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Christian Mann

DIE GLADIATOREN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

… manche konnten wegen der Wunden, die sie empfangen hatten, andere vor Erschöpfung den Kampf nicht mehr fortsetzen, wieder andere waren im Verlauf des Gefechtes von ihren Gegnern entwaffnet worden. Gab ein Gladiator auf, so stoppte der Schiedsrichter den Kampf und fiel dem Sieger in den Arm. Nun kam es zu dem Akt, der die eigentliche Besonderheit der römischen Gladiatorenkämpfe ausmachte: der Entscheidung über Leben und Tod des Unterlegenen. Die Zuschauer waren schon zuvor nicht untätig gewesen. Sie hatten ihre Lieblinge mit Klatschen, Zurufen und Sprechchören angefeuert. Nun aber hatten sie zu beurteilen, ob der Verlierer tapfer und kunstfertig gekämpft und deshalb die Begnadigung verdient hatte oder nicht …

Über den Autor

Christian Mann, Professor für Alte Geschichte an der Universität Mannheim, erzählt spannend und anschaulich die Geschichte der Gladiatorenkämpfe von ihren Vorläufern im etruskischen Totenritual über ihre wachsende Bedeutung in der römischen Politik bis zu ihrem Niedergang in der Spätantike und sucht nach Gründen für diese Entwicklung. Außerdem beschreibt er ausführlich die Rekrutierung, die Ausbildung und das tägliche Leben von Gladiatoren, ihre Ausdifferenzierung in verschiedene Waffengattungen und Rangklassen sowie ihre Stellung in der Gesellschaft und ihre Bedeutung für die Gesellschaft, in Rom selbst und im ganzen Imperium Romanum.

Inhalt

    I. Einleitung: Die historische Einzigartigkeit der Gladiatur

   II. Der Kontext: Öffentliche Schauspiele im antiken Rom

1. Theateraufführungen, Wagenrennen, griechischer Sport, Seeschlachten

2. Bestattungssitten und Politik: Anfänge und Entwicklung der Gladiatur

3. Der Ablauf eines munus

  III. Der Kampf

1. Standardisierte Waffen und Paarungen: Die armaturae

2. Der Ablauf des Kampfes

3. Sonderformen: Kämpfe «ohne Begnadigung» und Kämpfe «mit spitzen Waffen»

  IV. Die Gladiatoren: Ihre Stellung in der Gesellschaft

1. Wie wird man Gladiator? Kriegsgefangene, Verbrecher, Sklaven, Freiwillige

2. Das ambivalente Urteil der Gesellschaft: Helden der Arena und verachtete Außenseiter

   V. Das Leben als Gladiator

1. Alltag in der Gladiatorenkaserne

2. Lebenserwartung und Karrieren

3. Leitbilder und Selbstdarstellung der Gladiatoren

4. Frauen in der Arena: Die Gladiatorinnen

  VI. Der architektonische Rahmen der Gladiatorenkämpfe

1. Das Kolosseum

2. Weitere Amphitheater

3. Circus, Theater, Stadion

 VII. Organisation und Finanzierung

1. Die Ausrichter

2. Finanzierung

3. Gesetzliche Regelungen

VIII. Die Bedeutung der Gladiatorenkämpfe für die römische Gesellschaft

1. Die Choreographie römischer Tapferkeit

2. Kaiser und Volk im Amphitheater

3. Gladiatorenkämpfe und die Romanisierung der Provinzen

  IX. Kritik und Niedergang

1. Kritik in der heidnischen Literatur

2. Christliche Kritik

3. Der Niedergang der Gladiatorenkämpfe

Anhang

Karte

Zeittafel

Glossar

Kommentierte Literaturhinweise

Im Text genannte Quellen

Register

Bildnachweis

I. Einleitung: Die historische Einzigartigkeit der Gladiatur

Gladiatoren haben einen festen Platz in unserem historischen Gedächtnis, ihre Präsenz in den modernen Massenmedien ist enorm: Hollywood hat das Leben und Sterben von Gladiatoren häufig zum Thema gemacht und dabei oscarprämierte Erfolgsstreifen wie «Spartacus» mit Kirk Douglas (1960) und «Gladiator» mit Russell Crowe (2000) produziert; seit 2010 sind Gladiatoren in der Fernsehserie «Spartacus: Blood and Sand» zu sehen. Kampfvorführungen in Gladiatorenrüstung bilden Höhepunkte aller Römerfeste, und am 7. Juli 2012, an einem Samstagabend zur besten Sendezeit, lieferten sich der Bodybuilder Ralph Moeller und der Boxer Henry Maske einen Showkampf als «Gladiatoren». Wie gering das Wissen um die antike Geschichte im Allgemeinen auch sein mag: Dass es im alten Rom Gladiatorenkämpfe gab, ist (fast) allgemein bekannt. Kein anderes Produkt der römischen Kultur besitzt heute eine vergleichbare Popularität.

Allerdings werden in der modernen Rezeption immer wieder dieselben Klischees produziert, und dies beginnt bereits im 19. Jahrhundert, sowohl in der Historienmalerei als auch in der Literatur: Beispiele dafür sind ein Gemälde Jean-Leon Gérômes (Abb. 1) und Henryk Sienkiewicz’ Roman «Quo Vadis?» (1896). Das Geschehen im Amphitheater erscheint in beiden Werken als Entfesselung aller schlechten Triebe des Menschen, als Ausfluss von Voyeurismus und Gewalttätigkeit. Die fanatisierte Menge fordert den Tod der Gladiatoren – auch die Priesterinnen der Vesta, die in Gérômes Gemälde am rechten Bildrand zu sehen sind; dass es Frauen sind, die hier die öffentliche Tötung von Menschen verlangen, macht die Grausamkeit für die Betrachter des 19. Jahrhunderts noch abstoßender. Leichen bedecken den Boden der Arena, der Tod scheint das unausweichliche Schicksal jedes Gladiators zu sein. Im Amphitheater verdichtet sich symbolisch die Dekadenz der Römer; es bedarf ‹reiner›, von der Sündhaftigkeit der Metropole nicht infizierter Menschen von außen, um diese Dekadenz zu erkennen und zu bekämpfen: Bei Sienkiewicz sind dies die Lygier aus dem Nordosten – sie stehen symbolisch für seine polnischen Landsleute –, in «Gladiator» der Spanier Maximus. Ein weiteres Klischee ist die Entpolitisierung des Volkes durch «Brot und Spiele»: Die römischen Kaiser hätten die Menschen durch genauso prachtvolle wie grausame Schauspiele von den wirklich wichtigen Dingen abgelenkt und somit ungestört ihre Herrschaft ausüben können.

An der historischen Realität gehen diese Klischees vollkommen vorbei. Zwar waren die Gladiatorenkämpfe ohne jeden Zweifel ein äußerst grausames Schauspiel, bei dem im Verlauf von sieben Jahrhunderten viele Tausend Menschen ihr Leben verloren. Aber es handelte sich nicht um ein zügelloses Massengemetzel, bei dem es nur darum ging, in kürzester Zeit möglichst viele Menschen umkommen zu lassen, sondern um Einzelkämpfe, die genauen Regeln unterworfen waren und von Schiedsrichtern kontrolliert wurden. Und das Publikum wollte, das überliefern übereinstimmend die antiken Gewährsleute, nicht einfach möglichst viel Blut sehen, sondern einen Kampf auf hohem technischem Niveau. Die größte Bewunderung erregten diejenigen Gladiatoren, die ihre Gegner besiegten, ohne sie zu töten, und in den meisten Fällen forderte das Publikum die Begnadigung des Unterlegenen. Gänzlich falsch ist auch die Vorstellung, die Gladiatorenkämpfe hätten das römische Volk entpolitisiert, das Gegenteil ist richtig: Im Amphitheater zeigte sich die Macht des Volkes, hier trat es in Interaktion mit den Herrschern, hier nahm es direkten Einfluss auf deren Entscheidungen und erlebte die eigene Macht, indem es über Leben und Tod der unterlegenen Gladiatoren entschied. Nicht schrankenlose Gewalt wurde im Amphitheater geboten, sondern «sinnhaft gebändigte Gewalt» (Uwe Walter). Dies alles soll nicht die Brutalität der Gladiatorenkämpfe in Abrede stellen, aber davor warnen, sie einfach als Auswuchs menschlicher Grausamkeit zu erklären. Will man sie erklären und verstehen, muss man vielmehr die gesamte römische Kultur in den Blick nehmen, sich mit römischen Wert- und Moralvorstellungen, mit dem Selbstbild der Römer und ihrer gesellschaftlichen Struktur befassen. Nur dann kann man verstehen, warum ausgerechnet im Römischen Reich und nirgendwo sonst in der Weltgeschichte Gladiatorenkämpfe entstanden.

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Abb. 1: Jean-Leon Gérôme: «Pollice Verso» (1872)

Denn die römischen Gladiatorenkämpfe sind ein einmaliges Phänomen, sie finden keine Parallelen in anderen Kulturen und anderen Epochen. Tödliche Zweikämpfe waren in der Geschichte weit verbreitet, man denke nur an die Duelle im neuzeitlichen Europa, und Todesfälle bei sportlichen Wettkämpfen sind aus der griechischen Antike wie aus der Moderne bekannt. Das Besondere der Gladiatorenkämpfe aber bestand darin, dass nach dem Kampf darüber entschieden wurde, ob der Unterlegene zu begnadigen oder zu töten sei. Es stand also zur Debatte, welche Eigenschaften ein Mann an den Tag legen müsse, um auch nach einer Niederlage noch weiterleben zu dürfen, und daraus resultiert die enorme symbolische Bedeutung der Gladiatorenkämpfe in der römischen Gesellschaft. Aus diesem Grund handelt es sich auch nicht um ein Randthema der althistorischen Forschung, das nur populistischen Wert im Hinblick auf das öffentliche Interesse besitzt, sondern um ein Kernthema der römischen Geschichte: Wer die mentalen Dispositionen der Römer, ihre Vorstellungen von gesellschaftlicher Ordnung, ihre Selbstwahrnehmung und Fremdbilder verstehen möchte, kommt an den Gladiatorenkämpfen nicht vorbei.

Die antiken Zeugnisse zu den Gladiatorenkämpfen sind so reichhaltig wie vielfältig. Ihre Fülle zeigt, welch hohen Stellenwert diese Spektakel sowohl für die Oberschicht wie für die breite Masse, für die Stadtrömer wie für die Bevölkerung von außerhalb besaßen; ihre Vielfalt setzt heutige Forscher in die Lage, Gladiatorenkämpfe aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu untersuchen. So wird der «soziale Sinn» vor allem aus den überlieferten literarischen Zeugnissen ersichtlich; denn Gladiatoren bildeten ein wichtiges Thema aller Literaturgattungen, und die berühmtesten Autoren berichten über sie: Politiker und Philosophen wie Cicero (106–43 v. Chr.) und Seneca (ca. 1 v. Chr.–65 n. Chr.), Geschichtsschreiber wie Livius (ca. 59 v. Chr.–17 n. Chr.) und Tacitus (ca. 55–120 n. Chr.), Dichter wie Martial (ca. 40 bis 103 n. Chr.) und Horaz (65–8 v. Chr.) oder Kirchenväter wie Tertullian (ca. 160–220 n. Chr.) und Augustinus (354–430 n. Chr.), um nur einige zu nennen. Bei der Lektüre dieser Texte muss man sich allerdings immer vor Augen halten, dass sie die Sichtweise des Publikums vermitteln, genauer gesagt der Zuschauer aus der gebildeten Oberschicht, die in ihre Beschreibung der Kämpfe ihre Ansichten über die römische Gesellschaft einfließen lassen.

Die literarischen Zeugnisse beziehen sich überwiegend auf die Gladiatorenkämpfe in Rom selbst, für das übrige Italien und die Provinzen sind Inschriften von höchster Bedeutung. Ehrenbeschlüsse liefern wichtige Informationen über die Ausrichter der Gladiatorenkämpfe, für die Gladiatoren selbst sind deren Grabinschriften von größter Bedeutung. Denn aus diesem Material kann man nicht nur ‹technische› Daten wie Namen, Lebenserwartung, Anzahl von absolvierten Kämpfen, Familienstand und Karriereverläufe ablesen, sondern auch Erkenntnisse über die Selbstwahrnehmung der Gladiatoren, über Feindschaft und Kameradschaft und die Orientierung an mythologischen Kämpfern gewinnen. Gladiatoren waren auch ein überaus beliebtes Motiv in der römischen Bildkunst, ob auf Terra Sigillata, auf Öllämpchen, steinernen Reliefs und Mosaiken, und aus diesen Darstellungen lässt sich ermitteln, wie die Gladiatoren bewaffnet waren und welche Paarungen von Waffengattungen üblich waren. Ergänzend kann man hier die Gladiatorenwaffen hinzuziehen, die sich vor allem in Pompei in großer Zahl erhalten haben. Die Struktur des Zuschauerraums lässt sich an den zahlreichen erhaltenen Amphitheatern ablesen, von denen viele mit Inschriften versehen sind, die uns über die Sitzordnung Auskunft geben.

In neuerer Zeit hat die experimentelle Archäologie an Bedeutung gewonnen. Einige Gruppen von «Hobbygladiatoren» haben Waffen und Rüstungen rekonstruiert und in Kämpfen gegeneinander erprobt. Wissenschaftlich fundiert sind vor allem die unter Leitung von Marcus Junkelmann durchgeführten Experimente, denen ein gründliches Studium der Schrift- und Bildquellen vorausging. Der kulturellen Bedeutung von Gladiatorenkämpfen im antiken Rom lässt sich durch das sogenannte «Reenactment» nicht auf die Spur kommen, aber die Experimente haben unsere Kenntnis vom konkreten Ablauf der Kämpfe auf eine neue Ebene gehoben und manche früher übliche Vorstellung als unhaltbar erwiesen.

Und schließlich sind als letzte wichtige Erkenntnisquelle die Knochenfunde zu nennen. In den 1990er Jahren wurde in Ephesos ein sensationeller Fund gemacht, ein Gladiatorenfriedhof mit zahlreichen Gräbern, die eindeutig den Kämpfern der Arena zugewiesen werden konnten. Die Skelette lieferten wichtige Erkenntnisse über die Ernährung der Gladiatoren, über ihren Körperbau und damit auch über die Trainingsmethoden. Die in den literarischen Quellen genannte gute medizinische Versorgung der Gladiatoren wurde durch die Knochen, die komplizierte Operationen erkennen ließen, eindrucksvoll bestätigt; die häufigen Verletzungen an den Extremitäten lassen erkennen, welches die verwundbarsten Partien der Gladiatoren waren. In der Gesamtheit liefern die verfügbaren Quellen ein dichtes, facettenreiches und umfassendes Bild von den römischen Gladiatorenkämpfen.

II. Der Kontext: Öffentliche Schauspiele im antiken Rom

1. Theateraufführungen, Wagenrennen, griechischer Sport, Seeschlachten

Gladiatorenkämpfe waren wichtige Ereignisse, aber es gab noch weitere regelmäßige öffentliche Schauspiele (spectacula) im antiken Rom. Die Bedeutung der spectacula war enorm, und zwar in allen Phasen der römischen Geschichte von der frühen Republik bis in die Spätantike. Allein die anwesende Menschenmenge verlieh den Spielen Gewicht, denn die größten Menschenansammlungen fanden sich nicht im Rahmen politischer Veranstaltungen zusammen, sondern in Circus, Amphitheater, Theater und Stadion. Und die Zuschauerschaft war nicht nur groß, sondern deckte auch das ganze Spektrum der römischen Gesellschaft ab, vom Sklaven bis zu den führenden Senatoren und dem Kaiser höchstpersönlich. Anders als in modernen Sportarenen war die Zuschauerschaft strikt nach ihrem gesellschaftlichen Status geordnet: Die vordersten Ränge waren für die höchsten Stände reserviert, und je weiter man nach hinten kam, desto geringer war der materielle Wohlstand und das soziale Ansehen der Besucher. Bei den öffentlichen Spielen wurde somit die römische Gesellschaft einerseits als schichtenübergreifende Einheit begriffen, andererseits aber auch die Schichtung deutlich gemacht.

Theateraufführungen (ludi scaenici) und Wagenrennen (ludi circenses) waren organisatorisch miteinander verknüpft, sie fanden jährlich an einem festen Termin zu Ehren einer Gottheit statt: Es gab die ludi Romani für Jupiter im September, die ludi Plebei für Ceres im November und die ludi Apollinares für Apollon im Juli. Zu diesen regelmäßigen Festen traten solche hinzu, die einmalig und aus besonderem Anlass organisiert wurden, beispielsweise von einem Feldherrn nach einem siegreichen Feldzug oder bei den Begräbnisfeierlichkeiten eines angesehenen Mannes. Die ludi scaenici fanden bis zum Jahr 55 v. Chr., als das Pompeiustheater auf dem Marsfeld eingeweiht wurde, in hölzernen Behelfskonstruktionen statt. Der Senat hatte lange die Errichtung eines steinernen Theaters blockiert, und zwar nicht deswegen, weil die Aufführungen nicht populär gewesen seien, sondern gerade wegen ihrer Beliebtheit: Man hatte befürchtet, dass der Erbauer eines dauerhaften Theaters allzu großes Prestige gewänne. Das Unterhaltungsangebot hatte wenig mit heutigen großen Bühnen zu tun, denn es gab zwar auch Tragödien und Komödien, die stark von griechischen Traditionen beeinflusst waren und formal durchaus modernen Bühnenstücken ähneln, besonders beliebt waren aber Musikaufführungen und zwei eigentümliche italische Gattungen, Mimus und Pantomimus: Beim Mimus handelte es sich um ein derbes volkstümliches Lustspiel, dessen Hauptmotiv der Ehebruch und seine Konsequenzen bildete; ein festgelegtes Rollenbuch gab es nicht, Spielraum für Improvisationen und Interaktion mit dem Publikum war vorhanden. Beim Pantomimus choreographierte ein Tänzer in verschiedenen Rollen, die durch unterschiedliche Masken und Kostüme markiert waren, eine Handlung, die von dem begleitenden Chor besungen wurde. Manche Mimen und Pantomimen brachten es im republikanischen und kaiserzeitlichen Rom zu großer Berühmtheit, doch ihr sozialer Status war niedrig. Denn bei ihnen handelte es sich zumeist um Sklaven oder Freigelassene, römische Bürger unter den Schauspielern unterlagen der sogenannten infamia, die eine Herabsetzung der Ehre und eine rechtliche Diskriminierung nach sich zog. Nach römischer Anschauung galt es als unfein, mit seinem Körper Geld zu verdienen, und dies galt insbesondere für die stark sexualisierten Theateraufführungen.

Betrachtet man die anwesende Menschenmenge, waren die Wagenrennen die größten Spiele. Der Circus Maximus in Rom, der bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. angelegt, allerdings erst 103 n. Chr. als steinerner Bau vollendet wurde, hatte inklusive der Zuschauerränge eine Länge von 600 und eine Breite von 140 Metern; er fasste mindestens 150.000 Menschen. Die üblichen und beliebtesten Rennen wurden mit Viergespannen (quadrigae) ausgetragen, deren Beherrschung an Kraft und Geschicklichkeit der Lenker höchste Anforderungen stellte, Zweigespanne (bigae) galten hingegen als Anfängergefährte. Eine Besonderheit der römischen Wagenrennen bestand darin, dass sie von Rennställen bestritten wurden: Es gab die Roten, die Weißen, die Grünen und die Blauen, die in einem harten Wettbewerb um die besten Pferde und Lenker standen und deren Farben – ähnlich wie heutige Fußballtrikots – einen hohen Identifikationswert bei den Fans besaßen. Die Rennställe waren große Unternehmen mit zahlreichen Mitarbeitern und hohem Finanzbedarf, sie verfügten über Hauptquartiere mit Stallungen in Rom selbst und über große Gestüte im Umland. Der Bedarf an Pferden war enorm, denn an einem Tag der ludi circenses fanden üblicherweise 24 Rennen statt, an denen gemäß der Vierzahl der Rennställe entweder vier, acht oder zwölf Gespanne antraten. Sieben Runden waren zu absolvieren, und es entfaltete sich ein rasantes Schauspiel, das für reichlich Nervenkitzel sorgte: Auf den Geraden konnten nach modernen Experimenten Spitzengeschwindigkeiten über 60 Stundenkilometern erreicht werden, vor den Wendepunkten musste das Tempo erheblich reduziert werden; dennoch konnte es zu Unfällen kommen, wenn Wagen aneinanderstießen oder zu eng um die Kurve geführt wurden, so dass sie mit der Wendemarke kollidierten. Die Wagenlenker wurden für ihren Mut und ihre Geschicklichkeit bewundert, und sie erhielten im Erfolgsfall hohe Preisgelder, ihr rechtlicher Status war aber ähnlich niedrig wie derjenige der Schauspieler.

Bisweilen fanden im Rahmen der ludi auch Boxkämpfe statt. Während dabei zunächst Italiker antraten, die mit einem Lendenschurz bekleidet waren, fanden die Römer bald auch Gefallen am Athletismus griechischer Tradition, bei dem die Sportler technisch besser ausgebildet waren und nackt antraten. Zunächst fanden solche «griechischen Wettkämpfe» (certamina graeca) im Zuge von Triumphalspielen statt, wenn römische Feldherren, die im Osten Kriege gewonnen hatten, neben erbeuteten Schätzen und exotischen Tieren auch griechische Athleten präsentierten. 80 v. Chr. mussten sogar die Olympischen Spiele auf ein Rumpfprogramm reduziert werden, weil der römische Dictator Sulla alle guten Sportler nach Rom geholt hatte. In der Kaiserzeit schließlich wurden Wettkämpfe in Rom nach dem Vorbild Olympias in vierjährigem Turnus organisiert: 86 n. Chr. wurden erstmals die Capitolia durchgeführt, für die Kaiser Domitian (81–96 n. Chr.) eigens ein Stadion hatte errichten lassen, dessen Grundriss sich noch heute an der Piazza Navona ablesen lässt. Übernommen wurde der komplette Kanon griechischer Sportarten, also Boxkampf, Ringkampf und das dem heutigen Ultimate Fighting vergleichbare Pankration, verschiedene Laufdisziplinen sowie Diskus- und Speerwurf.

Besonders aufwändige Schauspiele boten die Naumachien, inszenierte Seeschlachten auf natürlichen oder künstlichen Gewässern. Augustus (27 v. Chr.–14 n. Chr.) ließ in der Nähe des Tiber ein Bassin ausheben, um den Römern eine Schlacht bieten zu können, an der neben den Ruderern 3000 Kämpfer auf den Decks zahlreicher Schiffe teilnahmen. Noch übertroffen wurde Augustus hierin von Claudius (41–54 n. Chr.), der einen für die Schifffahrt wichtigen Kanaldurchstich in Mittelitalien durch eine gewaltige Naumachie auf dem Fuciner See feiern ließ, bei der eine große Anzahl von Drei- und Vierruderern, also großen Kriegsschiffen, wie sie bei der römischen Flotte im Einsatz waren, mit insgesamt 19.000 Menschen bemannt wurde. Die Uferzone war mit Flößen eingefasst, damit die zum Kampf verurteilten Besatzungen der Schiffe nicht entkommen konnten; zusätzlich konnten die auf den Flößen stationierten Soldaten die Schiffe mit Katapulten beschießen. Eine große Menschenmenge strömte zusammen, die Böschung des Sees und umgebende Hügel boten ihnen ein natürliches Zuschauerrund. Ausgefochten wurde diese Schlacht von verurteilten Verbrechern, und nur bei diesem Schauspiel ist der viel zitierte Spruch überliefert: «Ave Caesar, die Todgeweihten grüßen Dich!» (Ave Caesar, morituri te salutant.) Für Gladiatoren hingegen, die in der populären Rezeption gerne mit diesem Ausspruch verbunden werden, ist er nicht überliefert. Claudius soll übrigens ironisch «Oder nicht» geantwortet haben, was von den Verurteilten zunächst als Begnadigung missverstanden wurde.

Es gab also eine breite Palette öffentlicher Spiele in Rom, die bislang vorgestellten hatten – mit Ausnahme der Naumachien – griechische Vorbilder oder Parallelen. Die Gladiatorenkämpfe hingegen, deren Entwicklung es jetzt näher vorzustellen gilt, waren eine genuin römische oder zumindest italische Erfindung.

2. Bestattungssitten und Politik: Anfänge und Entwicklung der Gladiatur

Es ist eine alte Forschungskontroverse, ob es andernorts in Italien Vorbilder für die römischen Gladiatorenkämpfe gab. Wandmalereien in Etrurien und Kampanien zeigen bewaffnete Zweikämpfe im Kontext von Bestattungsritualen, und diese können durchaus bei der Entstehung der römischen Gladiatur Pate gestanden haben. Dies bleibt allerdings spekulativ, denn genauer Ablauf und gesellschaftliche Bedeutung der altitalischen Zweikämpfe sind mangels zuverlässiger Schriftquellen nicht zu ermitteln. Gleiches gilt für den ebenfalls auf Wandmalereien abgebildeten Phersu-Kampf, bei dem ein Mann mit verbundenen Augen gegen einen großen Hund kämpfen musste.

Das erste munus (Pl. muneramunusHecyra