Rudolf Simek
GÖTTER UND KULTE
DER GERMANEN
Verlag C.H.Beck
Walhalla, Thor, Elfen und Trolle – noch immer sind die vorchristlichen Religionen der Germanen mitsamt ihren «barbarischen Kulten» (so Tacitus in seiner Germania) von einer Aura des Geheimnisvollen umgeben. Dazu beigetragen haben vor allem spätere Zeiten, die diese heidnischen Glaubensformen entweder verteufelten (wie etwa der Humanismus) oder wiederzubeleben versuchten (so die Romantik oder die sog. Nordische Renaissance).
Das vorliegende Buch liefert einen ebenso knappen wie informativen Überblick über die religiöse Welt der Germanen, über Opferkulte, Kultstätten, Götterwelt und niedere Mythologie sowie über Magie und Totenreich. Der Autor hält sich dabei bewußt vor allem an die authentischen Quellen und archäologischen Zeugnisse und zeigt, daß sich heute keineswegs mehr von einer einzigen oder gar einheitlichen Religion der Germanen sprechen läßt.
Rudolf Simek ist Professor für mittelalterliche deutsche und skandinavische Literatur an der Universität Bonn. In der Reihe Beck Wissen liegen von ihm vor: Die Edda (2007) und Die Wikinger (62016).
Vorwort
1. Waffen, Moore, Quellen: Opferkulte der Eisenzeit
Waffenbeuteopfer
Das gemeinschaftliche Opfermahl
Menschenopfer
Wagen- und Radopfer
Private Opfer
2. Gold und Festhallen: Kultgebäude und heilige Stätten während der Völkerwanderungszeit
Brakteaten
Guldgubber
Tempel oder Kulthalle – der hof
3. Die Götterwelt des germanischen Altertums
Holzgötzen und Kultpfähle: Die ältesten Zeugnisse der germanischen Götterwelt
Germanische Götter bei den Römern
4. Die Götterwelt der Merowinger- und der Wikingerzeit
5. Riesen, Zwerge und Alben: Die niedere Mythologie
6. Magie
7. Tote, Untote und das Reich der Hel
Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Forschungsliteratur
Register
Ausgangspunkt der folgenden Darstellung der heidnischen Religionen der germanischen Stämme ist der Versuch, die vorchristliche Religion soweit wie möglich nach authentischen Quellen zu behandeln. Viele ältere Werke haben sich bemüht, den in Vielem enigmatischen heidnischen Vorstellungen und Gebräuchen der Germanen mit Hilfe von mittelalterlichen Mythographen und deren historisierenden Werken, mit Hilfe neuzeitlichen Brauchtums und Volksglaubens, das die Christianisierung überlebt haben mag, und nicht zuletzt mit Vergleichsmaterial aus den anderen indoeuropäischen Religionen auf die Spur zu kommen. Meist wurden auch die eddischen Götterlieder als Primärquelle herangezogen, wobei deren zum Großteil christlich-mittelalterliche Entstehungszeit bewußt oder unbewußt ignoriert wurde. Dort, wo wir für Mythen oder Kultbräuche verläßliche vorchristliche Quellen vorliegen haben, werde auch ich auf diese späteren – und meist ausführlicheren – Fassungen vergleichsweise zurückgreifen. Ich will zudem die Aussagen der christlichen Autoren, soweit sie dem Heidentum noch zeitlich nahestehen, heranziehen, denn in ihren Verurteilungen heidnischer Bräuche zeichnen kirchliche Verfasser oft noch ein spannendes Bild vom Überleben heidnischen Gedankenguts ein oder zwei Generationen nach der offiziellen Christianisierung der betroffenen Stämme.
In erster Linie aber sollen das reiche Material der archäologischen Funde der letzten Jahrzehnte sowie die zeitgenössischen literarischen Darstellungen herangezogen werden. Letztere sind sowohl in den Schriften ausländischer Beobachter, also spätantiker, christlicher oder auch arabischer Autoren, zu finden, als auch in den einheimischen Schriftzeugnissen heidnischer Zeit, wie sie uns in den noch vor der Christianisierung entstandenen Skaldengedichten und Runeninschriften begegnen.
Das vorliegende Büchlein kann und will keine Wirkungsgeschichte der germanischen Religion zeichnen, die Auffassungen von heidnischer Vorzeit im Hochmittelalter und Humanismus stehen ebenso am Rande wie ihre Dienstbarmachung in der deutschen Romantik, der sog. nordischen Renaissance in Skandinavien oder aber im Dritten Reich. Auch die vielfältigen, zweifellos kontroversen Bemühungen um eine Wiederbelebung germanischer Religion im heutigen Skandinavien, England, Amerika und auch Deutschland sollen hier nicht angesprochen werden, selbst wenn sie noch weitgehend wissenschaftlicher Bearbeitung harren. Vordringliches Ziel scheint mir vielmehr eine phänomenologische Darstellung des reichen Materials, das wir für die germanischen religiösen Vorstellungen im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung besitzen, selbst wenn es sich mitunter recht hartnäckig der Interpretation widersetzt. Es ist daher mein erklärtes Ziel, spekulative Interpretationen soweit wie möglich zu vermeiden und nur dort Deutungen vorzulegen, wo diese von der Forschung weitgehend abgesichert oder durch neue Funde offenbar geworden sind. Wenn also viele Fragen offenbleiben, dann ganz bewußt, da eine oberflächliche Harmonisierung oder voreilige Schlüsse die noch immer großen Probleme der Forschung zu sehr verdecken würden.
Eine der Lehren, die schon vorweg aus den Forschungen der letzten Jahrzehnte gezogen werden darf, ist, daß man kaum mehr von einer einzigen, gar einheitlichen Religion der Germanen sprechen kann. Zu groß sind die räumlichen, zeitlichen und kulturellen Unterschiede zwischen unseren Quellen, und zu groß sind auch die kulturellen und sozialen Unterschiede zwischen den germanischen Stämmen auf ihren verschiedenen Entwicklungsstufen, welche über knapp eineinhalb Jahrtausende hinweg große Teile Nord- und West-, aber auch Mitteleuropas besiedelten. Man vergleiche nur beispielsweise die Unterschiede zwischen den urban-romanisierten Ubiern am Mittelrhein im zweiten Jahrhundert und den noch viel archaischer lebenden Sachsen und Friesen im achten Jahrhundert oder etwa die enormen zivilisatorischen Unterschiede zwischen den oberitalienischen Langobarden und den Isländern im neunten Jahrhundert. Es folgt daraus, daß man nicht von der Religion der Germanen, sondern wohl von den Religionen der germanischen Stämme reden muß, und wenngleich uns eine genaue Abgrenzung zwischen den Manifestationen der religiösen Vorstellungen nur äußerst selten gelingt, so erleichtert diese Erkenntnis doch den Umgang mit den vielen voneinander abweichenden und widersprüchlichen Funden und Befunden aus dem ersten Jahrtausend. Neben den Abweichungen gibt es selbstverständlich auch beträchtliche Kontinuitäten über lange Zeiträume hinweg, so etwa die Verehrung der Götter in Form hölzerner Pfähle, die Namen der Hauptgottheiten Odin und Frigg oder die Schlachtung von Pferden und Rindern im Rahmen kollektiver Opferfeiern.
Dies ist aber nur auf den ersten Blick überraschend, denn die über etwa 1500 Jahre greifbare Religion vorchristlicher germanischer Stämme war keine kodifizierte Religion, hatte also keine gemeinsame, irgendwie festgehaltene Basis, sondern war auf den weitreichenden Wanderungen der Germanen und ihren vielfältigen ethnischen Durchmischungen mit anderen europäischen (und selbst außereuropäischen) Völkern zweifellos enormen äußeren Einflüssen und inneren Wandlungen ausgesetzt.
Zum anderen spielte spätestens seit dem dritten Jahrhundert n. Chr. die ständige Berührung und Auseinandersetzung mit dem Christentum für die germanischen Stämme eine viel größere Rolle als früher angenommen. Als Beispiel dafür aus noch sehr später Zeit sei genannt, daß man die Erwähnungen des Heidentums in der mittelalterlichen isländischen Literatur, selbst wenn sie schon nach der Christianisierung verfaßt wurde, früher gerne als Reste autochthoner einheimisch-germanischer Überlieferung gedeutet hat. Inzwischen aber hat sich herausgestellt, daß die isländischen Siedler bei der Landnahme im neunten und zehnten Jahrhundert nur zum geringeren Teil direkt aus dem (heidnisch-germanischen) Norwegen, sondern häufig auf Generationen dauernden Umwegen über die (längst christianisierten) Inseln Schottlands oder gar über das (tief keltisch-christliche) Irland nach Island gelangten. Dies hat zur Konsequenz, daß die gesamte Gedankenwelt (und somit auch die Mythologie) der Isländer, selbst wo sie sich während des zehnten Jahrhunderts noch als pagan verstanden, weitgehend von christlichem Gedankengut durchdrungen sein mußte.
Trotz der weiten Verbreitung germanischer Stämme in Europa liegt der Schwerpunkt der Darstellung in Südskandinavien, von wo auch die größte Funddichte stammt. Daneben werden aber selbstverständlich auch die Belege für die Religion der Südgermanen aus Deutschland und den Niederlanden sowie der angelsächsischen Bevölkerung Großbritanniens herangezogen, und selbst die bis weit nach Südeuropa vorgedrungenen Goten liefern vereinzelt Informationen über ihre vorchristliche Religion, auch wenn sie als erste und schon sehr früh das Christentum übernommen hatten.
Die Darstellung der germanischen Religion(en) auf Grund möglichst nur authentischer Quellen wird also gegenüber herkömmlichen Darstellungen gleichzeitig weniger und mehr enthalten: weniger Spekulationen, weniger mythologisch-historisierende Geschichtchen mittelalterlicher Historiographen oder dichterischer Bearbeitungen, aber gleichzeitig ein Mehr an historischen Fakten, an neuen Funden, und somit ein Mehr an Erkenntnis über Kult und Glauben germanischer Stämme, wie sie sich als lebendige Religion darstellen und nicht so sehr durch den Rückspiegel gelehrter mittelalterlicher Historiker.
Bonn, Herbst/Winter 2003
Die Opfer und andere Kultformen gehörten schon immer zu dem Bereich der germanischen Religion, über den man gut Bescheid zu wissen glaubte, beschrieb doch schon der römische Historiker Tacitus 96 n. Chr. sowohl den Kult der Nerthus (auf einer Ostseeinsel?) als auch ein germanisches Opferzeremoniell im Hain der Semnonen (zwischen mittlerer Elbe und Oder?). Spätere Autoren beschrieben die blutigen Praktiken der völkerwanderungszeitlichen skandinavischen Stämme. Auch die hochmittelalterlichen isländischen Sagaverfasser hatten konkrete Vorstellungen, wie die wikingerzeitlichen Opfer an die heidnischen Götter vor sich gegangen waren, und boten recht farbenprächtige Schilderungen dieser heidnischen Götzenopfer, die von der Forschung dann auch zur Rekonstruktion heidnischer Kulte herangezogen wurden. Allzuoft sind diese literarischen Erzählungen der Isländer jedoch mehr von eigenen christlichen Erfahrungen und historischem Übereifer getragen als von tatsächlichen Kenntnissen über den schon 200 oder 300 Jahre zurückliegenden Heidenkult, so daß die oft als blutrünstig beschriebenen heidnischen Opfer stark von der christlichen Dämonisierung der alten Götter geprägt sind.
In den letzten Jahrzehnten haben wir aber auf Grund neuerer archäologischer Ausgrabungen eine solche Menge an Material über die germanischen Opferkulte dazugewonnen, daß ältere Funde ergänzt und unser Wissen um Opferformen enorm vermehrt werden konnten, sich gleichzeitig aber die mittelalterlichen literarischen Schilderungen zum Teil als nur halb richtig, zum Teil sogar als falsch erwiesen haben. Dabei hat sich zum einen gezeigt, daß bestimmte Opferformen, wie z.B. das Waffenbeuteopfer, wesentlich verbreiteter waren, als nach den älteren Funden angenommen; zum anderen wurde deutlich, daß sich der Anspruch der literarischen Quellen bei Nennung großer Kultzentren, wie Uppsala für Schweden, Mære für Norwegen und Lejre für Dänemark, bislang archäologisch kaum erhärten hat lassen. Dafür sind andere, in den historischen Quellen nicht als einschlägig erwähnte Orte wie der Bereich um Gudme in Ostfünen oder die Insel Bornholm als Kult- und Herrschaftszentren neu ins Licht getreten.
Einen Nachteil haben die archäologischen Funde als Quelle der Opferkulte allerdings. Sie zeigen uns zwar die physischen Reste von Opferungen, sagen uns aber leider nur ganz vereinzelt etwas über die Vorgänge während der Opferfeiern, deren Spuren sich nicht erhalten haben: Die Tänze, die Gesänge, die Worte, die Riten, welche die Feiern begleitet und eigentlich konstituiert haben, sind nicht erhalten, sondern nur die Gegenstände, die am Ende der Opferfeier übriggeblieben sind. Zwar können uns auch diese Funde etwas über den Verlauf der Opferfeiern sagen, aber eben nur punktuell. So wissen wir von der rituellen Schlachtung von Pferden und Ochsen und deren gemeinsamem Verzehr bei den großen Opfermählern oder von der willentlichen Zerstörung von Tausenden von Waffen und ihrer Verbrennung auf Scheiterhaufen, bevor sie in Mooren versenkt wurden, bei den Kriegsbeuteopfern. Über die Tötung und Skalpierung von Menschenopfern und deren Versenkung in Seen berichten die stummen Zeugen des germanischen Altertums ebenso wie über die privaten Niederlegungen von wertvollen Fibeln und kostbaren Schwertern in solchen Moorseen. Selbst über die Opfer im Rahmen von fürstlichen Begräbnissen – etwa die Schlachtung, Enthauptung und Beisetzung zahlreicher Pferde – wissen wir Bescheid (vgl. dazu Kap. 7).
Im folgenden sollen die wesentlichsten Formen der heute durch Quellen belegten Opfer aus dem germanischen Bereich besprochen werden: die Waffenbeuteopfer, die großen Opfermähler, die Menschenopfer, die Rad- und Wagenopfer und schließlich die formal viel schwerer zu erfassenden privaten Opfer.
Zweifellos die spektakulärsten faßbaren Überreste germanischer Opfertätigkeit sind die massiven Waffenopferfunde, von denen sich zwischen den letzten Jahrhunderten vor der Zeitenwende und der Mitte des 1. Jahrtausends n. Chr. nunmehr schon eine ganze Reihe nachweisen lassen, wobei das geographische Zentrum dieser speziellen Form der Opfertätigkeit ganz eindeutig auf Jütland und Fünen liegt. Geographisch von Süden nach Norden und dann nach Osten fortschreitend, sind die folgenden großen Waffenopferfunde derzeit bekannt und wenigstens teilweise archäologisch einigermaßen erforscht: Thorsberg in Schleswig mit drei Waffenopfern aus dem 2., 3. und 4. Jahrhundert; Nydam in Angeln mit insgesamt fünf Waffenopfern aus dem 3. Jahrhundert, der Zeit um 300 und 350 (alle Nydam I), zwei aus dem frühen 5. (Nydam II und III) und einem (Nydam IV) aus dem späten 5. Jahrhundert; Hjortspring mit einem Waffenopfer schon aus der späten Bronzezeit; Ejsbøl mit zwei Deponierungen (um 300 und um 400); Illerup Ådal mit drei Deponierungen (um 200, 4. Jh., 5. Jh.) sowie Vimose, Kragehul und Illemose auf Fünen; Hassle Bösarp auf Schonen; Balsmyr auf Bornholm; Skedemosse auf Öland mit vier Waffenopferfunden aus dem 3. und 4. Jahrhundert, um 400 und dem Ende des 5. Jahrhunderts.
Trotz dieser erstaunlichen Dichte an bekannten Opferplätzen vor allem in Südjütland konnte eine ganze Reihe weiterer derartiger Plätze auf Jütland, auf Fünen und in Schweden zwar schon nachgewiesen werden, sie sind bislang aber noch nicht ausreichend archäologisch ergraben, um bereits fundierte Aussagen darüber machen zu können.
Die ideelle Grundlage der sogenannten Waffenbeutedeponierungen in Mooren und vermoorten Seen war die Vorstellung, daß man einem Gott oder einer jenseitigen Macht zum Dank für das von ihm oder ihr erheischte und gewährte Kriegsglück offenbar das gesamte Besitztum des besiegten Heeres nach der Schlacht als Votivgabe opferte. Derartige Praktiken germanischer Stämme hatten schon die Römer während der ersten Germanenzüge entsetzt und fasziniert. Am ausführlichsten berichtet Orosius, wohl nach älteren Quellen, in seiner Historia adversus paganos (5. Jh.) über die für die Römer traumatische Schlacht gegen die Kimbern bei Arausio an der Rhône (6. Okt. 105), nach der die siegreichen Germanen «infolge eines außergewöhnlichen Schwures» (also eines Gelübdes) die ganze reiche Beute, die das römische Heer zurücklassen mußte, systematisch vernichteten: «Die Gewänder wurden zerrissen und in den Kot getreten, das Gold und Silber in den Strom geworfen, die Panzer der Männer zerhauen, der Schmuck der Pferde vernichtet, die Pferde selbst in den Strudeln des Stromes ertränkt, die Menschen mit Stricken um den Hals an Bäumen aufgehängt, so daß der Sieger nichts von der unermeßlichen Beute erhielt, der Besiegte kein Erbarmen erfuhr» (V, 16). Über eine andere Schlacht, nun schon des Jahres 405, berichtet er, daß die Goten vor der Schlacht gelobt hatten, alle gefangenen Römer zu opfern (VII, 37). Dagegen ist es vielleicht eine etwas phantasievollere Ausgestaltung, wenn Strabo (VII. 2, 3) über die Schlacht von Arausio erzählt, daß bei den Kimbern Priesterinnen in langen weißen Gewändern den Kriegsgefangenen an eisernen Kesseln die Kehle durchschnitten, um aus ihrem so aufgefangenen Blut zu weissagen.
Wichtige Waffenopferplätze in Südskandinavien.
Jedenfalls zeigen aber auch die nordeuropäischen Waffenbeutefunde, daß bei der Vernichtung der Beute gründlich vorgegangen wurde: Schwerter wurden mehrfach verbogen, Lanzenspitzen und Dolche umgebogen, Schwertbuckel zerschlagen oder zerstochen, wohl um all die Waffen mit Sicherheit einer etwaigen zukünftigen Benutzung zu entziehen. Im ohnehin an natürlichen Eisenvorkommen armen Südskandinavien muß es in der Tat ein «Opfer» der Sieger gewesen sein, die zum Teil wertvollen, wenigstens aber nützlichen Ausrüstungsgegenstände der Besiegten nicht an sich zu nehmen, sondern zu vernichten. Zu den Waffen kam die ganze weitere militärische Ausrüstung: Zaumzeuge und Sporen, Gürtel und Scheiden, Feuerzeuge und Werkzeuge der Armeen wurden nach ihrer physischen Destruktion dann zum Teil noch auf einem Scheiterhaufen verbrannt, so daß wir – wie im Falle der Funde von Ejsbøl und Illerup Ådal – nur die Metallgegenstände nachweisen können, während Schilde, Pfeil- und Lanzenschäfte, Bogen und überhaupt alle organischen Materialien ein Raub der Flammen wurden. Im Zuge der Demolierung der Waffen und vor ihrer endgültigen Vernichtung auf dem Scheiterhaufen dürfte es dennoch ein uns unbekanntes Ritual gegeben haben, das sich nur noch ganz dürftig darin manifestiert, daß vereinzelt Gegenstände mit Runeninschriften versehen wurden, und zwar in diesem wohl kurzen Intervall zwischen Zerstörung/Verbrennung und Versenkung. Zwar sind die Inschriften reichlich kryptisch, denn sie dürften mit der Symbolik der Runennamen operiert haben, aber möglicherweise treten uns in diesen Inschriften (von denen acht von Illerup Ådal, sechs aus Vimose, zwei aus Thorsberg stammen) die stark gekürzten Hinweise auf die Rezipienten der Opfer (Schnalle von Vimose: «… dem Asen weihe ich …») oder den Opferplatz (Hobel von Vimose: hleuno «der geschützte Ort») entgegen. Götternamen finden wir hingegen nicht, auch wenn man aus der Ritzung owl auf einer Schwertscheide aus Thorsberg fälschlich den Götternamen Ullr rekonstruieren hat wollen, der aber sonst für das ganze 1. Jahrtausend unbelegt ist. Es waren also wohl noch nicht so sehr die persönlichen Götter als vielmehr die jenseitigen, aber in anthropomorpher Gestalt in Form von hölzernen Stelen verehrten Mächte oder Götter (altnord. áss «Gott» ist verwandt mit ans «Balken»: vgl. Kap. 3), denen man diese riesigen Opfer weihte. Am Ende der Opferhandlung stand das Versenken der Opfergegenstände in den Moorseen, nachdem man die Gegenstände im Falle der Verbrennung auch noch aus der Asche geklaubt, sortiert und gebündelt hatte. Dieser Akt der Versenkung ist wohl als die eigentliche Opferhandlung, also die Übergabe an die Jenseitigen, zu verstehen, und damit wurden die Waffen endgültig als dem menschlichen Zugriff entzogen betrachtet.
Das Ausmaß dieser Opferungen ist jeweils beträchtlich: In Ejsbøl konnten für die beiden Deponierungen zusammen etwa 2500 Artefakte, dazu noch 1000 bearbeitete Holzstücke, 8000 Steine und 320 Fragmente von Tierknochen geborgen werden. Wo die hölzernen Gegenstände nicht verbrannt wurden, wie in den Nydam-Funden, ist die Zahl noch größer: Hier wurden Tausende von Waffen gefunden, darunter auch zahlreiche reichverzierte Lanzenschäfte und Pfeile. In Ejsbøl sind die in der älteren, nördlichen Deponierung gefundenen Gruppen von Waffen so aussagekräftig, daß der Ausgräber (M. Ørsnes) daraus die Größe der besiegten feindlichen Armee mit etwa 200 Mann angeben kann. Davon besaßen nur neun ein Pferd, etwa 60 von ihnen trugen Schwerter, Messer, Schilde, Speere und Lanzen, 140 weitere hatten nur Wurfspeere, Lanzen und Schilde. Im Waffenopferfund von Vimose auf Fünen fanden sich 85 Schwerter sowie 325 Speer- und 775 Lanzenspitzen, so daß hier wohl die Bewaffnung eines Heeres von über 500 Mann niedergelegt wurde.
Nicht nur die Waffen und persönlichen Ausrüstungsgegenstände, sondern sogar die Schiffe der besiegten Angreifer wurden im Moor versenkt. Sie sind selbstverständlich nur dort erhalten, wo die Opfergaben nicht auch noch verbrannt wurden, so etwa im Fund von Nydam, wo bislang insgesamt drei Schiffe gefunden wurden; davon ist allerdings nur das größte, ein 23 Meter langes Eichenschiff, erhalten, da die beiden nur wenig kleineren Kiefernholzschiffe im Krieg von 1864 von den Preußen zerstört wurden. Alle drei Schiffe stammen aus dem frühen 4. Jahrhundert und wurden absichtlich in dem kleinen See versenkt, indem Löcher in die Bodenplanken geschlagen wurden. Dazu mußten sie von der Küste zum Moorsee ein Stück über Land gezogen werden, ein nicht unbeträchtlicher Arbeitsaufwand also. Diese Schiffe sind übrigens schon ganz deutlich von dem später als Langschiffe berühmt gewordenen Typ der Wikingerzeit, weisen aber im Gegensatz zu diesen weder einen Langkiel noch Vorrichtungen für Takelagen auf, waren also reine Ruderschiffe. Noch einmal 600–700 Jahre älter ist das im nur wenige Kilometer von Nydam entfernten Moor von Hjortspring auf der Insel Als gefundene 15 Meter lange Schiff aus Lindenholz. Es gehört zum ältesten überhaupt bekannten Waffenopferfund an der Wende von der Bronze- zur Eisenzeit und entspricht vom Typ her den Schiffen auf den südskandinavischen bronzezeitlichen Felszeichnungen, war aber bereits ein Plankenschiff, das aber noch nicht gerudert, sondern gepaddelt wurde.