RAY DALIO

WELTORDNUNG IM WANDEL

RAY DALIO

WELTORDNUNG IM WANDEL

Vom Aufstieg und Fall von Nationen

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1. Auflage 2022

© 2022 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

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Die englische Originalausgabe erschien 2021 bei Simon & Schuster unter dem Titel Principles for Dealing with the Changing World Order.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Petra Pyka

Redaktion: Desirée Šimeg

Korrektorat: Anja Hilgarth

Umschlaggestaltung: Catharina Aydemir; Rodrigo Corral

Interior Design: Creative Kong

Satz: Daniel Förster

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-95972-407-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-757-0

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-758-7

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Für meine Enkelkinder und die Angehörigen ihrer Generation, die an der Fortsetzung dieser Geschichte mitschreiben: Möge die Macht der Evolution mit euch sein.

EIN WORT DES DANKES

Allen, die meinen Wissenshorizont erweitert haben: Jedem Einzelnen von ihnen bin ich zutiefst dankbar für die wertvollen Puzzleteilchen, die ich zu diesem Buch zusammenfügen konnte. Ohne unsere Gespräche, ohne die Anregungen, die ich aus ihren Schriften beziehen konnte, und ohne die historischen Fakten und statistischen Daten, die sie aus den Archiven ausgegraben haben, hätte es dieses Buch nie gegeben. Manche von ihnen weilen noch unter uns, andere nicht. Mir sind sie alle präsent. Besonders dankbar bin ich Henry Kissinger, Wang Qishan, Graham Allison, Lee Kuan Yew, Liu He, Paul Volcker, Mario Draghi, Paul Kennedy, Richard N. Haass, Kevin Rudd, Steven Kryger, Bill Longfield, Neil Hannan, H. R. McMaster, Jiaming Zhu, Larry Summers, Niall Ferguson, Tom Friedman, Heng Swee Keat, George Yeo, Ian Bremmer und Zhiwu Chen.

Mein Dank gilt aber auch Peer Vries, Benjamin A. Elman, Pamela Kyle Crossley, Sybil Lai, James Zheng Gao, Yuen Ang, Macabe Keliher, David Porter, Victor Cunrui Xiong, David Cannadine, Patricia Clavin, Duncan Needham, Catherine Schenk und Steven Pincus für ihre wertvollen Einschätzungen.

Herzlichen Dank ferner allen, die dazu beigetragen haben, diese Konzepte und Artikel zu einem Buch zu verarbeiten – was kaum minder anspruchsvoll war als ihre Entwicklung. Vor allen anderen danke ich Mark Kirby für seine unerschütterliche Hingabe, sein Talent und seine Geduld. Ebenso gilt mein Dank Michael Kubin, Arthur Goldwag, und Phil Revzin, die allesamt hilfreiche Kommentare zum Manuskript lieferten, sowie meinem Literaturagenten Jim Levine und meinem Redakteur Jofie Ferrari-Adler, die wesentlichen Anteil an der Entstehung und Veröffentlichung dieses Buches hatten.

Hinter den Kulissen haben jedoch noch viele andere maßgebliche Beiträge geleistet, zum Beispiel Gardner Davis, Udai Baisiwala, Jordan Nick, Michael Savarese, Jonathan Bost, Stephen McDonald, Elena Gonzalez Malloy, Khia Kurtenbach, Alasdair Donovan, Floris Holstege, Anser Kazi, Chris Edmonds, Julie Farnie und Brian De Los Santos und auch die gesamte Mannschaft von Bridgewater, die gemeinschaftlich die unglaublichste Lernplattform auf die Beine gestellt hat, die man sich vorstellen kann.

INHALT

Einleitung

Teil I
Wie die Welt funktioniert

1 Der große Zyklus im Zeitraffer

2 Die Determinanten

Nachtrag zu den Determinanten

3 Der große Geld-, Kredit-, Schulden- und Konjunkturzyklus

4 Wenn Geld seinen Wert verändert

5 Der große Zyklus innenpolitischer Ordnung und Unruhe

6 Der große Zyklus außenpolitischer Ordnung und Unruhe

7 Investieren mit Blick auf den großen Zyklus

Teil II
Wie die Welt in den letzten 500 Jahren funktioniert hat

8 500 Jahre im Zeitraffer

9 Aufstieg und Niedergang des niederländischen Imperiums und des Gulden im großen Zyklus

10 Aufstieg und Niedergang des britischen Empire und des Pfund Sterling im großen Zyklus

11 Aufstieg und Niedergang der USA und des US-Dollar im großen Zyklus

12 Aufstieg Chinas und des Renminbi im großen Zyklus

13 Beziehungen und Auseinandersetzungen zwischen den USA und China

Teil III
Die Zukunft

14 Die Zukunft

Anhang: Computeranalysen zur Lage der führenden Länder der Welt und ihren Aussichten

WIE DIESES BUCH ZU LESEN IST

EINLEITUNG

Die Zeiten, die vor uns liegen, werden ganz anders sein als alles, was wir bisher erlebt haben. In der Geschichte finden sich dazu aber dennoch viele Parallelen.

Woher ich das weiß? Weil es schon immer so war.

Um in meinem Beruf Erfolg zu haben, musste ich in den letzten rund 50 Jahren notgedrungen die wichtigsten Faktoren kennen, die beeinflussen, ob Länder und ihre Märkte florieren oder scheitern. Daraus lernte ich: Wenn ich mich rechtzeitig auf neue Situationen einstellen und diese meistern wollte, musste ich möglichst viele ähnliche Begebenheiten aus der Geschichte studieren, um die Abläufe zu verstehen, die dazu führten. Nur so konnte ich sie bewältigen.

Vor ein paar Jahren fiel mir auf, dass verschiedene maßgebliche Entwicklungen einsetzten, wie ich sie noch nie erlebt hatte, die sich jedoch in der Geschichte so oder ähnlich bereits abgespielt hatten. Vor allem beobachtete ich, dass eine hohe Verschuldung mit niedrigen oder negativen Zinsen zusammentraf, wodurch für die drei großen Reservewährungen der Welt die Druckerpressen angeworfen wurden, dass es in einzelnen Ländern zu heftigen politischen und gesellschaftlichen Konflikten kam – vor allem in den USA, wo die Unterschiede bei Wohlstand, politischen Einstellungen und Werten seit rund hundert Jahren nicht mehr so groß waren – und dass sich China zu einer neuen Weltmacht aufschwang, die die bisherige Weltmacht (die USA) und die bestehende Weltordnung infrage stellte. Ähnliche Entwicklungen hatte es zuletzt in den Jahren von 1930 bis 1945 gegeben. Das fand ich höchst bedenklich.

Ich wusste, ich konnte nur richtig verstehen, was da passierte, und mit künftigen Entwicklungen zurande kommen, wenn ich mich mit Präzedenzfällen befasste. So entstand dieses Forschungspapier über den Aufstieg und Fall von Imperien, ihre Reservewährungen und ihre Märkte. Anders gesagt: Um zu begreifen, was heute geschieht und in den nächsten Jahren geschehen könnte, musste ich die Abläufe analysieren, die sich hinter vergleichbaren Geschehnissen in der Geschichte verbergen, zum Beispiel den Zeitraum von 1930 bis 1945, den Aufstieg und Fall des niederländischen und des britischen Weltreichs, den Aufstieg und Fall der chinesischen Dynastien und anderen.1

In diese Forschungsarbeit war ich vertieft, als die COVID-19-Pandemie ausbrach – noch so ein dramatisches Ereignis, wie ich es selbst zwar noch nie erlebt hatte, für das es aber in der Geschichte viele Beispiele gibt. Frühere Pandemien flossen in dieses Forschungspapier ein und machten mir klar, dass überraschende Naturereignisse wie Seuchen, Hungersnöte und Überschwemmungen unbedingt als Möglichkeiten in Betracht gezogen werden müssen. Solche unerwarteten Naturgewalten kommen zwar nur selten vor, haben aber nach jedem Maßstab größere Auswirkungen als die schlimmsten Depressionen und Kriege.

Beim Studium der Geschichte erkannte ich, dass diese in aller Regel in relativ klar definierten Lebenszyklen abläuft – ähnlich wie bei Organismen, die sich von einer Generation zur nächsten weiterentwickeln. Im Grunde sind die Geschichte und die Zukunft der Menschheit einfach als Gesamtheit aller Lebensgeschichten Einzelner zu begreifen, die sich im Laufe der Zeit ereignen. Für mich laufen diese einzelnen Fäden zu einer allumfassenden Geschichte zusammen, vom Beginn historischer Aufzeichnungen bis heute. In dieser Geschichte spielt sich wieder und wieder dasselbe ab, mehr oder minder aus denselben Gründen, während sich die Entwicklung fortsetzt. Indem ich feststellte, wie sich viele ineinandergreifende Fallbeispiele gemeinsam entwickelten, konnte ich die Muster und kausalen Zusammenhänge erkennen, die ihnen zugrunde lagen. Und auf der Grundlage meiner Erkenntnisse konnte ich mir die Zukunft vorstellen. Bestimmte Ereignisse gab es in der Geschichte immer wieder. Sie waren Bestandteil des zyklischen Aufstiegs und Falls von Imperien und fast aller Aspekte, die damit zusammenhingen – also des Niveaus ihrer Bildung, ihrer Produktivität, ihrer internationalen Handelsbeziehungen, ihres Militärs, ihrer Währungen und anderer Märkte und so weiter.

Diese Aspekte oder auch Kräfte verhielten sich ausnahmslos zyklisch und standen alle untereinander in Zusammenhang. So wirkte sich beispielsweise das Bildungsniveau einer Nation auf ihr Produktivitätsniveau aus, und dieses wiederum auf das Niveau des internationalen Handelsverkehrs, was seinerseits Einfluss hatte auf die militärische Stärke, die erforderlich war, um Handelsrouten zu schützen. Im Zusammenspiel hatte das Effekte auf die Landeswährung und andere Märkte – mit Konsequenzen in vielen anderen Bereichen. Aus diesen Entwicklungen setzten sich die Jahre währenden Konjunktur- und Politikzyklen zusammen. So konnte der Zyklus eines besonders erfolgreichen Imperiums oder einer entsprechenden Dynastie 200 oder 300 Jahre dauern. Sämtliche Imperien und Dynastien, die ich untersucht habe, bewegten sich in einem klassischen großen Zyklus auf und ab. Dieser weist klare Marker auf, an denen wir erkennen können, in welchem Zyklusabschnitt wir uns gerade befinden.

So ein großer Zyklus schwankt zwischen 1) friedlichen, florierenden Phasen von hoher Kreativität und Produktivität, die den Lebensstandard enorm heben, und 2) Depression, Revolution und Kriegszeiten, in denen intensiv um Vermögen und Macht gerungen wird und viel Wohlstand, Leben und anderes Wertvolle vernichtet werden. Mir fiel auf, dass die friedlichen, kreativen Phasen deutlich länger dauerten als die Zeiten der Depression, Revolution und Kriege – im Regelfall im Verhältnis von etwa 5 zu 1. Man könnte daher sagen, dass es sich bei Letzteren um Übergangsphasen zwischen den normalen friedlichen, kreativen Zeiten handelt.

Diese friedvollen, innovativen Zeiten sind für die meisten Menschen sicherlich angenehmer, doch jede dieser Realitäten hat ihren Zweck, weil sie die Evolution vorantreibt. Im weiteren Sinne ist daher keine per se gut oder schlecht. Zeiten, in denen Depression, Revolution und Krieg herrschen, bringen viel Zerstörung mit sich, doch wie reinigende Gewitter merzen sie Schwächen und Exzesse (wie Überschuldung) aus und ermöglichen einen Neuanfang in Form einer (allerdings schmerzhaften) Rückkehr zu den Grundlagen auf solideren Füßen. Ist der Konflikt gelöst, steht fest, wer wie viel Macht besitzt. Und weil sich die meisten Menschen verzweifelt Frieden wünschen, bringt die Lösung neue geldpolitische, wirtschaftliche und politische Systeme hervor, die zusammen eine neue Weltordnung ergeben. Das schafft die Voraussetzungen für die nächste friedliche, kreative Periode. Innerhalb dieses großen Zyklus laufen weitere Zyklen ab. So gibt es beispielsweise bei der Verschuldung langfristige Zyklen, die etwa rund 100 Jahre dauern, und kurzfristige über rund acht Jahre. Auch ein solcher kurzfristiger Zyklus beinhaltet längere Phasen mit florierendem Wachstum, die von kürzeren Rezessionsperioden unterbrochen werden. Innerhalb dieser Zyklen bilden sich noch kürzere Zyklen, und so weiter.

Bevor Ihnen von dem ganzen Zyklusgerede der Kopf schwirrt – damit will ich vor allem Folgendes sagen: Gleichen sich die Zyklen an, dann verschieben sich die tektonischen Platten der Geschichte und das Leben aller Menschen verändert sich grundlegend. Solche Veränderungen können furchtbar sein, aber auch großartig. Sie werden auch in Zukunft sicherlich wieder eintreten, und die wenigsten werden damit rechnen. Anders ausgedrückt: Dass es in einem Zyklus zu Schwankungen von einem Extrem zum anderen kommt, ist die Norm – nicht die Ausnahme. Kaum ein Land in kaum einem Jahrhundert erlebte nicht mindestens eine harmonische, florierende Boomphase und eine Zeit der Depression, des Bürgerkriegs oder der Revolution. Deshalb sollten wir auf beides eingestellt sein. Doch historisch betrachtet (und auch heute) gehen die meisten Menschen davon aus, dass die Zukunft nicht sehr viel anders aussehen wird als die jüngere Vergangenheit. Der Grund dafür: Die wirklich ausgeprägten Aufschwünge und die richtig schlimmen Einbrüche ereignen sich wie so vieles höchstens einmal im Leben und kommen deshalb überraschend – zumindest für jeden, der sich vorher nie mit den Mustern befasst hat, die über viele Generationen aus der Geschichte hervorgehen. Weil zwischen den positiven und negativen Extremen so viel Zeit vergeht, dürfte die Zukunft, die uns bevorsteht, ganz anders aussehen, als es die meisten Menschen erwarten.

So hatten beispielsweise mein Vater und die meisten seiner Zeitgenossen die Weltwirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg erlebt und konnten sich daher das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit überhaupt nicht vorstellen, weil es so gar nicht in ihre Erfahrungswelt passte. Ich kann gut nachvollziehen, warum es für sie angesichts ihrer Erlebnisse nicht infrage kam, Kredite aufzunehmen oder ihre sauer verdienten Ersparnisse auf dem Aktienmarkt zu investieren. Das erklärt, warum sie vom anschließenden Boom so wenig profitieren konnten. Ich verstehe auch, warum diejenigen, die nur kreditfinanzierte Boomphasen kannten und nie eine Depression oder einen Krieg erlebt hatten, Jahrzehnte später viel Geld aufnahmen, um damit zu spekulieren. Depression und Krieg waren für sie undenkbar. Nicht anders verhielt es sich beim Thema Geld: Nach dem Zweiten Weltkrieg war »hartes« (also an Gold gekoppeltes) Geld üblich, bis die Regierungen »weiches« Geld (sogenanntes Fiatgeld) einführten, um die Kreditaufnahme zu erleichtern und zu verhindern, dass in den 1970er-Jahren Unternehmen pleitegingen. Infolgedessen glauben die meisten Menschen gerade jetzt, während ich an diesem Buch arbeite, dass sie mehr Kredit aufnehmen sollten, obwohl Schulden und kreditfinanzierte Booms in der Vergangenheit zu Depression und innen-und außenpolitischen Konflikten geführt haben.

Ein solches Geschichtsverständnis wirft auch Fragen auf, deren Beantwortung uns wichtige Hinweise darauf liefert, wie die Zukunft aussehen wird. Ein Beispiel: Solange ich lebe, war der US-Dollar die Reservewährung der Welt, die Geldpolitik ein wirksames Instrument, um die Konjunktur anzukurbeln, und Demokratie und Kapitalismus galten weithin als das überlegene Politik- beziehungsweise Wirtschaftssystem. Doch wer sich mit der Geschichte beschäftigt, merkt schnell, dass kein Regierungssystem, kein Wirtschaftssystem, keine Währung und kein Imperium ewig besteht. Dennoch sind die allermeisten überrascht und verzweifelt, wenn das Ende kommt. Mir drängt sich da förmlich die Frage auf, wie ich und die Menschen, die mir etwas bedeuten, rechtzeitig merken könnten, wann wir in eine solche Phase der Depression, der Revolution oder des Krieges geraten, und woher wir wissen könnten, wie wir sie am besten bewältigen. Weil es mein Beruf ist, Wohlstand unter allen Rahmenbedingungen zu erhalten, brauchte ich unbedingt Erkenntnisse und eine Strategie, die sich in der Vergangenheit zuverlässig bewährt hätte – auch in den schlimmsten Zeiten.

Dieses Buch soll Ihnen die Erkenntnisse vermitteln, die mir weitergeholfen haben und die meiner Ansicht nach auch Ihnen gute Dienste leisten könnten. Urteilen Sie bitte selbst.

WIE ICH LERNTE, MICH AUF DIE ZUKUNFT VORZUBEREITEN, INDEM ICH DIE VERGANGENHEIT STUDIERTE

Der eine oder andere wundert sich vielleicht, dass ein Investmentmanager, der kurzfristige Anlageentscheidungen treffen muss, so viel Augenmerk auf die langfristige Geschichte legt. Doch ich weiß aus Erfahrung, dass diese Perspektive für mich die richtige ist. Mein Ansatz ist dabei kein akademischer, der zu wissenschaftlichen Zwecken entwickelt wurde. Es ist vielmehr ein pragmatischer, nach dem ich mich richte, um meine Aufgabe zu erfüllen. Mein Beruf verlangt von mir, besser zu wissen als die Konkurrenz, wie sich Volkswirtschaften vermutlich künftig entwickeln. Deshalb habe ich rund 50 Jahre damit zugebracht, die meisten großen Volkswirtschaften und ihre Märkte genau zu verfolgen – ebenso wie die politische Situation, da sich diese auf beides auswirkt. Ich versuchte, die Vorgänge so gründlich zu durchschauen, dass ich darauf wetten konnte. Aus meinem Jahrelangen Ringen mit den Märkten und meinen Versuchen, Prinzipien aufzustellen, die mir dabei zum Erfolg verhalfen, weiß ich, dass es der Einblick in die Ursache-Wirkungs-Gefüge ist, die Veränderungen hervorrufen, der bestimmt, wie gut man die Zukunft vorausahnen und sich darin zurechtfinden kann. Und diese Kausalzusammenhänge kann nur verstehen, wer ihre bisherige Entwicklung analysiert hat.

Was mich auf diesen Ansatz brachte, war die bittere Erkenntnis, dass die größten Fehler in meiner Karriere darauf zurückzuführen waren, dass ich große Marktbewegungen verpasste, wie es sie zu meinen Lebzeiten noch nie gegeben hatte – davor allerdings schon viele Male. Die erste solche böse Überraschung erlebte ich 1971, als ich mit 22 Jahren im Sommer an der New Yorker Börse jobbte. Mir gefiel es dort. Es sagte mir zu, dieses schnell getaktete Spiel mit Gewinnen und Verlusten auf dem Parkett mit Menschen, die auch gern mal Spaß miteinander hatten – so viel Spaß, dass sich die Trader im Handelssaal sogar mit Wasserpistolen beschossen. Es faszinierte mich, die großen Entwicklungen auf der Welt zu verfolgen und darauf zu spekulieren, wie sie sich auf die Märkte auswirkten. Das konnte aber auch durchaus dramatisch werden.

Eines Sonntagabends – es war der 15. August 1971 – gab Präsident Richard Nixon bekannt, die USA würden ihre Zusage zurückziehen, dass Papierdollars in Gold eingewechselt werden konnten. Noch während ich Nixon zuhörte, wurde mir klar, dass die US-Regierung ein Versprechen gebrochen hatte und Geld, wie wir es kannten, nicht mehr existierte. Das kann nicht gut sein, dachte ich. Als ich am Montagmorgen den Handelssaal der Börse betrat, rechnete ich damit, dass dort der Teufel los sein würde, weil die Aktienkurse zum Sturzflug ansetzten. Der Teufel war tatsächlich los – allerdings in ganz anderer Hinsicht, als ich es erwartet hatte. Statt zu fallen, legte der Aktienmarkt 4 Prozent zu, während der US-Dollar einbrach. Für mich war das ein Schock – aber nur deshalb, weil ich noch nie die Abwertung einer Währung erlebt hatte. In den Folgetagen las ich nach und erkannte, dass Währungsabwertungen in der Vergangenheit schon oft ähnliche Effekte auf die Aktienmärkte gehabt hatten. Ich grub tiefer und fand heraus, warum das so war. So lernte ich etwas Nützliches, das mir in der Zukunft noch häufig zugutekommen sollte. Es bedurfte aber noch ein paar weiterer böser Überraschungen, bis ich wirklich begriffen hatte, dass ich über alle großen Konjunktur- und Marktbewegungen Bescheid wissen musste, die sich in den letzten mehr als 100 Jahren in allen maßgeblichen Ländern vollzogen hatten.

Mit anderen Worten: Hatte sich etwas Großes, Bedeutsames (wie die Weltwirtschaftskrise) in der Vergangenheit schon einmal zugetragen, konnte ich nicht ausschließen, dass mir so etwas ebenfalls widerfahren würde. Also musste ich wissen, was da vor sich gegangen war, und mich dagegen wappnen. Meine Recherchen ergaben, dass sich ähnliche Entwicklungen immer wieder abspielten (beispielsweise Depressionen), und indem ich diese studierte, wie sich ein Arzt mit verschiedenen Fällen einer bestimmten Erkrankung befasste, konnte ich mehr darüber herausfinden, wie es dazu kam. Durch eigene Erfahrungen, Gespräche mit herausragenden Fachleuten, gute Bücher und das Wühlen in Statistiken und Archiven mithilfe meines großartigen Research-Teams analysierte ich solche Phänomene qualitativ und quantitativ.

Durch die gewonnenen Erkenntnisse lässt sich eine archetypische Abfolge dessen visualisieren, was im Regelfall zu Auf- und Abschwüngen von Wohlstand und Macht führt. Der Archetyp lässt mich die Kausalzusammenhänge erkennen, die den üblichen Abläufen in solchen Fällen zugrunde liegen. Anhand des konkreten archetypischen Musters kann ich zum Erklärungsversuch Abweichungen analysieren. Anschließend setze ich diese mentalen Modelle in Algorithmen um – sowohl, um zu verfolgen, wie sich die Lage in Relation zu meinen Archetypen entwickelt, als auch, um auf ihrer Grundlage Entscheidungen zu treffen. Dieser Prozess hilft mir, die Ursache-Wirkungs-Gefüge so klar zu definieren, dass ich Entscheidungsregeln festlegen kann – also Grundsätze für den Umgang mit meinen Realitäten –, und zwar in Form von Wenn-dann-Aussagen. Das heißt, wenn X eintritt, setze ich auf Y. Anschließend beobachte ich, wie sich die eintretenden Ereignisse im Verhältnis zu meiner Vorlage und unseren Erwartungen entwickeln. Das alles geschieht durch und durch systematisch in Zusammenarbeit mit meinen Partnern bei Bridgewater Associates. Entwickelt sich alles wie erwartet, so setzen wir weiter auf die Ereignisse, die im Regelfall als Nächstes kommen. Weichen die Entwicklungen aber von unserer Vorlage ab, versuchen wir, die Gründe dafür zu ermitteln, und korrigieren unseren Kurs. Auf diese Weise konnte ich die großen Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung, die den Fortgang in aller Regel steuern, nicht nur besser verstehen, sondern eignete mir auch eine gesunde Demut an. Und so werde ich bis ans Ende meines Lebens vorgehen. Was Sie hier lesen, ist daher per definitionem unvollendet.2

DER ANSATZ, DER MEINE WELTANSCHAUUNG PRÄGT

Die Geschehnisse so zu betrachten, vermittelte mir einen anderen Blick. Die Ereignisse brachen nicht mehr unversehens über mich herein, sondern ich stand über den Dingen und konnte im Zeitverlauf Muster erkennen.3 Und je mehr miteinander verflochtene Faktoren ich auf diese Weise erkannte, desto klarer wurde mir, wie sie sich wechselseitig beeinflussen – wie beispielsweise der Konjunkturzyklus und der politische Zyklus ineinandergreifen – und wie sie über längere Zeiträume interagieren.

Meiner Ansicht nach verpassen die Menschen gewöhnlich die großen Momente der Evolution in ihrem Leben, weil sie nur winzige Bruchteile des Geschehens erleben. Wir sind wie die Ameisen, die sich in ihrer kurzen Lebenszeit der Aufgabe widmen, Krümel zu befördern, statt aus breiterer Perspektive auf die Muster und Zyklen zu schauen, die sich im Gesamtbild ergeben – auf die maßgeblichen, verflochtenen Einflüsse, die ihnen zugrunde liegen, und darauf, in welcher Zyklusphase wir uns gerade befinden und was sich vermutlich als Nächstes ereignet. Seit ich diese Perspektive einnehmen kann, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass es in der Geschichte nur eine begrenzte Zahl von Persönlichkeitstypen4 gibt. Diese schlagen eine begrenzte Zahl von Wegen ein, die sie in eine begrenzte Zahl von Situationen führen, sodass eine begrenzte Zahl von Geschichten entsteht, die sich im Laufe der Zeit wiederholen. Die Akteure sind lediglich anders gekleidet, sprechen andere Sprachen und bedienen sich anderer Technologien.

DIESES FORSCHUNGSPAPIER UND WIE ICH DAZU KAM

Ein Forschungspapier zog das andere nach sich, was mich letztlich zu diesem veranlasste. Genauer gesagt:

Mein jüngstes Forschungspapier, auf das sich dieses Buch stützt, ist dem Umstand zu verdanken, dass ich mehr über drei maßgebliche Kräfte wissen wollte, die ich noch nicht erlebt hatte, und über die Fragen, die sie aufwerfen:

  1. Der langfristige Kredit- und Kapitalmarktzyklus: Solange wir leben, waren die Zinsen für so viele Schuldtitel noch nie so niedrig oder gar negativ gewesen wie jetzt (also zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Zeilen). Der Wert des Geldes und der Schuldinstrumente wird durch ihre Angebots-Nachfrage-Situation infrage gestellt. 2021 waren Schuldtitel im Volumen von über 16 Billionen US-Dollar negativ verzinst und zur Defizitfinanzierung werden in Kürze weitere neue Anleihen in ungewöhnlicher Menge aufgelegt werden. Zeitgleich zeichnen sich am Horizont bereits enorme Verpflichtungen im Zusammenhang mit Renten und medizinischer Versorgung ab. Daraus ergaben sich für mich ein paar interessante Fragen – unter anderem natürlich, warum jemand Anleihen nachfragen sollte, die mit einem Negativzins beaufschlagt waren, und wie viel tiefer die Zinsen noch gedrückt werden konnten. Ebenso interessierte mich, was mit Volkswirtschaften und Märkten geschehen würde, wenn die Zinsen nicht weiter gesenkt werden könnten, und welche Anreize die Zentralbanken dann noch geben könnten, wenn der unvermeidliche nächste Abschwung einsetzte. Würden die Zentralbanken in diesem Fall noch viel mehr Geld drucken und es dadurch entwerten? Was würde passieren, wenn die Währung, auf die die Schuldtitel lauten, abwertet, während die Zinsen so niedrig sind? Diese Überlegungen führten mich schließlich zu der Frage, was die Zentralbanken unternehmen würden, wenn die Anleger auf die maßgeblichen Reservewährungen der Welt (also US-Dollar, Euro und Yen) lautende Anleihen verschmähten, wie es zu erwarten wäre, wenn das Geld, mit dem sie ausgezahlt werden, sowohl im Wert fällt als auch dermaßen niedrige Zinsen abwirft.

    Eine Reservewährung ist eine Währung, die weltweit für Transaktionen und Ersparnisse akzeptiert wird. Das Land, dem es gelingt, die primäre Weltwährung zu drucken (heute die USA, doch wie wir sehen werden, war das in der Geschichte nicht immer so), hat eine gewaltige Machtstellung, und Schulden, die auf die globale Reservewährung lauten (also derzeit auf US-Dollar lautende Schuldtitel), bilden die absolute Grundlage der globalen Kapitalmärkte und der Volkswirtschaften weltweit. Ebenso trifft aber zu, dass sämtliche bisherigen Reservewährungen irgendwann keine mehr waren, was für die Länder, die diese besondere Machtstellung innehatten, oft traumatisch endete. Mich beschlich daher der Gedanke, ob, wann und warum der US-Dollar nicht mehr die Leitreservewährung der Welt sein würde, welche Währung an seine Stelle treten könnte und wie das die Welt, wie wir sie kennen, verändern würde.

  2. Der innenpolitische Zyklus von Ordnung und Chaos: Die Unterschiede bei Wohlstand, Werten und politischen Einstellungen sind heute größer, als ich es je erlebt habe. Die Analyse der 1930er-Jahre und anderer früherer Zeiten, in denen ebenfalls eine starke Polarisierung vorlag, verriet mir, dass es enorm große Auswirkungen auf Volkswirtschaften und Märkte hat, welche Seite am Ende die Oberhand behält (die linke oder die rechte). Deshalb kam ich nicht umhin, mich zu fragen, wohin die heutigen Diskrepanzen führen werden. Meine Beschäftigung mit der Geschichte hat mich gelehrt: Kommt es zu einem Konjunkturabschwung, wenn das Wohlstands- und Wertgefälle groß ist, dann ist der Streit darüber, wie der Kuchen aufgeteilt werden soll, vermutlich groß. Wie werden Menschen und Politik miteinander umgehen, wenn der nächste Konjunktureinbruch kommt? Das stimmte mich umso nachdenklicher, als die Möglichkeiten der Zentralbanken begrenzt sind, die Zinsen ausreichend zu senken, um die Konjunktur anzukurbeln. Doch nicht nur diese klassischen Instrumente sind unwirksam. Wird Geld gedruckt und werden finanzielle Vermögenswerte aufgekauft (was heute unter der Bezeichnung »quantitative Lockerung« läuft), so vergrößert sich das Wohlstandsgefälle, weil die Nachfrage nach solchen Vermögenswerten die Preise in die Höhe treibt. Das kommt den Wohlhabenden zugute, die mehr davon besitzen als die Armen. Wie würde sich das in Zukunft auswirken?

  3. Der außenpolitische Zyklus von Ordnung und Chaos: Zum ersten Mal in meinem Leben erwächst den Vereinigten Staaten echte Konkurrenz um die Macht. (Die Sowjetunion war lediglich ein militärischer, aber nie ein ernstzunehmender wirtschaftlicher Rivale.) China hat sich für die Vereinigten Staaten in fast jeder Hinsicht zur rivalisierenden Macht entwickelt und erstarkt in fast jeder Hinsicht schneller. Setzt sich dieser Trend fort, wird China unter den wichtigsten Gesichtspunkten für die Dominanz eines Imperiums stärker werden als die Vereinigten Staaten. Zumindest aber wird es ein ebenbürtiger Wettbewerber. Ich kenne beide Länder mein Leben lang gut und nehme jetzt wahr, wie sich der Konflikt rasch verschärft – vor allem auf Gebieten wie Handel, Technologie, Geopolitik, Kapital und wirtschaftliche/politische/gesellschaftliche Ideologie. Da drängt sich mir unwillkürlich die Frage auf, wie diese Konflikte und die daraus resultierenden Veränderungen der Weltordnung in den kommenden Jahren aussehen werden und wie sich das auf uns alle auswirken wird.

Um diese Faktoren und die potenzielle Bedeutung ihres Zusammentreffens aus der richtigen Perspektive zu betrachten, untersuchte ich den Aufstieg und Fall aller großen Weltreiche und ihrer Währungen über die vergangenen 500 Jahre und konzentrierte mich dabei vor allem auf die drei größten: das US-amerikanische Imperium und den US-Dollar, die heute die größte Rolle spielen, das britische Empire und das britische Pfund, die zuvor die größte Bedeutung hatten, und das niederländische Weltreich und den niederländischen Gulden, die vorausgegangen waren. Nicht ganz so intensiv befasste ich mich darüber hinaus mit den übrigen sechs bedeutenden, wenn auch finanziell weniger dominanten Imperien Deutschland, Frankreich, Russland, Japan, China und Indien. Dabei lag mein Augenmerk vor allem auf China, dessen Geschichte ich bis ins Jahr 600 zurückverfolgte, weil 1) China in der Vergangenheit besonders bedeutend war, 2) heute so bedeutend ist und in Zukunft vermutlich noch bedeutender sein wird und 3) sich dort viele Möglichkeiten bieten, den Aufstieg und Niedergang von Dynastien zu beleuchten, wodurch ich die zugrunde liegenden Muster und Kräfte besser erkennen konnte. Diese Fallbeispiele lieferten ein klareres Bild davon, welche wesentlichen Einflüsse andere Faktoren ausübten, allen voran Technologie und Naturereignisse.

Die Analyse all dieser Fallbeispiele zu sämtlichen Imperien im Zeitverlauf verriet mir, dass die großen Weltreiche in aller Regel rund 250 Jahre Bestand hatten, plus/minus 150 Jahre. Die großen Wirtschafts-, Kredit- und Politikzyklen innerhalb dieser Epochen währten rund 50 bis 100 Jahre. Ein genauerer Blick darauf, wie sich Aufstieg und Niedergang im Einzelfall entwickelten, ließ mich in der Gesamtschau archetypische Abläufe erkennen. Auf dieser Grundlage konnte ich untersuchen, wie und warum sie sich unterschiedlich verhielten. Daraus lernte ich eine ganze Menge. Nun stehe ich vor der Herausforderung, Ihnen das Gelernte zu vermitteln.

Damit man diese Zyklen nicht übersieht, muss man die Vorgänge aus einer gewissen Distanz betrachten. Man darf auch nicht auf Durchschnittswerte achten, sondern muss Einzelfälle berücksichtigen. Vorherrschendes Thema sind fast immer aktuelle Entwicklungen. Von den großen Zyklen spricht kaum einer, obwohl sie die eigentlichen Treiber der jeweiligen Geschehnisse sind. Betrachtet man das Gesamtbild beziehungsweise den Durchschnitt, so geht oft unter, dass im Einzelfall weit größere Aufstiege und Niedergänge vorlagen. Wer beispielsweise auf einen Aktienmarktindex (wie den S&P 500) schaut, nicht auf einzelne Unternehmen, dem entgeht ein maßgeblicher Sachverhalt: dass nämlich die einzelnen Fälle, aus denen sich der Durchschnitt zusammensetzt, fast immer eine Phase der Geburt, eine Phase des Wachstums und eine Phase des Todes aufweisen. Wer das erlebt, macht zunächst einen spektakulären Höhenflug mit, gefolgt von einem katastrophalen Absturz in den Ruin – es sei denn, er diversifiziert sein Engagement und gewichtet seine Einsätze neu (wie es S&P bei der Erstellung des Index tut) oder er ist in der Lage, vor allen anderen die Anstiegs- von den Abstiegsphasen zu unterscheiden, um entsprechend zu reagieren. Und damit meine ich beileibe nicht nur, dass man die eigene Position auf den Märkten verändert. Mit Blick auf den Aufstieg und Niedergang eines Imperiums schließt das für mich praktisch alles ein – bis hin zur Verlegung des eigenen Wohnsitzes.

Das bringt mich zum nächsten Punkt: Wer das Gesamtbild sehen will, darf sich nicht auf die Details fokussieren. Ich will zwar versuchen, dieses große, umfassende Bild authentisch darzustellen, doch millimetergenau wird mir das nicht gelingen. Und wenn Sie es erkennen und begreifen wollen, dürfen Sie ebenfalls nicht zu sehr ins Detail gehen. Der Grund dafür: Wir haben es mit Mega-Makrozyklen und Entwicklungen über extrem lange Zeiträume zu tun. Um diese wahrzunehmen, müssen wir uns von der kleinteiligen Betrachtung lösen. Handelt es sich allerdings um wesentliche Details, und das ist oft der Fall, müssen wir genauer fokussieren – vom großen unscharfen auf ein detailliertes Bild.

Betrachten Sie aus dieser Mega-Makroperspektive, was sich in früheren Zeiten ereignet hat, so wird das Ihre Weltsicht radikal verändern. Weil der Betrachtungszeitraum so lang ist, lassen sich viele der grundlegendsten Faktoren, die für uns so selbstverständlich sind (und viele der Begriffe, die wir verwenden, um sie zu beschreiben) nicht auf den gesamten Zeitraum übertragen. Aus diesem Grund werde ich mitunter unpräzise formulieren, um das Gesamtbild zu vermitteln, ohne mich mit nur scheinbar maßgeblichen Entwicklungen zu verzetteln, die in Relation zum Gegenstand unserer Betrachtung jedoch lediglich unwesentliche Details sind.

So fand ich es beispielsweise schwierig zu entscheiden, wie ich zwischen Ländern, Königreichen, Nationen, Staaten, Stämmen, Weltreichen und Dynastien differenzieren sollte. Heute sprechen wir überwiegend von Ländern. Doch Länder, wie wir sie kennen, gibt es erst seit dem 17. Jahrhundert – also in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg in Europa. Mit anderen Worten: Davor gab es noch keine Länder. Grob gesprochen gab es stattdessen Staaten und Königreiche, doch auch das traf nicht immer zu. Ein paar Königreiche gibt es bis heute. Diese sind leicht mit Ländern zu verwechseln und erfüllen manchmal die Kriterien für beide Bezeichnungen. Generell, aber nicht in jedem Fall, sind Königreiche klein, Länder größer und Imperien am größten (weil sie über das Königreich oder das Land hinausgehen). Die bestehenden Wechselbeziehungen sind oftmals unklar. Das britische Empire war in erster Linie ein Königreich, das sich allmählich zu einem Land und dann zu einem Weltreich entwickelte, welches weit über die Grenzen Englands hinausreichte. Seine Regenten herrschten über riesige Gebiete und viele Menschen, die keine Engländer waren.

Außerdem gilt, dass jede solche Gattung gesondert kontrollierter Gebilde – Staaten, Länder, Königreiche, Stämme, Imperien und so weiter – ihre Bevölkerung unterschiedlich regiert, was die Sachlage für all jene, denen an Präzision gelegen ist, zusätzlich kompliziert. So umfassen Imperien beispielsweise manchmal Gebiete, die von einer dominanten Macht besetzt sind, in anderen Fällen aber Regionen, die durch Drohungen und Belohnungen von einer dominanten Macht beeinflusst werden. Das britische Empire besetzte die Länder gewöhnlich, die zum Reich gehörten, während die Amerikaner ihr Imperium eher durch Zuckerbrot und Peitsche kontrollierten – was allerdings auch nicht hundertprozentig den Tatsachen entspricht, denn zum jetzigen Zeitpunkt unterhalten die USA Militärstützpunkte in mindestens 70 Ländern. Dass ein US-amerikanisches Imperium existiert, ist unbestritten. Längst nicht so klar ist allerdings, was dazugehört. Wie dem auch sei, Sie verstehen sicher, worauf ich hinauswill: Der Anspruch auf Exaktheit kann der Vermittlung der maßgeblichsten, wichtigsten Erkenntnisse im Wege stehen. Sie werden sich daher mit meinen ungenauen Pauschalisierungen abfinden müssen. Sie werden aber sicher verstehen, warum ich für diese Gebilde im Folgenden die unpräzise Bezeichnung »Länder« verwende, obwohl sie streng genommen nicht in jedem Fall zutrifft.

Diesbezüglich wird mancher argumentieren, dass ich verschiedene Länder mit unterschiedlichen Systemen aus anderen Zeiten unmöglich vergleichen kann. Ich kann diesen Standpunkt zwar nachvollziehen, möchte Ihnen aber versichern, dass ich mir größte Mühe geben werde, eventuelle größere Unterschiede zu berücksichtigen, und dass die zeitlosen, universellen Parallelen weitaus größer sind als die Unterschiede. Es wäre tragisch, wenn wir uns von diesen Unterschieden den Blick auf die Ähnlichkeiten verstellen lassen würden, die uns die nötigen Lehren aus der Geschichte offenbaren.

BEDENKEN SIE STETS: ICH WEISS VIEL WENIGER, ALS ICH NICHT WEISS

Bei dieser Fragestellung kam ich mir von Anfang an vor wie eine Ameise, die versucht, das Universum zu begreifen. Ich hatte viel mehr Fragen als Antworten, und ich wusste, dass ich dabei viele Fächer berührte, die andere ihr Leben lang studiert haben. Zu meinen Privilegien gehört, dass ich mit den führenden Gelehrten der Welt sprechen kann, die die Geschichte gründlich studiert haben, und auch mit den Menschen, die in der Position sind oder waren, Geschichte zu schreiben. Das eröffnete mir Möglichkeiten zur Triangulation, wie sie kaum jemandem zur Verfügung stehen. Zwar verfügte jeder der Experten über fundierte Einschätzungen zu einzelnen Puzzleteilchen, doch keiner über das ganzheitliche Verständnis, das ich brauchte, um alle meine Fragen angemessen zu beantworten. Indem ich mit all diesen Leuten sprach und meine Erkenntnisse mit meinen eigenen Recherchen in die Triangulation einfließen ließ, konnte ich das Bild zusammenfügen.

Eine unschätzbare Hilfe bei diesen Recherchen waren die Menschen und Instrumente von Bridgewater. Weil die Welt so komplex ist, sind Hunderte Menschen und gewaltige Rechenleistung erforderlich, um das ehrgeizige Spiel zu spielen, aus der Vergangenheit schlau zu werden, aktuelle Entwicklungen zu verarbeiten und auf der Grundlage dieser Informationen auf künftige Entwicklungen zu setzen. So führen wir unseren logischen Regelwerken beispielsweise aktiv etwa 100 Millionen Datenreihen zu. Diese Informationen verarbeiten sie und übersetzen sie systematisch in Transaktionen auf jedem Markt in jedem größeren Land weltweit, in dem wir handeln können. Ich halte unsere Fähigkeit, Informationen über alle maßgeblichen Länder und Märkte ausfindig zu machen und zu verarbeiten, für absolut beispiellos. Durch diese maschinelle Unterstützung konnte ich sehen und zu verstehen versuchen, wie die Welt funktioniert, in der ich lebe – und darauf stützte ich mich auch bei diesem Forschungsprojekt.

Trotzdem kann ich nie ganz sicher sein, dass ich richtigliege.

Ich habe zwar eine Menge gelernt, das ich nutzbringend einsetzen werde, doch mir ist sehr wohl bewusst: Was ich weiß, ist lediglich ein winziger Teil dessen, was ich wissen muss, um von einer Zukunftsvision wirklich überzeugt zu sein. Aus Erfahrung ist mir außerdem klar: Wenn ich abwarte, bis ich so viel weiß, dass mich mein Wissen zufriedenstellt, bevor ich handele oder anderen meine Erkenntnisse mitteile, werde ich nie nutzen oder weitervermitteln können, was ich gelernt habe. Sie sollten daher bitte eines bedenken: Dieses Forschungspapier liefert zwar die übergreifende Top-down-Perspektive, die ich aus meinen Erkenntnissen gewonnen habe, und ebenso meine nicht sehr überzeugte Vision von der Zukunft, doch Sie sollten meine Schlussfolgerungen eher als Theorien denn als Tatsachen auffassen. Sie dürfen nicht vergessen, dass ich trotz allem so häufig danebenlag, dass ich mich gar nicht mehr an jedes einzelne Mal erinnern kann. Aus diesem Grund lege ich bei der Platzierung meiner Wetten auf Diversifizierung mehr Wert als auf alles andere. Ich kann mich daher nur nach Kräften bemühen, Ihnen meine Überlegungen offen darzulegen. Das sollten Sie wissen.

Sie fragen sich vielleicht, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Früher hätte ich mich über meine Erkenntnisse ausgeschwiegen. Inzwischen habe ich aber eine Lebensphase erreicht, in der mir wichtiger ist, weiterzugeben, was ich gelernt habe, statt im Stillen mehr zu erreichen – in der Hoffnung, dass es anderen von Nutzen sein kann. Dabei geht es mir vor allem darum, Ihnen mein Modell dafür zu vermitteln, wie die Welt funktioniert, Ihnen eine zusammenhängende, verständliche Geschichte der letzten 500 Jahre zu erzählen, die aufzeigt, wie und warum sich darin Parallelen zu aktuellen Entwicklungen in der Geschichte wiederfinden, und Ihnen und anderen zu helfen, bessere Entscheidungen zu treffen, damit wir in Zukunft alle davon profitieren können.

WIE DIESES FORSCHUNGSPAPIER AUFGEBAUT IST

Wie bei all meinen Forschungspapieren werde ich versuchen, meine Erkenntnisse einerseits gekürzt und vereinfacht zu vermitteln (etwa durch die Videos, die Sie online finden), aber auch in epischer Breite (wie in diesem Buch) oder sogar noch ausführlicher für all jene, die sich für zusätzliche grafische Darstellungen und historische Beispiele interessieren (diese sind – wie alles andere, was nicht im Buch abgedruckt ist – auf www.economicprinciples.org zu finden).