätten sich von ihm distanziert, ebenso wie Geheimdienstkreise in den USA und Israel.

Gleichwohl diente dieser Report als Begründung für verschärfte Sanktionen der USA. Am 31. Dezember 2011 unterzeichnete Präsident Obama ein Dekret, das ausländischen Banken, die Geschäfte mit der iranischen Zentralbank abwickeln, also die Bezahlung iranischer Erdöl- und Erdgasexporte gewährleisten, jede Geschäftstätigkeit in den Vereinigten Staaten untersagt. Früher hätte man eine solche wirtschaftliche Kriegserklärung, denn um nichts anderes handelt es sich, als «Kanonenbootpolitik» bezeichnet. Als der Iran angesichts der wachsenden Konfrontation drohte, die für die Erdöl- und Erdgasexporte aus den Golfstaaten lebenswichtige Seestraße von Hormuz zu sperren und dort Manöver abhalten ließ, war die Empörung in westlichen Medien wie auch in der Politik einhellig. Der Iran «eskaliere», «provoziere», «heize den Streit an». Die USA entsandten einen zusätzlichen Flugzeugträger in den Persischen Golf, Friedensnobelpreisträger Obama warnte den iranischen Revolutionsführer Chamenei in scharfen Worten vor den Folgen eines solchen Schrittes. Die Europäische Union schloss sich wie üblich der Position Washingtons an und beschloss im Januar 2012 einen Boykott iranischen Erdöls und Erdgases. Parallel wurden die Auslandskonten Teherans in westlichen Staaten, soweit noch vorhanden, eingefroren. Der Boykott dürfte mühelos durch zusätzliche Einkäufe Chinas und Indiens unterlaufen werden und schädigt vor allem Griechenland, Spanien und Italien. Die drei wirtschaftlich angeschlagenen Euro-Staaten beziehen bis zu 30 Prozent ihres Energiebedarfes aus dem Iran, Athen zu Vorzugsbedingungen, und müssen nunmehr nach kostspieligeren Alternativen suchen. Vernunft buchstabiert man anders. Doch in der Auseinandersetzung mit Teheran geht es längst nicht mehr um Sinn und Verstand. Es geht um Geopolitik, Vorherrschaft – und um Ideologie.

Reden verboten

Am 14. Dezember 2011 verabschiedete das US-Repräsentantenhaus mit überwältigender Mehrheit den «Iran Threat Reduction Act» und überwies ihn an den Senat. Dieses Gesetz verfolgt das Ziel, Präsident Obama auf einen Konfrontationskurs gegenüber Teheran festzulegen. Unter anderem enthält es eine weitere Verschärfung der Sanktionen vor allem gegen die iranische Erdölindustrie sowie ihre internationalen Geschäftspartner. Darüber hinaus verpflichtet es die USA, die iranische Opposition logistisch und finanziell zu unterstützen. Mit anderen Worten, das Regime aktiv zu destabilisieren. Bemerkenswert ist aber vor allem ein Passus, der zweifeln lässt, ob die Sanktionen tatsächlich den Iran an den Verhandlungstisch zurück bringen sollen, wie die offizielle Lesart lautet. In «Section 601» des «Iran Threat Reduction Act» heißt es:

«(c) EINSCHRÄNKUNG VON KONTAKTEN Kein Angestellter der US-Regierung darf, ob offiziell oder inoffiziell, eine Person kontaktieren, die (1) ein Agent, Handlanger oder offizieller Vertreter der iranischen Regierung ist oder mit ihr in Verbindung steht und (2) eine Gefahr für die Vereinigten Staaten darstellt oder mit einer Terrororganisation liiert ist. (d) AUSSERKRAFTSETZUNG Der Präsident darf die Bestimmungen des Unterkapitels (c) außer Kraft setzen, sofern er das vor den zuständigen Kongress-Komitees 15 Tage vorher begründet, unter der Maßgabe, dass die Nicht-Außerkraftsetzung einherginge mit einer außerordentlichen Bedrohung der vitalen nationalen Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten.»

Dieser Abschnitt ließe sich auch dahingehend interpretieren, dass weder der Präsident noch ein Minister, kein US-Diplomat und kein Sondergesandter mit dem Iran Verhandlungen aufnehmen oder führen darf – sofern nicht die «zuständigen Kongress-Komitees», namentlich das House Foreign Affairs Committee, eine Hochburg der proisraelischen Lobby AIPAC, dem ausdrücklich zustimmen. Ein vergleichbares Gesetz hätte es nie zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten gegeben. Zu keinem Zeitpunkt ist es dem Weißen Haus oder dem State Department, dem Außenministerium, untersagt gewesen, mit wem auch immer Kontakt aufzunehmen oder zu verhandeln, offen oder geheim – nicht einmal in Kriegszeiten. Hätte sich Präsident Roosevelt mit Hitler treffen wollen, hätte ihn kein Gesetz daran gehindert. Wäre es unter Maßgabe der «Section 601» Präsident Nixon möglich gewesen, die Beziehungen zu China zu normalisieren? Selbst in den dunkelsten Phasen des Kalten Krieges gab es stets offizielle und inoffizielle Kontakte zur Sowjetunion. Andernfalls hätte die Kuba-Raketenkrise 1962 zum dritten und wahrscheinlich letzten Weltkrieg geführt. Sollte Präsident Obama den «Iran Threat Reduction Act» unterzeichnen, würde er damit auch die wenigen noch vorhandenen inoffiziellen Kanäle gefährden, die zwischen Washington und Teheran bestehen. Er selbst könnte dann nicht einmal mehr zum Telefonhörer greifen und Revolutionsführer Chamenei anrufen – ohne befürchten zu müssen, von Hardlinern im Kongress mit einem Amtsenthebungsverfahren bedroht zu werden. Verhandlungen mit dem Iran wären unter dieser Maßgabe kaum noch möglich, was weniger den Interessen der USA dienlich wäre als vielmehr denen Israels.