Verlag C.H.Beck

In diesem Buch werden die grundlegenden Ereignisse und Entwicklungslinien der dänischen Geschichte von der Wikingerzeit und der Christianisierung bis heute übersichtlich und kompetent dargestellt. Dabei stehen Gesellschaft und Wirtschaft im Mittelpunkt, die politische Geschichte bildet den festen Rahmen und liefert die Chronologie.
Robert Bohn, geb. 1952, Dr. phil. habil., Prof., lehrt an der Universität Flensburg Mittlere und Neuere Geschichte. Schwerpunkte seiner Forschung: Geschichte Nordeuropas und Norddeutschlands seit der Wikingerzeit sowie Seefahrtsgeschichte und regionale Zeitgeschichte.
Kurt Jürgensen in Erinnerung
I. Der Eintritt der Dänen in die Geschichte: Wikinger und Reichsgründer
II. Gesellschaft und Wirtschaft im Mittelalter
III. Großmachtzeit: Innere und äußere Konflikte
IV. Unionszeit
V. Bürgerkrieg und Reformation
VI. Der Kampf um die Vorherrschaft im Ostseeraum
VII. Absolutismus: Der neue Staat
VIII. Aufklärung und Reformen
IX. Der Kleinstaat
X. Industrialisierung und politischer Wandel
XI. Krisen und Kriege
XII. Der Wohlfahrtsstaat – Dänemark nach 1945
Literatur
Personenregister
In den letzten Jahrhunderten des ersten Jahrtausends n.Chr. entstanden durch herrschaftliche Zusammenfassung von einzelnen Stämmen beziehungsweise Stammesgruppen im Norden Europas die in ihrer ethnischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Struktur aufs engste miteinander verwandten skandinavischen Königreiche. Ihre frühe Geschichte ist – sowohl dynastisch als auch politisch – nahezu unentwirrbar ineinander verflochten. Die spätere Nationalgeschichtsschreibung der Dänen, Norweger und Schweden hat zu diesem verwirrenden Bild dadurch beigetragen, daß sie bei der Herleitung ihrer jeweiligen Staatsgründungsmythen weitgehend auf ein und dieselben materiellen Grundlagen zurückgegriffen hat.
Im Laufe des 8. Jahrhunderts rückte das neue politische Machtzentrum Europas, das Reich der Karolinger, immer näher an Dänemark heran. Um 800 machte sich Karl der Große die Sachsen untertan, wodurch das Frankenreich zum unmittelbaren Nachbarn der Dänen wurde, was nicht ohne Konflikte blieb. In nichtdänischen Texten aus jener Zeit (dänische gibt es nicht) finden wir nun erstmals Berichte über die politischen Verhältnisse in Dänemark, das als ein einheitliches Königreich aufgefaßt wurde, was es aber, wie die Forschung gezeigt hat, tatsächlich noch nicht war. Denn lokale Große waren noch relativ unabhängig von der Königsmacht. Gleichwohl scheint der Reichsbildungsprozeß schon vorangeschritten gewesen zu sein. Darauf deuten unter anderem organisierte Abwehrmaßnahmen gegen das weitere Ausgreifen der fränkischen Macht nach Norden. Wir erfahren, daß ein König Godfred gegen die im östlichen Holstein siedelnden slawischen Stämme zog, die mit Karl verbündet waren. Godfred ließ auch das Danewerk, den schon einige Generationen (seit etwa 700) bestehenden Befestigungswall am Ende der Schlei, weiter ausbauen. Hier entstand die bedeutende dänische Handelsstadt Hedeby (Haithabu), die spätere Drehscheibe des Ost-West-Handels. Um sie zu fördern, ließ Godfred an der nahegelegenen slawischen Küste Handelsorte zerstören, beispielsweise Rerik, dessen Kaufleute Godfred nach Hedeby verpflanzt haben soll. Er suchte mit seinen Seekriegern sogar die Küstengewässer Frieslands heim, das nach dem Verfall der merowingischen Macht im frühen 8. Jahrhundert einige Zeit unter dänischem Einfluß gestanden zu haben scheint, nun aber von den Franken beherrscht wurde. 810 kam Godfred in innerdänischen Machtkämpfen zu Tode. Sein Neffe und Nachfolger Hemming schloß ein Jahr darauf mit Karl dem Großen Frieden, wobei erstmals die Eider als Südgrenze Dänemarks festgelegt wurde. Hemming starb kurze Zeit später eines gewaltsamen Todes, wie überhaupt die fränkischen Quellen jener Zeit von innerdänischen Auseinandersetzungen berichten, in denen die Könige eine für die fränkischen Chronisten wunderliche Neigung zu plötzlichem Versterben zeigten.
Die Machtverhältnisse in Dänemark waren und blieben wechselhaft. Sie sind aufgrund spärlicher Quellen auch nicht mehr im einzelnen rekapitulierbar. Man weiß aber, was die politische Herrschaft betrifft, daß der Sohn eines verstorbenen Königs nicht ohne weiteres damit rechnen konnte, seinen Vater zu beerben. Er mußte sich gegen Konkurrenten aus der eigenen Sippe oder aus den Reihen der anderen Großen durchsetzen. Er war dabei nicht nur vom Kriegsglück abhängig, sondern auch von seiner Fähigkeit, Gefolgschaft (dän. Hird) an sich zu binden. Hierbei war zweierlei wichtig: Die Aura als erfolgreicher Krieger und Mehrer sowie das Vermögen, die Gefolgsleute materiell zu belohnen. Die Gefolgschaft war freiwillig, sie konnte jederzeit aufgesagt werden. Der König herrschte solchermaßen nicht über das Land (im wörtlichen Sinn), sondern über eine Anhängerschaft, die zu vergrößern er stets bestrebt sein mußte. Diese inneren machtpolitischen Verhältnisse waren ein entscheidender Faktor für die Wikingerzüge und die Ausweitung der dänischen Macht im Nordseeraum. Allerdings kamen noch andere Faktoren hinzu, die zusammengenommen erst die historische Epoche hervorriefen, die gemeinhin Wikingerzeit genannt wird. Im Nationalmythos gilt sie als dänische Großzeit schlechthin.
In der älteren Literatur wird oftmals eine Überbevölkerung als Erklärung für die Wikingerzüge vorgebracht, zumal sich die Dänen (und Norweger) auch überall in den eroberten Gebieten als Siedler niederließen. Tatsächlich gab es in Skandinavien einen gewissen Bevölkerungsdruck. Im 8. Jahrhundert hatte hier ein relativ warmes Klima mit ausreichend Niederschlägen geherrscht, was dazu führte, daß ein großer Teil der früher nur als Weide nutzbaren Flächen für den Getreideanbau herangezogen werden konnte. Dies sowie die Einführung neuartiger Ackerbaugeräte wie Radpflug mit Streichblech bewirkten eine Verbesserung der Lebensmittelversorgung und damit einen Anstieg der Bevölkerungszahl. Doch inzwischen weiß man, daß nach 800 keine Landnot herrschte, sondern daß die Wikingerzeit im Gegenteil auch eine Zeit der inneren Kolonisation war.
Daher ist neben den genannten machtpolitischen Verhältnissen im Innern vor allem die allgemeine politische und militärische Lage in Westeuropa als entscheidend anzusehen. Dieses bot am Ende des 8. Jahrhunderts, trotz der Ausdehnung des fränkischen Großreiches unter Karl, vielerorts ein Bild der politischen Zersplitterung – insbesondere auf den britischen Inseln, gegen die sich die ersten großen Wikingerzüge richteten. Nach dem Tode Karls des Großen 814 und der Dreiteilung seines Reichs 843 wurden das west- und das ostfränkische Reich ebenfalls Objekte der dänischen Wikingerzüge.
Neben die bereits genannten treten weitere Faktoren hinzu, die diese Raub- und Eroberungsfahrten erst ermöglichten: Die Entwicklung eines besonderen Schiffstyps sowie der Erwerb nautischer Fähigkeiten, durch die die Skandinavier den anderen europäischen Völkern seefahrtstechnisch überlegen wurden. Das Wikingerschiff war hochseetüchtig und seine Besatzung fähig, es über das offene Meer – Ostsee und Nordsee (später auch den Nordatlantik) – zu navigieren, ohne daß Sichtkontakt zur Küstenlinie gehalten werden mußte. Außerdem konnten sie damit bis zu den Oberläufen der großen Flüsse vordringen; sich mit den kleineren Schiffen sogar kürzere Strecken über Land bewegen, um zu einem anderen Flußlauf zu gelangen. Erst so war das Eindringen in das Fränkische Reich möglich.
Überall im Norden setzte um 800 die sogenannte Reichssammlung, die großräumige Königsordnung mit der Tendenz zur Zentralisierung und Territorialisierung der Herrschaft, ein. Sie rief eine über Generationen andauernde Konfliktkonstellation hervor, bis sich schließlich das Einheitskönigtum gegenüber den Kleinkönigen, Häuptlingen und sonstigen Großen durchsetzen konnte. In dieser Auseinandersetzung wurden viele, die sich nicht unterordnen wollten, aus dem Land gedrängt – oder sie gingen freiwillig. Das junge Einheitskönigtum mit ambitionierten Herrschern setzte sich oft auch selbst expansionistische Ziele, die gleichermaßen der Herrschaftssicherung und der Machtausweitung dienen sollten.
Waren es zu Beginn des 9. Jahrhunderts noch Raubzüge von einzelnen Wikingerhäuptlingen zur englischen, friesischen oder fränkischen Küste gewesen, so nahmen diese Züge ab etwa 840 sowohl an Häufigkeit als auch an Zahl der daran beteiligten Krieger zu. Allmählich änderte sich auch ihr Charakter: Ab der Mitte des 9. Jahrhunderts waren es mitunter große militärische Expeditionen, an denen Hunderte von Schiffen und Tausende von Kriegern beteiligt waren. Der Schlußpunkt dieser Entwicklung waren sozusagen staatliche militärische Unternehmungen, die von Königen oder Angehörigen des Königsgeschlechts geführt wurden.
Seit den 840er Jahren erfolgte Angriff auf Angriff. 845 kamen die Dänen unter dem berühmten Wikinger Ragnar Lodbrok bis Paris, wo Karl der Kahle sie nur gegen eine hohe Tributzahlung zum Abzug bewegen konnte. 885/86 wurde Paris abermals belagert, diesmal über ein Jahr lang, bis Karl III. den Abzug wiederum teuer erkaufen konnte. An den Unterläufen der nordfranzösischen Flüsse dauerten die Verheerungen aber weiter an. Mitunter zogen die Dänen (oft im Bunde mit Norwegern) jahrelang plündernd durchs fränkische Land.
Neben den Zügen ins Frankenreich gingen um die Mitte des 9. Jahrhunderts Angriffe der Dänen nach England einher. Die Zersplitterung der Insel in angelsächsische Teilreiche kam diesen Unternehmungen sehr entgegen. Im letzten Drittel des 9. Jahrhunderts war alles Land von der Themse bis zum Hadrianswall östlich einer Linie London – Chester in dänischer Hand. York wurde der Sitz des dänischen Wikingerkönigs Halfdan und die Stadt selbst ein blühendes Handelszentrum. Die keltischen bzw. angelsächsischen Kleinkönigreiche an den Rändern dieses dänischen Reiches, das bald die Bezeichnung Danelag (Dänenrecht) erhielt, wurden tributpflichtig. Hier in Mittelengland kam es nun gegen Ende des Jahrhunderts aber auch zu einer allmählichen Assimilierung – die Angelsachsen unterschieden sich ja kaum von den Dänen, man sprach sogar fast die gleiche Sprache.
Mit der Seßhaftwerdung und dem Übergang zum Ackerbau ebbten die Angriffe der Dänen Ende des 9. Jahrhunderts ab. Das bot den angelsächsischen Königen Anfang des 10. Jahrhunderts die Möglichkeit, nach rund 70jähriger Dänenherrschaft wieder die Oberhoheit über das Danelag zu erlangen. Dieser Zusammenbruch der Dänenherrschaft hing mit der innenpolitischen Schwäche Dänemarks zusammen. Es war die Zeit König Harald Blauzahns (ca. 960–87), der seine Herrschaft von zwei Seiten gefährdet sah: Einmal durch den deutschen Kaiser und zum anderen durch seinen eigenen Sohn Svend, der unter dem Beinamen Gabelbart in die Geschichte eingehen sollte.
Harald hatte Dänemark erstmals unangefochten unter einer Krone geeint und dabei die Hilfe der Kirche in Anspruch genommen. Er erhob zudem Anspruch auf die Königsherrschaft in Norwegen, die er zeitweise auch durchsetzen konnte. Zwar war König Harald zum Christentum übergetreten, nicht aber alle seiner Dänen – und auch nicht sein Sohn Svend, der von dem räuberischen Wikingerberuf nicht lassen wollte. Viele Gefolgsleute teilten diese Einstellung. Es kam zur unvermeidlichen Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn, in deren Verlauf Harald 987 erschlagen wurde.
Nun wurde Svend Gabelbart König von Dänemark (bis 1014), und mit ihm kam wieder ein Wikingerhäuptling von altem Schrot und Korn an die Macht. Svend sicherte zunächst seine Stellung zu Hause, dann in Norwegen, wo er im Jahre 1000 in der Seeschlacht von Svolder, der größten der Wikingerzeit, im Zusammenwirken mit dem schwedischen König Olof Skötkonung seinen norwegischen Widersacher Olav Tryggvason besiegte, der dabei zu Tode kam.
Svend richtete die dänische Herrschaft nun auch wieder in England auf. Er sandte mehrere Jahre hintereinander Flotten gen Westen, und dem angelsächsischen König Ethelred dem Ratlosen blieb keine andere Wahl, als sich der dänischen Übermacht zu beugen. In diesen Jahren flossen riesige Summen englischen Geldes, Silbers und Goldes nach Dänemark, das sogenannte Dänengeld, insgesamt, so hat man berechnet, etwa 75.000 Kilogramm – ein ungeheures Vermögen. Es war die Zeit, in der in Dänemark die großen, mit hohen Ringwällen versehenen Heerlager angelegt wurden, die Zeugnis ablegen von der letzten großen Kraftentfaltung der dänischen Wikingerzeit. Diese strategisch verteilten Lager waren Burgen gleich, die dem König auch die Herrschaft im Innern sicherten. Sie wurden bisher in Nordjütland (Fyrkat, Aggersborg), Fünen (Nonnebakken) und auf Seeland (Trelleborg) ergraben und dokumentiert. Der Durchmesser solcher Anlagen betrug bis zu 240 Meter. In ihnen sieht die neuere dänische Forschung in erster Linie einen Stützpunkt der inneren Herrschaft.
Das dänische Einheitskönigtum konnte sich in dieser Zeit entscheidend festigen und in dem Nordseereich unter Knud dem Großen (1018–1035), dem Sohn Svend Gabelbarts, seine größte Machtentfaltung entwickeln. Im Unterschied zu seinem Vater war Knud sich allerdings bewußt, daß er ohne das Mitwirken der Kirche ein solches Reich nicht würde regieren können. Die älteste dänische Königsurkunde bringt dies zum Ausdruck: Im Frühjahr 1020 schickte Knud ein Schreiben nach England, in dem er seinen Willen zur Regierung im Bunde mit der katholischen Kirche verkündete. Und daß dies nicht nur ein Lippenbekenntnis war, zeigte er dadurch, daß er die Kirche durch Bauten, Schenkungen und Privilegien förderte. Knud veranlaßte auch, daß englische Priester nach Dänemark kamen, um dort den Aufbau der Kirche voranzubringen. Vermutlich wollte er die dänische Kirche an die englische binden, um dadurch den beiden Teilen seines Imperiums Zusammenhalt zu verleihen. Gleichwohl blieb Dänemark (wie das übrige Skandinavien) im Einflußbereich des Erzbistums Bremen-Hamburg, woher auch die ersten Bischöfe kamen. Um 1060 kam es zu einer grundlegenden kirchlichen Organisation mit den acht Diözesen Schleswig, Ribe, Århus, Viborg, Vendsyssel (Børglum), Odense, Roskilde und Lund.
Nach dem Tode Knuds fiel das dänische Nordseereich rasch auseinander. Seine Nachfolger richteten ihr Interesse auf die Festigung ihrer Macht und den Ausbau der Königsherrschaft im eigentlichen Dänemark. Mit der normannischen Eroberung Englands 1066 rückte die Insel endgültig aus den Möglichkeiten dänischer Herrschaftsansprüche.
Bereits in der Wikingerzeit war die dänische Gesellschaft durch eine breitgefächerte soziale Differenzierung gekennzeichnet, wobei allerdings noch regionale Besonderheiten zum Tragen kamen. Die Forschung ermittelte Könige, Häuptlinge und freie Bauern auf der einen und Knechte und Sklaven (dän. Trælle) auf der anderen Seite; aber auch Abstufungen dazwischen. Gerade über die soziale und rechtliche Positionierung dieser Zwischengruppen herrscht noch einige Ungewißheit. Es gab unzweifelhaft viele Arme, die keine Knechte waren, und es gab mehrere Bezeichnungen für Männer, deren gesellschaftlicher Rang zwischen dem eines freien Bauern und dem der Angehörigen der obersten Kriegerkaste anzusiedeln ist.
Die zahlenmäßig größte Gruppe war die der Knechte/Sklaven (Trælle), die in sich recht differenziert war. Wirtschaftsgeschichtlich betrachtet, waren es die Armen und Besitzlosen. Und da diese, wie zu allen Zeiten, kaum über politischen Einfluß verfügten, haben sie fast keine Spuren hinterlassen.
Knecht konnte jeder werden, freiwillig, durch Schuld oder Kauf oder durch Gefangennahme. Für bestimmte Vergehen war die Strafe die Knechtschaft. Auch die Kinder eines in Knechtschaft lebenden Paares wurden Knechte. Die meisten Menschen, die sich in Knechtschaft befanden, hatten aber einen Status, den man heute eher als Sklaverei bezeichnen würde. Viele Wikingerzüge dienten denn auch eigentlich keinem anderen Zweck, als solche Knechte oder Sklaven zu bekommen – sei es bei den benachbarten skandinavischen Stämmen oder anderswo. Diese mußten dann für den neuen Herrn arbeiten, oder sie wurden als Handelsgut weiterverkauft – meist letzteres. Verkauft wurden sie überallhin. Der Handel mit Sklaven erfolgte sowohl im Norden unter den Wikingern (Skandinaviern) selbst als auch mit ‚Abnehmern‘ außerhalb der nordischen Welt, die zu den Nordleuten Verbindung hatten. Vieles deutet darauf hin, daß die Sklaven die wichtigste Handelsware der Wikinger waren und daß insbesondere arabische Händler ihretwegen in den Norden fuhren.
In der sozialen Hierarchie über den Knechten/Sklaven stand die breite Gruppe der freien Bauern, die in sich wiederum deutlich abgestuft war. Zwar hatte jeder Freie auf den Thingversammlungen Stimmrecht, doch seine tatsächliche Stellung in der Gesellschaft ergab sich aus seinem Besitz – an beweglichen Gütern (einschließlich Trælle), aber vor allem an Grund und Boden. Die Besitzverteilung war sehr ungleich, so daß nur ein kleiner Teil der Bevölkerung realiter volle politische Rechte ausübte. Große Grundbesitzer waren Häuptlinge, die gewöhnlich auch die Priesterfunktion in ihrem Bezirk innehatten. Diese altnordisch Gode genannte Stellung bezog sich nicht nur auf die Durchführung der vorchristlichen Riten, wie sie uns am schönsten in der altisländischen Literatur vermittelt werden, sondern beinhaltete auch die Leitung der Thingversammlungen und die Funktion als Richter, der, vom Thing beraten, nach Gewohnheit Recht sprach. Diese Häuptlinge hatten ihre eigenen Kriegerscharen. Doch war die Durchsetzung der Richtersprüche keine öffentlich-rechtliche Angelegenheit, sondern eine privatrechtliche. Eine Exekutive im heutigen Sinn und ein geschriebenes Recht entstanden erst nach der Durchsetzung des Einheitskönigtums und der Christianisierung. Allerdings wurde auch dann noch bis zum absolutistischen Zeitalter nach verschiedenen Landschaftsrechten Recht gesprochen.
Die tragende Säule im Wirtschaftsleben war die Landwirtschaft, wobei zum Ende der Wikingerzeit der Getreideanbau gegenüber der Viehwirtschaft stärker in den Vordergrund trat. Dies erforderte großflächige Rodungen, und ehedem große Ländereien wurden in kleinere Einheiten aufgeteilt. Es war die Zeit, in der die innere Kolonisation mit dem Entstehen vieler Dörfer einsetzte, die bis in das hohe Mittelalter hinein voranschritt. Dörfer mit der heutigen Endung auf -torp, -rup oder -rød weisen auf diesen Ursprung hin. Gleichzeitig fand eine Differenzierung der Besitzverhältnisse und Sozialstruktur statt. Zum einen entstanden die großen Güter, die den Magnaten, der Kirche oder dem König gehörten und die von Verwaltern bewirtschaftet wurden, die über eine gewisse Anzahl von Knechten geboten (noch bis ins frühe 13. Jahrhundert taucht die Bezeichnung Trælle auf). An diese Güter waren zudem kleinere Bauernstellen gebunden, die über wenig Land verfügten und deren Besitzer auf dem Gut arbeitspflichtig waren. Als weitere Kategorie gab es die Höfe mittlerer Größe, die teilweise eigenbesitzenden Bauern gehörten, teilweise aber auch Magnaten, die das Land verpachteten. Ein solcher – persönlich freier – Pachtbauer (dän. Fæstebonde) hatte einen Teil des Hofertrags als naturale Grundrente (dän. Landgilde) an den Grundherrn abzuführen.
Hier ist dieselbe, an die Bodenbesitzverhältnisse geknüpfte gesellschaftliche Schichtung zu erkennen, wie sie uns auch im kontinentalen Europa entgegentritt. In Dänemark ist diese Struktur, Feudalismus genannt, zu dieser Zeit allerdings noch nicht so scharf ausgeprägt. Der Anteil der freien und eigenbesitzenden Bauern war vergleichsweise groß, und auch rechtlich waren die Befugnisse der Grundbesitzer gegenüber den von ihnen abhängigen Bauern noch gering. Erst gegen Ende des Spätmittelalters sollten sich auch in Dänemark die feudalen Strukturen mit der Zurückdrängung des Freibauerntums, Durchsetzung der Schollenbindung (dän. Vornedskab), Einführung der niederen Gerichtsbarkeit sowie Zunahme der Dienstpflichten bzw. Fronarbeit (dän. Hoveri) und der Güterarrondierung des Adels ganz durchsetzen – übrigens als einzigem skandinavischen Land. In Norwegen und Schweden konnte sich das Freibauerntum mit allodialem Besitzrecht den Begehrlichkeiten des Adels und der Krone mit Erfolg entgegenstemmen. Die dänischen Magnaten, insbesondere die führenden Adelsgeschlechter, besaßen am Ende des Mittelalters Dutzende, mitunter sogar Hunderte von Höfen.
Daß in Dänemark das Freibauerntum so stark zurückging, hing wesentlich mit der politischen und wirtschaftlichen Krise des 14. Jahrhunderts zusammen. Die außenpolitischen Verwicklungen der Krone erforderten ständig größere Mittel, die der König überwiegend bei den Freibauern, die – abgesehen von den Bewohnern der sogenannten Kaufstädte (dän. Købstæder, d.h. Orte, in denen der Handel privilegiert war) – als einzige Steuern an ihn entrichteten, zu erlangen suchte. Auch die Dienstpflichten für die Krone wurden erhöht. Viele der Freibauern sahen unter diesen Umständen einen Ausweg darin, sich in die Obhut eines Adligen zu begeben, den Hof an diesen zu veräußern, um wiederum gegen eine Grundrente Pächter (Fæstebonde) dieses Hofes zu werden. Durch den damit verbundenen Statuswechsel wurden sie dem Adligen gegenüber nicht nur zins-, sondern auch dienstpflichtig, die Pflichten gegenüber der Krone fielen fort – jedenfalls nominell, praktisch haben die Inhaber der Krone gegen den Widerstand der Magnaten immer wieder versucht, sich auch die Arbeitskraft dieser Bauernschicht anzueignen.
Die Auswirkungen der Pestepidemie in der Mitte des 14. Jahrhunderts und eine Klimaverschlechterung (ab ca. 1260) trugen ein übriges dazu bei, den Konzentrationsprozeß auf dem Lande zu fördern. Die Bevölkerungszahl ging dramatisch zurück, um cirka ein Drittel. Erst um 1800 sollte Dänemark wieder in etwa die Bevölkerungszahl erreichen, die es Anfang des 14. Jahrhunderts aufgewiesen hatte, nämlich knapp über eine Million Menschen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs waren in einigen Regionen katastrophal: Ganze Landstriche verödeten. Zwar machte der Pestbazillus vor den Magnaten nicht halt, und auch die Mißernten trafen die großen Güter. Doch der Bauernstand, der sich mehrheitlich sowieso schon am Rande des Existenzminimums bewegte, wurde besonders hart getroffen. Die Folge war eine sowohl wirtschaftliche als auch rechtliche Verschlechterung: Die an ein adliges Gut gebundenen Pachthöfe wurden zur gewöhnlichen bäuerlichen Wirtschaftsform.
Zudem veränderte sich im 14. Jahrhundert die Wirtschaftsweise. Auch dies hing mit der knapper gewordenen bäuerlichen Arbeitskraft zusammen. Der arbeitsintensive Ackerbau wurde mehr und mehr zugunsten der Viehzucht aufgegeben. Viehprodukte waren angesichts der gesunkenen Getreidepreise außerdem profitabler. Vor allem in Jütland setzte sich die Ochsenaufzucht durch, und für mehrere Jahrhunderte sollten nunmehr alljährlich riesige Ochsenherden durch Jütland, Schleswig und Holstein zur Elbe getrieben werden, von wo aus sie auf die Märkte in Hamburg, Nordwestdeutschland und Holland gebracht wurden. Entlang des Ochsenweges profitierten davon auch viele Futterlieferanten, Krüger, Händler und Handwerker – und nicht zuletzt auch die Obrigkeit durch allerlei Zollabgaben.
Voraussetzung für die Viehzucht war der Besitz von genügend Boden, weshalb die Gutsbesitzer beständig nach Ausweitung ihres Grundbesitzes strebten. Das geschah in nicht geringem Ausmaß auch auf Kosten der untersten Adelsschichten, die sich in der Krise des 14. Jahrhunderts bei ihren besser gestellten Standesgenossen verschuldet hatte. Der Landhunger der Magnaten machte nicht einmal vor den Gütern der Kirche halt, die um die Mitte des 15. Jahrhunderts diesen Bestrebungen kaum noch etwas entgegensetzen konnte.
Die Magnaten traten so immer deutlicher als klar abgegrenzter, führender Stand hervor, als Aristokratie. Deshalb war es nur folgerichtig, daß um 1430 auch formell die Bedingungen für die Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaftsklasse festgelegt wurden.
In der Wikingerzeit setzte bereits die Gründung von Städten ein. Damit hielt auch die Geldwirtschaft Einzug, und die Arbeitsteilung nahm zu. Denn Urbanisierung heißt Mobilisierung von Kräften, die naturgegebene Grenzen überwinden: Verkehr über große Entfernungen, Erfindung und Handhabung technischer Geräte, auch Steigerung der landwirtschaftlichen und handwerklichen Erzeugung. Diese Entwicklung erforderte eine veränderte gesellschaftliche Organisation. Deshalb bedeutete Urbanisierung nicht zuletzt auch Herrschaftsfestigung. Der Handel benötigte sichere Verkehrswege und geschützte Märkte und damit die Präsenz von Macht. Diese erhob Zölle, prägte Münzen und konnte aufgrund ihres Gewaltmonopols den Handelsplatz kontrollieren. Organisierte Macht wurde zum ökonomischen Faktor. Kaufmännische und königliche Interessenkonvergenz war dabei die treibende Kraft. Der König erzielte seine Einnahmen hauptsächlich durch den Handel und durch das Prägen von Münzen. Waren im 9. und 10. Jahrhundert fast ausschließlich arabische, fränkische und englische Münzen im Umlauf, so nahm im 11. Jahrhundert der Anteil dänischer Münzen rapide zu, so daß an dessen Ende kaum noch neue ausländische Geldstücke nach Dänemark kamen. Das Münzwesen war nun völlig in königlicher Hand, und es galten ausschließlich die Geldstücke des regierenden Herrschers.
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